Wilhelm Heinrich Riehl
Musiker-Geschichten
Wilhelm Heinrich Riehl

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Nachwort

Vor einem Menschenalter, am 16. November 1897, ist Wilhelm Heinrich Riehl als Münchener Universitätsprofessor gestorben. Bis an sein Ende heran hat er neben der akademischen Tätigkeit mit der Kraft des gesprochenen Wortes in allen größeren deutschen Städten die Gebildeten begeistert. Wer ihn reden hörte, der mußte schon merken: hier sprach kein Büchermensch über Leben der Vergangenheit und der Gegenwart, über bildende Kunst und Musik, über die Großen aller Zeiten. Riehl hat sein Wissen erwandert und mit den Menschen seiner Zeit und früherer Zeitalter innigen Verkehr gepflogen. Die Ahnen und der rheinische Heimatboden (er war 1823 in Biebrich geboren) haben ihm schon zuvor die besten Gaben in die Wiege gelegt: den festen Glauben, die Liebe zur Tonkunst, den Humor und das helle Auge für alles Eigenartige in Volkstum und Einzelpersönlichkeit.

Das Leben hat das Seinige hinzugetan. Als der Theologiestudent merkte, er könne im Pfarramt kein Glück finden, stellte er sich fest auf die eignen Füße und verdiente als Schriftsteller mit zähem Fleiße sein Brot, nicht eigentlich dem Tage dienend, sondern stets sorgsam gefeilte Aufsätze und Bücher schaffend, die in erster Linie aus seinen Studien zur Geschichte des deutschen Volkstums und seiner Gesittung erwuchsen.

Daneben entwarf Riehl Bilder seiner Lieblinge, der großen Musiker, ebenso treu wie anziehend, nie auf der Oberfläche und im Anekdotenhaften verharrend, ähnlich den musikgeschichtlichen Schilderungen Romain Rollands. Auf der gleichen soliden Grundlage ruhen die in diesem Bande vereinten Musikergeschichten, Glieder in der langen Reihe der trefflichen Novellen, durch die Riehl bei Zeitgenossen und Nachfahren berechtigtes Ansehen als Dichter errang. Hier ließ er seiner Lust zum Fabulieren so freies Spiel, wie es sein strenges Künstler- und Gelehrtengewissen erlaubte, rankte an das Gerüst der Gestalten und Geschehnisse, meist aus deutscher Vergangenheit, anmutigste Erfindung und wußte stets eine geschlossene, in ihrer Art musterhafte Handlung zu bieten, wenn auch in den Menschen hier und da die Konventionen der Zeit das freie Fühlen leidenschaftlicher Art nicht aufkommen ließen.

Acht Jahre lang hat Riehl angesehene deutsche Zeitungen geleitet, ein Journalist von der Art des Professors Ollendorf in Freytags bekanntem Lustspiel, freilich nicht von der gleichen Parteifarbe. Riehl war konservativ gesinnt, erblickte in der ständischen Gliederung des Volkes und in dem sie bedingenden Boden feste historische Tatsachen. Sie sollten erhalten, auf dieser Grundlage sollte fortgebaut werden, damit das Neue selbst wieder zur historischen Grundlage der Zukunft würde. Wenn die ständische Gliederung der Gesellschaft zerfällt, so bleibt nach Riehls Meinung auf die Dauer gar keine andere Möglichkeit als der Sozialismus.

In seiner Zeit aber konnte er noch vom Bauern als der konservativen Kraft im Staate ausgehen, die ganze Gesellschaftsordnung auf ihn stützen und ebenso auf die Geburtsaristokratie, weil er im Adel nur ein potenziertes Bauerntum erblickte, dessen Reformbedürftigkeit ihm freilich nicht entging. Bei Adel und Bürgertum sah er die Erscheinungen des Verfalls nach der Revolution von 1848 deutlich zutage treten.

In dieser bewegten Zeit leitete Riehl drei Jahre neben einer Zeitung seiner Heimat das Wiesbadener Hoftheater. Darauf trat er eine Weile an die Spitze des damals angesehensten deutschen Blattes, der »Augsburger Allgemeinen Zeitung«, bis ihn König Maximilian II. von Bayern seiner Tafelrunde, jener Korona von Dichtern und Gelehrten, einreihte, die der König in München um sich versammelte. Hier wirkte Riehl seit 1854 immer noch als Journalist, außerdem aber als Professor der Kulturgeschichte und der Statistik, zuletzt als Direktor des Bayerischen Nationalmuseums. Diese vielfältigen Pflichten ließen ihm doch bis ins Alter noch die Muße, seine drei Steckenpferde zu reiten: Musik machen, Novellen schreiben, zu Fuß weite Strecken durchwandern.

Spuren dieser sehr ernsthaft betriebenen Liebhabereien zeigen sich allenthalben in denjenigen Werken Riehls, die seinem Namen bei den Zeitgenossen den stärksten Klang verliehen haben, den soziologischen Schriften. Ihr Rhythmus ist musikalisch, ihre Form streift an die Prosadichtung, und sie sind gar nicht denkbar ohne die Beobachtungen des unermüdlichen Wanderers. Das Wichtigste hat er zusammengefaßt unter dem gemeinsamen Namen: »Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik.« Dieser Titel vereint vier selbständige Werke, weniger ein geschlossenes Gesellschaftssystem darstellend als gesammelte Aufsätze über die »Bürgerliche Gesellschaft« und »Land und Leute«, die Bezeichnungen der zuerst erschienenen zwei Bände. Daran schloß sich die »Familie« und das »Wanderbuch« mit den besonders prächtigen Schilderungen einzelner Landschaften und Stadtbilder in ihrer aus den natürlichen und den geschichtlichen Bedingungen abgeleiteten Eigenart. Als Ergänzungen traten später noch hinzu »Die Pfälzer«, das ausgeführteste dieser Bilder, und »Die deutsche Arbeit«, nach Githeins Urteil das Meisterstück einer auf Psychologie und Ethik aufgebauten sozialen Wissenschaft.

Die hier geschilderte Welt, die Vorstellung von Wesen und Aufgaben des Deutschtums wurzelt in den Zuständen vor 1870. Was damals Gegenwartsschilderung und -forderung war, ist heute längst Geschichte geworden. Aber mehr als je haben wir Ursache, auf diese versunkene Epoche zurückzublicken und uns zu fragen, ob dort nicht noch so manche Fäden wiederaufgenommen werden könnten, die von dem Machthunger und den wirtschaftlichen Umwälzungen abgerissen worden sind. Denn Riehls Konservativismus war im Grunde liberal im Sinne jener großen, aus dem klassischen Zeitalter der Humanität stammenden Ideen, die historisches und individualistisches Denken in den Dienst des Glaubens an den Aufstieg des eigenen Volkes und der Menschheit stellten.

Vielleicht noch lehrreicher als die soziologischen Bücher Riehls sind die in die Vergangenheit zurückblickenden »Kulturstudien aus drei Jahrhunderten«, die feinsten Einzelschilderungen vereinend, und die nahe verwandten »Geschichten und Novellen«, sieben Bände, denen der Inhalt unsrer Auswahl entnommen ist. Die gute Laune, die anmutige Belehrung und die reizvolle Erfindung, nicht zuletzt die ausgezeichnete Sprache werden dem feinfühligen Leser hier Stunden reinen und vielfältigen Genusses gewähren. Wenn irgendwelche ältere Erzählungen es verdienen, unter die Hausbücher aufgenommen zu werden, die alt und jung gleich erfreuen, so gilt das von dieser Sammlung. Und dasselbe gilt von Riehls »Musikalischen Charakterköpfen« und – freilich nur für die Besinnlichen – von seinen Vermächtnis, den »Religiösen Studien eines Weltkindes«. Vielleicht dürfen wir in einem späteren Bande der Hafis-Lesebücherei auch aus diesen Schriften eine Lese darbieten.


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