Fritz Reuter
Memoiren eines alten Fliegenschimmels
Fritz Reuter

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Nach einer vierwöchentlichen Kaffdiät erschien Lembke-Vater in Begleitung des Leibarztes Borchert und eines jungen Anfängers – wie man jene jungen Leute nennt, die früher eine Braut, als eine Pachtung hatten, die mehr courage als Geld haben, die mit Hülfe von Moses und Itzig den Pachtvorschuß geleistet haben und denen zehn Jahre hindurch immer noch etwas an einem vollständigen Inventarium fehlt – und besuchte mich in meiner Besserungsanstalt. Ich setzte gerade auf:

»Ne, nu nehmen Sie so einen Carnallj von Creatur an!« sagte Lembke-Vater, »was hat sich der Deuwel angewöhnt!«

»»Krübbensetter, Herr Lembk'!«« sagte der junge Anfänger und lachte ziemlich schadenfroh, nicht über mich, sondern über Lembke-Vater, weil er solch Haar im Stalle habe.

»Borchert!« sagte Lembke-Vater und wandte sich an den Leibarzt, »was sagen Sie?« und auf der Stirn des alten Herrn, zwischen seinen Augen erschien ein deutliches Ausrufungszeichen mit den Worten: »Ich bitte Ihnen!«

Borchert, dieser böse Genius meines Lebens, sagte nichts; über seine fettglänzenden Züge flog ein ekelhaftes Lächeln, als wenn die Abendsonne der Hundstage die Grabstätte unsere Geschlechts, den Schindanger, beleuchtet; er faßte meinen Schweif, zog ihn strack herunter, damit ich nicht Rache an ihm nehmen könnte – denn bei dem Urahn unseres Stammbaums, beim Bucephalus selber! ich hätte ihm trotz der Kaffdiät eins vor den Brägen gegeben – und sprach endlich mit des Krötenantlitzes giftgeschwollener Zunge felsenwuchtend, schneckenlangsam das Wort aus: »Kombabisiren.«

»»Kom . . . .?«« fragte Lembke-Vater mit sehr dummem Gesicht, denn seine Sprachorgane waren nicht für ausländische Wörter, höchstens für Messingsch, zugeschnitten. »»Kom . . .? Wo meinen Sie das?««

»Kom–bi–ba–bum . . . .? Wo? das ist ja ein entfamtes Wort!« sagte der junge Anfänger, und Borchert nickte ihm höhnisch bedeutsam zu, »was für eine Bewandtniß hat dies mit dieses ausländische Wort?«

Ich weiß nicht, theurer Sohn meiner unvergeßlichen Diamond, ob Du jemals gelungene Gemälde gesehen hast von Heiligen; wie ihnen lebendig das Fell abgezogen wird, vom St. Stephan, wie er mit Pfeilen gespickt wird, wie ein Igel, vom St. Laurentius, wie er auf dem Rost gebraten wird, wie ein Aal; ich muß Dir aber sagen, mein Sohn, alle Schmerzen dieser Märtyrer waren nichts gegen die Qualen, die ich auszustehen hatte, als jener satanische Borchert mittelst einer historischen Einleitung von einem gewissen Kombabus und einem gewissen König in Kleinasien eine Worterklärung gab, die mir die Mähne sträubte und die äußerste Faser meines Hufs erzittern ließ.

In diesem kritischen Augenblicke erschienen zu meiner Hülfe zwei Engel, ein weißer und ein schwarzer; der eine kam auf Schwingen der Hoffnung aus den ewigen Quellen des Lichts und der mitleidigen Jugend, der andere auf den Fledermausflügeln des Eigennutzes aus den russigen Höhlen der Finsterniß und des selbstsüchtigen Alters; Ormuzd und Ahriman.

»Oh,« sagte der junge Anfänger, »das wär' doch man Schade!« »»Je,«« sagte Lembke-Vater», »geht er dabei auch über'n Harz?««

Borchert zuckte die Achseln, als wollte er sagen, möglich wär's; meine Menschenkenntniß las aber weiter in seinem tückischen Antlitz: ich hoff' es.

»Herr Lembke,« sagte der weiße Engel der mitleidigen Jugend des jungen Anfängers, »ich brauche ein Vorbeipferd – Sie wissen mit meinem Inventarium – geben Sie ihn mir in die Landwirthschaft.«

»»Je,«« sagte der schwarze Engel des Eigennutzes von Lembke-Vater, »»wenn krieg' ich Geld?««

»Antoni-Termin,« sagte der weiße Engel. Da reckte der schwarze Engel seine Kralle über meine croupe hinüber, der weiße erfaßte sie und Himmel und Hölle schlossen einen Handel über mir und einen Bund, mich zu retten, gegen den selbst die Bosheit eines Borchert nichts vermochte.

Nach einer Richtung hin war ich nun sicher; aber ich war für immer ausgestoßen aus den Kreisen einer rein ideellen Bildung, aus der wohlthuenden Atmosphäre beschaulicher Sinecuren; aus einem liebenswürdigen fainéant, aus einem geschniegelten flaneur, aus einem liebeseufzenden, romantischen Zelter war ich ein Geschöpf der trivialsten Praxis geworden, der fruges consumere natus wurde zum fruges colere natus.

Auf dem Gute des jungen Anfängers angekommen, ward ich ohne ein anderes Compliment, als das eines wohlapplicirten Peitschenhiebes, in die keuchende, stampfende, in der Tretmühle des täglichen Verkehrs arbeitende Genossenschaft eines Gespanns aufgenommen und kam dadurch in die zweifelhafte Stellung eines Vorbeipferdes.

Vorbeipferd! Weißt Du, was dies heißt? Das Vorbeipferd ist der supernumeräre, auf schwache Diät gesetzte Prügelknabe des ganzen Collegiums; die dirigirende Peitsche schwingt sich und schwingt sich in drohenden Kreisen über den Häuptern des auf der staubigen, kothigen Landstraße des gemeinen Lebens arbeitenden Gespanns; aber sie kann sich nicht ewig schwingen, sie muß einmal fallen und fällt auf den widerstandslosen Rücken des supernumerären Referendars oder Auditors und verzeichnet dort in halberhabener Schrift alle Sünden der laufenden und stockenden Geschäfte. Für jeden Kutscher, der rechthändig ist, liegt es so nahe, das Vorbeipferd peitschweise aufzumuntern, daß er ein Engel von Gerechtigkeit sein müßte, wenn er seine Gaben gleichmäßig unter die acht Lenden seiner vierbeinigen Kontrahenten vertheilen sollte. So einen Ausbund mit der Binde der Gerechtigkeit vor den Augen giebt es nicht, und wenn es einen gäbe, so würde Keiner sich von ihm fahren lassen wollen; Kutscher verdienen eher den Beinamen grobi als probi.

Ach! und der meinige! Bei dem dummen Menschen hatte sich das physiologische Vorurteil festgesetzt, daß vornehme Geburt und untadeliges Vollblut mit Sehnen von Stahldraht und Knochen von Granit vergesellschaftet wären, daß ausgezeichnete Geburt auch zu ausgezeichneten Leitungen verpflichte; er hatte keinen Begriff davon, daß ein günstiges extérieur wohl geeignet ist, höhere Bestrebungen mit Leichtigkeit zu fördern und plötzlich eintretende einzelne Hindernisse mit Gewandtheit zu besiegen, daß aber zur Bewältigung der täglichen Packeseleien die plumpe, schwerfällige Natur eines brabanter Karrengauls von bürgerlicher Abstammung gehört. Diese unrichtige Auffassung meiner innersten Natur, das Unglück, nicht verstanden zu werden, ruinirte mich. Saß ein Mistwagen fest, war ein Kartoffelkasten zu Senk getrieben, so wurden mir jene oberwähnten Aufmunterungen in Gestalt von Peitschenhieben zu Theil. In die schmachvollen Zügel knirschend, das Gebiß zwischen den Zähnen, stürzte ich mich in's ungewohnte Geschirr und riß und sprang, bis Alles riß und sprang. Meine drei bürgerlichen Collegen zogen dann gewöhnlich ruhig an, legten ihre gewichtige Plumpheit in die täglich gewohnten Sielen und holten die Karre aus dem Sumpf. Ich litt schrecklich am Gemüth, das Fleisch fiel mir von den Knochen, mein Leben glich einem langsamen Selbstverbrennungsprozeß; ich ward lebensmüde und in der Herbstsaatzeit ward ich auch arbeitsmüde, ich versagte den Zug gänzlich, und ward, wie gebräuchlich, damit die Nachbaren des jungen Anfängers meine Schmach nicht auf sein Haupt häufen möchten, eines schönen Tages in eine Mergelgrube versteckt.

Du hast gewiß niemals in einer Mergelgrube mit knickendem Knie und zitternder Hesse gestanden; wenn einmal der Zustand der Ermüdung und Abspannung bei Dir eingetreten war, dann umstanden Dich die Hohen, die Ruhmwürdigen, und von ihren Lippen erscholl der Ruhm Deiner Thaten. Mich umstanden Christian Bartels, der Kutscher, und der junge Anfänger und schütteten allen möglichen Unsegen in Gestalt von colossalen Flüchen und corpulenten Schimpfreden auf mein gebeugtes dallöhriges Haupt.

»Herr,« sagte Christian Bartels, »wenn dat Creatur blot nich studirt hett!«

»»Studirt? Na, dat fehlt ok noch! In min niges Inventorjum en Studirten! Ick künn mi meindag' nich wedder up den paterjotischen Verein seihn laten.««

»Je, Herr, wenn hei ok nich ganz studirt hett, bet an den Hals is hei kamen; hei hett so 'ne Anstalten, as wenn 't mit em nich richtig is.«

Wer weiß, ob meine Umgebung mir nicht noch schließlich das Wenige von Verstand, was mir die Schläge des Schicksals gelassen hatten, abdisputirt hätte, wäre nicht zufällig Karl Bullerjahn, der ausgezeichnete Reiseschreiber der nahegelegenen gräflichen Herrschaft, hinzugekommen und hätte dieser nicht sein Votum als ausgezeichneter Pferdekenner zu meinen Gunsten abgegeben.

»Studirt soll der haben?« fragte Karl Bullerjahn. »Der hat im Leben nicht studirt! Haben Sie schon mal so 'n Studirten gehabt?« fragte er den jungen Anfänger. »So ein Studirter weiß nicht von Hüh und von Hott, so einer ist zu Nichts zu gebrauchen; der Schimmel hier ist bloß müde; und wenn's wahr ist, daß er von der alten echten Bucephalus-Art ist, möcht' ich's mit ihm versuchen.«

Der junge Anfänger schwor nun die beim ernstlichen Pferdehandel gebräuchlichen Flüche, einen nach dem andern, mit besonderem Nachdruck durch; versicherte, ich sei das tugendhafteste Geschöpf auf Erden, erhob meine Leistungsfähigkeit bis in den Himmel und goß den milden Balsam der Anerkennung in mein wundes Herz. Schon erhob ich mein gebeugtes Haupt, schon richtete ich mein Ohr auf, das Lob einzusaugen, schon begann ich leise den Schweif zu strecken und zu erheben, um Dankbarkeit zu wedeln, neuen Lebensmuth aufzurichten und den lastenden Kummer und die schleichende Sorge von den magern, keuchenden Rippen zu peitschen, als die grausamste Ironie des Schicksals mich traf: für meine glorreiche Abstammung, für all die gepriesenen Leitungen, für alle meine bis zum Himmel erhobenen Tugenden bot Karl Bullerjahn 30 Rthlr. preußisch Courant und – der junge Anfänger schlug zu!

Dieser Schlag traf mich mitten in dem neu aufgegangenen Mai meiner Hoffnungen, wie Nachtfrost die Blüthen; ich brach zusammen und stürzte hin.

Nun begann über meinem gebrochenen Leichnam eins jener entsetzlichen Schauspiele, denen gleich, wenn Erben sich am Sterbebette über den Raub streiten. Bullerjahn wollte mich nun nicht mehr haben, und der junge Anfänger behauptete: ich sei verkauft, mit Haut und Haar verkauft! Ach! in wenigen Stunden vielleicht das einzige, was überhaupt noch von mir zu verkaufen war!

Karl Bullerjahn und der junge Anfänger waren von Jugend auf geschworene Freunde, sie hatten in derselben Schule dieselben Prügel erhalten, sie hatten dort ganz dasselbe nicht gelernt, hatten sich später zu vielen Malen brüderlich zusammen betrunken, hatten die Gesinnungsgleichheit, die zur dauernden Freundschaft nöthig ist, in dem Umstande entdeckt, daß sie beide verschiedene Stubenmädchen gleichzeitig geliebt und vergöttert hatten, hatten gleichzeitig den Versuch gemacht, diese Göttinnen in Versen mit fast gleichen Worten zu besingen, bloß mit dem Unterschiede, daß der junge Anfänger sang:

»Seh' ich Dich in Deiner Schönheitsfülle . . . . .«

und Karl Bullerjahn:

»Seh' ich Dir in Deiner Schönheitsfülle . . . . .«

Selbst diese grammatikalische Zwietracht hatte den geschlossenen Bund nicht lösen können, sie spielten noch alle Abend Boston miteinander, kurz der linke Stulpstiefel konnte nicht mehr Freundschaft für seinen rechten Bruder haben, als sie untereinander, und – dennoch! Mein Fall, Unfall oder Umfall, wie man will, zertrümmerte die durch viele Eide garantirte Brücke, welche Natur und Leben von einem Herzen zum andern geschlagen hatten, und des Prozesses schwarze Tintenwogen schossen in dem freigewordenen Bette des Hasses dahin.

Für mich hatte der Streit im Anfange die erfreulichsten Folgen. Als die beiden zornblitzenden Gegner über meinen zitternden Leichnam herüber und hinüber mit den schnödesten Worten die verschiedenen Punkte, in welchen ihre beiderseitige Freundschaft in Conflict gekommen war, sich vorgeworfen und mich und Christian Bartels in die ganze Nomenclatur der einst geliebten Stubenmädchen eingeweiht hatten, schwuren sie sich ewige Feindschaft und trennten sich in dieser gehobenen Stimmung, ohne einen Blick des Erbarmens auf mich zu werfen. Nur Christian Bartels hatte so viel – wie sage ich gleich – juristische Besinnung, um dunkel herauszufühlen, daß es zweckmäßig sein dürfte, das Streitobjekt beim Leben zu erhalten. Er lief nach Hause und kehrte bald mit einer warmen Biersuppe zurück, welche er mir einflößte, nachdem er in dieselbe alle seine medicinischen Kenntnisse in Gestalt von zwei Schnäpsen Kümmel, die er sich selbst bei jeder Gelegenheit, in guten und in bösen Lagen, verordnete, gegossen hatte.

Wunderbar gestärkt durch den Inhalt der Bartels'schen Hausapotheke erhob ich mich und stolperte unter dem Beistande des Kutschers nach Hause. Hier ward ich auf den ausdrücklichen Befehl des jungen Anfängers auf's Beste verpflegt, »denn,« sagte er, »die Futterkosten bezahlt Karl Bullerjahn, also nur immer drauf, was er mag!«

Gott sei Dank! Der Prozeß war von gewöhnlicher Dauer und ich hatte Zeit, zu Kräften zu kommen und mir noch einen anständigen Vorrath von Fett auf die Rippen zu fressen; aber, aber! – Jedes Ding hat ein Ende, vor Allem das Glück!

So stand ich ein Jahr; ich hoffte, es sollte immer so bleiben, aber:

»Ein Jahr ist bald vorbei!
Meine Glieder
Streckt' ich wieder
Auf des Kummers harte Streu.«

Karl Bullerjahn verlor den Prozeß und gewann mich sammt allen Futterkosten.

Die schönen Tage von Aranjuez waren nun vorbei und Haß und Rache kamen an die Reihe. Ich war für das Gewissen des cholerischen Reiseschreibers, welches er in Gestalt einer sehr schmal gewordenen Börse stets bei sich trug, ein fortwährender wohlgenährter Vorwurf. Die Wechselbeziehung von der Magerkeit seines Geldbeutels zu meiner Feistigkeit waren Jedermann bekannt und das Hohnlachen der übrigen Herren Reiseschreiber lagerte sich als reichlicher Reitgerten-Niederschlag auf meinem Rücken ab; ja, der unverdiente Haß, den er auf mich Unglücklichen geworfen hatte, ging so weit, daß er einmal in einer heiteren Braunbierlaune auf dem Thürkower Kruge versicherte: er wolle den Schinder – damit meinte er Deinen Urälter-Vater, mein Sohn – noch an demselben Abende zwischen Teterow und Malchin todtjagen; was in den damaligen Zeiten, in welchen die Chausseen noch nicht erfunden waren, und in Anbetracht des Berufs eines tüchtigen Reiseschreibers grade keine Kunst war, denn der Beruf dieser nützlichen Klasse des Menschengeschlechts bestand im Wesentlichen grade im Pferdetodtreiten.

Für jedes denkende Wesen ist der Augenblick vor dem Tode der wichtigste im ganzen Leben. Indem ich diese ganz neue Bemerkung ausdrücklich als die meinige in Anspruch nehme, verlasse ich den Weg philosophischer Betrachtungen, um dem Wege der vorauffahrenden Reisewagen zu folgen.

»Vörwarts! de Wagens sünd all 'ne gaud' Stunn' vörweg!« Und heraus aus der Krugthür stürzen und stolpern die breitschultrigen Flausröcke und die breitwadigen Stulpenstiefel, und Johann Jungnickel stößt Jochen Junghans, und Ludwig Huddelputt tritt Fritz Triddelfitz den einen Anschnallsporen herunter, und Ferdinand Bradenal ruft Christian Fleischfretern zu: »Kannst Du dat entfamtigte Klappen nich laten, Brauder? min Voß schugt sick. – Purr, öh!« –»»'Rup up de Schinners!«« ruft Fritz Triddelfitz», »un Korl Bullerjahn, 'ne Bohl Punsch, wer tauirst nah 'n Rempliner Kraug henkümmt!«« – »Gelt, Brauder!« ruft Bullerjahn. – »»Wi All!«« ruft Johann Jungnickel.

Und nun! Philister über dir, Simson! Karl Bullerjahn über dir, Fliegenschimmel!

Hinein ging's in die tiefschwarze Novembernacht, hinein in die knietiefen Geleise, hinüber über die wassergefüllten Gräben, die engen Hohlwege hinab, die steilen Berge hinan! »Wer is vör?« – »»Korl Bullerjahn sin Schimmel!«« – »Haha! de Prozeßschimmel!« – Ein Peitschenhieb belehrte mich, daß wieder einer der Herren Reiseschreiber das Glück gehabt hatte, einen Witz zu machen.

Ich hatte vor dem Thürkower Kruge die mörderische Absicht Karl Bullerjahns mit angehört und befand mich in der todesmuthigsten Stimmung. Die grüne Wiese des Lebens, die süße Hochweide des Genusses, Hafer, Heu und Häcksel, Alles lag hinter mir, vor mir die Nacht, vor mir der Tod und über mir – statt der sonst gebräuchlichen Sterne – Karl Bullerjahn!

Lembke-Vater hatte ein Bild, delineavit et lithographavit: Pirscher in Braunschweig, welches selbiger Pirscher auch eigenbeinig colportavit; aus diesem Bilde stürzte sich ein Rudel edler Polen zu Roß von einem geographisch unfindbaren funfzig Fuß hohen Felsen in die schäumende Weichsel, an jeder geschwungenen Degenspitze flammten die Worte: finis Poloniae; ein Schimmel führte die Schaar an. Grade wie diesem Schimmel war mir zu Muthe. – Finis Hieronymi!

Die Weichsel floß nun freilich nicht vor uns, in ihr dunkles Wogengewimmel konnte ich mich nicht stürzen; aber vor uns lag die gute Stadt Teterow und in ihr dunkles Straßengewirre stürzte ich mich donnernden Hufschlags, hinter mir meine und Karl Bullerjahns Genossen.

»Holt! Holt!« rief es die Straße entlang. – »Dat verdammtige Bædeln!« rief ein ruhiger Bürger von Teterow. – »Holt!« rief endlich auch die Polizei, und eine begeisterte Gesellschaft, die dem Götzen, ›blauer Montag‹ genannt, ihre Libationen dargebracht hatte, stürzte sich auf mich und Karl Bullerjahn. – Wir waren arretirt. –

Von diesem Augenblicke an datirt meine tiefe Verehrung für das gesegnete Institut der Polizei. Religion, lieber Robin, die Einrichtung ist ganz gut – wer wollte das leugnen? – Religion ist entschieden für den Himmel gut und bei vielen namhaften Persönlichkeiten auch höchst zweckmäßig für die irdischen Angelegenheiten. Philosophie hat die volle Annehmlichkeit eines gut gemachten Handschuhs, man kann sie recht und verkehrt anziehen, wie man will, und wenn sie von Juchtenleder gemacht ist, kann man mit ihr die sachlichsten und häkligsten Dinge dreist anfassen. Moral, wenn sie nicht gerade von der stricten Observanz ist, hat den Vortheil, daß sie ihre Anfänger mit dem rostfreien Stahlschilde der Tugend schützt und unter dieser Aegide häufig zu großen Reichthümern verhilft.

Was Manche auch sagen mögen, selbst die Justiz hat ihre guten Seiten, und die Feststellung des Grundsatzes, daß alle Preußen vor dem Gesetze gleich sind, klingt lieblich in das Ohr eines jenseit der Zollvereinsgrenze wohnenden Mecklenburgers. Aber, was ist das Alles gegen die Polizei! diese Vorsehung Gottes auf Erden! wie ich sie im Gefühle überströmender Dankbarkeit zu nennen pflege. Nehmt die Religion, die Philosophie, die Moral, die Justiz aus dem Leben, aus dem Staat, laßt uns die Polizei und wir kommen zurecht, mein Sohn; wir kommen richtig zurecht!

Gott sei Dank! wir waren also arretirt; doch hörte damit unser Glück noch nicht auf, wir wurden auch wirklich eingesperrt. Karl Bullerjahn betrug sich nämlich höchst unanständig gegen die Herren Polizeidiener, schimpfte, fluchte und begann endlich allerlei Demonstrationen mit seiner Reitpeitsche auszuführen, und das Ende für ihn war eine stille Einsiedelei, an deren dunkeln Wänden schwermüthige Betrachtungen wie Spinneweben herunter hingen, für mich ein warmer Stall und die fröhliche Aussicht auf ein längeres Leben.

Am andern Morgen hatte ich das Glück, daß Karl Bullerjahn auf den Einfall kommen mußte, stark zu frühstücken und diverse Verdruß-Kümmel zu sich zu nehmen, die ihn in eine Art von Heroismus versetzten, in welchem er, als er vorgeführt und ihm die Eröffnung gemacht wurde, daß er an Strafe, an Gerichtskosten, an Futterkosten für mich, an ein Nachtlogis für sich und für mich und was noch sonst sich finden mochte, so und so viel Thaler zu bezahlen hatte, erklärte, er hielte es unter seiner Würde, auch nur einen Schilling zu bezahlen. Als nun die heilige Hermandad von Teterow als Gegenerklärung die Meinung abgab: unter so bewandten Umständen müsse er sich auf eine Trennung von mir gefaßt machen und könne nur getrost, falls er nicht binnen 14 Tagen die bewußte Summe portofrei einsende, auf ewig von mir Abschied nehmen, denn binnen selbiger Zeitfrist würde ich das unwiderrufliche Bürgerrecht dasiger Stadt erworben haben, – so antwortete Karl Bullerjahn: »Wat Sei nich laten kænen, möten Sei dauhn!« empfahl sich ohne Abschied, kam zu mir in den Stall, hieb mir zum Andenken zweimal kreuzweis über den Puckel, rief mir als Lebewohl das empfindungsreiche Wort: »Entfamtigter Schinner!« zu und – ich sah den Edlen nie wieder.

So stand ich denn wieder 14 Tage lang, gewissermaßen auf Leibrenten, als fressendes Faustpfand – kein übles Loos, mein Sohn, vorzüglich wenn man alt geworden, und in eine contemplative Stimmung gerathen ist! – Hier in Teterow faßte ich den ersten Gedanken zu diesen Memoiren. Ich bin immer ein Freund von Selbstbetrachtungen aller Art gewesen; ach, daß ich leider hinzusetzen muß, von selbstgefälligen!

Als die bestimmten 14 Tage vergangen und noch keine Thaler von Bullerjahn eingegangen waren, wurde ich von dem Teterower Polizeidiener freundlich als zukünftiger Teterower Bürger begrüßt und eingeladen, mich zu einer zu diesem Zwecke eigens veranstalteten Feierlichkeit auf den öffentlichen Markt zu begeben, wo mich das heitere Gemurmel dichtgeschaarter zukünftiger Mitbürger empfing. Ein alter Herr mit einer Brille auf der Nase, eine Feder hinter'm Ohr, einen Actenstoß unter'm Arm, hielt eine Anrede an die versammelte Menge, in welcher er, ebenso wie der junge Anfänger, nur in einem erhabneren, eigentümlich nach Gerichtsstuben-Humor schmeckenden Styl, meine Vorzüge pries. Die Honoratioren der Stadt, verschiedene Bäcker, Fleischer, Brauer, Müller, sowie auch die vornehmeren Ackerbürger, drängten sich in Folge dieser gütigen Empfehlung an mich heran und suchten meine Bekanntschaft zu machen; der eine sah mir liebevoll in die Augen, griff mir tröstend unter das Kinn und brachte mich dadurch zum freundlichsten Lächeln, wodurch er Gelegenheit gewann, sich von der Verfassung meiner Zähne zu überzeugen; ein anderer ergriff freundlich meine Vorderhand, schüttelte dieselbe kräftig hin und her, trat dann bescheiden zurück, indem er sagte: er freue sich sehr meine Bekanntschaft gemacht zu haben – diesen braven Mann sah ich nicht wieder; ein Dritter streichelte meinen Rücken, gab mir einen höchst vertraulichen Schlag auf's Hintertheil und meinte: für ihn sei ich der Rechte; kurz alle freuten sich sehr, mich kennen gelernt zu haben, und alle waren durch mich in den Zustand der heitersten Fröhlichkeit versetzt. Endlich forderte der Herr mit der Brille die Anwesenden auf, für mich eine Kleinigkeit – ich weiß nicht, war es das Bürgergeld oder eine gewisse Caution oder sonst etwas – zu erlegen. Nun hättest Du den liebevollen Eifer sehen sollen, mit welchem jeder der Anwesenden sich mir zu verbinden suchte.

»Zehn Thaler zum ersten!« – »»Noch 'n Daler!«« – »Zwölf Thaler!« – »»Und sechzehn Groschen!«« – »Meine Herren, bedenken Sie,« rief dann wieder die Stimme des alten Herrn mit der Brille dazwischen, der Schimmel ist Vollblut! Keiner mehr?« – »»Noch en Daler!«« – »Noch acht Groschen!« – Nun war Alles still. – »»Wer hat den Schimmel?«« – »Postholler Hahnemann hett 'n!« Und richtig! Der Posthalter kam zu mir und eröffnete mir, daß ich unter Leitung eines mir vorgestellten musikalischen Herrn mit rothem Kragen und Reithosen, mich von jetzt an der Postcarriere zu widmen haben würde.

Der musikalische Herr führte mich eine Straße hinab und übergab mich auf einem Hofe einem andern musikalischen Herrn, der mich mit den Worten: »Ok wedder so 'n dreibeinigen Dunnerwetterhund, de tau nicks wider, as tau 'n Dodslagen gaud is!«

Tröstliche Aussichten! Karl Bullerjahn wollte mich nur todtjagen, dieser wollte mich sogar todtschlagen!

Als ich in die für Postbeflissene unsers Geschlechts bestimmten Räume trat, glaubte ich in eine anständige, Geburt und Verdienst berücksichtigende Invaliden-Versorgungs-Anstalt zu treten, in der man seine alten Tage in Ruhe hinspinnen und unter erfahrenen Weltleuten in philosophischem Wechselgespräch über die Thorheiten der Jugend lächeln könne; aber wie erschrak ich, als ich statt dessen mit einem Blick die gesenkten Häupter, die zitternden Kniee, das lebensmüde Aussehen und den starren Egoismus der Noth in dieser Versammlung übersah.

Man nöthigte mich, meinen Platz zwischen einem ältlichen Herrn, gewesenen Fuchshengst, und einer grauköpfigen alten Dame, die auch einst bessere Tage gesehen hatte und noch Spuren früherer Schönheit an sich trug, zu nehmen.

»Wie befinden Sie sich, Madame?« war meine höfliche Frage an letztere.

»»Schlecht,« war die kurze, eisige Antwort.

»Und Sie, mein Herr?« fragte ich meinen Nachbar auf der andern Seite.

»»Auch schlecht,«« antwortete er ebenso kurz.

»Nicht sehr comfortable hier, wie es scheint,« setzte ich dessenungeachtet die Unterhaltung fort.

»»Von Familie?«« fragte die alte Dame tonlos.

»Vater Gray Momus, Mutter Walebone,« antwortete ich.

»»Freut mich sehr! Habe in meiner Jugend das Glück gehabt, Ihre Frau Mutter zu kennen.««

Nun war das Eis gebrochen. Ich wurde aufgefordert. meine Geschichte zu erzählen, und schloß damit, die Hoffnung auszusprechen, daß meine jetzige Lage mir als Entschädigung für das ausgestandene Ungemach meines frühern Lebens gelten würde.

»Junges Blaßgesicht,« begann der alte Fuchsnachbar zur Rechten, »denn gegen mich gehalten, muß ich Dich so nennen. Zweiundzwanzig Winter sind über meinem Haupte dahingerauscht, funfzehn Jahre bin ich auf dem Kriegspfade gewandelt, meine Augen waren helle wie das Auge des jungen Aars, jetzt sind sie trübe, wie die Wasser der großen Seen, wenn der Zorn Mannitos sie aufwühlt; die Fährten der Büffel . . . . .«

»»Um Vergebung zu fragen,«« unterbrach ich ihn, »»Amerikaner?««

»Ein Canadier, der noch Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte,« antwortete die alte Rothhaut. »Mein Name ist Mackinaw, zu deutsch: der große Strom der hellen Gewässer.«

»»Aber wie in aller Welt kommen Sie hierher nach Teterow?«

Nun erzählte er denn seine Geschichte, wie er unter die Engländer gegangen sei; als der letzte seines Stammes, wie er von denselben in Europa importirt sei; wie er in der englisch-deutschen Legion gefochten und sich dadurch eine Anwartschaft auf eine Stelle bei der Post erfochten habe. Diese sei ihm denn auch geworden; aber, so schloß er seine Rede: »Junges Blaßgesicht, der Zorn Mannitos liegt schwer auf Mackinaw, alle seine Brüder sind vor ihm dahingeschieden; ihn umgiebt ein neu Geschlecht, auf Einem Schlachtfelde sind sie alle gefallen. Kennt das junge Blaßgesicht den Panstorfer Berg?«

Darauf hüllte er sich in seine zerlumpte Wolldecke, streckte sich nieder, sang eine halbe Stunde in einer gänzlich unbekannten Sprache und verschied.

Er war der Aelteste seines Stammes und unsers Stalles.

Die alte biedere Rothhaut hatte Recht: der Panstorfer Berg ward die Klippe, an welcher mein Glücks- und Postschiff, mit allen Hoffnungen auf ein ruhiges sorgenfreies Alter beladen, strandete, von wo mich die rastlose Welle des Mißgeschicks an die unwirthbare Küste der Lumpenindustrie schleuderte.

»Sie scheinen noch ziemlich wohlconditionirt zu sein,« sagte die alte grauhaarige Dame mit einem bedeutenden Anfluge von Neid zu mir, nachdem die conventionelle Trauer über den Tod ihres langjährigen Gefährten dem hier überall herrschenden Egoismus in ihrem Herzen wieder Platz gemacht hatte, »aber warten Sie nur; auch ich befand mich einst in besseren Umständen, habe aber mein sämmtliches Eingebrachtes hier zugesetzt; das Einkommen ist schlecht, und das Wenige, was man zu beißen hat, wird einem noch durch die Musik verkümmert: die musikalischen Herren treiben einen offenbaren Handel mit unsern Naturallieferungen.«

Eben wollte ich versichern, daß ich so etwas nicht glauben könnte, als die Stimme des seligen Posthalters erscholl: »Zwei Pferde Extra nach Güstrow; Jochen Piernickel fährt!«

»»Nun kommen wir dran,«« sagte die alte Dame.

Wir wurden auch wirklich hervorgezogen und an eine Reisechaise gespannt. Jochen Piernickel blies unaufhörlich durch die Stadt: »Die Preußen haben Paris gewonnen,« versuchte aber gar nicht die Schlußzeile: »Es werden wohl bessere Zeiten kommen« hinzuzufügen, sondern schob draußen vor dem Thore sehr ärgerlich sein musikalisches Instrument unter den Arm durch und griff zu einem andern Instrument, welches er jedenfalls besser zu regieren verstand, der Peitsche, und bearbeitete mit derselben unser Fell.

So ging es nach Güstrow; so ging es viele Tage und viele Wochen, bald nach Güstrow, bald nach Malchin, in größter Regelmäßigkeit, wie der Perpendikel einer Uhr, nur daß so ein dummer Perpendikel nichts von Lehmwegen und Panstorfer Bergen weiß. In dieser Lage machte ich eine Bemerkung, die, weil sie den Beobachtungen Anderer schnurstracks entgegen läuft, ich hier niederlegen will. Viel denkende Köpfe haben die Behauptung aufgestellt, daß ein regelmäßiger Lebenswandel einen außerordentlich günstigen Einfluß aus geistiges und körperliches Wohlbefinden äußere; ich kann dies nicht sagen. Mir bekam dieser regelmäßige Lebenswandel schlecht, und trotzdem, daß ich nur nach der Uhr lebte und wandelte, fiel ich so ab, daß ich bald, wie meine alte Gefährtin, nur Haut und Knochen war. Ich ward melancholisch; sonderbare Gedanken, Selbstmordgedanken huschten wie Gespenster durch die finstere Nacht meiner Seele, und nur die peitschende Notwendigkeit und ab und an der musikalische Zauber des erfrischenden ›die Preußen haben Paris gewonnen‹ bannten die bösen Geister, wie Davids Harfe vor Saul.

Endlich – ich vergesse die Nacht niemals, und würde ich doppelt so alt, als ich jetzt bin – führte eine Katastrophe das Ende meiner Leiden herbei. Es war die Nacht vom 23sten auf den 24sten December, der Wind brauste über die weiten, öden Wiesenflächen zwischen Malchin und Remplin, ein feiner durchdringender Regen schlug an unsere linke Seite, so daß Jochen Piernickel sich bewogen fühlte, in der Drehe zu sitzen und die Führung des Gefährts vorläufig unserm Ermessen zu überlassen. Der Wagen war überladen mit Weihnachtspäckereien, von denen diejenigen Stücke, die irgend etwas Zerbrechbares enthielten, allerlei schrille, klirrende Töne von sich gaben; im Innern des Wagens saß ein unglückliches Brautpaar und belastete ihn mit all seiner Freude und all seinem Leide, mit seinen Hoffnungen und seinen Befürchtungen. Mühsam schleppte sich der Zug durch die tiefen Geleise, die unergründlichen Löcher, wir rückten dem Panstorfer Berge näher.

»Hir mag de Deuwel Stunn' hollen!« sagte Jochen Piernickel, als wir in den entblätterten Buchenwald einfuhren.

»»Jochen Piernickel!«« rief eine Stimme von der Windseite her, »»oh Jochen nimm mi mit.««

»Wer büst Du denn?« fragte unser Führer.

Er sagte, er sei ein Teterower Schneidermeister in Geschäften und wolle gern ein ›Bock‹ werden, auch als solcher die gebräuchliche Abgabe entrichten.

Im Anfange rührte sich in dem Herzen von Jochen Piernickel etwas, was halb und halb wie Mitleid mit meiner ältlichen Gefährtin und mir aussah, endlich wurde es aber überwogen durch die Hoffnung auf das Trinkgeld, durch die Betrachtung, wie er den Schneider auf der Windseite sitzen lassen könne, und durch die Versprechungen des letzteren, die erstarrten Hände Jochens von dem Amte der Peitsche zu erlösen, indem er sich erbot, mit frischen Kräften unser Fell zu bearbeiten.

Der ›Bock‹ stieg auf; die Hiebe hagelten auf uns herab; mit unsäglicher Anstrengung krochen wir den Berg hinan. Da versagte meine Gefährtin den Zug; der Schneider peitschte auf sie ein.

»Holt!« sagte Jochen Piernickel, »Brauder, so geiht dat nich, de Ollsch slag' nich, dei kann nich mihr, slag den Schimmel, dei treckt noch!«

Der Schneider that's. Ich bekam die doppelte Portion Hiebe; rasend vor Schmerz riß ich den Wagen mit letzter Kraft aus dem tiefen Geleise und stürzte ihn in ein daneben befindliches Loch, der ›Bock‹ schoß in einem Bogen vom Bock herab in die Pfütze, der lakirte Hut Jochen Piernickels folgte; die unglückliche Braut fuhr durch das Wagenfenster, und meine alte Gefährtin und ich lagen im Schlamme, unfähig wieder aufzustehen.

»Wat nu?« fragte Jochen Piernickel von der Höhe seines Thrones in den Jammer des unter ihm befindlichen Elends hinab.

»»Wat nu?«« fragte der Schneider und wischte sich den Koth aus den Augen.

»Was nun?« fragte der Bräutigam und sah durch das Wagenfenster, aus welchem so eben ein Theil seiner erschrockenen Braut herausgesehen hatte.

»Jochen blas'!« sagte der Schneider, »villicht hürt Di wen.«

Und Jochen blies »die Preußen haben Paris gewonnen;« aber Niemand hörte den zum Nothschrei gewordenen Jubel.

Zuletzt mußten die beiden Biedermänner sich entschließen, durch den tiefen Koth und den strömenden Regen in die nahegelegenen Dörfer zu wandern, um Hülfe und Vorspann zu beschaffen. Während des lagen meine alte graue Gefährtin und ich in der eisigen Kothlache und hörten durch das zerbrochene Glas des alten Gehäuses hinter uns die ewigen Hoffnungen der Jugend, die durch alle Zeiten tönen, repetiren, das von Uranfang an wiederholte Glockenspiel von einer weinumrankten kleinen Hütte, von einem zärtlich liebenden Paare und von einem traulichen warmen Heerde. Ach, und uns klapperten die Zähne!

Als endlich Jochen Piernickel und der Schneider mit einer Laterne und Vorspann zurückkehrten, wurde uns unser Joch abgenommen und auf den breiten Nacken von ein paar derben Bauerkleppern gelegt. Jochen hob das Haupt meiner theuren Gefährtin auf und ließ es sinken: »Dod!« sagte er. Der Schneider sah mir in die Augen und meinte, ich könnte mich noch wieder verholen, zum Mitnehmen wäre ich aber nicht, und damit rumpelte der Postwagen an uns vorüber, an einer Leiche und einem Sterbenden.

Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß der erste Gegenstand, dessen ich mich entsinne, ein alter ärmlich gekleideter Mann war, der mich streichelte trotz des Schmutzes, der mich bedeckte; ich bemerkte nur, daß er mich aufzurichten suchte und daß er, als ihm dies mit Mühe gelang, mich leitete und stützte, bis ich mich auf einer harten, aber reinlichen Streu fand.

Dieser Mann, theurer Sohn, war der gute Genius, von dem ich im Anfange meiner Denkwürdigkeiten gesprochen habe; er allein hatte in seiner Armuth und Niedrigkeit ein Herz für mich, seine Freundschaft – kann ich wohl sagen – seine Aufopferung haben mich ausgesöhnt mit der Tücke, mit der Hinterlist, mit der Grausamkeit und der Tyrannei dieser Welt. Er wagte sein ganzes Vermögen – 5 Thaler preuß. Cour. – an meine Existenz, indem er mich von dem seligen Hahnemann auf Risico kaufte, und von dem Augenblick an, als er mich rettete und dem Leben zurückgab, war ich sein Ein und sein Alles. Die Mütze herunter, mein Sohn! es war der Lumpenfahrer Peter Lappenberg, der den herben Bodensatz meiner Jahre in dem milden Weine der Dankbarkeit lös'te, der mit der geheimnißvollen Alchemie der Liebe in meinem Herzen das Sein von dem Schein schied, daß ich die Thorheit meiner jungen Jahre erkannte und im Stande bin, dieselben Dir als Warnungstafeln gegen Fußangeln und Selbstschüsse aufzurichten. Die thörichten Hoffnungen auf glänzende Aussichten, die ebenso thörichten auf ein glückliches zufriedenes Alter, wenn man noch nicht von den tauben Schlacken der Eigensucht geläutert ist, der ganze von der Eigenliebe künstlich aufgebaute Spiegel-Apparat, in welchem man das, was man seine Tugenden und Vorzüge nennt, in's Unendliche reflectiren sieht, das Alles fiel stückweise, Eins nach dem Andern zusammen, als ich die ruhige, sich gleichbleibende Freundlichkeit, die unverdrossene Sorge und die stete Treue des alten Lumpenfahrers kennen lernte und als letzten Grund seines Wesens die Theilnahme an dem Fröhlichen, das Mitleid mit dem Trauernden, kurz die Liebe zu allen Geschöpfen erkannte.

In Regen und Unwetter stand die ehrliche Seele geduldig wartend mir zur Seite, wenn der Hunger mich trieb, ein Stücklein Chausseegraben abzuweiden, nie verzehrte er seine harte Brodrinde, ohne mit mir zu theilen. »Da, Schimmel,« waren dann seine Worte – und wie oft hat er sie nicht gesprochen! – wenn er mit seiner harten Hand über die graue Mähne fuhr und mir den Schopf zurecht strich, um meiner altersschwachen und lebensmüden Hinfälligkeit ein mehr respectables Aussehen zu geben. Aus den wollenen Lumpen seines Gewerbes hatte er für mich eine Decke zusammengeflickt; die Leute lachten über ihre buntscheckige Aermlichkeit und es ist wahr, es war nur eine Lumpendecke; aber sie wärmte mehr als die Schabracken des Hochmuths und der Eitelkeit, nicht die alten Knochen allein, nein auch das Herz.

Jetzt ist die treue pflegende Hand starr; das Auge, welches mit Liebe auf die letzten Wege meines Lebens blickte, gebrochen; der Mund, welcher mir aufmunternd Trost zusprach, stumm; der alte Peter liegt in dem Stalle hier nebenan auf einer Schütte Stroh als Leiche, um die sich Niemand kümmert, als der Landreiter. Auch um mich kümmert sich Niemand, als der Landreiter. Der Lumpenwagen und ich sollen den Sarg schaffen und die Begräbniskosten decken; wir sollen verkauft werden. Morgen wird der alte Peter begraben, morgen auch ist die Versteigerung seiner Habseligkeiten; ich fürchte, wer mich kauft, macht einen schlechten Handel.

Mein Sohn, die Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . Die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hier wird das Manuscript der Memoiren unleserlich, bis es endlich mit einem großen Tintenfleck schließt. Diese Endlösung der Geschichte konnte mich nicht befriedigen, ich nahm also die Gelegenheit wahr, mich auf einer Reise, die mich nach B. führte, wo der alte Peter begraben ist, nach den endlichen Schicksalen des Fliegenschimmels zu erkundigen.

Die Ahnung hatte ihn nicht betrogen, der Käufer seiner Person hatte einen schlechten Handel gemacht. Ein Bücklingsfahrer hatte den Muth gehabt, für das schwache Fünkchen Leben, welches noch unter Haut und Knochen fortglimmte, 3 Rthlr. 12 Groschen zu bieten. Was noch von Vollblut und überhaupt von Blut in dem alten Schimmel war, wurde ihm zugeschlagen; aber – als der Hammer fiel, fiel auch der Schimmel. Er ward nicht mehr angesträngt, nur um ihn ward etwas angestrengt, nämlich ein Prozeß. Dieser Prozeß zwischen dem unglücklichen Bücklingsfahrer und der versteigernden Behörde endete damit, daß der erstere Zahlung leisten mußte und endlich ab und zur Ruhe verwiesen wurde. Der Bücklingsfahrer, der Lumpenfahrer, der Fliegenschimmel selbst, alle sind zur Ruhe verwiesen; und das ist das Ende.


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