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Erste Abteilung:
Gaëta – Warschau – Düppel


Die Bärenjäger.

1. Blutrache.

(Fortsetzung.)

Wir befragten denselben jetzt noch einmal, es konnte kein Zweifel sein, die Männer, die der Bursche unweit der Stelle, wo er uns erwartet hatte, lagern gefunden, waren die Banditen, die uns auflauerten.

Wir berieten eben, was am besten zu tun sei, als ein Schuß aus einiger Entfernung allem Zweifel ein Ende machte. Die Kugel durchbohrte das Papier, das ich noch in der Hand hielt, hatte also offenbar mir selbst gegolten. Zugleich belehrte uns ein wildes Geschrei, daß die Bande uns entdeckt hatte und auf unseren Fersen sei.

Mit einem Schwung war die Albaneserin im Sattel. »Dorthinaus, Petros Aga!« – es war das erste Mal, daß sie mich direkt ansprach. Im nächsten Augenblick war ich an ihrer Seite – ich hörte Damas mit dem schreienden Pferdejungen hinter uns drein galoppieren.

Zwei oder drei Schüsse wurden uns nachgesandt – dann mußten die Verfolger vor der größeren Schnelligkeit der Pferde zurückstehen.

Sobald wir nichts mehr von ihnen zu befürchten hatten, ritten wir langsamer. Der Suterrazzi kannte die Gegend genug, um uns zu führen, und auch den Ort, den Kapitän Barclay als die Stelle bezeichnet hatte, wo die Tartane uns aufnehmen sollte. Da die Landschaft aber, je mehr man sich der Küste näherte, desto felsiger und unwegsamer wurde, und an der Küste selbst in einer Klippenreihe von ziemlicher Höhe endet, auch das weitere Behalten der Pferde und ihres Begleiters uns nur hinderlich war, ja selbst gefährlich werden konnte, machte Damas den Vorschlag, unsern Weg oder vielmehr unsere Flucht zu Fuß fortzusetzen und den Burschen mit seinen Tieren zu entlassen.

Dies geschah. Der Mietspreis der Pferde war bereits in Sajadu bezahlt, und indem ich ihren Führer noch reichlich beschenkte, um sein Schweigen zu erkaufen, wiesen wir ihn an, so gut es gehen wolle, seinen Weg nach dem Hafen zu suchen, oder bis zum Morgen in einer Djeta zu übernachten. Wir nahmen unsere Jagdtaschen und Gewehre und setzten den Weg nach der Küste fort.

Es war jetzt heller Mondschein, und wir konnten ungehindert vorwärts schreiten. Da wir ein paarmal die Richtung wechselten, glaubten wir auch vor jeder Verfolgung sicher zu sein. Damas kannte, wie gesagt, den uns bestimmten Platz. Es war der Phar eines ljaputischen Phis; wir beschlossen jedoch, uns erst am Morgen zu zeigen, wenn wir von der Höhe der Felsen die Tartane angekommen sähen, bis dahin aber die Nacht in einem Versteck zuzubringen. Ein solches, von trefflicher Beschaffenheit für unseren Zweck, boten die festen, dicht am Ufer des Meeres auf hoher, fast unzugänglicher Klippe gelegenen Trümmer einer alten Kula aus Skanderbegs Zeit, wahrscheinlich früher der Aufenthalt eines Seeräubers, der in der kleinen, aber sicheren Bucht daneben sein Fahrzeug barg, bis er zu einem Raubzug die Segel lichten konnte.

Dorthin nahmen wir unseren Weg. Es waren jetzt fast drei Stunden vergangen, seit wir Narida getroffen hatten, aber das Mädchen blieb so schweigsam und zurückhaltend, wie zu Anfang. Der Aufruf zur Flucht waren die einzigen Worte, die sie an mich gerichtet – wahrscheinlich verstand sie auch nur wenige Ausdrücke des in den Küstenländern so verbreiteten Idioms, der Lingua franca. Aber auch ihrem Geliebten gab sie wenig Rede und Antwort und sprach überhaupt nur das notwendigste. Ich hätte geglaubt, daß ihr der Schritt, den sie getan, bereits leid geworden, wenn ich nicht auf der andern Seite gesehen hätte, wie sie ohne Bedenken und Zögern unseren Marsch teilte und ihr leichter elastischer Schritt uns oft voran war.

Endlich hörten wir das Meer an seine Felsenwände brausen und sahen durch die Öffnungen der Klippen den Silberschein des Mondes auf der ewig bewegten Fläche. Vor uns erhob sich auf der Felswand gegen den lichten Nachthimmel abstechend, die dunkle gespenstige Masse des zerstörten Turms – rechts zwischen den Klippen mußte das ljaputische Dorf liegen, denn wir hörten von dort das Heulen von Hunden.

Wir machten am Fuß der Höhe einen Augenblick Halt, um auszuruhen, bevor wir den steilen Weg antraten. Plötzlich sah ich das Mädchen sich lauschend nach der Richtung beugen, aus der wir gekommen waren, sich dann aufrichten und Damas einige Worte in ihrer Sprache sagen.

»Narida,« berichtete dieser hastig, »hört das Nahen von Menschen – wahrscheinlich unserer Feinde. Lassen Sie uns schnell den Felsen ersteigen, Signor Prinzipe.«

Wir hielten uns keinen Augenblick weiter auf, sondern eilten so rasch wir konnten nach unserm Zufluchtsort.

Ich bemerkte, daß die Wahl vortrefflich war. Das Gemäuer war geräumig genug, der untere Stock sogar noch ziemlich gut erhalten. Der Turm stand unmittelbar am Abhang der Klippe, die sich hier fast senkrecht wohl an 70 Fuß zu einem engen, nur vom Meere her zugänglichen Strandfleck niederstürzte.

Ein Zugang zu der Ruine konnte nur auf dem von uns zurückgelegten Wege stattfinden, der wohl zwanzig Schritte auf einem schmalen Felsengrat hinlief, also leicht von dem Turm aus verteidigt werden konnte.

Von der Höhe her, auf der wir uns jetzt befanden, konnte man die niederen Gründe ziemlich weit übersehen. In der Tat bewegte sich dort ein Trupp Menschen, Reiter darunter, eilig heran. Wenn es unsere Verfolger waren, so mußten wahrscheinlich die Pferde, die uns getragen, in ihre Hände gefallen sein. Wie ich später hörte, war dies wirklich geschehen, ja, der Bursche, der uns begleitet, hatte sie sogar ausgesucht, das, was er aus unserer Beratung erlauscht hatte, ihnen mitgeteilt und die Flucht und Begleitung Naridas, die er sehr wohl erkannt hatte, verraten. Die Kimarioten hatten sofort einen der Juden zu Pferde abgesandt, um Adre-Beg aufzusuchen, die anderen aber die Verfolgung fortgesetzt. Sie wußten jetzt, wo sie uns zu suchen hatten. Während einige Schurken vor den Klippen blieben, um umherzuspähen und uns den Weg dahin zu verlegen, zog der Rest nach dem Phar, wahrscheinlich in der Hoffnung, uns bereits dort zu finden.

Wir waren ihnen also entgangen und durften hoffen, daß unsere Feinde, wenn sie sich getäuscht sahen, bald wieder abziehen würden, um uns anderswo zu suchen, und daß wir, wenn am Morgen die Tartane erschien, ihr ein Zeichen unserer Nähe geben und den Bord ungehindert erreichen könnten.

Ich untersuchte jetzt die Ruine näher, während Damas und Narida am Eingang Wache hielten. Für die Nacht bot sie Schutz gegen den frischen kalten Wind, der von der See herstrich. Eine der Öffnungen nach dieser hin war vollständig erhalten und erhob sich gerade über dem Grunde. Mit einer Strickleiter hätte man diesen auch bequem erreichen können und vielleicht war dies mehr als einmal der Weg der wilden Piraten gewesen. Jetzt blieb uns freilich nichts übrig, als in Geduld die Nacht hier zuzubringen und die Ankunft der Tartane abzuwarten oder am Morgen den Versuch zu machen, durch Geld eine der Fischerbarken zu gewinnen, um uns über den hier höchstens zwei Seemeilen breiten Meeresarm zu setzen, der Korfu vom albanischen Festland trennt.

Da ich von der angreifenden Jagdpartie und dem Weg durch die Berge ziemlich müde war, machte ich den Vorschlag, daß wir beiden Männer abwechselnd die Wache halten sollten, um nicht etwa von unsern Feinden überrascht zu werden. Narida aber bestand mit festen kurzen Worten darauf, ihren Anteil zu haben, und zwar wollte sie die ersten Stunden wachen.

Mir war es recht, – ich wickelte mich in meinen Poncho und streckte mich auf den Boden. Einige Augenblicke sah ich noch das bleiche strenge Gesicht des Mädchens, wie sie am Eingang der Kula auf einem Stein saß, den Karabiner auf ihren Knien, und den Worten ihres Geliebten zuhörte oder nicht zuhörte, denn ihr Antlitz, auf das das Licht des Mondes durch die gegenüberliegende Maueröffnung fiel, blieb unbeweglich wie Stein.

Ich mochte vielleicht zwei Stunden geschlafen haben und es Mitternacht sein, als mich eine kalte Hand weckte, die über mein Gesicht fuhr.

Es war die Albaneserin.

»Palikari!« sagte sie leise und trat dann zurück zum Eingang. Ich wußte sogleich, was sie damit sagen wolle, und war im Augenblick an ihrer Seite. Sie wies auf den Felsengrat, auf dem im Mondlicht deutlich erkennbar ein Mann, die Flinte in der Hand, vorsichtig den Weg nach der Ruine suchte.

Er schien noch keineswegs zu wissen, daß wir dort unsere Zuflucht gefunden hatten, und nur auf der Spähe begriffen, denn er blieb wiederholt auf dem gefährlichen Weg stehen, sah sich um und sprach mit tiefer stehenden uns unsichtbaren Gefährten.

Endlich schien er doch beschlossen zu haben, sich von der Unbewohnbarkeit der Ruine zu überzeugen, denn er wendete sich und schritt rascher auf uns zu.

Ich begriff, daß wir verloren waren, wenn er den Turm betrat, und erhob meine Doppelflinte. Aber eine Bewegung des Mädchens drückte sie nieder; im Augenblick war ihr eigener Karabiner an der Wange und der Schuß knallte.

Ich sah den Klephten wanken und das Gewehr fallen lassen, das hinab zwischen die Felsen stürzte. Dann stieß er einen gellenden Schrei aus, dem eine wilde Verwünschung folgte, faßte mit der gesunden Hand nach dem zerschmetterten Arm und eilte zurück.

Der Felsen vor uns schien förmlich lebendig zu werden, ein so wildes Geheul erhob sich von dem Aufgang her und fünf oder sechs Schüsse krachten gegen den Turm.

Wir standen zum Glück ganz im Schatten und ich hatte das Mädchen sofort nach ihrem Schuß in das Gemäuer gezogen, so daß die Kugeln unschädlich an uns vorüber pfiffen. Aber die bewiesen uns, daß der Verwundete nicht allein gewesen war und bald sollten wir uns überzeugen, daß eine weit zahlreichere Bande uns in wenig Minuten umlagert hielt, als anfangs auf unserer Verfolgung gewesen war.

Später hörte ich, daß fast alle männlichen Bewohner des nahe liegenden Phar sich der Verfolgung angeschlossen hatten, teils auf Beute hoffend, teils weil – durch einen seltsamen Zufall – das Dorf, wo wir die Tartanen erwarten wollten, gerade die Heimat des erschossenen Zollwärters war, der dort eine zahlreiche Familie hatte, die nichts Eiligeres tun konnte, als sich gegen uns aufzumachen.

Damas – den die Müdigkeit gleichfalls überwältigt hatte, – war bei dem ersten Schuß aufgewacht und natürlich sofort zu unserem Beistand geeilt. Nach der ersten Lektion übrigens, welche die Klephten erhalten hatten, dursten wir auf einige Ruhe hoffen, bis sie ihren Angriffsplan entworfen haben würden.

Unsere Lage war übrigens nichts weniger als angenehm. Wir waren, hier in der alten Ruine abgesperrt und von einer Meute blutgieriger Schurken bewacht, nicht viel besser daran, Sennor Coronel, als Sie in Ihrer Hängematte über den Anacondas. Sicher paßten die schuftigen Palikaren so gut auf uns, wie das Reptil auf Sie, und zum Entrinnen war gleichfalls verdammt wenig Aussicht. Deshalb erinnerte ich mich vorhin bei Ihrer Erzählung meiner ähnlichen Lage.

Daß wir gut bewacht wurden, bewies uns von Zeit zu Zeit ein Schuß, der aus irgendeinem Versteck der Felsen auf den Zufall hin gegen die Ruine gerichtet wurde. Bald auch sahen wir unten im Grunde vor dem Aufgang zu den Klippen mehrere Feuer lodern, an denen sich unsere Feinde lagerten, um so bequemer die ziemlich kalte Nacht zuzubringen.

Die Albanesen verstehen sich trefflich darauf, beim Kampfe jeden Vorteil des Terrains zu benutzen, sie suchen den Feind plötzlich zu überraschen und verstehen namentlich den Plänklerdienst. Offenbar hatten sie eine ganze Postenkette um unsern Zufluchtsort gezogen, und was auf der einen Seite uns schützte, hinderte auf der anderen jedes unbemerkte Entkommen.

Gleich den Wilden Amerikas sind die schipetarischen Buren in ihrer Kriegsführung bei aller Tapferkeit doch auch vorsichtig und fechten lieber im Hinterhalt als in offenem Vorgehen. Damas kannte genug die Sitten seiner Landsleute, um zu wissen, daß sie in der Nacht keinen Angriff über den gefährlichen Felsengrat hinweg auf den Turm wagen würden, da unsere Kugeln sie so leicht erreichen konnten, während die Schatten des Gemäuers uns verbargen. Man wollte also nur unser Entkommen verhindern und dann beim Tageslicht den Angriff ausführen, wo jeder, der sich in den Öffnungen des Gemäuers zeigte, ihrem Feuer ausgesetzt war. Denn die meisten von ihnen sind vortreffliche Schützen, und mögen sie platt auf der Erde liegend oder hinter Steinen und Bäumen kauernd schießen, sie treffen jederzeit ihr Ziel.

So waren mit einzelnen gegenseitigen resultatlosen Schüssen wiederum fast zwei Stunden vergangen und der Mond senkte sich gegen die Berge Corfus nieder, als ich nach jener Seite schauend seine Strahlen das dreieckige Segel einer Tartane beleuchten sah, die in der Richtung von der Insel her ziemlich nahe dem Ufer herauf lavierte.

Konnte es vielleicht schon das Fahrzeug sein, das Kapitän Barclay zu unserer Aufnahme zurücksenden wollte?

Wie ein Blitz schoß mir der Gedanke durch den Kopf und ebenso die Notwendigkeit, eine Verständigung mit dem Schiff zu versuchen.

Aber wie?

Ich empfahl dem Suterrazzi, durch wiederholte Schüsse die Aufmerksamkeit unserer Feinde zu fesseln, dann machte ich aus Stücken unserer Kleidung und Papier einen Ballen, der ein paar Minuten brennen konnte, steckte ihn auf die Spitze meines Hirschfängers und zündete die improvisierte Fackel mit einem Streichholz an. Indem ich mich soweit als möglich aus der Öffnung nach dem Meere zu legte, schwang ich den Brand hinter den Mauern.

Das Licht war zu schwach, um die Aufmerksamkeit unserer Gegner auf der Landseite zu erregen oder uns bloßzustellen, aber doch stark genug, daß man es an Bord des Schiffes bemerken mußte, wenn dieses wirklich die Absicht hatte, sich nach uns umzusehen. Ich wußte, daß, wenn Baptist, mein Diener, sich an Bord befände, er sicher auf alles Außergewöhnliche achten würde.

Zweimal wiederholte ich den Versuch. Ich glaubte auch zu bemerken, daß das Fahrzeug seinen Lauf änderte und näher zur Küste hielt.

Sollte uns wirklich Rettung von dieser Seite kommen?

Noch zweifelte ich und wagte meinen beiden Gefährten kein Wort der Hoffnung zu sagen, als ich einen dunklen Gegenstand von dem Schiff her über die spiegelnde Wasserfläche sich nähern sah.

Ich hielt, wie die corsischen Fischer und Jäger zu tun pflegen, zwei Finger an den Mund und ließ einen gellen Signalton ertönen.

Baptist, mein Diener war ein geborener Corse, er kannte mein Signal, das ich häufig statt der Klingel brauchte, sehr wohl. Ich lauschte durch das Geräusch der Brandung – richtig, da klang die Antwort herüber.

In der Hast, ihnen die Richtung der kleinen Felsenbucht zu zeigen, ließ ich ein Dutzend Schwefelhölzer aufflammen und erschöpfte meinen ganzen Vorrat. Ich sah, wie das Boot jetzt durch die Brandung kam und den Eingang der Bucht passierte; im nächsten Augenblick hörte ich eine bekannte Stimme: » Monsieur le Prince, vous voilà?«

Ich rief ihm die Antwort zu – das Boot lag am Strande.

Obwohl wir nicht zu fürchten brauchten, daß unsere Feinde auf der andern Seite der Klippen diese glückliche Wendung der Situation bemerkt haben konnten, denn man übersah eben nur von der Höhe der Felsen das Meer, und die Klephten waren zu weit entfernt von uns, um unsere Stimme zu hören, galt es doch zu eilen, damit nicht ein Zufall sie aufmerksam mache oder vom Dorf her man die Tartane erblicke.

Aber wie an Bord derselben, oder zunächst in das Boot gelangen? Es gab nur einen Weg – den Felsen hinab!

»Habt Ihr ein Tau im Boot, Baptist?«

»Ja, Herr!«

»Gut! Aufgepaßt!«

Ich erinnerte mich, daß ich in meiner Jagdtasche ein Knäuel hänfener Schnur hatte. Rasch war sie hervorgeholt und aufgewickelt. Mit dem Hinzufügen unserer Gürtel und der Flintenriemen reichte sie hinunter.

»Knote das Tau fest!«

Es geschah und ich zog es empor. Es war eine dünne, aber feste Schiffsleine, stark genug, das Gewicht eines Menschen sicher zu tragen. Ich schlang rasch einige Knoten hinein, während der Suterrazi das Ende fest um einen schweren Stein des Gemäuers knüpfte und Narida einen Schuß des Feindes erwiderte.

In Zeit von zehn Minuten waren unsere Vorbereitungen zu Ende. Mit dem Tau ließ ich unsere wenigen Sachen, Poncho und Jagdtasche hinab.

»Fest, Baptist!«

»Fest, Herr!«

Ich hieß Damas das Mädchen auffordern, zuerst hinab zu steigen. Sie war jetzt zu uns getreten – die bleichen Strahlen des untergehenden Mondes beleuchteten ihr Gesicht. Ihre bisher so strengen kalten Augen zeigten ein seltsames Funkeln – auf ihren bisher bleichen Wangen brannten zwei rote Flecken.

Damas wechselte einige Worte mit seiner Geliebten – eine energische Gebärde deutete ihren Entschluß an, die letzte zu sein, die sich dem schwankenden Wege vertraute. Sie machte mir ein Zeichen, hinabzusteigen. » Avanti, Signor!«

Es war keine Zeit, um über die Reihenfolge zu streiten. Ich warf mein Gewehr über die Schulter, stieg aus dem Gemäuer und glitt vorsichtig, die kleinen Vorsprünge der Felsen für einen Anhalt der Füße benutzend, an dem Tau hinunter. In zwei Minuten war ich unten, aufgefangen von den Armen meines wackern Baptist.

Ich hielt sofort mit ihm das Ende des Taus, und rief meinen Gefährten zu, sich zu beeilen.

Im nächsten Augenblick sah ich eine dunkle Gestalt in der Öffnung der Kula erscheinen, den Strick fassen und langsam bis zum ersten Absatz, der etwa 10 Fuß unter dem Turm lag, sich herablassen.

Dort hielt sie an und sprach hinauf nach dem Turm, aus dem die zweite Gestalt sich hinaus neigte.

Die letzten Strahlen des Mondes fielen auf sie – bei Gott, es war Narida, das Albanesenmädchen, und der am Seil hing, ihr Geliebter.

Ich hatte nicht Zeit, mir Rechenschaft zu geben, warum Damas das Mädchen nicht zunächst hatte herabsteigen lassen – das Geräusch der Brandung verschlang die Worte, die oben gewechselt wurden, dann – aufwärts blickend – sah ich im Mondstrahl eine blanke Klinge in der Hand des Weibes blitzen und hatte kaum Zeit, Baptist von dem Tau fortzureißen. Ein entsetzlicher Schrei, und an dem scharfen Gestein der Felsenwand aufschlagend stürzte eine dunkle Masse zwischen uns nieder auf den Boden.

Es war Damas, der Foscati, der Todfeind der Balsichiden.

Folgendes war auf der Höhe des Turms geschehen, nachdem ich ihn verlassen hatte.

Damas, sobald er mich am Fuß des Felsens glücklich angekommen sah, forderte die Geliebte auf, das Tau zu fassen und sich in die Tiefe hinabzulassen.

»Geh' voran!« sagte das Mädchen.

Vergeblich waren die Einwendungen des Suterrazzi, sie bestand auf ihren Willen. Da er ihren festen energischen Charakter kannte, fügte er sich endlich und stieg hinab.

»Damasos!«

Der Suterrazzi stand, wie ich oben erwähnt, etwa zehn Fuß unter der Öffnung auf einem schmalen Stein, als der Anruf seiner Geliebten ihn traf. Er hielt sich an dem Tau fest und sah empor.

»Was willst du, Narida!«

»Damasos – sprich zu mir. Hat Narida, die Balsichide, dir den Eid gehalten, den sie tat, ehe ihr Bruder Arslan von deiner Hand erschlagen ward, ihren Vater und ihre Familie zu verlassen, und dir, dem Feinde ihres Stammes, zu folgen?«

»Du hast es, und mein Leben soll Liebe zu dir sein!«

»Du täuschest dich, Damas, mein Geliebter. Naridas Schwur ist gelöst – jetzt hat sie nur eine Pflicht noch, den Tod ihres Bruders zu rächen. Der Fluch der schwarzen Schlange ist über ihrem Haupt. Naridas Hand gibt dir den Tod und dem Phis der Balsichiden sein Recht. Stirb, Damas, mein Geliebter, von der Hand Naridas!«

Ein lauter Schrei des Entsetzens – derselbe, den wir gehört – der Suterrazzi versuchte sich emporzuschwingen an dem Tau zurück zum Gemäuer, denn er sah die Klinge ihres Yatagans blitzen – –

» Nu vras!« Töte nicht! Der Ruf, der nach altgeheiligter Sitte selbst den in gerechter Rache zum Todesstoß erhobenen Arm hemmt, kam zu spät, das scharfe Eisen des Yatagan hatte das Tau bis auf wenige Fädchen durchschnitten und der schwere Körper des Suterrazzi, den die Blutrache getroffen, stürzte an den Steinvorsprüngen hinab in den Abgrund. – – – – – – – – – –

Wir hoben den noch Lebenden, aber schrecklich Zerschmetterten auf und trugen ihn in das Boot, das die beiden Ruderer rasch abstießen, ohne auf mein Protestieren weiter zu achten, denn noch glaubte ich falsch gesehen zu haben, schrieb das Unglück einem Reißen oder einer schlechten Befestigung des Strickes zu und wollte das Mädchen nicht im Stich lassen.

Erst als wir den Unglücklichen an Bord der Tartane gehoben, die alsbald wieder ihre Segel spannte, kam er wieder zum Bewußtsein. Da erzählte er in abgebrochenen Sätzen, was ich Ihnen vorhin möglichst mit seinen eigenen Worten wiederholte.

Sein Todeskampf war lang und schwer – die volle Jugendkraft kämpfte gegen die furchtbaren Schmerzen der zerschmetterten Glieder. Aber kein Laut, kein Ton des Vorwurfs kam gegen seine Mörderin über seine Lippen. Die mit der Muttermilch eingesogenen Sitten und Anschauungen seines Volkes rechtfertigten sie. Er wußte zu gut, was die Tat sie selbst gekostet haben mochte, wie sie ihm den Eid gehalten, um seinetwillen ihren Stamm zu verlassen, – und wie nur der furchtbare Fluch, den ihr Vater am Abend vorher gesprochen, und der jede Sühne der Krvina, des Blutpreises abschnitt und die grauenvolle Pflicht auf ihr Haupt wälzte, sie zu der Tat gezwungen hatte.

Bis zum letzten Schritt auf vaterländischer Erde hatte sie ihr Wort gehalten – ihre Hand hatte die furchtbare Tscheta geübt, ohne ihn zu berühren, ohne sein Blut zu vergießen.

Kurz vorher, ehe wir Korfu erreichten, starb er. Auf. den Rat des alten Schiffpatrons, der Weitläufigkeiten und Nachfragen der englischen Behörden fürchtete, denen schon unser Streit mit den türkischen Zollwächtern und sein unglücklicher Ausgang zu schaffen machen würde, – banden wir die Leiche an einen alten Anker und versenkten sie ins Meer.

Von Narida – ich sehe die Frage darnach in Ihren Augen, Sennores, – habe ich nichts wieder gehört. Ihre Kameraden, Sennor Capitano, Master Barclay an ihrer Spitze, empfingen mich zwar mit aufrichtiger Freude und gingen selbst soweit, daß Lord Charles Welleslei, der Oberst des 53., sowie die Offiziere des 11. Regiments, die damals auf Korfu standen, mir ein solennes Diner gaben. Vielleicht war das mit die Ursache, daß ich zu Anfang März durch ein Reskript des Polizei-Inspektors Demetrio Zerro namens des Lord-Ober-Kommissars ersucht wurde, »aus politischen Gründen« die englische Gastfreundschaft aufzugeben und die Jonischen Inseln zu verlassen.

Sie sehen, Sennores, aus meiner kleinen Jagdgeschichte, daß es auch außerhalb Korsikas noch die Vendetta gibt, und daß man – da jedermann doch wohl einen Todfeind im Leben hat, – wohl daran tut, wie ich es gewohnt bin, eine Waffe bei sich zu tragen.«


Der Prinz hatte die letzten Worte in betreff seiner Ausweisung aus Korfu nicht ohne gewisse Bitterkeit gesprochen. Wie um den Schluß seiner Erzählung zu illustrieren, zog er aus seiner Tasche einen kleinen fünfläufigen Revolver und ließ die Schlösser spielen.

Kapitän Welmore hatte Takt und Verstand genug, die kleine Herausforderung seines Nationalgefühls unbeachtet zu lassen. Man wechselte verschiedene Bemerkungen über die blutige Sitte und über die Tat des albanesischen Mädchens.

»Warum lachen Sie, Sennor Conde?« sagte der Mönch zu dem Grafen von Lerida. »Bei meinem Schutzheiligen, ich dächte, die Geschichte wäre doch schrecklich genug!«

»Caramba, hochwürdiger und frommer Herr,« meinte spottend der Abenteurer. »Die Erzählung Seiner Hoheit hat mich um eine Erfahrung bereichert. Ich glaubte, auch einigermaßen das schöne Geschlecht zu kennen, das wilde und zahme, und habe immer gefunden, je schlechter man sie behandelt, desto ergebener und gehorsamer sind sie!«

»Pfui, Sennor Conde!«

»Was wollen Sie, Sennor Padre – es sind meine Erfahrungen. Ich könnte Ihnen auch eine Jagdgeschichte davon erzählen, die Sie überzeugen würde.«

»So tun Sie es – es ist ohnehin an Ihnen die Reihe!«

»Halt – einen Augenblick!« sagte der Wirt. »Wir wollen uns in die Halle setzen, denn hier draußen streicht der Wind ziemlich scharf von der Ebene her, und wir werden morgen genug davon in den Schluchten des Maldabich haben. Die Weiber mögen uns die Krüge füllen und das Nachtessen und Ihre Lagerstätten bereiten, – so werden wir sie los; denn ich fürchte, die Abenteuer des Sennor Conde sind nicht immer für züchtige Frauenohren geeignet.«

Die Gesellschaft lachte, am ausgelassensten der Padre. Aber man beeilte sich, der Einladung des Wirtes zu folgen und trat in das Haus.

Das Hauptgebäude des Caserio war, wie bereits erwähnt, ein ziemlich langer einstöckiger Steinbau, zu dem einige Stufen hinaufführten. Die Mitte nahm die Küchenhalle ein, dieser wichtigste Teil aller spanischen Häuser. Ines und die Frauen und Töchter der Pächter Don Ramiros, dessen Familie zu den Indianos gehörte, d. h. zu den Nachkommen der alten Abenteurer, die unter Cortez und Pizarro ihr Glück in Amerika gesucht hatten, reich von dort zurückgekommen waren und sich mit Erlaubnis der Provinzial-General-Junta Grundbesitz erworben hatten, – waren am Herde mit der Bereitung der Borana, des nationalen, in der Asche gebackenen Maisbrotes beschäftigt. Der Hausherr aber führte seine Gäste in die rechts von der Küche gelegene Halle, die ihm gewöhnlich zum Aufenthalt diente.

Es war dies ein langes Gemach, dessen Decke die rohen Balken bildeten, mit einem breiten Kamin und wenigen einfachen Möbeln. An den weißgetünchten Wänden aber hing ein eigentümlicher Schmuck, eine große Anzahl von Bärenfellen mit Kopf und Tatzen. Andere Felle lagen als Decken auf den Steinfließen des Fußbodens, das größte vor einem weiten mit Leder beschlagenen Armstuhl an der Seite des Kamins, in dem bereits ein lustiges Feuer brannte.

Einige Gewehre, drei oder vier Hellebarden und starke Saufedern, Navajas von katalonischer Arbeit, und einer jener kurzen dreischneidigen Degen, deren sich die Matadores von Madrid und Sevilla bei den nationalen Stierkämpfen in der Arena bedienen, hingen zwischen den Jagdtrophäen, unter dem Degen der rote Mantel des Stierkämpfers. Ziemlich schlechte lithographierte Porträts von Don Carlos und Zumala-Carreguy und ein schöner, glänzend polierter Säbel wechselten mit den erwähnten Jagdwaffen ab. In einer Ecke des Gemachs brannte die ewige Lampe vor einer buntbemalten, mit Kränzen und Amuletten verzierten Statuette der heiligen Jungfrau, und in der andern, von einem bunten Zitzvorhang umgeben, befand sich das einfache Lager des Hausherrn.

Der Tisch in der Mitte war mit Wachslichtern, einer Schüssel gerösteter Maronen, Käse und verschiedenen Krügen Apfelweins besetzt, den die Niederungen der baskischen Provinzen ganz vortrefflich liefern.

Die Fremden, denen das Innere des Hauses noch unbekannt war, hatten mit vielem Interesse die Ausstattung des Gemachs betrachtet, die so sehr mit der Geschichte und den Gewohnheiten ihres Wirtes übereinstimmte. Nachdem er sie an seinem Herde nochmals willkommen geheißen, und der Padre die Honneurs am Weinkruge gemacht, hatte sich die ganze Gesellschaft bald auf niederen Rohrsesseln um den Kamin versammelt und ließ munter ihre Zigarren dampfen.

»Und nun Ihre Geschichte, mein Sohn,« sagte neugierig der Padre. »Sagen Sie uns, wie Sie dieselbe nennen wollen?«

Don Juan hatte sich bequem in seinem Sessel zurückgelegt. »Wenn Sie nichts dawider haben, ehrwürdiger Vater,« bemerkte er, »will ich ihr einen sehr bescheidenen Namen geben, einen Namen, der Ihnen vielleicht auch schon vorgekommen ist bei Ihren Bemühungen um die geistliche Herde. Er heißt:


2. Das Bockschießen.

»Ich meine nicht,« fuhr der Abenteurer fort, »jene Böcke, die wir alle mehr oder weniger, zwar nicht oft ohne großen Schaden, aber doch meist in aller Bequemlichkeit und sonder Gefahr schießen, sondern die Jagd auf den Springteufel der savoyischen Alpen, den nur noch dort in den höchsten und wildesten Regionen des Gebirges hausenden Steinbock.

Ich habe nie Gelegenheit gehabt, auf die Gemsen zu pürschen, bin überhaupt auch kein Jäger von Profession und sonderlicher Leidenschaft, nur die Anstrengung und Gefahr dabei hat mich immer gereizt, und ich habe mir sagen lassen, daß die Gemsenjagd in den Schweizer und Tiroler Alpen Kinderspiel sei gegen die Jagd auf den Steinbock in den Felsenlabyrinthen des Montblanc.

Einige von Ihnen, Sennores, wissen und erinnern sich vielleicht, daß ich der Güte meines Oheims, des verstorbenen Viscount von Heresford, eine kleine Besitzung am Golf von Nizza verdanke, die mir das Recht gibt, mich den Herrn von Roccabruna zu nennen!«

Eine leichte, etwas spöttische Verbeugung gegen den französischen Offizier zeigte die Adresse der Andeutung.

»Ich war,« fuhr Don Juan fort, »nach der Wiedereroberung von Delhi durch die Engländer nach Europa zurückgekehrt, im April 1858 in England eingetroffen und hatte dort die Erbschaftsangelegenheiten meines am 13. März, am Tage der Hinrichtung Orsinis, in Paris ermordeten Onkels, des Viscount von Heresford mit meinem Vetter, seinem Nachfolger in der Pairie – der sich gegenwärtig, so viel ich weiß, irgendwo am Nordpol amüsiert, – geordnet. Während des Herbstes und Winters schmuggelte ich etwas mit meiner Jacht an der spanisch-französischen Küste, war in Marokko und kam im Frühjahr 59 zeitig genug nach Nizza zurück, um unter Garibaldi den Österreichern einige Scharmützel am Comer See liefern zu helfen. Die Schlachten von Magenta und Solferino waren geschlagen, der Frieden von Villafranca war geschlossen und die Garibaldiner konnten nach Hause gehen. Ich hatte mit einem derselben, Sta Lucia, Bekanntschaft gemacht, der Bursche gefiel mir, und da seine Heimat, Korsika, ihm verleidet war, lud ich ihn ein, das Mouffletier statt auf den Felsen des Monte-Rotondo in den savoyischen Alpen zu jagen, und zuvor mit mir nach Roccabruna zu gehen, dessen Besitz mir mein Oheim hinterlassen hatte.«

»Entschuldigen Sie, Sennor Conde,« sagte der Prinz, – »sprechen Sie von Sta Lucia, dem berüchtigten Banditen von Ajaccio?«

»Gewiß, mein Prinz! Warum sollte ich den ehrlichen Burschen nicht einladen? Ich bitte nur, ihn nicht zu verwechseln mit einem Namensvetter, der sich bei der Krimarmee umhertrieb. Der meine ist in seinem Leben kein Räuber und Spitzbube gewesen, sondern hatte bloß das Unglück, seinen unschuldig auf die Galeeren geschickten Bruder an den achtzehn falschen Zeugen rächen zu müssen, die sich von einem spitzbübischen Advokaten hatten erkaufen lassen, um die Verurteilung des armen Mannes herbeizuführen. Was wollen Sie mehr? Er schoß die achtzehn Halunken nach einander nieder oder verstümmelte sie, und versetzte endlich nach langem vergeblichen Bemühen, ihm zu begegnen, dem Anstifter am hellen Mittag auf der Schwelle der Kirche einen tüchtigen Dolchstoß. Dann durchschritt er die Menge, welche seine Rechtspflege für sehr gerecht erkannte und von der keine Seele daran dachte, ihn aufzuhalten, lief nach dem Meer und bestieg im Angesicht der ganzen Bevölkerung wieder die Barke, die ihn hergebracht. Ich lernte ihn, wie gesagt, bei Garibaldi kennen und bedauere noch heute lebhaft, daß er sich nicht der Mannschaft meiner Jacht anschließen wollte, aber er zog es nun einmal vor, auf dem festen Lande zu bleiben. Vielleicht gibt ihm die Regierung eine Polizeistelle in Florenz oder Neapel.«

»Es kommt auf den Geschmack an, wie man seine Gesellschaft wählt,« sagte lachend der Prinz, »und ich muß gestehen, Sie beschämen mich. Aber fahren Sie fort, Sennor Conde, wenn es Ihnen gefällig ist. Ich hoffe nach dem Anfang, wir werden einiges Interessante zu hören bekommen.«

»Täuschen Sie sich nicht, Altezza! meine Geschichte ist ziemlich einfach und ich erzähle sie eben nur, weil mir gerade eine Erinnerung daran in den Sinn kam.

Gut denn! es war zu Ende August, und wir verlebten einige Tage auf meiner Villa Roccabruna, bis uns die Zeit lang wurde und Sta Lucia, der ein eifriger Jäger war, drängte, ihm mein Versprechen zu halten.

So machten wir uns alsbald auf, überstiegen die Seealpen, die uns nicht hoch genug waren für unsern Zweck, und quartierten uns unterm Monte Viso ein, an dessen Felswänden der größte Fluß Italiens, der Po, seine Quellen hat.

Es war eine einsame Osteria an der Grenze, die wir zu unserm Hauptquartier gewählt hatten, das Gebäude – ein verlassenes Kloster – größer als die Wirtschaft selbst, obschon es dieser keineswegs an Verkehr fehlte, denn piemontesische und französische Schmuggler, Douaniers und Bergjäger verkehrten hier oft im besten Einverständnis, weil der Ostiere einen vortrefflichen Asti führte und eine schöne Tochter besaß.

Therese Leagroni war ein prächtiges Geschöpf, schlank und doch üppig gebaut, mit köstlichen braunen Haaren und vollen, etwas aufgeworfenen Lippen. Eine Eigenschaft, welche die gewöhnlichen Besucher des Hauses abschrecken mochte, war ein gewisses keckes entschlossenes Wesen und ein Hochmut, der mit dem schmutzigen Geiz und der Habsucht ihres Vaters in argen Konflikt kam.

Wie gesagt, das Mädchen zog mich an, und ich dankte dem Zufall, der mich hierher geführt hatte. Während Sta Lucia sich mit den Schmugglern und Jägern unterhielt, die hier verkehrten und ihre mehr als einmal ausbrechende Eifersucht auf meine Erfolge bei der Gebirgsschönheit dämpfte, machte ich ihr den Hof.

Die schöne Therese schien übrigens an meiner Gesellschaft großes Gefallen zu haben, ja eine besondere Neigung zu mir zu fassen, die bei ihrem Charakter sich bald zur Leidenschaft steigerte und die sie ganz unverhohlen zeigte. Ich weiß selbst nicht, wie es eigentlich kam und was mir einfiel, daß ich – sehr gegen meine sonstige Natur, – Sie sehen, Caballeros, wie offen ich bin, – von diesem Siege keinen Gebrauch machte und statt ihn zu verfolgen, diesmal den Spröden spielte, ja sie ziemlich kalt und wegwerfend behandelte. Aber je ärger ich's trieb, desto verliebter wurde sie. Es hätte mich ein Wort gekostet und sie wäre ohne Zaudern mit mir davon gelaufen, oder hätte sich mit Wonne jede Nacht in meine Arme gestürzt.

Wie gesagt, warum sollte ein Mann nicht ebensogut seine tugendhaften oder spröden Launen haben, wie eine Frau?

Wir waren schon mehrmals in den wilden Felsenklüften und auf den Bergwänden des Monte Viso auf der Jagd nach dem Moufflon gewesen, aber das seltene Wild, das sich nur hier noch und auf dem Monte Cenis in wenigen Paaren aufhält, war uns ein einziges Mal zu Gesicht gekommen, ohne daß uns ein Schutz gelang. Der Moufflon auf seinen Bergwänden ist fast scheuer und flüchtiger als die Gazelle in der Wüste und nur selten gelingt es dem Schützen, ihn zu beschleichen.

Um so mehr ärgerte es mich, als eines Abends ein Jäger von der französischen Seite des Gebirges in die Halle trat, wo wir alle ums Feuer saßen, beladen mit einem feisten Mouffletier, das er seiner prahlerischen Erzählung nach in der Höhe von sechstausend Fuß geschossen hatte. Der Bursche war ein Anbeter der schönen Therese und tat sich nicht wenig auf das Geschenk zugute, das er ihr brachte, und das wenigstens bei dem alten Ostiere großen Beifall fand, der sofort die Absicht kund gab, das wohl 200 Pfund schwere Tier nach Turin zu schicken, um es dort zu Gelde zu machen.

Aber das Projekt wurde ihm schon im Keim verdorben durch den Eigensinn seiner schönen Tochter.

»Die schöne Theresa protestierte gegen das Projekt ihres Papas, reklamierte Kopf und Fell für sich und ließ das Fleisch zur Küche bringen. Dabei sprach sie viel von dem Glück des Jägers, und daß nur die Franzosen verständen, sich galant zu beweisen. Sie wären unzweifelhaft die geschicktesten und mutigsten Jäger des Gebirges.

Ich machte mir in der Tat nichts aus dem Mädchen, aber die Prahlereien fingen an mich zu verdrießen und so trat ich denn zu dem Tisch, an dem der Franzose seine Heldentat zum besten gab und Theresella mit spöttischen und herausfordernden Blicken neben ihm saß.

»Ich hoffe, Monsieur Ladreux,« sagte ich so laut, daß alle Anwesenden unser Gespräch verstehen konnten, – »ich hoffe, daß Ihre ausgezeichnete Flinte für uns arme Piemontesen noch einiges Wild am Monte Viso übrig gelassen hat.«

»Oh, Monsieur,« sagte unverschämt der Franzose, »Sie werden davon noch genug finden, wenn Sie nur die Spur zu verfolgen verstehen. Es ist freilich etwas mühselig für einen Herrn Ihres Schlages.«

»Eben deshalb erbitte ich mir Ihren weisen Rat. Die Moufflons sind also sehr schwer zu beschleichen?«

»Allerdings – sehr schwer – es ist nichts für Sonntagsjäger. Das Tier geht bis an den Rand der Eisregion.«

»Aber nicht darüber hinaus?«

»Nein – der Moufflon liebt die Schneeregion nicht, und nur die Einsamkeit der Felsen.«

»Aber gibt es denn am Monte Viso kein Wild zwischen den Gletschern?«

»O gewiß, den Steinbock! Aber er ist noch schwerer zu schießen, als selbst das Mouffletier.«

»Und haben Sie Spuren des Steinbocks entdeckt?«

»Ich habe einen sogar gesehen. Auf dem Col du Midi. Aber warum fragen Sie danach?«

»Bloß, weil wir beabsichtigen, morgen auf die Jagd des Steinbocks zu gehen, da schon Leute wie Sie genügen, einen Moufflon zu schießen!«

Der Franzose sprang auf. Es war ein stämmiger, von Wind und Wetter abgehärteter Bursche. »Wollen Sie mich etwa beleidigen, Monsieur?«

»Einen Kerl wie Sie? – nein – dergleichen Züchtigungen überlasse ich meinem Begleiter.«

»Ho, Monsieur, das sollen Sie mir büßen!« und er griff nach seinem Gebirgsstock. Aber Sta Lucia, der nur auf diesen Augenblick gewartet hatte, streckte ihn mit einem Schlage zu Boden. »So, mein Bursche,« sagte er, – »ich werde dir den Sonntagsjäger anstreichen!«

Theresa schrie erschrocken auf, die Anwesenden sammelten sich sofort um uns, in zwei Parteien geteilt, denn obschon ich, wie gesagt, durch den Vorzug, den mir die schöne Wirtstochter bewiesen, wenig Freunde unter den gewöhnlichen Besuchern der Osteria zählte, kam doch hier das Nationalitätsgefühl ins Spiel.

Ein Kampf war unvermeidlich und nach der Sitte des Gebirges mußte er mit den Kampfstöcken ausgefochten werden. Das war es, was ich gewollt hatte, denn ich wußte, daß Sta Lucia im Stockspiel ein Meister war.

Auf den Ruf der Versammlung hatte der Ostiere alsbald die üblichen Waffen herbeigebracht.

Ladreux hatte sich unter wütenden Drohungen vom Boden erhoben und stand jetzt scheltend und tobend unter seinen Freunden. Es machte mir Vergnügen, mit einem Mann der Gegenpartei, einem alten französischen Schmuggler, alle Regeln des unblutigen, aber keineswegs ungefährlichen Zweikampfs aufs Beste zu ordnen und dann stellten wir die Kämpfer einander gegenüber, wobei ich nicht unterlassen konnte, Mamsell Theresa einen spöttischen Blick wiederzugeben.

Das Mädchen hatte vollkommen unsere Absicht begriffen. Sie hielt ihre etwas wolfsartigen hübschen Zähne fest auf die Unterlippe gebissen und sah mich mit einem Blick an, als hätte sie mich am liebsten verschlungen.

Die kleine Szene machte mir großen Spaß. Ich klatschte in die Hände und rief: En avant!

Monsieur Ladreux war kein zu verachtender Gegner. Er wirbelte seinen, in der Mitte gefaßten Stock mit vieler Geschicklichkeit um das Haupt und griff meinen Banditen, der einen halben Kopf kleiner war, mit großer Heftigkeit an. Aber ich wußte, was ich an Sta Lucia hatte. Der Bursche besaß ein Bein, das von Stahl, und Armmuskeln, die von Schmiedeeisen waren. Er begnügte sich eine lange Zeit, die Hiebe seines Gegners zu parieren und warf ihn dann, wie die Katze die Maus mit einem Schlage nochmals zur Erde.

Seine Sekundanten sprangen sofort zu, hoben ihn auf und suchten ihm Ruhe zu predigen. Aber Monsieur Ladreux hatte sich jetzt in die blindeste Leidenschaft hineingearbeitet, und noch bevor das Zeichen gegeben war, stürzte er auf seinen Gegner los, ließ den Stock bis zum Ende durch seine Hand gleiten und tat einen furchtbaren Schlag nach dem Feinde, der diesem wahrscheinlich den Schädel zerschmettert hätte, wenn er ihn getroffen. Aber Sta Lucia hatte sich mit der Schnelligkeit des Blitzes auf sein linkes Knie geworfen, ließ den Schlag über sich wegsausen und begann jetzt, seinen Gegner mit einem solchen Wirbel von Hieben auf Arme, Brust und Leib zu bedienen, daß dieser an Parieren gar nicht mehr denken konnte. Zuletzt schlug er ihn mit einem Hieb von unten den Unterkiefer fast entzwei, daß der arme Kerl drei Zähne mit einem Strom von Blut ausspuckte und fast unfähig, noch ein Glied zu rühren, in die Arme seiner Partei fiel, die ihn zu ihrem großen Ärger für besiegt und vollkommen befriedigt erklären mußte.

Von diesem Augenblick an waren Sta Lucia und ich die Helden unserer sauberen Gesellschaft von Schmugglern und Wilddieben.

Ich benutzte sofort die Gelegenheit zur Verfolgung des Coups.

»Signor Legroni!«

»Was befehlen Excellenca?«

»Sie werden zwanzig Bouteillen Ihres besten Asti, von der Sorte, die ich trinke,« sagte ich mit Herablassung, »aus Ihrem Keller holen, damit diese Herren den Braten des Mufflon nicht trocken genießen. Ich bitte Sie um die Ehre, meine Gäste zu sein!«

Die schöne Theresa zitterte vor Ärger bei dem Evviva, das man mir brachte.

»Und nun, Signori,« fuhr ich fort, »wer hat Lust, zehn Napoleons zu verdienen?«

Die Lust hatten natürlich alle, wie die allgemeine Frage wofür? bewies.

»Sie haben gehört,« fuhr ich fort, »daß wir morgen den Steinbock auf dem Monte Viso jagen wollten, dazu brauchen wir einen kundigen Führer. Wer den Dienst übernehmen will und uns das Wild binnen zwei Tagen zum Schuß bringt, sei die Jagd auch noch so gefährlich, erhält die genannte Belohnung.«

Die Kerle steckten die Köpfe zusammen und berieten sich. Zweihundert Franken waren ein Verdienst, der ihnen nicht alle Tage geboten wurde. Zuletzt wurden sie einig, und ein alter Wilderer erhob sich.

»Wir müssen bekennen, Signor,« sagte er, »daß Ladreux allerdings derjenige gewesen wäre, der am besten Ihren Wunsch hätte erfüllen können. Nachdem Sie ihn aber so zugedeckt, daß der arme Teufel in den nächsten acht Tagen seine Gliedmaßen nicht gebrauchen kann, bin ich der Mann, welcher Ihnen am ersten dienen kann, da ich am Monte Viso geboren bin. Ich bin bereit. Sie zu führen und mein Bestes zu tun. Mehr kann kein Mensch!«

»Und mehr braucht es auch nicht, und die zehn Napoleons sollen auf jeden Fall die Euren sein. Sorgt, daß wir morgen beizeiten aufbrechen können, und nun zu Tische, Messieurs!«

Den zerschlagenen Ladreux hatte man in eine Zelle gebracht. Als ich nach zwei sehr lustig verlebten Stunden in mein Zimmer ging, reichte mir die schöne Theresa das Licht.

»Signor Giovanni,« sagte sie, »Sie wollen also wirklich die gefährliche Jagd unternehmen?«

»Dazu bin ich hierher gekommen.«

»Und wenn Sie das Wild schießen, werden Sie es mir bringen?«

»Mit Vergnügen!«

» Grazia, Signor. An dem Abend des Tages wird die Tür meines Schlafzimmers für Sie unverschlossen sein!«

Ich pfiff durch die Zähne. »Vielleicht! Nous verrons!«


Am andern Morgen beizeiten brachen wir auf nach dem Hochgebirge. Sta Lucia, ich und Andrea der Führer, mit unsern Büchsen, Steigeisen, Stricken, Decken und Lebensmitteln versehen, denn wir mußten darauf rechnen, mindestens eine Nacht auf den Schneefeldern des Monte Viso kampieren zu müssen.

Wir stiegen höher und höher, und immer einsamer wurde es um uns, und immer tiefer lag die andere Welt unter uns. Andrea war ein vortrefflicher Führer und kannte die Wechsel des Wildes sehr wohl. Die Schluchten und Abhänge, die er uns führte, hatten wir auf unseren eigenen Jagdstreifen noch niemals betreten, und in der Tat sahen wir am Nachmittag in der Höhe von etwa 600 Fuß auf einem steilen Felsengrat ein kleines Rudel Mouffletiere.

Sta Lucia wollte sie beschleichen, während ich den Weg nach dem Col du Midi, einer der höchsten Felsenspitzen des Monte Viso, fortsetzen wollte, wo Andrea bei seiner letzten Jagd die Spuren eines Steinbocks gefunden hatte.

Wir teilten darum unsern Proviant, und nachdem wir eine der weithin sichtbaren Felsenwände als den Ort des Rendezvous verabredet hatten und Andrea meinem Gefährten verschiedene Ratschläge gegeben, trennten wir uns.

Der Monte Viso ist 11 800 Fuß hoch, nach dem Mont-Pelvoux die höchste Spitze der Cottischen Alpen. Am Nachmittag hatten wir eine Höhe von 800 Fuß erreicht und befanden uns in der Schneeregion. Es ist ein wüstes wildes Felsengebirge, dessen Steinmassen nur an einzelnen Stellen von Gletscherfeldern unterbrochen werden. Je höher wir stiegen, desto wilder wurde die Natur. Ich bin an Gefahren gewöhnt und habe sie zu Land und zur See bestanden, wo das Leben an einem Zucken des Auges, an einem Zufall hing, aber nichts prüft die Nerven und die Muskeln eines Mannes derart, wie ein Jagdgang zwischen den eisigen Fernern und den Felswänden der Hochalpen, an denen nur der Adler kreist, die Gemse springt und der Mensch oft keinen Raum findet, seinen Fuß zu setzen.

Zweimal hörten wir im Laufe des Nachmittags den Knall einer Büchse. Andrea, mit der Erfahrung der Alpenjäger, behauptete, daß die Schüsse nicht aus demselben Gewehr gekommen seien, daß also außer uns noch eine zweite Partie in dem Hochgebirge jagen mußte, wahrscheinlich von der französischen Seite her, denn jede andere aus Piemont würde nicht versäumt haben, in der Osteria des alten Legroni vorzusprechen. Wir kümmerten uns aber wenig darum und setzten unsern Weg nach der Felsenwand fort, an welcher wir das Rendezvous mit Sta Lucia bestimmt hatten.

Eben, als wir sie erreichten, verließen die letzten Sonnenstrahlen die höchsten Spitzen des Berges und statt des glühenden Rosenrots derselben sank tiefe Nacht auf unsere Umgebung nieder. Wir mußten also unseren weiteren Marsch einstellen, obschon wir jene Bergwand noch nicht ganz erreicht hatten, da der Weg derselben an dichten eisbedeckten Abgründen hin allzu gefährlich im Finstern gewesen wäre. Andrea vertröstete mich auf die frühe Morgendämmerung, daß diese uns sicher zum Schuß bringen würde, da er die untrüglichen Spuren des gesuchten Wildes gefunden hatte.

Während wir unter einem überhängenden, uns einigermaßen gegen den Wind schützenden Felsen unser Nachtlager bereiteten und Andrea aus dem spärlichen Knieholz, das er vorsichtig mit hier heraufgeschleppt, ein Feuer anmachte, sahen wir an der mehrerwähnten Bergwand ein ähnliches auftauchen. Sta Lucia mußte also bereits den Ort erreicht haben und kampierte dort.

Wir verzehrten unser Abendbrot, tranken einen tüchtigen Schluck Kirschwasser, und streckten uns in unsere Decken gehüllt mit den Füßen gegen das Feuer gekehrt auf dem Felsboden aus.

Der Tag graute noch nicht, als mich Andrea aufrief.

Ich war rasch auf den Füßen und nach wenigen Augenblicken waren wir marschfertig.

Es war die halbe Dunkelheit einer Sommernacht und im Osten, über den Ebenen und Hügelketten Piemonts tauchten die milden Farben der Dämmerung empor, die dem Aufsteigen des Tagesgestirns vorangeht.

Mein Führer stieg mir rüstig voran – in einer Stunde hatten wir die Felswand erreicht, wo Sta Lucia übernachtet haben mußte. Wir fanden noch die Kohlen des Feuers, das am Abend angezündet worden war, aber keine Spur mehr von der Person des Banditen. Vielleicht hatte er sich selbst aufgemacht, uns zu suchen.

Andrea bestand jedoch darauf, vorwärts zu gehen, denn jetzt, wo die Sonne eben empor stieg, war die glücklichste Zeit zur Belauschung des Wildes.

Wir stiegen Fuß um Fuß den gefährlichen, oft kaum handbreiten Weg um eine Bergwand, während zu unserer Rechten ein Abgrund ins Bodenlose zu fallen schien, als plötzlich der Savoyarde meine Schulter berührte.

»Still, Signor – keinen Laut,« flüsterte er. »Bücken Sie sich unter diesen Stein, damit er Ihrer nicht ansichtig wird. Dort steht er!«

Er deutete nach einem hoch über uns vorspringenden schmalen Felsengrat, den wir eben umklimmen wollten.

Richtig, dort oben, scharf und dunkel gegen den lichten Morgenhimmel abgezeichnet, stand ein großes kräftiges Tier mit zusammengezogenen Beinen, den Kopf mit den langen halb gebogenen elastischen Hörnern, auf die es sich bei seinem kaum glaublichen Springen in die Tiefe stützt, nach allen Seiten windend.

Ich machte mich, hinter den Felsblock gebückt, fertig zum Schuß, die Büchse auf das Gestein stützend – er konnte mir nicht entgehen, – und war im Begriff loszudrücken, als der Bock eine plötzliche Wendung machte und dann einen furchtbaren Sprung empor von dem Felsengrat und herab.

In demselben Augenblick hörte man von der andern Seite des Grats das Krachen eines Büchsenschusses.

Der Bock war etwa in horizontaler Linie mit uns auf ein kleines Felsenplateau gesprungen, ich sah deutlich, wie er auf seine Hörner aufschlug, dann sich emporraffte und einen neuen Sprung versuchen wollte, der ihn aus unserm Bereich bringen mußte. Ich lag im Anschlag und meine Kugel – ich hatte auf den Kopf gezielt, – warf ihn zu Boden.

Mit einem Jubelruf eilten wir beide den gefährlichen Weg vorwärts, darauf gefaßt, bei dem Bock bereits unseren Gefährten zu finden.

Das Wild lag, als wir es fanden, bereits verendet auf der Steinplatte. Es war ein großer Bock, wohl drittehalb Zentner schwer und mit Hörnern, die über 3 Fuß maßen, also ein wahres Prachtexemplar, das gewiß kein Jäger im Stich gelassen hätte. Meine Kugel war ihm von hinten in den Kopf gedrungen und hatte augenblicklich seinen Tod herbeigeführt, aber dieser wäre auch so sicher gewesen, denn wie ich mich überzeugte, hatte die erste Kugel seine Weichen durchbohrt und die Lebensteile verletzt.

Es ist die alte Sitte des Gebirges, daß kein Jäger auf das bereits von einem andern angeschossene Wild schießt, es sei denn, daß er sich überzeugt hat, es sei nur unbedeutend verwundet. In diesem Fall jedoch schadete der Bruch der alten Jägerregel nichts, da ja der Schütze unser Freund und Gefährte war.

Aber vergebens warteten wir auf das Erscheinen Sta Lucias.

Wir ließen endlich unseren lauten Ruf ertönen, der weit hin durch die dünne Luft der Höhe klang, und als er keine Antwort fand, pfiff mein Gefährte auf jene durchdringende Weise, mit der sich die Gemsenjäger ein Zeichen zu geben pflegen.

Einige Augenblicke darauf war es uns, als hörten wir aus weiter Ferne oder aus der Tiefe den leisen Klang einer Antwort. Sollte Sta Lucia durch irgendeinen Umstand verhindert gewesen sein, seine Beute zu verfolgen?

Wir beschlossen, ihm entgegenzugehen, bedeckten das Wild gegen die bereits in der Höhe kreisenden Adler mit unseren Decken und machten uns auf den Weg, den Felsgrat zu umschreiten. Mit einiger Mühe gelang es uns, und auf der andern Seite angekommen, hatten wir einen ziemlich freien Überblick über Felsgeröll und Eisfelder.

Plötzlich hörten wir in geringer Entfernung das vorhin gegebene Signal jetzt weit stärker wiederholen, ohne daß wir jedoch entdecken konnten, woher es kam.

»Sta Lucia – wo seid Ihr?«

Ein Fluch antwortete und eine Stimme: »Zum Teufel, ihr Narren! kommt hierher!«

Der Ton kam dumpf wie aus der Tiefe. Wir eilten nach dem vor uns liegenden Schnee- und Eisfeld und entdeckten nach wenigen Schritten die Ursache.

Quer durch das Feld in verschiedenen Windungen zogen sich mehr oder weniger breite Spalten und Risse. Aus einer derselben klang uns der Zuruf und der ziemlich herrische Befehl, dem Rufenden herauszuhelfen. In der Tat fanden wir auch bald den Ort und sahen in einer etwa 20 bis 30 Fuß tiefen Spalte, deren Grund mit Schnee bedeckt war, einen Jäger.

Aber es war nicht Sta Lucia, sondern ein Fremder. »Nun zum Teufel,« schrie der Mann, offenbar derselbe, der den ersten Schuß auf den Steinbock getan – »was steht Ihr da und habt Maulaffen feil, statt mir herauszuhelfen? Caramba – schafft einen Strick herbei und zieht mich hinauf!«

» Lente, lente, amice!« sagte kopfschüttelnd der alte Bergjäger. »Ich dächte, Ihr könntet Eurem Schutzheiligen danken, daß überhaupt jemand in dieser Einöde ist, der Euch Beistand leisten kann. Wir werden natürlich keinen Christenmenschen in solcher Not länger als nötig ist, stecken lassen, aber wir müssen doch unsere Vorbereitungen treffen, und während der Zeit könnt Ihr immer etwas höflicher sein, das kostet nichts!«

Der Fremde lachte und murmelte ein paar Worte, die wir nicht verstehen konnten. Während der Zeit hatte ich Gelegenheit, mich zu überzeugen, wie er in die fatale Lage gekommen war, in der wir ihn gefunden, und die ohne unsere Dazwischenkunft leicht für ihn hätte sehr verderblich werden können.

Er hatte wahrscheinlich bei dem Schuß, den er auf den Steinbock getan, dicht am Rande des Eisrisses gestanden und durch die Erschütterung des Knalls hatte sich in dieser dünnen Luftschicht ein Teil der Schneedecke oder des Gesteins gelöst und war ins Rutschen gekommen. Mit diesem Geschieb war er ausgleitend in die Spalte gestürzt. Indem er sich mit seinem Gewehr, einer schönen Doppelbüchse, zu halten versuchte, war diese am Schaft abgebrochen. Der Fremde war ein mittelgroßer kräftiger Mann, sein Gesicht aber wegen des Schmutzes und Blutes, mit denen es bedeckt war, nicht zu erkennen und nur ein langgedrehter Schnurr- und Knebelbart zu sehen.

Während ich diese Betrachtungen anstellte, hatte Andrea den Strick, den er um den Leib gewunden trug, abgewickelt und mit einer Laufschlinge hinab in die Spalte geworfen.

»Da, Ihr Himmelsackermenter,« rief er – »bindet's Euch um den Leib und dann laßt uns wissen, ob Ihr dabei helfen könnt, oder ob Ihr etwa eins Eurer Glieder gebrochen habt!«

»Nichts davon, Alter, ich bin mit einigen Schrammen davongekommen,« lautete die Antwort, »und nun zieht los, Ihr da oben!«

Wir zogen aus allen Kräften, weil er ein schwerer Mann war. Weil er aber möglichst durch Anstemmen an den Seiten half, gelang es uns endlich, ihn über den Rand der Eisspalte emporzuheben.

Er blieb nur einen Augenblick auf dem Schnee liegen, wie, um von der gewaltigen Anstrengung wieder Atem zu schöpfen, der wie in einem Blasebalg die kräftige hohe Brust auf und niederwogen machte, dann sprang er empor.

»Pest und Doria – wo ist der Bock, Leute, und wer zum Teufel hat es gewagt, nach dem Tier zu schießen, nachdem ich es getroffen?«

»Ich, Signor – aber es geschah, weil ich glaubte, der Schuß sei von einem unserer Freunde getan. Ich kenne das Waidmannsrecht der Gebirge zur Genüge, um Ihnen zu sagen, daß das Tier zu Ihrer Disposition steht. Auf der andern Seite des Grats liegt es.«

»Das war Euch geraten!« Der Fremde strich sich wiederholt den Knebelbart, während er mich scharf betrachtete. Es war, wie gesagt, ein Mann von mittelgroßer, aber sehr kräftiger Gestalt, der ganz zur Ertragung großer körperlicher Strapazen, sei es bei Krieg oder Jagd, gemacht schien. Er trug eine gewöhnliche Bergjoppe und die Ausrüstung eines Alpenjägers.

» Cospetto – was starrt Ihr mich so an? Ich mag freilich schön aussehen vor Dreck und Blut. Reicht mir etwas Schnee her, alter Bursche, damit ich Toilette mache. Euer Gesicht muß ich schon im Leben gesehen haben, Mann!«

Die letzte Frage oder Anrede galt mir, während er sich mit der Hand voll Schnee, den ihm Andrea reichte, das Gesicht abrieb.

»Es geht mir ebenso mit Ihnen! – ich bin der Kapitän von Roccabruna, bis jetzt Offizier im Garibaldinischen Korps.«

»Ah – zum Teufel! ich erinnere mich jetzt!« Er kehrte in diesem Augenblick das gereinigte Gesicht nach mir hin und ich prallte erschrocken zurück. »Und ich bin der Herr von Villafranca, das nicht weit von Roccabruna liegt, obschon wir uns als Nachbarn nicht gekannt haben. Was tun Sie hier?«

»Ich war auf der Jagd nach dem Mufflon und dem Steinbock, Si …«

»Pest und Doria! Haben Sie mich nicht verstanden? – Da können Sie lange laufen, ehe Sie einen Steinbock finden werden. Es war das einzige Tier noch hier am Col und ich bin schon seit einer Woche hinter ihm her. Was brauchen Sie meine Steinböcke hier zu schießen?«

»Ich hatte es einer Dame versprochen, einer jungen hübschen Savoyardin.«

»Einem Frauenzimmer? Caramba! – das ist was anderes! Aber Sie sollen mir die Geschichte nachher erzählen. Jetzt kommen Sie zu dem Tier und dann wollen wir frühstücken, denn ich habe einen gottverfluchten Appetit.«

Auf einen Wink ging der alte Andrea voran, der das Wesen des fremden Jägers mit wiederholtem Kopfschütteln betrachtet und noch immer vergeblich auf ein Dankeswort von ihm gewartet hatte.

Die Sache fing an, mir Vergnügen zu machen, und ich folgte daher, die Entwicklung abwartend, stillschweigend dem fremden Jäger, der sich sofort als ein sehr rüstiger Bergsteiger und Kletterer erwies.

Sobald wir auf den Platz, wo das Wild lag, gekommen waren, eilte er zu diesem, besah es genau und begann es sofort kunstgerecht auszuwaiden. Er nickte mir nur zu und sagte, auf den Kopf deutend: »Ein guter Schuß! aber er war nicht nötig!«

» Cospetto,« murmelte der alte Andrea unwillig, »dann hättet Ihr Euren Bock suchen können drunten im Rivettiabgrund, wo Ihr wahrscheinlich keinen Knochen mehr ganz von ihm gefunden hättet. Ihr seid ein seltsamer Bursche, Fremder, und ein undankbarer Kerl dazu!«

Ich wollte der allzu offenherzigen Rede des alten Jägers Einhalt tun, aber der Herr von Villafranca winkte abwehrend. »Meinst du, Alter?« sagte er rauh. »Nun, ich hoffe, du bekommst eine bessere Meinung von mir, ehe wir voneinandergehen.«

»Das müßte seltsam sein mit einem Eures Namens!«

»Pest und Doria! Was willst du damit sagen?«

»Na – was soll ich damit sagen, als daß der Name schlechten Klang hat bei jedem Italiener. Teufel noch einmal, unser Alter hat sich da gut von den Franzosen und den Weißröcken über den Löffel barbieren lassen und die Parlevous über der Grenze prahlen, wir würden noch alle französisch werden. Haben doch selbst der Cavour und der Garibaldi dem König-Ehrenmann den Handel aufgekündigt!«

Der Fremde hatte seine blutige Arbeit einen Augenblick unterbrochen, um dem Alten zuzuhören. Seine Stirn faltete sich anfangs, doch gewann bald die gute Laune über sein Jagdglück wieder die Oberhand. »Dummkopf!« sagte er lachend, »was versteht ein Kerl, wie du, davon!«

» Olà!« rief der Alte, der ein sehr eifriger Katholik war, »und den heiligen Vater wollen sie auch schinden und plündern, als wären sie keine Christenmenschen! Aber er wird's ihnen heimgeben, und sie nächstens in den Bann tun, die ganze Gesellschaft, wie der fromme Pater Vincencio drüben auf dem St. Bernhard sagt.«

»Dein Bernhardiner scheint ein kluger Mann zu sein,« meinte philosophisch der Jäger. »Aber nun, Kinder, laßt uns ans Frühstück denken und besprechen, wie wir das Tier hier fortschaffen.«

Andrea zog aus seinem Ranzen die Reste unseres Abendbrots, und da es uns hier an jedem Material zu einem Feuer mangelte, mußten wir uns mit einem tüchtigen Schluck Kirschwasser begnügen, dem der Fremde so gut wie wir zusprach. Dabei fragte er uns in seiner barschen Weise aus, woher wir kämen, und als ich ihm von unserem Gefährten Sta Lucia und seinem Stockkampf am vorvergangenen Abend erzählte, lachte er herzlich, bedauerte, nicht dabei gewesen zu sein und fragte auf das Genaueste nach der Osteria und ihren Besuchern.

Da der Transport des ganzen Bocks an dieser unwegsamen Höhe zu beschwerlich gewesen wäre, beschlossen wir, ihn abzuhäuten, zu zerlegen und nur die besten Stücke mit uns zu nehmen. Ich nahm dabei die Gelegenheit wahr, unsern neuen Gefährten zu fragen, wohin wir ihn begleiten sollten.

»Mich begleiten? Zum Henker, glaubt Ihr, daß ich eine Stadtratze bin, die im Hochgebirg nicht aus noch ein weiß? Nichts da, niemand braucht mich zu begleiten, aber ich will euch beide begleiten, um die Bekanntschaft des wackeren Herrn, Lucia und des Ostiere Legroni nebst seiner spitzbübischen Gesellschaft zu machen. – Vielleicht auch,« und er warf mir einen sarkastischen Blick zu, – »um mich zu überzeugen, ob die schöne Theresa es wirklich verdient, daß man auf den Felsenwänden des Monte Viso nach einem Steinbock für sie herumkriecht. Vorwärts denn, ans Werk!«

»Hört, Mann,« sagte der alte Gebirgsjäger, – »Ihr hättet wirklich besser zu einem Korporal gepaßt, als zu einem Jägersmann!«

»Wer weiß, Mann, vielleicht zu beiden. Ich meine, ich hätte Euch überdies bewiesen, daß ich kein ganz schlechter Jäger bin. Auch haben wir ja in der Armee ein ganzes Bataillon Alpenjäger bei Herrn Garibaldi, obschon gewiß viele der Schurken die Alpen nur aus ihren Betten gesehen haben und die ganze Bande herzlich wenig taugt! – Pest und Doria, oder standen Sie etwa selbst bei den Alpenjägern, Signor?«

Ich verneinte.

»Optime! Dann habe ich Sie nicht beleidigt und Villafranca und Roccabruna brauchen sich deshalb nicht zu schlagen. Aber ans Werk nun, meine Herren!«

Die Sache war übrigens bald getan.

Wir beluden uns mit den Keulen, dem Ziemer und der Haut des Bocks, an der Kopf, Hörner und Hufe hingen, und machten uns dann auf den Rückweg, wobei der Herr von Villafranca, unser neuer Gefährte, es sich durchaus nicht nehmen ließ, sein Teil mitzuschleppen.

Wir mochten etwa eine Stunde bergab gestiegen sein nach der Richtung von Delfino, als uns ein weithin schallender Jägerruf begrüßte. Wir antworteten, und bald sahen wir von einer ganz entgegengesetzten Seite Sta Lucia mit einem ausgeweideten Muffletier um den Nacken eine Bergwand herabklimmen. Daß er es nicht gewesen, sondern der fremde Jäger, dessen Feuer wir an dem Platz des Rendezvous gesehen, hatten wir bereits erfahren. Sta Lucia war bei der Verfolgung des Wildes in eine ihm gleichfalls ganz unbekannte Gegend des Hochgebirges gekommen, hatte das Tier zwar erlegt, aber dann nicht mehr den Weg zu dem verabredeten Ort gefunden und deshalb so wie wir unter einem Felsen übernachtet. Der Herr von Villafranca schien hohes Gefallen an dem Korsen zu finden und ließ sich von ihm des Genauesten seine Taten erzählen. Als wir endlich die erste Sennhütte erreicht, wurde Halt gemacht und von Lucias Tiere ein tüchtiger Braten geröstet, dem wir alle mit großem Appetit zusprachen.

Während des Mahles schien der Herr von Villafranca etwas nachdenklicher zu werden, ohne indes seine gute Laune zu verlieren; endlich nahm er aus seinem Jagdranzen ein kleines Reiseschreibzeug, schrieb einige Zeilen auf ein Blatt seiner Brieftafel und siegelte das Billet mit einem Ring, den er am Finger trug.

»Wie weit ist es auf gradem Weg nach Rovello?« fragte er den alten Gebirgsjäger.

»Zehn Miglien, Signore!«

»Hast du Lust, – abgesehen von dem Dank, den ich dir sonst schulde – ein Zwanzig-Liresstück zu verdienen?«

»Teufel, das kommt nicht oft! Warum sollte ich nicht?«

»Nun gut, so wirst du da, wo unsere Richtungen sich scheiden, uns verlassen und diesen Brief nach Rovello bringen. Kannst du lesen?«

» Dio! was denken Sie! ich bin kein Gelehrter!«

»Tut nichts – umgekehrt desto besser. Du brauchst blos den ersten gut gekleideten Mann, den du in den Straßen triffst, nach der Adresse zu fragen und er wird sie dir sagen. Jetzt stecke den Brief in deinen Ranzen!«

Der Alte tat, wie ihm befohlen war. Zugleicht fragte er: »Aber wer soll hier die Haut des Steinbocks tragen, wenn ich fort bin?«

»Oh – es wird sich ein Sennbub' finden lassen. Haben Sie Geld bei sich, Herr von Roccabruna?«

»Ja Si… – Signor!«

»Bitte, dann leihen Sie mir einige Gold- und Silberstücke, ich glaube, ich habe wahrhaftig keine fünf Lires in meiner Tasche.«

Ich zog mein Portemonnaie und überreichte es ihm. Unser seltsamer Gefährte nahm es, ohne es zu zählen, gab Andrea einen Napoleond'or und bezahlte die Sennerin reichlich. Dann forderte er uns auf, unsern Weg fortzusetzen.

Zwei Stunden später, als wir uns dem Tal näherten, verließ uns Andrea, nachdem wir in einer Sennhütte einen starken Burschen gefunden, der es über sich nahm, den größten Teil unsrer Jagdbeute zu tragen.

Wir näherten uns jetzt der einsamen Gebirgsherberge, in der wir unser Quartier aufgeschlagen hatten, doch von einer andern Seite, als wir sie verlassen und Sta Lucia machte unseren Gefährten darauf aufmerksam.

»Pest und Doria,« sagte er lachend, »dann ist es Zeit, daß wir unsere Rollen verteilen. Wie ist es, Signor Roccabruna, hängt Ihr Herz sehr daran, der schönen und wie Sie dieselbe beschreiben, etwas koketten Theresa den Beweis Ihres Meisterschusses zu Füßen zu legen?«

»Weder mein Herz noch meine Sinne sind dabei im Spiel. C'était pour passer le temps!«

»Gut, so behalte ich, was mir gehört, oder noch besser, wir wollen nicht verraten, wer den Bock erlegt hat. Dann kann sie es raten und es macht desto mehr Spaß. Zum Teufel, man hat ohnehin so wenig Unterhaltung und Vergnügen, daß ich mir's wohl gönnen kann. Der Herr von Villafranca wird sich also das Pläsier machen, heute abend in einer Schmuggler- und Wildschützenherberge mit Ihnen um die Gunst eines hübschen Bergmädels zu rivalisieren. Haben Sie mich verstanden?«

Ich verbeugte mich zustimmend. Sta Lucia sah mich mehrmals erstaunt und mit offenem Munde an, als er mich so gefügig sah, mich in die Launen unseres Jagdkameraden zu schicken.

Jetzt hatte man uns in dem alten Klostergebäude bemerkt; Meister Legroni, der Ostiere und sämtliche Einwohner und Gäste kamen heraus und winkten uns jubelnd zu, was zu meinem Staunen unser Gefährte mit einem tüchtigen Alpenjodler erwiderte.

Als wir näher kamen, erkannte ich, daß einige der verrufensten Wildschützen und Schmuggler sich unter den Gästen befanden. Unter dem Portal des alten Gemäuers stand Theresa, und ich sah, wie sie in die Hände klatschte, als unser Sennerbub' jetzt die Haut des Steinbocks mit den langen Hörnern jubelnd um den Kopf schwang. Im nächsten Augenblicke waren wir von der ganzen Gesellschaft umringt, die neugierig und teilnehmend unsere Abenteuer hören wollte, denn die Erlegung eines Steinbocks war in der Tat für diese an alle Gefahren der Jagd gewöhnten Männer ein Ereignis.

Theresa hatte sich mir genähert. »Nun,« fragte sie etwas ironisch, »darf man dem Sieger gratulieren?«

»Zu was?«

Ein Freudenstrahl ihrer dunklen Augen traf mich zürnend. »Ich meinte zu der Erlegung des Tiers!«

»Des Moufflon?«

»Nein – des Steinbocks!«

Ich begnügte mich die Achseln zu zucken.

»So hat ihn Signor Sta Lucia erlegt?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich's tat!«

»Also der fremde Herr?«

Ich bemerkte, wie die Blicke unseres Jagdgefährten mit offenbarer Bewunderung das schöne Mädchen betrachteten und gar nicht von ihr ablassen wollten.

»Frage ihn selbst!«

»Haben Sie den Steinbock geschossen, Signor?«

»Ich tat einen Schuß danach – Signor Roccabruna den andern, schöne Signorina.«

»Aber wer hat getroffen?«

»Wir beide!«

»Das ist nichts gesagt,« sprach sie ärgerlich. »Dieser Signor war seines Schusses gewiß und hatte mir seine Jagdbeute versprochen.«

»Wir machen uns vielleicht das Vergnügen,« sagte der Herr von Villafranca, »Ihnen beide das Fell zu Füßen zu legen. Einem so hübschen Kinde gebührt der Preis, und ich wollte dafür noch ganz andere Dinge tun, als einen Steinbock auf den Spitzen des Monte Viso zu jagen.«

»Das ist wenigstens artig gedacht und gesprochen Signor, anders wie dieser Herr da! Aber kommen Sie herein Signori und nehmen Sie, was unser Haus bietet.«

Sie war offenbar sehr ärgerlich über meine Gleichgültigkeit und suchte mir es auf alle mögliche Weise zu zeigen und mich zur Eifersucht zu reizen, um so eifriger, je mehr ich lachte. Sie setzte sich zu dem Fremden und scherzte und schäkerte mit ihm, was diesem offenbar sehr gefiel; denn der Herr von Villafranca benutzte alsbald meine Börse, um den Ostiere eine Tracht Wein nach der andern auftragen zu lassen, mit der er die ganze Gesellschaft bewirtete. Der Wein stieg bald in ihre Köpfe und machte ihre Zungen sehr lebendig. Ein wildes Abenteuer nach dem andern kam zum Vorschein und unser Jagdkamerad schien sich überaus in der Gesellschaft zu amüsieren, rauchte seine Pfeife und trank und schwatzte mit der lärmenden Bande.

Meister Legroni erinnerte sich nicht, je zwei so einträgliche und lustige Tage gehabt zu haben, wie den heutigen und seinen Vorgänger.

Der Herr von Villafranca mochte etwa 39 bis 40 Jahr zählen und konnte für einen stattlichen Mann gelten. Sein etwas herrisches Gesicht hatte durch die tolle Lustbarkeit, der er sich hingab, den Eindruck von Strenge verloren und man sah ihm an, daß er sich köstlich unter diesen wilden gesetzlosen Charakteren amüsierte.

Ich hatte mich etwas abseits gesetzt und hing verschiedenen Gedanken nach, als Theresa eine Gelegenheit, wahrnahm sich mir zu nähern.

»Woran denken Sie, Signor,« fragte sie.

»An dich natürlich, schönste Alpenrose!«

»Sie lügen, Signor! Würden Sie sonst so leicht den Preis Ihrer Jagd aufgegeben haben?«

»Den Preis?«

»Nun ja! Erinnern Sie sich nicht dessen, was ich Ihnen versprochen? Ich liebe Sie, – ich mache kein Hehl daraus und bin bereit, mein Wort zu halten. Wer hat den Steinbock geschossen?«

»Wir beide!«

»Heilige Madonna, was ist dieser Mann langweilig und eigensinnig. Wer hat das Recht auf das Tier – ich muß es haben, schon um Landreux damit zu ärgern, der heute morgen wie ein geprügelter Hund davonschlich.«

»Willst du es wirklich wissen?«

»Bei allen Heiligen – ja!«

»Und du versprichst dem deine Liebe, der den Bock geschossen?« Sie sah mich mit einem zärtlichen Blick an. »Ich habe es bei der Madonna gelobt!«

» Bene! so kannst du es diese Nacht erfahren, wenn du das Zimmer besuchst, vor dessen Tür du die Haut findest!« Sie sah mich starr an. – »Ich habe versprochen Ihnen meine Tür offen zu lassen!« sagte sie drohend – »wissen Sie, daß ein Weib nicht zweimal einem Manne ein solches Wort sagt, und daß eine Italienerin auch eine Beleidigung zu rächen versteht?«

»Bah – ich bin zu müde, Kleine, um den Weg durch den langen Klostergang zu machen. Es ist unbescheiden von dir, ein solches Opfer von jemand zu fordern, der heute morgen noch auf den höchsten Cols des Monte Viso war.«

Ich sah, wie sie ihre kleinen Zähne vor Zorn zusammenbiß und ihre Augen wie Dolchstiche Blitze warfen. »Ich werde kommen, Signor,« sagte sie leise – »aber wehe, wenn – –«

Ich unterbrach ihre Drohung und horchte nach dem Fenster.

»Da kommen noch Gäste! ich höre das Klingeln von Maultieren.«

In der Tat vernahm man dies Zeichen, was um so befremdlicher erschien, als der Abend bereits vorgeschritten war, und gleich darauf sah ich durch die kleinen halbblinden Fensterscheiben zwei Reiter vor der Türe der Herberge halten.

Meister Legroni war sogleich bei der Hand, ein solches Glück war ihm lange nicht passiert, und während er mit dem Knecht schalt, daß dieser nicht rasch genug von der Bank aufkommen konnte, rannte er hinaus, um den neuen Gast, der nicht zu Fuß, sondern wie wir, zu Pferde ankam, zu begrüßen und ihm den Steigbügel zu halten.

Theresa war zu unserm Jagdgefährten zurückgekehrt, der sich herzlich wenig um den neuen Besuch zu scheeren schien, sondern zu trinken und mit den Schmugglern Karten zu spielen fortfuhr.

Ich sah auf die Tür, die sich jetzt öffnete. Rückwärts hinein mit tiefen Bücklingen kam der Wirt mit seiner Laterne in der Hand, hinter ihm, dicht in seinen Mantel gehüllt, ein fremder Mann von mittelgroßer Gestalt, den Hut auf dem Kopf, von dem ich anfangs nur sehen konnte, daß er ein rundes volles Gesicht hatte und eine Brille trug. Hinter ihm drein kam Andrea, der als Wegweiser gedient zu haben schien und sich jetzt sehr still und ohne viele Begrüßung seiner Kameraden in eine Ecke der Wirtsstube zurückzog.

»Hier Excellenca, hier ist der Herr, nach dem Sie fragen,« sagte sehr geschmeidig der Wirt – »ein vortrefflicher Herr, ein ausgezeichneter Jäger, der heute einen großen Bock geschossen!«

»Ich zweifle keinen Augenblick daran, amico!« sagte der Fremde, indem er näher trat und seinen Mantel öffnete. »Und was ich sehe, bestätigt mir's!«

Unser Jagdkumpan hatte sich endlich bequemt, sich einmal umzudrehen, um den Fremden in Augenschein zu nehmen. Die Stimme desselben schien ihm aufzufallen und als jener jetzt den Mantel öffnete und den Hut abnahm, brach er in ein schallendes Gelächter aus.

»Hol' mich der Teufel,« schrie er, die Karten auf den Tisch schleudernd, »Camillo?! Pest und Doria, Mann, wie kommst du hierher in dies abgelegene Spitzbubenloch? Mensch – mach nicht ein solches Gesicht und verdirb mir die Laune nicht! Du weißt, du hast kein Recht mehr, den Vormund zu spielen!«

»Ich komme,« sagte der Fremde höflich, fast ehrerbietig, »um Sie, Si …«

»Um Signor Villafranca aufzusuchen,« unterbrach ihn der Jägersmann. »Es ist der frühere Verwalter meines kleinen Gutes, Kinder, drunten in der Ebene, und er hat wahrscheinlich gehört, daß ich mich auf der Jagd in den Bergen herumtrieb, als er mich besuchen wollte. Warst du wirklich auf dem Wege es zu tun, dann sei mir herzlich gegrüßt!«

Er reichte ihm die Hand, die der andere leicht berührte.

»Ich war auf der Durchreise in Saluzzo,« sagte dieser, »als ich erfuhr, daß ihre Ankunft in Rovello zu erwarten stand. Deshalb war ich dort anwesend, als Ihr Bote die Order brachte.«

»Ja – an den Kaufmann, der mir gewöhnlich das Wild abnimmt.«

»Und da meine Reise Eile hatte, erlaubte ich mir hierher zu kommen.«

»Das ist schön von dir, amico! Aber nun nimm erst etwas Speise und Trank zu dir, dann werd' ich dir wohl zu Diensten stehen müssen, obschon ich bei allen Schutzheiligen im Kalender gehofft hatte, ich würde bis morgen Ruhe haben. He Theresella, ist noch ein Stück von dem Moufflebraten für meinen Freund hier da? und du doppelkreidiger Abt und Kellermeister dieser alten Mönchsspelunke, bring' eine frische Flasche vom Besten! Ich hoffe, du wirst für meinen Freund hier noch irgendeine Zelle mit Bett ohne allzuviel Ungeziefer frei haben?«

»Oh Signore, wie können mich Euer Exzellenz so beleidigen?« – »Ich danke jedenfalls für das Nachtlager,« sagte mit bestimmtem Ton der Fremde. »Um 12 Uhr geht der Mond auf und ich gehe noch diesen Abend zurück nach Rovello, vorausgesetzt, daß Ihr mir Euren Knecht mitgeben könnt, um mir diese verdammten engen Bergpfade zu zeigen, denn der Alte dort wird zu müde sein.«

Andrea richtete sich von der Bank, auf der er ruhte, empor.

»Wenn Sie mich meinen, Excellenca, so sorgen Sie darum nicht. Wenn ich auch die Sechzig auf dem Rücken habe, ich werde jeden Augenblick bereit sein, Sie zu begleiten.«

Der Fremde lächelte, er schien sehr wohl die Habsucht seiner Landsleute zu kennen, welche einem anderen nicht gerne einen Verdienst gönnen, das sie selbst machen können.

»Gut – so legt Euch auf das Ohr und schlaft bis dahin. In zwei Stunden brechen wir auf. Ich muß morgen früh in Saluzzo sein, um den ersten Zug nach Turin zu benutzen, und ich hoffe, daß andere Leute eben so verständig sein werden.«

Der Herr von Villafranca lachte ihm ins Gesicht. »Meinst du mich?« – und als Signor Camillo sich begnügte die Achseln zu zucken, fuhr er fort: »Ich bin in der besten Gesellschaft hier, und muß dich doch meinen Jagdkameraden vorstellen. Herr von Roccabruna, noch vor kurzem Offizier …«

Aber der Herr von Roccabruna hatte es für gut befunden, einige Augenblicke vorher sich zu entfernen, und auf seinen Wink war ihm Sta Lucia gefolgt.

Draußen vor der Tür rief ich diesen zu mir.

»Sind unsere Pferde in Stand, Signor Lucia?« fragte ich.

»Gewiß Signor – wie meinen Sie dies?«

»Dann bitte ich Sie dafür zu sorgen, daß sie morgen um 5 Uhr gesattelt sind und wir abreisen können.«

»Wie – ich dachte, Sie wollten noch einige Tage jagen?«

»Es ist besser Signor Lucia, glauben Sie mir, daß wir sobald als möglich die Gesellschaft dieser Herren meiden, selbst auf die Gefahr hin, keinen Bock geschossen zu haben.«

Herr Sta Lucia fand es zweckmäßig, zu gehorchen, vielleicht, weil er sich erinnerte, daß wir sehr nahe der französischen Grenze waren und daß Korsika zu Frankreich gehört, und ich zog mich nach meinem Zimmer zurück.

Dasselbe lag eine Treppe hoch neben dem, in welches man am Nachmittag unsern Jagdgenossen einlogiert hatte. Ich war etwa eine halbe Stunde auf meinem Zimmer, als ich die Stimme des Herrn von Villafranca hörte, der mit seinem Besuch den Gang herauf kam, um in sein Zimmer zu gehen.

Kaum aber war dies geschehen, als sich eine ganz eigene Erscheinung meinem Gehörssinn bot, die ich bisher nicht wahrgenommen hatte, da in den Nächten vorher die benachbarte Zelle leer geblieben war.

Es war mir nämlich, als befänden sich die Personen, die ich eben in das Nebenzimmer hatte gehen hören, in meinem eigenen, als würde jedes Wort, das sie redeten, dicht vor meinen eigenen Ohren gesprochen, als hörte ich jede, auch ihre kleinste Bewegung, – obschon ich wußte, daß eine dicke Mauer die beiden, ziemlich großen und geräumigen Gemächer voneinander schied und obschon mein Bett an der entgegengesetzten Wand stand.

Diese Erscheinung machte mich anfangs bestürzt und ich suchte vergeblich, sie mir zu erklären. Ich erinnerte mich des Echos am Grab der Metella in der Campagna von Rom, das einen ganzen Hexameter wiederholt, des Echos von Rosneath in Schottland und auf dem Schloß Simonetta bei Mailand – ich rief mir alle Lehren der Akustik ins Gedächtnis zurück, die ich früher gehört, ohne eine genügende Lösung finden zu können. Zuletzt erinnerte ich mich jener furchtbaren Geschichte von dem Echo der Kirche Santa Barbara in Neapel, das ihrem Baumeister den Tod brachte, und von dessen seltsamer Wirkung ich mich selbst überzeugt hatte, – aber dies alles erklärte mir noch nicht die gegenwärtige Erscheinung, denn dort war überall freier Raum, nicht wie hier eine dicke Mauer dazwischen, vom Fußboden bis zum Gewölbe.

Ha – Gewölbe!

Mit dem Gedanken, mit dem Wort fiel mir die einzig denkbare Lösung ein.

Ich hatte, wenn ich im Bett lag, vor dem Aufstehen oder Einschlafen nach Gewohnheit die Augen oft nach der Decke gerichtet und dabei bemerkt, daß die beiden Gemächer eine gemeinschaftliche Kuppelwölbung besaßen. Sie hatten wahrscheinlich in früheren Zeiten ein Ganzes, vielleicht eine Art Saal oder Refektorium gebildet. Die Schallwellen mußten sich durch irgendein akustisches Geheimnis an der vielleicht aus Topfgewölben bestehenden Decke fortpflanzen.

Ich wollte anfangs aufstehen und anklopfen, um nicht ein unwillkommener Mitwisser von – vielleicht gefährlichen – Geheimnissen zu werden, aber einerseits kam der Entschluß nach dem Anfang der Unterredung schon zu spät, dann hinderte mich ein anderer Umstand daran, den ich jetzt übergehen will, und drittens – ich muß es gestehen, erregte der Inhalt dieser Unterredung mein höchstes Interesse.

Ich sagte mir, ich hätte nichts getan, um ihr beizuwohnen, – wenn die Personen, die sie hielten, nicht verständen, so wichtige Dinge besser zu bewahren, habe kein Dritter Veranlassung, diese Sorge zu übernehmen.

»Und muß diese Unterredung,« sagte der spanische Oberst, als der Erzähler hier eine Pause machte, »für uns ein Geheimnis bleiben, oder glauben Sie, dieselbe mitteilen zu können? denn ich muß gestehen, die Persönlichkeiten Ihrer beiden Nachbarn haben mich etwas neugierig darauf gemacht.«

» Oh proque? – nichts weniger als das – ich bin bereit, sie aus dem Gedächtnis zu wiederholen, so gut es mir möglich ist, – wenn – –«

»Nun?«

»Wenn Seine Hoheit hier nichts dagegen zu erinnern hat!«

»Ich? – wie sollte ich dazu kommen?«

»Um Verzeihung, Altezza, ich meinte nur, weil mitunter darin von einem hohen Verwandten von Ihnen die Rede ist, dem dabei nicht gerade Schmeicheleien gesagt wurden.«

Der Prinz lachte herzlich. »Ich bitte Sie dringend, Herr Graf, tun Sie sich meinetwegen keinen Zwang an, wenn Sie etwa meinen Vetter, den Kaiser, meinen!«

»Dann« – meinte lächelnd der Abenteurer, »erlaube ich mir um so lieber, fortzufahren, als die Mitteilung jetzt unsere Zeitgeschichte nicht mehr ändern kann, sondern nur einiges erklären mag, dessen Zeuge wir waren.

Freilich – hätten damals Se. Majestät der König Franz von Neapel oder Se. Heiligkeit der Papst Pius IX. an meiner Stelle sein können, so brauchte der eine wahrscheinlich heute nicht in Gaëta seine Königin Artilleriekapitän spielen zu lassen und der andere zöge vielleicht noch seine Steuern aus Umbrien und den Marken.

Hier haben Sie die Unterredung!«



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