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Vorwort

Dieses Buch über die » Familie« bildet den Schlußstein meiner » Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Socialpolitik« und zwar, wie mir scheint, nicht bloß den Schlußstein als den zuletzt eingefügten, sondern auch als den eigentlich schließenden Stein, der das Gewölbe erst zusammenhält und den festen Mittelpunkt ausmacht, darin der Gegendruck aller Pfeiler und Mauern seine Stütze findet.

In »Land und Leute« legte ich die Methode meiner naturgeschichtlichen Volksstudien dar und bezeichnete zugleich in der ethnographischen Dreigliederung Deutschlands die natürliche Vorbedingung der Verschiedenheit des Volkslebens wie der socialen Standpunkte. Die »bürgerliche Gesellschaft« sucht die großen Naturgruppen des Volkes auf, welche durch Stand und Beruf, Sitte und Lebensart gegeben sind, den Staat und sein Rechtsleben noch nicht voraussetzen, dennoch aber im Staate als Stoff und Inhalt für die plastische Staatskunst berücksichtigt werden müssen. Es gibt aber noch andere, noch ursprünglichere Gruppen im Volksleben, die gleichfalls den Staat nicht voraussetzen, trotzdem aber seine höchste Beachtung heischen, und ihrerseits vom Staate vorausgesetzt werden. Diese Gruppen sind die Familien.

Die Familie ist der Urgrund aller organischen Gebilde in der Volkspersönlichkeit. Daher konnte ich in diesem Buche viele Begriffe erst wissenschaftlich entwickeln und feststellen, die in den beiden andern Bänden als gegeben vorausgesetzt sind. In dem Gegensatz von Mann und Weib z.B. läßt sich erst die sociale Ungleichheit als ein ewiges Naturgesetz im Leben der Menschheit erweisen. Der Begriff der Sitte und ihre Bedeutung für das Rechtsleben des Staates hat hier erst seine erschöpfende Darstellung gefunden. Die theoretische Scheidung und das in der Praxis unlösbare Sich-durchdringen der Gebiete des Staates, der Familie und der Gesellschaft konnte hier erst mit der rechten Klarheit erörtert werden. An dieses und anderes dachte ich, als ich oben das Bild vom »Schlußstein« gebrauchte.

Nun wird man aber fragen, warum ich denn bei den vorliegenden drei Bänden den Stiel nicht geradezu umgekehrt habe und also der inneren Logik der Sache gemäß zuerst die »Familie« geschrieben, dann die »bürgerliche Gesellschaft« und zuletzt meine Methode in »Land und Leuten« gerechtfertiget und auf die bestehenden deutschen Zustände angewandt?

Darauf habe ich zweierlei zu erwidern.

Erstlich ist das ganze Werk nicht nach einem vorgefaßten symmetrischen Plane gemacht worden, sondern es ist binnen Jahr und Tag mit dem Verfasser gewachsen. Das System lag in dem Bewußseyn des Verfassers, aber nicht um ein System darzustellen, schrieb er die drei Bücher, sondern um Thatsachen, in denen sein System verborgen steckt, reden zu lassen für die Art der politischen Forschung und Erkenntniß, welche nun einmal mit seiner ganzen Persönlichkeit unauflösbar verwoben ist. So bearbeitete er also die drei großen Stoffe in der Reihenfolge, wie sie ihm durch das persönliche Bedürfniß, sich dieser Dinge quitt zu machen, eingegeben ward, nicht nach einem vorgefaßten systematischen Gesammtplane.

Zum Andern meint er aber, es sey dennoch gut, daß er gerade diese, scheinbar verkehrte, Reihenfolge gewählt. Und in der That, wenn ich jetzt, wo die Resultate dieser fünfjährigen Arbeit schwarz auf weiß und übersichtlich vor mir liegen, noch einmal das Ganze zu schaffen und neu zu ordnen hätte, würde ich eben die Bände doch gerade so folgen lassen, wie sie gegenwärtig vorliegen. Es scheint mir nämlich, ein richtiger Instinkt habe mich geleitet, in der Reihenfolge der Stoffe genau denselben Weg einzuschlagen, der meine ganze Methode der politischen Forschung und Darstellung charakterisirt. Ich gehe von der Anschauung des Besondern aus, um durch Vergleichung und Schluß von da den Weg zum Allgemeinen zu finden. Nach derselben Logik folgen sich die drei Bände dieser Naturgeschichte des Volkes. »Land und Leute« enthält die individuellsten Untersuchungen, wie ich sie in einzelnen Gauen unsers Vaterlandes, bei ganz bestimmten Stammespersönlichkeiten angestellt habe. Die »bürgerliche Gesellschaft« geht schon zum Allgemeineren über; sie sucht aus den örtlichen Anschauungen zu schließen auf die einheitlichen Grundlagen der großen socialen Volksgruppen der ganzen deutschen Nation. Die »Familie« endlich behandelt die universellste aller Gliederungen der Volkspersönlichkeit; die allgemeinsten Grundlagen des organischen Volksthumes sind in ihr dargestellt, und der Socialpolitiker wird hier häufig sogar über den Gesichtskreis der Nation hinaus auf die Kulturgeschichte der Menschheit blicken müssen. Man sieht also, die Reihenfolge dieser drei Bände war eine zufällige und ist doch für mich eine innerlich nothwendige gewesen, indem sie aus meiner Art, politisch zu denken, mir selber unbewußt, hervorgewachsen ist. Und so sind die drei Bücher mit mir gewachsen und ich mit den Büchern, und in der, nach dem System verkehrten, nach meiner analytischen Methode aber doch wieder überwiegend praktischen Reihenfolge der Bände mag sich wiederum die Persönlichkeit des Autors unverhüllt spiegeln.

Abgesehen von den wissenschaftlichen Lesern wünsche ich mir namentlich für die »Familie« auch noch einen Leserkreis anderer Art. Ich möchte, daß das Buch auch als ein kleines Kunstwerk erfunden würde – nennt's meinetwegen ein Idyll vom deutschen Hause – und so als Hausbuch sich einbürgere in dieser und jener Familie, namentlich auch bei deutschen Frauen.

In bangen Tagen häuslicher Angst und Sorge hat mich die Bearbeitung gerade dieses Gegenstandes, der ja so ganz besonders im deutschen Gemüth anklingt, getröstet und muthig erhalten. Vielleicht fühlen es einige Leser, vorab dem zweiten Theile, an, daß dieses Buch dem Autor während des Schaffens wie zu einem Trostgedicht wurde, und verspüren wohl gar unter ähnlichen Umständen eine annähernd ähnliche Wirkung des Buches. Wenn man nun eine Arbeit solcher Art vollendet hat, dann empfindet man zwar wohl auch jenen Abendfrieden, der den Menschen beim Abschluß jedes Tagewerks in geheimer Wonne überschleicht; aber andererseits ist es Einem auch, als ob man von einem lieben Freunde scheide, einen langgewöhnten, belebenden Umgang aufgebe. Wie man sich langsam einem Freunde nähert, so lebt man sich auch langsam in ein Werk des Geistes ein, und die Freundschaft wird meist dann erst recht fest geschlossen seyn, wenn man just dem Verkehr ein Ende machen muß. Da verspürt man eine Leere, die nicht so bald wieder ausgefüllt seyn wird. Aber der Kern, die tragende Idee solchen Verkehrs bleibt doch fest in uns sitzen nach dem Abschiede vom Buche wie vom Freunde. Und ich glaube fast, dieses Buch würde von allem, was ich geschrieben, die größte, praktische, politische Wirkung üben, wenn es ihm gelänge, auch nur bei wenigen verwandten Geistern die gleiche Begeisterung zu festigen, die es bei mir selbst gefestigt hat, nämlich die Begeisterung für das große, unser Volk veredelnde und zur sittlichen Einheit verbrüdernde Kleinod des deutschen Hauses und der deutschen Familie.

München, am 14. December 1854.
W. H. R.

Vorwort zur dritten Auflage.

Der rasche Eingang, den dieses Buch von der »Familie« in der deutschen Lesewelt gefunden, mag wohl ein Zeichen seyn, wie tief das Interesse für das Haus und die Sehnsucht nach einer Erneuerung und Vertiefung des Familienlebens in unserem Volke wurzelt.

Es hat mich die auch in tausend andern Dingen offenbar werdende Theilnahme für den Wiederaufbau des Hauses bestimmt, ein weiteres Werk, welches ich nicht jetzt geschrieben, sondern welches seit Jahren mir unter der Hand aufgewachsen ist und seinen Ursprung recht eigentlich dem Bedürfniß meines eigenen Hauses verdankt, als eine Art künstlerischer Illustration zur »Familie« zu veröffentlichen. Unter dem Titel » Hausmusik« wird nämlich binnen Kurzem im J. G. Cotta'schen Verlage eine Sammlung meiner Liedercompositionen erscheinen. Dieselbe wurden geschrieben für das Haus und die Freunde des Hauses, als schlichte, sinnig anregende, in den Formen möglichst streng und keusch gehaltene Musik. Aus Opposition gegen die üppige, überreizte Tonkunst unseres Concerts und unserer Salons lebte ich mich ein in diese Hausmusik, zugleich begeistert von dem Vorbilde jener großen Meister des achtzehnten Jahrhunderts, die ich in der »Familie« als die ächten Hausmusiker bezeichnet habe. Es ist dieses Liederbuch ebensogut ein Stück von mir, und vielleicht noch mehr, wie das vorliegende Werk. Ich glaubte daher wohl in dem Vorwort zu den Liedern sagen zu dürfen, daß sie sich zur »Familie« verhalten wie ein Bilderatlas zu einem naturgeschichtlichen Werke. »Was ich hier in Worten untersucht und dem Verstande vorgelegt, das wollte ich dort im Tonbilde veranschaulichen, ich wollte es Gläubigen und Ungläubigen ins Herz hinein singen. Ich glaube darum fast, wer meinen Büchern Freund ist, der wird es auch meinen Liedern werden, und wer meine Bücher nicht leiden mag, dem werden auch meine Lieder nicht gefallen; denn beide verkündigen ganz das gleiche Bekenntniß.«

München, am 27. Juli 1855.
W. H. R.


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