Fritz Reuter
Abendteuer des Entspekter Bräsig
Fritz Reuter

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Wie ich nun so in der Erwartung sitze, kommt ein Mensch mit einer abschreckenden Maschinerie zum Vorschein und stellt sie mir gerade gegenüber, indem daß er sie auf mich richtet. Na, das is mir denn doch nich gleichgültig; ich springe also auf und sage: »Bleiben Sie mich mit das Ding vom Leibe!« – »Sitzen bleiben!« ruft der entfahmte Kerl wieder. »Ganz still sitzen bleiben!« – Na, was sollte ich tun, die Gewalt hätten sie. Ich setz mir also wieder.

Da fängt Moses an zu lachen und sagt: »Herr Entspekter, wissen Sie was Neues? Sie sollen potografiert werden, ich kenn die Maschinerie, und der Mann mit der Decke überm Kopp ist ein gewöhnlicher Meschantikus.« – »Potografiert?« frage ich. »Moses, tut das weh?« – »Gar nich«, sagt er, »es ist 'ne bloße Abbildung von Ihnen.« – »Also«, sag ich, »es tut nich so weh als das Balbieren?« – »Gott bewahre«, sagt er, »aber Sie müssen still sitzen und dabei lächeln, denn wenn's gut werden soll, müssen Sie lächeln.« – Na, ich sitz nu also auch still und lächel nun also auch auf meine Art, so gut ich's gelernt habe.

Sehen Sie, nu saßen mir aber bei diesem Lächeln die entfahmten Schwammproppen von wegen des Balbierens in dem Wege, und wenn ich recht schön lächerlich aussehen wollte, denn schreinte mich das, und aus diesem Gesichtspunkte ist ein Bild entstanden, welches mich – wie nachher uns' Herr Paster sagte – »unter Tränen lächelnd« darstellte.

Knappmang war der Meschantikus mit meiner Abbildung fertig, so kam der Schutzmann von gestern angelaufen und ranzte den Kerl mit den Schlüsseln an und sagte: »Petermüller, was machen Sie hier for dummes Zeug? Sie sollen den Raubmörder von Nummer 134 potografieren lassen, und nu potografieren Sie Nummer 135, meinen Levi Josephi aus Prenzlau!«

»Herr«, sagte ich falsch, denn diese Schinderei war mich denn doch über – erst balbiert und denn noch potografiert –, »der Deubel is Ihr Levi Josephi, ich bün der Entspekter Bräsig!« »Was Sie sünd, wird sich ausweisen«, sagt er und wendet sich auch an Mosessen. »Rasch! Sie kommen gleich vor.«

Somit ging denn Moses vor mir auf, und ich folgte; aber als wir so die Treppen und die langen Coridons lang gingen, konnte ich sehen: Mosessen bäwerten die Büxen. Mich war auch nicht besonderlich zu Sinn, indessen doch verließ mich nicht das Bewußtsein: Du büst wieder Entspekter Bräsig.

Als wir hereinkamen, d. h. ich allein, denn Moses und der Schutzmann blieben vor der Türe, saß da wieder ein Herr Rewerendarius, von welcher Art sie in Berlin mannigfaltig haben. Er stand auf und kuckte mir grade in das Gesicht: »Sünd Sie ein Jude oder sünd Sie's nicht?« – »Ich hab meinen Herrn Jesum Christum meindag noch nicht verleugnet«, sage ich. – »Schön«, sagt er, »denn sünd Sie der Entspekter Bräsig.« – »Aufzuwarten«, sag ich.

Bei dieser von mir erteilten Antwort stand er auf und besann sich – ich besann mich auch. Darauf setzte er sich un stippte seine Feder in das Dintenfaß und schrieb was und murmelte in den Bart: »Indintifenziert.«

Mit einmal stand er wieder auf und sah mich höllischen an, als wenn ich männigmal in früheren Zeiten so einen Talps von Hofjungen ankuckte, bloß daß ich denn mehr von oben, er aber mehr von unten kuckte, indem daß er noch kürzer verpahlt war als ich selber. »Herr«, sagte er, »Sie haben sich unter einem nachgemachten Namen mit 'ner ganzen Schwindlerbande befaßt.« – »Das wär nüdlich!« sage ich. »Ne, die Schwindlerbande hat sich mit mir befaßt und das gründlich! Denn sie haben mich mein Geld, meine Uhr, meinen Hut und meinen Taschentuch genommen.« – »Wie kommen Sie aber zu dem Judennamen? Warum haben Sie sich ihn gegeben?« fragte er. – »Ich habe ihn mir nicht gegeben«, sage ich, »Moses Löwenthal hat ihn mich gegeben und Bexbacher, und ein Mitkollege von Ihnen hat ihn mir gesetzlich in den Paß geschrieben.« – »Erzählen Sie mal die ganze Geschichte«, sagt er.

Na, ich erzähl nun also auch, und er wurde ümmer freundlicher und zuletzt ordentlich lustig, und als ich ihm die Geschichte mit meinem Hut in dem Tiergarten erzähle, springt er auf, läuft aus der Tür und kommt mit einem Herrn wieder, der alle himmlischen Sterne und Kreuze auf einer sogenannten Heldenbrust trägt – wie ich mich das von Anno 13 und 15 her zu erinnern pflege –, und sagt zu mich: »Der Herr Polizeipresendent!« – Ich stehe denn in der Höhe und mache ihm einen Diener und sage höflich: »Wohl der Öbberste von die Herren?« – Worauf er mir zutrauungsvoll und bereitwillig zunickte, darauf mich auf meinen Platz niederwinkte und höflich zu mir sagte: »Erzählen Sie mir auch die Geschichte, aber gründlich!«

Das tat ich denn nun auch, indem daß ich mit Moses Löwenthalen seinen Bläßten anfing und mit den zuletzt aufgeknöpften Extremitäten aufhörte.

Als ich zu Ende war, lachte er sehr freundlich und sagte zu dem Herrn Rewerendarius: »Rufen Sie mich mal Petschken hinein!«

Petschke kam. »Petschke«, sagte er, »wer mag wohl von unsern üblichen Bekannten um diese Jahreszeit einen Ökonomiker vorstellen?« – So'n Mensch wie Petschke weiß allens; er sagt also ohne Besinnung: »Herr Presendent, wenn ich's sagen soll, so is das kein anderer nich als Korl Pihmüller, denn der zieht sich ümmer zu Wullmarktszeiten mit Stulpenstieweln an und fängt in ihnen die fremden Ökonomiker ein, wie sie in Polen die Affen in Pechstiewel fangen.« – »Schaffen Sie mir den Menschen«, sagt er. – »In fünf Minuten«, antwortet er und dreht sich um. – »Petschke«, sagt der Presendent und kloppt ihm auf die Schulter, »Sie sünd eine Stütze des Staats!«, und damit geht Petschke.

»Herr Entspekter«, sagt der Presendent zu mir, »Sie sind währenddessen in meiner Achtung gestiegen, denn Sie sind bloß ein erbärmlich betrogener Mann; wir müssen Sie aber telegrafieren!« – »Danke schön!« sage ich. »Von der Art habe ich nu genug. Heute morgen zum Koffee balbiert, zum Frühstück potografiert und nun zum Mittagessen telegrafiert!« – »Herr Entspekter«, sagt er, »hilft Ihnen nichts! – Wo wohnen Sie?« – »Zu Haunerwiem«, sage ich. – »Ist es 'ne Stadt?« sagt er. – »Nein«, sage ich, »es ist aber ein kleiner lebhafter Ort, zwei Meilen von der Schosseh, mit einem verlassenen Müllerhaus und zwei Tagelöhnerkaten.« – »Unter was for einer Gerichtsborkeit?« fragt er. – »Weiß ich nich«, sag ich, »die Tagelöhner kriegen ihre Prügel ümmer von's Patrimonial; das Müllerhaus, worin ich wohne, is noch nich in solche Lage gekommen.« – »Aber«, sagt er, »Sie müssen doch wissen, unter welchem Richter Sie stehen.« – »Herr Presendent«, sage ich, »Sie verlangen von mich zu viel! Sehn Sie, ich bün ein alter Mann und ein aufrichtiger Mann, aber Auskunft geben kann ich Sie nich; denn – sehn Sie – welche stehen unter der Justizkanzlei, welche unter dem Herrn Burgermeister, welche unter dem Patrimonial und welche unter dem Domanial, welche die unglücklichsten sünd, indem daß sie denn nich wissen, ob sie unter dem gnedigsten Herrn Landdrosten oder dem Herrn Amtmann oder unter einem jungen Auditer stehn.«

Der Herr Presendent ging bei diesen meinen Worten auf un dal und schüttelte mit den Kopp. »Herr«, sagte er endlich, »Sie scheinen mich mit Ihren landesüblichen Zuständen sehr bekannt zu sein; aber das hilft uns nich; wir müssen hier eine Attestierung Ihrer Qualifikation haben. Wie heißt Ihre nächste Stadt? Und haben Sie darin keinen wohlhabenden Mann, der sich für Ihre Eigenschaften verbürgen kann?« – »Meine nächste Stadt«, sage ich, »is Bramborg, wird buchstafiert ›N-e-u-B-r-a-n-d-e-n-b-u-r-g‹. Mein bester Freund darin ist ein gewisser – und ich nenne den Namen –, ein alter Mitkollege von mir, der sich im zurückgezogenen ökonomischen Zustand mit Schriften befleißigt, indem daß er davon seine Nahrung sucht.«

Hören Sie mal, indem daß ich dies sage, springt dieser Presendent in der Höhe und ruft dem Herrn Rewerendarius zu: »Holen Sie mich mal die Personalakten von diesem Gewissen«, und dauert auch nichts – denn sie wissen hier allens und sie haben hier allens –, kommt der Herr Rewerendarius mit ein Paket Akten in die Tür hinein, und hinter ihm kommen noch zwei andere Unterrewerendariussen her und legen auch zwei auf den Tisch, und der Herr Presendent fragt mich: »Wissen Sie, daß dieser Gewisse gesessen hat?« – Und ich sage: »Ja«, sage ich, »denn er fängt seine Geschichten ümmer an: Als ich noch auf der Hausvogtei saß, oder: Als ich noch auf dem Sülwerberg studierte.« – »Wissen Sie auch, warum er gesessen hat?« – »Nein«, sage ich. – »Glaub's«, sagt er, »er wird es nicht jedermann auf die Nase binden; aber hier« – und damit zeigte er auf die Akten –, »hier steht's all drin, wie er schon in seinem neunzehnten Jahre in seiner natürlichen Boshaftigkeit so weit ging, den Anfang seiner Missetaten mit der Umstürzung der ganzen preußischen Monarchie und des deutschen Bundestages zu beginnen, indem daß er am hellen lichten Tage auf einer deutschen Universität mit den deutschen Farben umherging. Hier in diesen Akten steht's, wie er dafor zum Tode durch das Beil verurteilt, nachher aber mit einer dreißigjährigen Gefängnisstrafe beschenkt worden ist, von die er aber leider nur sieben Jahre gesessen hat und darauf zur Freude seiner Angehörigen als abschreckendes Beispiel in die Welt retuhr gestoßen worden ist. – Und einen solchen Menschen wollen Sie for sich zum Bürgen stellen?« – »Gott soll mich bewahren, Herr Presendent, nehmen Sie's nich übel, aber wie kann einer einem fünfzigjährigen Menschen es an der Nase ansehen, was er in seinem neunzehnten Jahre for Schauderhaftigkeiten begangen hat?« Und mich überschlich das beschämende Gefühl, wenn man sich vor einen Freund schämen muß.

»Ja«, sagt der Herr Presendent, »Sie müssen sich andere Bürgen versichern. Wissen Sie sonst keine?« – »Ja«, sag ich, »in Bramborg ist außerdem noch ein echter Hawanna-Zigarren-Importöhr und ein richtiger Musik-Kompositöhr, die mir die Echtheit und Richtigkeit bezeugen können; der eine heißt Fritzing Volkshagen und der andere Jöching Lehndorf.« – »Nu schweigen Sie rein still«, sagt der Presendent, »das sünd unsere brauchbaren Männer! Wollte Gott, wir hätten diese legitihmen, aufstrebenden Talente in unserm preußischen Staat! Die sünd uns sicher, und wir wollen Sie gleich an diese beiden telegrafieren.«

Na, währenddessen dies nun mit meinerseitigen entschiedenen Verdrießlichkeit vollzogen worden, kommt der berühmter Petschke in die Pohlizei hinein zu stehn und hat in jeder Hand einen Kerl beim Kragen. »Hier sünd sie!« sagt er: – »Welche sünd es?« fragt der Presendent. – »Der Ökonomiker mit die Stulpenstiewel is der besagte Pihmüller, und der Bundesbruder ist der vielfach bestrafte Zihmüller.« – »Na, das wußte ich schon«, sagte der Presendent – denn sie wissen hier allens – und stellte sich mit seine Stern, Kreuz, Kringel und Zwieback auf der hocherhobenen Heldenbrust grade wie ein neugegossenes Talglicht in der Höhe und fragte, als ob er ebenfalls zu Pferde gegossen auf den Ollen Fritzen sein Postament stünde, von oben herunter: »Korl Pihmüller, genannt Bohmöhler, kennst du mir und kennst du diesen hier vorstehenden Herrn Entspekter Bräsig?« – »Herr Presendent«, sagt er, »aus verschiedene Verhältnissen kenn ich Ihnen, und ich kenne auch den Herrn Entspekter Bräsig von dem Lama her in dem zotologischen Garten.« Und auch der andere Halunke war so gütig, mir zu kennen, un nu nenneten sie mir ümmer ümschichtig »lieber Kollege« und »lieber Bundesbruder« und »Bruder Bräsig«, was mir in Gegenwart von den Herrn Presendenten hellschen schanierlich war, indem daß er einen unredlichen Begriff von mir kriegen konnte.

Aber wo gung dieser Herr Presendent mit die beiden Spitzbuben um! Wie die Sau mit dem Bettelsack! – Ich habe all mein Lebtage keinen in Stulpenstiewel so heruntermachen gehört als diesen nachgemachten Entspekter Bohmöhler, mit Ausnahme von Knollen zu Rammelin seine Wirtschafter, wenn ihnen Knoll über die Landwirtschaft belehren tut.

Und nu der Bundesbruder! Dieser Krokodill griff wieder zu seine Tranen und stand da als Waddick un Weihdag', indem er bald mich und bald den Herrn Presendenten erbarmungswürdig ankuckte un dabei süfzte als ein Windaben, wo's Schott nich zugemacht is. Aber all seine Leidigkeit half ihn nichts, er sollte die Uhr rausgeben. – Die hätte er nich, sagte er. Und Bohmöhler sollte das Geld herausgeben. – Das hätte er auch nich, sagte er. Da stellte sich der Herr Presendent mitten in die Stube un wies mit der linken Hand auf die beiden kriminalischen Bösewichte und sagte ruhig: »Man führe ihnen ab.«


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