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Im Zeichen des Kreuzes.

(Fortsetzung.)

In einer mit allem erdenklichen Komfort ausgestatteten Zelle des Jesuitenklosters in Rom befand sich Doktor Malder, an jenem Abende, als wir die »Kreuzspinne« von der Jesusgasse mit dem eleganten, legitimistischen Marquis auf ihrem geheimnisvollen, unterirdischen Wege begleiteten.

Der kleine Raum war durch eine von der Decke herabhängende Ampel erleuchtet, deren matter Schein auf das Gesicht des an einem mit wohlgefüllten Schüsseln und Tellern bedeckten Tische sitzenden, jungen Mannes fiel und deutlich die Erregung, die in seinem Innern tobte, erkennen ließ. Die Speisen, die auf dem Tische standen, waren augenscheinlich unberührt. Nur dem Wein schien Doktor Malder zugesprochen zu haben. Ein halb gefülltes Glas stand vor ihm und er führte es von Zeit zu Zeit, doch scheinbar ohne selbst recht zu wissen, was er tat, an den Mund. Hin und wieder fuhr er sich mit der Hand über die hohe Stirn, als wolle er sich vergewissern, ob er sich in wachendem oder in träumendem Zustande befinde, und dieses Gefühl einer gewissen Verwirrtheit prägte sich auch in seinen die Wände der Zelle von Zeit zu Zeit mit starrem Ausdrucke messenden Augen aus.

Doktor Malder hatte in der Tat allen Grund, über seine gegenwärtige Lage auf das Äußerste erstaunt und betroffen zu sein. Seine Gedanken schweiften zurück und er versuchte es, sich noch einmal die Ereignisse der jüngst verflossenen Stunden in Erinnerung zu bringen.

Entsprechend den Instruktionen, die er von den oberen der geheimen Gesellschaft, der er angehörte, empfangen hatte, war er noch in derselben Nacht, in welcher jener mazzinistische »Caucus« auf der Strada di Giovanni stattgefunden, nach Rom abgereist. Bei seiner Ankunft sah er auf dem Bahnhofe nach einem Wagen aus, um nach dem Hotel, welches er für gewöhnlich während seines Aufenthaltes in Rom benutzte, zu fahren und der lang entbehrten Ruhe zu pflegen.

Ein Individuum von leidlich respektablem Aussehen drängte sich ihm auf, beflissen, ihm die kleine Reisetasche, die er in der Hand hielt, abzunehmen und ihm unter einem Schwall höflicher Redensarten versichernd, daß er ihm mit rapider Geschwindigkeit einen Wagen verschaffen werde. Der Andrang der angekommenen Passagiere war ziemlich groß, und so zögerte Doktor Malder nicht lange, das Anerbieten des Unbekannten, welches übrigens in seiner Art durchaus nichts Ungewöhnliches hatte, zu akzeptieren. Der Mann eilte dienstfertig voran und alsbald standen sie vor einem gewöhnlichen, zweispännigen Mietwagen, welcher fest verschlossen war. Dieser Umstand konnte Doktor Malder um so weniger auffallen, als der durchdringende Septemberregen, welcher Rom an diesem Morgen beglückte, das Fahren in einer offenen Equipage nahezu zur Unmöglichkeit machte.

So drückte denn Malder dem gefälligen Kommissionär einen Lire in die Hand, stieg, nachdem er dem Kutscher das Hotel genannt, in dem er abzusteigen gedachte, in den Wagen, und lehnte sich, übernächtig und von den mannigfachen, aufregenden Eindrücken der letzten Tage erschöpft und abgespannt, in seinen Sitz zurück. Er konnte demzufolge ebensowenig den raschen Blick des Einverständnisses bemerken, welchen der Kutscher mit dem Kommissionär wechselte, wie es ihm auffiel, daß der erstere seine Pferde alsbald zu einer für gewöhnliche Mietgäule ungewöhnlichen Geschwindigkeit antrieb. Es dauerte eine geraume Weile, ehe er, aus seinem Sinnen auffahrend, veranlaßt durch das plötzlich auffällig verlangsamte Fahrtempo des Wagens, einen Blick aus dem Fenster auf die Umgebung warf, in der er sich augenblicklich befand.

Doktor Malder kannte Rom gut genug, um sofort zu erkennen, daß er sich in einer Gegend befand, welche unmöglich in der Nähe seines Bestimmungsortes liegen konnte. Nichtsdestoweniger war es ihm momentan unmöglich, festzustellen, welcher Teil der »ewigen Stadt« es war, in welchen sein würdiger Rosselenker ihn transportiert. Mit Blitzesschnelle durchfuhr ihn der Gedanke an irgendeine zugrunde liegende Spitzbüberei. Er griff in die Tasche seines Überrockes, um sich seines Revolvers, den er stets bei sich führte, zu versichern. Er war verschwunden. Zugleich entdeckte er zu seiner Bestürzung, daß er in der Eile des Einsteigens nicht bemerkt hatte, daß der angebliche Kofferträger oder Kommissionär seine Reisetasche, statt sie in das Innere des Wagens zu stellen, dem Kutscher auf seinen Sitz hinauf gereicht hatte. Es ward ihm sofort klar, daß er in schlimme Hände gefallen war. Er tastete nach den Türgriffen, um den Wagen zu öffnen und, um wenigstens das nackte Leben zu retten, ins Freie zu springen. Zu seinem Schrecken mußte er finden, daß sich im Innern des Wagens keine Türgriffe befanden, er also so gut wie gefangen war. Eilig riß er ein Fenster auf und beugte sich hinaus, um womöglich den Wagen von außen zu öffnen. Zugleich schweifte sein Blick über seine Umgebung. Er sah in der Eile nur, wie ein anderer, gleichfalls verschlossener Wagen dem seinigen so nahe folgte, daß in diesem Moment die Köpfe der demselben vorgespannten Pferde fast die Rückwand seines Wagens berührten. Doch er sollte keine Zeit haben, weiter über diese auffällige Entdeckung nachzudenken. In demselben Moment, als er den Kopf zum Fenster hinaussteckte, blieben beide Wagen stehen. Ehe Doktor Malder nur Zeit hatte, seine Hand nach dem Außengriffe auszustrecken, merkte er, wie die andere Türe seines Wagens aufgerissen ward. Zwei Paar kräftiger Arme ergriffen ihn, rissen ihn vom Fenster weg, drückten ihn in den Fond zurück, banden ihm die Arme auf dem Rücken zusammen, ein Tuch ihm um die Augen und stopften ihm ein anderes Tuch fest in den Mund.

Der ganze Vorgang spielte sich so blitzschnell ab, daß der Überfallene nicht Zeit hatte, auch nur den leisesten Laut auszustoßen. Hilflos lag er in seinen Sitz zurückgelehnt, mühsam nach Atem ringend und in dem festen Glauben, jeden Augenblick den todbringenden Stahl zwischen seinen Rippen zu fühlen.

Doch dieser gefürchtete Umstand trat zu seiner Verwunderung nicht ein. Er hörte, wie einer der Banditen, für solche mußte er seine Angreifer naturgemäß halten, dem andern in hastigem Tone zurief: avanti, avanti! und es schien ihm, als ob, nachdem der Wagen sich wieder in raschem Tempo in Bewegung gesetzt hatte, der eine der Unbekannten an seiner Seite, der andere ihm gegenüber Platz nahm.

»Verhalten Sie sich ganz ruhig, Signor!« raunte ihm darauf eine Stimme eindringlich ins Ohr. »Es geschieht Ihnen kein Leid, wenn Sie sich stillschweigend in die Sache fügen. Doch wenn Sie die geringsten Umstände machen, dann –«

Schaudernd fühlte der Doktor, wie bei diesen Worten sich der kalte Stahl einer Pistolenmündung an seine Stirn drückte. Er suchte durch heftige Bewegungen mit dem Kopfe dem Banditen deutlich zu machen, daß der Knebel in seinem Munde ihm das Atmen nahezu unmöglich mache. Man schien ihn zu verstehen, denn dieselbe Stimme fragte ihn:

»Werden Sie vollständig ruhig sein?«

Der Gefesselte nickte mit dem Kopfe.

Alsbald fühlte er, wie der Knebel ihm aus dem Munde entfernt wurde und sich gleichzeitig die Mündung der Pistole wieder gegen seine Stirn preßte. Er atmete tief auf, doch hütete er sich wohl, zu sprechen. Seine Augen blieben verbunden und seine Arme gefesselt.

Während der Wagen rasch dahinrollte, glaubte Doktor Malder deutlich ein eifriges Flüstern seiner unfreiwilligen Begleiter zu hören. Dann fragte der eine laut:

»Beantworten Sie jetzt rasch und leise eine Frage. Aber hüten Sie sich wohl, ein überflüssiges Wort zu sprechen!«

Wiederum fühlte der Gefesselte den kalten Stahl an der Stirn.

»Sagen Sie einfach ja, oder nein! Glauben Sie in Händen von Briganten oder Lazzaroni zu sein?«

»Ja!« lautete die Antwort.

» Ebbene, – so irren Sie sich. Wir haben es weder auf Ihr Geld noch auf Ihr Leben abgesehen!«

Der Doktor machte eine Bewegung des Zweifels.

»Sie sind Doktor Maldieri.«

»So nennt man mich.«

»Sie kommen von Turin und waren gestern abend in einem Hause der Strada di Giovanni.«

Aufs höchste erstaunt, nickte Malder mit dem Kopfe, kaum fähig, in seiner Bewirrung ein Wort zu äußern.

»Gut. Sie sehen also, daß wir trefflich instruiert sind und daß Sie es nicht mit gewöhnlichen Wegelagerern und Räubern zu tun haben. Ich wiederhole, daß Ihnen persönlich nichts zuleide geschehen wird und daß Ihre Gefangennahme mit ganz anderen Verhältnissen, die Ihnen alsbald klar werden sollen, in Verbindung steht. Werden Sie sich ruhig und unbedingt in unsere Wünsche fügen, nachdem ich Ihnen diese Versicherung gegeben habe?«

Doktor Malder, der zwar einigermaßen die Besorgnis für seine persönliche Sicherheit verloren hatte – es lag nichts von dem Wesen eines Straßenräubers in der bestimmten, aber höflichen Sprache des Unbekannten – ward trotzdem durch diese Erklärung noch mehr verwirrt. In der Tat war dieselbe durchaus geeignet, diese unerwarteten und sonderbaren Vorgänge in immer rätselhafterem Lichte erscheinen zu lassen.

Er zuckte mit den Achseln und erwiderte mit einer gewissen Bitterkeit:

»Weshalb fragen Sie noch? Sie sehen, daß ich hilflos bin.«

»Gut. So legen Sie den Kopf etwas zurück und lehnen Sie sich an die Hinterwand.«

Diese Aufforderung ward übrigens durch einen kräftigen Druck unterstützt, so daß Malder derselben wohl oder übel nachkommen mußte. Einen Moment darauf fühlte er, wie ihm ein Taschentuch vor Nase und Mund gepreßt wurde. Ein widriger, süßlicher Geruch verbreitete sich um ihn. Er wollte entsetzt auffahren, doch kräftige Hände drückten ihn auf seinen Sitz zurück.

»Ruhig, ruhig, Signor!« rief dieselbe Stimme. »Denken Sie an meine Erklärung und an Ihr Versprechen. Diese Prozedur ist nötig und Sie müssen sich darein fügen. Im übrigen wissen Sie als Arzt, daß Sie dabei für Ihr Leben nichts zu befürchten haben.«

Der Arzt hatte in der Tat sofort erkannt, daß man dabei war, ihn mit Chloroform zu betäuben. Unwillkürlich bäumte er sich dagegen auf, doch die Dosis, welche er notgedrungen einatmen mußte, war stark genug, um ihm sehr bald jeden Widerstand unmöglich zu machen. Ein Klingen und Sausen in seinen Ohren, – das wie in weiter Ferne verhallende Geräusch rollender Räder, – Flüsterstimmen, – das Gefühl des Rüttelns und Schüttelns vermischte sich mit jenem sonderbaren Summen in seinem Hirn, – die Gegenwart entrückte sich ihm allmählich – Nacht hüllte seine Sinne ein.

Der nächste Eindruck, den er empfand, war der Lichtschein einer Lampe, welcher ihm in das Gesicht fiel und ihn nötigte, sich mit der Hand über die geblendeten Augen zu fahren. Er sah sich um – halb träumend, halb wachend. Die Glieder schienen ihm wie mit Blei gefüllt, und als er den schweren, schmerzenden Kopf erhob, sah er die Lampe, deren Licht ihn soeben geblendet, dicht über seinem Haupte schweben. Er lag auf einem weichen Bett, in derselben Kleidung, die er an dem Morgen seiner Ankunft in Rom getragen, und seine Blicke, welche erstaunt im Kreise herumschweiften, belehrten ihn, daß er in einem zwar engen, aber mit einem gewissen Komfort ausgestatteten Raume sich befand, in welchem er trotz allen Suchens nichts entdecken konnte, was irgendwie einer Türe oder einem Fenster ähnelte. Die Wände waren mit feinen Tapeten bedeckt, auf dem Fußboden lag ein weicher Teppich und in der Mitte des Raumes befand sich ein gedeckter Tisch, auf dem kalte Speisen, eine Flasche Wein und ein Glas standen.

Es kostete Doktor Malder die größte Mühe, seine Gedanken zu sammeln und sich klar zu machen, auf welche Art er in diese unerklärliche Lage gekommen. Seine wandernden Gedanken auf diesen einen Punkt zu konzentrieren war keine leichte Aufgabe, denn er war von der Einwirkung des Anästhetikums noch so betäubt und vermeinte so deutlich die ihn umgebende Atmosphäre mit Chloroformdünsten geschwängert, daß Willens- und Gedächtniskraft beträchtlich darunter litten.

Wie lange er in dem Zustande vollständiger Bewußtlosigkeit zugebracht, davon hatte er keine Ahnung. Er hatte auch keinen Maßstab für die seit seiner Gefangennahme verflossene Zeit, da, wie schon bemerkt, nicht ein Strahl von Tageslicht in den durch die Ampel erhellten Raum fiel, und er daher nicht wußte, ob es Tag oder Nacht sei.

Von den auf dem Tische stehenden Speisen berührte er nichts. Er hatte begreiflicherweise, unter dem Drucke der seelischen Erregung, kein Bedürfnis zu essen. Hingegen zwang ihn der brennende Durst, von Zeit zu Zeit hastig einen Schluck von dem kräftigen Weine zu nehmen, welcher neben den Speisen auf dem Tische stand. Wohl hatte im ersten Augenblick seine Hand gezögert, als sie sich nach der Flasche ausstreckte. Gab es nicht noch andere, intensiver wirkender Mittelchen, als Chloroform, um eine nötigenfalls bis zum jüngsten Tag währende – Bewußtlosigkeit hervorzurufen, wohlgeeignet, um unbequemen Persönlichkeiten für immer die Lippen zu schließen? – – Doch nein; eine kurze Überlegung genügte, um Doktor Malder zu der Überzeugung zu bringen, daß seine Gefangennahme mit Motiven in Verbindung stand, welche mit einfachen Banditen- und Mörderstreichen nichts zu tun hatten. Die ganzen, damit zusammenhängenden Umstände wiesen deutlich genug darauf hin. Und so besiegte er denn die Befürchtung, daß man ihn vergiften wolle.

Die einzige Abwechslung, die sich im Laufe mehrerer Stunden dem einsamen Gefangenen darbot, war eine nicht minder mysteriöse, als die ganze Gefangenschaft selbst. Sein Nachsinnen wurde nämlich einmal durch ein Geräusch an der Decke unterbrochen. Eine kleine Falltüre öffnete sich und eine Stimme rief in den Raum herunter:

»Haben Sie irgendwelche Wünsche, Signor?«

Der Ton einer menschlichen Stimme regte einigermaßen die Lebensgeister des Doktors an.

»Ich wünsche zu wissen, wo ich mich befinde und wem ich diese freche Beraubung meiner Freiheit zu verdanken habe!«

» Mi dispiace, Signore, Es tut mir leid. das ist nicht meine Sache und ich kann Ihnen hierauf keine Antwort geben!« lautete die Antwort. »Es soll Ihnen an nichts mangeln; bitte, befehlen Sie.«

»Ich brauche nichts!« entgegnete Doktor Malder. »Doch wozu dieser geheimnisvolle Mummenschanz? Leben wir denn in dem sechzehnten Jahrhundert? Weshalb sagen Sie mir nicht, was Sie von mir wollen? Den Grund der Gefangenschaft zu wissen, ist doch das Mindeste, was jeder Gefangene verlangen kann!«

»Es ist nicht meine Schuld,« erwiderte mit gleichgültigem Ton der Unsichtbare, »und ich wiederhole Ihnen, Signor, daß ich Ihnen über diesen Punkt durchaus nichts zu sagen habe. Hinter mir stehen Höhere und Mächtigere, deren Willen ich einfach gehorchen muß.«

Während dieser Worte bewegte sich die Falltüre – ein Zeichen, daß der Unsichtbare die Unterredung für beendet ansah.

»Halt!« rief Doktor Malder sich erhebend. »Halt, noch ein Wort. Wer Sie auch sein mögen, vielleicht geben Sie doch der Stimme der Menschlichkeit Gehör. Können Sie mir wenigstens sagen, ob ich noch lange in dieser quälenden Ungewißheit über meine Lage zu verharren haben werde?«

»Sie werden bald weiteres hören, denke ich. Und nun addio, Signor, seien Sie guten Mutes. Ich komme in einiger Zeit wieder, um nach Ihren Wünschen zu fragen.«

Die Falltüre schloß sich nach diesen Trostworten der »geheimnisvollen Stimme von oben«, und Doktor Malder hatte volle Muße, aufs neue in sein dumpfes Brüten zu versinken.

So eilten die Stunden dahin, für den Einsamen sich zu Ewigkeiten ausdehnend. Wieviel Zeit verfloß, das vermochte der Gefangene selbst kaum zu berechnen. Schon begann er die Hoffnung auf baldige Erklärung dieses unbegreiflichen Vorganges aufzugeben, als ein sonderbarer Laut, wie von dem Zurückschnellen einer Feder herrührend, gefolgt von einem rollenden Geräusch, ihn aus seinem Sinnen aufschreckte. Zu seinem maßlosen Erstaunen öffnete sich in der seinem Tische gegenüberstehenden Wand eine Tapetentüre, von welcher vorher auch nicht eine Spur zu sehen gewesen war, und die hohe, schlanke Gestalt eines Mannes in langem, schwarzem Vollbarte, eingehüllt in einen weiten Mantel, stand vor ihm.

Unwillkürlich hatte sich Doktor Malder erhoben. Er konnte sich, angesichts der vermutlich nahen Lösung des Rätsels, eines Gefühles der Spannung und Neugier nicht erwehren. Der Unbekannte begrüßte den Arzt mit einem leichten, aber höflichen Kopfnicken, welches Malder unerwidert ließ.

Ein rascher Blick des geheimnisvollen Gastes streifte den Tisch.

»Ich hoffe, daß man es Ihnen an nichts hat fehlen lassen, Herr Doktor,« sagte er im reinsten, vollständig dialektfreien Deutsch. »Haben Sie über irgend etwas Klage zu führen, so sprechen Sie, denn ich habe die Ehre, Ihr Wirt zu sein.«

Mit diesen Worten warf er ungeniert den Mantel und den breiten Schlapphut auf das Bett des Doktors und ließ sich auf demselben nieder, seinen »Gast« mit einer höflichen Handbewegung einladend, auf dem einzigen, in dem Raum befindlichen Stuhle Platz zu nehmen.

Obgleich diese Worte in ernstestem und von jeder spöttischen Beimischung freiem Tone gesprochen wurden, so übten sie doch auf Doktor Malder unter den gegenwärtigen Umständen die Wirkung des herausfordernsten Hohnes aus.

Ohne der Aufforderung, sich zu setzen, Folge zu geben, maß er den Unbekannten mit funkelnden Augen und rief mit mühsam unterdrücktem Zorne:

»Wenn Sie der Hauptmann der Räuberbande sind, mein Herr, die mich, wehrlos wie ich war, auf offener Straße angegriffen, betäubt und hierhergeschleppt hat, so zeigen Sie wenigstens etwas von der sprichwörtlichen Noblesse Ihrer Zunftgenossen dadurch, daß Sie mit einem waffenlosen Gefangenen nicht noch frechen Spott treiben! Doppelte Schande über Sie, wenn Sie, wie ich Ihrer Sprache nach zu urteilen geneigt bin, ein Deutscher, ein Landsmann von mir sind!«

In dem Gesichte des Fremden zeigte sich nicht die geringste Veränderung. Er zuckte nur mit den Achseln, indem er sagte:

»Sie irren sich. Ich bin weder ein Räuberhauptmann, noch bin ich ein Deutscher, wenngleich ich lange genug in Ihrem Vaterlande gelebt habe, um mir das Sprachidiom desselben vollkommen gut anzueignen. Die Motive dieses anscheinenden Brigantenstreiches werden Ihnen alsbald klar werden.«

»So sagen Sie mir, wo ich mich befinde!« rief der Doktor ungestüm. »Sagen Sie mir, wer Sie sind und was Sie berechtigt – –«

»Verzeihen Sie! Einen Augenblick Geduld, und Sie werden alles begreifen!« unterbrach ihn der Fremde, in welchem der Leser unzweifelhaft den wohlvermummten Pater Mariano erkannt haben wird. »Ihre Festnahme war eine Notwendigkeit, eine jener harten, aber eisernen und unabwendbaren Konsequenzen, welche das politische Leben hinter den Kulissen mit sich bringt,« fügte er mit fester Stimme, jedes einzelne Wort nachdrücklich betonend, hinzu.

Doktor Malder blickte ihn nicht ohne Erstaunen an. Der Gedanke an politische Motive hatte ihm ferngelegen.

»Das sind Worte, leere Worte!« sagte er nach einer kurzen Pause, mit verächtlichem Ausdrucke. »Es gibt in der Politik keinerlei Motive, am allerwenigsten zur Zeit des vollkommensten Friedens, welche irgend jemand berechtigen, in dieser Weise über die Freiheit und Sicherheit einer andern Person zu verfügen.«

»Wir leben aber nicht in einer Zeit vollkommenen Friedens. Es gibt auch einen Krieg, der ohne Säbelrasseln und Pulverdampf ausgefochten wird, und auf dem Boden des Landes, in welchem Sie sich gegenwärtig befinden, tobt dieser Krieg heftiger, denn je zuvor, als Vorspiel des allgemein sichtbaren Kampfes, ohne welchen die blinde, urteilslose Menge stets Frieden zu sehen glaubt. Oder brachte Sie eine friedliche Mission nach Rom?«

Doktor Malder biß sich auf die Lippen. Er schwankte zwischen tiefer Entrüstung und einem unerklärlichen Gefühle, welches ihm sagte, daß hinter den Worten des Unbekannten mehr verborgen sei, als er für den Augenblick zu ergründen vermochte.

»Ich könnte, selbst wenn mich irgendeine Mission, wie Sie sich auszudrücken belieben, nach Rom geführt hätte, durchaus keine Veranlassung sehen, Ihnen darüber Rechenschaft abzulegen!« entgegnete er trotzig.

Der andere schien sich durch das abstoßende Wesen des Deutschen nicht im mindesten verletzt zu fühlen. Weder ein Lächeln, gegenüber dem ohnmächtigen Zorne seines Gefangenen, noch Erregung über die mehr als unhöfliche Sprache des Arztes, vermochte ihn aus seiner stoischen Ruhe zu bringen.

»Um auf den geheimen Krieg zurückzukommen, der Italien unter der Oberfläche des öffentlichen Lebens durchwühlt: Sie wissen, daß derselbe existiert, und mit demselben steht auch der Vorgang in Verbindung, der – ich finde das vollständig begreiflich – Ihnen in so brigantenmäßigem Lichte erscheint. Sie kennen den Gemeinplatz: à la guerre, comme à la guerre!«

»Ich erkläre ausdrücklich, daß ich Sie nicht verstehe!« erwiderte Doktor Malder, dessen Erregung durch die unbeugsame Ruhe des andern naturgemäß noch erhöht wurde. »Und ich erinnere Sie daran, daß Sie immer noch nicht Ihrer ersten und naheliegendsten Pflicht genügt haben, mir zu sagen, wer Sie sind und wie Sie dazu kommen, mich zu dem zweifelhaften Vergnügen zu zwingen, Ihre Gesellschaft zu genießen!«

»Ich gebe Ihnen darauf zurück,« entgegnete Pater Mariano mit derselben Gelassenheit, wie bisher, »daß Sie auch meiner Frage über Ihre Mission hier in Rom ausgewichen sind –«

»Wozu ich das vollste Recht zu haben glaube!«

»Sie glauben, ebbene, – aber Sie irren sich in diesem Glauben! Wenn ich nicht weiter in Sie dringe, so geschieht dies nur, weil diese meine Frage im Grunde genommen ganz überflüssig ist. Ich bin über Ihre Mission, wie über jeden Ihrer Schritte überhaupt in völlig zureichender Weise instruiert, Doktor Malder.«

Der Arzt zuckte verächtlich mit den Achseln.

»Brigantentum und Spionenwesen sind Kinder einer Mutter!« sagte er kurz.

»Würden Sie vielleicht geneigt sein,« erwiderte der verkappte Jesuit, »meine vermeintliche Spionage in einem andern Lichte zu betrachten, wenn ich Ihnen auf den Kopf zu erkläre, daß Sie selbst einer der eifrigsten Streiter in diesem stillen Kriege politischer Mineure sind, dessen Existenz Sie so hartnäckig abzuleugnen belieben; wenn ich ferner – nur andeutungsweise hinzufüge, daß auch Lämmer unter Umständen sich veranlaßt fühlen können, sich gegen die Gefräßigkeit des Wolfes aufzulehnen, und daß es auch ein Krieg genannt zu werden verdient, wenn die Jäger sich zusammentun, um den Wald vom Wolfe zu säubern?

Der Pater hatte diese Worte mit einer ganz besonderen Betonung gesprochen und hatte sich gleichzeitig von seinem Sitze erhoben, dem Arzte einige Schritte näher tretend. Die Wirkung der Worte auf den letzteren war eine bemerkenswerte. Der Ausdruck des finsteren Trotzes und des Zornes in seinem Gesichte machte der Miene der höchsten Überraschung Platz. Er maß den vor ihm Stehenden von oben bis unten und schien sich Mühe zu geben, seine innersten Gedanken zu lesen. Offenbar war seine Musterung nicht ganz frei von Mißtrauen.

»Sie waren Carbonari?« fragte er nach einer Pause. »Oder –«

Pater Mariano unterbrach ihn, indem er seine Hand in eigentümlicher Weise gegen ihn ausstreckte.

»Hinter Ihrem ›Oder‹ lauert das Mißtrauen,« sagte er gelassen. »Vielleicht – wirkt dies Zeichen auf Sie ein!«

Doktor Malder gab sich keine Mühe mehr, sein Erstaunen zu verbergen. Er hatte sich auf seinen Sessel niedergelassen und strich sich mit der Hand über die Stirn.

»Ich gestehe Ihnen offen, daß mir diese Entdeckung den Vorfall in immer rätselhafterem Lichte erscheinen läßt. Der Bund der Carbonari, dem auch ich, – ich will das durchaus nicht leugnen – kurze Zeit angehört habe, ist erloschen, und dennoch –«

»Dennoch,« ergänzte der Jesuit, »leben die Ideen, von welchen er getragen ward, im italienischen Volke kräftig fort. Sie haben sich geteilt, sind, kleinen Bächen vergleichbar, in diesen und jenen Fluß geströmt, um sich schließlich im großen Ozean der allgemeinen revolutionären Propaganda wieder zu vereinigen.«

Mit diesen Worten zog Pater Mariano aus der Brusttasche seines schwarzen Leibrockes eine kleine, polierte Ebenholztafel, auf welche ein silberner Zypressenzweig genietet war, und hielt dieselbe Doktor Malder vor die Augen, indem er sagte:

»Ich glaube, es ist nicht sehr lange her, daß Sie Ihre Augen auf diesem oder doch dem gleichen Gegenstande haben ruhen lassen.«

Der finstere Zug aus dem Gesicht des Arztes war nunmehr verschwunden. Er hatte sich wiederum erhoben und sagte in höflicherem Tone zwar, als zuvor, doch immer noch mit einer gewissen kalten Zurückhaltung:

»Ich sehe allerdings, indem Sie sich mir gegenüber als ein Wissender vom höheren Grade legitimieren, daß mein Verdacht, bezüglich meiner Gefangenschaft, eine falsche Richtung genommen hatte. Sie haben Macht über mich und – daß Sie von derselben ausgiebigen Gebrauch zu machen verstehen, lehrt meine gegenwärtige Lage. Eine Erklärung derselben darf ich doch jedenfalls erwarten.«

»Zweifellos,« entgegnete der Jesuit, »und eine vollständig deutliche. Haben Sie die Güte, mir nur eine Frage zu beantworten. Sie, Propagandist im allgemeinen, was hat Sie speziell in die Mazzinistische Richtung hineingetrieben, da Sie doch nicht Italiener von Geburt sind?«

Der Gefragte blickte einen Augenblick, wie mit sich zu Rate gehend, zu Boden, während das Auge des Jesuiten forschend auf ihm ruhte.

»Fragen Sie mich dies in Ihrer Eigenschaft als ein höher stehendes Mitglied unseres Bundes?« sagte Doktor Malder endlich.

»Wenn Sie davon die Beantwortung oder Nichtbeantwortung meiner Frage abhängig machen, – nun denn, ja!«

»So antworte ich Ihnen, daß ich mich der italienischen Revolutionspartei angeschlossen, weil diese gegen die römische Kirche kämpft!«

Ein sonderbarer, halb triumphierender, halb boshafter Blick schoß blitzartig auf die hochaufgerichtete Gestalt des Arztes hinüber. Doch rasch nahm die Miene des Priesters wieder die bisherige, starre Ruhe an.

Er nickte mit dem Kopfe, als sei er über die ihm gegebene Antwort sehr befriedigt, und sagte mit flüchtigem Lächeln:

»Also fanatischer Atheismus oder orthodoxer Protestantismus?«

»Dieser Schluß ist falsch!« erwiderte der Doktor. »Mögen meine Ansichten über die Gottheit und den Gottheitskultus sein, welche sie wollen, ich habe mit keinem Worte gesagt, daß ich ein Feind der Religion bin. Die Kirche, der ich den Kampf geschworen, hat mit der Religion so wenig zu tun, wie ein Agent der politischen Polizei mit Patriotismus. Protestantismus und Katholizismus gelten mir gleich. Auch den geistlichen Vertretern dieser Konfessionen an sich bin ich nicht feind. Mein Haß, mein glühender und unauslöschlicher Haß gilt der falschen Kirche und den falschen Pfaffen, den Wölfen im Schafspelze, die, im innersten Herzen die krassesten Verächter der Religion, diese zum Deckmantel der gemeinsten materiellen, pekuniären oder politischen Interessen gebrauchen, die, auf die Dummheit und blinde Vertrauensseligkeit des niederen Volkes bauend, sich dasselbe zum Werkzeuge für ihre Pläne maßloser Herrschsucht machen. Ich hasse nicht die Religion, nicht den überzeugungstreuen Priester oder Pfarrer, ich hasse diese sogenannte Kirche, ich hasse diese Pfaffen, – diese Jesuiten! Und hier in Italien ist der Brutherd für ihre verderblichen Agitationen. Dieses schöne Land hat, wie kein anderes, unter dem Einflusse dieses Krebsschadens zu leiden, der immer und immer wieder die Hoffnung auf nationale Einheit und Größe zu zernagen und zu zerfressen versucht. Hier muß und wird der erste Schlag gegen die weltliche Macht des Papsttums geschehen, und – ich wünschte nicht, daß meine Hand fehle, wenn es gilt, dieses verrottete, mittelalterliche Gebäude zu zertrümmern!«

Man konnte es dem Sprechenden leicht ansehen, daß schwerwiegende, innere Motive, nicht bloß freigeistige Prinzipienreiterei diesem flammenden Hasse zugrunde lagen. Es war in der Tat eine an Fanatismus grenzende Begeisterung, die ihm, während er obige Worte sprach, aus den Augen leuchtete.

Der Jesuit, der ihn mit fest zusammengepreßten Lippen unverwandt betrachtete, schien dies wohl herauszufühlen. Er nickte, nachdem Doktor Malder geendet, mehrmals, wie zustimmend, mit dem Kopfe und sagte:

»Ich sehe, daß aus Ihnen ein ungewöhnlicher Haß spricht. Wir verfolgen alle ja den gleichen Zweck, und unsere Ansichten müssen sich daher naturgemäß begegnen. Allein ich glaube zu sehen, daß bei Ihnen noch tief einschneidende Motive persönlicher Natur im Spiele sind.«

Ein finsterer Schatten legte sich auf das ausdrucksvolle Gesicht des Arztes.

»Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben. Doch – entschuldigen Sie mich – es sind eben, wie Sie selbst sagen, persönliche Motive; Beweggründe, welche mit rein privaten Angelegenheiten in Verbindung stehen, deren Kenntnis Sie, selbst wenn ich mich veranlaßt fühlte, Ihnen dieselben aufzudecken, nicht einmal interessieren würde. Möge es Ihnen genügen, zu wissen, daß, obwohl ich Protestant bin, meine gesamten Angehörigen: Mutter und jüngere Geschwister, Katholiken sind oder – waren. Der dämonische Einfluß eines Jesuitenpaters ließ meine Mutter, arm und hilflos wie sie war, als sie jenseits des Ozeans, in dem sogenannten Lande der Gewissensfreiheit, auf dem Sterbebette lag, während ich in Deutschland meinen Studien unter schweren Lebenssorgen oblag, in den Schoß der – alleinseligmachenden Kirche, mitsamt meinen Geschwistern eintreten. Meine jugendlich-schöne Schwester vertrauert als Nonne ihr Leben; ersparen Sie es mir, Ihnen den Weg zu nennen, auf welchem sie ins Kloster gegangen, noch die Personen zu bezeichnen, welche sie auf jenen Weg getrieben. Fluch ihnen für alle Ewigkeit, tausendfältiger Fluch!«

Der Arzt ballte in Erregung die Faust und aus seinen Augen sprühten so beredt die Flammen glühenden Hasses, daß selbst der auf Komödien aller Art trefflich, eingedrillte Jesuit auf einen Augenblick aus der Rolle fiel und, vor der Leidenschaftlichkeit seines Gefangenen erschreckt, unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

Doktor Malder war zu aufgeregt, um diese Veränderung in der Miene des andern zu bemerken, und so hatte denn der Priester Zeit genug, die Maske unerschütterlicher Ruhe, die zu seiner etwas gefährlichen Rolle gehörte, wieder anzunehmen.

»Mein jüngerer Bruder, der einzige, den ich besaß,« fuhr Malder, nachdem er sich von seiner Erregung erholt, mit kaltem und hartem Tone fort, als hielte er einem Delinquenten sein Sündenregister vor, – »mein jüngerer Bruder ward von den frommen, würdigen Beratern meiner Mutter in ein Jesuitenkolleg gepreßt. Die edlen Menschenfreunde malten ihm seine irdische und himmlische Zukunft in rosigen Farben. Der geistige Zwang, dem er unterworfen ward, umnachtete seinen gesunden Verstand. – – Man fand ihn eines Morgens mit durchschnittener Kehle in seinem Bett liegen. – – – Es sind nur Andeutungen, welche ich Ihnen gegeben habe, indessen, ich darf wohl annehmen, daß sie Ihnen genügen werden, um Ihnen meine Gefühle, gegenüber dieser Art von Vertretern der Religion, verständlich erscheinen zu lassen.«

Der Jesuit nickte mit dem Kopfe.

»Es bestätigt meine Vermutungen. Ich bin Ihnen übrigens für Ihre Offenheit verbunden und will sie mit gleicher Münze vergelten. Sie sind verdächtigt worden.«

Doktor Malder blickte überrascht auf.

»Verdächtigt?« fragte er. »Von wem?«

»Von andern Mitgliedern unseres Bundes. Sie kennen die Strenge unserer Institutionen. Ich muß Ihnen erklären, daß Ihre gegenwärtige Lage mit diesen Verdächtigungen in direktester Verbindung steht.«

»Diese Erklärung macht mir die Sache rätselhafter, statt klarer. Ich bin mir nicht eines einzigen Schrittes bewußt, welcher den Interessen der Sache, der ich gegenwärtig, und zwar aus voller Überzeugung, diene, im entferntesten zuwiderlaufen.«

Der jesuitische Wolf im mazzinistischen Schafskleide zuckte mit den Achseln.

»Ich bin sehr geneigt, zu glauben, daß Sie recht haben, und daß der gegen Sie ausgesprochene Verdacht ein völlig grundloser ist. Ihre Animosität gegen unsere gemeinsame Feindin, die Kirche« – der Priester konnte sich nicht enthalten, eine leichte Nuance von Ironie in den Ton zu legen, mit welchem er die letzten Worte sprach – »Ihre Animosität gegen unsere gemeinsame Feindin, die Kirche, ist eine ungeheuchelte, das konnte ich aus Ihrer Darstellung wohl sehen. Trotzdem zwang mich die Vorsicht, auf Grund der mir gemachten Mitteilungen, so zu handeln, wie ich gehandelt habe. – Wie erklären Sie, gegenüber Ihren sonstigen Prinzipien, eine gewisse Intimität mit dem Pater Theiner?«

Diese Frage kam sehr plötzlich; der Priester schoß sie gewissermaßen hinaus wie einen scharfen Pfeil, und sie schien Doktor Malder etwas zu verwirren.

»Pater Theiner ist mein Landsmann,« sagte er nach einer kurzen Pause offenbarer Verlegenheit. »Das ist ein Moment, welches die Spione, die mir auf den Fersen folgten, scheinbar außer acht gelassen haben. Ich kann die Pfaffen als Klasse hassen, ohne jede Person unter denselben hassen zu müssen.«

»Wollen Sie mich entschuldigen, Dottore,« entgegnete der Jesuit mit feinem Lächeln, »wenn ich bescheidene Zweifel dagegen ausspreche, daß ein Gefühl landsmannschaftlicher Sympathie Sie zu Pater Theiner hingezogen hat.«

»Nun denn,« rief der Doktor etwas gereizt, »wenn Ihre Zweifel begründet wären, was dann? Gäbe es nicht andere Motive, rein privater Natur, die mich zu gelegentlichen Konferenzen mit dem Pater veranlassen könnten, die aber dabei mit meinen Pflichten als Mitglied einer revolutionären und speziell anti-klerikalen Partei vollständig Hand in Hand gingen. Ich sollte meinen, daß es in unserem Bunde nicht zu den Ungewöhnlichkeiten gehörte, zur Erreichung eines bestimmten Zweckes Komödie zu spielen. Wie, wenn ich Pater Theiner gegenüber eine solche falsche Rolle spielte?!«

»Wie, wenn Sie sich hinter den Einfluß Pater Theiners steckten, um eine Audienz beim Papste zu erwirken?« warf der verkleidete Jesuit lächelnd ein.

Die Röte des Zornes schoß dem Doktor ins Gesicht, in dem peinlichen Bewußtsein, seine Schritte so sorgfältig bewacht zu sehen. Mit einem Blicke des Mißtrauens auf den Priester und einem verächtlichen Gesichtsausdruck sagte er:

»Ich sehe, daß die Oberen in unserem Bunde vorzüglich bedient sind. Es ist nur in diesem Falle recht bedauernswert, daß die Herren Detektivs sich so sehr unnütz bemüht haben. Viel Lärm um nichts!«

»Ich kann Ihnen Ihre Gereiztheit im Grunde genommen nicht übel nehmen. Allein Sie müssen die Maßregeln, welche ich genommen, wie schon bemerkt, durch das Gebot der Vorsicht entschuldigen. Hätte ich vordem das gewußt, was ich heute abend, kurz vorher, ehe ich mich zu Ihnen begab, erfahren habe, so wären Sie jedenfalls nicht das Opfer dieses sogenannten ›Brigantenstreiches‹ geworden.«

»Es scheint mir, daß in diesem Falle der Frager ziemlich ebenso viel weiß, wie der Gefragte,« sagte nicht ohne Ironie Doktor Malder. »Sie könnten mir vielleicht die Mühe des Antwortens ersparen, wenn Sie mir einfach mein Sündenregister vorhielten.«

Der Priester zuckte die Achseln.

»Ich kann Sie nur versichern, daß ich die Kenntnis, von der ich sprach, tatsächlich erst vor wenigen Stunden erlangt, und dieselbe überdies so fragmentarisch ist, daß sie recht wohl eine Ergänzung Ihrerseits gebrauchen kann. Sie haben die Rolle eines Anwaltes für eine Frau übernommen, welcher anscheinend bitteres Unrecht zugefügt worden ist.«

»Nicht anscheinend, sondern leider nur zu gewiß und fühlbar.«

»Nun wohl, Sie mögen recht haben. Die betreffende Dame ist ein Opfer – der Jesuiten?«

»Eines der vielen Hunderte.«

»Es sind, wenn ich recht instruiert bin, Geldangelegenheiten mit im Spiele?«

»Betrügerei, Raub – vielleicht Mord sind im Spiele. Das Objekt ist allerdings Geld, und die Resultate sind: zerstörtes Familienglück, Verzweiflung und materielles Elend.«

»Ich vermag Ihrem Gedankengang nicht ganz zu folgen, weil mir die Kenntnis der Details fehlt,« sagte der Priester. »Doch, wie dem auch sei, – Sie wollten sich, um möglichst energisch Hilfe zu leisten, gleich an die höchste Instanz, an den Papst wenden?«

»Nachdem alle andern Versuche fehlgeschlagen haben, ja. Ich habe Gründe, anzunehmen, daß das gegenwärtige Oberhaupt der römischen Kirche, mögen ihn auch seine gewissenlosen Ratgeber zu den tollsten Verirrungen treiben, doch ein Ohr für die Stimme der Menschlichkeit hat.«

»Sie hätten vielleicht bei dieser Gelegenheit auch gleich Se. Heiligkeit zu überreden gesucht, sich von dem Einflusse seiner, wie Sie ganz richtig bemerkten, – gewissenlosen Umgebung zu emanzipieren?« fragte der Jesuit lauernd.

»Das ist nicht meines Amtes,« erwiderte Doktor Malder kurz. »Meine Mission beschränkt sich lediglich auf die Fürbitte für ein unglückliches Weib, das durch beispiellose, pfäffische Ränke ihres Gatten, ihrer Kinder und ihres Vermögens beraubt worden ist.«

»Und darf ich fragen, warum Sie diese Mission so vollständig auf eigene Faust betrieben haben, warum Sie vor den Mitgliedern Ihres – ich meine unseres Bundes ein Geheimnis daraus gemacht, wo Sie doch voraussetzen konnten, daß Sie bei uns die weitgehendste und vielleicht auch erfolgreichste Unterstützung finden würden?«

»Ich habe nicht im entferntesten daran gedacht,« erwiderte der Arzt, »ein Geheimnis daraus zu machen. Einer Frage gegenüber hätte ich so offen Rede gestanden, wie ich es jetzt tue. Aber die Verpflichtungen, welche ich mit dem Eintritt in die Propaganda übernommen, bringen, wie Sie selbst recht wohl wissen, keineswegs die Notwendigkeit mit sich, von jedem rein privaten Schritte, den ich tue, formelle Anzeige zu machen oder Rechenschaft abzulegen.«

»Aber das Interesse der Sache selbst hätte es ja in diesem Falle erfordert!«

»Vielleicht, – vielleicht auch nicht,« entgegnete Malder achselzuckend. »Jedenfalls sehen Sie, daß ich annahm, zunächst selbständig ebenfalls mit Erfolg handeln zu können. Natürlich konnte ich keine Ahnung haben, daß ich mich dabei Mißdeutungen aussetzen würde, welche solche – energische Maßregeln zur Folge haben würden, wie Sie gegen mich ergreifen zu müssen geglaubt haben.«

Der Priester schien einen Augenblick in Nachdenken versunken zu sein. Dann erschien ein gewinnendes Lächeln auf seinem Gesicht. Er streckte Malder die Hand entgegen, welche dieser noch etwas zögernd ergriff, und sagte:

»Ich muß wiederholen, Doktor: à la guerre, comme à la guerre. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßregeln und – ich gestehe Ihnen offen, es freut mich aufrichtig, daß Sie sich haben von jedem Verdachte freimachen können. Ein Mann von Ihren Prinzipien ist für unsere Sache zu wertvoll, als daß uns sein Verlust gleichgültig sein könnte. Selbstverständlich werden Sie in wenigen Augenblicken ein freier Mann sein. Nur noch eine Bitte. Wollen Sie mir gestatten, Ihre Sache zu der meinigen zu machen? Haben Sie irgendwelche Gründe, mir die Leidensgeschichte dieses unglückseligen Opfers unserer – gemeinsamen Feinde vorzuenthalten, wenn ich Ihnen die Versicherung gebe, daß ich meine Macht und meine Stellung in unserem Bunde und außerhalb desselben dazu verwenden werde, Sie in Ihren edelmütigen Zielen nach Kräften zu unterstützen?«

Der geschickte Komödiant verstand es trefflich, einen Ton anzuschlagen, der auf ein jeder niedriger Arglist fernstehendes Gemüt, wie das des deutschen Arztes, seinen Eindruck nicht verfehlen konnte. So gelang es denn dem Jesuiten auch unschwer, das volle Vertrauen Malders zu erringen. Er erklärte sich ohne weiteres bereit, den Jesuiten in die Angelegenheit vollständig einzuweihen, und legte ihm dringend ans Herz, alle erdenklichen Schritte zugunsten seiner Schutzbefohlenen zu tun.

»Ich habe hier eine schriftliche Darstellung des ganzen skandalösen Vorganges,« sagte er, ein kleines Paket zusammengehefteter Blätter aus der Brusttasche seines Rockes ziehend, »welche ich dem Papst zu überreichen beabsichtigte. Dieselbe wird Ihnen ein klares Bild geben, und, – ich zweifle keinen Augenblick daran, – Sie durch ihren bloßen Inhalt zur größtmöglichsten Energie in dieser Sache anspornen. Wann kann ich Sie wiedersehen und weiteres mit Ihnen besprechen?«

Der Pseudo-Mazzinist hatte mit fast auffälliger Hast das Schriftstück an sich genommen. Ein leichtes Lächeln glitt bei der Frage des Doktors über seine Züge.

»Ich kann Ihnen darauf vorläufig keine Antwort geben,« erwiderte er nach kurzem Zögern. »Nachdem ich mich Ihnen gegenüber hinreichend legitimiert, müssen Sie mir schon gestatten, noch auf einige Zeit von meinem Inkognito-Rechte, als ein Wissender höherer Stufe, Gebrauch zu machen. Sie werden bald von mir hören. Doch versprechen Sie mir eines: Tun Sie weder beim Papste noch sonst irgendwo Schritte in dieser Angelegenheit, ehe Sie Nachricht von mir erhalten. Seien Sie überzeugt, daß ich diesen Wunsch gleichfalls nur im Interesse der Sache ausspreche.«

Einen Augenblick ging Doktor Malder mit sich zu Rate. Doch der schlaue Jesuit hatte es, wie gesagt, verstanden, sein Vertrauen zu gewinnen, und so versprach er denn, diesen Wunsch seines vermeintlichen »Oberen« zu erfüllen.

Pater Mariano nickte befriedigt mit dem Kopfe.

»Sie werden es nicht zu bereuen haben. Und nun lassen Sie mich vor allem Ihnen Ihre Freiheit wiedergeben. Sie müssen mir freilich gestatten, Ihnen die Augen verbinden zu lassen. Die Stufe, welche Sie gegenwärtig einnehmen, gestattet es nicht, daß Sie die Lokalität kennen, in welcher Sie sich gegenwärtig befinden. Das Mysterium hat damit für Sie ein Ende!« setzte er lächelnd hinzu.

»Ich muß mich fügen,« entgegnete der Doktor. »Doch Huben Sie wohl die Güte, diesmal das Chloroform aus dem Spiele zu lassen.«

Diesmal lachte der Priester hell auf.

»Seien Sie unbesorgt. Die Anwendung dieses Kraftmittels hatten Sie nur der übergroßen Vorsicht meiner Beauftragten zu verdanken. Es ist das nunmehr völlig unnötig geworden. Einen Augenblick!«

Er trat mit diesen Worten an die Tapetentür, durch welche er erschienen war, und klopfte mehrere Male an dieselbe. Gleich darauf traten zwei Männer ein, die sich höflich vor dem Doktor verbeugten.

»Ihre Begleiter, Dottore,« sagte der Priester lächelnd. »Darf ich bitten?«

Auf einen Wink Pater Marianos trat einer der beiden Männer auf den Doktor zu und band ihm ein Tuch fest vor die Augen.

»So, nun folgen Sie den beiden unbesorgt und – leben Sie wohl. Denken Sie an Ihr Versprechen!«

Der Doktor fühlte sich alsbald bei beiden Armen ergriffen und folgte willig seinen Begleitern. Nach einer Wanderung von mehreren Minuten fühlte er die kühle Nachtluft seine heiße Stirn umfächeln.

»Ein Wagen wartet, Signor,« sagte einer seiner Begleiter auf Italienisch. »Belieben Sie einzusteigen!«

Alsbald saß der Doktor, noch immer ein Gefangener, im Wagen, der in raschem Trabe dahin rollte. Kein Wort wurde während der Fahrt zwischen ihm und seinen Begleitern gewechselt.

Plötzlich verlangsamte sich das Tempo. Die Binde ward von den Augen des Arztes entfernt. Der Glanz von Straßenlaternen blendete ihn momentan.

»Ihr Gepäck, Signor« – mit diesen Worten reichte ihm einer der beiden Schergen des Pater Mariano seine Reisetasche. »Sie sind an Ihrem Bestimmungsorte angelangt.«

Der Wagen hielt und Doktor Malder sah, daß er in der Tat sich vor der Tür seines Hotels befand. Kaum hatte er den Wagen verlassen, als sich derselbe, ohne jedoch, daß die beiden Unbekannten ausgestiegen wären, in rasche Bewegung setzte, um alsbald den Blicken des von all den wunderbaren Ereignissen noch halb betäubten Arztes zu entschwinden.

Hastig und aufs tiefste erregt, begab er sich auf das für ihn reservierte Zimmer. Dort erwarteten ihn blutige, erschreckende Nachrichten von Turin.

* * *

Pater Mariano hatte dem Doktor, als sich dieser inmitten seiner zwei aufgedrungenen Begleiter entfernte, mit einem häßlichen Lachen nachgeblickt.

»Narr!« murmelte er vor sich hin. »Die römische Kirche und das Gebäude des heiligen Ignatius sind nicht Kartenhäuser, die man mit einem Mundvoll idealistischen und philanthropischen Windes umblasen kann. An diesem harten Felsen haben sich schon Kaiser, Könige und Diplomaten die Köpfe eingerannt, – und du, mein fanatischer Pfaffenhasser, wirst schwerlich eine härtere Hirnschale haben. – Hätte trotzdem kaum geglaubt, so leichtes Spiel zu haben. Meine Vermutung, betreffs der besonderen Gefährlichkeit dieses Mannes, finde ich jedenfalls in vollstem Maße bestätigt und – es gilt danach zu handeln. –

»Marquis!« rief er, das Gesicht der Decke des Raumes zuwendend. »Sind Sie noch oben?«

»Allerdings, mon père,« ertönte die wohlbekannte Stimme des Gascogners aus den höheren Regionen. »Und ich hoffe, daß ich nunmehr diese zwar sehr erhabene, aber keineswegs sehr bequeme Stellung mit Ihrer gütigen Erlaubnis aufgeben kann.«

»Dem steht allerdings nichts im Wege,« erwiderte der Priester lächelnd. »Sie sehen, daß meine kleine Komödie vorläufig ausgespielt ist. Die Fortsetzung werden Sie zu übernehmen haben. Kommen Sie gefälligst denselben Weg zurück, den ich Sie hinaufgeführt. Ich erwarte Sie hier.«

Wenige Augenblicke darauf stand der Marquis neben dem Priester.

»Sie haben alles gesehen und gehört?« fragte der letztere.

»Oh, parfaitement bien,« entgegnete der Franzose. »Sie scheinen da einen raren Vogel in Ihrem Netz gefangen zu haben. Ich gratuliere Ihnen übrigens zu Ihrem mimischen Talent!«

»Ein rarer Vogel ist's allerdings,« sagte Pater Mariano, »und zwar hätte ich ihn nicht ungern für immer in diesem Käfig behalten, wenn ich nicht gefürchtet hätte, unnützes Aufsehen zu erregen. Marquis – Sie müssen uns einen eminenten Dienst erweisen.«

» Mon père« – erwiderte der Gascogner mit einer etwas ironischen Verbeugung, »ich kenne meine Pflichten! Sie haben zu befehlen.«

»Sie wissen, daß ich Ihnen absichtlich Gelegenheit gegeben habe, sich den Mann möglichst genau anzusehen und seine kleinen Lieblingsideen etwas kennen zu lernen.«

»Von welcher Gelegenheit ich den ausgiebigsten Gebrauch gemacht habe!«

»Um so besser! Diese Kenntnis muß nun ausgenützt werden. Sie dürfen zunächst diesen Doktor Malder nicht aus den Augen verlieren!«

»Hm – ich weiß zwar nicht, wie weit meine Talente als Mouchard reichen,« knurrte der Franzose, die Spitzen seines eleganten Schnurrbartes drehend, »indessen Übung macht den Meister.«

»Lassen Sie, ich bitte Sie dringend, mon cher Marquis, Ihre Scherze jetzt ein wenig beiseite!« sagte der Jesuit etwas ungeduldig. »Ich versichere Sie, daß es mir mit der ganzen Angelegenheit bitterer Ernst ist. Sie werden also zunächst den Doktor beobachten, oder beobachten lassen, nicht wahr?«

» Eh bien – ich werde mein möglichstes tun.«

»Es wird Ihnen ferner nicht schwer fallen, bei Ihren Verbindungen in allen möglichen Kreisen, in unauffälliger Weise mit dem Deutschen Bekanntschaft anzuknüpfen.«

Der Marquis zuckte mit den Schultern.

»Das kommt denn doch sehr darauf an, in welchen Kreisen dieser Doktor hauptsächlich verkehrt. Sehen Sie, mon père, seine radikalen und etwas sehr ketzerisch parfümierten Ansichten deuten darauf hin, daß er nicht gerade besonders viel in den ersten Circlen Roms –«

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Ich weiß, daß Ihnen auch der ausländische, hohe Adel, der sich hier in Rom aufzuhalten pflegt, mehr oder minder gut bekannt ist. Sind Sie bei einem gewissen Lord Duncombe eingeführt?«

»Lord Duncombe?« sagte etwas überrascht der Franzose. » Parbleu, ich habe allerdings das Vergnügen gehabt, in letzter Zeit in dem Hause zu verkehren. Leider hat der vor einiger Zeit erfolgte Tod der Tochter des Lords mich etwas ferngehalten. Durchaus nicht in Übereinstimmung mit meinen Wünschen. Ich versichere Sie, Paterchen, Mylord hütet in seinem Hause einen ganz unbezahlbaren Schatz von Gesellschafterin, oder Hausfreundin, oder Adoptivtochter – so ein bißchen von alledem. Eine Deutsch-Amerikanerin, wenn ich nicht irre, aber – à la bonheur.«

Mit diesen Worten küßte der Gascogner die Spitzen seiner eleganten Jouvins, die Augen mit einem so komischen Ausdrucke von Entzücken zusammenkneifend, daß der Pater sich eines Lächelns nicht erwehren konnte.

»Sie sind wirklich unverbesserlich leichtsinnig, Marquis,« sagte er, »und es ist schwer, mit Ihnen ein wirklich ernstes Gespräch zu pflegen. So hören Sie denn, daß die Tätigkeit, die Sie im Interesse der bewußten Angelegenheit zu entfalten haben werden, Ihnen die trefflichste Gelegenheit geben wird, das Haus des Lord Duncombe recht oft zu frequentieren.«

»Sie machen mich wirklich außerordentlich neugierig, Pater!« rief der Franzose.

»Es ist mir durch – ebbene, durch einen Zufall wollen wir sagen, bekannt geworden, daß jener Doktor Malder, gleichfalls infolge eines gänzlich zufälligen Ereignisses, in gewisse Beziehungen zu dem Lord getreten ist, oder richtiger, treten wird. Mit einem Worte: Ich weiß, daß der Lord bei Gelegenheit eines kleinen Straßentumultes von dem ›süßen Pöbel‹ Roms verwundet worden ist, und daß Doktor Malder, zunächst in seiner Eigenschaft als Arzt, demnächst häufig Gelegenheit haben wird, das Haus des Lord zu besuchen.«

Der Franzose stieß einen pfeifenden Laut durch die Zähne.

» Parbleu,« rief er, »der Mann scheint mir interessant genug, um einem kleinen, vielleicht etwas romantisch angelegten Halbblut-Yankeemädel nötigenfalls den Kopf zu verdrehen. Pater – ich glaube, im vollsten Vertrauen auf die Richtigkeit Ihrer interessanten Mitteilung – ich glaube, ich fühle so etwas wie ein erwachendes Pflichtgefühl in meinem Herzen, daß es durchaus notwendig ist, dem Lord baldmöglichst einen Krankenbesuch abzustatten.«

»Tun Sie das, Marquis, und dann sehen Sie doch wohl selbst, daß es Ihnen ein Leichtes sein wird, eine etwas nähere Bekanntschaft mit dem Doktor zu entrieren!«

»Oh, daran zweifle ich nicht im geringsten!« entgegnete der Marquis. »Aber erlauben Sie mir zu bemerken, daß mir nicht ersichtlich ist, was aus meiner Bekanntschaft mit diesem Manne für unsere Zwecke resultieren soll. Er mag sich nun Mazzinist, Propagandist, Nihilist nennen – toute même chose. In einer Beziehung sind sich diese Leute von der roten Internationale vollständig gleich: sie verstehen zu schweigen, und darum können Sie sich überzeugt halten, Pater Mariano, daß ich auch bei der größten Intimität keine mazzinistischen Mysterien aus ihm herauszulocken vermöchte. Ich besitze nicht den geheimnisvollen Talisman, wie Sie, und kann daher die Rolle eines seiner ›Chefs‹ ihm gegenüber nicht spielen.«

»Pah,« sagte der Priester, »darauf kommt es mir wirklich nicht an, derartige Geheimnisse aus dem Herrn durch Sie herauslocken zu lassen. Dazu gibt es wirklich einfachere und dabei weit mehr Erfolg versprechende Wege. Nein, verehrter Marquis, meine Ziele führen wo anders hin, – weiter, viel weiter!«

» Eh bien?« fragte der Franzose verwundert.

Über das Gesicht des Jesuiten glitt ein furchtbares Lächeln, als er seinen Kopf dicht zu dem Ohr des Franzosen niederbeugte. Leise flüsterte er ihm einige Worte ins Ohr.

Sie schienen einen furchtbaren Eindruck auf den Marquis zu machen. Er prallte erschreckt einen Schritt zurück und sah den Jesuiten mit einem aus Grauen und Entrüstung gemischten Ausdrucke ins Gesicht.

» Mort de ma vie!« rief er. »Ich bin französischer Edelmann!«

Ein eisiges Lächeln zuckte über das Gesicht des Jesuiten. Doch die glühenden Augen, die sich gleich darauf mit unaussprechlichem Ausdrucke auf den Franzosen richteten, als wollten sie ihn durchbohren, ließen erkennen, was hinter diesem scheinbaren Gleichmut verborgen lag.

Die Hand des Pater Mariano legte sich schwer auf die Schulter des Marquis.

»Sie sind französischer Edelmann, ganz recht,« sagte der Jesuit. »Die Welt mag Sie immerhin so nennen. In meinen Augen sind Sie das blinde Werkzeug einer höheren Gewalt, welche ihre Instrumente zertrümmert, wenn diese den Dienst versagen.«

Jedes seiner Worte fiel schwer wie ein Keulenschlag. Das bleiche Gesicht des Franzosen verriet deutlich genug, welchen Eindruck sie auf ihn machten, – jede Spur der frivolen Nonchalance, der leichtfertigen Spottsucht war aus demselben verschwunden: Schreck, Beschämung, Stolz, Erbitterung kämpften in seinen Zügen.

»Kommen Sie, Marquis, kommen Sie – und hören Sie weiter, was ich bezüglich dieses Doktor Malder Ihnen aufzutragen habe. Aufzutragen, verstehen Sie mich, mon ami?«

Der Priester erfaßte dabei, wie freundschaftlich scherzend, den Arm des Marquis und zog ihn mit sich fort. Doch der Griff, mit welchem er den Arm umspannte, war eisern, – eisern wie der Wille, unter welchen er sein Werkzeug zu beugen bereit war.


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