Fritz Reuter
Memoiren eines alten Fliegenschimmels
Fritz Reuter

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Hier wäre nun der Ort, meinem unvergeßlichen Freunde, Mortje, einen Päan zu singen, und gewiß würde ich denselben anstimmen für alles Das, was er an mir gethan hat, wäre mir im Laufe meines Lebens nicht klar geworden, daß alle menschlichen Wohltaten trübe Ausflüsse engherzigen und selbstsüchtigen Egoismus sind. Mortje hat viel an mir gethan, er hat mich eigenhändig malochert, das heißt diesmal, wenn ich so sagen soll, ad deteriorem; er riß mir nämlich die Füllenzähne aus und machte mich älter, als ich war. »Eine gewisse Gesetztheit,« sagte mein würdiger Freund, »erweckt Vertrauen, führt rascher, sicherer zum Ziel, hol der Teufel die Studentenliebschaften! Was kann 'er nach kommen? Ich bin en Mann for's Geschäft!« Aber mein unvergeßlicher Freund hatte seine Auslagen für mich und seine Anlagen auf mich im Auge, er führte meine unerfahrene Jugend seinen Weg, machte einen Strich unter seine Rechnung, nahm mit 75 Prozent vorlieb und überließ mich meinem Schicksale und der reizendsten bürgerlichen Dame meines Vaterlandes.

Mit geraspelten Hufen, mit gestriegeltem Fell, mit geschorenen Fesseln und coiffirten Mähnen und Schweif mußte ich unter seiner Anleitung täglich vor dem Hause Malchens courbettiren.

Malchen Lembke's, die die reiche
Tochter war des alten Lembke,
Enkelin des reichen Hiltmann,
Der Bockschäfer einst genannt war;
Schweigsam, züchtig, wie Ximene,
Tiefversenkt in die Pantoffeln,
Die sie für den Onkel stickte,
Der noch Fett hatt' auf den Rippen,
Den sie zu beerben dachte,
Saß die Holde an dem Fenster,
Nur verstohlen auf die Straße
Und auf die Courbette blickend,
Die ich täglich schweifgehoben
Opfer ihren Augen brachte,
Täglich 'rauf und 'runter machte.

Rückwärts, rückwärts! alter Schimmel.
Vorwärts trieb dich dein Verlangen,
Wärst du rückwärts stets gegangen,
Rückwärts lag dein wahrer Himmel.

Mein Sohn, wie sich die Dämmerung auf den leuchtenden Tag legt, legt sich die Schwermuth auf die grüne Weide der Hoffnung; sie schleicht leise heran, mit mildem, Alles vergeistigendem Zauber deckt sie das Schroffe und Störende; ihr leiseflüsternder Flügelschlag fächelt Dich ein in die Träume seligen Schweigens, und wenn dann Dein müdes Auge die schwere Wimper aufschlägt, dann ist's Nacht um Dich; die grüne Hoffnung ist schwarz geworden, als wäre Reif auf die Flur gefallen, rings um Dich ist nichts!

Und wenn Dein Auge dann
Nach neuen Sternen
Nach Quellen neuen Lebens
Weit suchet in den Fernen,
Dann sucht es wohl vergebens!

Wie die Schabracke eines Trauerzuges liegt die Schwermuth auf mir, wenn ich jener Zeit gedenke, in welcher ich bald mit dem waghalsigsten Muthe auf den zerbrechlichsten Sprossen der Traumleiter, welche zum Liebeshimmel führt, herum balancirte und mit den Jubelliedern eines problematischen Sieges den störenden Ernst mit seinen langweiligen, nüchternen Betrachtungen aus der Seele scheuchte, bald in energieloser Sentimentalität vor den Strahlen schöner Augen in charakterlose Weichheit verschwamm, wie – nun, wie sage ich gleich – wie Butter an der Sonne. – Ach! und wenn's nur Schwermuth wäre, die mir die lachendem Fluren der Erinnerung verdüstert; aus der Schwermuth Nacht ist das Gespenst der Reue geboren, das mir nun hohnlachend zu spät die richtigen Wege zum Glück zeigt. Rückwärts, rückwärts! hätte ich weichen sollen; noch einmal hätte ich es mit dem Examen versuchen sollen, meinen unvergeßlichen Freund Mortje hätte ich fliehen sollen, wie der Menschen Aeltermutter die Schlange, rückwärts lag meine Ehre und mein Ruf. Mortje, mein unvergeßlicher . . . ., nein, dieser Teufel meines Lebens, machte aus mir das beklagenswerteste Geschöpf der Erde, er entfremdete mich der Natur, er nahm mir den besonnenen Schritt und den energischen Trab, er machte mich zum schwächlichen Paßgänger und impfte mir das erbärmliche Philisterthum des kurzen Galopps ein; ohne die geniale Genußfähigkeit eines Don Juan und ohne den diabolischen Triumph der Unsittlichkeit eines Casanova ward ich nicht mehr und nicht weniger als ein gewöhnlicher Damenknecht, ein Zelter in der Sprache gäng und gäber Romantik. Mein Sohn, ich verhülle mein Angesicht. Ein königlich preußischer Baugefangener hat kein besonders anziehendes Loos, aber tausendmal lieber möchte ich das gelbgraue Gefieder dieser Karnalljenvögel tragen und an ihrer klirrenden Kette ziehen, als an Rosenketten die verschiedenen Triumphwagen der verschiedenen Seraphinen und Engel und Huldinnen und Göttinnen. Ein richtiger Damenknecht ist der beklagenswerteste Narr der halben Menschheit, man sagt freilich der schönern und bessern Hälfte, und das würde ein sehr beruhigender Trost sein; aber, mein theurer Sohn, jetzt an den Pforten des Grabes, von den schimmernden Illusionen der jugendlichen Liebe und ihren süßfesselnden Banden erlös't, frage ich: schönere? ja! obgleich einmal durch Lessings Laokoon ich anders überzeugt war; bessere? Mein Sohn, ich schüttele mit dem Kopfe, und überlasse es Dir, zu entscheiden, ob mein Kopfschütteln dieser Frage oder den Kartoffelschalen meines Lumpensammlers gilt.

›Dem sei nun wie ihm wolle‹, wie eine edle Persönlichkeit in ihrem dunkeln Drange öfters zu sagen beliebte; Lembke Vater besuchte Mortje; Mortje war freundschaftlich genug, mich als den Dritten zu einem vertraulichen Gespräch auf seinem Hofe einzuladen, bei welcher Gelegenheit viel die Rede war von Rücksichten, die man auf mich zu nehmen hätte – man betrachtete mich nämlich, wie ich dort auf- und abspazierte, stets von der Rückseite – und so wurde ich engagirt, Malchen Lembke's Leben zu versüßen: Malchen sollte mich reiten. »Herr Lembke,« sagte mein unvergeßlicher Freund Mortje, als der Handel geschlossen war, »soll ich holen lassen ein Schnäpschen Wein?« – »»Danke, Herr Mortje,«« war die Antwort von Malchens Vater. – »Herr Lembke,« sagte mein väterlicher Freund und begann sich zu verschwören, »hätten Sie gesagt ›ja‹, hätt' ich holen lassen 'en Pegel.«

Nie ist ein Handel zu so allgemeiner Zufriedenheit abgeschlossen worden; Mortje war zufrieden, Lembke Vater war zufrieden und vor Allem war Malchen zufrieden. Die Holde kam zu mir, streichelte mich sanft, lehnte sich an meine Schulter und war emancipirt genug, in der blonden Lockenfülle meiner Mähne zu krabbeln. »Herr Onymus« – denn so hatte Lembke Vater meinen unglücklichen Namen corrumpirt – »Herr Onymus, du sollst meine unerfahrene Jugend durch den Schmutz der gemeinen Lebenswege tragen. Willst du?« fragte die Schmeichlerin leise. »Mein Vater ist reich; der goldene Hafer deiner Existenz soll dir scheffelweise zugemessen werden, die glänzendste Equipirung sei dein, und bedient sollst du werden, als wärst du der Sohn vom Hause, denn du hast uns viel gekostet! Und nur Eins verlange ich: du sollst mein sein, ganz mein! Deine Schritte gehören mir, du ziehst fortan an dem Wagen meiner Triumphe, du beugst willig den stolzen Nacken unter der sanften Führung weiblicher Huld; du wirst mir leibeigen!« flötete die Holde in zarter de la Motte Fouquéscher Romantik und erröthete Caroline-Pichlersch bis unter die Locken, trotzdem daß Heinrich-Claurensch ihr wonniges Herzchen vor Freuden unter den Schneehügeln wupperte und pupperte. »Aber,« setzte sie mit leisem Aufleuchten zukünftiger Energie hinzu, und mir war's, als ob ein Katzenpfötchen über den glatten Spiegel ihrer Mondscheinseele flog, in welcher sich Liebesgötter zu Dutzenden badeten; »aber den dummen Umgang mit Mortje verbitt' ich mir entschieden!« – Nun sprich Du, mein Sohn, der in den Gärten der Liebe den zartesten Blumenkohl gezogen hat, konnte ich, der ich mir die Liebe zum Lebensberuf auserkoren hatte, vor dem holden Räthsel ihrer ersten, Seligkeit verheißenden Ausgabe zurückschrecken? Nein! Sie hatte de la Motte Fouquésch gefragt, ich antwortete à la Motte Fouquésch mit dem klugen braunen Auge darauf, beugte sanft den stolzen Nacken, und weil die Natur uns grausam die Gabe versagt hat, à la Caroline Pichler bis unter die Locken zu erröthen, wedelte ich à la Hund mit dem Schweif, und da mir mein Herz nicht Claurensch wupperte und pupperte, wupperte und pupperte ich mit allen vier Beinen, wieherte ein fröhliches ›Ja‹, und am andern Morgen sagte Frau Schröder zu Frau Meier: »Haben Sie's schon gehört, Frau Gevatterin, der alte reiche Gutsbesitzer Lembke hat richtig seine Tochter dem Herrn Onymus angeschnallt. Mortje hat das Verhältnis zu Stande gebracht.« –

Der liebe Gott hat die zweibeinigen Menschen erschaffen mit ihrer Herrschsucht, mit ihrem thörichten Wahn eines Alles besiegenden Gottesgnadenthums; der liebe Gott hat uns Rosse erschaffen mit der vierbeinigen Großmuth geduldiger Kraft, wir spannen wohl unsere Sehnen, aber schießen den Pfeil unserer gerechten Rache nicht los gegen unsere Unterdrücker, denn der liebe Gott hat auch die Liebe erschaffen und in ihrem Gefolge den Gehorsam, die duldende Hingebung gegen das schwache Geschlecht. – Ach, die Liebe!! –

Mein Sohn, Tausende und aber Tausende haben ihre Federn und sich selbst stumpf geschrieben über dies Thema; ihre Wünsche, Gefühle und Erinnerungen an das punctum saliens jedes Daseins strömen als lyrische Sündfluth durch das verwässerte Leben; Tauben genug! aber wo der Oelzweig, der Frieden verhieße vor der Ueberschwemmung? – Wo der Regenbogen, der hinüberleitete zu sicherer Feste? – Theures Kind meiner Unvergeßlichen – ich werde kein Narr sein und in meinen alten trübseligen Kartoffelschalentagen von Armidens zauberischen Gärten phantasiren; die Welt hat längst in dem reizenden Liede:

›Liebe, Liebe is mich nöthig!‹

den wüsten Ausdruck eines Sinn und Sein bewältigenden Verlangens gefunden; im Uebrigen lies Clauren und, wie ein guter Freund von mir zu sagen pflegt: etcetera pp. und in dergleichen Sachen. Ach! und doch! Während ich in der vollen Hartherzigkeit eines vernachlässigten Alters mich gegen jede Expectoration sträube, klemmt mir die Erinnerung an jene Zeit, wo die Psyche den schlafenden Eros mit dem Oeltropfen weckte, die Rippen zusammen, und aus dem ausgepreßten, vertrockneten Herzen steigt noch ein letzter milder Oeltropfen alles Mißgeschick ausgleichender Verzeihung in's trübe Greisenauge und fällt als versöhnende Thräne der Erinnerung in's modernde Stroh meines Lagers.

Also mit der Liebe in abstracto wäre ich fertig! Nun wäre sie mir noch in concreto zu behandeln.

Malchen Lembke, ›Tochter sie des alten Lembke‹ &c. war mir in romantischer Ritterlichkeit zugethan, d. h. die Romantik hatte sie aus den Leihbibliotheken, und die Ritterlichkeit stammte aus dem Gute Pümpelhagen, und die Verbindung von Ritterlichkeit und Romantik war auf die Leibeigenschaft von meiner Seite basirt. Das Ganze wurde natürlich ein rein platonisches Verhältniß. Sie hielt sehr darauf. Wenn ich mit meinen klugen de la Motte Fouquéschen Augen zuweilen während meines ritterlichen Dienstes nach den äußersten Sohlen ihres reizenden Fußes zu schielen mir erlaubte, beliebte sie mir einen schnalzenden Schall zu appliciren, der beinah wie ein Peitschenhieb klang, und die Lösung dieser hinterrückischen Frage war kurzer Galopp, wahrscheinlich – sie sprach es nie aus – dachte sie dabei: »Sie Schäker!«

Diese kleinen Applicationen hätten bleiben können – man wird sie allmählich gewohnt – ich hätte bleiben können, und Alles wäre gut gewesen; aber – wie mein alter, ehrlicher Lumpenfahrer noch gestern sagte, als die Sohle seines linken Stiefels Abschied von ihm nahm – »up nicks is mihr Verlat!« – Diese Unzuverlässigkeit aller fata morgana in der Ehe – denn unsere Ehe war jedenfalls eine morganatische – sollte ich bald empfinden: rohe Dicknäsigkeit trat in den Tempel meines Glücks und warf Zartheit, Empfindung und den ganzen seligen Apparat der Liebe zum Tempel hinaus, setzte Deinem alten Urältervater jene schwarze verhängnißvolle Brille auf, durch die man die Strahlen der Liebessonne zwar schlecht, ihre Flecken aber desto besser sieht, und setzte sich dann mit breitester Grundlage in die weichen, durch den Ehepact garantirten Polster meiner ewigen Gefühle.

Die äußern Verhältnisse meines äußersten Verhängnisses waren aber folgende:

Frühling war's, durch Maienlüfte
Zogen zarte Liebesdüfte,
Und wie sonst in schönen Tagen
Sollt' ich heut mein Malchen tragen
Durch die frischen grünen Felder
In die Einsamkeit der Wälder;
Silberlicht des Monds hernieder
Floß vom Himmel; um die Glieder
Malchens bis hinab zum Sand
Floß ein züchtiges Gewand;
Sterne leuchteten von oben,
Strahlten wie von lichtem Golde,
Und Dein Urahn, schweifgehoben,
Trug im leichten Paß die Holde, –
Da kam aus der Nacht entgegen
Auf des Truges finstern Wegen
Ein geheimnißvoller Degen.
Lieutnant war er, rothbebartet,
Tückevoll und schlecht geartet.
Dick von Nase, roth von Wangen,
Sein Gehirn war aufgegangen
In der Polstrung seiner Waden,
Und dann hatt' er schief geladen.
»Freundin,« sprach er, »ich bin hier!«
Sprang herab von seinem Thier –
'S war ein Fuchs und zwar 'ne Stute. –
Ach! wie ward mir da zu Muthe!
Eifersücht'ger Spähne Flammen
Kochten ein Gericht zusammen,
Satan das Recept mir gab;
Als die zarteste der Frauen
Es versuchte, im Vertrauen
Meiner Liebe mich zu hauen,
Bäumt' ich mich und setzt' sie ab.

Mein Sohn! Mein lieber Sohn! Wenn die Liebe über die Creatur kommt, dann ist's Einem zu Muthe, wie einem Huhn, dem der Kopf abgeschnitten ist; aber, wenn sie Einen verläßt, dann ist's, als wenn Einem die Beine dazu abgeschnitten sind. – Wohin? Was? Wo? – Bleiben? Nein! – Aber wohin? – Gewöhnlich hilft hier der Instinct; mir wenigstens. Die Büsche eines blühenden Schwarzdorns hatten sich über die Tugend des Lieutenants und Malchens zusammengeschlungen, wahrscheinlich um sie die Dornen ihrer Zukunft so recht ahnungsvoll romantisch voraus fühlen zu lassen; ich, in der Zerrissenheit meiner Seele und meiner Zügel, die nämlich bei der Revolution meines Entsattelungsversuches richtig gerissen und frei waren, lief umher in der ehrlichen Absicht, mich von einem national-mecklenburgischen Felsen hinabzustürzen. Da ich aber den nicht fand, – so ließ ich es mir gefallen, Deine theure Aeltermutter, die Fuchsstute des Lieutenants

In des Waldes tiefsten Gründen
Und im Dickicht tief versteckt

zu finden, wo sie von der Hand jenes rothbärtigen Mädchen-Räubers an den jungen Stamm einer Birke gefesselt war.

»Madame,« wieherte ich leise in jenem Ton tiefer unterdrückter Empfindung, der nur unserm Geschlechte und einigen bevorzugten jungen Menschenpoeten eigen ist und bezeichnend ›Nörriken‹ genannt wird, »Madame, mit wem habe ich die Ehre?« »Diamond aus der Semiramis,«« war die leise, entgegengenörrikte, nur von mir und dem jungfräulichen Maienlaub vernommene Antwort, »»und Sie?««

»Hiero . . . .« wäre ich bald unvorsichtig herausgeplatzt, verbesserte mich aber schnell: »meine Mutter war eine Walebone.«

»»Oh, dann beschwöre ich Sie bei der Ritterlichkeit Ihrer geehrten Ahnen, retten Sie mich aus der Barbarei jener rothbärtigen Canaille, deren Brutalität ich zu tragen habe. Der Mensch hat gar keine Meriten, außer daß er als Feldwebel einmal gewisse dumme Kanonen dem Feinde auf dem Schlachtfelde abgenommen, reißen Sie mich aus dieser Lage!««

Und ich riß und wir rissen aus.

In dem raschesten Tempo eines Lanner'schen Galopps durch die grünen Guirlanden eines göttlichen bal champêtre schnaubten und brauseten wir unter den tausend Lampen der Sterne und dem silbernen Strahlenlüstre des Mondes dahin, Beide frei, Beide der Tyrannei entronnen. Der Zügel unserer Knechtschaft war abgestreift, die engen Gurten unserer Sclavenlast waren geplatzt, wir gingen durch, wir gingen prachtvoll durch!

Aber wohin? Für's erste war uns dies sehr gleichgültig. Die Freiheit der Jugend ist ihr eigenes Ziel, sie hat kein anderes, sie ist wie der Morgenwind, der Ihnen, Madame, den Schleier vom Antlitz zu ziehen sich die Freiheit nimmt, nicht etwa um in Ihre schönen Augen zu sehen und Ihre Wangen, Ihren Rosenmund zu küssen, nein! das lose, leichtfertige Spiel mit Ihrem Schleier, das Flattern genügt ihm; und vergolden dann die Strahlen Ihrer Augen seine Schwingen und mischt sich dann der würzige Hauch Ihres Kusses mit seinem frischen Athem, dann haben Sie ihn um eine holde Erinnerung reicher gemacht, die er Ihnen vielleicht dereinst aus den dunkeln Büschen des stillen Wiesenpfades zusäuselt, wenn er am Abend als lauer West mit schlaffen Schwingen zu Ihnen zurückkehrt und mit seiner Thränen Thau reuig den Saum Ihres Kleides küßt. Werden Sie aber, Madame, auf den Flügeln der Liebe eben so hoch und rasch getragen, wie er auf den Flügeln der Freiheit, warfen Sie den Ballast des Lebens – den wir Verhältnisse und Rücksichten nennen – aus dem lustigbewimpelten Schifflein Ihrer kühnen Seele, emanzipiren Sie sich von den letzten Stricken und Banden, mit denen Sie an die gemeinen Straßen und Wege zum irdischen Glücke gefesselt sind, lachen Sie der dummstaunenden, gaffenden Gesichter dort hinten, dort unten, – dann beginnt ein heiteres, luftiges Spiel: Liebe und Freiheit spielen Haschemännchen und Blindekuh in den dichten Nebeln, sie jagen Zack um die Wolken; wie ein Blumenblatt vom Winde getragen wirbelt die Liebe in den blauen Aether hinein, immer höher und höher bis in die eigentliche Heimath beider, und dort schwimmen sie dann in seliger Erdenvergessenheit, über sich leuchtende Strahlenfluthen, tief unter sich Nebel und Wolken. – Oder, Madame – das Schifflein der Liebe ist zu schwach für die stürmende Freiheit, es platzt etwas an dem luftigen Apparat und es erfolgt ein jäher, vernichtender Sturz.

Ach! – Mein theurer Sohn, auch unser Loos!

Wie schon erzählt, ging ich mit Deiner theuren Aeltermutter durch. Der dunkle Wald war verschwunden, ein reiches, blühendes Feld hoffnungsreicher Entwürfe lag vor uns; Mond und Sterne, die trübe Gasbeleuchtung für die dunkeln, naßkalten, ewig tröpfelnden Gassen der Empfindsamkeit, waren verschwunden, tausend Sonnen leuchteten an unserm Himmel und bestrahlten tausend und aber tausend Blumen an unserm Wege. Es ist dies poetisch, aber durchaus nicht übertrieben gesprochen, wie Du leicht ersehen wirst, wenn ich Dir sage: wir waren in ein Kleefeld gerathen.

»Diamond,« sagte ich, »wie wär's?« und winkte auf die jungen blühenden Häupter der Kleebevölkerung unter uns herab.

»»Walebones Sohn, Erbsohn Bucephalischer Erbweisheit, welches Wort ist dem Zaun Deiner Zähne entflohn!«« antwortete die Holde. »»Größeres steht uns zu hoffen!«« Und mit aristokratisch-vornehmer Geberde beugte sie den stolzen Nacken, roch an den Blumen, wie ein fetter Rathsherr, dem Rehbraten winkt, an den Producten einer Armenspeisungsanstalt riecht, zertrampelte im kindlichen Uebermuth das blühende Feld, wobei sie bei jeder Blume, welche ihr zarter Huf traf: »er liebt mich – liebt mich nicht« leis' vor sich hin nörrikte, und als mit dem Todesseufzer der letzten sterbenden Kleeblume ein jubelndes: »er liebt mich!« sich mischte, schlug sie vor Freuden mit beiden Beinen hoch in den lichtdurchströmten Aether hinaus, lächelte in holder Verschämtheit mir zu, und fort! ging sie abermals durch Felder und Wiesen und Hecken und Gräben, wie das Brauch ist nach so süßem Geständniß! Ich natürlich ihr nach; aber wo blieb Itzig!! Ihr zartes Gangwerk tanzte im leichten Amphibrachys: ›Back Appel, back Appel, back Appel . . . .‹ über die Flur, prallte wie ein Ball aus Kautschuk, Guttapercha, Gummielastikum und ähnlichen Stoffen über die Hecken, schwang sich im leichtesten Bogen über die Gräben und machte erst in der reizenden Umgebung eines grünen Weizenfeldes Halt.

Endlich kam ich ihr nach; ich gestehe Dir, etwas verdrießlich. Ich würde mich nicht beklagt haben, hätte die Göttliche einige leichte Hindernisse meiner Liebe in den Weg gelegt, das gehört sich so, und jeder Roman wird Dir zeigen, daß so etwas durchaus zum wahren Glücke notwendig ist, d. h. bei Interessenten von höherer Organisation. Hans und Liese freien sich freilich, wenn sie ein Bett haben und drei Laken Linnen, doch für Unsereinen kann dies nicht maßgebend sein. Aber warum mußte Deine unvergeßliche Aeltermutter denn auch grade fünf Fuß hohe Schlagbäume und sechzehnfüßige Gräben in den Lauf meiner Liebe legen, zumal sie sah, daß ich an der reichen Krippe des reichen Lembke zu einem gewissen Embonpoint gelangt war, und meine täglichen Gewohnheiten sich höchstens zu einem kurzen Galopp verstiegen? Ach, mein Sohn, die Liebe sitzt so voll Schelmereien, wie der Esel voll grauer Haare, wie die Rose voll Dornen, und wenn sie Dich mit diesen ritzt und neckt, dann danke Gott, wenn sie sich herbeiläßt, die kleinen brennenden Schrammen mit kühlenden Rosenblättern zu verbinden.

Mein Verdruß schwand bald bei dem beseligenden Anblick Deiner theuren Aeltermutter, die im neckischen Spiel ihr geliebtes Antlitz unter Weizenhalmen versteckte und mit Perlenzähnen hinter denselben hervorlächelte. Wenn ich Perlenzähne sage, so meine ich nicht jene kleinen unbedeutenden oder gar nachgemachten Dinger, von denen die Menschenpoeten singen, nein! Diamond besaß eine Schnur Zahnperlen von erklecklicher Größe, die als ein Erbstück ihres Geschlechts auf sie gekommen waren, und die sie in spielender Coquetterie um die Weizenhalme schlang, was man im gewöhnlichen Leben ›Grasen‹ nennt. Bald fand auch ich Vergnügen an dieser befriedigenden Unterhaltung, und wir gras'ten ein schön Stück Weizenfeld ab. Eine sabbathliche Ruhe – denn es war Sonntag – lagerte sich über die Felder, keine störende Menschenseele zeigte sich; die grünwallenden Weizenwogen brachen sich an dem Gestade eines Waldsaums; wie buntbewimpelte Barken schifften Schmetterlinge gaukelnd und schaukelnd drüber hin, blaue Seejungfern spielten darin, und die Sonne tauchte ihr goldenes Strahlennetz hinein, und in diesem Meer von Wonne lagen wir und wälzten uns darin und gönnten der übrigen Welt Alles und Jedes, vorausgesetzt, daß man uns in Ruhe ließ. – Mein und Dein! Schnöde Begriffe, gut für den staubigen Markt des Lebens! Die grünen Inseln der Liebe kennen euch nicht, ener Name findet keinen Wiederhall in den seligen Hainen! Die Luft der Freiheit, die Sonne der Liebe, das Weizenfeld der Existenz – Jedem gehören sie, der danach greift, der ihrer bedarf! – Mein Sohn, Deine Aeltermutter und ich waren, ohne es zu ahnen, praktische Communisten in des Worts verwegenster Bedeutung geworden.

Da lagen wir am schattigen Saum des Waldes, wo der frische Bach aus dem geheimnißvollen Dunkel hervorrauschte,

›von der badenden Nymphen Idyllien lieblich umflüstert‹,

von dem Weizenvergnügen ausruhend und verdauend. Diamond hatte in reizender Natürlichkeit alle vier Beine von sich gestreckt, in ihrem träumerischen Auge las ich die Frage jeder Glücklichen: »Bleibst Du mir auch treu?« – »»Auf ewig!«« antwortete ich, jagte einige zudringliche Fliegen mit dem Schweife von meinem Rücken, und wollte mich eben noch auf parole d'honneur dazu verschwören, als eine rohe Stimme mich ganz nahe mit dem Ausruf unterbrach:

»Herr Gott du meines Lebens! Vatter, kik blos minen Weiten!«

»»Wo? Dat sünd jo woll den Herrn Grafen sin will' Swin wedder west?««

»Dat sünd kein will' nich west, dat sünd kein tamm nich west, dat sünd gewiß Jochen Schulten sin Mähren wedder west!« rief der Besitzer des Weizenfeldes.

»»Hir liggen s'!«« rief sein Gevatter und kam auf uns los.

Wir blieben ruhig liegen, nicht im Bewußtsein unseres Rechts – nein! beide Begriffe existirten für uns nicht mehr, sie waren in den Begriffen von Liebe und Freiheit untergegangen – nein! wir blieben liegen in dem behaglichen, dickfelligen Gefühle gesättigten Glücks.

»Oh, de entfahmten Schinners! Jochen Schulten sin sünd 't æwer nich!«

»»Den einen Hund, den'n kenn ick; dat is de Herr Onymus, mit den'n Male Lembken süs is ümmer mit 'rümmer jökelt,«« und damit warf er Deinem Vorfahren eine getheerte Peitschenschnur um den Hals.

Man braucht grade nicht in der Türkei gewesen zu sein, um zu wissen, was eine Schnur um den Hals bedeutet. – Wie ein Lamm zur Schlachtbank folgte ich; ich hatte das richtige Gefühl: mit der Freiheit war's vorbei, seitdem ich den Sinn für das Mein und Dein verloren hatte. Der dumme Philister will nun einmal nicht junge verliebte Helden, geniale Geister, excentrische Charaktere auf seine Kosten leben lassen.

Unter den rohesten Ausrufungen und Beschimpfungen führte mich der Bauer Swart in's Dorf; die zarte Diamond wurde ungefähr ebenso von dem Bauern Witt geführt.

Spott, Verwünschungen und grausames Gelächter empfing uns hier; eine dunkle Höhle eröffnete sich uns, Peitschenhiebe trieben uns hinein, der Modergeruch dumpfen Strohs qualmte uns entgegen, die Thür schloß sich – mein Sohn, verhülle Dein Antlitz! – Deine Ureltern waren im Schuldgefängniß, wie die Menschen es nennen, nach unserer Ausdrucksweise im – Pfandstall.

Das war das Loos des Schönen auf der Erde! Das war der jähe Sturz aus den lichten Aetherhöhen ursprünglich naturgemäßer Freiheit und Liebe in den finstern Abgrund – nicht der Hölle, nein! was schlimmer ist als Hölle – auf conventionellem Recht gebauter Zivilisation!

Halte diese Striche nicht etwa übereilt für Censurstriche. Leider habe ich Dir das Bekenntniß ablegen müssen, daß ich in meinem vielbewegten Leben die Bekanntschaft mit dem Pfandstall habe machen müssen; nie aber, auf Taille! – die, weiß Gott, in diesem Augenblicke so schmal ist, wie es nur die extremste Pferdenatur zuläßt – nie aber habe ich Bekanntschaft mit der Censur gemacht. Davor bewahrte mich das Andenken an meine Geburt! Gegen mein natürliches Princip habe ich nie gesündigt.

Diese Striche sollen Dir nur andeuten, daß hier eigentlich eine naturphilosophische Abhandlung über das Verhältniß der absoluten Freiheit zu dem heutigen Standpunkt der Civilisation folgen sollte, die ich im Pfandstall zur Verherrlichung der ersteren niedergeschrieben habe – man schreibt nie besser über Freiheit, als wenn man hinter Schloß und Riegel sitzt, sowie man nie besser den Werth des Geldes zu schätzen weiß, als wenn man keins besitzt – und die ich einmal aus Noth für eine Kleinigkeit habe versetzen müssen. – Ich fürchte aber, sie ist verfallen. Ist die Freiheit verfallen, und war keiner da, der sie einlösen wollte, so mag auch die Abhandlung über die Freiheit verfallen. Du wenigstens löse sie nicht ein; es könnte Dir in Deiner jetzigen Stellung Schaden thun.

Einige Tage saßen wir so; unser Fall wurde mit rohester Oeffentlichkeit in den Tagesblättern besprochen, unsere Signalements wurden bekannt gemacht, und ich gestehe Dir, daß ich an den Rand der Verzweiflung gerieth, als mir die polizeiliche Beschreibung der Reize Deiner holden Aeltermutter, meiner angebeteten Diamond, vor Augen kam. Wie schauderhaft würde sich die Mediceische Venus ausnehmen, wenn man ihre Schönheiten polizeilich registrirte, classificirte und rubricirte! Ich war auf den Punkt gekommen, wo ich Demagog hätte werden können, nicht gegen das regierende Haus – Gott soll mich in allen Gnaden davor bewahren! – nein! bloß gegen die wohllöbliche Polizei.

Zum großen Glücke erfuhr Diamond nichts von der Entweihung ihrer zarten Persönlichkeit, sie wurde vorher reclamirt und ausgeliefert. Unter diesen Umständen und in diesen Umständen für sie ein Glück, für mich ein schrecklicher Schmerz!

Zwei Tage nach dieser trüben Trennung – ich sah sie nie wieder – kam ein Geschäftsführer von dem reichen Lembke in Gestalt eines Reitknechts und lös'te mich aus.

»Armer Teufel!« sagte die mitleidige Stallknechtsseele, als sie mich erblickte, »wie siehst Du aus!« So hatten Kummer und Gram, Trennungsschmerz und ohnmächtiges Rachegefühl, vor Allem aber die schlechte Kost in dem Pferdestall mein niedliches, aalglattes Embonpoint ruinirt! »Ach,« setzte der gutmüthige Friedrich hinzu, »armer Schelm, armer Herr Onymus, wie wird es Dir ergehen! Nicht um die Schätze der Welt möcht' ich mit Dir teilen.«

»»Sind keine Fremde da?«« fragte ich mit tonloser Stimme und warf meinen letzten Hoffnungsanker aus. Denn das wußte ich, wenn Besuch bei Lembkes war, dann war das Haus ein festlich geschmückter Tempel der Eintracht, von den süßen Düften der Milde und der Vergebung durchräuchert, der alte Lembke-Vater saß dann oben auf dem Orgelchor seiner Häuslichkeit und sang Loblieder auf das Familienglück, Madame Lembke-Mutter war dann Vorbeterin und Fürbitterin für alle möglichen Sünder, Nanting Lembke und Lipping Lembke, im gewöhnlichen Leben zwei Rangen erster Classe, wurden dann zu einem Paar frommer Chorknaben, die das Feuer kindlicher Liebe auf dem Altare des Gehorsams schürten und ihren Erzeugern mit den Rauchfässern der Zärtlichkeit und Hingebung unter die Nase gingen, und durch die ganze häusliche Andacht schwebte Malchen im weißen Kleide, wie ein sichtbarer Engel des Friedens und stieß in die Posaune, der Welt das Glück von Pümpelhagen zu verkünden. Also weil ich diese Umstände kannte, fragte ich: »Sind keine Fremde da?«

»»Nein, – ja! Der Herr Leibmedikus Borchert sind da,«« war Friedrichs Antwort.

Der gutmüthige Bursche ahnte nicht, daß er mit dieser Nachricht allen meinen Hoffnungen den Todesstreich versehe. Borchert, dieser Erbfeind meines Geschlechts, den ich einst tödtlich beleidigt hatte, als ich noch auf den Höhen der Gesellschaft strahlte, der mich mit unauslöschlichem Haß verfolgte, vor dem die ganze Lembke'sche Familie sich nicht genirte, ihre alltäglichen häuslichen Kriege aufzuführen, der dieselbe in ihrer ganzen gladiatorischen Nudität kannte, der war in meinem Sinne kein Fremder. Auch der alte Lembke wollte ihn nicht so betrachtet wissen: »Kinder,« hatte er mal vor Jahren bei irgend einer Gelegenheit gesagt, »vor unserm Hausarzt keine Heuchelei! Er kriegt die Wahrheit doch zu wissen: praesente medico non nocet, wenn wir uns auf's Natürlichste un Unbefangenste gehen lassen. Male, Dirn, gleich zeigst Du Deine Hand! Sie wollt' der Stubendirn eins an den Hals geben, Dokter, und die parirte mit der Wasserflasche und da hat sie sich geschnitten. – Philipp, Schlingel, gleich kommst Du her und ziehst die Jacke aus. – Ja, braun und blau sieht er aus, ich gestehe es, es ist ein bischen arg geworden; aber warum maus't der verfluchte . . . . . . . . Schlingel mir auch die Apfelsinen aus dem Schrank! – Und ich, Dokter, hab's wieder in der linken großen Zehe, ich habe mich gestern mordsmäßig über meine Altsche geärgert.«

Langsam, ach, wie langsam trotz Friedrichs aufmunternder Rippenstöße! gelangte ich vor das Herrenhaus zu Pümpelhagen. Die Lembke'sche Familie, Borchert mit eingeschlossen, saß vor der Thür. »Hier ist er,« sagte Friedrich, »sieht erbärmlich aus.«

Lembke-Vater erhob sich mit gestreiftem Sommerkittel und grüner Maroquinmütze, blies den Dampf seiner Meerschaumpfeife den letzten Strahlen der Abendsonne entgegen und sagte mit dem Nachdruck der tiefsten Empörung das Wort: »Schinner!« – »»Lembking, Lämming!«« sagte Lembke-Mutter, »»so 'ne Ausdrucksweise hört in's Haus, aber nicht vor die Thür, wo Jedwerein es hört! Meliorir Dich doch ein Bitschen!«« – Und Amalia? – Du weinst, Amalia? dachte ich und versuchte als captatio benevolentiae ein leises Schweifwedeln mit obligatem Nörriken. – »Nie!« sprach Amalia und erhob sich mit dem liebenswürdigen Zorn jungfräulichen Unwillens im Antlitz, »Rücksitzlosigkeiten verzeihe ich niemals!«

Mein Urtheil war gesprochen. Der gutmüthige Friedrich führte mich ab, Nanting Lembke gab mir einen Steinwurf als Viaticum und Lipping einen Peitschenhieb auf den Weg, der direct in eine gewisse Anstalt cum carena führte, wie wir es nennen in den Kaffstall. Hinten aber stand der Leibarzt Borchert und grins'te meinem Elend durch mephistophelische Maske ein »Proficiat« zu. Und da stand ich:

Arm am Beutel, krank am Herzen;
Und da schleppt' ich meine Tage.
Armuth ist die größte Plage,
Reichthum ist das höchste Gut!

Und zu der Armuth, mein theurer Sohn, kam der Müssiggang; der Müssiggang, der für den Armen dasselbe ist, was der Branntwein für den Säufer: Trost und Verderben. Für mich traf die Wahrheit des Sprichworts ein: ›Müssiggang ist aller Laster Anfang‹; ich wurde ein sogenannter Krippensetzer.

Mein theurer Sohn, hoffentlich weißt Du gar nicht, was ein Krippensetzer ist; Deine exclusiven Gewohnheiten, Dein Umgang mit der crême unsers Geschlechts, Deine Zurückgezogenheit auf die einsamen Gipfel aristokratischer Höhen haben Dir dies Laster vielleicht nie vor Augen kommen lassen; ich würde Dich also beleidigen, wollte ich Dich davor warnen. Ach, mein Sohn, Ihr, die Ihr von dem großen Maisch- und Gähr-Bottich des Lebens den Vorsprang des esprit abfüllt und ihn nur fuselfrei genießt, nachdem er zweimal destillirt und rectificirt und mit allerlei ätherischen Oelen abgezogen ist, Ihr könnt Euch gar nicht denken, zu welchen verzweifelten Mitteln die niedern Classen der Gesellschaft zu greifen gezwungen sind, um einen Augenblick in dem wohltätigen Strom des Lethe herumzubaden. Hast Du wohl jemals einen Menschen gesehen, der ein sonderbares Instrument zwischen die Zähne nahm; dann Dampfwolken von sich blies und in dem Dampf die Erinnerung und die Leiden des Lebens aufgehen ließ? Man nennt so ein Instrument eine Tabackspfeife, und die Operation oder der Genuß, wie die Raucher behaupten, wird Tabackrauchen genannt; ein unanständiges Vergnügen! wenn es nämlich durch Vermittlung einer Pfeife geschieht; denn Cigarren sind anständig. Aehnlich wie bei den Menschen das Tabackrauchen, ist bei uns das Krippensetzen; man setzt die Zähne auf einen festen Gegenstand und bläs't nach Kräften aus sich heraus. Es wird dies inhaltlose Vergnügen zur schändlichsten Leidenschaft; ein ordentlicher Krippensetzer setzt auf die Krippe, auf die Raufe, auf den Eimer, auf sein Knie, und wenn ihm zu Allem diesem die Möglichkeit fehlt, setzt er in die freie Luft auf und wird so zu dem elendesten Luftköker, den man sich denken kann.

Soweit kam Dein Urahn freilich nicht herunter; ich ließ es bei dem gewöhnlichen Krippensetzen bewenden, ohne nur zu ahnen, welchen Weg zum Abgrund ich betreten hatte.


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