Wilhelm Heinrich Riehl
Der Stadtpfeifer
Wilhelm Heinrich Riehl

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2.

Das junge Paar hauste nun auf dem Schloßturm zu Weilburg. In sinkender Nacht waren sie angekommen. Da hatte der Stadtpfeifer, als er von weitem das Lahnwehr der Weilburger Brückenmühle rauschen hörte, nicht länger an sich halten können: er mußte sein Gewissen entlasten und der Frau bekennen, daß er nur noch einen Krontaler im Vermögen habe, daß dieser einzige aber auch bereits zur Deckung der Überzugskosten in Ausgabe geschrieben sei. Die Frau erschrak wohl anfangs; allein die letzten Stunden waren so traulich gewesen unter dem Linnendach des Wagens, die Lahn rauschte ihnen so heimlich entgegen, Heinrich hielt ihre Hand fest in der seinigen: – die Liebe überwindet alles, sie überwand auch diesen einzigen Krontaler, und heiter, versöhnt mit sich und seinem Geschick, stieg das Paar zuletzt Arm in Arm die hohe Wendeltreppe zum Turm hinauf, indes Philipp Ketter die schwere Heiratskiste mit der Aussteuer Christinens keuchend hintendrein trug. Als er die Kiste oben abgesetzt, nahm er den einzigen Krontaler in Empfang, und der Stadtpfeifer war ordentlich froh, daß er das Geldstück los war, welches ihm so viel Not gemacht.

Frau Christine waltete als die klügste Hauswirtin. Sie verkaufte sofort einige überflüssige Stücke ihrer Aussteuer, um bar Geld zu bekommen, und das durchtriebene Bauernkind wußte dabei die Sache recht heimlich abzumachen, daß nicht gleich ein Stadtklatsch daraus wurde. Der Mann hatte inzwischen auch unverdientes Glück mit den Kirmessen; es ward getanzt, trotz den Franzosen und mit den Franzosen. Saure Tage waren es freilich für Heinrich: er mußte oft mehrere Stunden Wegs weit zum Tanzplatz laufen, Nacht um Nacht blasen bis in den grauenden Morgen; aber dann brachte er doch Geld nach Hause, daß er sich auf die Qual dieser Nächte freute wie die Schulkinder auf einen Feiertag.

So ging es für den Anfang ganz leidlich. Allein, Frau Christine wollte auch einen Notpfennig gewinnen auf den Winter, und Dauer dem guten Glück. Die Einrichtung der Pfeiferstube, wie sie der Stadtpfeifer von den Eltern ererbt, war gediegen, reichlich, ja für kleine Bürgersleute luxuriös. Wo nun etwas von den schönen Tischen, Stühlen und Schränken gut anzubringen war, da verkaufte es die Frau – die Kriegsnöte entschuldigten das jetzt, freilich drückten sie auch die Preise – und schaffte recht billigen Bauernhausrat dafür an. So kam es denn bald, daß die Finanzen des Stadtpfeifers sich besserten, aber in der sonst so niedlichen Pfeiferstube sah es um so schlechter aus. Die dreibeinigen Stühle aus Eichenholz waren so grob gehobelt wie die Westerwälder Bauern, denen Christine sie abgekauft. Der Tisch stand aus Sympathie gleichfalls nur auf drei Füßen, der vierte war durch einen untergeschobenen Ziegelstein ergänzt, an die Haushaltung von Philemon und Baucis erinnernd. Die Schränke aber vollends waren so alt und wurmstichig, daß der Stadtpfeifer zu behaupten pflegte, sie rührten noch aus der Mobiliarversteigerung von Adams und Evas Nachlaß her.

Aber die Eheleute waren glücklich, wenn sie am Abend einander gegenüber auf den dreibeinigen Stühlen an dem dreibeinigen Tische saßen; – und was braucht es mehr!

Das ging so bis in den September. Da kam der kühle Herbstwind und strich auch dem Stadtpfeifer gar kühl über die Stirne, denn sein Glück schien plötzlich nur ein Zugvogel zu sein, der sich zum Wegziehen anschicke mit den Störchen und Schwalben. Die Kirmessen hörten auf, die Soldatenlast ward drückender, niemand traute dem Landfrieden mehr, auch die Reichsten kündigten ihre Musikstunden, die dem Pfeifer bis dahin ausgeholfen, nirgend konnte seine Frau einen Nebenverdienst finden, und die Stadtpfeiferei warf nur zwanzig Gulden jährlich ab nebst dem freien Quartier, hundertundzwanzig Fuß über dem Straßenpflaster. Da mußte Christine bald den Notpfennig anbrechen, und er ward immer kleiner und kleiner.

In den ersten Monaten hatte sie, dem Herkommen des väterlichen Hauses getreu, an jedem Sonntag einen Kuchen gebacken. Denn in Ebersbach, wo man freilich auf Mehl und Milch und Butter nicht zu sehen brauchte, würde eine Sonntagsfeier ohne Kuchen angesehen worden sein, wie wenn man neben die Kirche gegangen wäre oder die Werktagskleider anbehalten hätte, statt festtäglichen Putzes. Der Kuchen gehörte so nötig zu einem gerechten Sonntag, wie Glockengeläute, Orgelspiel und Chorgesang. Anfangs machte nun das Bauernkind in der Pfeiferstube nach gewohnter Weise einen Sonntagskuchen, mächtig groß, in seiner Rundung fast vergleichbar der großen, rot aufglühenden Mondscheibe, wenn sie abends am Bergsaum aus leichtem Nebel hervortritt. Dann spürte Christine allmählich den Unterschied zwischen Dorf und Stadt, und der Sonntagskuchen ward beträchtlich kleiner, etwa wie derselbe rote Mond, wenn er nachgehends als goldene Kugel im dunstfreien Mitternachtshimmel schwimmt. Anfangs September wurde der Kuchen so klein, wie wenn man des Mondes schmales erstes Viertel zu einem Kreis zusammengelegt hätte, und als die Äquinoktialstürme den Turm umbrausten, da stand es mit dem Sonntagskuchen wie mit dem Neumond; er war nun ganz unsichtbar geworden.

In dieser Zeit geschah es, daß der Stadtpfeifer eines Abends vor dem Notenpulte saß und strich die Saiten seiner Geige übend auf und ab, immer die gleiche Figur dergestalt, daß es der armen Christine, die das Spinnrad drehte, fast schwindelig wurde. Das Stübchen lag gar luftig, die vier Fenster nach den vier Winden, und der heulende Sturmwind verband sich mit dem Geigen und dem Spinnrad zu einem verzweifelt melancholischen Konzert. Die Scheiben klirrten, ein Schwarm Raben flatterte krächzend um den hohen Turm, das Lahnwehr tief unten erbrauste wild. Der Geiger spielte, als gelte es wettzukämpfen mit alle diesem Getöse, aber alle Wut des Eifers ließ es ihm nicht glücken, einen einzigen Lauf rein und flink herauszubringen.

Und so war's alle Tage. Eine Ausdauer hatte Heinrich Kullmann sondergleichen und auch ein gutes Verständnis der Sache; aber so sehr er das Beste zu beurteilen, so rein er es zu genießen wußte, vermochte er es doch niemals selber hervorzubringen.

Endlich warf er die Geige weg. »Ich bin zu nichts gut«, rief er unmutig, »als den Morgen und Abend mit einem Choral anzublasen. Ein kunstreicher Spielmann werde ich im Leben nicht. O Weib, das tut weh, zu fühlen, wie man alles geigen soll, daß die Leute ausrufen müßten: Seht der Weilburger Stadtpfeifer ist ein anderer Corelli! Das tut weh, jede Passage gar wunderschön im Kopf zu haben und zu wissen, bis sie in die Finger kommt, wird alles holperig und matt sein!«

Da hielt Christine das Spinnrad ein und sprach: »Laß ab von diesen Sachen, Heinrich. Treibe dein Handwerk ehrlich, daß du uns Brot schaffest, und lasse dir daran genügen. Dein eitles Begehren bricht dir den Mut. Die Steine, die man nicht heben kann, muß man liegen lassen. Der Krieg quält uns, die Hantierung stockt, und allen Leuten geht das Geld aus. Da braucht es Kraft und Gottvertrauen: geig' dir das nicht aus der Seele! Zu was ist Hoffart nütze, wo man das letzte Stückchen Brot im Hause gegessen hat?«

Das Wort fiel wie Feuer auf des Stadtpfeifers Haupt. »Wie? ist vielleicht kein Brot im Hause?« rief er, jäh aufbrausend.

»Wir haben heute morgen das letzte gegessen. Gott weiß, daß ich dir keinen Vorwurf machen will, indem ich's sage.«

Da nahm der Stadtpfeifer seinen Hut und rief: »Ich will uns Brot holen!« und eilte zur Tür hinaus.

Der Frau aber ward's bange, und ob sie gleich schon jetzt in den ersten Monaten ihrer Ehe ein gar festes, starkwilliges Weib war, wie sie auch ein unbeugsames Mädchen gewesen, lief sie doch dem Manne nach und bat ihn weinend, er möge dableiben, sie habe ihm ja kein böses Wort geben wollen. Aber der Stadtpfeifer war so jählings die Wendeltreppe des Turmes hinabgesprungen, daß ihre Bitten ungehört in den engen Mauern verhallten. Da ging sie zurück in die Stube, legte den Kopf in die Hände und weinte bitterlich.

Der Stadtpfeifer lief durch die stillen Straßen und wußte selbst nicht, zu welchem Ende. Es war gut, daß es bereits dunkel geworden; hätten ihn die Leute so laufen sehen, sie würden gesagt haben, Heinrich Kullmann sei übergeschnappt.

Böse und gute Gedanken stritten sich in seiner Seele. Warum habe ich ein Weib genommen, da ich keines ernähren kann? Ein so braves Weib und doch nicht recht für einen Musikanten! Sie faßt mich nicht. Sie fordert Brot, wenn ich nach dem Bogenstrich Tartinis ringe. Und doch hat sie recht – muß ich ihr nicht Brot schaffen? Aber ich habe auch recht, denn wenn ich nur einmal den Bogenstrich gefunden, den ich fühle, dann kann sie wieder ihren Sonntagskuchen backen, so groß wie einen Mühlstein. Könnt' ich ihr nur erst Brot bringen!

Er suchte nochmals in allen Taschen nach etwas verirrter Münze, allein es fand sich nichts.

So lief der Stadtpfeifer bis über die Lahnbrücke. Jetzt war er im Freien vor der Stadt. Es war ganz dunkel geworden. Die Spukgestalten, womit der Volksglaube die Felsschluchten vor Weilburg bevölkert, tanzten vor den wirren Sinnen des Dahinstürmenden, und er stutzte plötzlich und hielt ein, mit Schauern des Spruches gedenkend, daß der Tag den Lebendigen gehöre, die Nacht aber den Toten. Er blickte gegen die Stadt zurück. Der Fluß brauste unheimlich in der schwarzen Tiefe; das alte Schloß lagerte sich über den breiten Felsrücken langgestreckt wie eine riesige Sphinx, die Wache hält an den Türen der Talschlucht. Aber hoch über den verlassenen Bau, aus dessen Fenstern heute kein einziges Licht zum Wasser niederglänzte, ragte der Schloßturm, und nahe seiner Spitze leuchtete ein tröstlicher Schimmer: das war die Kammer, wo Christine saß und weinte.

Der Stadtpfeifer blickte starr nach dem einzigen Licht in der Höhe, und es ward ihm in der Seele leid, daß er eben so unfreundlich seines Weibes gedacht. Und indem er so das einzige Licht in der ringsum endlos ausgebreiteten Finsternis anblickte, fiel ihm ein einfältiger Vers ein, den er manchmal von seiner Mutter hatte singen hören, der hieß:

»Wem nie durch Liebe Leid geschieht,
Dem ward auch Lieb' durch Liebe nicht,
Leid kommt wohl ohne Lieb' allein;
Lieb' kann nicht ohne Leiden sein.«

So schritt er denn nach einer Weile langsam zurück über die Brücke, und im Gehen wiederholte er sich wohl zehnmal immer langsamer und nachdenklicher den Vers, und seine Schritte hielten zuletzt wie von selber ein, daß er in tiefem Sinnen stehenblieb. Sein Blick senkte sich zur Erde. Da sieht er etwas glitzern: – es ist ein funkelneuer Groschen! Und wie er sich bückt, ihn aufzuheben, sieht er auf einen Schritt voraus noch einen Groschen liegen, und weiterfort noch einen – und so waren es sechse, dicht aneinander, alle so neu und glänzend, wie wenn sie eben jetzt aus der Münze kämen.

»Sechs neue Groschen in einer Reihe«, murmelte der Stadtpfeifer leise, tief bewegt, »sechs Groschen – die hat mir unser Herrgott selber hierher gelegt, der mich nicht verlassen will – sechs Groschen kostet der Laib Brot in dieser teuren Zeit!« Und dann war es ihm nach einem Augenblick wieder unfaßbar, wie er zu dem Gelde gekommen; er erschrak vor sich selbst, als habe er's gestohlen; er prüfte fühlend und besichtigend im Schein der erleuchtenden Fenster eines Hauses, ob es kein Blendwerk sei: allein es waren und blieben wirkliche sechs neue, blanke Groschen. Es ward ihm aber, daß er hätte weinen mögen wie ein Kind, als er, beim Hofbäcker eintrat und die sechs glänzenden Groschen niedergeschlagenen Auges auf den Tisch legte und mit zitternder Hand den Laib Brot dafür hinnahm.

Jetzt lief er noch viel schneller zum Schlosse zurück, als er vorhin nach der Brücke gelaufen war. Er preßte das Brot fest unter den Arm, als könne es ihm unversehens wieder davonfliegen. Da kann man wohl auch sagen, dachte er bei sich, der Neunundneunzigste weiß nicht, wie der Hundertste zu seinem Brot kommt.

Aber während er so hinter der Stadtmauer den Berg hinanstieg, klang plötzlich ein leises Wimmern an sein Ohr. Er blieb stehen; die Töne schienen vom Boden heraufzukommen.

»Was ist das?« rief er aus. »Heute abend bin ich im Finden glücklich! Da liegt ein kleines Kind – in ein paar arme Lumpen gewickelt. Wahrhaftig, Gott hat mir nicht umsonst den Zorn eingegeben, daß ich wie toll in die Nacht hineinlaufen mußte!«

Und es kam ihn, wunderbar genug, über diesen zweiten Fund fast eine größere Freude an als über den ersten, da er in den Lichtschimmer des nächsten Fensters trat und ein Papier entzifferte, das bei dem Kinde gelegen; darauf stand geschrieben: Ein arm elendig Weib bittet den Christenmenschen, der dies findet, daß er sich um Jesu willen des Kindes erbarme. Es ist getauft und heißt mit Namen Johann Friedrich.«

Der Stadtpfeifer nahm sein Brot in den einen Arm und das Kind in den andern und schlug den Zipfel seines langen Rockes um den armen Wurm. »Herrgott!« rief er, »du sollst mir nicht umsonst die Groschen auf die Straße gelegt haben!« Dieser kurze Ausruf aber war wie ein volles, brünstiges Gebet.

 

Erst als der Stadtpfeifer mit dem Doppelfund vor seiner Stubentüre stand, überkam ihn Zagen und Verlegenheit! Doch schon öffnete Frau Christine und begrüßte ihn so zärtlich, als müsse der Gruß allein jede Erinnerung von Streit und Unmut tilgen.

Der Stadtpfeifer legte das Brot auf den Tisch und das Kind daneben. »Das habe ich unterwegs gefunden, Christine«, sagte er trocken, und blickte dabei die Frau so ernsthaft an, daß sie laut lachen mußte, und er selber lachte nun mit. Dann setzte er sich und erzählte treuherzig seine Geschichte, und hob im Erzählen das Kind wohl ein dutzendmal auf, damit es ihn anlächle und er es küsse. Als er von den sechs Groschen erzählte, da ward es auch der Frau ganz fromm zumute; doch als er dann weiter seinen Bericht über den Fund des Kindes beendet, sprach sie: »Du tatest recht, daß du das Würmchen mitgebracht hast; morgen wollen wir zum Schultheißen gehen und ihm den Buben einhändigen.«

Den Stadtpfeifer überlief es, wie wenn er mit kaltem Wasser begossen wurde. Er erwachte erst jetzt zur klaren Überlegung. Daran hatte er noch gar nicht gedacht, was es heiße, ein Kind aufziehen und versorgen, und daß vor allem eine Mutter dazu gehöre, die sich mit voller Liebe und Opferung des hilflosen Geschöpfes annehme. Nicht ihm, sondern der Frau kam hier das entscheidende Wort zu. Es hatte ihm so vorgeschwebt, als müsse der Kleine auf immer bei ihm in seiner Pfeiferstube bleiben und dort aufwachsen, so ohne weiteres, wie ein Blumenstock, den man ans Fenster stellt, zeitweilig begießt und im übrigen unserm Herrgott überläßt. Nun fühlte er auf einmal, wie gedankenlos er geträumt.

Er besann sich lange; er kämpfte lange mit sich selber. So viel Kopfbrechens hatte er sich nicht gemacht seit der Stunde, wo er den leichtsinnigen Entschluß faßte, das Bauernmädchen von Ebersbach zu heiraten.

Endlich schien auch hier der Entschluß gefunden. Mit einer Festigkeit, die der Frau ganz neu war, sprach er: »Freilich wollen wir morgen zum Schultheißen gehen und ihm das Findelkind anzeigen. Die Gemeinde muß für des Knaben Erziehung Geld steuern – es wird jetzt nicht viel herausspringen –, gute Leute müssen um eine Gabe für das arme Geschöpf angegangen werden; das hat alles seinen geweisten Weg, der durch des Schultheißen Stube führt, und du kennst ihn besser als ich. Aber so wenig ich diesen Laib Brot wieder zum Bäcker trage, so wenig gebe ich das Kind aus der Hand. Der Schultheiß würde es dem Wenigstfordernden zur Pflege ausbieten; eine Lumpenfamilie würde es ersteigern, um das Kostgeld einzustecken und den Kleinen verkümmern zu lassen.« Und er fuhr fort mit erhobener Stimme: »Nicht umsonst trieb es mich, den Weg hinter der Stadtmauer zu gehen, den man sonst im Dunkeln meidet. Unser Herrgott schenkt nichts weg, nicht einmal sechs Groschen. Christine! dieses Brot wird uns gesegnet sein, und das Brot wird im Hause nie mehr ausgehen, wenn wir das Kind, um dessentwillen uns das Brot geschenkt ward, behalten und zu einem frommen und tüchtigen Mann erziehen. Im Unsegen werden wir das Brot essen, wenn wir das Kind hinweggeben. Anfangs wirst du die größte Last haben, nachher aber kommt sie an mich; wir wollen ehrlich teilen, was mit diesem Kind ins Haus eingezogen ist, die Sorgen und den Segen. Johann Friedrich, armes Waisenkind – Friedrich sollst du von uns genannt und ein Musikant werden! Und es soll dir besser damit glücken als deinem Pflegevater.«

Christine erschrak über die Bestimmtheit Heinrichs und seinen entschiedenen Ton. Er war ein ganz anderer geworden, seit er das Kind und das Brot auf den Tisch gelegt. Zum ersten Male empfand sie die Autorität des Ehemannes, davor sie sich beugen müsse. Die Worte von dem Segen, der nur auf Brot und Kind verbunden ruhe, durchbebten ihr abergläubisches Gemüt. So resolut sie sonst gewesen: – gerade hier, wo das Weib zu reden berufen war, fühlte sie sich als das schwache Weib. Sie erhob mancherlei Einwand, unter Tränen sogar, aber sie kam nicht auf gegen die fast religiöse Begeisterung des Mannes. Zu allerletzt verschanzte sie sich hinter die böse Nachrede der Freunde und Nachbarn. Wie werde man es ihnen, die selbst arme Leute, auslegen, daß sie ein Findelkind zu sich genommen, vermutlich, damit der Stadtpfeifer es mit seinen Projekten und Notenpapierschnitzeln großfüttere?

Heinrich sprach trutzig:

Ziehn dir die Leut' ein schiefes Maul,
So sei im Gesichterschneiden auch nicht faul –

sagt Doktor Martin Luther, und ich denke, wir sind beide gut lutherisch.« Dann nahm er das Brot, schnitt es an und setzte den Wasserkrug auf den Tisch. »Jetzt wollen wir schweigen und in Frieden unser Abendbrot essen. Hast du aber erst geschmeckt, Christine, wie köstlich dieses Brot ist, und wie der Hofbäcker nie ein gleiches gebacken, dann werden dir die Augen aufgehen, daß du Gottes Hand erkennst, die dieses Kind gerade uns, und uns allein, überantwortet hat, wer weiß zu welchem Ende!«


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