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Königtum und Revolution.


Aus den Abruzzen.

I. Die Osteria.

Südlich vom Fuciner See, dort, wo das Sabiner und Volsker Gebirge zusammenstoßen, erheben sich wilde, schluchtendurchbrochene Berge der Abruzzen bis zur Höhe von 4 bis 5000 Fuß im Monte de Quadri, Monte Calvone und Falcone. Die immergrüne Eiche und Fichte reicht bis hoch hinaus an ihre Gipfel, schäumende Bergwässer drängen sich an ihren Seiten durch enge Täler und eilen zum See oder vom westlichen Abhang nach dem Meer, und am Fuß der Gebirgskette, oder vielmehr in dem breiten Tal, das der Garigliano bildet, zieht sich die Straße, die von der italienischen Ostküste, von Ancona und Ascoli kommt, bei letzterem Ort aus dem Kirchenstaat tretend und in großen Windungen der Grenze der Sabina folgend, nach der westlichen Küste, nach Gaëta und Neapel.

Diesen Weg hatten die italienischen Truppen des General Cialdini eingeschlagen, um nach dem Kampf von Castelfidardo und der Einnahme von Ancona von Norden her die Verbindung mit der Armee Garibaldis und dem Belagerungskorps vor Capua zu bewerkstelligen. Nur die ganz bestimmten Erklärungen des französischen Oberbefehlshabers im römischen Gebiet hatten das Eindringen in die Comarca und Campagna verhindert und die sardinischen Generale bewogen, den beschwerlicheren Weg durch die Abruzzen zu nehmen und zu besetzen.

Es war an einem Novembernachmittag, gegen Ende des Monats, als vor der Osterie des kleinen Fleckens Balzorano unter der Veranda zwei sardinische Offiziere bei einer Foglietta des dunklen Weins von Orvietto saßen, in lebhafter Unterhaltung den Rauch ihrer Zigarren in die heitere Luft blasend. Obschon die Jahreszeit vorgeschritten und der Ort ziemlich hoch über der Meeresfläche lag, war die Luft doch mild und angenehm, und die sonnenverbrannte Kinderschar, die auf dem Platz vor der Osteria umherlungerte, bald die beiden Offiziere angaffend, bald den Posten unterm Gewehr, der vor einem gegenüberliegenden kleinen Gebäude auf und nieder schritt, schien weder Mütze noch Schuhwerk für nötig zu halten. Auch ein junges Mädchen, das nur einige Schritte von der Veranda auf einem Stein saß und ein Kind schaukelte, trug nur die gewöhnliche leichte Kleidung des Landvolks der Campagna, war aber so ganz mit seiner Aufgabe beschäftigt, daß es auf nichts anderes umher achtete. Die Donzella mußte entweder der Familie des Wirts oder zu einem der Nachbarhäuser gehören.

Das kleine Gebäude war eine unbedeutende, aus Stein erbaute Kapelle, der heiligen Jungfrau geweiht, wie das Bild über dem Eingang zeigte. Das kleine sardinische Truppenkommando, daß sich im Flecken einquartiert, schien aber wenig die Heiligkeit des Orts respektiert zu haben, vielmehr denselben jetzt zu sehr profanem Zweck zu brauchen, wie die Wache vor der Tür von Zeit zu Zeit das Erscheinen eines stark bebarteten Manneskopfes an einem der beiden kleinen stark vergitterten Fenster der Kapelle bewies.

Der Gefangene rauchte eine jener langen, schlechten Strohzigarren, mit denen Italien überschwemmt ist, und schien nach dem ruhigen sorglosen Ausdruck seines Gesichts, wenn es an dem Gitter erschien, sich wenig Kummer um seine Lage zu machen. Nur ein sehr scharfer Beobachter hätte bemerken können, daß er zuweilen einen schnellen scharf beobachtenden Blick auf die umherschlendernden Soldaten warf und ein oder zweimal, wenn er sich ganz unbelauscht wußte, einen solchen Blick und einen kleinen Wink mit dem Mädchen, welches das Kind wartete, tauschte.

Das Kommando, das hier Quartier genommen, bestand aus etwa fünfzig Mann Infanterie und etwa einem Dutzend Bersaglieri, die sich sehr vorteilhaft durch ihre ganze militärische Haltung von den Infanteristen unterschieden. Viele der letzteren trieben sich in dem Hof des Gehöftes oder auf der Straße umher, lungerten auf den steinernen Bänken oder versuchten mit den Dirnen zu scherzen, die an einem von dem Bergwasser gespeisten Brunnen ihre Krüge und Kannen füllten.

Die Aussicht, die sich von der Veranda aus den beiden Offizieren bot, war eine zwar beschränkte, aber höchst romantische. Die Biegung der Straße nach Norden, die über Avezzano nach den Ufern des Sees geht, verlor sich zwischen den wenigen Häusern des kleinen Fleckens. Man sah dort einen Wachtposten ausgestellt ebenso wie aus dem Weg nach der Sora. Hohe Felsengruppen, um welche er sich wand, versperrten hier die Aussicht, darüber hinaus vor ihnen aber türmte, sich der Gebirgszug des Calvone in rauhen Formationen terrassenartig auf bis zur Höhe des Turchio und Falcone, über die im Süden der mächtige Gipfel des 6800 Fuß hohen Meta hinausragte.

Die beiden sardinischen Offiziere, von denen der eine die Uniform der Infanterie, der andere die eines Kavalleriemajors trug, waren beide noch junge Männer, höchstens zu Anfang der Dreißig. Der Infanterist war groß, schlank, mit hübschen nur etwas verlebten Zügen, doch bewies die Farbe seines Gesichts, das blonde Haar, daß er einer nordischeren Heimat angehörte, als der andere, der ganz den Typus eines Italieners und auf seiner Brust neben einem sardinischen Orden und dem Croix d'honneur die Krim-Medaille trug, also schon zwei blutige Feldzüge mitgemacht hatte.

»Es war in der Tat liebenswürdig von Ihnen, Herr Graf,« sagte der Preuße, denn ein solcher war der Infanterist, »daß Sie sich hier herauf in dieses Raub- und Bergnest bemüht haben, um einen alten Freund aus besseren Tagen zu besuchen. Ah – beim Himmel! denken Sie noch an unsere kleinen Soupers mit den Ratten vom Ballet, damals bei Borchardt oder im Helgoländer Keller, und daran, welches tolle Vergnügen wir auf dem letzten Maskenball bei Kroll hatten?«

»Ich habe die kleine schwarze Luisa nie vergessen!«

»Sie hat einen Bankier geheiratet, er war bis über die Ohren in sie verliebt und hatte dreimalhunderttausend Taler!«

»Es sind Erinnerungen, wie sie uns nicht wiederkommen, aber zwischen all dem Blut und Elend, das ich seitdem gesehen, als heitere Blumen im Gedächtnis geblieben sind, die ich gern noch einmal pflücken möchte. Aber die leidige Politik der großen Herren läßt uns seit 6 Jahren nicht mehr zur Ruhe kommen. Als ich als Attaché unserer Gesandtschaft Sie damals in Berlin kennen lernte, war ich sechsundzwanzig Jahr und hatte noch kein Pulver gerochen, während ich jetzt Balaclava und Inkermann, Solferino und Castelfidardo hinter mir habe und kaum noch weiß, wie Esbouquet und Patschouli duften.«

»Aber Sie haben Karriere gemacht, Sie sind Major!« sagte der andere betrübt.

» Cospetto – lassen Sie sich das nicht anfechten, wenn Sie auch einstweilen nur Oberleutnant bei unserer Infanterie sind. Ich hörte unten in Sora, daß Sie Ihren Posten hier vortrefflich ausfüllen und sich schon ganz der Kanaille akklimatisiert haben, hoffe also nächstens, Sie als Kapitän zu begrüßen. Die strenge Ordnung, die Sie im Preußischen Dienst gelernt haben, kommt Ihnen hier zu statten, denn – beiläufig – es ist nicht viel Zucht unter uns, seit wir mit diesen Rothemden Schulter an Schulter fechten. Dergleichen Verzögerungen des Avancements kommen immer vor beim Übertritt in eine andere Armee, und überdies würden Sie in Berlin kaum einen höheren Grad haben.«

»Aber ich stand bei der Garde!«

»Und – corpo di Baccho! ich weiß, was das heißen will. Ihre Garde ist eines der angenehmsten Korps, Geld genug, wenn es auch von den Halsabschneidern kommt, und seit dem Tode Ihres Polizei-Präfekten nicht mehr in irgendwelchen Vergnügungen beschränkt. Freilich muß man es nicht so toll treiben, wie Sie es getan und in das Gebiet der hohen Diplomatie übergreifen!«

»Verdammt sei die Geschichte und Sie können noch dazu lachen!«

» Per Baccho – es muß allerdings lächerlich genug gewesen sein, das Gesicht dieser fille de marbre, oder Marmorbraut, wie Ihre Landsleute sie nannten, zu sehen, als Sie so plötzlich in das Kabinett hineindrangen, die Champagnergläser in der Hand und das Pärchen im Tete-a-tete störten. Sagen Sie, amico, was zahlten Sie dem Kellner für die offene Tür?«

»Zwei Friedrichsdor! daß sie ihm der Teufel gesegne!«

»Und erst der Marquis, als er in Ihrer Mitte seine alte Flamme, die Loutz, erkannte. Ich hörte, er habe sich von ihren absonderlichen geheimen Reizen nicht trennen können und sie nach Wien nachkommen lassen. Bitte, er zählen Sie mir noch einmal den kleinen Skandal!«

Der ehemalige Garde-Offizier wußte nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte. Klüglicherweise tat er das erstere. »Die verdammte Lorette,« sagte er, »hatte den ganzen Streich aus Eifersucht angestiftet und wir waren einfältig genug, hineinzufallen, vor allem ich, den sie im Stich ließen, nachher, als sie Unrat merkten. Der Marguis hatte zwar die Maske vorgenommen, als ich ihm den Nasenstüber applizierte, aber einer oder der andere muß ihn doch vorher erkannt haben. Kurz und gut, der Silvesterball bei Kroll hatte die Folge, daß Frankreich seine Gesandten wechselte, und ein gewisser Garde-Leutnant seinen Abschied nehmen mußte. Es hat schon um geringere Dinge Krieg und Frieden gegeben. Denken Sie gefälligst an die Handschuhe und das Glas Wasser der Herzogin von Marlborough!«

»Und wie kamen Sie auf die Idee, in der sardinischen Armee Dienste zu nehmen?«

»Die Erklärung ist leicht. Unser Gut ist Majorat, und ich bin nicht der Erbe. Überdies wissen Sie, daß ich, wenn ich auch etwas toll gelebt habe, mit Leib und Seele Soldat bin. Ich dachte an Amerika – auch an den Eintritt in die päpstliche Legion. Aber ich bin Protestant und die Sache war von vornherein eine verlorene. Zufällig hatte meine Mutter einige Verbindungen am sächsischen Hofe oder vielmehr bei der Frau Herzogin von Genua, und durch diese erhielt ich eine dringende Empfehlung an Ihren Kriegsminister, wobei mir das Italienisch, das ich als Knabe von unserem alten Koch lernte, zu statten kam.«

»Ich freute mich aufrichtig,« sagte der Major, seinem kaum zwei Jahre jüngeren Kameraden die Hand reichend, »als ich durch Ihren Brief in Florenz von Ihrem Eintritt hörte und erkundigte mich sogleich nach Ihnen, als ich fand, daß Ihr Regiment in Sora stand. Es ist schade, daß wir nicht schon vor Ancona zusammengetroffen sind. Wo ich Ihnen irgend gefällig sein kann, dürfen Sie auf mich zählen!«

»Dann helfen Sie mir, daß ich von diesem verdammten Kommando erlöst werde und zu dem Belagerungskorps vor Gaëta komme. Es ist wahrhaftig kein Vergnügen, hier den Straßenwächter zu spielen gegen Räuber und Banditen!«

»Briganten, lieber Freund, beleidigen Sie die Brigantaggia nicht! überdies sind Sie sehr ungalant, denn wie ich höre, haben Sie das Glück, einer weiblichen Ausgabe des Fra Diavolo gegenüber zu stehen.«

»Der Teufel ist bei Ihnen in die Unterröcke gefahren. In Gaëta kommandiert die junge Königin und macht Ihnen nach allem, was ich höre, tüchtig zu schaffen: hier narrt mich irgendein Satan von Weibsstück, von der man die seltsamsten Dinge erzählt und die das dumme Bauernvolk wie eine Heldin verehrt. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich sie nicht noch fange und ihr und ihrem Gesindel all' den Ärger auszahle, den es mir macht!«

»Sie soll jung und hübsch sein und nicht einmal eine Italienerin!«

»So sagt man. La capitana Maria, wie man sie gleich der Königin nennt, muß drei Teufel im Leibe haben, wenn nicht irgendein Betrug dahinter steckt. So viel taktische Schlauheit, kecke Wagnis, Vorsicht und wahres Genie für den kleinen Krieg wären ein wahres Wunder für einen Weiberkopf. Bei aller Vorsicht, und obschon ich Tag und Nacht auf den Beinen bin, spielt die Bande mir doch hundert Streiche. »Von ihren Felsennestern da droben« – er wies nach den Höhen des Monte Turchio – »scheint sie jede meiner Bewegungen zu belauschen, und wenn ich die Bande zu fassen glaube, sind sie auf und davon, und ich habe das Nachsehen! Erst vor zwei Tagen ist, keine Stunde von hier, auf dem Weg von Avezzano ein Transport mit Waffen aufgehoben und die ganze Bedeckung niedergemacht oder in die Berge geschleppt worden. Es wird eine Nase geben, aber der Henker hole es, ich kann nicht überall sein!«

»Man kennt Ihren Eifer und weiß, daß Sie sich keine Vernachlässigung zuschulden kommen lassen. Aber ich glaube, die Gegend hier ist bourbonisch gesinnt und die beste Hilfe für das Brigantenwesen, das bereits auch in der Gegend von Neapel überhand nimmt. Wir haben Chiavone dort, der noch schlimmer ist wie Ihre Capitana Maria!«

»Wir sind wie verraten und verkauft hier. Alle diese kleinen Orte im Gebirge sind durch die faule päpstliche und bourbonische Wirtschaft seit alter Zeit nicht viel besser als Räubernester. Jeder Ziegenhirt, jeder Bauer ist ein Spion. In dem ganzen Flecken ist nichts als offenbarer Widerwille gegen uns, und wir müssen fast alles, was wir brauchen, mit Gewalt erzwingen. Wenn die Zeitungen von dem Enthusiasmus erzählen, mit dem man uns als die Befreier von dem alten Druck und Schlendrian begrüßt, so lügen sie ärger als eine Kartenschlägerin, das wissen Sie so gut wie ich!«

Der Major lachte. »Sie haben recht! Ihnen gegenüber kann ich's immerhin sagen. Mindestens das Landvolk will verteufelt wenig von dem neuen Regiment wissen und was Neapel betrifft …«

»Nun?«

» Per Baccho! Da haben wir mit dieser Camorra zu tun, die ein so zähes Leben wie eine Katze hat, und außerdem …«

»Warum halten Sie Hinterm Berg, Signor Conte?«

»Nun, gerade heraus: noch mehr mit Herrn Garibaldi und seinen Rothemden!«

»Unseren Verbündeten? den Pionieren des Königs?«

»Die dabei ihre eigenen Zwecke verfolgen und selber die Herren spielen wollen. Im Vertrauen, amico, die Wirtschaft in Palermo mit den Herren Garibaldi, Mazzini, Ledru-Rollin und Konsorten ist nicht mehr zu ertragen, und es wird nächstens zu ernsten Erklärungen kommen. Dieser ganzen Komödie und dem republikanischen Fieber muß ein Ende gemacht werden. Von unserem lieben Verbündeten in Paris, dessen Flotte Gaëta vor der unseren beschützt, der uns Venedig eskamotierte, als wir es im vorigen Jahr so gut wie in der Tasche hatten, und der trotz aller Versprechungen an die ganze Welt aus Rom nicht weichen will, weiß man nie, was man zu halten hat! Aber genug von der Politik, kommen wir auf Ihre eigene Lage zurück. Warum suchen Sie nicht dieser Bande mit einem Schlage ein Ende zu machen und greifen sie direkt an, statt sich auf die bloße Sicherung der Straße zu beschränken?«

»Das ist erstens gegen meine Instruktion und zweitens gehörte dazu mindestens ein Bataillon, wenn nicht noch mehr, statt der halben Kompagnie, den fünfzehn Bersaglieri und dein Dutzend Reiter, die ich zu meiner Verfügung habe.«

»So ist die Bande stark?«

»Die Leute hier sprechen von Tausenden, doch weiß ich aus sicherer Quelle, daß sie nur 100 Köpfe zählte, und das ist schon mehr als genug. Mein Ostiere – der einzige von dem ganzen Gesindel hier, der zu unserer Sache hält und nicht bourbonisch gesinnt ist, – versichert mich, daß dieser weibliche Teufel nur eine bestimmte Zahl Leute aufnimmt, obschon die Vagabonden ihr von allen Seiten zuströmen. Doch scheint wirklich die Bande zahlreicher zu sein, oder das Vermögen zu haben, sich zu vervielfältigen; denn es vergeht kaum ein Tag, wo nicht aus der Strecke von Avezzano bis Sora, die in zwei Etappen geteilt ist, irgendein mit militärischer Geschicklichkeit geleiteter Angriff oder eine andere Teufelei verübt wird.«

»Und ist Ihnen diese bourbonische Pucelle noch nicht selbst zu Gesicht gekommen?«

Der Preuße wies mit seiner Zigarre nach einem bestimmten Punkt der Bergwand.

»Sehen Sie – dort über die Kapelle gerade empor die rote vorspringende Granitwand! – Beim Teufel – sie haben richtig wieder die Frechheit gehabt, sich dort festzusetzen!«

»Wer?«

»Wer anders als diese Banditen! Blicken Sie hin – haben Sie die Wand?«

»Der rötlich schimmernde Vorsprung? Die Abendsonne beleuchtet ihn. Ich glaube, ein Gemäuer dort zu sehen.«

»Es ist ein alter halb verfallener Turm. Mir war vor acht Tagen verraten worden, denn für Geld finden sich überall Verräter, und in diesem gelobten Lande fehlt es wahrhaftig nicht daran!, daß die Bande dort eines ihrer Hauptnester habe. Trotz des Verbots der Instruktion war die Gelegenheit zu lockend, mich durch einen Schlag zu revanchieren und ich organisierte in aller Heimlichkeit eine nächtliche Expedition dahin. Unser Spion, der auch den Führer machte, brachte uns wirklich auf allerlei geheimen Wegen, die ich mir bestens gemerkt, bis an den Fuß des Felsen, und wir würden sicher das Nest überrumpelt und ausgenommen haben, wenn nicht einem meiner Leute das Gewehr losgegangen wäre und uns so ihrem Posten verraten hätte.«

»Und dann?«

»Nun dann ging das Geknatter los! aus allen Felsenwinkeln begrüßten uns ihre verdammten Kugeln, und hätte ich nicht die wackeren Bersaglieri mit ihrem Sergeanten bei mir gehabt, der leider von einer der letzten Kugeln fiel, es würden schwerlich unserer viele zurückgekommen sein!«

»Sie wurden also abgeschlagen?«

»Das gerade nicht. Wir gewannen wirklich die Höhe und erstürmten die Ruine! Aber fassen Sie das Gesindel bei Nacht, das mit allen Schlupfwegen vertraut ist. Was fanden wir? Ein niedergebranntes Feuer, ein Paar eiserne Pfannen und alte Decken und zwei erschossene Briganten, während sie auf und davon waren. Ich hatte das Doppelte an Leuten verloren und sechs Verwundete, sodaß ich froh war, das alte Gemäuer zum Schutz zu haben, um mich bis zum Tageslicht halten zu können, bei dem wir ohne Resultat wieder abzogen.«

»Und sahen Sie bei dem Gefecht die Capitana?«

»Ich sah, als wir die Höhe der Felswand gewonnen hatten, und mit den Banditen fochten, in dem Gebüsch sich etwas bewegen, eine Gestalt es durchbrechen. Ich sprang zu und faßte danach und auf Ehre – Sie wissen, ich verstehe mich auf dergleichen! – ich bin sicher, daß meine Linke einen Weiberrock ergriffen hatte, obgleich es an der Stelle völlig dunkel war.«

»Sie hielten sie fest?«

»Kaum einen Augenblick. Es blitzte vor meinen Augen, ein Terzerolschuß knallte und das Pulver versengte mir die Brauen, während die Kugel mir das linke Ohr blutig riß, – da sehen Sie noch! Im nächsten Moment war meine Beute entwischt, und ich hatte genug zu tun, mich gegen einen Burschen zu wehren, der sich mehr wie ein Fechtmeister schlug, als wie ein Bandit, und sicher ein französischer Soldat war, denn er stieß einen furchtbaren Fluch aus, als ich ihm endlich durch die Parade schlug und ihm meinen Säbel in die Rippen stieß!«

»Konnten Sie sich nach dem Gefecht nicht davon überzeugen?«

»Ich weiß nicht, ob er tot oder verwundet war, so viel aber weiß ich, daß keine Spur mehr von ihm gefunden wurde, außer der Blutlache, als wir endlich Herren des Platzes waren. Aber genug von der verunglückten Geschichte, die noch ein besonderes Nachspiel hatte; denn am zweiten Morgen darauf fand man den Mann, der unsern Führer gemacht und der hier im Orte wohnte, mit einem tüchtigen Messerstich gerade durchs Herz tot auf der Schwelle seines Hauses. Aber was ich sagen will – haben Sie den Rauch bemerkt, der an der Seite des Turms emporkräuselt?«

» Vermante – Sie haben recht!«

»Ich habe ein scharfes Auge – Gott sei Dank, hat es mir der Kneifer nicht verdorben, da ich nur Fensterglas trug! Die Schurken haben also die Frechheit gehabt, trotz der erhaltenen Lektion wieder ihr Quartier dort aufzuschlagen.«

»Es wäre zu verwegen, sie noch einmal dort anzugreifen – sie werden diesmal wachsamer sein!«

»Und bei Gott, ich will es dennoch hin, so wahr ich ein Brandenburger Junker bin! Ich habe bei den Streifereien einen Weg entdeckt, der mich von einer anderen Richtung dahin führen kann. Als guter Jäger habe ich ein Auge dafür. Ich werde, sobald Leutnant Morelli mit den Dragonern zurück ist und ich den Spitzbuben da drüben nach Sora transportieren lassen kann, um einen Sukkurs bitten, und dann die Bande bei Tage angreifen.«

»Wer ist der Gefangene dort?«

»Er will aus einem der Dörfer des Gebirges sein, aber ich habe starken Verdacht, daß er ein Spion ist oder gar zu den Briganten gehört. Eine Patrouille der Bersaglieri fing ihn etwa zwei Stunden vor Mittag in der Richtung von Trevi auf, und als der Kerl sah, daß er ihren Büchsen nicht entgehen konnte, setzte er sich kaltblütig an den Rand der Schlucht nieder, die sein Entkommen hinderte, und die Leute sahen, daß er ein Papier aus der Tasche zog, in kleine Stricke zerriß und diese in den Abgrund zerstreute.«

»Befragten sie ihn nicht darüber?«

»Er log mir mit merkwürdiger Frechheit etwas vor und behauptete, es sei ein Ablaßzettel gewesen, den er nicht in die Hände der Ketzer habe fallen lassen wollen, was doch alle Piemontesen als Feinde des heiligen Vaters wären. Der Kerl trieb offenbar seinen Spott mit uns, und deshalb hielt ich ihn fest!«

»Und kennt ihn niemand hier?«

»Das ist's, was mir die Sache noch verdächtiger macht. Niemand will ihn kennen, obschon er behauptet, aus dem Gebirge zu sein. Selbst Giuseppe, mein Osterie Wirt. erklärt, ihn nicht zu kennen, aber …«

»Nun? Sie machen mich neugierig!«

»Einer der Soldaten behauptet, sein Gesicht wiederzuerkennen und es unter sehr seltsamen Umständen in der Nacht vor der Schlacht von Castelfidardo in einem Casale unsern des Ortes gesehen und später gehört zu haben, daß der Mann sich als ein päpstlicher Spion erwiesen hätte.«

»Das ist allerdings bedenklich! Und was meinen Sie mit ihm zu tun?«

»Ich habe Vollmacht, dergleichen zweifelhafte Bursche, die sich nicht ausweisen können, aufhängen zu lassen, aber ich bin Soldat und nicht Henkersknecht, und dergleichen Exekutionen widerstehen mir. Ich denke ihn noch heute oder spätestens morgen früh mit einer Eskorte und dem Mann, der ihn erkannt haben will, nach Sora zu schicken und dem Kriegsgericht die weitere Untersuchung zu überlassen.«

»Dann werde ich ihn da wiederfinden. Ich hörte allerdings von einem schlauen Streich, der General Gialdini dort gespielt worden sein soll, und es wäre merkwürdig – aber nach dem Geklingel der Maultiere erhält unsere Osteria Besuch! Wer zum Teufel kann in dieser Kriegszeit noch aus dieser abgelegenen Straße reisen?«

Es war in der Tat der alte Kaleschwagen eines Vetturins, der auf dem Weg von Avezzano von zwei kräftigen Maultieren gezogen die holperige Straße durch den Flecken entlang daherrumpelte, während der Kutscher lustig mit seiner Peitsche knallte und mit dem Mann neben ihm auf dem Bock schwatzte.

Der Wagen hielt gerade vor der Osteria und die beiden Offiziere sahen, daß er außer mit dem Diener auf dem Bock nur von einer Dame besetzt war.

Diese hatte den blauen Schleier, den sie über dem kleinen grauen Reisehut trug, zurückgeworfen. Die beiden Offiziere erkannten, daß sie jung und schön war. Der weiße Teint ihres Gesichts, das schöne blonde Haar verkündete, daß sie wahrscheinlich eine Ausländerin war.

Die Offiziere hatten sich von ihren Plätzen erhoben.

Der Bediente war vom Bock gesprungen und mit dem Hut in der Hand an den Wagen getreten.

» Here is an inn of a good appearance, Mylady will von alight her?« fragte er.

»Ah – eine Engländerin!« sagte der Major, »ich hätte es mir denken können.«

Die Dame erwiderte einige Worte, die jene nicht verstehen konnten, worauf der Diener sich umwandte, den Hut aufsetzte und mit den Händen in den Taschen seines langen Rocks auf die Offiziere zutrat.

»Seind you die Wirt von this Osterie?« fragte er in gebrochenem Italienisch.

Der Oberleutnant lachte ihm ins Gesicht. »Ich dächte,« sagte er auf Englisch, »das sollten Sie sehen, daß wir keine Herbergswirte, sondern Offiziere sind. Der Wirt der Osterie ist nicht anwesend, aber hier kommt die Padrona.«

» Very well! ich danke Ihnen, Sir!« sagte der Diener erfreut. »Aber in diesem verteufelten Lande trägt alles solche Narrenjacken, daß man niemand unterscheiden kann. Kann meine Lady haben ein Apartement, um zu verweilen, bis dieser Schwätzer von Kutscher hat gefüttert seine Pferde, um zu fahren nach Sora?«

Die Hausfrau war in der Tat herbeigekommen und als ihr das Verlangen der Reisenden von dem Offizier verständlich gemacht worden, zuckte sie die Achseln. »Heilige Madonna, der Herr Offizier weiß am besten, daß jedes Kämmerchen bis unters Dach von den Herren Soldaten eingenommen ist, und daß Giuseppe und ich mit den Kindern in einem Verschlage schlafen. Es ist ein Elend mit dem Kriege, daß sich die Heiligen erbarmen mögen, denn man hat nicht einmal Gelegenheit, ein Paar Carlini zu verdienen.«

»Sagen Sie der Dame,« wandte sich der kommandierende Offizier zu dem Diener, »aber wer ist Ihre Lady, wo kommen Sie her und wo wollen Sie hin?«

» Damned, Sir – Sie sind sehr neugierig! Mylady meinem Herrn. Wollen Sie unsere Papers haben? Sind Sie ein Gendarm oder ein Sbirr?«

»Es ist nicht nötig, wenn Sie von Arrezzano kommen,« sagte errötend der junge Offizier. »Sagen Sie Ihrer Lady, daß allerdings schwerlich ein Zimmer in diesem Hause vakant ist, daß ich aber gern bereit bin, ihr das meine abzutreten, wenn Sie ein paar Stunden zu ruhen wünscht.«

Der Diener ging an den Wagen und berichtete seiner Herrin, die hierauf die Augen von dem Buch erhob, in dem sie bisher gelesen, ohne sich um die Ausführung ihres Auftrages zu kümmern, das goldene Lorgnon vor die Augen hielt und die Offiziere betrachtete.

»Öffne den Schlag, John! ich will aussteigen!«

Der Diener beeilte sich, zu gehorchen, aber als er der Dame behilflich sein wollte, kam ihm der Offizier zuvor, indem er galant die Stufen der Veranda hinuntersprang, mit einer Verbeugung zu der Kalesche trat und der Fremden die Hand bot.

»Erlauben Sie, Mylady, daß ich den Wirt mache!«

» I thank you, Sir! ich bedarf keiner Hilfe!«

Sie stieg langsam, den Arm ablehnend, aus dem Wagen und dann die Stufen der Veranda empor, wo die Wirtin ihr mit einem Schwall von Fragen und Anerbietungen entgegentrat.

Der Oberleutnant schnitt diese mit der Wiederholung seines Anerbietens ab.

»Wer sind Sie, Sir? Sie sind mir nicht vorgestellt.«

»Ah – pardon! das ist wahr! Mylady …«

»Ich habe die Ehre, in Ermangelung eines Dritten, mich Ihnen als Herrn von Arnim, Oberleutnant im zwölften Infanterieregiment Sr. Majestät des Königs von Italien, vorzustellen.«

» Well, Sir

»Und erlauben Sie mir, Mylady, Ihnen hier einen Freund, den Herrn Grafen Sismondi, Major im Generalstab, zu präsentieren.«

» Well, Sir

Der Graf verbeugte sich, dem galanten Oberleutnant den Faden der weiteren Unterhaltung überlassend, da er selbst nur wenig Englisch sprach.

»Ich hoffe,« fuhr der Preuße fort, »Mylady werden jetzt nicht mehr anstehen, von meinem Anerbieten Gebrauch zu machen. Ich bedauere nur sehr, Mylady nichts besseres bieten zu können, als das ziemlich derangierte Zimmer eines Junggesellen.«

»John!«

»Mylady!«

»Mein Buch!«

»Gleich, Mylady!«

»Lege es dort hin, John, ich werde hierbleiben auf diesem Balkon!«

»Zu Befehl, Mylady!«

» Cospetto, Freund Arnimio,« murmelte der Conte, »höflich ist sie gerade nicht!«

»John!«

»Mylady!«

»Mein Flakon!«

Der Bediente ging nochmals mit sehr bedächtigen Schritten zu der Kalesche und holte das Verlangte.

Der Major hatte unterdes wieder seinen früheren Sitz eingenommen, leerte zum Trost für die Behandlung sein Glas, und nahm seine Zigarre wieder zwischen die Lippen, die er fortgelegt.

»Sir!«

»Was beliebt?«

»Ich glaube, Sie rauchen, Sir!«

» Yes

»Pfui, Sir – man raucht nicht in Gegenwart einer Lady!«

» Per Baccho – das ist wahr. Excuse, Mylady!« Jetzt war es der Oberleutnant, welcher über die Abfertigung lachte.

»John!«

»Mylady!«

»Hast du den Vetturin gefragt, wann wir abfahren können?«

» Yes – er will mindestens zwei Stunden Zeit haben, Mylady!«

Sie sah nach der Uhr. Dann wandte sie sich zu dein Preußen. »Sir!«

»Mylady!«

»Sie können sich setzen. Sir – ich erlaube es!«

»Ah!« Er nahm seinen Rohrstuhl wieder ein. Die Geschichte fing an, den beiden Offizieren wirklich Spaß zu machen, namentlich da sich die Dame auch bei der näheren Betrachtung als jung und sehr hübsch erwies.

»Wie weit ist es nach Sora?«

»Acht Miglien, Mylady!«

»Das verstehe ich nicht!«

»Zehn englische Meilen. Sie wollen noch diesen Abend nach Sora? Mit den abgetriebenen Pferden Ihres Vetturins werden Sie es schwerlich vor zehn Uhr erreichen!«

» Well!«

»Und fürchten sich Mylady nicht, bei Dunkel so allein unter den jetzigen Umständen zu reisen?«

»Warum?«

»Der Krieg hat manche Übel im Gefolge. Keine Armee vermag zu hindern, daß Marodeure in ihrer Nähe sich herumtreiben. Überdies …«

»Was?«

»Überdies haben wir da auch Briganten, welche die Gegend unsicher machen.«

»Briganten? was ist das?«

»Banditen, Mylady, Räuber und Gesindel, das unter dem Vorwand, für den König Franz zu fechten, plündert und mordet.«

» Very well! Banditen! ich habe viel von Banditen gehört in Italien, aber ich habe noch nie einen gesehen, obschon ich Master Horace Howard, meinen Bruder, oft gebeten habe, mir einen Banditen zu zeigen!«

»Nun, ich sollte meinen, in Neapel fehlte es an dergleichen Gesindel nicht.«

» Yes! yes! aber sie kommen nicht zu den Ladys. Also kann ich begegnen den Banditen auf der Straße nach Sora?«

»Teufel – Verzeihung! – wenn es Ihnen Spaß macht!«

»Ja, es würde mir viel Plaesure machen!«

»Aber – Ihre Sicherheit, Mylady?«

»Bah! – dafür sind die Gendarmen da! Mein Bruder würde sofort Beschwerde führen in London!«

Der Offizier lachte. »Das würde allerdings von ausgezeichneter Wirkung sein, indes wahrscheinlich etwas zu spät kommen.«

»Warum sprechen Sie immer allein?« fragte plötzlich die Dame sehr naiv. »Warum spricht dieser Herr nicht?«

»Der Herr Graf beneidet mich gewiß schon lange um das Vergnügen unserer Unterhaltung,« sagte der Offizier sarkastisch, »aber er spricht das Englische nicht sehr geläufig!«

»Ah – er ist also kein Gentleman?«

»Verzeihung, Mylady!« der junge Offizier brach in ein herzliches Gelächter aus.

»Was zum Teufel sagte sie?« fragte der Major, der dem Gespräch nur unvollständig gefolgt war.

»Sie meint, Sie wären kein Gentleman, da Sie nicht Englisch sprächen!«

» Cospetto – das ist stark! Wenn Sie nicht so hübsch wäre, könnte ich ihr eine Impertinenz sagen. Sie haben immer Glück gehabt bei den Frauenzimmern, Kamerad!«

Die Dame wandte sich wieder an ihn. »Kann er vielleicht französisch sprechen?« fragte sie mit einem schauderhaft englischen Akzent der Pariser Sprache.

»Ich stehe zu Befehl, Madame,« bemerkte der Major selbst, »und hoffe Ihnen zu beweisen, daß ich Gentleman bin, auch wenn ich Ihre, uns Italienern etwas schwere Sprache nicht so geläufig rede wie mein Herr Kamerad.«

» Wuyi! wuyi! ich spreche ser gern und ser kut Französisch! – Saken Sie mir, Monsieur, was suaind das tort für ein Gebäude?«

Die Lady saß so, daß sie die Kapelle im Auge hatte.

»Eine jener Kapellen, Madame, der heiligen Jungfrau geweiht, wie sie deren tausende in Italien finden!«

» Sertainement! aber es steht eine Schildwach davorr. Warum steht die Schildwach davorr?«

»Der Raum muß einstweilen als Gefängnis dienen. Wir haben einen Burschen dort eingesteckt!«

»Einen Dieb?«

»Einen Dieb, oder Schlimmeres! wir haben Verdacht, daß der Kerl ein Spion oder Brigant ist!«

»Ein Bandit?«

»Wahrscheinlich – es ist wenig Unterschied zwischen einem Briganten und einem Banditen!«

Die Lady hatte sich erhoben – »Ihren Arm, Monsieur!« der arme Oberleutnant schien ganz in das Hintertreffen ihrer Beachtung gekommen.

»Was befehlen Madame?« fragte galant der Major, jetzt seinerseits dem Freund einen triumphierenden Blick zuwerfend.

»Ich will sehen den Banditen! Führen Sie mich zu dem Banditen! Er muß sein trèss interessantt

Der Major vom Generalstab machte ein etwas verdutztes Gesicht bei der unerwarteten Forderung der Lady, aber der Oberleutnant lachte so malitiös, daß er die Achseln zuckte und das Sprüchwort: Über den Geschmack ist nicht zu streiten! auf Italienisch murmelnd die junge Dame wirklich die Stufen der Veranda hinabführte.

Leutnant von Arnim folgte ihnen.

Die Lady schritt gerade auf die kleine Kapelle zu, vor welcher der Soldat Wache hielt. Zufällig befand sich der Gefangene nicht am Gitter des Fensters.

»Ich will sehen den Banditen, Monsieur! Zeigen Sie mir Ihren Banditen!«

Der Major schlug mit der Säbelscheide an das eiserne Gitter. »He Bursche, steht einmal auf, kommt hierher!« befahl er in italienischer Sprache.

Am Gitter erhob sich das Gesicht des Mannes, das man schon vorhin häufig dort bemerkt hatte.

Der Gefangene schien etwa vierzig Jahr alt zu sein, hatte eine Habichtsnase und scharfe dunkle Augen. Den unteren Teil des Gesichts bedeckte ein schwarzer Bart. Er trug den Hut und – soweit man die kräftige Gestalt sehen konnte, die Tracht der Gebirgsbewohner.

Das Licht des scheidenden Tages fiel auf die Dame und ihren Begleiter, hinter welchen neugierig der englische Diener getreten war.

»Was beliebt, Excellenca,« fragte der Gefangene.

»Ei, Mann, hier ist eine Dame, die gern einmal sehen wollte, wie ein Kerl aussieht, ehe er gehangen oder erschossen wird; denn das wird zweifelsohne Euer Los sein, ehe der morgende Tag vorüber ist!«

Der Gefangene warf einen scharfen Blick auf die Lady, die ihn durch ihr Lorgnon unverwandt anstarrte.

Ein leichter Spott zuckte um den Mund des Mannes. »Ich hätte nicht gedacht,« sagte er achselzuckend, »daß eine so schöne und junge Signora so grausam sein könnte, an dem Unglück eines Mannes Gefallen zu finden, der so unschuldig ist, wie sie nur selbst sein kann. Ich hoffe Signor, man wird Gerechtigkeit üben und mich meiner armen Familie wiedergeben, die droben im Gebirge wohnt. Drei hungernde Kinder, Excellenca, und eine blinde Mutter! – Unterdessen …«

»Was wollt Ihr?«

»Unterdessen wäre es doch grausam, wenn man, ehe ist erschossen oder freigegeben werde, wie es nun eben der Wille der heiligen Jungfrau ist, wenn man mich bis dahin hier verschmachten lassen wollte. Ich habe seit dem Morgen, seit ich von Meta fortging, nicht einen Bissen Brot genossen und keinen Trunk getan. Ein Topf Milch würde mir ein Labsal sein!

» I thank you, Sir!« sagte die Lady, sich umwendend, ich habe genug gesehen den Banditen, aber ich versteh' nicht, was er sagt.«

Der Major führte sie wieder zu ihrem Platz zurück, und übersetzte ihr die Worte, während der Oberleutnant noch einen Augenblick zurückblieb und dem Mann verhieß, er werde sorgen, daß er einige Nahrung bekomme.

»Milch? warum soll der arme Mann nicht Milch haben? – John!«

»Mylady!«

»Rufen Sie die Wirtin.«

Die Padrona erschien.

»Fragen Sie die Frau, ob sie frische Milch hat, und ob ich sehen kann, daß sie frisch kommt von der … wie nennen Sie das, Sir?«

» Vaccha, – Madame!«

»Von der Vaccha! ich will gehen in Ihre Milchkammer!«

Die Offiziere übersetzten lachend der Ostessa Wirtin. das Verlangen der Engländerin.

»Heilige Madonna, was diese vornehmen Damen für Einfälle haben. Die Kammer ist leider leer genug, aber ich habe zum Glück vor einer Stunde die Ziegen gemolken, eine Kuh haben wir schon lange nicht mehr! – Wenn's der Signora beliebt!« setzte sie mit einem ländlichen Knix hinzu.

Die Lady winkte ihr voranzugehen und folgte dann mit steifen Bewegungen in das Innere des Hauses.

» Per Baccho,« sagte lachend der Major, als er bemerkte, daß Master John zurückgeblieben war, »ich möchte eine Maus sein, um zu hören, wie die beiden sich verständigen. Aber hübsch ist sie, bei all ihren englischen Schrullen, das muß der Teufel ihr lassen!«

»Auf Ehre – sehr hübsch!«

»Ich glaube gar, Herr Kamerad, Sie haben schon wieder Feuer gefangen!«

Der Oberleutnant seufzte. »Es ist der erste vernünftige Teint, den ich seit vier Wochen zu Gesicht bekommen. Haben Sie je schöneres blondes Haar gesehen? Und einen Mund – zum Küssen! Auf Kavalier-Parole – wenn die Dame nicht so abweisend wäre und länger hier bliebe, könnte ich mich ernstlich in sie verlieben!«

»Damit Ihnen die Gefahr aus den Augen gerückt wird, amico, werde ich die Dame, wenn sie weiter fährt, eskortieren!«

»Wahrhaftig – ein Freundschaftsstück! Der Henker hole den Dienst, der mich hier bindet, sonst ließe ich mir's wahrhaftig nicht nehmen. Ich möchte nur wissen, wo Leutnant Morelli mit den Reitern bleibt. Die Sonne ist am Untergehen!«

»Da kommt die Signora!«

Die Padrona war der Engländerin durch die Küche, die nach Landessitte den Wohnraum der Familie und bei ungünstigem Wetter den allgemeinen Aufenthalt bildete, gefolgt. Im Vorbeigehen nahm die Frau Krug und Glas von der Herdwand und öffnete dann die Tür eines Verschlages, der auf der einen Seite Wirtschaftsgeräte und darunter den Milchbehälter, auf der anderen Seite den setzt nur von einigen Ziegen besetzten Kuhstall enthielt.

»Wenn die Signorina sich denn mit Gewalt selbst bemühen wollen – hier ist mein Milchvorrat!«

Die Lady hatte die Tür in der Hand und schloß sie langsam. Ihr Auge überflog den Raum – sie war allein mit der Padrona.

Im Nu veränderte sich ihr bisher so steifes abstoßendes Wesen.

»Kann uns hier jemand hören oder sehen?« fragte sie leise in zwar nicht fließendem aber doch verständlichem Italienisch.

Die Ostessa sah sie erstaunt an. »Heilige Madonna, Signora – Sie reden also unsere Sprache?«

»Still! Sieh her!« sie zeigte ihr einen Gegenstand. »Kennst du dies?«

» Si, Signora – es ist der Schlüsselbund meines Mannes!«

»Giuseppe schickt ihn dir. In seiner Lade liegt ein zweiter Schlüssel zur Kapelle.«

»Ja – ich weiß!«

»Du wirst den Schlüssel nehmen und ihn mit diesem hier« – sie zog aus dem Busen ein kurzes Stilett und reichte es der Wirtin, – in die Hände des Gefangenen bringen.«

» Santa madre di Dio – das ist unmöglich, Signora – diese piemontesischen Ketzer passen auf wie die Teufel!«

»Wirf beides in den Krug mit Milch, nimm ein Stück Brot dazu und bring es dem Gefangenen.«

»Agnola soll es tun – wenn sie es merken, bin ich verloren.«

»Gehorche – es ist der Befehl deines Mannes.«

»Aber erklären Sie mir, Signora …«

» Tacito e precauzione! Bring mir ein Glas mit Milch und merke auf!«

Sie öffnete die Tür des Stalles und kehrte in den Hausflur zurück.

»Nun Mylady,« sagte der Offizier, »war unsere Wirtin imstande, ihre Wünsche zu befriedigen?«

» Yes, Sir – sie wird mir die Milch bringen, aber es ist nicht Milch von der Kuh!«

»Das bedauere ich freilich, Mylady, aber die Gebirgsbewohner behelfen sich größtenteils mit Ziegen und Eseln.«

Die Padrona trat unter die Veranda, in einer Hand einen irdenen Teller mit einem Glase, in der anderen einen Krug bis an den Rand mit Milch gefüllt tragend.

Die Lady wies auf den Tisch vor sich hin. »Sagen Sie der Frau, daß sie mir einige Schnitte Brot bringt.«

Die Ostessa hatte den Teller mit dem Glase auf den Tisch gesetzt – er klirrte in ihrer Hand. Die Lady nahm das Glas und hielt es ihr hin zum Einschenken. Hätten die Offiziere ihre Wirtin scharf beobachtet, so würden sie gesehen haben, wie ihre Hand zitterte, als sie dies mit Vorsicht tat.

Leutnant von Arnim wiederholte ihr den Wunsch der Reisenden. »Ihr könnt ein Stück Brot für den Burschen da drüben mitbringen,« sagte er, »der arme Teufel braucht wenigstens nicht zu hungern und zu dürsten, wenn s auch wahrscheinlich eine Henkersmahlzeit ist. Wenn er die übrige Milch da nicht mag, soll er auf meine Kosten eine Bottiglia Eures Weins haben.«

Die Wirtin stellte den Krug neben die Dame auf den Boden, dann entfernte sie sich und kam bald mit einem Laib Brot zurück.

»Erlauben Sie, Mylady,« sagte der Major galant, »daß ich Sie bediene!« Er schnitt einen Streifen des weißen Brotes ab und präsentierte ihr denselben. Der Oberleutnant, um nicht zurückzubleiben, griff nach dem Krug. Darf ich nochmals Ihr Glas füllen?« fragte er.

» Mille merci, messieurs!« eine hastige Bewegung wehrte der Artigkeit, »ich trinke nicht mehr! Diese Milch von den – wie heißt Ziege auf Italienisch?«

» Capra, Mylady!«

»Von den Capra ist schlecht. Schicken Sie den Krug dem Banditen da drüben –«

»Es soll geschehen, Mylady! Bringt Brot und Milch hinüber, Padrona oder ruft die Schildwach her!«

»Mit Euer Excellenca Erlaubnis kann es die Agnola tun, meine Schwester, die dort müßig sitzt; ich habe die Polenta am Feuer. He – komm hierher, Agnola, und trage den Krug und das Brot dem Gefangenen hin!«

Das junge Mädchen, das noch immer mit dem Kinde am Eingang der Veranda gesessen und mit jenem, den Italienern eigentümlichen Müßiggang der Ankunft des Wagens und den anderen Vorgängen zugesehen hatte, trat herzu und gab der Padrona das Kind.

Ein Blick derselben empfahl ihr Aufmerksamkeit. Sie griff nach dem Krug und dem Brot.

»Halt da!«

Die Lady erbleichte leicht.

»Nicht das Messer da, Schätzchen,« sagte der vorsichtige Offizier. »Wir haben dem Burschen da drüben heute mittag das seine abgenommen und wollen ihm nicht dafür ein anderes geben!« Er zog das Tischmesser aus dem Brot, in dem es stecken geblieben, und reichte ihr dann das letztere. »So, Kind, und nun geh! – » Olà sentinella!«

» Si, Signor!« antwortete der Posten von der etwa sechzig Schritt entfernten Kapelle.

»Öffnet die Tür und laßt dem Gefangenen Brot und Krug reichen, aber niemand zu ihm!«

» Si, Signor!«

Die junge Bäuerin schritt über die Straße hinweg nach der Kapelle, vor deren Eingang sich mehrere Kameraden der Schildwach mit dieser unterhielten, wozu der Gefangene am Gitter zuweilen ungeniert mit sein Wort gab. Auch der Vetturin der Dame hatte sich unter die Soldaten gemischt und plauderte mit ihnen. Die Annäherung des jungen Mädchens wurde von den Soldaten mit allerlei Späßen und Reden begrüßt, die sie jedoch keiner Antwort würdigte. Der Soldat auf dem Posten zog einen großen Schlüssel aus der Tasche und öffnete damit die starke Eichentür.

»Hier, Galgenstrick! Der Signor Uffiziale schickt dir dein Abendbrot! – Gib ihm den Krug, Mädchen – so, das genügt! hinein darfst du nicht; du kannst ihn morgen zurückholen, wenn das Nest leer! – Zurück Bursche, oder ich stoße dir das Bajonett durch den Leib!«

» Cospetto, Landsmann, du wirst einem ehrlichen Kerl doch erlauben, für die Gabe zu danken! Sie kommt gewiß von der schönen Signora da drüben,« fuhr der Gefangene am Fenster fort, denn die Tür war bereits wieder verschlossen, »die Signori hätten schwerlich an die Bitte eines armen Teufels gedacht. Sage ihr tausend Dank, Kind, und mögen die Heiligen mit ihr sein!«

»Vorerst wird sie sich mit dem Signor Uffiziale begnügen müssen,« meinte lachend einer der Soldaten – »unser Oberleutnant ist ein Teufelskerl – die Weiber laufen ihm alle nach! Aber ein braver Soldat ist er, das muß man ihm lassen, obschon er kein Piemontese ist.«

» Demonio!« meinte der Vetturin – »Ihr Herren aus dem Norden tut, als hättet ihr allein alle Tapferkeit verschluckt. Ihr müßt uns Neapolitanern auch etwas übrig lassen. Haben wir nicht den Bombino verjagt und euch den Weg geöffnet?«

»Ja, als die Rothemden kamen. So lange habt ihr euch von dem Ré Bombino und seiner Bombina mit Füßen treten lassen und euere Evvivas dazu geschrien. Die Neapolitaner sind nichts als lumpiges Gesindel, und wenn ihr zufällig auch ein Kind des heiligen Januarius seid, tut mir's leid um euch, aber ist es darum nicht anders!«

»Wir wollen nicht streiten darum – die Tyrannen sind verjagt und es lebe der Ré gentilhuomo. Jetzt werden uns wenigstens nicht mehr die Pfaffen und der Steuererheber kujonieren! Aber ich glaube, man ruft mich!«

Es war in der Tat Master John, welcher nach dem Vetturin schrie.

»Ich dachte schon, wir würden hier über Nacht bleiben können,« meinte der muntere Kutscher, »aber diese ketzerischen Engländer haben kein Erbarmen mit dem armen Vieh. Nun Addio, Signori – und ihr da hinter dem Gitter laßt euch die Zeit nicht lang werden; schon mancher, der des Abends hinter Schloß und Riegel saß, war morgens ein freier Mann!«

Er trollte sich davon, ohne die Meinung des Soldaten über seinen letzten Trost abzuwarten, und erklärte Master John auf dessen Frage, daß die Maultiere ihr Futter genommen hätten und die Weiterfahrt somit stattfinden könne.

Die Nacht war unterdes hereingebrochen. Der Vetturin schien sich auch gar nicht mit dem Anspannen seiner Tiere zu beeilen, jedenfalls hatte er nicht solche Eile, wie der kleine barfüßige Stallbube, der gleich darauf das Gehöft verließ, an dem Posten am Süden vorbeischlich und dann im vollen Lauf seinen Weg nach dem Gebirge nahm. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bevor die Maultiere eingespannt, die Laternen des Wagens angezündet und Lady und Diener eingestiegen waren.

Der Conte Sismondi hatte gleichfalls seine Pferde befohlen, und sein Reitknecht hielt ein schönes Halbblutpferd neben der Kalesche am Zügel.

Die beiden Offiziere standen jetzt am Schlage des Wagens.

»Mylady,« sagte der Oberleutnant, »nur der Umstand, daß der Herr Graf hier das Glück hat, Sie zu begleiten, entbindet mich von der Pflicht, anderweitig für Ihren Schutz zu sorgen, da Sie darauf bestehen, noch heute Sora zu erreichen, wo Sie allerdings größere Bequemlichkeiten zum Übernachten finden, als in dieser armseligen Herberge. Ich hoffe, daß, wenn das Schicksal mich nach Neapel führt, Sie mir erlauben werden, mich nach der glücklichen Vollendung Ihrer Reise und Ihrem Befinden zu erkundigen.«

»Sir, mein Bruder, der Konsul, wird sich freuen, Sie bei sich zu sehen. Ich danke Ihnen für Ihre Sorge, aber Sie werden sehen, daß sie unnötig ist, und ich möchte nicht, daß Monsieur hier sich unnütze Last macht.«

Die beiden Offiziere erschöpften sich in galanten Beteuerungen, dann schwang der Major sich in den Sattel, der Vetturin ließ seine Peitsche klatschen, und das Schellengeklingel der Maultiere verkündete die Abfahrt der Reisenden.

Der Preuße blickte dem Wagen einige Zeit nach, dann stieg er wieder zu der Veranda empor, zündete seine Zigarre an dem Licht der Papierlaterne an, welche die Wirtin aufgehängt und verfiel in Gedanken.

Diese sollten jedoch nur kurze Zeit währen, denn es waren kaum zehn Minuten seit der Abfahrt des Wagens vergangen, als von der andern Seite her Hufschlag erklang, und die unter dem Kommando des Unterleutnants schon am Vormittag ausgesandte Reiter-Patrouille auf derselben Straße zurückkehrte, welche die Engländerin gekommen war.

Der junge Offizier sprang vom Pferde und während die Reiter – Karabiniers – absaßen, mit den Kameraden, die sich schnell um sie her sammelten, plauderten und sich fertig machten, ihre Pferde in die Ställe zu führen, erstattete der Unterleutnant seinem Vorgesetzten Rapport.

Dieser reichte ihm zum Willkomm die Hand. »Wo zum Henker, Signor, sind Sie so lange geblieben? Ich erwartete Sie schon vor zwei Stunden zurück, da Sie bloß bis Roveto patrouillieren sollten. Sie haben unterdes viel hier versäumt, wir hatten Besuch.«

»Besuch?«

»Und noch dazu – wie Sie mir einmal sagten, ein entfernter Verwandter von Ihnen, – Major Graf Sismondi vom Generalstab!«

»Ein Vetter meiner Mutter – das bedauere ich sehr!«

»Den schöneren Teil des Besuchs aber haben Sie gesehen, Sie müssen ihm begegnet sein.«

»Wem?«

»Ei, Sie haben doch sonst Augen für dergleichen! Der Kalesche einer jungen Engländerin, Lady Howard, die von Avezzano kam. Sie müssen sie auf der Straße getroffen haben und haben sie sicher ein langweiliges Examen bestehen lassen.«

» Perdono, Signor – aber ich habe keinen Wagen auf dem ganzen Ritt gesehen!«

»Zum Henker – kommen Sie denn nicht von Civitella di Roveto?«

»Nicht ganz direkt. Ich wäre schon vor zwei Stunden hier eingetroffen, wenn man uns nicht genarrt hätte.«

»Wieso?«

»Bei der Rückkehr – etwa zwei Miglien von hier – gab mir ein zerlumpter Bursche, den ich traf, und der mir sagte, er sei auf dem Wege zu Ihnen, die Nachricht, daß im Wirtshaus eines kleinen Dorfes im Gebirg der berüchtigte Bandit Tonelletto mit drei Gefährten zeche und ohne Gefahr überrumpelt werden könnte.«

»Tonelletto?«

»Ja, Signor, wir haben das Signalement des Spitzbuben, und er ist uns, wie Sie sich erinnern werden, als einer der schlauesten und kühnsten Parteigänger der Bourbons geschildert, auf dessen Kopf selbst die römische Polizei seiner vielen Verbrechen wegen tausend Scudi gesetzt hat.«

»Ha, nun erkläre ich mir die Verzögerung. Sie suchten ihn aufzuheben? Aber sie hätten mir Meldung davon senden sollen, um Sie zu unterstützen. Doch – einen Augenblick, Signor – wir dürfen den Dienst nicht vergessen, um so weniger, da wir solche Burschen in der Nähe haben. Wahrscheinlich hängt das mit dem Rauch an dem Turm des Monte Turchio zusammen. Heda! – schickt mir den Caporale Antonio her!«

»Zu Befehl, Signor Luogotenente! ich bin hier!«

»Lassen Sie das Signal zum Abendappell geben und die Wachen für diese Nacht verdoppeln. Schärfen Sie ihnen besondere Wachsamkeit ein, ich habe Anzeichen bemerkt, daß unsere Freunde, die Briganti, wieder in der Nähe, und ich hätte Lust … Lassen Sie die Mannschaften antreten! Und nun weiter in Ihrem Rapport, Leutnant Morelli!«

Der Unterleutnant war ein noch sehr junger Mann, kaum achtzehn Jahr, der offenbar eine große Meinung von seiner Klugheit hatte und den kleinen Verweis sehr übelnahm.

»Ich glaubte keinen Mann von der Patrouille entbehren zu können, Signor, um den Schurken zu erwischen. So begnügte ich mich, mir den Ort genau beschreiben zu lassen, dem Burschen einige Lire zu geben, und ihn mit der Meldung, daß ich auf dem Wege sei, hierher zu senden.«

Das Signal des Hornisten klang durch den stillen Abend.

»Der Teufelsbraten hat es vorgezogen, das Geld in seinen Schnappsack zu stecken und sich davon zu machen, wenn er überhaupt nicht von vornherein die Absicht gehabt hat, Sie zu täuschen, wie es mir scheint.«

»Ich glaubte meine Pflicht zu tun, Signor – wir streiften bis hinaus nach Trasacco am See, fanden auch die Bergschänke, aber keine Spur von dem Banditen. Er muß gewarnt worden sein und sich beizeiten aus dem Staube gemacht haben.«

»Ich denke vielmehr, daß Sie zu leichtgläubig gewesen sind dem Gesindel hier gegenüber, das uns verrät und verkauft. Ha – was war das?«

»Es klang wie ein Schuß –«

»In der Richtung von Sora – und nicht weit!« Er sprang aus der Veranda. »Da wieder – zwei – drei Schüsse – zum Henker! es wird der Engländerin und Ihrem Vetter doch kein Unheil passieren? Lassen Sie Alarm blasen!« Er eilte in das Haus zurück, seine Waffen zu holen und das Signal des Hornisten ging aus der gewöhnlichen Fanfare zum dringenden Allarmruf über. Von allen Seiten stürzten die Soldaten herbei.

»Die Pferde wieder aus den Ställen!«

Man hörte noch einige Schüsse, die kaum eine Miglie entfernt sein konnten. Eben als der Oberleutnant mit Säbel und Revolver aus dem Hause trat, donnerte der wütende Galopp eines Pferdes die Straße von Sora herauf und bog um die Felsenecke, wo der Posten stand, ohne auf dessen Anruf zu stehen.

Im nächsten Augenblick war der Reiter von der Osterie.

»Zu Hilfe! zu Hilfe! Die Briganti!«

»Hier, Kerl – schrei nicht wie eine Memme! Was ist geschehen?« Der Oberleutnant hatte die Ordonnanz des Majors erkannt.

»Überfall, Signor! Die Briganti haben uns überfallen – sie plündern den Wagen! sie ermorden alles!«

»Wo? wo?«

»Eine Miglie von hier – wo ein Weg links abgeht!«

»Und dein Herr?«

»Er wehrte sich wie ein Löwe – ich sah ihn stürzen – mein Beistand wäre vergeblich gewesen!«

»Lichter an die Fenster!« befahl der Offizier. »Wo sind die Pferde?«

»Hier!« Die zwölf Reiter zerrten die von dem Patrouillenritt noch müden Gäule herbei.

»Aufgesessen. Nehme jeder einen der Bersaglieri hinter sich auf die Kruppe!« Er warf die Ordonnanz des Majors mehr aus dem Sattel, als daß er sie absteigen ließ, und schwang sich hinein. »Leutnant Morelli!«

»Signor!«

»Lassen Sie den Caporale Antonio sofort mit dem Rest der Bersaglieri und zwanzig Mann so eilig als möglich uns folgen. Lassen Sie die Mannschaft unter Gewehr, bis ich Botschaft sende und bewachen Sie den Gefangenen genau. Vorwärts, Leute, daß wir noch zurecht kommen!«

Er sprengte mit dem ausgeruhten Pferde die Straße hinab, die Reiter folgten ihm so gut es ging mit der doppelten Bürde.

Der Ritt dauerte etwa zehn bis zwölf Minuten. Als die Reiter mit ihrer Last an die Stelle kamen, wo der Überfall der Briganten stattgehabt, fanden sie ihren Offizier bereits an dem Wagen, der dort hielt, während die Maultiere mit abgeschnittenen Strängen unruhig davor standen.

Der Oberleutnant war dicht zu der Kalesche geritten und hatte sich hineingebeugt – sie war leer – weder von der Lady noch ihrem Diener war eine Spur zu sehen, die Unordnung, in der sich alles befand, bewies, daß man den Wagen ausgeplündert. Auch von dem Major war nichts zu erblicken, bis einer der Bersaglieri, der abgestiegen war, auf einen dunklen Gegenstand zur Seite im Schatten der Felsen aufmerksam machte, der stöhnend und wild um sich schlug.

Da es hier finster und der Mond eben erst im Ausgehen war, zündete einer der Soldaten einige Streichhölzer an und man erkannte bei dem flüchtigen Lichtschein in einer Blutpfütze das Pferd des Conte, von einer Kugel durch den Kopf, getroffen.

»Aber der Graf? wo ist die Lady? selbst der Vetturin ist fort!«

Ein jammernder Ton antwortete ihm »Hier, Signor Offiziale! Der heilige Januario erbarme sich mein!«

»Zum Henker, wo steckt Ihr, Kerl?«

»Unter dem Wagen, Signor! Die Schufte, die in der Hölle braten mögen dafür, haben mich gebunden!«

Die Soldaten zogen ihn am Kragen zwischen den Rädern hervor und lösten die Stricke, mit denen ihm Arme und Füße umschnürt waren, was auffallend leicht ging. Dann wurde der Vetturin auf seine Beine vor den Offizier gestellt.

»Jetzt, Kerl, antworte, was ich dich frage. Aber wahr und kurz, oder ich schieße dir eine Kugel durch den Kopf, denn ihr Vetturins steckt gewöhnlich mit dem Gesindel unter einer Decke! – Wo ist die Lady!«

»Fort, Exzellenza – die Banditen haben sie mit sich geschleppt.«

»Und der Offizier, der sie begleitete, ist er ermordet?«

»Ich glaube nicht, Signore. Er wehrte sich verzweifelt und hat mehr als einen verwundet. Aber sein Pferd stürzte mit ihm, und sie fielen wie eine Meute darüber her!«

»Wie viel waren ihrer? Keine Übertreibung, nur was du wirklich gesehen!«

»So wahr mir die Heiligen in meiner letzten Not helfen mögen. Ich konnte sie zählen, als ich unter dem Wagen lag. Es waren ihrer achtzehn oder zwanzig!«

»Dann, Leute, sind wir ihnen gewachsen. Welchen Weg nahmen die Räuber, und wie lange sind sie fort?«

»Kaum fünf Minuten, Exzellenza, erst als Sie Ihre Hornsignale und den Galopp Ihrer Pferde hörten, rissen sie aus, die Unmenschen! Dort hinaus sind sie, den Weg nach dem Gebirge! Der Mond, der da drüben aufgeht, muß Sie die Schurken noch sehen lassen!«

Der Offizier trieb sein Pferd den hohen Feldrain hinauf, der hier den Weg begrenzte.

Der Mond war jetzt voll aus den Bergen getreten und goß sein klares Licht über die rauhe Gebirgsgegend – in der Entfernung von etwa zweitausend Schritt bewegte sich ein dunkler Knäuel, offenbar eine Anzahl Menschen, eilig den Höhen zu.

»Ha – Gott sei Dank, wir haben sie – dort, da hinauf sind die Schurken, ich sehe sie deutlich! Sergeant – wenn Ihr mit den Pferden den Pfad hier zur Linken verfolgt, der ziemlich weit hinauf gangbar ist, schneidet Ihr ihnen den Weg ab, ehe sie sich in das Buschwerk und das Gestein werfen können, indes ich hier mit meiner braven Bersaglieri auf ihren Fersen bin. Es ist klar, daß sie ihren Weg wieder nach dem alten Turm nehmen, wo wir neulich mit ihnen handgemein waren! Avanti, Sergeantei«

Die Reiter trabten, so eilig es der angegriffene Zustand ihrer Pferde erlaubte, in dem einen Hohlweg bildenden Seitenpfade weiter.

»Um der heiligen Jungfrau von Loretto willen; Signor Offiziale,« jammerte der Vetturin, »was soll aber aus mir werden, wenn Ihr mich verlaßt, und die Bösewichter kommen zurück?«

»Damit hat es gute Wege, Narr, bleib hier und rühre dich nicht vom Fleck, bis eine Abteilung meiner Leute kommt. Sage dem Caporale, was geschehen und daß wir auf ihren Fersen sind. Antonio kennt den Fußweg nach der Höhe, den ich neulich entdeckt. Er soll ihn einschlagen, dann faßt er die Bande von hinten, während wir sie im Gesicht angreifen. Vorwärts, meine Braven!«

Die Bersaglieri waren bereits auf der Höhe und folgten ihrem Offizier, der eben über eine Hecke setzte, um querfeldein so rasch wie möglich die fliehenden Briganten zu verfolgen, und deshalb so lange es anging, zu Pferde blieb.

Die kleine, aber tapfere Abteilung war ihm kaum aus Hörweite, als der Vetturin spöttisch auflachte und dazwischen ein Lied zu pfeifen begann, wobei er sich hastig damit beschäftigte, die Zugstränge der Maultiere wieder in Ordnung zu bringen. Dies gelang ohne große Mühe, da sie mehr zum Schein zerschnitten waren, und als das Gefährt in Ordnung, sprang der Vetturin eilig auf den Bock und griff nach der Peitsche.

» Diavolo,« murmelte er, »es ist Zeit, ich höre die verdammten Ketzer kommen, und es könnte ihnen am Ende gar einfallen, mich festzuhalten! Also vorwärts – denn der Tanz da unten wird auch gleich losgehen! Unser guter Freund, der Fittacuolo Bartolomeo, mag sich sein Gefährt morgen im nächsten Weiler abholen!«

Damit schnalzte er den Maultieren, kitzelte sie mit der Peitschenspitze und sagte in vollem Galopp auf der Straße nach Sora weiter, ohne sich um die Abteilung Soldaten zu kümmern, die dem Befehl des Offiziers gemäß eben im Laufschritt zu seiner Unterstützung aus der Richtung des Fleckens daher kam und bald darauf ratlos an der Stelle des Überfalls Halt machte.

Aus der Richtung der Bergwand her knallten jetzt deutlich Schüsse.

Leutnant von Arnim war, seine Leute aufmunternd, mit möglichster Schnelle über Hecken und Gräben den Briganten gefolgt, die sich auf einem mehrfach gewundenen Fußsteig nach den Felswänden und schwer zugänglichen Schluchten des Monte Turchio zurückgezogen. Ein oder zweimal war es ihm gewesen, als hörte er den Hilferuf einer Frauenstimme und dies diente nur dazu, seine Anstrengungen zu vermehren. Endlich, als die aufsteigende von Felsgeröll und Strauchwerk bedeckte Fläche gänzlich unpassierbar wurde und nachdem sein Pferd schon mehrmal gefährlich gestrauchelt war, verließ er den Sattel, von dem aus er in den wechselnden Schatten und hellen Stellen des Terrains die abziehende Bande leichter hatte im Auge behalten können, und, den Säbel in der Faust, führte er seine Jäger vorwärts.

Sie mochten den Briganten auf etwa dreihundert Schritt nahe gekommen sein, als diese plötzlich zwischen den Steinmassen Halt und Widerstand zu leisten Miene machten. Büchsenschüsse knallten hinüber und herüber und offenbar befanden sich die Feinde – von Stein zu Stein, von Strauch zu Strauch sich zurückziehend – im Vorteil, da sie ihr Feuer unbehindert aus die Verfolger richten konnten, während diese fürchten mußten, vielleicht die Gefangenen zu verwunden.

Diesen Augenblick wandte der junge Offizier den Kopf in der Richtung nach der Osterie, da ihm däuchte, als höre er von dort gleichfalls entferntes Gewehrfeuer; da aber der Nachtwind vom Gebirge herkam und eben seine Reiter auf der Höhe sichtbar wurden, achtete er nicht weiter darauf, sondern wandte alle Aufmerksamkeit dem Gefecht zu, um die ungleichen Chancen seiner Minderzahl auszugleichen; denn die Reiter versuchten vergeblich den steilen Abhang zu erklimmen, auf den sich die Briganten zurückgezogen, bevor es ihnen noch gelungen war, ihnen den Weg zu verlegen.

Auch der Caporale Antonio hatte das Schießen auf beiden Seiten gehört und war in großer Verlegenheit, wohin er sich wenden sollte. Da er aber den bestimmten Befehl erhalten hatte, den Oberleutnant zu soutenieren und dieser offenbar nach dem Gebirge zu engagiert war, richtete er endlich seinen Marsch dahin.

Wir müssen zunächst nach der Osterie zurückkehren.

Der junge Offizier, der jetzt dort das Kommando führte, hatte es nicht für nötig gehalten, noch weitere Posten außer den beiden in der verschiedenen Richtung der Straße aufzustellen, und war eben im Begriff, die jetzt nur geringe Zahl der ihm gebliebenen Mannschaften wieder die Gewehre zusammen setzen zu lassen, als plötzlich – während er auf der obersten Stufe der Veranda stand, eine Kugel an seinem Ohr vorbeipfiff und in den nächsten Balken einschlug, wobei zugleich der Knall der Büchse ihn belehrte, daß der Schuß in ziemlicher Nähe aus der Richtung der Kapelle her gefallen war.

»Verrat!« schrie der Unterleutnant und war mit einem Sprunge unten auf der Straße. »An die Gewehre, Leute! Hierher, sammelt Euch um mich!«

Ein gellender Pfiff ertönte – Schüsse fielen – wie finstre Nachtgespenster tauchten von allen Seiten wilde verwogene Gestalten aus dem Dunkel und stürmten gegen die Kapelle, vor deren Tür – da das Gebäude wenigstens einen Rückhalt gewährte, – sich die Soldaten sammelten, – während schreiend die grauen in das Innere der Osterie flüchteten und die Türen zu sperren suchten. Der junge Leutnant, der bisher den Dienst ziemlich leicht genommen, zeigte sich jetzt ganz mutig und entschlossen. Nachdem er seinem Trupp, der noch immer an dreißig Mann zählte, den Rücken gedeckt, nahm er mit soldatischer Sicherheit das Gefecht auf und ließ das Feuer unterhalten, da es geglückt war, den ersten Anprall der Briganti abzuschlagen.

Diese schienen übrigens von einem sehr erfahrenen Führer kommandiert, benutzten jede Deckung und unterhielten von allen Seiten, so daß ihre Anzahl gar nicht zu übersehen war – ein so rasches und wohlgezieltes Feuer auf den gedrängten Trupp der Soldaten, daß diese begannen, mutlos zu werden. Der junge Offizier sah ein, daß er einen Fehler gemacht und ihre einzige Hoffnung darin bestand, das Gebäude der Osterie wieder zu gewinnen und hier den Angriff abzuwehren, bis die zur Verfolgung der Plünderer des Wagens abgesandten Abteilungen zurückkehrten, was bei dem heftigen Feuern unmöglich lange dauern konnte. Er war daher schon im Begriff, auf jeden Verlust hin den Befehl zu geben, als der Anführer der Briganten ihm zuvor kam.

Ein Pfiff vereinte die wilden Gesellen zu einem Haufen. » En avant, mes braves! Gebt den Feinden der Kirche keinen Pardon – denkt an Castelfidardo! Auf sie!«

»Franzosen? höllischer Verrat! Wehrt euch Leute, verteidigt euer Leben! Formiert Quar …«

Der Befehl wurde nicht vollendet. Die Tür der Kapelle flog plötzlich auf, ein Dolchstoß von kräftiger Faust zwischen die Schultern stürzte den jungen Mann kopfüber tödlich getroffen zwischen die Seinen, die bestürzt aus einander fuhren. Eine kräftige Gestalt sprang über den Körper des Fallenden und warf sich unter sie. » A basso die Ketzer! Evviva il Ré Francisco! – Hierher, Camerati!«

» Evviva il capitano Tonelleto!« donnerte der Gegenruf, die Piemontesen erst belehrend, welchen wichtigen Fang sie am Mittag gemacht hatten. Der Name verbreitete neuen Schrecken, ohne Pardon wütete Messer und Kolben unter den durchbrochenen Reihen, und fast ohne Gegenwehr suchten die entsetzten ihres Führers beraubten Soldaten nach allen Seiten ihre Rettung in der Flucht, – verfolgt von den Kugeln der Briganten.

Tonelletto, denn es war allerdings der Banditenhäuptling, der hier befreit worden, schob den bluttriefenden Dolch in den Gürtel und reichte dem Anführer der Briganten die Hand. »Die Arbeit ist vorüber, denk ich, Kapitän Chevigné! Tausend Dank, daß Sie mich nicht im Stich gelassen, denn Kugel oder Strick wäre mir sicher gewesen, wenn sie mich nach Sora hätten bringen können!«

»Es war ein Glück, daß wir in der Nähe waren und die Nachricht uns erreichen konnte,« sagte der Kapitän. »Aber da wir zu gering an Zahl waren, um sie anzugreifen, denn mehr als die Hälfte unserer Leute ist nach Iseria hinunter, wo die Rothemden hausen, mußten wir uns der List bedienen, um sie zu trennen!«

»Und es ist vortrefflich gelungen,« meinte lachend der andere, das Gewehr und die Patronentasche eines der Toten aufnehmend. » Cospetto di bacco! Es ist ein Teufelsmädchen, ich hätte es ihr kaum zugetraut, und auch Ihr Sergeant, Kapitän, spielte seine Rolle vortrefflich. Ich erkannte sie auf den ersten Blick und hätte diesen Piemontesen beinah in die Zähne gelacht, die sich so an der Nase herumführen ließen! Aber was nun, Kapitän, was soll geschehen?«

»Wir dürfen die Capitana vor allem nicht im Stich lassen. Wenn alles so geschehen, wie verabredet, müssen sie zwar das Gebirge erreicht haben, aber es sind nur achtzehn Mann bei ihr und sie könnte scharf verfolgt werden!«

»Und der Offizier der Ketzer ist ein tüchtiger Soldat,« sagte der Brigant. »Wir haben Proben davon, und ich habe es heute wiederum gesehen. Überdies hat ein oberer Offizier aus Sora den Wagen begleitet – ich hatte Zeit und Gelegenheit genug, alles zu beobachten, es müssen an fünfzig Soldaten jetzt auf ihren Fersen sein.«

»Villemain ist ein alter Fuchs, und Ihr habt ihn in alle Schliche des Gebirges redlich eingeweiht. Er wird sie auf seiner Fährte halten und ihnen dann plötzlich die Hörner zeigen. Aber nichtsdestoweniger gilt es, ihnen Beistand zu leisten. Gebt das Signal, Capitano, und laßt uns aufbrechen – das Gesindel aus dem Dorf steckt bereits wieder die Nasen aus Türen und Fenstern, und obschon sie gut päpstlich sind, ist es doch besser, sie nicht in unsere Karten sehen zu lassen! – Mögen sie indes diese Toten begraben und morgen sehen, wie sie mit den Piemontesen fertig werden!«

Ein Signal Tonellettos rief die Briganten zusammen, die unterdes keinen Anstand genommen, den Toten und Verwundeten die Taschen zu räumen, und der Haufen, etwa 30 Mann stark, zog jetzt eilig ab, dem Gebirge zu, den so schlau und kühn Befreiten an ihrer Spitze.

Kapitän Chevigné, die Büchse auf der Schulter, gleich jedem andern Mitglied der Schar, ging an seiner Seite.

»Wir erwarteten Euch seit zwei Tagen zurück, Capitano!« sagte er. »Seid Ihr so lange in Rom aufgehalten worden? und wie zum Henker hat ein Mann Eueres Schlages sich von diesen Burschen fangen lassen können!«

» Peste! das kann dem Besten passieren. Hinter mir zwei Büchsen und vor mir eine Schlucht von hundert Fuß Tiefe!«

»Ihr habt also unsere Leute nicht gesprochen?!«

»Bah – den General und den Kardinal. Santa madre – was der für Augen machte, als er seinen leiblichen Vetter, den er an den Galgen hängen ließ, als Unterhändler sah! – Nein Signore – es ist alles bestellt, und ich bringe beste Botschaft von Rom. Sodann aber komme ich von Gaëta!«

»Aus der Festung?«

» Si, Signore! Aus der belagerten Festung, wo ich die Kugeln zur Genüge pfeifen gehört.«

»Und weshalb waret Ihr in Gaëta?«

» Cospetto! ich wollte mir einmal die Geschichte in der Nähe ansehen und dieser Deutschen meine Reverenz machen. Veramente! sie ist eine Königin!«

»Ihr habt sie gesehen?«

»Gesehen und gesprochen. Und ich kann Ihnen sagen, Kapitän, wenn Sie belieben sollten, die Sache Seiner Heiligkeit von der der rechtmäßigen Herrscher Neapels zu trennen, würde ich noch heute die weiße Fahne aufstecken und einen Ruf durch die Abruzzen ertönen lassen, der im Handumdrehen fünfhundert entschlossene Männer an meine Seite führte, eine bessere Schar, als Chiavone sich ihrer rühmen kann!«

»Die Sache des heiligen Vaters ist eng verknüpft mit König Franz,« sagte der Franzose. »Sie haben einen gemeinsamen Feind, und jeder Abbruch, der ihm geschieht, kommt beiden zugute. Indem ich und meine Landsleute hier den Kampf gegen diese übermütigen Piemontesen fortsetzen, dienen wir der Sache der Kirche. Aber sagt mir, wünscht man in Gaëta, daß wir in die Festung zu gelangen suchen?«

» Ohibò, Signore! Der König hat dort Soldaten genug, mehr als zuviel, und hat selbst die nicht ganz zuverlässigen Bataillone entlassen. Der Kriegsrat wünscht dringend die Fortsetzung der Brigantaggia und ich habe einen ganzen Pack von Proklamationen mitgebracht, die das Landvolk zu den Waffen rufen!«

»Das hätte Euch sicher das Leben gekostet!«

Der Briganti machte jene verächtliche Gebärde mit den Fingern, die beim Neapolitaner so beliebt ist. »Wie können Sie glauben, Signor Capitano, daß ein alter Fuchs wie ich, auch nur einen Augenblick daran denken wird, sich mit diesen Papieren zu schleppen! Sie werden morgen von Subiaco her unter dem Doppelfell einiger Ziegen von irgendeinem barfüßigen Jungen ins Gebirge gebracht werden. Aber hören Sie das Knallen der Büchsen? Wir müssen in ihrer Nähe ein!«

»Dort über die Bergwand hinweg – sie verbirgt uns die Aussicht. Fertig, Leute, macht euch fertig – zum Angriff, mit Büchse oder Messer – vorwärts! – Mille tonnerres! ich fürchte, wir kommen zu spät!«

Hinter der Bergwand her krachte eine Salve, dann das Hurra der Piemontesen, das sich gleich darauf in das Triumpfgeschrei des Sieges verwandelte.

Mit der Gewandtheit und der Eile flüchtiger Gemsen sprangen die Briganti den Berggrat hinauf.


2. Die sieben Todsünden.

Die Strahlen der über dem Monte Cavallo aufgehenden Sonne kämpften mit den dichten Nebeln, die aus den Tälern qualmend emporstiegen und im Morgenwinde phantastisch an den Bergabhängen umherwogten.

Auf dem Plateau, aus dem die alte Turmruine stand, welche die Briganten schon mehr als einmal zu ihrem Hauptquartier gewählt, bewegte sich eine dunkle Gestalt in bestimmter Richtung hin und her, schlug die vom Nachtfrost erstarrten Arme übereinander und summte zum Zeitvertreib ein französisches Liedchen. Eine zweite, die der weiße Mantel kaum von den Nebelwogen unterscheiden ließ, tauchte aus diesem jetzt empor und näherte sich der ersten.

» Qui vive?«

»Gaëta! – Ah du bist's, braver Tourbillon. Nichts Ungewöhnliches passiert während deiner Wache?«

»Nichts, Kapitän – außer –«

»Nun?«

»Ich kann mich getäuscht haben aber vor einer Stunde dünkte mich's, als hörte ich Hornsignale da unten und bald darauf war mir's, als sähe ich durch die eben beginnenden Nebel eine Glut, wie von einer Feuersbrunst. Wie gesagt, die dichter anschwellenden Nebel verhinderten es, genaues zu sehen und ließen den Schall nicht weiter herauf dringen.«

»Unsere Posten stehen über fünfhundert Meter tiefer, sie würden jede Annäherung des Feindes melden. Es war ein hartes Gefecht, diese Nacht, wackerer Tourbillon!«

» Sapristi – ich hätte nicht gedacht, daß die Bursche sich so gut schlagen würden! Ihr Offizier wehrte sich wie der leibhaftige Teufel, ehe er sich ergeben mußte.«

»Er ist ein Deutscher – ein Preuße, wie ich höre, und die Deutschen haben eine zähe Natur beim Raufen. Sie waren die einzigen, die mit uns bei Castelfidardo standhielten, während –« der Sprecher senkte die Stimme – »das italienische Lumpengesindel davonlief.«

»Was recht ist, ist recht, Kapitän! Die Briganten haben sich diese Nacht nicht übel geschlagen!«

»Diese Gebirgsbewohner sind Männer anderen Schlages; überdies versteht Tonelletto seine Leute auszusuchen. Der arme Kerl wird mindestens vier Wochen mit seiner Wunde am Bein zubringen müssen.«

»Er verdiente, ein Franzose zu sein! Es war vortrefflich, daß Sie und er uns zu Hilfe kamen, gerade im rechten Augenblick. Wir hätten die Felsenspalte, in die wir sie gelockt, wohl halten können, obschon wir schweren Verlust gehabt, aber die Bersaglieri sind keine zu verachtenden Gegner, und Sie selbst haben es empfunden, als Sie ihnen den Rückweg sperrten.«

Der Soldat deutete auf den linken Arm seines Offiziers, den dieser unter dem Mantel in einer Binde trug.

»Bah – ein Bajonnettstoß, der mich streifte. Tonelletto stieß dem Burschen dafür sein Messer durch die Kehle. Desto leichter wurden wir mit dem Trupp fertig, der zu ihrer Unterstützung herankam.«

»Mag sein, Kapitän! ich bedauere nur das Schicksal der Armen, die in ihre Hände fielen.«

»Sie sollen ihnen kein Haar krümmen, oder bei meiner Ehre – – wie viel sind ihrer?«

»Vier Leute Tonellettos, doch glaube ich, daß zwei von ihnen tödlich getroffen waren. Aber von den anderen wissen wir, daß sie nur leicht verwundet waren, am Fuß, wie Sie, Kapitän, was sie hinderte, uns so rasch zu folgen. Der schlimmste Verlust ist unser braver Sergeant!«

»Villemain! Wie zum Teufel kam es eigentlich, daß er, der sonst so umsichtig und tapfer, in die Hände der Piemontesen fiel? War er verwundet?«

»Nicht die Haut ist ihm geritzt, Kapitän, so viel ich weiß; wenn die Bajonette und Säbel der Halunken nicht etwa nachher einige Löcher darein gemacht haben. Er kommandierte uns mit der größten Kaltblütigkeit und hatte den Offizier, den er so schlau am Wagen der Capitana fing, bereits durch die Felsenspalte tragen lassen und unsern Rückzug geordnet, als er am Rande der Steine ausglitt und wie ein Sack hinunter rollte gerade mitten unter sie hinein!«

»Wir hörten ihr Geschrei. Aber die Irländerin – wie verhielt sie sich während des Gefechts?«

»Sie wollte durchaus nicht von unserer Seite weichen, obschon Villemain darauf bestand, sie solle bei den Gefangenen bleiben. Als er selbst gefangen wurde, wollte sie mit Gewalt uns zu einem Angriff bewegen, ihn wieder zu holen. Ich glaube, sie hätte sich allein zwischen ihre Büchsen gewagt, wenn ich sie nicht mit Gewalt zurückgeholt hätte. Aber es ging nicht, es wäre Wahnsinn gewesen, denn sie waren immer noch stärker, als wir, und ich mußte der Vernunft Gehör geben, als ich an die Stelle des Sergeanten trat.«

»Du hast recht getan, Tourbillon! Aber wir hätten ihn sicher gerettet, als wir zehn Minuten später über sie herfielen und sie zwischen die Felsenwände einkeilten, wenn sie nicht die Vorsicht gebraucht, ihn zurück zu schicken. Doch sie werden es nicht wagen, unsern Leuten ein Haar zu krümmen, da sie wissen, daß wir schwere Revanche üben könnten! Wie viel von den Bersaglieri haben wir!«

»Fünf und die beiden Offiziere!«

»Sie bürgen mit ihrem Leben für die Sicherheit der Unseren. Aber horch – es steigt jemand den Berg herauf, und da ist der Anruf unserer nächsten Wache.«

In der Tat klang es aus einiger Entfernung durch den Nebel: » Chi va là?«

Der Angerufene mußte das richtige Paßwort gegeben haben, denn er setzte ungehindert sein Heraufsteigen fort, und stand bald auf dem Plateau, auf welchem die Ruine sich erhob.

Der Nebel hatte sich unterdes etwas gelichtet, die steigende Sonne drückte ihn zurück in die Täler und Schluchten, und die Szene auf dem kleinen ebenen Bergvorsprung wurde sichtbarer.

Ringsum auf dem Boden lagerten in Mäntel und bunte Decken gehüllt wohl an vierzig Männer auf dem bloßen Felsen, ihre Büchsen und Waffen neben sich. Das unruhige Stöhnen einzelner, die blutigen Tücher um Kopf und Arm zeigten, daß mehrere von ihnen in dem nächtlichen Gefecht verwundet worden, und drüben unter der Wand des Turms streckten ein Arm – ein Fuß kalt und steif sich unter der darüber geworfenen Decke hervor, deren Bauschung verkündete, daß mehr als eine Leiche dort lag.

Der Anruf der Schildwache hatte viele der Schläfer erweckt, sie schüttelten den Nachtfrost von den Gliedern und kamen neugierig herbei.

Kapitän Chevigné war dem Ankommenden entgegen getreten. Es war einer der italienischen Briganten, er fragte nach seinem Capitano.

»Laßt den Verwundeten ruhen,« sagte der Franzose, »er schläft wahrscheinlich noch und bedarf der Kräfte. Was habt Ihr zu melden?«

»Einer der Ziegenhirten war an der ersten Wache, Signor, und brachte die Nachricht, daß gegen Morgen, etwa um 5 Uhr, eine große Schar Piemontesen von Sora her in Balzorano eingerückt ist.«

»Ah – daher die Signale. Du hast recht gehört, Tourbillon. Und wie hoch schätzte der Mann ihre Zahl?«

»Fünf bis sechshundert, Signor. Es war eine Kompagnie Bersaglieri dabei und eine Anzahl Karabinieri, wohl vierzig Pferde stark!«

» Diable – das ist uns zu viel, selbst wenn wir alle unsere Leute beisammen hätten. Wenn sie so stark sind, werden sie nicht anstehen, uns alsbald einen Besuch hier oben auf den Bergen zu machen, sobald nur alles klar ist!«

»Das meinte der Mann auch,« bemerkte der Brigant – »deshalb eben sollte ich den Capitano warnen.«

»Und er muß jetzt gerade verwundet – und unfähig, zu helfen sein!«

»Das ist er nicht, mon Capitain, wenigstens nicht mit seinem Rat,« tönte eine helle Stimme hinter ihm. »Signor Tonelletto läßt Sie bitten, zu ihm zu kommen.«

»Ah la Capitana – unsere schöne Heldin und Primadonna im Intrigenstück,« sagte galant der Franzose, als er sich umwendend die Irländerin erkannte. »Und bereits wieder in vollem Kostüm! Darf ich fragen, wie Sie nach der Affäre von dieser Nacht geschlafen?« Er küßte ihre kleine Hand, die sie ihm freundlich reichte.

»Mir summte die ganze Nacht der Kopf, obschon es doch nicht das erstemal war, daß ich die Kugeln so nahe pfeifen hörte,« sagte sie lächelnd, »und es war mir fortwährend, als hörte ich noch das Geschrei der Angreifenden! Aber es wird Zeit, daß wir ein Feuer anmachen, um etwas Warmes für unsere armen Burschen zu kochen; denn der Morgen war kalt und ihre Wunden konnten in der Dunkelheit nur schlecht verbunden werden.«

»Und dennoch, Mademoiselle, werden wir weder zu dem einen noch zu dem andern Zeit haben,« meinte der Franzose. »Ich fürchte, wir werden sofort aufbrechen müssen, wenn wir nicht von überlegener Macht angegriffen werden wollen. Sehen Sie zu, was Sie für die armen Bursche tun können, indes ich mit Tonelletto spreche!«

Er gab noch einige Befehle und ging dann in den Turm.

Es war in der Tat die Schwester des tollen Irländers, die » Capitana Maria«, wie sie der Brigant in Civita nuova ausgerufen, welche noch immer bei der verwegenen Schar verweilte, und die jetzt eifrig bemüht war, mit zarter Hand den rauhen blutigen Männern die Wunden zu verbinden, wobei ein alter Bandit, der einige Erfahrung darin hatte, ihr zur Hand ging.

Wenn man sie so sah, war es leicht begreiflich, daß jeder einzelne der wilden Bande mit fanatischer Verehrung an ihr hing. Das Kostüm, das sie trug, war mit einer gewissen Koketterie und ziemlich phantastisch gewählt, paßte aber ganz zu der abenteuerlichen Stellung, die sie einnahm. Ein blauer faltenreicher Rock fiel bis über die Hälfte der wohlgeformten Wade. Hohe rote Gamaschen umschlossen das Bein vom derben Gebirgsschuh aufwärts, und eine weiße Schärpe, die bourbonische Farbe, schlang sich in leichtem Knoten um die volle Hüfte, während die schöne Büste des jungen Mädchens durch die schwarze spanische Jacke mit den zahllosen Silberknöpfen vorteilhaft gehoben wurde. Einer jener kurzen Mäntel von weißem Ziegenhaar hing, von einer Schnur gehalten, über ihrer Schulter; die dicken in Schlingen aufgenommenen blonden Zöpfe deckte ein spitzer grauer Filzhut mit roter Feder. Als Waffen trug die junge Capitano in dem roten Seidengürtel einen zierlichen Revolver und ein Mailänder Stilett mit Griff von Ebenholz und Silberbeschlag. Den leichten kurzen Karabiner, den sie führte, hatte sie eben bei ihrer Samariter-Beschäftigung an einen Stein gelehnt.

Man hätte glauben können, die zierliche Figur einer ersten Ballerina der großen Oper von Paris oder Berlin zu sehen, wenn man die junge Irländerin im Kreise dieser wilden abenteuerlichen Gestalten erblickte, und dennoch war es keine Roman-, keine Ballettfigur, sondern ein von aufopferndem Heroismus beseeltes weibliches Wesen, das seit Wochen willig die mühseligsten Anstrengungen ertragen und durch ihren ewig heitern Mut, die Frische und Zierlichkeit ihres doch wieder echt jungfräulichen Wesens selbst die rohesten Männer bezaubert und zu energischen Anstrengungen und Taten ermuntert hatte.

Während die Capitana mit herzlichen Tröstungen die Verwundeten verbinden half und mehrere der Briganten mit Anfertigung von zwei oder drei improvisierten Tragbahren beschäftigt blieben, war der französische Kapitän in das Innere des halb verfallenen Turms getreten und hatte sich einem Lager von Zweigen und Moos genähert, auf dem der Banditenhäuptling lag.

» Buon giorno, Capitano,« sagte der Franzose, dem Verwundeten die Hand reichend. »Es ist ein Unglück, daß die Kugel des schuftigen Piemontesen Euch treffen mußte, aber da die Knochen unverletzt sind, hoffe ich Euch bald wieder an unserer Spitze zu sehen. Jedenfalls ist das Unglück leichter zu ertragen, als ein hanfenes Halsband oder sechs Kugeln, was sicher Euer Schicksal gewesen wäre, wenn man Euch nach Sora gebracht hätte.«

Der Bandit drückte kräftig die Hand des Offiziers. »Das weiß ich, Kapitän, und deshalb nochmals meinen besten Dank. Bei der heiligen Jungfrau, ich will Ihnen und allen, die mitgeholfen, diesen Dienst nie vergessen. Aber ich hörte, daß Botschaft von unseren Posten gekommen ist?«

Kapitän Chevigné teilte ihm den Bericht des Mannes mit.

» Cospetto, Signor, dann müssen wir aufbrechen so rasch wie möglich. Diese Stellung ist nicht eine halbe Stunde haltbar gegen einen ernstlichen Angriff.«

»Aber wohin soll unser Rückzug gehen?«

Der Verwundete sann einen Augenblick nach, dann richtete er fest seinen Blick auf den Franzosen.

»Haben Sie je von dem Kloster der Verdammten gehört, Signor Capitano?«

Der Franzose sah ihn befremdet an. »Nicht, daß ich wüßte! Das Kloster der Verdammten? Wahrhaftig, ein seltsamer Name.«

»Seltsam oder nicht – und ich sage Ihnen, Kapitän, daß schon der bloße Name genügt, um die Farbe manches wackeren Mannes erbleichen zu lassen, – wir müssen dahin, – aus zwei Gründen!«

»Und die sind?«

»Der erste wird Ihnen als Soldat genügen: weil es eine uneinnehmbare, vollständig sichere Position ist, wo schwerlich die Spürhunde der Piemontesen uns finden werden; der andere – –«

»Nun – und der andere?«

»Weil ich dahin muß – oder vielmehr Sie bitten muß, mir eine wichtige Botschaft abzunehmen!«

»Ich verstehe das alles nicht recht, Capitano, und muß Sie ersuchen, mir einige nähere Mitteilungen zu machen!«

»Das soll geschehen, Signor. Haben Sie die Güte, den Mann dort am Eingang hinauszuschicken, und nachzusehen, ob wir hier auch ganz allein sind. Denn was ich Ihnen vertrauen will, darf kein anderes menschliches Ohr hören!«

Kapitän Chevigné schickte den Posten am Eingang des Turms hinaus mit dem Auftrag, niemand eintreten zu lassen, weil er in wichtiger Beratung mit dem Capitano begriffen sei. Dann sah er sich überall um in dem wüsten, leeren Raum, und kehrte zu dem Lager des Verwundeten zurück.

»Ihr könnt ungescheut sprechen, Capitano – wir sind unbelauscht!«

»Dann Signor, geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß nie und unter keiner Bedingung über Ihre Lippen kommen wird, was ich Ihnen jetzt notgedrungen, da ich nicht selbst die Pflicht üben kann, zu sagen habe. Ich weiß, daß die Franzosen das Ehrenwort höher achten, als einen Schwur!«

»Mein Ehrenwort dann, wie Ihr es verlangt!«

» Bene! Sie waren in Rom?«

»Ehe ich zur Armee ging – etwa vierzehn Tage lang.«

»Und Sie glauben die Einrichtung der päpstlichen Regierung zu kennen?«

»Wie jedermann. Sie ist herzlich schlecht, aber was ist gegen das Pfaffentum zu machen? Das Kardinals-Kollegium entscheidet leider die Dinge, ob es etwas von der Sache versteht oder nicht! General Lamoricière hat leider Proben genug davon erlebt.«

»Das Kollegium der Kardinäle! – Hm! – Haben Sie nie von dem Consiglio di Tri gehört?«

»Von dem Rat der Drei? Was meinen Sie damit?«

»Ich habe mir erzählen lassen, daß in alter Zeit in der Republik Venedig außer dem großen Rat der Nobili ein Rat der Zehn zur Besorgung der Senatsgeschäfte bestand!«

»So ist es!«

»Und daß über diesem Rat wieder ein geheimer Ausschuß von drei Männern stand, die in letzter Instanz den Staat regierten, und deren Beschlüssen selbst der Doge sich fügen mußte?«

»Das war allerdings die geheime Verfassung der einst so mächtigen Republik.«

»Nun wohl! Was sich in Venetia bewährte, warum sollte es nicht auch noch anderswo existieren?«

»Ihr wollt damit sagen …«

»Ich will damit sagen, daß Rom ebensogut seinen Rat der Drei hat, wie ihn Venedig hatte!«

»Aber das ist eine merkwürdige Behauptung, Capitano, die Ihr da aufstellt. Wie wollt Ihr das wissen? Der heilige Vater ist doch der entscheidende Souverän des Kirchenstaates?«

»Des Kirchenstaates – das mag sein! Aber nicht der Christenheit! Es ist das letzte Gericht über alle Personen, Männer und Frauen, die der Kirche angehören.«

»Und womit wollt Ihr die Existenz dieses geheimnisvollen Rats beweisen?«

»Weil ich vor ihm gestanden und einen Befehl erhalten habe!«

»Aber aus welchen Personen besteht diese geheime Instanz im Staat? Wißt Ihr das, und ist es Euch gestattet, darüber zu sprechen?«

»Warum nicht, Signor Capitano? Was ich weiß, weiß ich nicht von jenen. Und Sie haben Ihr Ehrenwort gegeben, ich nehme also keinen Anstand, Ihnen zu vertrauen.«

»Bitte – sprecht!«

»Das Consiglio di Tri besteht, wie es heißt, seit dem Regiment der Borgia, und wurde damals zum besten der Christenheit in einem geheimen Rat der frömmsten Kirchenfürsten festgesetzt.«

»Und wer sind die drei?«

»Es besteht, wie man im Geheimen flüstert, denn wenige wissen darum und niemand wagt öffentlich davon zu sprechen, aus dem jedesmaligen Kardinalstaatssekretär –«

»Also gegenwärtig eurem leiblichen Vetter?«

»Aus dem Kardinal Antonelli, meinem leiblichen Vetter, aus dem General des Jesuitenordens und …«

»Und der dritte?«

»Aus einem Geistlichen von niederem Rang, den niemand kennt, selbst der heilige Vater und seine Kollegen nicht.«

»Das ist seltsam!«

»Mag es sein, aber es ist so!«

»Und vor diesem Tribunal oder Konzilium habt Ihr gestanden?«

»Vor zwei Tagen, als ich aus Gaëta zurückkam!«

»Ist es erlaubt, danach zu fragen, was diese geheimnisvolle Regierung, deren Macht, wie Ihr mir sagt, größer ist, als die des heiligen Vaters selber, was also dieser päpstliche Rat der drei von euch gewollt hat?«

»Das eben ist es, Signor, was ich mit Ihnen besprechen möchte. Diese Wunde am Bein verhindert mich, den erteilten Auftrag sofort selbst ausführen. Ich mag keinem meiner Leute das Vertrauen schenken, sie sind zu abergläubisch und unbedacht, und deshalb wende ich mich an Sie!«

»Aber der Auftrag? und wie soll dieser in Verbindung stehen mit dem Kloster, dessen unheimlichen Namen Ihr vorhin genannt habt?«

»Es ist dennoch so. Zunächst Signor, muß ich Ihnen von jenem Kloster sprechen.«

»Ich höre!«

»Es gibt deren zwei – eines, wie ich mir habe sagen lassen, für die Frauen, ein anderes für die Männer. Sie gehören dem strengsten Orden an!«

»Den Trappisten?«

»Ich weiß es nicht, Signore. Alles was ich Ihnen sagen kann, ist, daß schwere Bußen dort geübt werden müssen, denn« er senkte noch mehr die Stimme und sprach mit einem gewissen Schauder – »ich selbst hörte, als ich in der Nähe jenes Klosters lauschte, als käme es aus den Tiefen der Erde, ein Wimmern und Stöhnen, das mir das Mark in den Knochen gefrieren machte und mich eilig von dannen trieb. Jeder meiner Leute wird lieber in die Büchsenmündungen der Bersaglieri sehen, als sich in die Nähe jenes verrufenen Ortes wagen.«

»Es wird viel Aberglauben und Übertreibung dabei sein. Wie Ihr vorhin sagtet, soll dennoch unser Marsch dahin gehen.«

»Wir werden am Fuße der Felsen, eine halbe Stunde von dem Ort entfernt, einen so sicheren Lagerplatz finden, wie wir ihn nur wünschen können.«

»Und ich soll eine Botschaft in das Kloster bringen?«

»Nicht in das Kloster selbst, Signore, aber dem Klausner, der auf dem Felsen wohnt. Er ist der Beichtiger des Klosters und hat große Macht, selbst über die Mutter Äbtissin. Er steht im Ruf eines Heiligen.«

»Also ist es das Kloster der Nonnen?«

»Ja, Signore!«

»Nun, wenn sie jung und hübsch sind, soll mir der Auftrag willkommen sein!«

»Sprechen Sie nicht so frevelnd, Kapitän. Wir im Römischen haben wahrlich gelernt, keine Kopfhänger zu sein und verachten die Pfaffenwirtschaft gründlich, und dennoch …«

»Dennoch?«

»Dennoch Signore, gibt es eine Macht der Kirche, die über dem sündigen Treiben steht und gleich der Hand Gottes richtet und straft. Die Sünden der Menschen selbst dienen ihren ewigen Zwecken!«

»Das ist eine furchtbare Lehre, und wenn ich nicht wüßte, daß Ihr der muntere, wackere Capitano Tonelletto wäret, würde ich glauben, ich spräche mit einem Jünger des heiligen Loyola. Aber da ich einmal Soldat des heiligen Stuhls bin, werde ich mich nicht weigern, euren Auftrag auszuführen – versteht sich auf meine Weise, denn mich schrecken die Geheimnisse eines Klosters nicht. Aber wir werden noch Zeit haben, davon zu sprechen! Was denkt Ihr, daß wir mit den Gefangenen machen?«

»Sie müssen uns begleiten. Wie ich höre, sind einige der unseren in die Hände der Piemontesen gefallen?«

»Leider! Vier von Euren Leuten fehlen – man hat sie verwundet oder gefangen in den Händen des Feindes lassen müssen. Überdies hat mein wackerer Sergeant Villemain, der so trefflich den steifen englischen Bedienten bei Eurer Rettung spielte, das gleiche Schicksal gehabt. Ich hoffe jedoch, sie sind am Leben und sicher, und wir werden sie auslösen können gegen die Gefangenen in unseren Händen!«

»Ich fürchte, Sie täuschen sich, Kapitän – und sollten diese Piemontesen bereits besser kennen gelernt haben. In diesem Guerillakrieg wird auf beiden Seiten wenig Pardon gegeben werden, und es soll mich wundern, wenn die armen Burschen nicht bereits ein Lot Blei im Gehirn oder einen Strick um den Hals hätten!«

» Diantre – das wäre entsetzlich! Aber bei meiner Ehre – sie sollten es büßen!«

»Wir haben die Erwiderung in der Hand,« sagte der Bandit mit finsterem Lächeln. »Aber hören Sie Kapitän, was ist das für ein Geschrei?«

In der Tat ließ sich draußen auf dem Platz das Klagegeschrei einer weiblichen Stimme hören.

»Ich werde zusehen, Kapitano und zugleich die nötigen Befehle wegen des Aufbruchs geben. Ich habe eine Tragbahre fertigen lassen, um Euch bequemer fortzubringen!«

»Tausend Dank, Signor, für Ihre Sorge.«

Der Kapitän trat aus dem Turm und fand auf dem Vorplatz desselben alles in lebhafter Bewegung. Die Männer hatten sich zum Teil um ein junges Weib in der Tracht der Bergbewohner gesammelt, die weinend und händeringend mit der ganzen Leidenschaftlichkeit einer Neapolitanerin etwas erzählte, während andere, die Hand am Dolch oder mit dem Schloß ihrer Büchsen spielend, Blicke voll Haß und Drohung nach der Seite hinwarfen, wo in einem Kellergewölbe des Turms die piemontesischen Gefangenen von zwei Soldaten bewacht wurden.

Die junge Irländerin kam bleich und aufs höchste erregt dem Franzosen entgegen.

»Um der Heiligen Jungfrau willen, Kapitän, helfen Sie – retten Sie! Es wäre entsetzlich, wenn man sie mit kaltem Blute ermordete!«

»Was ist geschehen, Signor? was bedeutet dies Geschrei?«

» Vendetta! vendetta! Tod den verfluchten Ketzern! Rache für unsere Brüder!«

Der Kreis um die fremde Frau öffnete sich plötzlich, die Büchsen, die Messer schwingend, stürzte der größere Teil der Schar nach der Seite des improvisierten Gefängnisses.

Die Miß streckte flehend die Hände nach dem Kapitän. »Barmherziger Gott – sie ermorden sie!«

»Halt! – Zurück sag ich!«

Kapitän Chevigné war vor die beiden Schildwachen gesprungen. »Den ersten, der den Posten anzurühren wagt, schießt über den Haufen! – Was bedeutet das? was wollt Ihr?«

»Die Ketzer! die Piemontesen!« heulte es aus der Menge.

»Ihr werdet sie zeitig genug hier haben, wenn Ihr nicht Vernunft annehmt. Gebt Antwort, denn die Augenblicke sind kostbar. Was bedeutet das Lärmen?«

Die Frau oder das Mädchen brach sich Bahn durch den Haufen – sie warf sich auf die Knie – ihre Augen flammten, das lange Haar flog wirr im Winde.

»Gebt sie heraus,« schrie sie, »ich will Rache für ihn, den sie gemordet haben, die Unmenschen!«

»Von wem sprichst du, Mädchen?«

»Von wem anders als von Tommaso, meinem Bräutigam!«

»Tommaso? – unter den Leuten des Kapitano Tonelletto ist ein Tommaso – aber ich sehe ihn nicht!«

»Er war unter denen, die diese Nacht von den Piemontesen gefangen wurden!« meinte finster ein alter Brigant.

Der Kapitän begann zu begreifen. »Und Tommaso ist getötet worden?«

Das Mädchen sprang empor, faßte seine Hand und riß ihn an den Rand der Felsen. »Sehen Sie dort unten, Exzellenza?«

»Was meinst du?«

»Sie sehen die Häuser von Balzorano. Können Sie die Osterie sehen, an der Sie gestern abend den Kapitano befreiten?«

Die Strahlen der höher gestiegenen Sonne hatten jetzt vollständig die Morgennebel bewältigt, der scharfe Wind, der das breite Tal heraufstrich, sie vertrieben. Man konnte in der Tiefe deutlich die ersten Häuser des Fleckens sehen.

Der französische Offizier wandte die Blicke nach der Stelle, wo der kleinen Kapelle gegenüber das Wirtshaus stehen mußte. Er hob die Hand über die Augen – nichts – ein leichter Rauch kräuselte sich von der Stelle empor.

»Hölle und Teufel! was ist das?«

»Trümmer, Signore, rauchende Trümmer – das ist alles, was von der Stätte übrig geblieben ist, wo gestern noch glückliche Menschen wohnten!«

»Die Mordbrenner! wer hat das getan?«

»Wer anders, als die verfluchten Ketzer, die den heiligen Vater von dem Thron San Pietros stürzen wollen. Sie haben das Haus meiner Schwester geplündert diesen Morgen und es angezündet, weil sie behaupten, wir hätten den Briganten geholfen, ihre Leute zu überfallen. Aber Schlimmeres – Entsetzlicheres – sehen Sie dort, Signor – die Kapelle der Madonna?«

Kapitän Chevigné hatte seinen Feldstecher aus der Tasche gezogen und ihn auf jenen Ort gerichtet. Trotz der bedeutenden Entfernung konnte er deutlich die rauchenden Schutthaufen der Osterie erkennen, um die sich Menschen bewegten.

»Die Kapelle steht noch – sie haben wenigstens Scheu vor dem Heiligtum gehabt.«

Das Mädchen, die Schwester der armen Ostessa, lachte grell auf. »Das Heiligtum, Signore! an den Eisenstäben seiner Fenster hängen zwei Leichname – heilige Madonna, hattest du keine rächenden Blitze, daß du den Frevel duldetest? Es ist Tommaso, mein Geliebter, Tommaso, mein alles, den sie gemordet!«

Sie sank in Verzweiflung nieder und raufte ihr Haar, während glühende Tränenströme über ihre braunen Wangen rannen.

Die Männer standen schweigend auf ihre Büchsen gestutzt, ihre finsteren Blicke, die sie selbst auf den tapferen Bundesgenossen warfen, kündeten nichts Gutes.

Kapitän Chevigné war tief erschüttert; die Irländerin an seiner Seite schluchzte laut.

»So haben Sie es wirklich gewagt, sich an dem Leben der Gefangenen zu vergreifen?« fragte der Offizier endlich. »Wer kann mir nähere Auskunft geben, denn diese Ärmste ist außerstande dazu.«

Agnola schob mit einer raschen Bewegung der Hand die dunklen Flechten aus ihrem Gesicht, das plötzlich eine gewaltsam erkämpfte Ruhe, drohender, gefährlicher als vorhin der wahnsinnige Ausbruch ihres Schmerzes annahm.

»Ich bin gekommen, um zu sprechen mit Ihnen, Signor, und mit Tonelletto. Fragen Sie, ich werde antworten!«

»Gut denn, armes Kind, ich traue dir die Kraft zu. Wann sind die Piemontesen in Balzorano eingerückt?«

»Um 5 Uhr diesen Morgen. Die Flüchtigen haben Lärm in Sora gemacht, es war ein General dort, der sofort ein Bataillon absandte.«

»Wer kommandiert den Trupp – hast du dies zufällig gehört?«

»Ein hoher Offizier, der Generalmajor Pinelli!«

»Pfui Teufel – der Henker von Ascoli! Und was geschah?«

»Der Ort wurde besetzt – niemand durfte bei Todesstrafe das Haus verlassen. Darauf forderten sie meine Schwester vor, da Guiseppe, ihr Mann, noch immer abwesend ist, und gaben ihr Schuld, bei dem Überfall ihrer Truppen durch Verrat geholfen zu haben. All unser Bitten und Leugnen half nichts. Man jagte uns mit den Kindern aus dem Hause und zündete es an allen Ecken an – zur Warnung für jeden, wie sie sagten, der es mit der Brigantaggia halten werde!«

»Die Mordbrenner – sich an Weibern und toten Dingen zu rächen! Weiter, Donzella!«

»Dann, Signor,« ihr Gesicht färbte sich noch tiefer unter der krampfhaften Anstrengung, die sie machte, ruhig zu bleiben, »dann brachte man die Gefangenen, die sie bei dem Gefecht der Nacht gemacht hatten. Es waren ihrer vier – der fünfte war unterwegs verschieden, der vierte so schwer verwundet, daß sie ihn auf den Gewehren herbei trugen.«

Es herrschte eine tiefe Stille im Kreis bei der Erzählung des unglücklichen Mädchens.

»Dann sah ich,« fuhr sie fort, »wie unter ihnen, gebunden, daß die Riemen in das Fleisch seiner Gelenke einschnitten, Tommaso, mein Geliebter, stand. Ich wollte zu ihm, aber man stieß mich zurück. Irgendeiner der Schurken bezeugte, ich hätte mit dem Capitano in der Kapelle gesprochen und ihm Nahrung gebracht. Das genügte, um gerade ihn zu verurteilen. Ich hörte, wie der Wüterich, der Tyrann, das Urteil sprach. Zwei von ihnen sollten zur Stelle hängen als Beispiel, und wenn der Offizier, den Ihr gefangen haben sollt, nicht sofort ausgeliefert wird, sollen – noch eh' die Sonne wieder aufgeht, die beiden andern sterben!«

»Villemain, mein braver Sergeant!«

»Was kümmert mich Villemain oder sonst ein Mann der Welt! Ich hörte die schrecklichen Worte, ich sah, wie sie ihn fortführten und ihm den Strick um den Hals legten. Vergeblich wand ich mich zu den Füßen des Ketzers, ich flehte ihn an bei den Leiden der heiligen Jungfrau, bei allem, was mir die Verzweiflung eingab! – Vergebens! – Diese Hände« – sie hob die noch mit Blut befleckten in die Höhe, – »diese Hände zerrissen seine Sporen, als ich des Generals Füße, um Gnade wimmernd, umklammerte. Als ich mich wieder aufrichten konnte, war das Entsetzliche geschehen!«

Sie verhüllte schluchzend das Gesicht.

Die Stirn des Kapitäns hatte sich finster zusammengezogen. Erst nach einer langen Pause tat er die Frage: »Wer war der Zweite, den sie ermordet?«

»Ich weiß seinen Namen nicht – er war verwundet – ein Mann aus dem Gebirge!«

»Und die beiden Letzten?«

»Der wilde Offizier schwor, daß der eine ihm den Weg zu Eurem Lager zeigen oder sterben solle, wie ein Hund. Den andern, einen Francese, wollten sie nach Sora bringen, um ihn dort zu richten! – Ha, Signore – man wagt nur, uns Italiener zu morden! Wo ist der Capitano? ich will zu ihm! Er wird ein Herz haben für mich, er wird Tommaso zu rächen wissen!«

» Vendetta! vendetta!« klang es in dem Haufen. »Blut für Blut!«

»Der Kapitän fühlte, daß er in Gefahr war, diesen wilden Charakteren gegenüber sein Ansehen zu verlieren, den Ruf der Unparteilichkeit, wenn er noch einen Augenblick zögerte.

»Tourbillon!«

»Hier, mein Kapitän!«

»Drei Mann von den unseren!« Der Befehl wurde französisch gegeben. »Holt die Gefangenen! Laßt keinen sie anrühren!«

Der ehemalige Voltigeur strich sich den roten Bart. » Sapristi! – ich wollte es Keinem raten!« Er machte Kehrt.

»Wo ist die Trage für den Capitano?«

»Hier!«

»Dann hinein zu ihm, hebt ihn sorgfältig auf und bringt ihn hierher. Führt das Tier der Signora herbei und macht alles fertig zum Aufbruch.«

»Und das Blut Tommasos?« schrie das Mädchen. »Soll es ungerächt bleiben? Seid Ihr Männer? seid Ihr Neapolitaner?«

Die Hand von mehr als einem lag am Griff des Dolches, am Kolben der Pistole.

»Still, Weib! – Hier kommt der Capitano Tonelletto.« – Zwei der Briganten trugen auf der Bahre von Zweigen und Stangen den Banditenhäuptling in den Kreis. Die Schwester der Wirtsfrau warf sich neben ihn nieder und schrie mit flammenden Worten nach Rache zu ihm – die Italiener unter der Schar drängten sich um ihn her und stießen wilde Drohungen aus.

In diesem Augenblick klang der militärische Schritt der sechs Franzosen – der vier, die der Offizier soeben beordert, und der beiden Wachen. Sie führten in ihrer Mitte die fünf Gefangenen herbei. Es waren die beiden Offiziere und drei Bersaglieri. Nur der Major war ohne Wunden, obschon der Zustand seiner Uniform bewies, daß er mit aller Kraft sich gewehrt, als man sich seiner bemeistert hatte.

Der Leutnant von Arnim hatte einen leichten Hieb über die Stirn, – um den rechten zerrissenen Ärmel der Uniform unterhalb der Schulter war sein blutiges Taschentuch geschlungen. Die drei Bersaglieri waren kräftige, kecke Burschen, der eine fast noch ein Kind.

Den Augenblick, daß aller Aufmerksamkeit den Gefangenen zugewendet war, benutzte die Irländerin, sich an den Kapitän zu wenden.

»Was haben Sie vor, Herr? Sie werden die Unschuldigen nicht ermorden lassen!«

Der Franzose zuckte die Achseln. »Es ist ein schlimmer Krieg, Mademoiselle, wo die Vergeltung ihr Recht fordert! Machen Sie sich gefaßt auf das Unvermeidliche!«

»Barmherziger Gott – und ich habe sie in den Tod gelockt!«

»Die Gefangenen, Kapitän!« meldete der Voltigeur. Es war alles still geworden in dem Kreise. Die kochenden Leidenschaften wurden mit Gewalt zurückgedrängt.

Diese Pause benutzte der piemontesische Offizier, zu sprechen.

»Sie sind der Anführer dieser Räuberbande, Herr?« sagte er finster.

»Ich bin der Kapitän Chevigné im Dienst der zersprengten römischen Armee, Signor, und kommandiere in diesem Augenblick in Ordre meines Generals dies Freikorps.«

»Wir wollen nicht streiten um den Ausdruck, Herr Kapitän,« sagte mit leichtem Hohn der Piemontese. »Genug – ich bin durch eine gut gespielte Komödie in ihre Hände gefallen, während meinen Kameraden hier dies wenigstens ehrenvoller im Gefecht geschehen ist. Ich bitte Sie, unser Lösegeld sobald wie möglich zu bestimmen, denn man hat uns hier als Kriegsgefangene schlecht genug behandelt!«

»Nicht schlimmer, Signor, als General Cialdini die Gefangenen von Castelfidardo. Ich wiederhole Ihnen, daß Sie in den Händen von Kriegern, nicht von Räubern sind, von einem Lösegeld also nicht die Rede sein kann.«

»Dann hoffe ich, daß Sie erlauben werden, unsere Auswechselung zu betreiben. Ich bin der Major Graf Sismondi vom Stabe des General Menabrea, dies ist Oberleutnant von Arnim. Es kann unmöglich Ihre Absicht sein, uns als Gefangene im Gebirge umher zu schleppen!«

»Das wird von General Pinelli abhängen, Signor, der jetzt diesen Herrn,« – er grüßte höflich nach dem jüngeren Offizier – »dort unten ersetzt. Zwei von Ihnen werden jedenfalls hier zurückbleiben.«

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Kapitän. Ich denke, ich spreche mit einem Franzosen und Offizier!«

»Ich habe Ihnen und der Welt noch nie Ursache gegeben, anders von mir zu denken,« sagte der Franzose stolz. »Klagen Sie nicht uns an, sondern Ihren eigenen Landsmann, wenn er uns zur Wiedervergeltung zwingt!«

»Wie meinen Sie das?«

»Vier unserer Kameraden sind in dem Gefecht dieser Nacht in die Hände der Ihren gefallen. Der Offizier, der zur Korrigierung der kleinen Niederlage, die wir Ihnen beizubringen das Vergnügen hatten, kommandiert ist, hat es für Kriegsrecht befunden, zwei der Gefangenen aufhängen zu lassen!«

Der Graf konnte eine Bewegung des Schreckens bei dieser furchtbaren Nachricht nicht bemeistern.

»Signor – Sie wollen doch nicht – –«

»Keine Besorgnis, Herr Major. Ich weiß, was ich Soldaten schuldig bin. Ich bewillige Ihnen die Kugel statt des Stricks!«

Ein Triumphgeschrei voll fanatischen Hasses begleitete die Worte. Agnola preßte wie dankend die gefalteten Hände über die Brust.

»Das ist gegen alles Völkerrecht – das ist Mord wehrlosen Gefangenen gegenüber!«

»Richten Sie darüber mit Generalmajor Pinelli dort unten, der uns das Beispiel gibt,« sagte der Franzose kalt. »Ich erinnere mich dabei nicht einmal meiner Landsleute, die auf den Wällen von Ancona von den Kugeln des Generals Cialdini massakriert wurden, nachdem sie längst schon die weiße Fahne aufgesteckt hatten!«

»Blut um Blut! Leben um Leben! Das ist das Gesetz des Gebirges!« sagte die tiefe Stimme Tonellettos. »Ich danke Ihnen, Kapitän, für die Entscheidung.«

»Donner und Doria,« rief der Preuße, der bis zu dem furchtbaren Ausspruch des Kapitäns nur Augen für die schöne Erscheinung der Irländerin gehabt hatte, dem höheren Offizier die Unterhandlung überlassend, »ich möchte schwören, daß dies unser Gefangener von gestern ist, gerade wie die sorella Diavolina hier unsere schöne Miß, um deren Befreiung willen ich in die Patsche fiel. Hol' der Henker die Sorge meiner gnädigsten Mutter, daß sie mich Englisch lernen ließ!«

Der um die gefährliche Lage, in der er sich befand, unbekümmerte Humor des Preußen gefiel dem Banditenchef.

»Sie hätten das diese Nacht bereits sehen können, Signor Uffiziale,« sagte er, »wenn der Hieb da über die Stirn und die Dunkelheit nicht Ihre Augen getrübt hätten. La capitana Maria hat ihren ergebenen Diener Tonelletto vor dem Schicksal bewahrt, das General Pinelli so unverständig unseren Kameraden bereitet hat!«

»Tonelletto – der berüchtigste Bandit des Gebirges?« rief der Major. »Eine saubere Gesellschaft für einen französischen Edelmann!«

Kapitän Chevigné wollte eine heftige Antwort geben, aber der Vetter des Kardinal-Staatssekretärs legte ihm mit einer Bewegung der Hand Stillschweigen auf. »Das ist meine Sache, Kapitän! He – wo ist mein Hut?«

Einer der Briganten reichte ihm den alten Filz, den er in der Kapelle getragen.

Der Bandit zog seinen Dolch, kehrte das Innere des Hutes nach außen und begann den Filz aufzuschneiden, der wie sich zeigte, von doppelter Lage war. Er zog daraus zwei Papiere, von denen er das eine, ein gefaltetes Blatt, mit einem bedeutsamen Blick auf den französischen Offizier in seinen Brustlatz schob, das andere offen dem Piemontesen hinreichte.

»Sehen Sie selbst, Signor – ein Patent Seiner allerchristlichsten Majestät, des Königs beider Sizilien, Don Franzisco secundo, ausgestellt vor drei Tagen in Seiner Majestät Festung Gaëta für Luigi Antonelli, genannt Tonelletto, als Kapitän einer für den König und die Kirche fechtenden Freikompagnie!«

Der Piemontese zuckte verächtlich die Achseln, indem er sich bei dem Evviva il Ré! Evviva il capitano Tonelletto! der Briganten umher auf die Lippen biß. Der Oberleutnant aber war einen Schritt näher zu dem Verwundeten getreten. »Teufel,« sagte er, »welche Unvorsichtigkeit von mir, Sie nicht besser untersuchen zu lassen. Was für einen schönen Fang hätte ich da gemacht und die Kapitäns-Epauletten wären mir sicher gewesen!« Er warf einen anklagenden Blick auf die schöne Irländerin.

»Sie hätten mehr gefunden, als Sie ahnen können! Aber trösten Sie sich, Signor Uffiziale, es sind schon schärfere Augen und bessere Nasen wie die Ihren an einem alten Gebirgsfuchs, wie ich, zu schanden geworden. Im ganzen tut es mir leid um Sie, denn Sie sind nicht grausam mit mir verfahren, als Sie das Kommando hatten, und taten im Grunde nur Ihre Pflicht. Hätte General Pinelli nicht so voreilig gehandelt, so sollten Sie gesehen haben, daß wir nicht die blutgierigen Wölfe sind, die Ihr Piemontesen aus uns machen möchtet. Aber ich kann's nicht ändern, – der Donzella hier muß ihr Recht werden!«

»Rache für Tommaso! Leben um Leben!«

»Sie hören es selbst! Das Mädchen hier brachte mir den Schlüssel und den Dolch in der Milch, die es mir möglich machten, bei meiner Befreiung zu helfen. Ich darf also ihr gerechtes Verlangen nicht zurückweisen. Machen Sie sich bereit, wie Männer zu sterben.«

»Das muß ein Soldat in jedem Augenblick sein. Noch eine Frage, Capitano. Wie lange haben wir Frist, um einige kleine Bestimmungen zu treffen, und was ist aus meinen Leuten in Balzorano geworden?«

»Das ist die Frage eines wackern Offiziers,« sagte der Brigant, sich zu dem Franzosen kehrend. »Nun, wenn das Ihre letzten Augenblicke beruhigen kann, so darf ich Ihnen sagen, daß sie sich im ganzen geschlagen haben wie brave Burschen. Ihr Kamerad, der freilich anfangs bei dem wohlüberlegten Überfall des Kapitäns dort etwas den Kopf verlor und die Stellung in der Osterie preisgab, fiel von meiner Hand, und ich glaube, daß nicht viele unseren Dolchen und Büchsen entkommen sind; aber immerhin noch genug, um uns diesen blutdürstigen General mit seinem Regiment alsbald auf den Hals zu hetzen, und deshalb – so leid es mir tut, bei der heiligen Jungfrau von Loretto! – deshalb können wir Ihnen nur zehn Minuten Frist bewilligen, denn es ist die höchste Zeit, daß wir aufbrechen.«

»Ich protestiere gegen diesen Mord!« sagte heftig der piemontesische Offizier.

»Protestieren Sie, wo Sie wollen, Signor, aber machen Sie sich fertig zu sterben! Wo ist das Tier unserer Capitana? Sie braucht nicht Zeuge dessen zu sein, was hier geschieht, obschon sie gestern wie ein Mann den Kugeln gegenübergestanden hat!«

Die, von der er sprach, hatte unterdes den französischen Offizier beiseite gezogen. Sie beschwor ihn mit Tränen, mit den flehendsten Worten, welche die Aufregung ihr auf die Lippen legte, die grausame Tat zu verhindern. Sie schwor, daß sie ewig Gewissensbisse empfinden, keine Ruhe mehr haben würde, wenn die Männer, die sie durch ihre kleine Komödie in den Hinterhalt gelockt, sterben müßten. Vergebens suchte er sie zu beruhigen und ihr klar zu machen, daß in diesem Kampfe das Recht der Wiedervergeltung aufrecht erhalten werden müsse, und der Handlungsweise der sardinischen Truppen gegenüber, welche ohne alle Kriegserklärung, die garibaldinischen Freischaren voran, in den Kirchenstaat und Neapel eingefallen wären und das Volk auf das Gewaltsamste tyrannisierten, sich vollkommen verteidigen lasse, daß noch zwei der Ihren in den Händen des blutigen Pinelli wären; das erregte Mädchen beschwor ihn, wenigstens den Versuch zu machen, die Gefangenen zu retten.

Der dumpfe, entfernte Knall einer Büchse aus dem Tal herauf, dem alsbald der Schall einer starken Salve folgte, machte all den Verhandlungen ein Ende.

»Hören Sie, Kapitän! Die Piemontesen rücken an! Das war die Büchse unsers Wachtpostens, der auf sie schoß. Was geschehen soll, muß sofort geschehen!«

Der französische Offizier hatte sich losgemacht von der Irländerin und war an den Felsenrand geeilt, wo er mit seinem Glas das Tal oberservierte. »In der Tat, eine starke Kolonne hat Balzorano verlassen und zieht gegen das Gebirge – in einer Stunde können sie hier sein!«

»Ihre Plänkler noch eher. Bindet die Gefangenen, Leute! Sie gehören Euch – macht ein kurzes Ende mit ihnen!«

»Halt!« donnerte die Stimme des Kapitäns.

Der Brigantenführer hob sich auf seinen Arm empor. »Wie, Signor, was soll das heißen? Sind wir einig oder nicht?« Die dunklen Brauen zogen sich finster zusammen.

»Wenn sie denn sterben müssen zur Sühne für die unseren, sollen sie wenigstens nicht ermordet werden, sondern dem Recht und Gesetz zum Opfer fallen, das wir alle uns gelobt haben, als wir die Freischar bildeten. Macht einen Kreis, Leute!«

Die früheren Soldaten von Castelfidardo waren die ersten, die gehorchten. Die anderen folgten unwillkürlich dem Beispiel – der Kreis der Männer schloß sich um die beiden Offiziere, die beiden Frauen und die fünf Gefangenen.

»Jetzt, Leute, soll jeder frei seine Meinung kundgeben. Was geschehen, wißt Ihr. Diese Männer sind im Gefecht in unsere Hände gefallen. Zwei der unseren in gleicher Lage haben ihre Kameraden ohne Barmherzigkeit aufgehängt. Die Mehrzahl der Stimmen soll jetzt über ihr Schicksal entscheiden. Wer dafür stimmt, daß auch sie sterben müssen, der erhebe die Hand!«

Es war nicht einer im Kreise, dessen Hand zurückgeblieben wäre.

»Sie sehen, daß Sie einstimmig zum Tode verurteilt sind – ich selbst muß, so ungern es geschieht, dafür stimmen. Aber man soll nicht sagen, daß in Gegenwart des Kapitän Chevigné eine Ungerechtigkeit geübt worden, die zum Morde werden würde. Nach der Aussage dieses Mädchens sind zwei der Unseren von General Pinelli hingerichtet worden. Wir wollen nicht schlimmer handeln als er – zwei Opfer genügen! Die drei andern folgen uns als Gefangene auf dem Rückzug und bürgen mit ihrem Leben für das unserer beiden Kameraden, die noch in den Händen jenes Mannes sind, der zuerst die Gesetze der Menschlichkeit gebrochen. Sie fallen – wenn jene das Leben verlieren!«

Die anwesenden Franzosen riefen der Entscheidung des Kapitäns Beifall; von den Italienern, deren Fanatismus und Blutdurst erregt war, wollten zwar mehrere widersprechen, aber ihr eigener Führer winkte ihnen gebietend Schweigen.

»Die Entscheidung ist gerecht, Kapitän,« sagte der Brigant, »ich schließe mich ihr an. Sie sollen losen, wer für die Unseren büßt. Wer hat Würfel zur Hand?«

»Hier, Capitano!« Zehn Hände fuhren in die Taschen und brachten die »Knochen des Teufels«, wie sie in der Volkssprache heißen, zum Vorschein.

Der neue Freischaren-Capitano nahm eines der Spiele und hielt die drei Würfel dem piemontesischen Major hin. »Ihr Rang gibt Ihnen das Vorrecht, Signor! Unterdes, da wir keine Zeit zu verlieren haben, sind die Toten, die Ihr mitgenommen, in das Grab gelegt, das ich zu machen befahl? Nicolo – trage Sorge dafür!« Der Aufgerufene entfernte sich offenbar nur ungern mit zwei oder drei anderen aus dem Kreise, um die Leichen von dem Winkel am Gemäuer nach dem Gebüsch zu schaffen, wo man ihnen am Morgen in dem felsfreien Waldboden die letzte Stätte gegraben.

Tonelletto hielt noch immer dem Major die Würfel hin. »Nehmt, Signor,« sagte er ungeduldig. »Es ist nicht zu ändern!«

»Ich weigere mich dessen. Tut, was Ihr vor Gott und Menschen verantworten wollt – die Soldaten des Königs werden meinen Tod zu rächen wissen!«

»Nichts da – was dem einen recht, ist dem andern billig. Wenn Sie nicht selbst werfen wollen, so soll es dies Mädchen tun, das am meisten dabei beteiligt ist!«

Agnola stürzte sich auf die Würfel. Sie kniete auf den Boden und indem sie einen Blick voll triumphierenden Hasses auf den Offizier richtete, tat sie hastig den Wurf.

Die Würfel rollten auf dem flachen Gestein weit auseinander – dann gellte eine wilde Verwünschung aus dem Munde des Mädchens.

»Achtzehn!«

» Diavolo, Signor Maggiore! – Sie haben Glück. Wenn's nach der Dirne da gegangen, wären Sie sicher nicht durchgeschlüpft! Nun, Leutnant, die Reihe ist an Ihnen. Ich wünsche Ihnen dasselbe Glück.«

Der Preuße senkte das eine Knie auf den Boden und raffte die Würfel zusammen. In dieser Stellung wandte er sich an die Irländerin und bot ihr die Würfel. »Wollen Sie mir die Gunst erweisen, Mylady, daß Ihre Hand mein Schicksal bestimmt?«

Sie wandte sich schaudernd ab.

»Dann muß ich es freilich selbst wagen. Sie wissen, Graf, bei Borchardt, wenn wir um den Champagner spielten, oder im Jockeyklub, ehe der selige Hinkeldey uns sprengte, waren Würfel und Karten mir selten günstig!«

Er warf ohne hinzusehen.

»Nur Sieben!« murmelte der Brigant nicht ohne Teilnahme. »Armer Bursche – ich hätte es ihm lieber gegönnt, als dem andern!«

Leutnant von Arnim war zurückgetreten, – sein Gesicht war etwas blaß, aber kein Zeichen von Furcht oder Schwäche sonst an ihm bemerkbar. Er zog mit der unverletzten Hand eine Brieftafel aus der Tasche und näherte sich damit der Irländerin, die aus dem Kreise geflüchtet war.

»Mylady,« sagte er ernst aber freundlich, »um in unseren Rollen zu bleiben, erlaube ich mir, Sie mit diesem Titel anzusprechen! – Da Sie mir die soeben erbetene Gunst abgeschlagen, darf ich eine andere, die letzte, Bitte an Sie tun?«

»Wie, Sir – Sie hätten …«

»Ich habe so wenige Augen geworfen, daß keine Aussicht für mich ist. Die Verwundung meines Armes erschwert einigermaßen das Schreiben, und ich möchte gern meiner Mutter in der fernen Heimat noch einige Worte des Abschieds sagen. Wollen Sie mir erlauben, diese in diese Brieftafel zu schreiben und sie dann in Ihre Hände niederzulegen, damit Sie die Güte haben, durch kurze Beifügung der Umstände die Nachricht meines Schicksals zu vervollständigen und sie – sobald es die Gelegenheit erlaubt – an die preußische Gesandtschaft in Rom zur Weiterbeförderung zu senden?«

Die Tränen stürzten aus den Augen des jungen Mädchens. »Oh Sir, Sie müssen mir fluchen! ich bin schuld an Ihrem Tode!«

»Nicht doch, Miß Mary Maria – so heißen Sie ja wohl, wie die Königin, für die Sie kämpfen! Es ist das Los eines Soldaten, was mich trifft, und was ein ziemlich unnützes Leben endet. In diesem Augenblick freilich fühle ich, daß ich das Geschenk Gottes besser hätte nutzen sollen. Indes – solche Betrachtungen kommen zu spät und helfen nichts. Wollen Sie meine Bitte erfüllen?«

Sie schluchzte hinter den vorgehaltenen Händen. »Alles! Alles! o daß ich Ihr Leben mit dem meinen erkaufen könnte!«

»Dann erlauben Sie!«

Er legte die Brieftafel auf den Sattel ihres Reittiers, neben dem sie stand, und beschrieb eines der Blätter.

» Signor uffiziale! Signore Prussiano!«

Die Stimme dös Briganten-Hauptmanns klang freudig erregt.

»Soll es so rasch geschehen? nur noch wenige Augenblicke, dann bin ich bereit!«

Der Major kam hastig auf ihn zu. »Das Glück ist Ihnen günstig gewesen, Kamerad,« sagte er leise. »Einer der Bersaglieri hat fünf geworfen – der letzte sieben wie Sie! Sie dürfen noch einen Wurf tun. Gott gebe, daß er besser ausfällt.«

Der junge Offizier griff mit der Hand nach der Stirn. Das Blut stieg ihm heiß vom Herzen hinauf in die Adern der Schläfe und einen Moment lang flirrte es schwarz vor seinen Augen, und er mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um nicht zu wanken, als der Graf ihn fortzog.

»Kommen Sie – man wartet Ihrer!«

Jetzt hatte er sich gefaßt, jetzt war er wieder Herr seiner selbst, bereit, noch einmal das schreckliche Gefühl zu überwinden, das aus den Fingerspitzen erkältend bis in sein Herz gezuckt war, als er vorhin die Würfel ergriff.

» Coraggio, Signor!« rief der Brigant, »Sie haben noch eine Chance, und das ist viel, wenn man schon mit einem Fuße unter der Erde stand, wie Sie!«

Unwillkürlich hatte diese Wendung der schrecklichen Entscheidung selbst in den rohesten Mitgliedern der Bande ein gewisses Interesse für den kecken Kommandanten des Postens von Balzorano erweckt, dessen Tätigkeit und Umsicht ihnen doch so manchen Schlag versetzt hatte. Als der Oberleutnant in den Kreis trat, waren alle Augen mit Spannung auf ihn gerichtet.

Er warf einen flüchtigen Blick umher.

Der Bersaglieri, der einen hohen Wurf getan und sich so vorläufig vor dem Tode gerettet hatte, stand zur Seite und suchte seinen minder glücklichen Kameraden zu trösten.

Es war dies ein kräftiger, rothaariger Bursche, von etwa dreißig Jahren, mit dem Kreuz von Solferino dekoriert. Er hatte die Hände geballt, die Lippen fest aufeinander gebissen, um die verhaßten Feinde umher nicht die Gefühle seines Innern sehen zu lassen, und blickte starr vor sich hin.

Die Augen des Offiziers wandten sich mitleidig von ihm ab, sie fielen auf den Soldaten, der mit ihm um die furchtbare Entscheidung zu ringen hatte.

Er war noch ein halbes Kind und zählte höchstens achtzehn Jahre. Er lag auf Händen und Knien im Kreise und sein totenblasses Gesicht war mit dem Ausdruck entsetzlicher Angst erhoben und auf den Offizier gekehrt, der in den Kreis trat. Die Zähne klapperten ihm auf und nieder, als wolle er sprechen und doch vermochte kein Ton aus der von Todesfurcht zusammengeschnürten Kehle sich Bahn zu machen.

Der Offizier, wie sehr auch sein eigenes Leben auf dem Spiele stand, sah mit aufrichtiger Teilnahme auf das Bild der Todesangst.

»Fassung, Kamerad,« sagte er, sich zu ihm beugend und ihn auf die Schulter klopfend, »das Glück kann Ihnen noch immer wohl wollen!«

Die einzige Antwort war ein tiefes Stöhnen. Dann zuckte der junge Mensch plötzlich zusammen, als hätten ihn schon die Kugeln der Briganten getroffen. Unten aus dem Tal war wieder der Knall von Schüssen heraufgedröhnt – näher als die ersten.

Der Capitano Tonelletto hatte sich auf seiner Bahre aufgerichtet: »Vorwärts – es muß zu Ende gehen!«

Der Preuße hatte die Würfel genommen, er bot sie dem jungen Soldaten: »Wollen Sie zuerst werfen, Kamerad?«

»Nein – Nein – Signor! ich kann nicht – werfen Sie – oh! ich bin noch so jung!«

Der Ausdruck, mit dem er das flüsterte, war herzzerreißend.

Leutnant von Arnim wiegte einige Augenblicke die Würfel in der Hand, dann – ohne sich zu bücken, – ließ er sie auf den Boden fallen.

» Sieben

Wer die verhängnisvolle Zahl genannt – ob einer, ob alle – niemand wußte es! Es war eine atemlose Stille in dem Kreise – alle standen wie starr vor dem seltsamen Zufall. Wenn die Piemontesen in diesem Augenblick einen Angriff gemacht hätten, sie würden kaum Widerstand gefunden haben.

Der Brigantenchef murmelte einen Fluch. »Die Reihe an dir, Bursche! Hole der Teufel solch' Mißgeschick!« Er winkte einen der Männer in seine Nähe und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr.

Der junge Soldat hatte einen tiefen Atemzug getan, es fiel ihm wie eine Last von der Brust, ein roter Fleck trat auf seine bleichen Wangen, sein Auge leuchtete in selbstsüchtiger Freude auf und glitt wie triumphierend über die wilden Gesichter, von denen er fühlte, daß sie alle ihm dies Glück nicht gegönnt hatten.

Dann griff er hastig nach den Würfeln, schüttelte sie lange in den beiden hohlen Händen und ließ sie auf den Felsen rollen.

Die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu treten, wie er ihr Rollen verfolgte – plötzlich fiel er mit einem leisen Seufzer lang hin auf das Gesicht.

Er hatte einen Pasch geworfen – drei Einer – Drei! die verhängnisvolle Todeszahl.

»Heilige Jungfrau, ich danke dir für deine Gnade!« flüsterte eine Stimme.

Der Offizier wandte sich rasch um – sein Gesicht war dunkel gerötet.

Es war die Irländerin, die ihm gefolgt war und hinter ihm stand. Ihre schönen blauen Augen waren dankbar zum Himmel gerichtet, und doch war ihre Freude mit einem andern Leben erkauft. So egoistisch ist selbst das edelste Herz.

Die Worte der Capitana schienen die allgemeine Erstarrung gelöst zu haben. Aus dem dichten Menschenknäuel, in den jetzt der Kreis sich auflöste, hörte man durch die lauten Reden der Männer nur einen wilden Fluch. Es war der zum Tode verurteilte Bersaglieri, der vergebens sich mühte, den Strick zu zerreißen, mit dem man auf den Befehl Tonellettos sogleich nach der Entscheidung von rückwärts die Arme der beiden dem Tode Geweihten zusammengeschnürt hatte.

Kapitän Chevigné, der sich während der ganzen letzten Szene entfernt gehalten hatte, trat jetzt wieder hinzu. Er war zum Aufbruch gerüstet und hatte ein beschriebenes Blatt Papier in der Hand. Ohne einen Blick auf die Drei zu werfen, die wenigstens für einige Zeit das Leben gerettet, wandte er sich zu den Männern.

»Unsere Posten müssen sogleich hier sein. Habt Ihr die nötigen Befehle erteilt, Signor Tonelletto?«

»Ja, Kapitän!«

»So lasset uns aufbrechen. Korporal Tourbillon, Ihr sorgt für die Gefangenen. Sie stehen unter meinem Schutz. Aber beim geringsten Fluchtversuch schießt sie nieder!«

Er wandte sich zu der Irländerin. »Mademoiselle, wenn es Ihnen gefällig ist!«

Sie ließ sich, ohne ein Wort zu sagen, in den Sattel des Chefs heben, den sie auf den Hin- und Herzügen der Freischar durch das Gebirge zu reiten pflegte. Zwei der Briganten hatten die Bahre ergriffen, auf der ihr verwundeter Anführer lag; der Zug ordnete sich rasch. Hinter dem neuen Capitano des König Franz ritt die Irländerin. Zwischen den ehemals päpstlichen Soldaten, von dem Korporal Tourbillon sorgfältig überwacht, schritten die drei Gefangenen. Um ihnen und sich den Schmerz zu ersparen, hatten sie nur mit einem Wink von den beiden Verurteilten scheiden können.

Der Kapitän Chevigné blieb zurück. Sechs der Briganten waren auf einen Wink ihres Anführers bei ihm geblieben. Sie standen ihre Büchsen im Arm mit finsterm Blick um die beiden Gefangenen.

»Ihr kennt Eure Ordre,« sagte der Kapitän. »Sobald die beiden Posten von dem Wege angelangt sind, folgt Ihr uns mit ihnen, nachdem …«

Er ergänzte seine Rede durch einen Blick auf die Verurteilten.

Die Männer, rauhe, wilde Söhne des Gebirges, ohne Barmherzigkeit in den finstern Gesichtern, begnügten sich, durch ein stummes Nicken anzudeuten, daß sie den Befehl verstanden hatten.

»Keine unnütze Grausamkeit! – Drei Kugeln für jeden, dort an der Wand des Turmes. Dies Papier auf die Brust der Toten, damit sie es finden!«

Er reichte dem Ältesten das Papier. Auf dem Blatt stand mit Bleistift geschrieben:

 

»Wiedervergeltung für die Hinrichtung zweier Kämpfer des Königtums.«

»Wird den Gefangenen, die sich in den Händen des General Pinelli befinden, ein Haar gekrümmt, so sterben die drei – darunter zwei Offiziere der piemontesischen Armee – die noch in unserer Gewalt sind.«

»Wer das Kriegsrecht gegen uns nicht achtet, hat keinen Anspruch auf unsere Nachsicht. Leben um Leben!

La capitana Maria.«

 

Die junge Irländerin hatte gewiß damals in Civita nuova nicht geahnt, als sie sich zur Gefährtin der Brigantaggia machte, welche blutigen Taten ihr Name decken sollte!

Als der Kapitän das furchtbare Dokument dem Manne übergeben hatte, wandte er sich hastig, den traurigen Platz zu verlassen.

»Du hier?« sagte er erstaunt und mißbilligend, als er die Schwester der Ostessa an dem Eingang des Turms erblickte. »Das ist kein Anblick für Weiber – fort mit dir!«

»Ich mußte Tommaso sterben sehen,« erwiderte die Italienerin finster, »jetzt will ich sehen, daß er gerächt wird, und dann über die andern wachen, daß keiner der Vergeltung entgeht!«

Ohne ein Wort gegen ihren schrecklichen Entschluß zu verlieren, ohne sich umzusehen, schritt der französische Offizier hastig über den Platz und stieg den engen und steilen Pfad hinan, den die Schar eingeschlagen.

Nach etwa zehn Minuten hatte er sie eingeholt, trieb die Nachzügler zum raschen Marsch an und schritt dann, finster an den gefangenen Offizieren vorübergehend, an die Spitze des Zuges, wo er neben der Bahre des verwundeten Brigantenführers herging.

Niemand hatte gewagt, eine Frage an ihn zu richten. Die Irländerin saß blaß und bei dem geringsten ungewöhnlichen Geräusch erbebend in ihrem Sattel und wagte nicht, rückwärts zu schauen.

Der Weg, den die Brigantenschar nahm, stieg steil an dem Berge empor zwischen Gestrüpp und Gestein und war höchstens für Ziegen oder Holzsucher geeignet. Die Enge, zu dem sich häufig die Felswände zusammendrängten, gab wenigstens das volle Gefühl der Sicherheit, denn wenige entschlossene Männer mußten an diesen Stellen genügen, das ganze Regiment des blutigen Generals aufzuhalten. Die beiden piemontesischen Offiziere sahen dies leicht ein und gaben jede Hoffnung auf, sich durch den Anmarsch ihrer Kameraden befreit zu sehen.

Kapitän Chevigné war kaum so lange bei der Kolonne, wie er gebraucht, sie zu erreichen, als aus der Gegend, die sie verlassen, eine Salve von Büchsenschüssen erdröhnte, der gleich darauf eine zweite folgte.

Der Zug hielt unwillkürlich still – die rauhen Männer bekreuzten sich. – Jeder wußte nur zu gut, was der Ton zu bedeuten hatte.

Marie O'Donnel fühlte einen kalten Schauer ihr Inneres durchrieseln – sie mußte die Hand an die Lehne des Sattels legen, um nicht zu fallen, und hastig wandte sich – zum erstenmal – ihr Blick rückwärts und suchte die Gefangenen, gleich, als traue sie noch immer nicht, daß nicht sie es gewesen, denen jener schreckliche Schall gegolten. Erst nach einer Weile und auf den Zuruf des Kapitäns setzte sich der Zug wieder in Bewegung.

Als er noch eine Strecke weit die Höhe erklommen, wandte er sich über ein ödes Steinfeld zur Seite hinein in einen Fichtenwald und stieg, dem Lauf eines kleinen Gebirgswassers folgend, niederwärts. Hier war es, wo die zurückgebliebenen sechs Briganten den Zug ihrer Kameraden wieder einholten. Mit ihnen kamen zwei andere, die Posten auf dem Weg vom Tal zur Turmruine auf dem Bergplateau und das Mädchen, das sich ihnen angeschlossen. Als sie an den Gefangenen vorüberging, warf sie ihnen einen Blick voll dämonischer Freude und wildem Haß zu und schüttelte ein blutiges Tuch.

Selbst die rohen Männer wandten sich ab vor diesem Ausdruck unversöhnlichen Grolls.

Die beiden Schildwachen waren zu den Offizieren gegangen, um ihnen Rapport zu erstatten. Die Piemontesen waren in der Tat gegen den Monte Turchio im Anrücken gewesen, und sie hatten Schüsse mit deren Vorhut gewechselt, ehe sie sich zurückgezogen.

Von dem blutigen Akt, der das Drama oben am Turm beendet, sprach niemand ein Wort – niemand befragte sie darum.

Es war hoher Mittag, als die kleine Schar, nachdem sie auf der Ostseite des Monte Turchio unterhalb Gioja das Tal der Sangro passiert hatte, der sich durch die ganze wilde Bergkette der abruzzesischen Apenninen windet und bei Langlano in das adriatische Meer ergießt, auf den Abhängen des Monte Falcone halt machte, um sich zu dem weiteren Marsch zu stärken, von dessen Ziel bisher nur zwischen den beiden Capitanis die Rede war.

Obschon naturgemäß noch immer eine gewisse Spannung zwischen den drei Gefangenen und ihren Siegern obwaltete, die namentlich durch die schroffe Haltung des Conte aufrecht erhalten wurde, der es nicht vergessen konnte, so schlau überlistet worden zu sein, war seit der Gewißheit des Falls der beiden unglücklichen Opfer blutiger Wiedervergeltung doch förmlich eine Last von aller Seele genommen, und selbst die junge Irländerin schaute weniger traurig und bedrückt und schenkte der rauhen Schönheit der Wildnis, durch die sie zogen, ihre Aufmerksamkeit.

Der Preuße war zu dem Brigantenchef gerufen worden, der großes Gefallen an ihm zu finden schien, und mit dem Leichtsinn, der ihm mit manchen trefflichen und echt soldatischen Eigenschaften anhaftete, plauderte er, die gefährliche Situation vergessend, in der er sich noch immer befand, mit jenem und erzählte ihm von seiner entfernten Heimat und wie er dazu gekommen sei, in fremden Kriegsdienst zu treten.

Selbst der ernstere französische Offizier fand Gefallen an dem Wesen des früheren Gardeleutnants, dessen chevalereske Passionen mehr zu seiner eigenen Anschauung und Vergangenheit stimmten, als das, wenn auch offene und launige, doch rauhe und bei den ungezügelten Leidenschaften dieser Männer nicht berechnende Wesen des alten Banditenhäuptlings, der manche Erzählung aus seinem Leben zum besten gab. Da Leutnant von Arnim überdies am Nachmittag vorher von dem Grafen über den Stand der politischen Angelegenheiten und des Kampfes zwischen der Invasionsarmee und den treugebliebenen Truppen des König Franz unterrichtet worden, konnte er die Nachricht leicht vervollständigen, die der Brigant von seinem kecken Besuch der belagerten Festung mitgebracht hatte.


General Garibaldi war nach dem Sieg der Revolution in Sizilien am 19. August unter amerikanischer Flagge mit 5000 Mann in Melito in Calabrien gelandet, das Fort von Reggio hatte sich ohne Gegenwehr ergeben und am 23. hatten die beiden neapolitanischen Brigaden Melendez und Briganti feig die Waffen gestreckt.

Vergebens hatte der junge König, selbst von seinen Verwandten verlassen, ja verraten, durch Konzessionen an die liberale Partei die Revolution zu beschwören versucht. Sein Fall war eine im Kabinet Cavour längst beschlossene Sache und die europäischen Monarchen sahen ihr ruhig zu. Zu spät erkannte er wenigstens die eine Schlange am eigenen Herd und wies den Grafen von Aquila, seinen Oheim, der sich törichterweise für das Haupt der Verschwörung hielt, während er nur ihr Werkzeug war, aus Neapel – die schlimmere, gefährlichere nährte er an seinem Busen in der Person des Ministers des Innern, Liborio Nomano!

Die Revolution hat diesen Namen gefeiert als einen antiken Charakter, – sein eigenes Gewissen hat ihn längst verurteilt und ihn gleich einem Ahasver von dem Schauplatz seines Verrats gejagt in die Welt. Indem er bei der Bildung des Ministeriums das Portefeuille des Innern übernahm, heuchelte er dem jungen Monarchen gegenüber die Gesinnung eines Moderados und der Treue und Anhänglichkeit an den Thron der Bourbonen, während er im stillen ein fanatischer Republikaner, einer der innigst Verbündeten Garibaldis war und jene Stellung nur annahm, um diesen von allen Vorgängen zu unterrichten, ihm den Weg zu bahnen in das Herz des Landes, den arglosen jungen, ohnehin nicht sehr scharfsinnigen Monarchen zu falschen Schritten zu treiben und ihn schließlich zur Flucht zu drängen.

Der Aufstand am 28. Juni, in dem die zwölf Polizeikommissariate von Neapel gestürmt, die Akten verbrannt und mehrere Beamte ermordet wurden, war nicht ohne seinen Willen ausgebrochen, und er wußte sehr wohl, daß nach dieser Erregung der Leidenschaften des Volkes selbst die Verkündigung der mehr als liberalen Konstitution vom Februar 1848 nur Wasser auf einen heißen Stein sein konnte.

Die garibaldischen Freischaren zogen gegen Neapel heran – freilich nicht so gefährlich durch sich selbst, als durch den Verrat und die Feigheit derer, denen Ehre und Pflicht geboten hatten, sie zurückzutreiben. War doch der größte Teil der niedern Soldaten bereit, für ihren König zu fechten, und nur die Infamie, die Erbärmlichkeit der Offiziere vermied und hinderte den Kampf, löste bei dem Anrücken oft ganz unbedeutender Streitkräfte die Korps auf, übergab das Kriegsmaterial und zwang die Soldaten, um nicht zu verhungern, gleich Räuberbanden plündernd das Land zu durchziehen oder zu den Rothemden überzugehen.

Damals war es, wo jener furchtbare Akt der Vergeltung geübt würde, den die Turiner Zeitungen zu leugnen oder zu entstellen suchten: daß, als General Briganti, der schimpflich kapituliert hatte, in Mileto durch das Lager der entlassenen Truppen ritt, sie unter dem Wutgeschrei: » Traditore!« Verräter. ihn vom Pferde rissen, mit Füßen traten und ihn buchstäblich zerfleischten!

Doch der vereinzelte Racheakt war vergeblich – zu tief war das durch allerdings jahrelanges schlechtes Regiment, durch die Priester- und Geldherrschaft demoralisierte Volk bereits von dem spekulativen Verrat umgarnt, der die Leidenschaften der Masse entflammen, die Beamten, die Offiziere der Armee, der Flotte bestochen hatte.

Die Börse von Neapel – jüdische Bankiers – hatten 25 Millionen Franken, garantiert von dem sardinischen Ministerium und 8 Prozent Zinsen und 2 Prozent Prämie, zu diesen Zwecken vorgeschossen. Mit diesen Summen war die Flotte der Art bestochen, daß sie sich weigerte, den Hafen von Castellamare zu verlassen und der König genötigt war, um Truppen nach Kalabrien gegen die Landung der Freischaren zu senden, acht französische Handelsdampfer zum Transport zu mieten.

Wer hat, wenn ihn ein glückliches Geschick nicht selbst einmal in jenes irdische Paradies geführt, das man den Golf von Neapel nennt, nicht wenigstens von der entzündbaren, ewig gährenden Natur dieses Volkes gehört, wo die geringste Anregung die Leidenschaften erhitzt, wo Leichtsinn und Gedankenlosigkeit nach einem ewigen Wechsel der Eindrücke haschen, ein Volk mit der Leichtgläubigkeit und dem Gemüt eines Kindes, und der Gefährlichkeit eines Tigers. In dieses Volk, seit Jahrhunderten sich bewegend in Konspirationen und Revolutionen, gewöhnt an das öffentliche Geschrei, das Schafott, das Nichtstun und den Kerker, – ausgesogen durch bestechliche, tyrannische Beamte, geknechtet und erbittert durch übermütige Priesterherrschaft – entwöhnt alles Rechtsbewußtseins durch feile, schleppende Justiz – mußten die von den geheimen Komitees unter dem Schutz des verräterischen Polizeiministers zu Tausenden verbreiteten Proklamationen des kühnen Vorkämpfers der Revolution wie Brander in das dürre Holz fahren. Wen hätten denn unter solchen Umständen jene flammenden Worte der Proklamation vom 24. August nicht betören sollen:

»Der Mann, der über Euch regiert, heißt nicht Franz II., nein, sein Name ist Niedertracht; Haß hieß sein Vater, Verrat sein Großvater, Lüge sein Urgroßvater!

»Neapolitaner, es ist schon allzulang, daß Ihr auf Euren Gassen den deutschen Ruf: Wer da? hört und antwortet: Sklaven!

»Es wird Zeit, daß der Ruf ertönt: Chi va là? und Ihr antworten könnt: Bürger!

»An allen Enden Gewehrfeuer, an allen Enden der Ruf: Es lebe Italien!

»Ihr allein scheint taub und stumm zu sein.

»Reggio, Potenza, Bari, Faggia sind in vollem Aufstand, Ihr allein betrachtet den allgemeinen nationalen Brand mit ruhigem Auge.

»Neapolitaner! fürchtet zu spät zu kommen; fürchtet, daß, wenn Ihr endlich kommt, die Lombardei, Sizilien, die Basilicata mit Donnerstimme Euch zurufen:

»›Zurück, Bastarde Italiens, Ihr seid nicht mehr unsere Brüder, Ihr gehört nicht mehr der heiligen Familie an!‹«

»Neapolitaner, zu den Waffen!«

Und diesem gährenden Vulkan gegenüber ein junger, von seiner Stiefmutter in steter Abhängigkeit erhaltener, mit dem Leben fast unbekannter Mann von 24 Jahren, seit fünfzehn Monaten König, umgeben von dem eigennützigen Haß seiner nächsten Verwandten, von der Untreue seiner Diener, von den Ränken und der rachsüchtigen Spekulation der englischen und der französischen Diplomatie! – diesem gährenden Vulkan gegenüber eine junge, neunzehnjährige Königin, eine Fremde in diesem Lande, angefeindet und belauert von denen, die sie schützen sollten, mit warmem Herzen geschlagen in die kalten Ehebande der Politik, – verhaßt und verdächtig einem Volke, das sie beglücken möchte, und dem gegenüber ihr einziges Verbrechen war, daß ihre Wiege jenseits der Alpen gestanden hatte.

Vom Bord eines sardinischen Kriegsschiffs, das im Hafen von Neapel ankerte, schleuderte der abtrünnige General Nunziante an die königliche Armee seines Landes die Aufforderung, ihren Eid zu brechen; piemontesische Bersaglieri überfielen in den Straßen der Stadt die Garden des Königs, und als sie dabei verwundet wurden, erpreßte der sardinische Gesandte Villamarina dafür 20 000 Lire Entschädigung. Mazzinistische Komitees lauerten in den Straßen auf das Erscheinen des jungen Königpaars, um an ihnen mit Orsini-Bomben den der Revolution erlaubten Meuchelmord zu üben!

General Viale stand mit 12 000 Mann königlicher Truppen bei Monteleone, und als die Garibaldianer unter Cosenz in Novo anrückten, legte er sich zu Bett, meldete sich krank und sandte seine Entlassung. Am 30. August kapitulierte General Ghio und überlieferte den Freischärlern 10 000 Gewehre, 12 Geschütze und 600 Pferde.

Von der jungen Königin angefeuert, deren Kraft und Energie mit der Not und Gefahr zum Heroismus zu wachsen schien, beschloß der König, sich selbst an die Spitze seiner noch treu gebliebenen Truppen, der Garden und der deutschen und schweizer Regimenter, zu stellen, und vor Salerno zum Schutz der Hauptstadt eine entscheidende Schlacht zu liefern! Seine jüngeren Brüder, kaum dem Knabenalter entwachsen: der Graf von Trani, der Graf von Caserta, selbst der vierzehnjährige Prinz Gaêtan verlangten, sich an die Spitze der Regimenter zu stellen und sie gegen die Rebellen zu führen.

Damals war es, wo der Verräter Liborio Romano ewige Schande in den Augen jedes Biedermanns auf seinen Namen heftete, daß selbst die Sardinier sich verächtlich von ihm wandten und nur deutschen Zeitungen die Ehre überlassen blieb, seine Niederträchtigkeit zu feiern! wo er und seine Kreaturen im Ministerium unter den erbärmlichsten Schmeicheleien den unglücklichen König dazu drängten, Neapel, das Land zu verlassen; wo man ihm vorlog, die Garden, die fremden Soldtruppen wären im Aufruhr; wo man die Königin, die in die Kaserne der Garden eilen wollte, mit Gewalt daran hinderte und der Gesandte des stolzen prahlenden England sich nicht scheute, in all die Lüge und den Verrat einzustimmen, um dem Enkel des Fürsten, der einst als der einzige Bundesgenosse Albions dem großen Schlachtenkaiser Trotz bot, die Krone zu rauben – nur damit der Schwefel in Sizilien für die englischen Krämer billig und der Manchester-Export zollfrei werde!

Am Abend des 6. September verließ der verratene Monarch mit seiner Königin auf einem einfachen Dampfer die Stadt. Niemand kümmerte sich um ihn, niemand von alten denen, die ihm bei seiner Thronbesteigung entgegengejauchzt, trauerte um ihn. Nur wenige Getreue waren in seiner Begleitung – zwei spanische Fregatten gaben ihm das Geleit nach Gaêta, der Meeresfeste, wohin sich bei den Stürmen von Achtundvierzig auch Papst Pius zurückgezogen hatte.

Der Protest aber, den der sinkende Königsthron von Neapel an diesem 6. September ein die legitimen Throne von Europa in schlichten ergreifenden Worten erließ, sie mahnend an die Gefahr, die in ihm sie alle bedrohte, – er fand an dem Egoismus der Politik keinen Widerhall. Wohl mochte manche Hand am Schwert liegen, aber das eifersüchtige Mißtrauen hielt sie zurück, und ruhig sahen die Monarchen zum sechstenmal seit dreißig Jahren der Entthronung eines der Ihren »von Gottes Gnaden« durch die Hand der Revolution zu.

Kaum hatte der König die Hauptstadt verlassen, so telegraphierte sein treuer Polizei-Minister Liborio Romano an den »unbesiegbaren General«, daß Neapel mit Ungeduld den Erlöser Italiens erwarte, und am 7., mittags, zog Garibaldi allein in Neapel ein und empfahl mit etwas süßsaurer Miene, wenn das Volk doch einmal einen König haben müsse, das »Muster der Fürsten«: Victor Emanuel.

Seine erste Verordnung löste die dem König treu gebliebene Marine-Infanterie auf und übergab die Flotte dem Geschwader des Admiral Persano, das bereits im Golf auf die Beute lauerte. Der treue Liborio Romano wurde Premier-Minister des Diktators, der neue Kriegsminister Cosenza forderte die Cosenza der königlichen Armee zum Treubruch auf und verhieß ihnen Beförderung, wenn sie ihre Soldaten ins Lager der Revolution führten.

Aber bald empfand der »große Patriot Italiens«, daß auch er an der Leine eines Klügeren ging und Neapel nur den Namen seines Herrschers gewechselt haben sollte. Vergeblich knirschte er gegen die Schlinge, vergeblich hatte er schon im Juni die von Cavour zu seiner Überwachung nach Sizilien gesandten Emissaire La Farina und Torreorsa bei Nacht ergreifen und nach Turin zurückspedieren lassen; vergeblich setzte er jetzt die blutige Diktatur des Mazzinisten Mordini in Palermo ein, der schlaue Minister, der für den Verkauf von Nizza und Savoyen die Erlaubnis des damals noch allmächtigen Napoleoniden besaß, seinen Herrn zum »König von Italien« zu machen, hatte seine Agenten und sein Gold bereits über das ganze Land gesäet, und neben dem Namen Garibaldi brüllte das Volk, schrien die entlaufenen Mönche und Nonnen, das Heer der feilen Beamten überall ihr » Evviva Vittorio Emmanuelo!«

König Franz hatte sich nach Gaêta zurückgezogen, dorthin folgten ihm die Gesandten einiger Mächte; von Gaêta aus erließ er unterm 8. September eine Proklamation an den ihm treu gebliebenen Teil der Truppen, noch immer 60 000 Mann, und konzentrierte sie an der Volturno-Linie zum entscheidenden Kampf.

Bis dahin hatte Sardinien noch nicht offen sich zu den Eroberungen der Revolution bekannt, wenn auch ganz Europa wußte, daß es mit hundert jedem Völkerrecht, selbst der bürgerlichen Ehrenanschauung hohnsprechenden Mitteln sie unterstützt hatte.

Wie die Geschichte auch einst über Victor Emanuel und die Politik von Turin urteilen wird, soviel läßt sich nicht leugnen, daß der König ein tüchtiger Soldat und ein nach Ruhm dürstender Fürst war, der in einer tapfern Armee die Hauptkraft seines Landes und in der Vereinigung Italiens unter seinem Szepter auf dem Weg der Eroberung ein wohl entschuldbares, selbst zu rechtfertigendes, nationales Ideal sah, dem er nachstrebte. Soviel läßt sich nicht leugnen, daß Graf Cavour ein für die Größe seines Herrn, für die Größe seines Landes mit allen Kräften strebender Minister, ein Mann von hoher Klugheit war, der General eines politischen Jesuitenordens freilich, dem jedes Mittel zur Erreichung seines Zweckes genehm blieb.

Auf den königlichen Wappenschild von Savoyen fällt ein unverwischbarer Flecken, die Verschacherung seines treuen Geburtslandes: von dem Grafen Cavour hat niemand Ehre, Redlichkeit und Rechtsgefühl in der Verfolgung seiner Politik erwartet.

Die königliche Armee hatte die Volturno-Linie besetzt, der linke Flügel sich an Cajazzo und das Gebirge, der rechte sich ans Meer und die Sümpfe lehnend, die Mitte durch die Festung Capua gedeckt, jenes Capua, nach Sueton und Plinius die Stadt des Capys, eines Gefährten des Äneas, auf deren üppigen Fluren Hannibal nach der siegreichen Schlacht von Cannä mit seinen Karthagern in Üppigkeit und Weichlichkeit versank.

Der Gouverneur der Festung, General Pinedo, war, wie so viele andere, ein Verräter und hatte mit den Leitern der Revolution einen geheimen Vertrag geschlossen, nach dem General Garibaldi am 19. September mit einem Teil seiner Truppen einen Scheinangriff machen, daß aber die Besatzung keinen Widerstand leisten und selbst die Zugbrücken zum bequemen Einmarsch der Feinde herablassen sollte. Die Artillerie sollte drei Salven mit blinden Patronen tun.

Der schändliche Verrat war von den höheren Offizieren abgekartet worden. Nur wenige ausrangierte Geschütze standen in den Batterien, das ganze Glacis blieb mit Gebüsch und hohen Bäumen bewachsen.

Da taten sich heimlich die treu gebliebenen braven Unteroffiziere und Soldaten der Besatzung zusammen, sie fertigten ohne Wissen der Offiziere ein Schreiben an den königlichen Kriegsherrn, in dem sie mit schlichten ergreifenden Worten die Gefahr und den Stand der Dinge schilderten, und sandten einen der Ihren damit nach Gaëta.

Am Abend des 16. September traf plötzlich und den Verrätern unerwartet der König in der Festung ein. General Pinedo, der Verräter, wurde sofort arretiert und General Salzano zum Kommandanten der Festung ernannt. Die Tore wurden geschlossen, die strengste Wache auf den Wällen gehalten, niemand durfte die Festung verlassen, um damit die Spionage zu verhindern, dem Feinde Nachricht zu geben.

Wer der Zeitgeschichte seit 1848 gefolgt ist, wird vielfach unter den Agitatoren der Revolution den Namen Rüstow gefunden haben, leider den Namen eines sehr befähigten preußischen Offiziers!

Der damalige Leutnant Rüstow entwich unter Bruch seines Wortes von der Festung, und ist seitdem ein Partisan der Revolution mit Tat und Schrift gewesen. Ein wenig verständige Nachsicht damals, als die Wogen der Gemüter so hoch gingen, hätte vielleicht dem König und Staat einen sehr befähigten Mann erhalten. Das Blut eines Rüstow hat auf dem Schlachtfelde von Königgrätz die Untreue des anderen gesühnt.

Traurig ist es, sagen zu müssen, daß, während der republikanische Pöbel Italiens gegen die Deutschen wütete, ein Deutscher, ein Preuße es war, der eine Freischaren-Expedition zur Unterstützung der Rothemden organisierte und damit der Armee Lamoricières durch eine Landung an der adriatischen Küste in die Flanke fallen wollte. Die piemontesische Regierung, mißtrauisch gegen jedes deutsche Element, schickte ihn statt dessen nach Sizilien, Garibaldi machte den ehemaligen Leutnant als Oberst zum Generalstabschef und übertrug ihm die Überrumpelung von Capua.

Es liegt eine Darstellung des Obersten Rüstow vor, der aus diesem Versuch eine Heldentat der Rothemden und ein noch nie dagewesenes Wunder von militärischer Umsicht ihres Führers macht, während in Wahrheit die Sache eine klägliche Niederlage voller Beweise der größten Feigheit der republikanischen Soldaten und der gänzlichen militärischen Unfähigkeit ihres Führers war, – eine Tatsache, die sich bei den Theoretikern der Revolution schon sehr oft bekundet hat.

Im Vertrauen auf den durch den Verrat gesicherten Erfolg, ohne Ahnung von dem veränderten Stand in der Festung rückte Oberst Rüstow am 19. September morgens 6 Uhr mit den Brigaden Milano, Puppi und la Masa von Santa Maria, dem alten Capua, auf der Straße nach Capua vor. Seine Flanken deckten zwei Kolonnen unter Ebers und Spangero. Die Rothemden waren zwischen 5- bis 6000 Mann stark.

Die Königlichen – 6 Bataillone, 4 Schwadronen und 1 Feldbatterie zählend, – hatten ihre Vorposten bis zur Taverne Virilasci vorgeschoben und zogen sich nach kurzem Gefecht über die Esplanade in die Tore von Capua zurück.

Die Rothemden folgten teils im Gefecht, teils in den Waggons der Eisenbahn bis unter die Wälle der Festung, triumphierend über den leichten und blutlosen Sieg.

Da plötzlich eröffneten die schweren Bastionsgeschütze einen vernichtenden Eisenhagel auf die Eisenbahn und die Kolonne auf der Esplanade.

Die Kartätschen schlugen in die dichtgefüllten Waggons, die Vollkugeln zwischen die Reihen der im Gefühl ihrer Sicherheit so tapferen Eroberer des Glacis. Ein furchtbarer Schrecken bemächtigte sich der ganzen Schar. Unter dem Ruf: »Verrat! Verrat!« machten die Legionen Kehrt und – die Brigade Puppi voran, die mit dem Tode ihres Führers gänzlich desorganisiert war, rannten kopfüber, verfolgt von den Kartätschen der Wälle und einem Ausfall der wackern Garnison bis hinter das Kapuzinerkloster zurück, – ja – nach dem eigenen Geständnis ihres Führers, der trotzdem seinen »Schein-Angriff« einen »in der Geschichte einzig dastehenden« nennt und aus Erbitterung, daß er dafür nicht zum General ernannt worden, die Sache der Freiheit verließ, hielt sich selbst ein großer Teil der Rothemden außer dem Bereich der Kugeln noch nicht sicher, lief bis zur nächsten Eisenbahnstation und dampfte von dort zurück bis Neapel!

Der berühmte Generalstabschef und militärische Schriftsteller, der über alle Kriege der Neuzeit und ihre Feldherren mit großem Aplomb in dicken Büchern geurteilt und auf den man, wie er schreibt, »hätte stolz sein sollen«, hatte zwar die Genugtuung, am Nachmittag sich des – von seiner Besatzung in Verfolgung einer zurückgeschlagenen feindlichen Abteilung verlassenen – Postens auf dem linken Flügel der königlichen Stellung (Cajazzo) zu bemächtigen, ließ dagegen auf der Esplanade der Festung seine zwei Feldgeschütze im Stich.

Eine bessere Benutzung des Sieges durch einen allgemeinen Ausfall der königlichen Truppen hätte diesen wahrscheinlich den Weg nach Neapel wieder geöffnet, aber leider versäumte man durch Zögern die günstige Gelegenheit. Am zweiten Tage darauf jedoch erstürmten die drei Jägerbataillone Colonnas, die beiden jüngeren Brüder des Königs mit dem Degen in der Faust voran, das seitdem von den Garibaldinern stark besetzte Cajazzo, dessen Bewohner gut königlich gesinnt waren, und richteten die ganze Besatzung der Art zu, daß kaum noch 500 Flüchtlinge im Laufe der folgenden Tage das Gros der Revolutionsarmee wieder erreichten.

Die Lektion von Capua und Cajazzo hielt den raschen Siegeslauf der Rothemden nach Rom und Venedig gewaltig auf, und untätig blieben sie verschanzt vor der Festung stehen, in deren Schutz die Königlichen jetzt selbst einen Angriff vorbereiteten. Leider aber fehlte ihnen die feste kriegserfahrene Hand der einheitlichen Leitung, und der Plan dazu wurde so offen verhandelt, daß die Gegner längst über jeden Punkt des Angriffs auf ihre starken Verschanzungen und Positionen unterrichtet waren.

Dieser erfolgte am Morgen des 1. Oktober. Trotz der ungünstigen Umstände, des Zwiespalts der Führer und des Mangels energischer Leitung, obschon es dem Obergeneral Nikucci nicht an persönlicher Bravour fehlte, erstürmten die Neapolitaner die meisten Punkte, warfen die Rothemden bis in das stark verschanzte Zentrum ihrer Stellung zurück und nahmen St. Angelo. Nur die tapfere Verteidigung des Capuaner Tors, eines antiken Bauwerks aus der Römerzeit, durch den französischen Hauptmann de Flotte mit seinen 62 Mann rettete die Stellung Garibaldis.

Ihre Macht in den einzelnen siegreichen Angriffen zersplitternd, versäumten die königlichen Truppen ihre Erfolge zu benutzen und gewährten dem Gegner Zeit, sich zu sammeln. In aller Eile ließ Garibaldi seine Reserven von Caserta mit der Eisenbahn herbeiholen, und der tapfere Türr führte sie ins Gefecht. Während der Sieg um Mittag unzweifelhaft in den Händen der königlichen Truppen war, wurden sie jetzt, jeder Reserve entbehrend, aus den genommenen Positionen wieder zurückgedrängt und zogen um 7 Uhr abends wieder in ihre alte Stellungen, ohne daß eine der beiden Parteien einen nennenswerten Vorteil errungen.

Das war die von der sardinischen und demokratischen Presse mit solchen Triumph gefeierte Schlacht am Volturno.

Zum erstenmal trat hierbei ohne jede Kriegserklärung gegen den jungen König eine piemontesische Kolonne offen in den Kampf und wendete sein Schicksal.

Einer Episode wollen wir an dieser Stelle noch gedenken, wie wir die tapfere Verteidigung des Capuanischen Tors durch den französischen Freischärler ehrenvoll erwähnt haben.

Oberst Perrone, von Cajazzo mit 3000 Mann vordringend, hatte am Tage der Schlacht den linken Flügel der Garibaldiner angegriffen und die Kolonne Bronzetti am Nachmittag gezwungen, das Gewehr zu strecken. Verwegen gemacht durch diesen Erfolg, beschloß er, sich Bahn zu brechen in den Rücken der Feinde bis Caserta und so die Revolutionsarmee von Neapel abzuschneiden. Seiner Bravour gelang es in der Tat, noch am Abend die Höhen von Caserta vecchia zu nehmen – aber ohne Verbindung und Unterstützung wurde seine kühne Tat ihm selbst verderblich. Umzingelt und angegriffen durch die Kolonnen Garibaldis, Bixios, Sacchis und die Piemontesen mußte sich das tapfere Häuflein gefangen geben.

Die Schlacht am Volturno hatte jedoch die kühnen Siegeshoffnungen der Revolutionsarmee gebrochen, Garibaldi hatte die Unzuverlässigkeit der Rothemden im offenen Gefecht genügend erkannt und beeilte sich, sie hinter Verschanzungen zu sichern.

Der Triumphzug der Revolution kam ins Stocken, das Spiel drohte sich zu wenden.

Es war die höchste Zeit, einzutreten, um die Eroberung der Freischaren für die Krone Sardinien zu sichern und den Sieg des Mazzinismus, d. h. die rote Republik, zu verhindern. Das begriff die Politik Cavour und warf jetzt offen auch an dieser Stelle die Maske ab.

Am 6. Oktober erklärte Graf Cavour mit der Logik des I. Napoleon dem noch immer in Turin verweilenden neapolitanischen Gesandten Winspeare, daß, da König Franz seine Hauptstadt verlassen, er damit in den Augen des Volkes abgedankt habe, und König Victor Emanuel es für seine Pflicht halte, in Neapel geordnete Verhältnisse zu schaffen, und – damit Italien von dem Siege der roten Republik verschont bleibe – auf Wunsch vieler an ihn ergangenen Aufforderungen ein Armeekorps in das neapolitanische Gebiet einrücken lassen werde.

Der Protest des Gesandten gegen diesen Akt, mit dem die anerkannte alte Monarchie erliegen müsse, aber zugleich mit ihr auch alle Rechte, alle Gesetze, alle Grundsätze, auf denen bisher die Unabhängigkeit und Sicherheit der Nationen beruhte, – war natürlich vergeblich. Winspeare verließ Turin, und am Tage nachher, am 8., veröffentlichte das sardinische Ministerium ein Dekret, wodurch die Volkskomitees des neapolitanischen Festlandes auf den 21. Oktober zusammenberufen wurden, um über folgendes Plebiscit mit Ja oder Nein abzustimmen:

»Das Volk will ein eigenes und unteilbares Italien mit Victor Emanuel als konstitutionellem König für sich und seine legitimen Nachfolger.«

Ein Manifest des Königs an die Monarchen entschuldigte den Schritt als eine Notwendigkeit und Pflicht, um den Plänen der republikanischen Fraktion ein Ende zu machen.

Garibaldi, mit dem aut-aut bedroht, dekretierte am 15. Oktober, daß die beiden Sizilien einen Teil des »einigen und unteilbaren Italien« ausmachen sollten und daß er feine Diktatur in die Hände des Königs Victor Emanuel niederlegen werde.

Gleichsam zur Beruhigung der mazzinistischen Partei darüber, daß vorläufig ihre Hoffnungen noch nicht erfüllt werden könnten, erfolgte jene schändliche, jedes ehrenhafte Herz in ganz Europa empörende, selbst die besseren Klassen in Neapel zur energischen Mißbilligung erregende Proklamation der Rechtmäßigkeit und Löblichkeit des Königsmordes!

Durch Dekret setzte nämlich die Direktorialregierung der Mutter des Soldaten Agesilao Milano, eines Mazzinisten, der bei einer Truppenparade am 11. Dezember im Jahr 1856 aus Reih und Glied einen Meuchelmordversuch gegen seinen König Ferdinand II. verübt hatte und dafür am 13. hingerichtet worden war, eine monatliche Pension von 30 Dukati und jeder seiner beiden Schwestern eine Mitgift von 2000 Dukati als Nationalbelohnung aus. Mögen die Worte hier Platz finden, mit denen der Minister des jungen Königs, Casella, am 6. Oktober aus Gaëta auf diese Europa entehrende Handlung antwortete. Seine Note an die Mächte lautet:
»In keinem Lande war die Revolution noch bis zu diesem Grade von Verkehrtheit und Anarchie gekommen; bis heute hatte man den Königsmord noch nicht als eine heilige Sache ehren, den Mord öffentlich belohnen und so zur Hinmetzelung der Fürsten auffordern sehen. Die Diktatur, welche im Königreich beider Sizilien herrscht, hat dieses betrübende Schauspiel geboten. Diese Verherrlichung des Mordes hat stattgehabt in einer Stadt, die von piemontesischen Truppen besetzt ist, und durch einen Condottiere, der im Namen des Königs von Sardinien handelt, während dieser seit vier Monaten jede Verantwortlichkeit ablehnt und behauptet, daß man seinen Namen und seine Fahne mißbraucht.«

Während diese Szenen in Neapel spielten, rückte die piemontesische Armee, durch die Kapitulation Anconas am 30. September frei geworden, auf den Straßen von Loretto über Langlano und Avezzano gegen Capua. Auf die Nachricht davon hatte König Franz versucht, den General Scotti-Douglas mit 8000 Mann dem Einmarsch in den Gebirgspässen entgegenzustellen, aber die ungenügende Macht wurde am 20. Oktober bei Isernia geschlagen, und um nicht zwischen den Druck zweier an Streitkräften überlegenen Armeen zu kommen, sahen sich die Königlichen genötigt, die Volturnolinie zu räumen und sich hinter den Garigliano zurückzuziehen, ihre rechte Flanke durch das Meer gedeckt, wo die französische Flotte die Angriffe des Admiral Persano gegen die Königlichen zu hindern versprochen hatte.

Am 25. Oktober war König Victor Emanuel, von Ancona kommend, über Isernia beim Korps Cialdinis angelangt und am nächsten Morgen erfolgte sein Zusammentreffen mit Garibaldi. Der Diktator begrüßte ihn zum erstenmal als »König von Italien«, nachdem die Volksabstimmung in Neapel bei einer Bevölkerung von 7 Millionen mit 1 310 226 Stimmen ein »Ja« gegeben.

Der große Meister an der Seine hatte gelehrt, wie man ein Plebiscit zustande bringt; was seinen Kunststücken etwa noch fehlte, ersetzte in Neapel das Bajonett und der Dolch. Auch an komischen Szenen hatte es dabei nicht gefehlt. Der Demokrat Rüstow selbst erzählt, daß, als die Südarmee, bekanntlich zum größten Teil aus ganz Italien und der revolutionären Propaganda anderer Länder zusammengelaufen, abstimmen mußte und als die 15. Division an die Reihe kam, der Stab derselben 167 Stimmzettel mit Ja abgab, während das ganze Personal nur aus 51 Personen bestand, die nicht einmal alle in Caserta anwesend waren! – In einer neapolitanischen Stadt, Sorrent, wartete der Bürgermeister an der Wahlurne den ganzen Tag vergeblich auf einen Wähler. Zuletzt ging ihm die Geduld aus, er meinte: Wer schweigt, sagt ja! nahm den ganzen Haufen Wahlzettel mit Ja, die für die Wähler bereit lagen, warf sie in die Urne und schickte sie der revolutionären Behörde ein!

Am 3. schlugen die Sardinier unter Victor Emanuel die Neapolitaner am Garigliano mit Hilfe der Flotte, nachdem General Cornet feigherzig die Festung Capua nach kurzem Bombardement, dorr dem nur 20 Schuß die Stadt erreichten, übergeben hatte und Admiral Barbier de Tinan, gegen seinen Willen dem Befehl von Paris: nur den König in Gaëta zu schützen! gehorchend, die Küste dem sardinischen Geschwader geöffnet hatte. Von allen Seiten drängten die Piemontesen vor gegen die sich unter der Kanonade von der Land- und Seeseite zurückziehende neapolitanische Armee. Nur einem Teil derselben gelang es, sich nach Gaëta durchzuschlagen, General Ruggiero wurde mit 22 000 Mann, 5000 Pferden und 40 Geschützen in die Gebirge gedrängt, trat am 5. November auf das römische Gebiet bei Terracina über und legte auf Verlangen des französischen Kommandanten General Goyon vor den Franzosen die Waffen nieder. Dem Anerbieten, in die sardinische Armee zu treten, folgte kaum der dreißigste Mann – zahlreiche Trupps warfen sich mit ihren Offizieren in die Gebirge und begannen einen Guerillakrieg, wie ihn Kapitän Chevigné und der ehemalige Bandit bereits seit einem Monat führten.

Am 7. November hatte König Victor Emanuel, an seiner Seite im Wagen Garibaldi, unter dem Jubel des Pöbels seinen Einzug in Neapel gehalten, am 8. ihm der General das Resultat der Plebiscitkomödie überreicht. Garibaldi verlangte dafür auf ein Jahr das General-Gouvernement über das Königreich beider Sizilien, aber die sardinische Herrschaft fühlte sich jetzt sicher genug, seine Hilfe entbehren zu können. Der Soldat im König empörte sich gegen die Gemeinschaft der Freischärler, er verweigerte es selbst, bei deren ihm zu Ehren veranstalteten Parade zu erscheinen, und die Forderung ihres Führers wurde verweigert. Die angebotenen Ehrenbezeigungen – das Großkreuz des Annunziataordens und ein königliches Schloß aus dem Raub – wies der ehrliche Flibustier des Umsturzes zurück und verließ grollend und mit der Drohung, im nächsten Jahre wieder zu erscheinen, Neapel, um sich nach der kleinen, ihm gehörenden Insel Caprera in der Straße St. Bonifacio zwischen Sardinien und Corsica zurückzuziehen.


»Und nun, Capitano,« sagte der Franzose, »da wir jetzt allein sind, denn unser Gefangener scheint sich sehr eifrig mit der Signorina zu beschäftigen, die vergnügt ist, einmal wieder nach Herzenslust ihre verteufelte Muttersprache reden zu können, möchte ich gern etwas Näheres von dem Ausfall Eurer Mission in Rom wissen, und, wie es in Gaëta steht?«

»Mit Vergnügen, Signor. Ihrer Anweisung gemäß habe ich den Rest des Geldes bei dem Bankier Torloni erhoben und dafür Munition für uns und Waffen für die achtzig Mann des Major Boretti bezahlt, die jetzt in den Volskergebirgen lagern. Die Zahl der Soldaten des General Ruggiero, die nach der Entwaffnung in Terracina sich in die römischen und neapolitanischen Berge geworfen, soll nach dem, was ich hörte, über dreitausend Mann betragen. Es sind wackere Burschen darunter und auch tüchtige Offiziere, die den Piemontesen zu schaffen machen werden, und ich bedauerte herzlich, daß ich all die Anerbietungen, sich mit uns zu vereinigen, zurückweisen mußte.«

»Ihr werdet einsehen, daß ich recht habe, und daß wir mit einer geringen aber leicht beweglichen Zahl entschlossener Männer dem Feinde größeren Schaden zufügen können, als mit einer vier- oder fünffach größeren Truppe. Freilich, wenn wir sie vor vier Wochen gehabt hätten, hätte sich ein Streich ausführen lassen, der der guten Sache mit einem Male den Sieg verschafft hätte.«

»Sie meinen die Entführung des Königs Victor Emanuel auf dem Weg nach Isernia?«

Der Franzose nickte: »Die Eskorte war zu stark für uns, und überdies erfuhren wir's zu spät. Schade darum – der Krieg wäre mit einem Schlage zu Ende gewesen.«

Der ehemalige Bandit lächelte. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Signor,« sagte er. »Lassen Sie mich nur erst wieder meinen Fuß gebrauchen können, dann mag sich der Piemontese hüten. Vor allem gilt es, gute Spione in ihrem Lager zu haben.«

»Wie steht es mit der Munition, die Ihr in Rom gekauft? die unsere ist beinahe zu Ende.«

»Sie ist bereits in Subiaco, und die Bauern werden sie herüber schaffen aller Bewachung zum Trotz.«

»Ihr spracht den Kriegsminister Monsignore Merode?«

»Er war es, der mir den Auftrag an Sie gab, hier auszuhalten, statt wie der französische Gesandte, Herzog von Grammont, den Legionären rät, nach Gaëta zu gehen, was leicht genug sein wird, da die Verbindung zur See mit Civitavecchia vollkommen frei ist.«

»So gibt man in Rom die Hoffnung nicht auf?«

»Man ist guten Mutes und rüstet im stillen aufs neue. Es sollen zwei Zuaven-Regimenter gebildet werden, und Monsignore bewahrt das Kommando eines Bataillons für Sie auf.«

»Ich danke Euch für die Nachricht.«

»Der heilige Vater bedarf um so nötiger einer ergebenen und zuverlässigen Truppe, als die Agitation der Mazzinisten in Rom überhand nimmt. Man hat bestimmte Nachricht, daß ein Geheimbund besteht und an verschiedenen Stellen der Stadt geheime Waffenlager existieren. Es ist stark davon die Rede, daß der heilige Vater Rom verlassen will.«

»Wohin? nach Frankreich?«

»Im Gegenteil, – nach Deutschland, auf die dringende Einladung der Bischöfe, und das ist, was der Kaiser fürchtet und um jeden Preis verhindern will. Unterdes zankt man sich in Rom über die berüchtigte Depesche des Herzogs von der französischen Hilfe gegen Piemont, die General Lamoricière ins Unglück führte.«

»Aber wie kommt Ihr zum Staatssekretär und nach Gaëta?«

»Sie haben von der Unterredung Cialdinis mit dem General Salzano gehört?«

»Am 26. Oktober in Cajanello, von dieser schändlichen Tat der Piemontesen! Sie haben vor ganz Europa damit ihren Soldatenruf geschändet. Vicomte de Sayve, mein Vetter, wurde mit der Eskadron berittener Jäger, welche die Eskorte bildete, während der Unterredung in Trano von ihnen überfallen und zum Gefangenen gemacht! Der brave Salzano selbst soll von dem Schuft Cialdini mit Verhaftung bedroht worden sein, weil er sich weigerte, seinen Aufforderungen zum Treubruch Gehör zu geben!«

»La – la! Kapitän. Es ist nicht alles Gold, was glänzt!«

»Was soll das heißen?«

»Daß die Anerbietungen General Cialdinis doch sehr verführerisch gewesen sein müssen und General Salzano, mein alter Kamerad, so gut Komödie zu spielen versteht, wie unsere junge Capitana!«

»Sprecht deutlicher, was ist mit dem braven Salzano?«

»Nichts weiter, als daß der brave Salzano am 12. mit den Generalen Barbalonga und Colonna den König verlassen hat!«

»Das ist unmöglich!«

»Ich würde sagen auf Banditenehre, wenn diese nicht dabei ins Gedränge käme! Man wußte in Rom, daß unter den Truppen, die dem König nach Gaëta gefolgt waren, noch immer ein guter Teil Verräter war, und wollte ihn deshalb warnen. Da ich nun zufällig gerade zur Hand war und gar manches weiß von der Vergangenheit dieser Herren, – wenn ich auch nicht alt genug bin, um unter Fra Diavolo gedient zu haben, wie der brave Salzano in seiner Jugend, – wählte man mich dazu, die Warnung zu überbringen nebst den hunderttausend Scudi, die der Kardinal dem König sandte, dem es mehr an Geld fehlt, als uns!«

»Und der König?«

»Er erließ am 14. eine Bekanntmachung, daß jeder bis zum Schluß des Jahres die Festung verlassen könne, der nicht freiwillig an der Verteidigung teilnehmen wolle. Das war die Antwort auf die Schmach vom Zwölften!«

»Wie versteh' ich das?«

»Ich kam mit der Warnung um einen Tag zu spät. Am Tage vorher hatten die edlen Offiziere ihr Entlassungsgesuch dem Könige eingereicht. – Barbalonga, Colonna –«

»Colonna, der so tapfer Cajazzo erstürmte, der Vertraute der Prinzen?«

»Es ist eben wenig mehr zu holen bei König Franz, Kapitän. Der gute junge Herr war an barem Geld so kahl wie eine Kirchenmaus. Hätten die Herren freilich von meinen hunderttausend Scudi gehört, so würden sie wohl noch einige Tage gewartet haben mit ihrem Abfall, bis sie ihren Teil daran erhalten gehabt!«

»Aber Salzano – Colonna!«

»Der letztere ging wie ein Schuft, denn er wagte es, dem armen Herrn zu schreiben, wenn sein Gesuch nicht genehmigt werde, würde er seine Soldaten zum Feinde führen!«

»Pfui der Schande!«

»Er war wenigstens noch ehrlicher, als der Lump Pianelli, der Oberst des fünfzehnten Jäger-Bataillons. Dieser führte das Bataillon vor dem Tor den Piemontesen entgegen und ließ es das Gewehr strecken!«

»Und sie schossen ihn nicht nieder?«

»Von den tausend Mann kehrten nur hundert, von den fünfunddreißig Offizieren acht in die Festung zurück. Oberst Pianelli aber ging in das Hauptquartier Cialdinis, um sich seinen Lohn auszubitten. Was ließ sich anders erwarten! Er ist der Bruder des Generals, der mit dem Patrioten Liborio und General Nunziante den König in Neapel so lange in Täuschung hielt!«

Der tapfere Legitimist stützte traurig den Kopf in die Hand. »Wo ist noch Ehre und Treue zu suchen in diesem Lande! Was sage ich – in diesem Lande? – nein, in der ganzen Welt! Wo diejenigen, die Gott für die Kronen bestimmt hat, selbst zum Verräter an ihren heiligen Rechten werden und mit der Revolution buhlen – wen wundert's da noch, wenn die Throne stürzen! Wo sind Grundsätze, Ehre, Treue in dieser Zeit – verweht wie die Spreu im Winde!«

»Sucht sie im Lager der Banditen, Kapitän, sucht sie bei den Bauern der Abruzzen und der Basilicata, die General Cialdini durch seinen Wüterich Pinelli zu Dutzenden erschießen läßt, wenn sie nicht rufen wollen: Evviva Vittorio Emanuele!«

Der französische Offizier saß lange, das Gesicht in seine Hände vergraben, in tiefem Schmerz. »Wo der Adel mit so traurigem Beispiel vorangeht,« sprach er endlich, »kann man sich nicht wundern, wenn auch das Volk jeden Begriff des Rechts verliert!«

»Und dennoch, Kapitän,« sagte der Bandit mit Würde, »dennoch sind es Lazzaroni gewesen, die vor fünf Tagen noch auf dem Molo von Neapel zwischen den Bajonetten der Piemontesen gerufen haben: Es lebe König Franz! Aber trösten Sie sich, Kapitän, man muß die Zeit nehmen, wie sie ist – es kommt auch eine andere, und bis dahin schlägt man sich, so gut man kann, und den Gegner mit seinen eigenen Waffen. Ich bin nur ein Mann aus dem Volk und die Klinge meines Dolchs zeigt vielleicht manchen schlimmen Flecken. Auch hab' ich vieles gegen die Wirtschaft in Rom – aber ich will ewig im Fegefeuer braten, wenn ich in der Gefahr meinen Souverän verlasse. Und daß es überall noch Kämpfer für altes Recht gibt, das zeigt die Reihe der Namen aus nah und fern unter den Kämpfern von Gaëta!«

Der Kapitän blickte auf. »Hörtet Ihr französische Namen nennen, Tonelletti?«

»Mehr als einen, Kapitän! Ich war zum Beispiel auf der Fremden-Batterie, die der Schweizer-Hauptmann Sury kommandiert und hörte unter ihren Offizieren die Namen Charette, Vauthier, Chesnaye, Saint Bris nennen!«

Der Legitimist drückte ihm die Hand. »Gott sei Dank – es lebt doch noch ein besserer Geist in der französischen Jugend! Ihr habt mich wieder erhoben mit Eurem Wort, Capitano, mit Eurem Wort aus all dem Meer von Schmutz und Schlamm. Aber hörtet Ihr nichts von der Diplomatie – wie verhalten sich die europäischen Mächte zu diesem Kronenraub? Was tut die Familie des Königs?«

»Graf Trapani ist nicht dem schändlichen Beispiel des Grafen von Syrakus gefolgt. Er ist bei seinem Neffen, dem König, und die Grafen von Trani und Caserta, seine jungen Brüder, stehen wie Helden zu ihm! Die Königinmutter, die Österreicherin, hat zwar mit den jüngsten Kindern am 10. auf dem spanischen Schiff Alava die Festung verlassen und war schon in Rom, als ich dorthin kam, aber es ist gut, denn sie ist wenig beliebt und die edle Königin kann jetzt frei und ohne Zwang ihrem braven Herzen folgen. Per Baccho, Kapitän, das ist eine brave Frau, diese kleine Deutsche, und wir werden noch Dinge an ihr erleben, wenn wir überhaupt das Leben behalten.«

»Aber die Diplomatie?«

»Bis jetzt sind sie noch in Gaëta, wenigstens sah ich keinen von ihnen mit dem »Dahome« abfahren, der vor vier Tagen die abtrünnigen Offiziere und Soldaten mit vielen Familien nach Civitavecchia führte. Ich hörte sagen, daß die Gesandten von Österreich, Rußland, Preußen und Sachsen noch in Gaëta wären, von dem spanischen, dem Marquis de Lema weiß ich es gewiß, denn ich sah ihn selbst. Und nun, Kapitän, die beste Nachricht von allen, General Bosco ist seit zwei Tagen in der Festung!«

Der Franzose sprang empor von dem Stein, auf dem er gesessen. »Hurra! das ist ein Wort, das das Herz erfreut. Wißt Ihr es gewiß?«

»Er kam am Morgen des Tages, an dem ich Gaëta verließ, mit dem Dampfer von Marseille und wurde mit Jubel begrüßt. Während der Emeute von Neapel lag er schwer krank in der Stadt und Garibaldi zwang ihn, sein Wort zu geben, zehn Wochen lang nicht für den König zu fechten. Hätten sie ihn am Volturno gehabt, die Rothemden wären sicher wieder über den Kanal gejagt worden.

»Jetzt,« sagte der Kapitän, »hege ich wieder Hoffnung. Aber wie fandet Ihr die Festung selbst?«

Der Brigant zuckte die Achseln. »Hm – was die Festung betrifft, so ist sie stark genug. Ich verstehe nicht viel von den Dingen und weiß nur, wie man zwischen den Bergen sich schlägt, aber es gefällt mir nicht, daß sie die Borga Vorstadt von Gaëta. so ohne Widerstand dem Feinde überlassen und die Höhe von St. Agatha nicht besetzt haben. Die Piemontesen stehen bis an den Fuß des Glacis und haben einen festen Halt an der Vorstadt. Doch da kommt die Capitana mit ihrem Gefangenen und es ist die höchste Zeit, daß wir aufbrechen!«

In der Tat hatte die junge Irländerin das Gespräch mit dem Preußen endlich abgebrochen, zudem sich schließlich auch Graf Sismondi gesellt, und näherte sich den Kapitäns, während ein allgemeiner Aufbruch sich bemerklich machte.

»Die Sonne ist im Sinken, Capitano Tonelletto,« sagte die Miß – »denken Sie noch heute unseren Lagerplatz zu erreichen?«

»Sie haben recht, Signorina, mich zu erinnern. Aber wenn wir uns daran halten und den Mondschein benutzen, werden wir um 8 Uhr an Ort und Stelle sein.«

»Die Leute fragen nach der Richtung und dem Ort, wohin unser Weg geht.«

»So sagen Sie ihnen: nach dem Kloster der Verdammten!«

Eine Bewegung des Schreckens lief durch die Reihen, die sich, zum Aufbruch fertig, herangedrängt hatten.


Dort, wo sich die Monti Quadri erheben und die Scheidewand zwischen dem Flußgebiet des Sangro und des Garigliano bilden, oder auch zwischen den beiden Straßen von der Ostküste über Avezzano und über Isernia nach dem Westen erhebt sich eine hohe Reihe von Felsgebirgen, deren Charakter an Rauhheit und Unzugänglichkeit zunimmt, je mehr sie sich dem hohen Bergriesen der Abruzzen nähern.

So zaudernd auch der Schritt der sonst so kühnen und nichts weniger als zaghaften Männer war, und mit so viel seltsamlichen und abenteuerlichen Geschichten auch der Aberglaube der eingeborenen Gebirgsbewohner die Kameraden anderer Heimat über die Geheimnisse des Klosters unterhielt, – niemand wagte doch, der Weisung des alten Banditenchefs ungehorsam zu sein, und der Marsch der Truppe endete in der Tat am späten Abend in der Nähe des verrufenen Klosters.

Einen gewissen Trost gewährte es freilich, daß man sich durch eine schroffe hohe Bergwand davon getrennt wußte.

Selbst wenn der Brigant nicht anderweite geheime Gründe gehabt hätte, diesen Ort zum Ziel seines Rückzugs zu wählen, hätte doch seine natürliche Beschaffenheit ihn dazu empfohlen.

Eine etwa dreihundert Fuß hoch sich schroff erhebende Felswand begrenzte ein Plateau, dessen Zugang nur an einer Seite möglich war und also leicht verteidigt werden konnte. Die Wand selbst war vielfach zerklüftet und einer der breiten Risse diente zum Wege auf die Höhe und nach der Senkung von dort abwärts nach Süden. Diese Senkung war keineswegs eben und leicht passierbar. Schluchten und wilde phantastische Felsengruppen stiegen vielmehr von der Höhe zum Tale nieder, und in einer der obersten dieser Schluchten lag das Kloster der Büßerinnen in einer so trostlosen Abgeschiedenheit und Einöde, daß man zweifeln mußte, was Fels, was Kloster, – und daß ein so rauher und wilder Ort überhaupt zum Aufenthaltsort menschlicher Wesen dienen konnte.

Mehrere halb verfallene Hütten auf der ersten kleinen Bergebene, zwischen den Felsen und an diese lehnend und die Höhlungen derselben zu ihrer Erweiterung benutzend, bewiesen, daß der Platz schon öfter von den im Gebirge hausenden Banden zum Versteck benutzt worden war. Der religiöse Respekt und der unheimliche Ruf, in dem es stand, schützte dabei das Kloster zur Genüge, und es herrschte zwischen den Bewohnern desselben und den Banditen das beste Einverständnis – so weit bei der geheimnisvollen Strenge der Ordensregel überhaupt ein Verkehr stattfand.

Der verwundete Capitano wurde nach seiner Bestimmung in eine der größeren Hütten gebracht, den drei Gefangenen eine andere zum Aufenthalt angewiesen, und da mehrere Frauen und Mädchen, die Weiber und Geliebten der Banditen aus den passierten einsamen Gebirgsdörfern sich jetzt dem Trupp angeschlossen hatten, herrschte bald ein reges Leben auf dem Platz und einige Feuer flackerten lustig hier und da, an denen die Kessel brodelten.

Die beiden Schildwachen am Aufgang und weiter oben an der Felsenspalte, die den Weg zur Höhe der Wand bildete, waren genügend, jeden Fluchtversuch der Gefangenen zu verhindern, selbst wenn diese gewußt hätten, wohin sie sich in diesem Felsenlabyrinth wenden sollten.

Der Irländerin, die wie der französische Offizier zum erstenmal sich in diesem Zufluchtsort befand, war eine besondere Hütte bei der Kampierung bewahrt worden, die sie zunächst mit einer jungen Bäuerin, der Frau eines der gegen Isernia gesandten Briganten, teilte.

Nachdem der Kapitän einige Nahrung zu sich genommen, erinnerte er selbst den Brigantenchef an seinen Auftrag.

»Ich fürchtete, Sie würden von unserem schweren Marsch zu müde sein, Signor,« sagte Tonelletto, »um jetzt noch den Weg anzutreten und hätte mich daher bis zum Morgen gedulden müssen, obschon es mich – offen gestanden – drängt, meinen Auftrag los zu werden.«

»Und wie weit ist es noch zu dem Kloster?«

»Wie ich bereits die Ehre hatte, Ihnen zu sagen, brauchen Sie nicht zu dem Kloster selbst niederzusteigen, wo Sie ohnehin nicht Einlaß finden würden, sondern zu der Clausura des Bruder Eremiten, die auf dieser Felswand liegt und nach beiden Seiten niedersieht.«

»Das wäre also höchstens eine Viertelstunde Weges.«

»Stark genommen, Kapitän, da der Pfad schroff aufwärts geht und sich windet und dreht. Der helle Mondschein wird es jedoch möglich machen, ihn noch zu dieser Stunde zu passieren.«

»Gut, ich fühle mich noch keineswegs zu müde, um ihn zu machen. Die Nacht ist so schön, das Spiel des Mondlichts in diesen grotesken Felsen so malerisch, daß der Gang eher ein Vergnügen wäre, wenn ich nicht fürchten müßte, den Weg zu verfehlen.«

»Ich werde Ihnen einen meiner Leute mitgeben, der Sie soweit führen wird, bis dies nicht mehr möglich ist. Weiter würde er sich freilich um keinen Preis wagen.«

»Das genügt, und Euer Auftrag?«

Der Banditenhäuptling zog aus dem Hut, wo er es mit dem Patent des Königs verborgen gehabt, ein zusammengefaltetes Papier und übergab es dem Kapitän. Der Kienspahn, der in der Hütte brannte, gewährte genug Licht, um zu sehen, daß es keine Aufschrift trug, ja daß es überhaupt ganz unbeschrieben war.

»Aber parbleu – da ist weder Adresse noch Schrift, – was soll ich mit dem Papier machen?«

»Das ist nicht unsere Sorge, Signore. Ich habe den Befehl, es so schnell als möglich in die Hände des Fra Gerardo niederzulegen und ihm zu sagen, ich stände zu seinem Befehl.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Das fängt in der Tat an, ziemlich abenteuerlich zu werden. – Welcher Heiligen ist denn dieses geheimnisvolle Kloster gewidmet?«

»Der Santa Maddalena!«

» Parbleu – das klingt fast nach Meyerbeer und Robert dem Teufel. Ich würde nichts dawider haben, wenn eine schöne Helena da wäre, um mich zu verlocken und wahrlich mich nicht so lange sträuben, wie der heilige Herr Robert von der Normandie.«

»Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen, Signor, aber kann Sie versichern, so furchtlos ich auch bin, ich brächte um keinen Preis der Welt eine Nacht in der Kirche der heiligen Maddalena zu.

Der Franzose lachte. »In guter Gesellschaft – warum nicht! Aber nun denk ich, ist es Zeit, daß ich aufbreche, meine Uhr weist auf halb Zehn.«

Der Brigant pfiff und befahl dem eintretenden Mann, seinen Kameraden Filippo zu rufen.

»Er hat früher schon den Weg bei Tage gemacht und ist der einzige, der den Mut hat, ihn bei Nacht zu finden. Der Bursche war einmal Laienbruder in Rom, bis er eines schönen Abends bei irgend einer Hure einem Maler das Messer zwischen die Rippen stieß und deshalb in die Berge lief.«

Der Gerufene trat alsbald ein.

»Höre, Filippo,« sagte der Brigantenführer, »der Mond scheint so hell, daß man einen Bajocci auf dem Wege finden würde, um wieviel mehr ein Zwanzig Liresstück!«

»Den Teufel, Capitano, ich bin der letzte, der es liegen lassen würde!«

»Das dachte ich mir. Nun, du sollst es für den Weg erhalten, den du sogleich den Signor Capitano führen wirst.«

»Mit Vergnügen – wohin?«

»Zur Clausura des Padre Gerardo.«

»Heiliges Kreuz, Capitano – jetzt bei Nacht soll ich nach dem verfluchten Kloster? Das ist unmöglich!«

»Narr! nur so weit, daß der Signor nicht fehl gehen kann zur Klause des Eremiten.«

Der ehemalige Laienbruder bedachte sich einen Augenblick. »Das ist etwas anderes,« meinte er, »und für zwanzig Lires kann ich Innocenza manch schönes Band kaufen und manche Fogliette guten Weins! In einer Stunde habe ich ohnehin die Wache auf dem Wege abzulösen.« Er schlug ein Kreuz und rückte sich den Dolch im Gürtel zur Hand. » Andiamo, Signore!«

Der Kapitän war sogleich bereit. Er hängte die Büchse über die Schulter, drückte mit bedeutungsvollem Wink dem Briganten die Hand und folgte seinem Führer.

Die Leute Tonellettos hatten aus den Dörfern genug Wein mitgenommen, um sich nach dem Marsch eine tüchtige Stärkung zu bereiten, dennoch lagerten sie auffallend still um die Feuer und horchten der Erzählung eines oder des andern, der sie mit irgendeiner Erfindung seiner Phantasie von dem nahen Kloster unterhielt und so ihren Aberglauben noch vermehrte.

Der Kapitän stieg mit dem Führer, nachdem sie das kleine Lager verlassen hatten, rüstig in dem Hohlweg empor, der zur Höhe der Felsenwand führte, passierte den Posten, der hier aufgestellt war und hatte bald um sich nur die heilige Stille der Nacht.

Der Weg, meist aus rohen, wenig benutzten Stufen bestehend, war allerdings geeignet, auf die einsamen Wanderer jenen Eindruck zu üben, der die Seele für das Überirdische, Geheimnisvolle empfänglich macht. In den Wipfeln der Pinien, die aus dem Grunde emporwuchsen, rauschte der Nachtwind seine Melodien und der Mond, der voll über den klaren Himmel zog, warf phantastische Lichter und Schatten auf den Weg.

Schon nach den ersten Minuten schwiegen beide Wanderer und überließen sich still den Eindrücken der Umgebung.

Plötzlich tönte der helle Klang eines Glöckchens durch die Stille und unwillkürlich blieben beide stehen.

»Es ist der Padre, der die Nachtglocke läutet, Exzellenza,« sagte der Brigant, »und wenn Sie nichts dawider haben, so werde ich hier Halt machen. Der Klang der Glocke wird Sie in zwei Minuten zur Klause führen. Ich hoffe, daß Exzellenza meiner nicht weiter bedürfen.«

»Nein, Mann – ich denke, den Rückweg allein zu finden, wenn der ehrwürdige Herr nicht so gastfreundlich sein sollte, mir ein Nachtlager anzubieten. Und hier ist Euer versprochenes Trinkgeld.«

Der Laienbruder steckte den Napoleond'or mit einer Hand in die Tasche, und bekreuzte sich mit der andern.

»Wie, Exzellenza, Sie wollen diese Nacht in der Klause des Padre Gerardo zubringen? Aber wissen Sie denn nicht, daß um Mitternacht die Messe der heiligen Maddalena stattfindet?«

»Nun, was ist da weiter dabei? findet nicht in jedem Kloster eine Nachtmesse statt, wenigstens soll es nach den Kirchenregeln geschehen. Aber ich glaube, daß an den meisten Orden die guten Brüder und Schwestern zu bequem sind, um sich viel darum zu kümmern, und lieber in ihrem warmen Bette bleiben.«

Der Bandit drängte sich an ihn. »Sprechen Sie nicht so, Signore. Es ist die einzige Messe, die in dem Kloster der Verfluchten gelesen wird.«

»Die einzige?«

»Ja – weil, wie das Volk erzählt, keine der Nonnen das Tageslicht wieder sehen darf.«

»Die armen Geschöpfe! Aber nun, Meister Filippo, kümmert Euch nicht weiter um mich, haltet hübsch da unten Euren Mund, statt neue Märchen zu verbreiten und macht Euch auf den Weg, indes ich den meinen fortsetze.«

Er grüßte kurz seinen Begleiter und stieg weiter zur Höhe empor, während jener, so schnell seine Beine und der Zustand des Pfades es gestatteten, zurück rannte.

Der scharfe Ton der kleinen Glocke schallte noch immer durch die Öde und wies dem Wanderer den Weg. Nach wenigen Minuten befand er sich auf der Höhe der Fels wand und blieb von dem Anblick, der sich ihm bot, er griffen, eine Weile stehen.

Der Felsgrat, auf dem er jetzt verweilte, war kaum dreißig Schritte breit und senkte sich nach Norden und Süden ziemlich steil nieder. Obschon rechts und links das Hochgebirge sich erhob und die Aussicht sperrte, bildeten die vier Bergreihen hier doch einen niederen Sattel, gleichsam eine Einsenkung, von der aus der Blick nach Norden und Süden hin weit über die gebirgige Gegend reichte, die zu den Füßen des Beschauers lag. Die phantastischen Schleier des Mondlichts lagen über Wald, Feld und Tal und schienen alles farbige Leben eingesogen zu haben in das einsame Grau. Mit unheimlichem Glühen leuchteten aus der Seite nach Mitternacht die Feuer des kleinen Brigantenlagers herauf, als trieben die Gnomen der Berge dort ihre nächtigen Schmieden und Hochöfen und die dunklen kleinen Gestalten, die lautlos oft an dem Feuerschein vorbeihuschten, erhöhten die Täuschung.

Mit größerem Interesse aber schaute der Kapitän nach der anderen Seite des Abhangs.

Dort vermochte der Blick, dem Tal des Sangro folgend, weiter hinaus zu schweifen ins Land. Felsenspitzen von grotesker Gestalt stiegen aus der Tiefe terrassenartig empor, und lange suchte das Auge des Offiziers vergeblich zwischen ihnen eine Spur des geheimnisvollen Klosters, das nach der Beschreibung hier liegen mußte, bis ein matter Lichtschein ihm die Stelle bezeichnete. Näher an den Abhang tretend bemerkte er jetzt in der Tiefe einige dunkle Baulichkeiten, die sich gleichsam mit dem Felsen zu verschmelzen schienen, und sah nun, daß jener Schein durch das Mondlicht hervorgebracht wurde, das sich an den Fenstern einer kleinen, mit einer der breiten Seiten an die Felswand lehnenden Kirche brachen. Wenige dunkle Gebäude und hohe Mauern umgaben sie, während die Wipfel mächtiger Fichten und Tannen aus der Tiefe über diese Mauern emporragten und so auch beim Tageslicht den Anblick des Klosters den Talbewohnern oder den wenigen Reisenden entziehen mußten.

Trotz der mangelhaften Beleuchtung begriff doch der Offizier mit militärischem Takt die Sicherheit, welche die von Tonelletto gewählte Stellung der Brigantenschar gewähren mußte.

Unterdes hatte das Geläut des Glöckchens längst aufgehört und Kapitän Chevigné hatte jetzt einige Mühe, die Klause zu finden.

Diese von Stein gebaut, ziemlich gerade über dem Kloster, steckte zwischen dem Gestein und nur der Schein einer Lampe durch das enge spaltenartige und glaslose Fenster ließ ihn sie endlich finden.

Der Offizier, den ein eintöniges Murmeln und der dumpfe Klang von Schlägen dahin leitete, klopfte an die kleine Tür, um sich dem Bewohner bemerklich zu machen.

»Wer ist es, der zu dieser Stunde noch einen Ort aufsucht, an dem die Glücklichen der Welt vorübergehen?« fragte nach einer Weile eine tiefe melancholische Stimme. »Nur der Sünder, der bereut und Buße tut, findet hier den Weg zum Heil – darum kehre zurück, Mann des Blutes und der Gewalt, wenn du es bist, wie ich vermute, der mich heimsucht.«

»Ich bin zwar auch ein Mann des Blutes und der Gewalt, wie jeder Soldat, hochwürdiger Bruder,« antwortete der Kapitän, »aber schwerlich der, welchen Ihr zu erkennen glaubt, denn ich bin zum erstenmal in dieser Einöde, die allerdings besser für einen heiligen Klausner paßt, als für einen munteren und noch sehr lebenslustigen Soldaten. Aber wenn Ihr der Klausner Fra Gerarro seid, habe ich eine dringende Botschaft für Euch.«

»So tritt ein und warte, die Tür ist unverschlossen.«

Dann begann der murmelnde Ton aufs neue und wiederum klatschte es wie von den Schlägen einer Peitsche auf einen hohlen harten Gegenstand.

Der Offizier, der mit spöttischer Miene diesen Tönen noch einige Augenblicke zuhorchte und der Meinung war, daß der Klausner seine Annäherung bemerkt hätte und ihn hier mit irgend einer religiösen Komödie zu täuschen für gut fände, öffnete die Tür und trat ein.

Wie wir bereits bemerkt haben, war die Klause von Stein gebaut, ein ziemlich enger Raum, dessen niedere Deckenwölbung mit der Hand zu erreichen war. In der Mitte dieser Wölbung öffnete sich ein kleiner niederer Turmbau, in dem die Glocke hing, die vorhin in Bewegung gesetzt worden war.

Der innere Raum der Eremitage war etwa zehn Schritte lang und sieben bis acht breit. Das matte Licht einer Lampe, die vor einem großen, aus dunklem Eichenholz gezimmerten Kreuz brannte, erhellte den Raum nur sehr ungenügend. Dies Kreuz mit einem jener Christusbilder, wie sie so häufig an den Wegen in katholischen Ländern stehen, erhob sich über einem kleinen Altar von rauhem Gestein, mit einer Binsenmatte bedeckt, der die Mitte der breiten Wand der Zelle einnahm. Der übrige Raum entbehrte jedes Schmuckes, denn die Wände der Klausur waren nicht einmal getüncht, sondern zeigten den rohen Stein. Ein Holzklotz an einer Seite bot die einzige Gelegenheit zum Sitzen, während auf der anderen Seite eine leichte Aufschüttung von getrocknetem Heidekraut und Moos mit zwei Ziegenfellen bedeckt das ärmliche und harte Lager des Klausners andeutete.

Merkwürdigerweise hing über diesem Lager an einem zwischen die Steine getriebenen Nagel ein Bild, eine ziemlich schlechte Lithographie, das Porträt des früheren Königs Louis Philipp von Frankreich darstellend.

Vor dem schlichten Altar auf dem bloßen Felsboden kniete der Einsiedler. Die gebeugte demütige Haltung ließ wenig von seiner Persönlichkeit sehen. Die braune Kutte, die er trug, war von dem Oberkörper zurückgeworfen und zeigte diesen entblößt, einen hagern Leib, Haut und Knochen, mit Striemen und Schwielen bedeckt.

Auch jetzt wieder, während die Lippen des Mannes Gebete murmelten, war seine Rechte beschäftigt, diese Wunden zu erneuern; denn sie schwang eine lange Geißel, deren einzelne Stränge von geflochtenem Leder gebildet und an den Spitzen mit kleinen eisernen Widerhaken versehen waren, die sich bei den wiederholten Schlägen über den Rücken häufig in das wenige Fleisch eingruben, und bei dem Zurückziehen höchst schmerzhafte Wunden rissen.

Kapitän Chevigné der anfangs bei diesem Abenteuer an eine Begegnung mit einer Wiederholung des berühmten Bruder Tuck aus Walter Scotts »Ivanhoe« gedacht, sah setzt wohl ein, wie sehr er sich geirrt, und daß er entweder einen jener Fanatiker des Glaubens vor sich hatte, die gleich den indischen Fakirs in der wütendsten Selbstpeinigung den Dienst ihres Gottes suchen, oder einen Unglücklichen, der Sühnung für schwere Sünden darin findet.

Er blieb deshalb – da der Klausner nach der Erlaubnis zum Eintritt, die er gegeben, sich nicht weiter um ihn kümmerte, sondern in seiner schrecklichen Andachtsübung fortfuhr, still an dem Eingang der Zelle stehen, bis jene beendet war, was übrigens bald der Fall.

Der Klausner zog die braune rauhe Kutte über seine blutenden Schultern, legte die Geißel zu den Füßen des Altars nieder, und nachdem er den Totenschädel, der unter dem Kreuz lag, geküßt und sich demütig bekreuzigt hatte, erhob er sich und wandte sich zu seinem nächtlichen Besuch.

Obschon die Kapuze der Kutte halb über den Kopf gezogen und das Licht der Lampe nur sehr matt war, konnte der Kapitän doch ein abgezehrtes Gesicht mit kühn gebogener Nase und dunklen feurigen Augen erkennen, das wahrscheinlich einst von aristokratischer Schönheit gewesen sein mußte. Trotz des asketischen Lebens und der schweren Bußübungen, denen der Mann sich unterwarf, und die ihre Falten auf seine Stirn gezeichnet, konnte er doch nicht älter als höchstens sechzig Jahre sein. Seine Gestalt war groß und hager und die Hand, mit der er das Zeichen des Kreuzes zum Gruß gegen seinen unbekannten Besucher machte, war weiß und schmal.

»Gegrüßt seist du Maria!«

»In Ewigkeit, Amen!«

» Dominus vobiscum! Wer bist du und wo kommst du her, um in so später Stunde, die dem Versucher der Menschen gehört, die Andacht eines armen sündigen Mannes zu stören? Wenn du Schätze und Raub suchst, du findest hier nichts als ein armseliges fluchbeladenes Leben, das nach der Erlösung des Herrn dürstet.«

Der Kapitän trat aus dem Schatten, in dem er bisher unter der Tür gestanden, näher in den Lichtkreis der Lampe. »Ich komme im Auftrage des Capitano Tonelletto!«

»Dann kommst du von einem großen Verbrecher, wenn er auch sonst einige gute Eigenschaften besitzen mag, der nicht an das Heil seiner Seele denkt. Aber wer bist du selbst?«

»Ich bin der Kapitän Raoul de Chevigné, Offizier in der Armee des päpstlichen Stuhls und gegenwärtig Führer eines Freikorps in diesen Gebirgen.«

»Chevigné? Raoul de Chevigné?« sagte mit tiefer zitternder Stimme der Eremit, dessen Gestalt wie von einer jähen Erschütterung erbebt war unter der Nennung dieses Namens, – »dann bist du ein Franzose?«

»Ich rühme mich es zu sein, ehrwürdiger Vater.«

»Aus Paris, dem Pfuhl aller Sünde?«

»Nicht gerade aus Paris, das Ihr mit einem so schlimmen Titel belegt, sondern aus der Vendee, aber ich habe lange genug in diesem übel beleumundeten und doch so reizenden Gomorrha gelebt, um für einen Pariser gelten zu können.«

Der Klausner schien auf den frivoleren Ton, den der Offizier anzuschlagen versuchte, nicht zu achten und in tiefes Nachdenken versunken zu sein, während seine Lippen leise das Gebet des Herrn murmelten: Ne nos inducas in tentationem!

Dann erhob er den Kopf und sagte, – während er bisher in italienischer Sprache geredet – im besten Französisch – »Welcher Auftrag führt Sie zu mir, Herr Kapitän?«

»Ah – Sie sprechen französisch, hochwürdiger Herr?«

»Ich lernte es in meiner Jugend, als ich noch der Welt gehörte. Ich bitte Sie, meine Frage zu beantworten.«

»Der Auftrag ist allerdings etwas eigentümlich, da er sozusagen, in nichts besteht. Capitano Tonelletto, der die italienische Abteilung unserer Freikompagnie kommandiert, lagert aus der anderen Seite des Gebirges am Fuß dieser Felsenwand.«

»Ich habe die Feuer diesen Abend gesehen.«

»Er ist gestern in einem Gefecht, das wir mit den Piemontesen hatten, am Fuß verwundet worden und so verhindert, selbst zu Ihnen zu kommen.«

»So wünscht er meinen geistlichen Trost und die geringe Kenntnis der Wundarzneikunde, die ich mir im Lauf der Jahre erworben? Ich bin sogleich bereit, Sie zu begleiten.«

»Es wird ihm ohne Zweifel sehr lieb sein, Sie zu sehen, hochwürdiger Herr,« sagte lächelnd der Kapitän, »aber es hat dies nicht solche Eile, da die Wunde keineswegs gefährlich ist und ihn nur für kurze Zeit an der Benutzung des Fußes verhindert. Aber er hatte einen Auftrag an Sie, der auf das Schleunigste ausgeführt werden sollte.«

»Von wem? woher?«

»Von wem kann ich Ihnen eigentlich nicht sagen. Er erhielt ihn in Rom!«

»In Rom?«

»So ist es – er war vor zwei Tagen noch dort und empfing von einem geistlichen Oberen, wie er mir sagte, den Befehl, Ihnen dies leere Blatt zu überbringen und sich ganz zu Ihrer Disposition zu stellen.«

Die Aufmerksamkeit des Klausners schien plötzlich sehr rege geworden. Entgegen der bisherigen finstern Ruhe griff er hastig nach dem Blatt, öffnete es und besah es von allen Seiten. Dann wandte er sein dunkles scharfes Auge auf den Offizier.

»Können Sie mir wirklich nicht näher sagen, Herr von Chevigné woher Tonelletto dies Blatt erhielt?«

»So viel er mir vertraute, von einem geistlichen Rat.«

»Dem Consiglio …?«

»Dem Consiglio di Tri!«

»Ah Sie wissen darum – Sie sind ein Vertrauter? Dann wissen Sie zu schweigen!«

Er ging nach der Ecke der Klause, zog einen losen Stein aus der Mauer, und nahm eine kleine Phiole heraus.

»Entschuldigen Sie, mein Sohn,« fuhr er fort, »daß ich Ihnen in diesem armen Raum keinen anderen Sitz anbieten kann, als jenen Baumstamm. Ich selbst benutze ihn nie, da mein Platz die Erde ist, außer wenn ich die Beichte einer bedrängten Seele hören muß, die Trost und Hilfe bei einem sucht, der selbst der Fürbitte der Heiligen und der Vergebung Gottes so sehr bedarf, wie irgendein Mensch auf Erden.« Er wies nach dem Holzblock am anderen Ende der Klause und der Offizier setzte sich dorthin, indem er fortfuhr, das Gebaren des Eremiten sorgfältig, aber mit allem Anschein der Gleichgültigkeit zu beobachten.

Der Klausner nahm einen alten Blechnapf aus dem Winkel, füllte ihn zur Hälfte mit klarem Wasser aus einem irdenen Krug und goß dann einige Tropfen aus der Phiole in den Napf.

Der Offizier bemerkte, daß sofort ein leichter Dampf aus der Schale emporstieg. In diese Flüssigkeit tauchte der Eremit das erhaltene Blatt und zog es dann auf beiden Seiten über die Flamme der Lampe.

Das scharfe Auge des Offiziers bemerkte, daß sofort auf beiden Seiten des Papiers eine schwarze Schrift sichtbar wurde.

Nachdem der Klausner das Blatt getrocknet, begann er diese Schrift, die in Chiffern bestand, zu lesen.

Er hatte zu diesem Zweck die Kapuze, die bisher seinen Kopf verhüllt, zurückgeschlagen und der Kapitän fand, daß er sich in seinen Schlüssen über das Aussehen des Eremiten nicht getäuscht hatte. Die Stirn war hoch und kräftig, von einem Kranz ergrauender Haare umgeben, der die Tonsur zeigte. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und schwere Falten auf den hageren Wangen. Es war etwas in dem Gesicht, was eine große Trauer, eine ewige innere Unruhe des Geistes verkündete, während der untere Teil, das knochige Kinn, der Mund auf gewaltige Leidenschaften schließen ließ, die nur durch schwere Kämpfe des Geistes unterjocht schienen. Dem Kapitän war es wie jenes dunkle Träumen der Erinnerung oder der Zukunft, als müsse ihm dies Gesicht schon vor langen langen Jahren begegnet sein.

Der Gegenstand dieser Beobachtungen hatte das Lesen des Blattes beendet, die Kapuze wieder über seinen Kopf gezogen und lehnte sich ohne ein Wort zu sagen in tiefem Nachdenken an die Steinwand seiner Klause. Der Franzose empfand, daß es sich offenbar um eine wichtige Botschaft handelte und wagte es daher nicht, die Stille zu unterbrechen.

Endlich stieß der Geistliche einen schweren Seufzer aus, neigte sich vor dem Kreuz, an seine Brust schlagend, und wandte sich zu dem Kapitän.

»Der Wille derer, die im Namen der Kirche zu gebieten haben, muß geschehen,« sagte er mit traurigem leisen Ton, »wenn auch das schwache Auge des Dienenden seine Weisheit nicht zu erkennen vermag. Gott und die Heiligen mögen geben, daß es nicht selbst zum Schaden der Kirche ausschlage. – Ich muß Sie verlassen, mein Sohn, denn eine dringende Pflicht gebietet es, und doch hätte ich so gern noch mit Ihnen gesprochen, da es seit Jahren das erstemal ist, daß ich einen Franzosen wiedersehe, einen Sohn des Landes, das ich in meiner Jugend kannte. Wenn ich auch längst abgeschlossen mit jener Welt da draußen, während selten Nachricht aus ihr in unsere Abgeschlossenheit dringt, wo wir nur der Reue und Buße leben, möchte ich doch nicht die Gelegenheit versäumen, einige Fragen zu tun.«

»Dann, hochwürdiger Herr, erlauben Sie mir, Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Sprechen Sie, mein Sohn!«

»Wir haben heute einen starken Marsch gemacht und ich fühle mich doch etwas ermüdet. Überdies könnte ich mich – da ich meinen Wegweiser zurückgeschickt habe, – bei der Rückkehr in unser Lager in diesem Felsenlabyrinth leicht verirren. Wenn Sie mir also sagen wollen, wann Sie zurückkehren und mir die Bewachung Ihrer Wohnung unterdes anvertrauen wollen, würde ich gern hierbleiben und mich ein wenig ausruhen.«

Der Klausner lächelte trübe bei diesem Vorschlag: »Sehen Sie sich um, mein Sohn, und fragen Sie sich selbst, ob dieser Raum Ihnen irgendeine Bequemlichkeit bieten kann? Nicht einmal eine Erfrischung bin ich imstande, Ihnen anzubieten; denn ich lebe nur von dem Wasser des Bergquells und einer Hand voll Mais.«

»Bah! ich bin Soldat und an ein hartes Lager gewöhnt. Überdies habe ich bereits tüchtig zur Nacht gegessen.«

»So sei es, wie Sie wollen. Ich werde unter zwei bis drei Stunden nicht zurückkehren und wenn es Ihnen nicht zu hart dünkt, bitte ich Sie mein Lager zu benützen. Morgen bei Sonnenaufgang nach dem Frühgebet werde ich Sie selbst in das Lager dieses blutigen Mannes zurückbringen.«

»Ich bin damit einverstanden und bitte Sie, um mich sich weiter keine Sorge zu machen.«

»Dann nehme der Herr Sie in seinen Schutz!«

Er machte das Zeichen des Kreuzes gegen ihn, und als der Offizier, der sich erhoben hatte, um seine Büchse in einen Winkel der Klause zu stellen und sich's bequem zu machen, jetzt sich wieder umsah, war der Einsiedler verschwunden.

»Holla,« sagte der Kapitän, »ich habe nichts davon gehört, daß die Tür geöffnet wurde, was doch jedenfalls hätte geschehen müssen, wenn nicht Hexerei oder ein Taschenspielerstück dabei ist. Da aber ein guter Soldat stets die Sicherheit seines Lagers prüft, werde ich mit Seiner Hochwürden Erlaubnis zunächst dasselbe tun.«.

Er nahm die Lampe und leuchtete vorsichtig an den Wänden umher. Als er in die Nähe des Steinaltars kam, machte ein Luftzug die Flamme erzittern und löste ihm alsbald das Rätsel.

Hinter dem Altar und von diesem verdeckt zeigte, die Felswand ein dunkel gähnende Öffnung, so breit und hoch, daß gerade ein Mensch sie passieren konnte. Unregelmäßige Stufen, die in die Tiefe führten, zeigten ihm, daß hier ein Gang in das Innere des Felsens lief.

» Parbleu!« brummte der Kapitän, »der Weg dort hinunter steht sicher mit einem nähern Ausgang nach dem Kloster in Verbindung, und wenn ich nicht Gelegenheit gehabt hätte, mich zu überzeugen, daß es diesem seltsamen Eremiten Ernst ist mit seiner Reue und Buße, würde mir dieser Weg zu seinen Beichttöchtern etwas verdächtig erscheinen. Aber zum Henker, was geht's mich an, ich habe nicht danach zu fragen und will einstweilen den Anachoreten spielen und mich auf dies allerdings etwas harte Lager strecken. Wenn ich nur erst wüßte, wo mir dies Gesicht schon vorgekommen!«

Er tat wie er gesagt, und die Hand am Griff seines Revolvers schlief er erschöpft bald ein.

Der Offizier mochte etwas mehr als eine Stunde geschlafen haben, wobei es ihm träumte, er sei in der großen Oper zu Paris und höre den Gesang des Chors, als er erwachte.

Er rieb sich erstaunt die Augen und blickte umher – über ihm das öde Steingewölbe, im matten Schein der Lampe das riesige Kreuz mit dem bleichen Bilde des Heilands – er befand sich noch immer in der Kapelle des geheimnisvollen Eremiten. Aber wenn ihn auch der Sinn des Gesichts nicht täuschte, so schien dies desto mehr mit dem des Gehörs der Fall. Der ganze Raum schien erfüllt von wunderbaren Klängen, die ernst und feierlich an sein Ohr drangen. Es war das Miserere Domino – der Psalm Ex profundis clamor ad Te – gesungen von unsichtbaren Sphärenstimmen, die ihn zu umschweben schienen und sich an dem niedern Gewölbe brachen, so trauernd, so klagend, daß der starke Mann seine Seele erbeben fühlte.

Er sprang von seinem Lager empor und schaute sich um, den Zauber zu lösen, ohne doch die Lösung finden zu können, ja es war ihm, als kämen all diese klagenden Töne von dem Kreuz her, an dem sich das Christusbild in dem flackernden Licht der Lampe zu regen schien. Endlich zuckte ihm ein Gedanke durch den Sinn, er sprang nach der Öffnung in der Felswand und überzeugte sich sofort, daß aus dieser die Klänge des Gesanges mächtig emporschwollen, fast als müßten sie in großer Nähe ihren Ursprung haben.

Es war ihm alsbald klar, daß sie aus der Kirche des Klosters kommen mußten, und da er sich erinnerte, daß die Seite der ersteren an die Felswand sich lehnte, erklärte er sich das Rätsel dahin, daß der unterirdische Felsengang wahrscheinlich sich in das Schiff der Kirche öffnete und die eigentümliche Beschaffenheit des Gesteins für die Resonanz günstig, ja verstärkend sie bis auf die Höhe des Felsens trug. Eine unbezwingliche Neugier war in ihm erwacht, sich davon zu überzeugen, und da kein Verbot des Bewohners der Klause ihn von Nachforschungen zurückhielt, ergriff er hastig die Lampe und trat, sie mit der Hand gegen den Luftzug schützend, in die gähnende Öffnung der Felswand.

Je tiefer er vorsichtig auf den rohen unebenen Stufen hinabstieg, desto mächtiger schwollen ihm die Töne entgegen. Übrigens wurde der in den Felsen gehauene Gang schon nach einigen Schritten etwas breiter und höher, so daß er sich leicht und ungebückt darin bewegen konnte. Die Luft war trocken und rein und er überzeugte sich leicht, daß dieser Weg in häufigem Gebrauch sein mußte. Als er etwa dreißig bis vierzig Stufen niedergestiegen war, teilte sich der Gang in zwei verschiedene Richtungen; von dem Gesang geleitet, folgte er aber dem Hauptweg. Seltsamerweise wurden jedoch, je weiter er jetzt kam, die Töne immer schwächer, ja sie schienen endlich gänzlich zu ersterben, und er glaubte schon, der nächtliche Gottesdienst müsse zu Ende sein, oder er habe dennoch die falsche Richtung eingeschlagen, als sie plötzlich mit voller Kraft und ganz nahe wieder an sein Ohr schlugen. Er blieb stehen und sah in der Wand zur Seite eine Öffnung gleich der in der Zelle des Klausners, welche auf die gemauerten Stufen einer Wendeltreppe führten, während vor ihm der schon seit einiger Zeit eben fortlaufende Gang sich im Dunkel verlor.

Sei es, daß er die Lampe vor dem Luftzug aus der Tiefe nicht genug beschützt, oder daß der Docht zu Ende war – das Flämmchen zuckte noch einmal empor und verlosch dann.

Aber während er sich erschrocken anfangs in undurchdringliche Finsternis gehüllt glaubte, bemerkte er bald vor sich einen bleichen Schein.

Sich vorsichtig an den Wänden haltend, tappte er weiter, fühlte, daß der Gang hier eine Wendung machte und, einige Stufen emporsteigend, sah er sich plötzlich in einem Raum, der von zwei Seiten matt erhellt war.

Noch einige Schritte vorwärts und er erkannte die Ursache.

Schmale fensterartige Öffnungen wölbten sich nach beiden Seiten, wie er bei einer genaueren Betrachtung sehen konnte, von außen durch die Schnörkel und Verzierungen des Baues gebildet und halb verborgen. Er befand sich auf der Höhe der schmalen Wand der Kirche und blickte von der einen Seite in deren Schiff hinab, von der anderen in einen Ort, dessen Anblick in dem gespenstigen Licht des Mondes noch unheimlicher schien, als selbst die halbfinstere Kirche.

Es war das Campo Santo des Klosters, der Begräbnisplatz der geheimnisvollen Bewohnerinnen. Von hohen Mauern auf beiden Seiten umschlossen, während die dritte die Felswand, die vierte die Kirche bildete, war es ein Oblongum von etwa zwanzig Schritten Länge und verhältnismäßiger Breite. Große grabsteinartige Steinplatten bedeckten den Boden, in dessen Mitte sich die runde Granitschale eines Springbrunnens etwa anderthalb Fuß über dem Boden erhob. Ein riesiger steinerner Totenkopf von weißem leuchtenden Marmor, aus dessen hohlen Augen und gezahnten Kiefern sich rauschend das Wasser ergoß, bildete das Mittelstück des Bassins.

Rings um diesen Raum lief mit erhöhter Stufe ein zur Seite offener, schmaler Bogengang, dessen Rückwand von Feld zu Feld mit stehenden Grabsteinen belegt war.

Diese Grabsteine waren gleichfalls von weißem Marmor und enthielten statt der Inschrift ein großes schwarzes Kreuz, unter dessen Fuß sich eine lateinische Zahl befand. Alles hatte ein schauerliches, vermodertes Aussehen und machte den Eindruck eines verfallenen Grabes. Das Auge des Kapitäns, wie es gefesselt von diesem Eindruck über die trostlose Öde des Ortes lief, zählte vierzehn solcher Grabsteine.

Die verhallenden Töne zu seiner Linken zogen endlich seine Blicke von diesem Orte ab und in das Schiff der Kirche.

Das Innere derselben war nicht viel größer als die Begräbnisstätte auf der andern Seite der Mauer. Ihm gegenüber befand sich eine kleine Orgel, unter ihm der einfache Hochaltar mit dem Chor, der durch ein schweres Eisengitter von dem Schiff getrennt war. Das Gitter war jetzt geöffnet und innerhalb desselben bemerkte der Offizier eine Reihe dunkler tief verhüllter Gestalten knien.

Mitten im Chor, nur von vier Kerzen beleuchtet, stand ein offener Sarg, – in dem Sarg lag auf einem schwarzen Sergetuch ein Gerippe als furchtbare Mahnung an den Tod.

Vor dem Altar kniete der Einsiedler, jetzt mit Stola und Skapulier geschmückt, hinter ihm eine in dunkle Nonnengewänder gehüllte Frau, während vor den Stufen des Altars eine Bahre mit einer geringen Matratze stand. Auf dieser lag, offenbar in den letzten Stadien der Krankheit, in der Agonie des Todes, eine Frau – eine Nonne, deren bleiches, eingefallenes Gesicht noch die Spuren der Jugend und Schönheit trug. In ihren abgemagerten Händen hielt sie ein Kruzifix.

Noch einmal erhob sich der Gesang von den auf dem Orgelchor und im Schiff der Kirche unsichtbaren Sängerinnen und verhallte in einem Eleison.

Dann murmelte der Priester am Altar die Litanei:

» Sancta Maria, ora pro ea!«

und der Chor der Betenden murmelte respondierend:

» Ora pro ea!«

» Suspice Domine servam tuam in locum sperandae sibi salvationis a misericordia tua!«

» Amen!«

Und der Priester schloß:

» Ut vinculis carnis exutus, pervenire mereatur ad gloriam regni coelestis: praestante domino nostro Jesu Christo: Qui cum Patre et spiritu sancto vivit et regnat in saecula saeculorum«

und als der Chor sein Amen! geantwortet, kamen aus dem Schiff der Kirche vier kräftige, in grobes Leinen gekleidete Weiber, auf deren unverschleierten finstern Gesichtern keine Spur von Mitleid und Teilnahme sich ausprägte, traten in das Chor und hoben die Bahre mit der Sterbenden auf. Dann schritten sie langsam mit ihrer Last an dem Hochaltar vorüber, von dessen Stufen der Priester der Leidenden seinen Segen spendete, und hinter ihnen drein reihte sich der Zug der tief verhüllten Nonnen und anderer Frauengestalten, gekleidet wie die Trägerinnen. So machte der Zug den Umgang im Chor, verließ dasselbe alsdann und verschwand im Schiff der Kirche durch eine Tür, die in das Innere der Klostergebäude führen mußte.

Nur der Einsiedler und die Äbtissin, die Nonne, die am Hochaltar gekniet, blieben in der einsamen Kirche zurück.

Der Einsiedler zog sich einige Augenblicke zurück hinter den Hochaltar, um die Gewänder des Gottesdienstes abzulegen, dann kam er in seine rauhe Kutte gehüllt zurück.

»Schwester Barbara,« sagte er, »du hast den Befehl des heiligen Rates gehört, sprich, was du beschlossen hast.«

Die Äbtissin hatte sich erhoben, es war eine hohe Gestalt, fast so groß wie der Klausner selbst. »Ich habe im Gebet gerungen während dieser Zeit,« sagte sie in italienischer Sprache, der gleichen, in welcher der Klausner die Frage getan hatte. »Die Hirtin hat keine Macht über die Herde, wenn der Herr sie fordert. Die Tiefen der Gräber mögen sich öffnen und ihre Toten herausgeben, die Hölle auftun ihren Schlund, daß die Sünde und der Fluch aufs neue treten an das Licht der Sonne – was kümmert's uns!«

»So hast du gewählt?«

»Sechs! – ich finde die siebente Sünde nicht unter denen, welche noch die Welt mit ihrem Odem verpesten können. Komm!«

Sie schritt ihm voran hinter den Hochaltar, und der Offizier, der zwar nicht alle Worte, aber doch genug verstanden hatte, um seine größte Aufmerksamkeit zu fesseln, und ihn auf alle Gefahr hin zum längeren Verweilen zu veranlassen, hörte unter sich eine Tür schließen.

Gleich darauf traten die beiden in den umschlossenen Raum des Camposante.

Das Licht des Mondes erhellte diesen noch immer mit jenem farblosen Schein, der Ruinen und alte Gebäude so gespensterhaft erscheinen läßt.

Die Äbtissin hatte sich auf den Rand des Brunnens gesetzt und winkte ihrem Begleiter, neben ihr Platz zu nehmen. Der lauschende Offizier konnte jetzt ihr Gesicht sehen. Es war von einer Blässe und Härte, die mit dem Marmor des Totenkopfes wetteifern konnte, und hatte den Ausdruck gefühlloser Strenge. Zwei große schwarze Augen blickten durchbohrend, wenn sie aufgeschlagen sich auf einen Gegenstand richteten, während sie für gewöhnlich an den Boden geheftet blieben.

»Ich glaube, die Zahl wird genügen, obschon der Befehl lautet: die sieben Todsünden! Die jüngsten und schönsten!«

»Die Jüngsten und Schönsten!« wiederholte die Äbtissin mit spöttischem Ton. »Ich sollte meinen, daß Jugend und Schönheit in diesen Mauern nicht lange dauern!«

»Die großen Sünden der Menschheit erneuern sich ewig, wie die Wellen der Brandung. Ist es gestattet, dich zu fragen, Schwester Barbara, welches die Sünderinnen sind, die für die Zwecke des heiligen Kollegiums ihre Buße unterbrechen und in die Verlockungen der Welt zurückkehren sollen?«

»Du weißt, Fra Gerardo, daß die Frauen, die in dieses letzte Asyl der Schuldigen kommen, selbst für uns keine Namen haben dürfen. Ihre Sünden sind dir bekannt aus der Beichte.«

Der Geistliche senkte das Haupt. »Es sind seit den zehn Jahren, die ich dieses Asyl bewohne zur Strafe für die Vergangenheit, wie auch du Schwester Barbara, der Sünderinnen so viele an diesen Ort irdischer Strafe und irdischer Sühne gesandt worden, daß ich mich ihrer einzelnen Taten nicht erinnern mag. Auch verbietet es mir mein Priestereid. Ich rede von dem, was der Welt bekannt geworden und dich veranlaßt hat, sie zu wählen!«

Die Klosterfrau warf einen raschen funkelnden Blick auf ihn. »Jeder von uns hat seine Vergangenheit – es ist nicht gut daran zu rühren, und ich habe nie nach der deinen gefragt, obwohl ich wissen kann, daß nur die Büßung für schweres Verbrechen gegen Gott und die Menschen dich zu diesem Amt bestimmt haben kann. Aber höre!«

»Ich höre!«

Die Äbtissin wies mit der Hand nach einem der Grabsteine an der Mauer der Arkaden. »Die Hoffart!« sagte sie.

»Die Schwester Giuliana!«

»Sie glaubt aus dem Blut eines Königs zu stammen. Ihr Stolz hat ein großes Land in schwere Kämpfe gestürzt und Ströme von Blut sind durch sie geflossen. Es ist gut, daß die Weisheit des Vatikans ihrem Leben ein Ziel gesetzt hat.«

»Wird dieser Kampf sich nicht erneuern?«

»Nein – sie ist gestorben für die Welt; in der Fürstengruft ihrer Ahnen steht ein leerer Sarg.«

»Leider haben selbst die strengsten Bußen ihren starren Sinn nicht gebeugt, der noch immer an irdischer Eitelkeit hängt. Die nächste der Todsünden ist der Geiz!«

»Der Geiz und die Habsucht – sie sind Brüder. Konnte ich eine bessere wählen, als die Schwester Martina? Das Schafott wartete ihrer, als sie sich der heiligen Kirche in die Arme warf. Sie hat zwei Gatten vergiftet und ihr eigenes Kind, um ihr Erbe zu gewinnen!«

»Das Scheusal – ihre Reue ist eine Heuchelei. – Du nennst die dritte nicht, die Unkeuschheit

»Es ist die Sünde der Welt – sie gehört allen!«

»Aber die Schwester Elena ist ihr erster Dämon. Mit fünfzehn Jahren verführte sie als Novize den Beichtiger des Klosters und floh mit ihm von Neapel nach Paris. Als sie nach drei Jahren unter dem Schutz eines englischen Ketzers zurückkehrte, war sie die Königin der Wollust und alle Sünder Roms und Neapels lagen zu ihren Füßen.«

»Aber das erklärt nicht, Schwester Barbara, warum sie hier ist, da sie damals noch nicht das Gelübde getan.«

»Eine freche Wette in Rom zog ihr die Strafe zu. Sie hatte mit einem Grafen aus Florenz gewettet, drei Kardinäle in ihre verfluchten Netze zu ziehen!«

»Die Frevlerin!«

Wieder fiel ein durchbohrender höhnischer Blick der Oberin auf den Klausner.

»Man sagt, daß es ihr bei zweien gelang. Der Florentiner starb plötzlich – wie es heißt an Gift. Auf der Flucht wurde sie ergriffen und in das Gefängnis der Inquisition gebracht.«

»Sie ist würdig der Aufgabe, die ihr geworden. Möge dieser Ort für immer von ihr befreit sein. Aber die Todsünde der Völlerei

»Wer könnte sie würdiger repräsentieren, Fra Gerardo, als eine Tochter deines eigenen Landes.«

»Vor dem Altar des Herrn gibt es nicht Franzosen, nicht Italiener oder Deutsche – nur bereuende Christen.«

»Theresa ist eine Tochter des Gomorrha Paris. Die halbe Welt hat der frechen Bänkelsängerin zu Füßen gelegen und Millionen sind in Üppigkeit und Laster durch sie verschwendet worden. Wer zählt die Toren, die sich um sie ruiniert?«

»Und wie kam sie hierher?«

»Die Hand eines Mächtigen, der einst zu ihren Liebhabern gezählt und dessen Geheimnisse sie kennt, soll dabei im Spiel sein. Sie folgte der französischen Armee nach Italien, denn die Courtisane, die so lange jedes Gefühl verhöhnt, war in wilder Leidenschaft für einen jungen Offizier entbrannt, der sie verachtete. Als ihr die Nachricht wurde, er sei bei Solferino gefallen, nahm sie den Schleier.«

»Die Unglückliche fiel also in ihre Laster zurück?«

»Das, Fra Gerardo, muß ihr Beichtiger besser wissen als ich!«

»Du weißt, Schwester Barbara, was die strengen Regeln dieses Klosters bestimmen. Das Grab hat sich über jenen Unseligen geschlossen und nur einmal des Jahres gewährt die heilige Kirche ihnen Trost unter Vorsichtsmaßregeln, die selbst die Beichte beschränken.«

»Man sagt, daß wenige Monate darauf durch Zufall in die Mauern ihres Klosters die Nachricht drang, daß jener Offizier nicht gefallen, sondern nur verwundet worden. Da erwachte der Teufel aufs neue in ihrem Herzen und sie versuchte dreimal aus dem Kloster zu entfliehen, indem sie das letztemal das Refektorium in Brand steckte, wobei zwei der Schwestern in den Flammen umkamen.«

»Die Gnade der Heiligen sei mit ihren Seelen und erlöse sie bald aus dem läuternden Feuer. Es ist eine furchtbare Reihe von Verbrechen, die diese Mauern verbergen.«

»Dort ist der Neid! Die Schwester Matilda ist nicht jung mehr, aber ihr Herz ist voll Haß gegen alles was lebt und den Schein der Sonne genießt.«

»Sie ist eine Fremde in diesem Lande!«

»Man brachte sie aus Polen hierher. Sie vergiftete die Seele ihrer Schwestern mit den schändlichsten Ketzereien und reizte sie zu offenem Widerstand. Der Priester Czerski, jener Abtrünnige von Rom, soll ihr Lehrer sein.«

»Nur in dem unbedingten Gehorsam gegen die Kirche ist der Frieden der Seele zu finden.«

»Die Inquisition hat sie verurteilt. Vor dreihundert Jahren hatte sie den Scheiterhaufen bestiegen.«

»Dreihundert Jahre, Schwester Barbara,« sagte der Priester nachdenklich – »sind eine lange Zeit und die Anschauungen der Menschen wechseln, wie die Geschichte der Völker.«

»Aber die Lehren der heiligen katholischen Kirche sind unwandelbare Felsen, an denen alle Wogen zerschellen müssen, die an ihr zu rütteln versuchen.«

»Du nennst die Sechste nicht!«

Ein Blitz des Hasses zuckte über das Marmorgesicht der Oberin, als sie die Hand nach der letzten Zelle in der Reihe ausstreckte.

»Die Trägheit,« sagte sie mit tiefem Ton, der selbst zu dem Ohr des Lauschers verständlich drang, während er von dem andern Teil der Unterredung nur weniges verstanden hatte. »Schwester Carlotta!«

»Die Jüdin?«

»Die getaufte Jüdin – die ehemalige Sängerin.«

»Und ihr Verbrechen?«

»Sie ist zu träge zur eigenen Sünde, deshalb war sie das Werkzeug ihrer Umgebung. Eine Familie auf einem der katholischen Throne Europas ist durch sie in schwerer Gefahr gewesen, – ein Selbstmord, von dem die Welt redet, war durch sie veranlaßt.«

»Aber das Recht des heiligen Consiglio an ihr?«

»Sie ist eine Abtrünnige, die sich wieder dem Judentum zugewendet, und den Sohn, den sie geboren, ihrem von Gott verfluchten Stamm übergeben hat, weil sie nicht die Kraft besaß, dem Drängen ihrer Verwandten zu widerstehen.«

»Gar viele Sünde kommt aus der Schwäche. Du hast die Hauptsünde vergessen, die den Mord in die Welt gebracht: den Zorn

»Wer von jenen hätte nicht den Mord auf sich geladen? In den Adern der Töchter des Südens rollt ein feuriges Blut und die Rache ist ihre Natur. Ich kann nicht wählen unter den Sünderinnen, wo – wie du weißt durch das Geheimnis der Beichte – ich selbst die größte war!«

»Gott hat dir deine Sünden vergeben, Schwester, durch den Mund des heiligen Vaters selbst,« sagte traurig der Klausner, indem er demütig das Haupt beugte und über die eigene Brust das Zeichen des Kreuzes schlug. »Der Zorn ist eine böse Leidenschaft in dem Herzen der Menschen und die Heiligen mögen jeden davor bewahren, denn schlimme Taten entspringen aus ihm.«

Die Klosterfrau ließ fest ihre dunklen Augen auf ihm haften. »Ich büße das Blut, das ich vergossen,« sagte sie leise, »mit dem schweren Amte, das die Hand der heiligen Kirche mir auferlegt hat, und das mich von allem geschieden, was einst das Leben groß und wert machte!«

Der Klausner reichte ihr die Hand: »Arme Fürstin – arme Schwester!« sagte er mit Gefühl. »Aber glaube mir, denn auch ich habe die Größe und Herrlichkeit der Höfe gesehen, alle Macht, aller Reichtum ist nur die Verführung, uns desto unvorsichtiger den schlimmen Leidenschaften unseres Innern zu überlassen, und den Mächten der Finsternis Gewalt zu geben über uns. Nur in der Armut und in dem Gehorsam liegt die Ruhe. Härter als dich trifft mich der Befehl der Oberen; denn ich bin es, der jenen Unglücklichen aufs neue die Pforten der Sünde öffnen soll; aber wenn auch meine blöden Augen den Zweck nicht erkennen, die Pflicht des Gehorsams beruhigt mein Gewissen.«

Die Äbtissin hatte sich erhoben, die augenblickliche Aufregung, die sie überwältigt, hatte der früheren steinernen Ruhe Platz gemacht.

»Wann soll es geschehen?« fragte sie.

»Um die nächste Mitternacht. Der Morgen muß sie weit von hier finden, damit sie nicht wissen, wo sie gewesen.«

»Und wie sollen Sie ihren Weg finden?«

»Ich werde darüber nachdenken in dieser Nacht. Die große Straße nach Neapel ist nur zehn Miglien von hier. In Rionero können sie dieselben erreichen. Vielleicht mag Tonelletto, ohne näheres zu wissen, uns Beistand leisten. Ich werde ihn morgen früh besuchen.«

»Wiederhole mir nochmals den Befehl, Fra Gerardo!«

Der Klausner zog das geheimnisvolle Blatt aus der Kutte und hielt es gegen das Mondlicht, das hell und klar genug war, ihn die Chiffern erkennen zu lassen.

»… nach Ponte Corvo zu senden an den Bürger Nicolo Valdieri, ihren Lastern sie zu überlassen, nachdem die Schrecken des Todes ihren Gehorsam verbürgt! Der Fluch ihrer Sünden gehe vor ihnen her und folge ihnen nach.«

Der Klausner verbarg das Blatt wieder, nachdem er die schrecklichen Worte gelesen. »Es müssen schlimme Dinge draußen vorgehen in der Welt, Schwester Barbara,« sagte er kopfschüttelnd, »daß man zu solchen Mitteln greift, auf die Menschen zu wirken. Es kommen selten Nachrichten in unsere Einsamkeit.«

»Die letzten, die Eufemia, die Laienschwester, von den Bauern des Gebirges brachte, bei denen sie die geringen Einkäufe des Klosters besorgt, sprachen von schwerer Kriegsnot, die über dem Lande liegt und die Macht der heiligen Kirche bedroht. Du weißt, daß es verboten ist, ein Zeitungsblatt in diese Mauern zu bringen.«

»Aber die strengen Regeln deines Ordens schließen doch nicht die Ohren. Es ist ein französischer Offizier bei der Bande, ein Soldat des Papstes, und ich halte es für Pflicht, mich nach dem allgemeinen Stande der Dinge zu erkundigen, damit nichts geschieht, was dem Befehl von Rom zuwider wäre.«

»Tue, wie du willst – es ist Zeit, in meine Zelle zurückzukehren! Deinen Segen, Vater. Wenn die Schwester Angelika ihre sündige Seele dem Herrn zurückgegeben hat, werde ich es dir melden und ihr Grab hier bereiten lassen.«

Sie beugte das Knie vor ihm, und er erteilte ihr den Segen.

Dies war der Augenblick, wo der französische Offizier, mit seinen Händen an den Wänden sich den Weg suchend, eilig seinen Lauschort verließ und in den Gang zu der Klause nieder und diesen dann emporstieg. Er hatte sich auf dem Weg genau die Beschaffenheit des Ganges gemerkt, und sich stets zur Linken haltend, gelang es ihm freilich nicht ohne Beulen und Quetschungen, den Eingang der Zelle wieder zu erreichen. Er stellte die Lampe an ihren Platz und warf sich hastig auf das Mooslager im Winkel.

Obschon er sich vorgenommen hatte, bis zum Wiedererscheinen des Eremiten wach zu bleiben, verwirrten sich doch bald die Bilder seiner Gedanken und seiner Phantasie und lange vorher, ehe der Klausner den öden Raum betrat, tanzte in seinen wirren Träumen das Gerippe der Kirche mit der strengen Äbtissin eine Polka und die Capitana Maria enthüllte sich als der ehrwürdige Klausner, der zwischen den Gräbern der Nonnen ein lustiges Räuberlied sang.

Das Tageslicht glänzte bereits durch die Scharten der Wand, als die Hand des Einsiedlers leise den Arm des Schläfers faßte und ihn weckte. Mit der Übung des Soldaten sammelte augenblicklich der Franzose seine Gedanken und richtete sich auf dem Lager empor.

» Parbleu, hochwürdiger Vater,« sagte er, »ich habe lange und fest geschlafen und Sie wahrhaftig während der ganzen Nacht Ihres Lagers beraubt.«

»Machen Sie sich keine Sorge darum, mein Sohn,« erwiderte der Klausner, »ich hätte doch nicht geruht, denn ich habe den Rest der Nacht im Gebet zugebracht. Es hat meinen Geist gestärkt und mir Kraft gegeben, eine schwere Pflicht zu erfüllen. Leider kann ich Ihnen nichts anbieten zu Ihrem Frühstück, als was ich selbst habe, einen Trunk des frischen Bergwassers und ein Stück hartes Brot, wie es mir die Hirten des Gebirges bringen.«

»Machen Sie sich keinen Kummer deshalb, Vater, ich bin Soldat und der heitere Sonnenschein läßt mir alle Dinge wieder in anderm Lichte erscheinen, während der Schlaf bleiern auf meiner Seele lag und mir die unsinnigsten Träume vorführte. Vraiment, der Capitano Tonelletto hat nicht so unrecht gehabt, mir einige Furcht einzujagen vor diesem Ort, denn ich habe wirklich, wenn auch nur im Traum, allerlei schwarze Gespenster gesehen.«

»Ich bemerkte, als ich von der Frühmesse zurückkam, daß Sie unruhig schliefen,« sagte der Klausner, ohne näher auf die Bemerkung des Offiziers einzugehen, »und deshalb nahm ich mir die Freiheit, Sie zu wecken. Ich hatte diese Nacht nur wenig Zeit und Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen, und wenn Sie draußen an der Quelle Ihre Soldatentoilette machen wollen, werde ich Sie begleiten und Sie bitten, mir dabei einiges von den Vorgängen draußen in der Welt zu erzählen. Sie sprachen, wenn ich nicht irre, von einem Gefecht, das Sie mit den Piemontesen gehabt hätten?«

»Der König Victor Emanuel belagert Gaëta und wir führen, wie zwanzig andere Freikompagnien, den Krieg gegen den neuen Eroberer Italiens.«

»Heiliger Gott – so ist doch wahr, was die Landleute erzählten, daß der Thron von Neapel umgestürzt und der heilige Vater in Gefahr ist? Aber man sagte mir doch, daß seit der schrecklichen Katastrophe von Achtundvierzig eine französische Besatzung Rom und den päpstlichen Stuhl beschütze und der Kaiser Napoleon im Norden dieses Landes den Frieden wieder hergestellt habe?«

Der Eremit hatte seinen nächtlichen Gast aus der Klause ins Freie geführt. – Kapitän Chevigné bemerkte jedoch, daß er sorgfältig die Richtung vermied, und ihn nach der anderen Seite führte, von der aus man wohl die Aussicht auf das Tal des Sangro, aber nicht nach dem Kloster hatte. Hier wies der Klausner dem Offizier einen aus dem Gestein sprudelnden klaren Quell, der sich in kleinen Kaskaden nach der Tiefe ergoß, und setzte sich in dessen Nähe auf einen Stein.

Der Kapitän berichtete ihm auf seinen Wunsch kurz die neuesten Ereignisse, den Zug Garibaldis nach Palermo und Neapel, den Sturz des Königtums, den Einfall der Piemontesen in die Marken und die Schlacht von Castelfidardo, so wie das, was er selbst von Tonelletto und dem piemontesischen Offizier erfahren hatte: den Kampf am Volturno und den Rückzug des Königs nach Gaëta.

Aber mehr als alles dies schien den Eremiten der Anteil zu interessieren, den Frankreich an all diesen Ereignissen genommen. Er fragte wiederholt nach den Persönlichkeiten am Hofe des Kaisers, nach dem Kampf der Parteien und dem Schicksal der Mitglieder und Anhänger der Dynastie Orleans.

»Ich war bei dem Sturz derselben noch wenig über zwanzig Jahr alt,« sagte der Kapitän, »und die Tendenzen meiner Familie, die den alten Traditionen des Faubourg St. Germain angehört, hielten mich fern von den Kreisen des Bürgerkönigtums. Aber ich erinnere mich noch sehr gut der Vorgänge, die seinem Fall vorangingen und ihn beschleunigten, jener schändlichen Korruptionsprozesse, des Prozesses Praslin und der schlimmen Beispiele, die der Adel gab, der weder den Mut hatte, den Folgen der Revolution von 1830 als Soldat mit den Waffen in Algerien Rechnung zu tragen, noch der Treue für das verbannte Königshaus zu leben. Der Finanzbaron begann damals wieder in Frankreich sein Haupt zu erheben und er hatte den Vorteil vor den Generalpächtern des Herrn Colbert und Ludwig XV. voraus, daß er sich nicht in die Kreise des alten Adels zu drängen brauchte, sondern daß dieser sich um ihn bemühte.«

»Der Herzog von Orleans war ein Soldat und ein Edelmann,« – bemerkte der Klausner – »sollten nicht manche aus seiner Umgebung ein billigeres Urteil verdienen?«

»Ich muß gestehen, ich habe als Jüngling für ihn geschwärmt und hätte gern unter ihm in Algier gedient, wenn meine in ihren politischen Ansichten sehr strenge Mutter es erlaubt. Sein Tod raubte der Familie Orleans jede Sympathie des Volkes und das Ende ihrer Ära war nur noch eine Frage der Zeit.«

»Sie waren also bei den Februartagen gegenwärtig in Paris, mein Sohn?«

»Nein, hochwürdiger Herr. Meine Mutter stammt von ihrer Großmutter her aus der Familie der Choiseul, und das Aufsehen, das der Mordprozeß des Herzogs von Praslin im August des Jahres Siebenundvierzig gemacht hatte, und das aus allen Gliedern der Familie Choiseul lastete, bewog sie damals, Paris zu verlassen und sich auf unser Schloß in der Vendée zurückzuziehen.«

»So haben Sie jenen unglücklichen Mann, den Herzog von Praslin gekannt?« fragte der Eremit mit leiser Stimme.

»Ich erinnere mich nur, ihn ein einziges Mal gesehen zu haben und auch da nur flüchtig. Er war der Kammerherr des Herzogs von Orleans und ein großer Günstling des Königs Louis Philipp. Aber warum nennen Sie den Mörder der Herzogin, seiner Frau, einen Unglücklichen statt einen Verbrecher, wie er es verdient? Waren Sie damals in Frankreich, hochwürdiger Herr?«

»Ich war es, habe es aber bald darauf verlassen und seinen Boden nie wieder betreten. Jener Mann hat eine Schuld gebüßt und ich wiederhole es, daß ich ihn – gleich vielen anderen – mehr für unglücklich, als für einen bewußten Verbrecher halte. Es ist ein ernstes Wort, mein Sohn, das Wort des Herrn: Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet. Die Sünde des Zorns ist eine schlimme und hat schon manchen zu Taten verleitet, die ungeschehen zu machen, er im nächsten Augenblick wahrscheinlich willig sein Leben gegeben hätte. Möge Gott ihm die schwere Missetat vergeben haben.«

»Er hat wenigstens den Mut gehabt seine Familie nicht durch das Schafott zu entehren, auf das ihn die Feinde der Orleans gar zu gerne geschleppt hätten. Doch was kümmert uns der Verbrecher und sein unseliges Ende, hochwürdiger Herr, in einer Zeit, wo alle Grundpfeiler der Gesellschaft wanken, weil jene Epoche sie untergraben hat, wie einst die Sittenlosigkeit der Pompadour und die Lettres de Cachet Ludwig XV. die Guillotine auf dem Gréve-Platz vorbereiteten. Die Throne wanken und die Revolution siegt, weil der Adel der Nationen zum Börsenspieler und zum Schmeichler der blinden Menge herabgesunken ist. Wo hat der Ruf Jahrhunderte alter edler Geschlechter eine ärgere Schmach auf sich geladen, als auf dem Boden, auf dem wir stehen, in Rom und Neapel?«

Der hochherzige Franzose, der Hände und Gesicht in der kühlen Quelle gebadet, hatte sich erhoben. »Und jetzt, hochwürdiger Herr, haben wir genug von der Politik – jetzt erzählen Sie mir Ihrerseits etwas von Ihrer eigenen Umgebung, lassen Sie mich das Kloster der heiligen Magdalena sehen und erläutern Sie mir, wie es zu dem schlimmen Ruf gekommen ist, in dem es steht.«

»In welchem?«

»Ei parbleu! daß es mehr von Dämonen und höllischen Geistern bevölkert ist, als von frommen Nonnen mit Fleisch und Bein, und daß der Teufel darin seinen Sabbath hält!«

Er hatte bei seinen Worten den Priester scharf ins Auge gefaßt, aber dieser war mit dem Tageslicht ein ganz veränderter Mann und von der religiösen Exstase, in derer ihn bei der ersten Begegnung am Abend vorher überrascht, keine Spur mehr zu bemerken. Nur eine tiefe Traurigkeit lag noch immer aus seinem ganzen Wesen.

»Es ist nicht gut, mein Sohn,« sagte er, während er neben ihm herging, »das abergläubische Geschwätz armer unwissender Leute zu wiederholen. Das Kloster der heiligen Magdalena, das Sie dort unten sehen, gehört dem strengsten Orden der Büßerinnen, und die Schwestern, die sich vor den Sünden der Welt dorthin geflüchtet, leben in tiefer Abgeschlossenheit, so daß sie selbst die heilige Messe nicht in Gemeinschaft mit den Profanen hören. Es sollte die strenge Regel, die sie bindet, eher ein Gegenstand der Hochachtung als müßiger Erfindungen sein.«

Der Offizier schwieg und begnügte sich, von der Stelle, zu der ihn der Klausner geführt, die Aussicht auf das Tal des Sangro und die majestätischen Massen des Monte Majari und der vier Berge zu genießen und in dem schluchtenreichen steilen Abhang des Berggrats, auf dem sie standen, die Lage des Klosters zu suchen.

Der Morgen war nebelfrei und die Sonne strahlte in vollem Glanz auf diese öden und einsamen Höhen. Erst als der Offizier gerade zu seinen Füßen in die Tiefe sah, unterschied er zwischen dem gelbbraunen Gestein die wenigen Klostergebäude von gleicher Farbe, die er nur verschwimmend am Abend vorher im Lichte des Mondes bemerkt hatte. Er erkannte die an die Bergwand gelehnte Kirche mit dem daran stoßenden Campo santo, dessen Einblick ihm jedoch die Bildung der Arkaden nicht gestattete, und bemerkte, daß die hohe, das Kloster umgebende Mauer die Schlußwand der kleinen Begräbnisstätte bildete. Das Kloster selbst bestand aus einem durch einen Flügel mit der Kirche in Verbindung stehenden niedern uralten Steingebäude von düsterem halb verfallenen Aussehen, das gleich der Klause auf dem Berge nur schmale schartenartige Fenster hatte.

Kein menschliches Wesen war in den Gebäuden und auf den engen Höfen zu bemerken, eine tiefe grabähnliche Stille lag auf dem ganzen Ort.

Der Anblick verfehlte selbst auf das zum Spott und zu weiteren Nachforschungen geneigte Gemüt des Franzosen nicht seine Wirkung! er gedachte der schrecklichen Leiden und Peinigungen, denen hier vielleicht noch junge, dem Licht der Sonne entgegenschlagende Herzen für menschliche Verirrungen und Sünden freiwillig oder gezwungen unterworfen waren, und beschloß diese Felsen nicht zu verlassen, ohne den Versuch gemacht zu haben, einige ihrer dunklen Geheimnisse aufzuklären.

»Wollen und dürfen Sie mir sagen,« fragte er, sich mit Gewalt diesen Gedanken entreißend, »wo der Weg von dieser Höhe ins Tal und zu dem Kloster hinabführt? Ich frage nicht aus Neugier, sondern als Soldat, der gern seine Position kennt.«

»Den Weg, den Sie durch die Schlucht herauf genommen, läuft in einem Fußsteig hinter jenem Stein abwärts nach dem Kloster und an seinen Mauern vorüber den Berghang hinab bis etwa auf die Mitte desselben, wo er sich mit dem breiteren Weg aus dem Tal verbindet, der auf jener Seite zu dem Haupteingange des Klosters führt und von den wenigen Landleuten benutzt wird, die an den Festen der Heiligen der Messe in dieser Kirche beiwohnen. Ich bediene mich jenes Fußsteigs oder eines Felsenganges, der direkt aus meiner Klause zur Kirche niederführt; denn Sie müssen wissen, daß das Innere dieses Berges mehrere solcher Gänge enthält, die in dem weichen trockenen Gestein schon vor vielen Jahrhunderten, wahrscheinlich schon zur Zeit der ersten Christenverfolgungen, ausgegraben worden sind und den heiligen Märtyrern zum Zufluchtsort gedient haben mögen, wie die Katakomben Roms. Ein solcher Gang kürzt auch den Weg bedeutend ab, der auf der andern Seite des Bergrückens zu dem Lagerplatz des Capitano führt, jenes Mannes, der bei all seinen Übeltaten doch in vieler Beziehung Vertrauen verdient. Das erinnert mich übrigens daran, daß ich ihm vielleicht einen Dienst erweisen kann, indem ich ihn noch auf einen zweiten, zwischen den Felsen verborgenen Ausweg von seinem Lagerplatz aufmerksam mache, der selbst nur wenigen Hirten des Gebirges, schwerlich ihm selbst bekannt ist, obschon er jene Stätte schon öfter für sich und seine schlimmen Gefährten zum Zufluchtsort gewählt hat. Und wenn es Ihnen genehm ist, mein Sohn, so will ich Sie jetzt zurückführen zu Ihrem Lager, damit Sie etwas besseres zu Ihrem Frühmahl erhalten, als ein armer bußfertiger Klausner Ihnen bieten konnte.«

Er führte darauf den Kapitän den Weg zurück, den derselbe am Abend vorher genommen hatte. Jetzt bei hellem Sonnenschein konnte der Offizier die seltsamen Formationen der Felsen und die Schwierigkeiten der Passage besser beurteilen, als es am Abend vorher der Mondschein gestattet. Das Interesse für seinen Begleiter wurde übrigens auf diesem Wege immer höher, wie er mehr und mehr aus den wechselnden Gegenständen des Gesprächs erkannte, daß er ein Mann von hoher geistiger und gesellschaftlicher Bildung war, und in den höchsten Kreisen sich bewegt haben mußte, obschon sein Urteil jetzt, von mehr als knechtisch religiösen Anschauungen befangen, in vielen Beziehungen sehr einseitig war.

Wiederholt empfand Kapitän Chevigné große Lust, eine indiskrete Frage über die Vergangenheit an seinen Begleiter zu tun, aber der Takt des Gentleman hielt ihn immer wieder davon zurück und so begnügte er sich mit der stillen Beobachtung, daß der rätselhafte Eremit, der auf schlechten Sandalen an seiner Seite den rauhen Felsenpfad hinabschritt, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit das Gespräch auf Frankreich zurückführte, dessen Sprache er mit der vollkommenen Eleganz eines geborenen Franzosen redete.

Sie waren bereits an dem Posten vorübergekommen, den Tonelletto auf diesem Wege hatte aufstellen lassen, als der Klausner seinen Begleiter auf eine Schlucht zur Seite aufmerksam machte. »Sehen Sie, Herr Kapitän,« sagte er, »hinter jenem vorspringenden Stein und bedeckt von den Ranken der wilden Stauden befindet sich eine unscheinbare, kaum menschengroße Öffnung in dem Felsen und in sie mündet der Gang aus, der von der Höhe meiner Klause in die Tiefe führt. Daher auch zum Teil der Aberglaube ungebildeter Leute, wenn sie mich zuweilen in ihrer Mitte erscheinen sahen, ohne daß man mich gesehen hatte von den Felsen niedersteigen. Wenn Sie gezwungen sind, einige Tage hier zu verweilen, wollen wir zusammen einmal den Gang durchwandern; denn ich hoffe, daß es Ihnen nicht zu unangenehm sein wird, einige Stunden mit einem alten Priester in dieser Einöde zuzubringen, mit dem Sie – so arm und leidend er auch ist – doch von dem schönen Frankreich sprechen können.«

Der Kapitän reichte dem Eremiten die Hand statt der Antwort. So kamen Sie auf den Lagerplatz der Freischar, wo wieder die Kessel an den Feuern brodelten und alle munter und guter Dinge waren bis auf die unglückliche Braut des gehenkten Brigants und den piemontesischen Major.

Der Offizier hatte bereits Gelegenheit genommen, dem Geistlichen unterwegs die Details des Gefechtes mit den Piemontesen und die Gefangennahme der beiden Offiziere sowie von der Anwesenheit der jungen Irländerin bei dem Trupp zu erzählen. Als der Pater Gerardo mit dem Franzosen auf dem Plateau erschien, eilten Männer und Frauen herbei, seinen Segen zu empfangen und seine Hand oder seine grobe Kutte zu küssen; denn durch die Abgeschlossenheit seines Lebens und die asketische Strenge seiner Bußübungen, die den Gebirgsbewohnern nicht unbekannt waren, genoß er großes Ansehen unter ihnen und stand in dem Ruf der Heiligkeit.

Der Neapolitaner mit seiner warmen empfänglichen Natur liebt die Übertreibung aller Gefühle, und seine Begeisterung ist zwar eben so leicht verrauscht wie entstanden, aber wo er sie zollt: überschwenglich.

Die Frauen und Mädchen, die jetzt bei dem Trupp waren, flehten ihn an, ihre Beichte zu hören und der Klausner versprach dies für die Abendstunde zur Zeit des Ave Maria. Mit großer Freundlichkeit begrüßte er die junge Irländerin, die sich gleichfalls ihm mit jener Verehrung genaht, die ihr Glaube den Priestern der Kirche zollt, und mit einigen Worten – sie auf den Trost der Kirche bei der heiligen Handlung am Abend verweisend – suchte er Agnolas leidenschaftlichen Schmerz zu lindern. Dann, von der ganzen Schar geleitet, ging er zu der Stelle, wo Capitano Tonelletto vor einer der Hütten im Sonnenschein mit dem Preußen saß.

Den sehr unwürdigen Vetter des berühmten Kardinal-Staatssekretärs Seiner Heiligkeit hatte die ihm inwohnende Unruhe und Tätigkeit nicht mehr auf dem Lager gelassen. Der Verband, den ihm unterwegs einer der mit den Kräften der Kräuter wohlbekannten Gebirgshirten auf das verwundete Bein gelegt, hatte über Erwarten trefflich gewirkt, und er fühlte sich bereits wieder soweit gekräftigt, daß er mit Hilfe seiner Büchse oder eines Stockes umherhumpeln konnte. Er erhob sich daher bei der Annäherung des Priesters und des Offiziers, der ihm seine lebhafte Freude über die Besserung zu erkennen gab, und begrüßte ehrerbietig den Priester, der ihm seinen Segen erteilte.

Ein fragender Blick des Capitano wurde von dem Klausner mit einem bejahenden Wink beantwortet, dann sagte der erstere lächelnd: »Erlaubt, hochwürdiger Vater, Euch einen unglücklichen Ketzer in diesem jungen Offizier vorzustellen, an dem Ihr ein gottgesegnetes Werk vollbringen würdet, könntet Ihr ihn in den Schoß der heiligen Kirche zurückführen, da er außerdem ein ganz kapitaler Bursche ist. Die Heiligen haben ihn ohnehin in ihre ganz besondere Gunst genommen, denn er stand schon mit einem Fuß im Grabe, in das ein anderer nun für ihn sich legen mußte, und weder ich, noch der Kapitän hier hätten ihn vor dem Schicksal bewahren können, das ihn bedrohte und leider noch bedroht, wenn dieser piemontesische Henker uns zwingt, das Gesetz des Gebirges anzuwenden: Aug' um Aug' und Zahn um Zahn!«

»Das sind frevelhafte Worte, mein Sohn,« sprach der Priester streng, »und unwürdig eines Christen. Das Gebot des Heilands ist, auch dem Feinde zu vergeben.«

» Cospetto! hochwürdiger Herr, das mag ganz vortrefflich sein, wenn es sich nur nicht um Piemontesen handelt, die dem heiligen Vater den Stuhl unterm Sitzfleisch wegziehen möchten. Aber ich hoffe mit Sankt Peters Hilfe und unseren guten Burschen, daß es nicht so weit kommen wird.«

Der Eremit schüttelte unwillig das Haupt. »Mann des Blutes und der Gewalt,« sagte er streng, »Ihr seid immer noch der alte Frevler, nicht bloß mit der Tat, sondern auch mit dem Wort. Geht in Euch und tut Buße, ehe der Herr Euch straft. Sie aber, Signor, scheinen nicht einmal ein Sohn dieses Landes. Wie kommt es, daß Sie auf seinem Boden den heiligen Rechten der Kirche und des Thrones gegenüber stehen?«

»Soldatenlos, hochwürdiger Herr. Ich bin ein Preuße und konnte als Protestant nicht in die päpstliche Armee treten.«

»Ihr Name, mein Sohn?«

»Oberleutnant von Arnim!«

»Ihr Vater war im Jahre 1847 Minister Ihres Königs?«

»Nicht mein Vater – Sie meinen den Grafen Arnim-Boytzenburg, – eine andere Linie unserer zahlreichen Familie.«

»Ich hoffe, daß Ihnen nicht wirklich Gefahr droht – dieser schreckliche Krieg fordert ohnehin Blut genug.«

»Wie Gott will und General Pinelli tut, hochwürdiger Herr. Der Bote, den diese Herren hier, die über mein Leben zu entscheiden haben, auf dem Wege hierher auf unsere Bitte an General Pinelli sandten, um eine Auswechslung zu bewirken, hat noch nichts von sich hören lassen. Im übrigen habe ich mich über die Behandlung, die mir geworden, und über das Los, das mich trifft, nicht zu beklagen – und selbst im schlimmsten Fall würde ich meinem wackern Wirt hier und alten Gegner von Herzen vergeben und als Christ sterben, auch wenn ich in Ihren Augen ein Ketzer bin.«

»Der Erlöser ist für alle gestorben. Leben Sie wohl, mein Sohn, ich hoffe Sie noch zu sehen, ehe ich in meine Klause zurückkehre.«

Er winkte dem Capitano nach der Tür der Hütte und ging ihm voran. Der Eremit und der Bandit blieben fast zwei Stunden lang dort eingeschlossen in geheimer Unterredung. Als sie endlich wieder erschienen, führte der Geistliche den Banditen und wanderte mit ihm langsam um das ganze Plateau, an der entgegengesetzten Seite des Aufgangs ziemlich lange verweilend.

Es war unterdes die Mittagszeit herangekommen und die ganze Schar lagerte um den Kessel am Feuer. Die Frauen und Mädchen boten dem Einsiedler von ihren einfachen Speisen, aber er nahm nichts an, als ein Stück grobes Brot und einen Trunk aus der frischen Waldquelle. Er hatte sich dem sardinischen Obersten genähert und mit ihm ein angelegentliches Gespräch angeknüpft, in das der Piemontese anfangs ziemlich barsch und zurückweisend einging, während es später sein ganzes Interesse zu fesseln schien.

Als es zu dunkeln begann, erinnerte Pater Gerardo selbst die Frauen, sich zu dem heiligen Akt der Beichte bereit zu halten. Man hatte dazu eine der Hütten eingeräumt, die in die Spalten und Risse der Felswand hineingebaut waren, und nicht allein mehrere der Frauen und Mädchen, sondern auch einige der Banditen nahmen die Gelegenheit wahr, ihr Gewissen vor dem frommen Mann zu erleichtern und aus seinem Munde die Absolution zu empfangen.

Es war dem französischen Offizier nicht unbemerkt geblieben, daß Tonelletto nach seiner geheimen Unterredung mit dem Pater eine an ihm sehr auffallende, ernste und nachdenkende Stimmung zeigte. Er bemerkte ferner, daß der wackere Capitano alsbald die Schildwache vor der Hütte der drei Gefangenen einzog; aber teils widerstrebte ihm selbst der Gedanke, daß diese jetzt noch das Los einer schlimmen Vergeltung treffen könnte, teils gaben ihm die Ereignisse der vorhergegangenen Nacht und das Wesen des Klausners so viel zu denken und Pläne zu entwerfen, daß er selbst versäumte, die Position, die sie inne hatten, noch mehr durch einige militärische Vorsichtsmaßregeln zu sichern.

Maria O'Donnel war die erste der Beichtenden gewesen, die Verlobte des gehenkten Briganten die letzte.

Sie kniete noch neben dem Klausner in der dunklen Hütte, als bereits längst nach der kurzen Dämmerung die Schatten der Nacht sich auf die Berghöhe gelagert.

Pater Gerardo hatte ihr eben die Absolution erteilt und sie wollte sich erheben, als seine Hand sie zurückhielt.

»Ich habe mit dir zu reden, Tochter!«

»Sprecht, hochwürdiger Herr!«

»Du heißest Agnola Frangoni und bist aus Subiaco?«

» Si vossignoria reverendissima!«

»Dein Vater ist im Gefängnis zu Rom wegen zweier Mordtaten?«

»Heilige Madonna, er ist ein so guter Christ wie einer. Er kam mit dem Spitzbuben, unserem Nachbar, der ihm Geld geborgt und es wieder haben wollte, in Streit, und hatte das Unglück ihn und seinen Vetter zu erstechen, die geizigen Menschen!«

»Dein Vater erwartet sein Urteil und wird am nächsten Feste durch die Garotte sterben.«

» Si – so sagt man, wenn es ihm nicht vorher gelingt, das Gefängnis zu verlassen. Die heilige Jungfrau schütze ihn.«

»Du liebst deinen Vater?«

»Die Madre sagt, ich sähe ihm ähnlich!«

»Und willst du etwas zu seiner Rettung tun?«

» Ahi, – warum nicht, reverendissimo! wenn es nicht zu viel Mühe macht und mich in meiner jetzigen Pflicht nicht hindert!«

»Und die ist?«

»Was kann es anders sein, als Tommaso, meinen. Bräutigam, an diesen verfluchten Ketzern zu rächen.«

»Die heilige Kirche hat dir bereits die Sünde der Rachsucht verwiesen und nur unter der Bedingung der Besserung dir durch meinen Mund die Absolution erteilt.«

»Es ist schlimm, Hochwürden, wenn unsere Natur mit der Kirche irn Zwiespalt ist. Niemand kann für die seine. Gott und die Heiligen haben mich so erschaffen!«

»Es die Pflicht des Kindes, seine Eltern zu lieben,« sagte der Geistliche streng, »und alles zu tun für die Erhaltung ihres Lebens. Diejenigen, welche es nicht tun, werden im Fegefeuer dafür büßen.«

»Aber, Reverendissimo, was kann ein armes, unglückliches Mädchen wie ich dazu tun?«

»Das Gebot befolgen, welches ich dir jetzt geben werde, und ich bürge dir dafür, daß das Todesurteil deines Erzeugers nicht vom heiligen Vater unterschrieben werden wird.« Die Art, wie der Papst die Begnadigung der zum Tode verurteilten Verbrecher erteilt, indem er das dreimal vorgelegte Urteil zurückgibt, ohne es unterzeichnet zu haben.

»Sprecht, Hochwürdigster, was soll ich tun? Soll ich auf bloßen Knien die Stufen von Sankt Peter hinaufrutschen und die Füße des Papstes küssen? Aber ich bin ein armes Mädchen, die Schweizer werden mich nicht in den Vatikan lassen.«

»Du sollst deiner Rache entsagen!«

»Meiner Rache für Tommaso? Nimmermehr! ich müßte nicht die Tochter meines Vaters sein, wenn ich's täte. O, Reverendissimo, man sagt, Sie wären aus einem fremden Land, wo es kalt und immer Winter ist, Sie können unsere Gefühle nicht verstehen!«

»Die Leidenschaften der Menschen bleiben sich überall gleich, meine Tochter, unter dem ewigen Eis der Alpen wie auf der Lava des Vesuvs. Ich bin aus einem Lande, das einen so glücklichen Himmel über sich hat wie das deine, und dennoch sage ich dir, es muß sein.«

Die junge Gebirgsbewohnerin preßte heftig die Hände aus das rote Mieder. »Es ist unmöglich, Padre! Überdies sind es Ketzer!«

»Ich sage nicht, daß du deinem Haß entsagen sollst, sondern nur der schlimmen und unsinnigen Tat, zu der du hier die Männer reizest. Überdies ist ein Opfer der Sühne bereits für den armen Tommaso gefallen.«

»Aber ich hasse sie alle, alle!« rief die Italienerin leidenschaftlich. »Wenn ich sie alle verderben könnte, die ihm den Tod gegeben, ich würde es tun und stände meine Seligkeit aus dem Spiel!«

»Frevle nicht mit solchen Worten. Höre mich wohl an, ich wiederhole dir, daß du nicht deinem Haß, sondern mir einer unnützen Tat entsagen sollst. Die heilige Kirche selbst öffnet dir den Weg zu einer höheren Vergeltung gegen deine Feinde, die auch die ihren sind. Denke selbst nach. Haben die beiden Offiziere, welche die Gefangenen Tonellettos sind, etwas zu dem Tode deines Verlobten getan? Sie waren beide längst gefangen, als er starb.«

»Das ist wahr, Reverendissimo, aber sie gehören zu ihnen.«

»Und wenn du dich nun, statt an diesen drei Männern, an ihnen allen, an all diesen Ketzern, deinen und der Kirche Feinden, an den oberen Führern, die den Tod deines Verlobten befohlen, rächen könntest, indem du als Werkzeug des gerechten Gottes die Strafe für ihre Frevel über sie bringen hilfst – wenn du damit das Leben deines Vaters rettest und dein Vaterland selbst – würdest du noch zaudern, dem zu gehorchen, was durch meinen Mund die heilige Kirche dir befiehlt?«

Wäre es nicht so dunkel in der Hütte gewesen, er hätte ihre weit geöffneten, feuersprühenden Augen sehen müssen, wie sie seine Worte zu verschlingen schienen.

»Wie, Reverendissimo! was sagen Sie da? – und das alles könnte ich tun – ich könnte sie alle, alle verderben, auch jenen grausamen Wüterich, der ohne Barmherzigkeit mich von sich stieß, der mit dem Eisen seiner Füße meine Hände blutig riß?«

»Auch ihn!«

»Sprecht, Padre – sagt mir, was soll ich tun?«

»Den Befehlen der Kirche blinden Gehorsam leisten, ohne zu fragen, ohne zu deuteln.«

»Ich bin bereit.«

»Dann gelobe es mir bei dem Andenken des Toten, für den ich dir verspreche, zehn Seelenmessen zu lesen!«

»Die heilige Jungfrau lohne Euch dafür, ich bin ein armes Mädchen und habe kein Geld, sie zu bezahlen. Ich schwöre es, Padre, ich werde gehorchen!«

»Mir und denen, die später im Namen Tommasos sprechen. Kennst du den Weg nach Ponte Corvo?«

»Ich war mit meinem Vater einmal dort – aber ich werde ihn finden!«

»Vorerst wird es kaum nötig sein. Du warst bereits auf der Höhe dieses Berges, wie mir der Capitano Tonelletto sagte?«

»Es ist ein Jahr her, Hochwürdigster, als sich der Capitano wegen irgendeines Streits mit der Regierung in diese Berge zurückziehen mußte. Ich begleitete damals Tommaso, der einer seiner Getreuesten war, und ich muß gestehen, die Neugier trieb mich mit ihm in die Nähe Eurer Klause, um das Kloster der Verdammten zu sehen!«

»Erinnerst du dich eines Weges, eines schmalen Fußsteigs, der in der Nähe der Quelle in das Tal führt, an der äußeren Mauer des Kirchhofs vorüber?«

»Tommaso zeigte ihn mir.«

»Gut – du wirst diese Nacht ihn gehen!«

»Heilige Madonna – nicht um alle Schätze der Welt! Man sagt, daß die Verfluchten aus ihren Gräbern aufstehen und die jungen Mädchen zur Tarantella zwingen, bis sie sich zu Schatten getanzt haben, wie sie selber sind!«

»Das ist Aberglauben – auch sollst du nicht allein gehen!«

»Das ist etwas anderes, Padre – dann werde ich mich weniger fürchten. Aber wer soll mich begleiten?«

»Der piemontesische Offizier!«

»Der mit dem blonden Haar – der Amante der Capitana Maria?«

»Schäme dich der Verleumdung! Nein, der andere, der Graf Sismondi!«

»Ah – der Schwarze, mit dem hochmütigen Auge und dem finstern Gesicht?«

»Derselbe. Du wirst ihm zur Flucht verhelfen!«

»Ich – zur Flucht?«

»Denke an dein Gelöbnis. Es könnte irgendeine Nachricht die wilden Leidenschaften dieser Männer erregen, und während sein Tod nichts nutzen kann, wird sein Leben vielleicht der guten Sache einen wichtigen Dienst leisten. Er ist darauf vorbereitet und wird dir Gold bieten. Weigere es, aber lasse dich von seinen Worten anscheinend bewegen, damit er dir Dank schuldig ist, und dich mit sich nimmt. Du wirst ihm sagen, daß du mit dem Kloster der heiligen Magdalena im Einverständnis wärst, und einige der Novizen der strengen Regel des Klosters entfliehen wollten, um das Leben der neuen Freiheit zu genießen.«

»Aber das wäre Klosterschändung?«

»Die Kirche hat die Macht zu binden und zu lösen. Klügle nicht, sondern gehorche zu dem großen Zweck, den du vor Augen hast.«

»Er wird mir nicht glauben – er hat gehört, wie ich seinen und seines Kameraden Tod verlangt, wie ich um Tommaso geweint habe!«

»Welches Weib vermag nicht die Augen auch des klügsten Mannes zu täuschen!« sagte mit einem Seufzer und mit mehr Welterfahrung als Moral der Eremit. »Der Capitano hat mir gesagt, daß du bei all deiner Leidenschaftlichkeit und deinem heftigen Charakter doch klug und schlau bist. Fessele den Conte durch die Pflicht der Dankbarkeit oder welches Band du willst, an dich und bewirke vor allem, daß er dir gestattet, ihn in das Lager der Piemontesen vor Gaëta zu begleiten. Wir wissen, daß er dem General Cialdini sehr nahe steht, und wenn es dir gelingt, sein Vertrauen zu erwerben, hast du die Vergeltung für Tommaso und die Rettung eines Thrones in deiner Hand.«

»Ich verstehe Euch noch nicht ganz, hochwürdiger Herr,« sagte nachdenkend das Mädchen, »aber ich bin bereit, Euch zu gehorchen. Aber was soll ich ihm sagen wegen der Novizen, von denen Ihr spracht?«

»Was ich dir vorhin sagte, daß die Regeln des Klosters ihnen zu streng, daß du eine Verwandte unter ihnen hast, und daß sie mit deiner Hilfe die Pförtnerin bestochen hätten und Euch auf Eurer Flucht begleiten müßten. Du bist klug genug, jeden Verdacht in ihm einzuschläfern.«

»Heiliger Antonio – so soll ich mich in das Kloster wagen?«

»Eine Stunde nach Mitternacht wirst du die Flüchtigen an der Stelle finden, wo der Fußweg vom Berg sich mit dem größeren Wege aus dem Tal zu dem Tor des Klosters vereinigt. – Es ist der Wille der Kirche, daß die flüchtigen Weiber mit dir nach Ponte Corvo und in das Lager der Ketzer gelangen. Vielleicht daß durch den Pfuhl der Sünden und das Unglück, in das sie sich zu stürzen bereit sind, ihre Augen der Erkenntnis und ihre Herzen der Buße geöffnet werden, und sie einst reuig zurückkehren zu dem Asyl, das sie jetzt verlassen. – Aber es ist Zeit, Tochter, daß du deine Vorbereitungen triffst und ich zu meiner Klause zurückkehre. Eine Stunde vor Mitternacht wird die beste Zeit sein zur Ausführung eurer Flucht – die Art derselben muß deiner Klugheit überlassen bleiben.«

Er erhob sich und verließ die Hütte, in der nachsinnend das Mädchen zurückblieb.

Nach einer kurzen Unterredung noch mit dem Capitano und dem französischen Offizier, und indem er im Vorübergehen dem piemontesischen Conte einen bedeutsamen Blick zuwarf, kehrte Pater Gerardo nach seiner Klause zurück.

Bald darauf begegnete Agnola dem Conte und setzte sich an einen einsamen Ort. Nach wenigen Minuten saß der Major an ihrer Seite und sprach eifrig mit ihr. Das Mädchen schien ihn erst unwillig abzuweisen, allmählig aber seinen dringenden Vorstellungen Gehör zu schenken.

Unterdessen saß an dem Feuer des Capitano die Irländerin bei dem preußischen Offizier und unterhielt sich mit ihm, während der Brigantenhäuptling den Kopf auf den Arm gestützt auf seinem Tragbett dabei lag und über seine Unterredung mit dem Klausner nachdachte. Die ganze Schar war in ihren gewöhnlichen Beschäftigungen, dem Kochen, Trinken, Spielen und dem Putzen ihrer Waffen über den ganzen Platz in Gruppen zerstreut.

»Es ist seltsam,« sagte endlich aufblickend der Capitano, »daß wir immer noch keine Nachricht von unseren gefangenen Kameraden auf die Botschaft an General Pinelli haben. Das Ding will mir nicht gefallen. Wie denken Sie darüber, Signor Capitano?«

Indes, der französische Offizier antwortete nicht, er hatte schon vor einiger Zeit den Kreis verlassen.

Miß O'Donnel warf einen besorgten Blick auf den Mann, der mit seinen beiden Gefährten die Geißel für die beiden Briganten in den Händen des blutdürstigen piemontesischen Generals bildete. Sie hatte seit ihrem Aufenthalt bei der Schar bereits Italienisch genug gelernt, um sich ziemlich gut auszudrücken und die Sprache ihrer etwas wilden Genossen besser verstehen zu können, und die plötzliche Frage des alten Banditen machte daher um so mehr ihre früheren Besorgnisse rege, als Kapitän Chevigné nicht zugegen war, auf dessen Ritterlichkeit und Menschlichkeit sie mehr vertraute, als auf die gute Laune Tonelettos.

»Der Bote ist vielleicht unterwegs auf ein Hindernis gestoßen, oder hat uns nicht auffinden können, Capitano,« sagte sie einlenkend. »Vielleicht ist ihm auch der Weg zu weit gewesen, da er nicht zu Ihren Leuten gehört. Sie wollten mir von meinem Bruder erzählen, Capitano?«

»Eins nach dem andern, Signora!« sagte der Brigant. »Was nun den ersten Gegenstand betrifft, so kennen Sie unsere Gebirgsbewohner schlecht, wenn Sie glauben, ein Weg von zehn oder fünfzehn Miglien würde ihnen zu viel sein, wenn es gilt, mir einen Dienst zu erweisen. Hier, der Signor Uffiziale weiß, daß wir aus Balzorano stets die schnellsten Nachrichten hatten, sei es durch irgendeinen barfüßigen Jungen, ein hübsches Mädchen oder auch einen Bauern. Der Bursche, den Ihr Kamerad mit dem Briefe wegen der Auswechselung an den General Pinelli gesandt, ist ein zuverlässiger und treuer Mann und hat mir die Schwachheit, gern einige Bajocchi zu sehen, und noch lieber einen Scudo. Da der Conte ihm deren zwanzig versprochen, wenn er gute Botschaft zurückbrächte, hätte er sicher in einem solchen Fall den Atem und seine Ziegenbeine nicht geschont.«

»Sie haben ihm doch genau den Ort bezeichnet, wo er uns finden kann?«

»Daß ich ein Narr wäre, Signor Prussiano. Ein alter Fuchs wie ich, wird doch nicht so unvorsichtig sein! Nein, es sind zwei Stationen unterwegs, wo er die Richtung erfragen muß, die wir genommen. He – Filippo! komm einmal hierher, Bursche!«

Der Brigant näherte sich.

»Sage meinem Leutnant Antonio, daß er die Posten auf dem Weg bergabwärts verdoppeln und den Leuten strenge Wachsamkeit anbefehlen soll. Wie gesagt, die Sache gefällt mir nicht, und ich wünsche aufrichtig, Signor Prussiano, daß Sie wieder bei den Ihren wären und wir nicht nötig haben, Ihnen trotz Ihrer glücklichen Sieben eine Kugel vor den Kopf zu schießen.«

»Aber Sie wollten von meinem Bruder erzählen, Capitano,« fiel die Irländerin rasch ein.

»Das ist wahr, Signorina! Nun, Sie wissen bereits, daß ich ihn im ersten Hotel von Rom am Platz Colonna einquartiert fand, höchst mürrisch und unzufrieden über all die Seiden und Daunen, zwischen die man ihn gepackt, und das Leben wie ein Kardinal, das die Signora ihn zu führen zwingt. Es war beiläufig doch gut, daß einige unserer Soldaten auf dem Rückzug von Castelfidardo noch den Vetturin der Engländerin erwischten und ihm einige Sachen fortnahmen, mit denen der Halunke sonst sicher das Weite gesucht hätte. Sie würden sonst schwerlich so trefflich die reisende Engländerin haben spielen können, die dem Signor hier eine Nase drehte.

Nun, corpo di Baccho, Signora – Ihr Bruder ist ein prächtiger Bursche und wäre der beste Gesellschafter für den Signor Uffiziale hier! Er erkannte mich auf der Stelle wieder und wir lachten herzlich über den Streich, den wir dem General Cialdini gespielt haben. Nur das verdammte Pferdefleisch konnte er nicht aus den Gedanken bringen und jammerte darüber, daß ich es zu schanden geritten. Peste – als ob ich viel darnach fragen konnte, als mir die piemontesischen Reiter im Nacken saßen und unter der Stute Schwanz die Order des Generals nach Ancona bringen mußte. Schade nur, daß sie uns nicht mehr helfen konnte.«

Er begann dem jungen Offizier das Abenteuer zu erzählen, bis ihn die Irländerin unterbrach. »Aber die Wunde meines Bruders – ist er denn noch immer nicht genesen?«

Der Capitano lachte. »Erstens, Signora, hat er sich einen tüchtigen Rückfall zugezogen, weil er eines Tages, als der Kapuziner und die Lady irgendeinen Winkel des alten Rom besichtigten, sich eine anständige Batterie Champagnerflaschen in sein Zimmer bringen ließ, die sämtlichen Kellner des Hotels und wer sonst Lust hatte, zu Gaste lud und so lange zechte, bis die Heimkehrenden ihn im schlimmsten Fieber fanden. Sodann –«

»Nun?«

»Seit der Rückfall endlich glücklich durch die Kunst eines deutschen Arztes beseitigt ist, stellt er sich, wie ich glaube, kränker als er ist.«

»Aber warum?«

» Peste! bloß, um sich nicht verheiraten zu lassen! Ich muß gestehen, Signora, jeder andere vernünftige Mann, der seine fünf Sinne zusammen hat, würde mit Vergnügen einer so schönen und reichen Lady nachgeben, die sich nun einmal die Heirat in den Kopf gesetzt hat, aber der Signor ist ein Eigensinn und will sich nun einmal nicht zwingen lassen. Wissen Sie, was er von mir verlangte?«

»Hoffentlich nichts Unehrenhaftes!«

»Den Teufel auch! Er wollte, ich sollte ihm dazu behilflich sein, aus dem Hotel zu entwischen. Aber es wird ihm schwer gelingen, der Kapuziner hält strenge Wacht über ihn!«

»Welcher Kapuziner?«

»Ei, derselbe, der ihm bei Rochetto auf dem Sattel des Pferdes das Messer in die Rippen stieß. Sie sind die besten Freunde trotzdem und wenn es dem Padre gelingt, Miß Juditha in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückzuführen, sehe ich nicht ein, warum die Heirat nicht zustande kommen sollte.«

»Aber was sprach mein Bruder von mir?«

Der Brigant kraute sich am Ohr. »Liebes und Gutes, Signorina, das ist alles, was ist sagen kann. Er hat großes Verlangen nach Ihnen und die Signorina Judith trug mir auf, da ich keinen Brief mit mir nehmen wollte, daß sie Sie sobald als möglich in Rom erwarte, denn dies Herumziehen in den Bergen sei einer Lady Ihres Ranges nicht sehr würdig.«

»Aber ist sie uns nicht selbst allein nach Rom nachgereist?«

Der Capitano lachte. »Sehen Sie, Signorina, jedes Ding sieht ganz anders aus, wenn es uns selbst, oder wenn es einen anderen angeht. Sie hat wenigstens die Entschuldigung der Liebe für sich. Und in der Tat, Signorina, wenn Sie meine aufrichtige Meinung hören wollen, – so lieb ich Sie habe – der Krieg in den Bergen taugt nicht mehr für eine Dame – Ihr Gemüt ist zu weich dazu, um solche traurigen aber notwendigen Szenen ertragen zu können, wie gestern morgen auf der Höhe von Balzorano!«

Miß Mary hatte die Augen zu Boden gesenkt bei dieser ernsten aber freundlichen Mahnung. Sie fühlte selbst mehr und mehr das Unhaltbare ihrer abenteuerlichen Stellung ohne das stützende, sichernde Anschmiegen an einen festeren Stamm. Als sie jetzt die Augen aufschlug, trafen sie auf den scharfen erwartungsvollen Blick des Preußen.

Die junge Irländerin errötete tief. »Ich glaube auch, daß Sie recht haben, Capitano, sagte sie endlich mit einer Stimme, die dem Weinen nahe war, »aber Sie wissen selbst, welche unglücklichen Zufälle mich veranlaßten, diese Zuflucht anzunehmen, die Ihre freundliche Sorge und Aufmerksamkeit allein so lange möglich gemacht hat. Ich habe erfahren, wie unter einer rauhen Hülle, wie selbst unter denen, die das Gesetz der Menschen ächtet, warme Herzen und Charaktere sein können, die jedem Gentleman der besten Gesellschaft Ehre machen würden. Dennoch fühle ich, daß ich Sie verlassen muß, da sich mir ein anderes Asyl bietet. Ich bin ein armes, heimatloses Mädchen und wünschte, ich hätte meine Mutter nicht so früh verloren!«

Sie legte ihre kleinen hübschen Hände vor das Gesicht und die zwischen ihren Fingern sich hervordrängenden Tränen bewiesen, wie schwer ihr sonst so leichtes und heiteres Herz geworden.

»Sie ist ein wackeres braves Mädchen,« flüsterte der Brigant dem Preußen zu, »und ich liebe sie, wie meine Tochter. Ich will in Ewigkeit nicht aus dem Fegefeuer erlöst werden, wenn nicht der eine schlimme Stunde haben sollte, der sie zu beleidigen und ihr Vertrauen zu mißbrauchen wagte! – Aber nun, Signorina,« fuhr er lauter fort – »trösten Sie sich und zeigen Sie wieder Ihren alten frischen Mut und seien Sie versichert, daß, so lange Luigi Antonelli die Ehre hat, Ihr Leutnant zu sein trotz seiner Kapitänscharge, Sie im Lager der wilden Briganten ebenso sicher sind, wie im Hotel Ihres Bruders zu Rom. In einigen Tagen, wenn wir wieder an der römischen Grenze sind, werde ich dafür sorgen, Sie in sicherer Begleitung nach Rom zu senden. – Was tust du da, Dirne? und was schleppst du für ein Paket?«

Die letzten Worte galten Agnola, die mit einem Pakete aus der Hütte trat und in ihrer Nähe leise vorüberschlich.

»Heilige Mutter Gottes von Loretto,« sagte das Mädchen, »tut Ihr nicht, als ob ich eine Diebin wäre, indes ich bloß den Mantel des Signor Francese geholt habe, um das Loch zu flicken, daß er hineingerissen. Wenn Ihr Nadel und Zwirn zu führen wißt, so macht es selbst!«

»Nun, nun, nicht so hitzig, Signorina,« sagte lachend der Brigant. »Weiß Gott, die Frauenzimmer bleiben sich doch überall gleich, immer oben aus! Mach, daß du fortkommst, Donna, und mach deine Sache gut, denn es wird schon verteufelt kalt in den Nächten. – Und nun, Signorina, geht auch in Eure Hütte, denn der Klausner da oben auf dem Berg hat schon lange seine Nachtglocke gezogen, und Sie, Signor Uffiziale, haben vielleicht die Güte, bevor Sie sich in Ihren offenen Prison zurückziehen, mir ein wenig helfen, mein Lager zu erreichen.«

Der Preuße sprang willig herbei, ihm Arm und Schulter zu bieten, denn auch er fand großes Gefallen an dem schlauen und muntern Capitano.

Auch die junge Irländerin bot ihre Hilfe an und da in der Tat die Besserung seiner Wunde bedeutend zugenommen, gelangte er ohne besondere Anstrengung in die Hütte, die er mit Kapitän Chevigné teilte.

Dieselbe war jedoch leer, der Offizier nicht dort.

»Der Kapitän ist ein tüchtiger Soldat,« meinte der Brigant, »und wahrscheinlich macht er noch einmal die Runde, oder ist auf den Berg hinaufgestiegen, um mit dem Pater zu schwatzen, obschon dieser mundfaul genug ist. Er sprach vorhin davon. Nun Gute Nacht, Kinder, und ich hoffe, Signor Prussiano, daß morgen gute Botschaft für Sie eintrifft!«

Der Oberleutnant und die Irländerin verließen den kleinen Raum; beide gingen eine kurze Strecke schweigend nebeneinander her, bis sie in der Nähe ihrer Hütten waren.

»Gute Nacht, Mylady,« sagte der Preuße – »und seien Sie versichert, was uns auch das Schicksal bestimmt haben mag, ich werde nur mit Verehrung Ihrer gedenken.«

»Hier – nehmen Sie, Sir!«

»Wie, Mylady, Ihre Waffe?«

Sie drängte ihm den Revolver auf. »Sie dürfen nicht ohne ein Mittel sein, Ihr Leben zu verteidigen,« sagte sie hastig. »Ich weiß nicht, mir liegt es so bang und schwer auf der Seele, wie die Nähe eines großen Unglücks. Ich bin schuld an dem Ihren, ich will wenigstens gut machen, was ich kann. Nehmen Sie!«

»Eine Waffe ist eine Sache, die ein Soldat niemals verschmäht,« sagte er lächelnd, »und ich glaube, daß ich sogar mit Ihrem Revolver schon nähere Bekanntschaft gemacht habe, damals bei meinem ersten Angriff auf den Turm am Monte Turchio. Es ist zwar mehr ein Spielwerk, man hat aber immer größeres Vertrauen auf sich selbst, wenn man die Mittel zur Verteidigung hat, und so danke ich Ihnen von Herzen, Mylady, und hoffe, daß wir uns noch an weniger gefährlichen Orten wiedersehen werden, wo ich nicht der Capitana Maria, sondern der Lady O'Donnell meine Verehrung bezeigen kann!«

»Die heilige Jungfrau möge es lenken, daß Sie der Waffe nicht bedürfen. Leben Sie wohl, Sir!«

Sie verschwand in dem kleinen verfallenen Blockhaus, in dem sie mit den Frauen das Nachtlager genommen, während der junge Offizier seinen Weg fortsetzte und von verschiedenen Gedanken bewegt, noch ein paarmal an den Feuern auf und niederging, um welche die Briganten lagerten.

Als er das letzte Mal dabei sich der Stelle näherte, wo sich der Aufgang zu der Berghöhe befand, sah er von der Hütte, die den drei Gefangenen angewiesen worden, den Kapitän Chevigné in seinen weißen Mantel gehüllt, herkommen. Eine Frauengestalt glitt vor ihm her.

Er trat auf den Verhüllten zu.

»Wenn Sie mich suchten, Monsieur le Kapitän, Ihr Gefangener ist hier und wollte nur noch ein paar Minuten die Stille der Nacht genießen. Der Capitano glaubte Sie auf einem Besuch bei dem Einsiedler!«

Der Mann im Mantel murmelte einige Worte und wollte an ihm vorüber.

»Was denken Sie, Kapitän Chevigné – werden wir morgen Antwort … aber zum Teufel, das ist unmöglich der Kapitän!«

»Still – machen Sie die Leute nicht aufmerksam. Es handelt sich um unser Leben.«

»Ah! Graf Sismondi? Sie selbst?«

»Gewiß! ich habe Gelegenheit, zu entkommen, und Sie werden es verständig finden, daß ich sie benutze. Die erste Abteilung unserer Truppen, auf die ich stoße, führe ich hierher, um Sie zu befreien. Der Bersaglieri wird Ihnen das Nähere berichten.«

Der Oberleutnant tat einen Schritt zurück. »Ah – ich verstehe! Genieren Sie sich nicht und glückliche Reise, Don Sismondi.«

Der Major wollte etwas erwidern, aber er besann sich und setzte rasch seinen Weg fort. Der Oberleutnant sah, daß sich die Frauengestalt, die er vorhin bemerkte, ihm anschloß und beide den Weg nach der Berghöhe einschlugen.

Ein tiefbitteres Lächeln über dies unkameradschaftliche selbstsüchtige Verfahren erkältete sein Herz; dann aber raffte er sich auf und suchte den alten frischen Mut wiederzugewinnen. »Bah,« murmelte er vor sich hin – »er ist ein Italiener und jedem das nächste, für sein eigenes Leben zu sorgen. In neunundneunzig Fällen von hundert würden andere ebenso handeln. Überdies hatte er ein Recht dazu, denn er warf die höchste Zahl, und ich habe ja jetzt das Mittel zur Verteidigung, wenn man etwa seine Flucht an mir rächen will.«

Er wandte sich zu der Hütte, die ihm zum Aufenthalt angewiesen worden und streckte sich nach einer kurzen leisen Unterredung mit dem Bersaglieri auf die wollene Decke, die allein das Lager auf dem harten Felsboden bildete.

Der Soldat legte sich quer vor die feste Tür.


Wir müssen zum Kapitän Chevigné zurückkehren.

Der Offizier hatte während des ganzen Tages seine Absicht nicht aus den Augen verloren, den nächtlichen Vorgängen im Kloster der heiligen Magdalena beizuwohnen, auf welche die einzelnen von ihm aus der Unterredung zwischen dem Klausner und der Äbtissin verstandenen Worte hingedeutet hatten. Er sagte sich zwar selbst, daß die Sache ihn nichts angehe und offenbar nur mit den von Tonelletto aus Rom überbrachten Anweisungen der geistlichen Oberen des Klosters in Verbindung stand und daß ein Belauschen seiner als Gentleman unwürdig sei; indes waren die einzelnen Andeutungen, die er gehört, zu seltsam und abenteuerlich, als daß sie nicht sein Interesse, seine Neugier aufs höchste hätten reizen sollen, und er entschuldigte sich vor sich selbst mit der Pflicht, die Sicherheit seines Trupps in jeder Beziehung überwachen zu müssen.

So traf er denn seine Vorbereitungen, die vorzüglich darin bestanden, aus den geringen Vorräten der Briganten ein Paar Enden Wachskerzen und ein Feuerzeug sich zu verschaffen, und indem er Büchse und Mantel zurückließ, begnügte er sich mit dem Revolver im Gurt, hängte den Säbel fest ein, damit sein Klirren ihn nicht verraten möchte, und machte sich, als er den Capitano am Feuer im Gespräch mit den jungen Leuten sah und der Nachtwind die Töne der Glocke der Einsiedelei niedertrug, auf den Weg nach der Felswand.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Mündung des unterirdischen Ganges, die ihm der Klausner am Morgen gezeigt hatte, sich diesseits der Stelle befand, wo die Posten der Briganten aufgestellt waren, daß er also diese nicht zu passieren brauchte, um zur Höhe des Berges zu gelangen.

Ohne daß er eine Ahnung davon hatte, wurde dieser Umstand sehr günstig für die Flucht des piemontesischen Offiziers mit seiner Begleiterin; die Schildwache, getäuscht durch den weißen Mantel des Offiziers, hielt den Begleiter des Mädchens für den Kapitän und begnügte sich, im stillen eine Verwünschung über die Leichtfertigkeit der Weiber zu murmeln, die so rasch den alten Geliebten vergäßen und mit einem andern Mann in der Nacht umherliefen, hütete sich aber wohl aus Respekt vor dem Kapitän diese Bemerkung laut werden zu lassen.

Nach einigem Suchen beim Mondlicht entdeckte der französische Offizier auch glücklich die Öffnung des Ganges, schlüpfte in diese hinein und zündete nun sein Licht an.

Im Schein der kleinen Flamme sah er, daß der Klausner ihn wirklich nicht getäuscht, und daß er sich in einem anfangs sehr schmalen und niedern Felsengang befand, der sich aber bald erweiterte und in dem er ungehindert fortschreiten konnte. Der Weg lief in Windungen, in denen ihn zuweilen ein frischer Luftzug aus einer nach oben offenen Felsenspalte anwehte, teils eben, teils auf rohen Stufen, ziemlich steil, aber doch nicht unbequem nach oben, und nach einer Viertelstunde des Steigens erkannte der Kapitän zur Seite die Abzweigung, welche zu der Klause des Einsiedlers führte.

Hier vernahm er bereits wieder den von der andern Seite herauf schallenden melancholischen Chor der Nonnen aus der Klosterkirche, der ihn in der Nacht vorher erweckt hatte.

Er verweilte einige Augenblicke an der Seitenöffnung, tat auch einige Schritte hinein, um zu horchen, ob etwa ein Geräusch die Anwesenheit des Klausners in seiner Zelle verkünden möchte, und als dies nicht der Fall war, setzte er, jetzt niedersteigend seinen Weg mit Vorsicht fort.

So erreichte er die Stufen, welche zu dem offenen Raum auf der Emporkirche und der Wand des Campo santo führten.

Kapitän Chevigné vernahm hier wieder deutlich den Gesang aus der Kirche, nur daß er ihm heute noch ernster, trauriger erschien, und als er jetzt in die verborgene Loge trat, nachdem er sorgfältig sein Licht ausgelöscht, erkannte er alsbald die Ursache.

Der schon tiefer als gestern stehende Mond beleuchtete nur noch zum Teil den Steinboden des kleinen Begräbnisplatzes, und der Springbrunnen mit seinem unheimlichen Monument rauschte im Schatten. In dem noch hellen Teil aber sah der Offizier eine der großen Quaderplatten aufgehoben und an ihrer Stelle ein dunkles Grab gähnen.

Ein Blick in die Kirche hinab zeigte ihm, wozu es bestimmt war.

Noch stand der offene Sarg im Chor, von den vier Kerzen beleuchtet, aber statt des furchtbaren Bildes des Todes lag darin die Tote selbst, die Nonne, welche man am Abend vorher auf der Bahre in ihrem letzten Kampf der Nachtmesse hatte beiwohnen lassen.

Der Offizier war gerade zur rechten Zeit auf seinem Lauscherposten eingetroffen, um den Exequien beizuwohnen.

Da lag das arme blasse Weib mit den starren Zügen und den gefalteten Händen auf dem groben dunklen Gewand – überstanden die Sünden, überstanden die Buße, und eingegangen zu dem, bei dem ewig Gnade sein wird entgegen den harten Herzen der Menschen.

Ja, viel und schwer hatte sie wohl gefehlt in ihrem Leben. Aber nun lag der Friede des Todes auf dem blassen hagern Gesicht und sprach: Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet!


Die dumpfen Töne des Psalms: De profundis clamavi ad te Domine drangen herauf zu ihm und verhallten in dem engen Gewölbe – dann nahte der Priester dem Sarge und segnete die Tote ein zum ewigen Schlaf: und herauf klang es erschütternd:

Libera nos Domine de morte aeterna, in die illa tremenda, quando coeli movendi sunt et terra und der Chor respondierte murmelnd die schreckliche Verkündigung des jüngsten Gerichts: Dies illa, dies irae, calamitatis et miserae, dies magna, etamara valde.

Törichte Menschenkinder, wollt Ihr dem Tode noch neue Schrecken nachsenden und glaubt doch an die Barmherzigkeit Gottes? –

Die vier robusten finstern Laienschwestern, die der Kapitän schon in der Nacht vorher gesehen, hoben den Sarg jetzt empor, und der Priester ging ihm, die Gebete der Kirche murmelnd voran, während die Nonnen ihm mit Kerzen in der Hand folgten.

Der Kapitän bemerkte erst jetzt, daß in der Wand des Chors unter ihm die Pforte zum Campo geöffnet war.

Dort hinaus bewegte sich der Zug und nahm seinen Umgang drei Mal um den kleinen Platz, bis der Sarg an der offenen Gruft niedergesetzt wurde. Dann verschwand das bleiche Gesicht unter dem dumpf aufschlagenden Deckel und die Klosterdienerinnen senkten den Sarg in die Gruft.

Und unwillkürlich senkte der Blut und Tod gewohnte Offizier mit den Büßerinnen drunten das Knie und murmelte mit ihnen den letzten Gruß des Lebens an die Tote:

Requiem aeternam dona ei Domine!

Requiescat in pace!

Als er wieder aufblickte nach dem kurzen Gebet, das er für die ihm unbekannte Tote gesprochen, war das Leichengefolge verschwunden.

Alles war still und dämmernd um das noch immer offen gähnende Grab – nur unter den Arkaden schienen ihm dunkle gespenstige Schatten umher zu gleiten, – von Grabstein zu Grabstein drangen Laute durch die Stille, als würden schwere Schlüssel in knirschenden Schlössern umgedreht.

Der Mond war hinter die Berghöhen im Westen getreten, Schatten lagen auf dem Campo, auf dem Kloster, auf dem ganzen Berghang.

Plötzlich hörte der Offizier es über sich rasseln und schwirren – es klang wie Räderwerk unheimlich durch die Nacht und dann erbebte der erste Schlag der Mitternachtsstunde auf der, wie er jetzt bemerkte, in der Wand über ihm befindlichen Turmuhr.

Als der letzte der Schläge verzittert, glaubte er ein Echo zu hören, es dröhnte gleich schweren Schlägen von unten herauf – sechs Mal – an verschiedenen Stellen. Der dumpfe Ton kam von den Arkaden her.

Die Nächte im Süden sind meist von einer großen Klarheit, so daß man im allgemeinen die Umrisse der Gegenstände leicht unterscheiden kann.

Ein seltsamer traumartiger Vorgang entwickelte sich vor seinen Blicken.

Unter den Arkaden schien es sich zu regen und lebendig zu werden.

Die weißen Grabsteine an den Mauern bewegten sich, dunkle schattenartige Gestalten schlichen stumm zwischen ihnen hervor, schweres Stöhnen, als hole eine belastete Brust wieder zum ersten Male freien Atem, klang geheimnisvoll durch das Dunkel.

Dann plötzlich erhob sich von dem Rand des Bassins, wo er sie bisher im Schatten gar nicht bemerkt hatte, eine schwarze hohe Frauengestalt.

»Töchter der Sünde – Verfluchte von Gott und Menschen – die Pforten Eurer Gräber haben sich noch einmal aufgetan für Euch. Tretet näher und hört mich!«

Es war die Stimme der Äbtissin, die er am Abend vorher vernommen.

Aus dem Dunkel der Arkaden hoben sich sechs schwarz verhüllte Gestalten und schlichen scheu herbei, um das Bassin einen Kreis bildend, wortlos, ohne sich eine der anderen zu nähern.

»Ihr wißt,« fuhr die Stimme der Äbtissin fort, »daß jede von Euch für ihre Sünden und Freveltaten ausgestoßen worden von der geistlichen Gemeinschaft, ja aus dem Kreise der Lebenden, und daß Ihr mit Recht verurteilt worden, für den Rest Eures Lebens abgeschlossen von der menschlichen Gesellschaft, ja selbst aus dem Kreise Eurer büßenden und bereuenden Schwestern in diesem Kloster lebendig tot der strengsten Entsagung und Buße zu leben, bis Ihr eingeht – nicht zum ewigen Leben, sondern zur ewigen Verdammnis für den zehnfachen Bruch Eurer Gelübde?«

»Wir wissen es!« klang es im Kreise; nur eine der Verhüllten machte eine Bewegung, als wolle sie Widerspruch erheben, aber eine strenge Geberde der Äbtissin wies sie zurück.

»Die Wege Gottes sind unerforschlich,« sagte diese. »Die Vorsehung bedient sich zu ihren Zwecken selbst der Frevler und Sünder. Ein Höherer denn wir alle, das Gericht, das Euch verurteilt, befiehlt, daß Ihr ins Leben zurückkehrt, nicht zu dem Leben in den Mauern eines Klosters, sondern in das Leben der sündigen Menschen, als hättet Ihr nie die kirchlichen Gelübde der Armut, der Keuschheit und der Demut abgelegt und gebrochen. Nur das des Gehorsams bleibt in unveränderter Kraft.«

Eine wilde Bewegung machte sich im Kreise der Verhüllten bemerklich. Weiße Hände fuhren aus den dunklen Gewändern, als wollten sie die Hüllen zerreißen. Ein lauter Schrei, ein Schluchzen, ein wildes Jauchzen drang aus den Kapuzen hervor – zwei oder drei der Verdammten stürzten nieder vor der Oberin und versuchten ihre Knie zu umfassen.

»Still! noch seid Ihr in meiner Gewalt. Erhebt Euch, Elende! Ehe Ihr die Freiheit kostet und zurückkehrt zu Eurem sündigen Leben, müßt Ihr noch einmal den Eid des Gehorsams leisten!«

»Wir schwören! wir schwören!« gellten sechs Stimmen durcheinander.

»Nicht also! hier auf das offene Grab einer Sünderin, ähnlich Euch, die strenge Buße getan und in gläubiger Reue gestorben ist, leistet den Schwur des blinden Gehorsams unter den Willen derer, deren Macht Euch noch einmal dem Leben zurückgibt, und bedenkt, daß keine von Euch Verruchten dieser Macht entfliehen kann und ginge sie bis ans Ende der Erde. Sie wird Euch finden, wenn Ihr abweicht von dem Wege, der Euch vorgezeichnet ist, und Euch zurückführen in diese Mauern zu einer Strafe, zehnmal schlimmer als die, welche Ihr jetzt erduldet!«

»Wir schwören!«

»Du, die du bisher nur als die Zahl Eins gelebt – tritt vor, leiste den Eid und empfange deinen Namen zurück, Giuliana

Eine hohe, selbst im dunklen Büßerhemd noch schlanke und stolze Gestalt trat vor bis an das offene Grab.

»Ich schwöre! nicht aus Gehorsam, sondern weil ich den Tod deiner Geißel vorziehe!«

»Möge die Hoffart dein Fluch sein! Leiste den Eid, Zahl Drei, Martina

Eine Verhüllte schlich heran, scheu um sich blickend, – und sagte hastig: »Ich schwöre!«

»Dir wäre besser, du bliebest hinter Stein und Riegel, denn Unheil genug hat schon das Gold in die Welt gebracht! – Nummer Vier – Elena, Buhlerin – schwöre!«

»Warum sind Sie so streng gegen mich, hochwürdige Frau?« sprach eine süße einschmeichelnde Stimme. »Wir sind ja alle Sünderinnen gewesen, auch Sie, wenn Sie sich nur erinnern wollten!«

»Schweige, Natter!«

»Die Liebe ist so süß! – ich schwöre!«

»Sieben!«

Ein ungewohnter Laut in diesen Mauern, der Triller einer ausgelassenen Tarantella machte alle erstaunen. »Hier, Hochwürdigste! Ich gelobe der heiligen Magdalena zehn armdicke Kerzen für die Erlösung aus diesem Fegefeuer, und schwöre, was Sie wollen!«

»Denk an dein Ende, Frevlerin! Fort von mir! Matilda – Neun!«

»Wenn diese alle frei werden, warum sollte ich es nicht! Freiheit ist die Macht, unsere Leiden an der undankbaren Welt zu rächen! ich schwöre!«

»Die letzte denn von Euch – Elf! Carlotta – Abtrünnige!«

Eine schwere, volle Gestalt näherte sich. »Meinetwegen denn – ich schwöre!«

»Ihr werdet alles erhalten, was Euch zum Verlassen dieses Ortes notwendig ist. Eine Laienschwester wird Euch zu dem Ort geleiten, wo Ihr eine Führerin findet. Es ist der Befehl Eurer Richter, daß Ihr ungesäumt nach Ponte Corvo zieht – bei einem Mann Namens Valdieri werdet Ihr die weiteren Befehle erhalten. Ihr werdet die Vergangenheit vergessen, wie Ihr diesen Ort der Strafe vergessen müßt. Ein neues Leben liegt vor Euch – nur Eure Schuld ist's, wenn Ihr zurückfallt in die Sünden des alten!«

Ein lautes Gelächter antwortete dieser Ermahnung.

»Unverbesserliche Sünderinnen, die Ihr seid – möge dies stille Haus niemals, niemals Euch wiedersehen!«

»Niemals! Niemals!«

»Wir wollen bestens dafür sorgen!«

»So überliefere ich Euch denn Eurem Geschick und mögen Eure Sünden wenigstens den Feinden der Kirche zum Verderben werden! – Apage Satanas! Ihr Mägde!, tut wie Euch befohlen!«

Unter dem Gelächter, unter dem Jauchzen der Befreiten verließ die Äbtissin hastigen Schrittes das Campo. Im Augenblick, wo die Tür der Kirche hinter ihr ins Schloß fiel, flammten an den Vierecken des Hofes große Pechbecken auf und verbreiteten volle Helle über den engen Raum.

Zugleich erschienen die vier dienenden Laienschwestern, große, robuste Gestalten, mit brutalen, häßlichen Gesichtern.

Zwei von ihnen trugen einen Korb mit Wein und Speisen, die beiden andern sechs Kleider-Packen, die sie auf den Rand des Marmorbeckens ausbreiteten.

»Da nehmt, eßt und trinkt, und reinigt und kleidet Euch. Pater Gerardo, der fromme Mann, hat's so befohlen, ehe Ihr fort müßt. Er betet drinnen vor dem Altar für Eure Besserung, Ihr Teufelsbraten!«

» Evviva il padre Gerardo! Herunter mit dem Plunder, Schwestern, und dann einen Rundtanz um das edle Symbol der raschen Vergänglichkeit des Lebens, das uns mahnt, es zu genießen!«

Die Hände Theresas rissen von ihren Schultern das braune Büßerhemd und schleuderten es auf den Boden. »Verflucht seist du, daß du mich um ein Jahr meines Lebens gebracht hast!«

Nach allen Seiten flogen die rauhen Gewänder der Buße, runde weiße Arme, volle Busen glühten nackend im Feuer der Pechflammen.

»Hierher, alter Nickel – sieh zu, wie deine letzte verfluchte Geißelung meine zarte Haut zerfleischt hat! Möge der Teufel dich hundert Jahr dafür braten lassen.«

»Ja, ja – sie führte eine schändliche Peitsche. Wir wollen sie ins Wasser werfen dafür!«

»Satansdirnen, die Ihr seid,« sagte die bedrohte Laienschwester, »wißt Ihr wohl, wie stark wir sind? Da – nehmt und trinkt!«

Sie reichte ihnen offne Flaschen hin, auf die sich die Schwestern Theresa und Martina stürzten, die eine aus Lust am Schwelgen, die andere in dem Verlangen, sich ihren Anteil nicht von andern nehmen zu lassen.

Theresa war eine mittelgroße, schlanke Gestalt mit kleinen Füßen und kleinen Händen. Sie hatte rötliches Haar, ein dunkles, übermütiges Auge und eine kurze, leicht gebogene Nase. Der Mund war trotz der jetzt blassen Farbe und der Abmagerung ihres Gesichtes voll und schön, und in ihrem ganzen Wesen lag etwas übermütiges, Herausforderndes, das selbst die harten Geißelungen, deren Spuren ihr nackter Rücken zeigte, nicht hatte unterdrücken können.

Sie hatte das wohlgeformte Bein, auf dem der grobwollene Unterrock bis über das Knie zurückgefallen war, auf den Rand des Bassins gesetzt, den halbnackten Oberkörper mit der kräftigen Brust weit zurückgebogen und hielt die Flasche hoch an den Mund. Theresa konnte etwa 24 Jahre alt sein.

»Den Teufel,« sagte sie nach dein Trunk, – »das schmeckt nach der langen Entbehrung. Es ist wahrhaftig Malvasier! Es lebe der Padre, der ein Kenner sein muß!«

Martina war zwei bis drei Jahre älter. Sie war von kleiner Gestalt, mager und blaß, hatte aber ein Paar wundervolle schwarze Augen, gleich denen der Klapperschlange. Als sie ein wenig getrunken, steckte sie die Flasche in ihr Gewand, denn sie allein hatte die Kutte der Büßerinnen nicht von sich geworfen, sondern sich begnügt, die Kapuze zurückzuschlagen.

»Teufelsbraten, der du bist!« sagte die erste Klosterdienerin zu Theresa – »was wirst du für Unheil in der Welt anrichten, wenn du wieder frei bist. Ich bin froh, daß wir dich los werden! Aber nun kämmt Euch, wascht Euch, macht Euch schön, Wasser ist hier, dort liegen Kleider und Spiegel. Schaut, Numero vier ist bereits daran!«

Trotz der widersprechenden Gefühle, welche die ganze Szene in dem geheimen Belauscher angeregt, der – so wenig sich auch die wilde Gesellschaft jetzt genierte, – doch immer nur Einzelheiten verstehen konnte, hafteten seine Augen, durch das scharfe Glas unterstützt, doch mit einer gewissen Aufregung auf der Nonne, welche die Dienerin als Nummer vier bezeichnet und die Oberin Elena genannt hatte.

Sie hatte sich ganz entkleidet, und trotz der Frische, ja Kälte des Wassers ihren nackten Leib in das Bassin getaucht. Als sie sich jetzt aus dem im Feuer der Pechfackeln glühenden Wasser erhob, glaubte der arme Kapitän die griechische Mythe sich erneuern zu sehen, welche Venus an den Gestaden der Felseninsel Cerigo dem Meerschaum entsteigen läßt.

Selbst zwanzig Monate der unmenschlichen Gefangenschaft hatten diesen, die Venus vulgivaga beschämenden Körper nicht seiner die Sinne betörenden Reize zu berauben vermocht. Wie sie in dem Wasser der Fontaine den Schmutz des Kerkers in raschen Bewegungen von sich streifte, deren jede neue Reize enthüllte, wie sie auf dem Rande sitzend von einer der Dienerinnen ihre runden Glieder trocknen ließ und mit einem Kamm durch die schon wieder bis zum Nacken gewachsenen blonden Locken strich, war sie wunderbar schön.

Die schöne Elena betrachtete sich in dem Handspiegel, den ihre Linke hielt, und ihre blauen, schmachtenden Augen strahlten in dem Genuß der eigenen Schönheit. Dann ließ sie Spiegel und Kamm fallen und griff mit beiden Armen, den Kopf zurückgebogen, hinaus in die Luft, als wolle sie einen unsichtbaren Gegenstand erfassen und an die warme Brust drücken.

Wer das wunderbare Bild Coreggios in der Bildergalerie zu Berlin gesehen hat, Io mit der Wolke – kann einen Begriff haben von dieser Szene!

Die Schönheit dieses Körpers blieb so wunderbar verschieden von der Gruppe ihr gegenüber, wie der poetisch-berauschende Schaum des Champagners von dem schweren Schaum des Biers, wie die Poesie von der Wirklichkeit. Und dennoch war das Weib, das sich dort mit träger Behaglichkeit den Händen der beiden letzten Dienerinnen überließ, die ihr die Gewänder von dem üppigen, fast zu vollen Körper streiften, die blauschwarzen Haare in ein rotes Netz zwängten und mit Salben und Ölen die vor der Kälte des Wassers schauernden Glieder strichen, kaum minder schön. Der weiße, zarte Teint dieses Kopfes wurde gehoben durch die starken dunkeln Bogen der Brauen, die sich über zwei großen, mandelförmigen Augen wölbten, deren tiefe Schwärze eine Art phlegmatischen Feuers zeigte, eine Art stillen Verzehrens, was nicht in einem Glut- und Wolluststrom, sondern langsam, wie der Vampyr, die Kraft und das Leben seines Opfers in sich saugt.

Es lag der unverkennbar breite orientalische Typus in diesem Gesicht, aber es war sehr schön, von jener Schönheit, die viele Männer der geistigen lebenswarmen vorziehen. Die schöne Carlotta konnte, obwohl sie – wie die Äbtissin gesagt – bereits einem Prinzen einen Sohn geboren – doch eben nicht mehr als zwanzig Jahre zählen. Während sie ihre Glieder waschen und reiben und sich die Kleider anlegen ließ, tat die schöne Carlotta dem nächtlichen Imbiß, den die Laienschwestern herbeigetragen, behaglich sein Recht an.

Die wilde Theresa hatte ein rotes Tuch den Händen Martinas entrissen und sich gleich einer phrygischen Mütze um den Kopf gewunden.

»Auf, Schwestern – ich kenne euch zwar nicht, wir haben nie einander gesehen draußen im reizenden Leben, aber daß wir uns hier begegnen, bürgt mir dafür, daß die Hölle euch in den Klauen hatte, wie mich! Es lebe die Lust! es lebe die Freiheit!«

»Einen Augenblick noch – Schwestern der Nacht! Nicht ohne Ursache schickt man Dämonen, wie uns, wieder hinaus in die Nacht. Man will also unsere Sünden, unsere Verbrechen! Wohlan denn, so laßt uns einen Bund der Sünderinnen schließen zum Verderben der Menschen, die uns für Fehler, welche die Natur uns auf den Weg gegeben, so harter Strafe unterwerfen konnten, wie wir getragen! Keine Schwachheit, keine Reue! Der Weg, den man uns weist, ist kein Zwang, weil er uns paßt, freiwillig wollen wir ihn gehen, so lange es uns gefällt. Was kümmert uns das Ende? Es lebe die Sünde!«

»Es lebe die Sünde!« jubelte fanatisch im halben Rausch der Kreis.

Die Flaschen des feurigen Weins liefen von Hand zu Hand, immer mehr und mehr glichen die dem Grabe Entstiegenen dem Chor der Mänaden!

Die tolle Theresa gellte die üppige Melodie eines Pariser Cancan durch die Stille der Nacht, die Hände faßten sich, mit entblößten Busen, mit fliegenden Haaren und geröteten Wangen tanzte der wilde Reigen um das Bassin, um das offene Grab.

Selbst die finsteren, rohen Klostermägde, die Scherginnen dieser furchtbaren Zucht und Buße, verzogen das Gesicht zu wildem Gelächter.

Keuchend, erschöpft blieben die Rasenden stehen.

»Schwestern,« sagte die Polin Matilda, »wir müssen eine Capitana wählen, die Königin der Sünderinnen!«

»Mir gebührt es – in meinen Adern rollt königliches Blut!«

Ein schallendes Gelächter antwortete dem stolzen Anspruch der Spanierin. »Zugestanden! Zugestanden! Es lebe die Königin aller Sünden und aller Laster der Frauen!«

»Laßt uns trinken, tanzen, lieben, Schwestern der Nacht! Es lebe das Bacchanal, es lebe die Freude!«

Die erste Klosterdienerin schwang die Peitsche über den Köpfen der Mänaden. »Teufelsweiber! werdet ihr endlich aufhören? Legt die Kleider an, oder bei der heiligen Schutzpatronin des Hauses, wir peitschen Euch nackt hin aus auf die Landstraße!«

Ein Hohngeschrei antwortete dem Befehl, aber die Drohung der robusten Arme erzwang Gehorsam. In Hast, unter hundert frivolen, frechen, obszönen Scherzen wurde die Toilette der ländlichen Garderobe vollendet.

»Bei. dem heiligen Kardinalskollegium, seht her, Kinder, gleiche ich nicht auf ein Haar der hübschen Zerline im Fra Diavolo?«

»Diavolo! Diavolo! Diavolo!« antwortete der Chor.

»Ach die Männer, die Männer! wir wollten zufrieden sein für die Nacht, und wenn es nur Banditen wären. So ein verteufelter Mörder muß ganz magnifigue lieben!«

»Hinaus mit euch! Schwester Beatrice, öffne die Pforte!«

»Beatrice di Tondi! ein Teufelsweib! Stimmt an, Schwestern, den Rundgesang des Auszugs aus Egypten. Das Trinklied aus Lucretia!«

Die Sängerin Carlotta intonierte mit ihrer herrlichen Stimme das übermütige Lied Orsinis, aber drei, vier Stimmen schrien dazwischen: »Nichts da – evviva la libertá! – Die Garibaldihymne! die Marseillaise! ein Pereat Magdalenen, der Büßerin und ihrem Kloster!«

Unter frivolem Gelächter und dem Gesang der Garibaldihymne zog, von der Laienschwester getrieben, die wilde Schar durch die enge Mauerpforte des Kirchhofs.

Mit Abscheu wandte sich der französische Offizier von dem Anblick der letzten, die eine frivole unsagbare Geberde nach dem Kloster machte – sein Blick fiel zur andern Seite hinab in die Kirche.

In dem Dämmerlicht der ewigen Lampe kniete vor dem Hochaltar eine Gestalt in brünstigem Gebet.

Es war der Klausner, der für die Sünderinnen betete.

Plötzlich fuhr der Kapitän lauschend auf –

Das war ein Gewehrrasseln – –

» Ferma!«

Ein Schrei des Schreckens – herein aufs neue in den Kirchhof flutete der Haufen der vertriebenen Nonnen – hinter ihnen Bajonette, bärtige Gesichter, Jubel und Gelächter.

»Greift sie! Das ist treffliche Beute! Subito! presto! es lebe die lustige Schwesternschaft!«

An die Mauerpforten des Klosters donnerten gewichtige Kolbenschläge. »Aufgemacht, oder wir stecken das ganze Nest in Brand!«

Ein Schuß knallte.

»Heiliges Kreuzmillion – wer ist der Tölpel? Es wird sie vor der Zeit aufmerksam machen! Vorwärts, Leute, schlagt die Türen ein! Das ist lockere Beute, die Euch nicht entgeht!«

Das Geschrei der Weiber, weniger vor Schrecken, als Gelächter und Kreischen unter den handgreiflichen Zärtlichkeiten der Soldaten, mischte sich mit dem Lärmen der ein brechenden Schar.

»Zur Höhe des Berges, Signor Kapitano,« sagte eine gebietende Stimme – »wir müssen die Schufte überraschen, ehe die Klosterleute ihnen Nachricht geben. Lassen Sie alle Ausgänge sperren!«

Der Kapitän starrte hinunter, diese Stimme hatte er noch vor wenig Stunden gehört, der piemontesische Major – Graf Sismondi –

»Höll und Teufel! woher der Verrat?«

Die Tür vom Campo in das Schiff der Kirche flog gesprengt aus dem Schloß – dort, vom Hochaltar der durch das Schiff der Kirche floh die Gestalt des Klausners!

»Haltet ihn auf! Nieder mit dem Pfaffen, wenn er nicht steht!«

Wieder blitzte ein Schuß – der Eremit stürzte in die Knie – dann raffte er sich empor. »Heilige Jungfrau, erbarme dich meiner und gib mir Kraft!«

» Avanti! avanti!«

Ihre Eile war vergeblich – in dem dunklen Raum war niemand mehr zu sehen.

»Bringt die Fackeln her! Sucht den Priester! Schlagt die Türen ein!«

Der französische Offizier hatte endlich sich von der jähen Überraschung ermannt. »Das sind die Piemontesen – es gilt uns!« er sprang die Stufen hinunter in den Gang, er griff sich fort an den Wänden, ohne sich Zeit zu nehmen, Licht anzuzünden.

Dann hörte er ein Stöhnen vor sich. »Heilige Madonna – noch wenige Augenblicke Leben und Kraft, daß ich sie warne!«

»Halt – wer dort?«

»Gnade Gottes – Kapitän Chevigné!«

»Pater Gerardo!«

»Bei allem, was Ihnen heilig ist, Monsieur, wie Sie auch hierherkommen, helfen Sie mir in meine Zelle, ich kann nicht weiter!«

Der Offizier hatte den an der Wand niedersinkenden Mann umfaßt und schleppte ihn fort. Warm quoll es über seine Hand!

»Sie sind verwundet, Pater?«

»Wer Blut vergossen, des Blut soll wieder vergossen werden! Gott sei einem großen Sünder gnädig!«

»Dem Himmel sei Dank – dort ist das Licht Ihrer Klause!« Er schleifte den Verwundeten mehr, als er ihn trug, in das Innere.

»Dort! dorthin! – der Strick – –«

Da der Offizier nicht sofort verstand, schleppte sich der Sterbende bis zur Stelle, wo der Strick von der Glocke niederhing und klammerte sich mit der letzten Kraft daran. – Die Glocke schrillte Mordio durch die Nacht.

»Fort! Fort! Retten Sie die Streiter der Kirche! – Grüßen Sie Frankreich von einem Toten!«

In der Aufregung dachte der Kapitän kaum an den unterirdischen Gang – er wußte, daß er dort nur langsam vorwärts kommen würde und stürzte aus der Tür der Klause.

» Avanti! avanti!«

Über das Plateau der Bergwand sprangen bereits die Gestalten der piemontesischen Soldaten, immer neue tauchten zwischen den Steinen empor.

Heiliger Gott – das geübte Ohr konnte ihn nicht täuschen! Von der andern Seite herauf, aus der Schlucht trachte gleichfalls schon Gewehrfeuer. – Das Lager mußte von beiden Seiten angegriffen sein!

Der Kapitän war mit einem Sprung in die Klause zurück – wie ein schriller Ton verhallte eben der letzte Schwung der Glocke – lang ausgestreckt am Boden lag der Einsiedler.

»Gnadenreiche Mutter der Schmerzen, steh mir bei und bitte an Gottes Thron für mich Sünder!«

Der Offizier – vergessend alles umher – hob den Sterbenden empor, um ihn niederzulegen auf sein Lager, aber dieser streckte die Hand nach dem Kreuz.

»Zu den Füßen meines Heilandes, Sohn – laß mich sterben im französischen Arm! – Da – nun – das Blut der Choiseul ist in deinen Adern! – Dort hinter dem Bild – Gott sei mir Sünder gnädig!«

Die Hand streckte sich aus und sank dann schwer nieder, der Kopf fiel zurück auf den Arm des Franzosen –

Er war tot!

Gewehre klirrten umher – rings um die Klause Soldaten – er riß den Revolver aus dem Gürtel und schlug ihn auf die nächsten an.

»Keine Torheit, Kapitän Chevigné – jeder Widerstand ist vergebens und würde Ihr Los nur erschweren. Ehrliche Kriegsgefangenschaft, ich bürge mit meinem Wort!«

Es war der Major Sismondi, der sie bot. Ein Blick umher belehrte den tapferen Franzosen, daß keine Hoffnung war, sich durchzuschlagen. Er ließ die Waffe fallen, zog den Säbel aus dem Gehenk und reichte ihn dem Conte.

»Ich bin Ihr Gefangener, Signor. Ist es erlaubt, an den Armen hier, der den Kugeln Ihrer Leute zum Opfer gefallen, ein Andenken mitzunehmen?«

»Es wird wenig des Aufhebens Wertes hier sein. Ich hindere Sie nicht!«

Der Franzose ging zur Wand und nahm aus dem ärmlichen Rahmen die schlechte Lithographie mit dem Porträt des Juli-Königs!

» Cospetto Signor – ich wußte nicht, daß Sie Orleanist sind!«

Ohne Antwort rollte der Offizier das Papier zusammen, auf dessen Rückseite ein altes Zeitungsblatt geklebt war, und schob es in die Brusttasche seiner Uniform.

»Jetzt, Signor Conte, stehe ich zu Ihrem Befehl!«


Es war eine Stunde nach Mitternacht zur selben Zeit, in welcher drüben auf der anderen Seite des Berges die Klostermägde der Orgie ein Ende machten und die Entarteten hinaustrieben, als der wackere Brigantenchef von einem lauten Hundegebell erwachte.

»Zum Teufel – das Geheul sollte ich kennen,« brummte er unwillig. »Das ist die Stimme Plutos! Wer zum Henker hat die Bestien freigelassen in dem Dorf, wo ich sie untergebracht!«

Es waren zwei riesige Abruzzen-Hunde, die heulend und winselnd vor Freude über die Nähe ihres Herrn an der Tür der Hütte scharrten.

Der alte Bandit erhob sich mühsam und fluchend von seinem Lager und humpelte an dem Stock zur Tür. »Sieh, sieh – der Kapitän ist auch noch nicht da. Die Gesellschaft des Paters scheint ihm besser zu passen, als die meine. – Ruhig Pluto, alter Bursche – nieder sag' ich! Du bist die beste Spürnase im ganzen Gebirge, daß du deinen Herrn hier aufgefunden hast! – Nieder mit dir, Bursche, und zerre nicht an meinem wunden Beine! – Heilige Jungfrau, was ist das?«

Der Widerhall eines Büchsenschusses klang herauf aus dem Grunde – von dort her, wo der Wachtposten der Briganten stand.

Eine Salve krachte in der Tiefe, dann ein zweiter Büchsenschuß – ein gellender deutlich hörbarer Pfiff!

»Höll' und Teufel – das ist Überfall! Zu den Waffen, Kameraden! An die Büchsen, Leute!«

Die Wunde am Fuß schien vergessen –

An den niedergebrannten Feuern hoben sich die Schläfer, aus den Hütten und Höhlen stürzten sie herbei.

Es brauchte nicht viel Fragens, eine zweite Musketensalve drunten im Pinienwald ersparte es. Jetzt kam die militärische Ordnung, die Kapitän Chevigné in die Truppe gebracht, dem Anführer und ihr selbst trefflich zu statten. In wenig Minuten war sie kampffertig; noch ehe der äußere Posten die Höhe erreichen und den Bericht bringen konnte von dem Andringen der Feinde, waren zwanzig treffliche Büchsen ihm schon entgegen, warfen sich rechts und links zwischen die Steinklüfte des engen Weges, der aus dem Waldtal heraufführte und hielten mit wohlgezielten Kugeln den Vortrab der Feinde zurück.

» Maledetta bestia!« fluchte der verwundete Brigant, als er jetzt zu dem Anführer heran keuchte, – ich dachte mir fast, daß Gefahr in der Nähe sei, als die Hunde an mir vorüber stürmten. Bis an den Fuß des Berges müssen sie sie am Leitseil gehabt und dann losgelassen haben! Der Teufel hat ihnen die Hunde verraten, daß sie die Tiere brauchen konnten, unfern Weg zu finden!«

»Wie stark ist die Schar?« fragte der Capitano.

»Der Satan mag es im Dunkel wissen. Es wimmelt schwarz von ihnen im Walde – seit sie sich entdeckt sahen, wirbeln die Trommeln und tuten die Hörner ungeniert!«

»Das ist General Pinelli, der Bluthund, der sich seinesgleichen bedient hat, uns die Antwort zu bringen! – Verdammt, daß ich dem Pfaffen nachgegeben und einen aus dem Garn gelassen – aber lebendig sollen sie die anderen nicht haben! – Zurück Signor – in Ihre Hütte, und rühren Sie sich nicht, wenn Sie nicht eine Kugel durchs Gehirn haben wollen!«

Der rauhe Befehl galt dem Preußen, der sich durch die ihn finster messenden Männer gedrängt hatte.

Die Irländerin zog ihn hastig zurück. »Um Himmelswillen, Signor, halten Sie sich jetzt ihnen aus dem Wege!«

»Einen Mann vor ihre Hütte, Filippo!« befahl der Anführer – »einen der Unsern, der keine Umstände macht mit dem Messer, wenn es gilt. – Wo zum Teufel der Kapitän steckt? – Laßt die Weiber rasch zusammenpacken, was möglich ist und sich auf dem Weg zum Kloster zurückziehen. Ich denke, wir können sie hier bis zum Morgenlicht aufhalten. Leihe mir einer von Euch den Arm als Stütze – so das wird gehen!«

Immer heftiger wurde das Schießen unten im Grund und kam näher.

» Cospetto – ich glaube, die Schufte treiben die Unseren zurück und dringen vor! Nun bei meinem Schutz Patron, so lange wir den Rücken frei haben in diesem Felsennest, soll es ihnen nicht viel nützen. Nimm noch fünf von den Leuten, Filippo, und komm ihnen zu Hilfe!«

Der Befehl wurde sogleich erfüllt. Die zitternden Weiber der Bande, denen die Irländerin Mut einsprach und mit gutem Beispiel voranging, hatten die wenigen Habseligkeiten, die Decken und Pfannen zusammengepackt und waren im Begriff, den Weg nach dem Kloster anzutreten, als plötzlich durch die Nacht von der Höhe der Felswand die Glocke der Einsiedelei in wilden unregelmäßigen Schwingungen erklang.

»Höll' und Satan! da ist etwas los – der Padre läutet die Glocke nicht umsonst zu so ungewöhnlicher Zeit, – es ist ein Warnungszeichen, das er oder der Kapitän geben! Korporal Tourbillon!«

»Hier, Capitano!«

»Übernehmt den Befehl in Abwesenheit des Offiziers. Nehmt Eure Franzosen und deckt den Paß, wenn der Teufel dort sein Spiel haben sollte. Fort! – und die Weiber hierher!«

Der Korporal, an Gehorsam gewöhnt, war bereits mit seinen Leuten dem Aufgang zugelaufen. Schreiend, ihre Schutzheiligen anrufend, rannten die Weiber jetzt umher.

»Haltet das Maul, Kanaillen!« donnerte der alte Bandit – »plärrt eure Litaneien, wenn wir aus der Klemme sind! – Ha – daß ich mich hier nicht von der Stelle rühren kann!«

»Hier Capitano – das kann Euch den wunden Fuß ersetzen – steigt auf.«

Es war die Irländerin, welche die Geistesgegenwart gehabt, alles Gepäck von ihrem Esel zu werfen und das Tier herbeizuführen.

» Brava, Signora! Ihr habt das Herz und den Kopf auf dem richtigen Fleck. Das wird gehen – ich danke Dir Signorina! – Helft mir hinauf und dann möge der Teufel mein Bein holen, wenn es mich noch hindern will. – Was ist los?«

»Filippo läßt dir sagen, daß es nicht möglich ist, sie aufzuhalten – sie sind so zahlreich wie die Heuschrecken, und für jeden, der fällt, versuchen zehn andere, den Weg zu erklimmen.«

»Heilige Madonna – ich hatte recht! Jetzt bricht das Feuer auch dort oben los!«

In der Tat knallten Büchsen- und Musketenschüsse aus der Schlucht, die zur Höhe des Berges emporführte. Plötzlich fuhr eine Erinnerung dem tapfern Brigantenführer durch den Kopf.

» Per Baccho! daß ich es vergessen mußte! – Sage Filippo, daß er jeden Zoll breit halten muß, bis ich ihm Botschaft sende. – Hierher, Gasparino!«

Es waren nur drei Männer noch um ihn außer den jammernden Frauen

Der Capitano lenkte das Tier, auf dem er saß, zur Rechten, wo die Felswand jäh niederzufallen schien, zu der Stelle, zu der ihm am Nachmittag der Klausner geführt. Als der störrische Esel nicht gleich gehorchen wollte, kam ihm der Reiter mit der Spitze seines Messers zu Hilfe, daß er bockend ausschlug, aber bald die Gewalt des Reiters anerkennen mußte.

Als sie nahe am Ende der kleinen Ebene waren, erteilte der Capitano dem jungen Brigant einen kurzen Befehl. Dieser verschwand in dem Gebüsch, kam aber nach ein paar Minuten, während deren das Feuer immer heftiger fortdauerte, zurück.

»Alles wie Du sagst, Capitano!«

»Und drüben die Steinplatte?«

»Ich habe selbst auf ihr gestanden, sie hält.«

» Vittoria! Dann wollen wir diesen piemontesischen Schuften eine Nase drehen. Jetzt vorwärts und schaffe Var allem die Weiber hinüber.«

Der Esel, von dem Messer gestachelt, galoppierte zurück zu der Stelle, wo die Frauen sich um die Irländerin drängten, teils in Schluchzen und Klagen, teils mit wilden Verwünschungen auf die Gefangenen, deren Befreiung offenbar der so wohl gelungene Überfall galt, die beiden Banditen aufreizend, die der Befehl des Anführers hier noch zurückgehalten.

Die Befehle, die Tonelletto jetzt gab, waren kurz und umsichtig. Jedes Wort bewies, daß er zum Anführer geboren war und in einer militärischen Karriere vielleicht durch Klugheit und Mut hohen Ruhm erworben haben würde. Aber auch die ganze Wildheit der Banditennatur war erwacht. Die beiden Männer wurden mit der Order an die Verteidiger des oberen und unteren Weges gesandt, sich langsam zurückzuziehen und die Zahl der Schützen zu vermindern, bis das Signal des Capitanos auch die letzten zur eiligen Rückkehr rufen würde. Genau wurde ihnen der Platz bestimmt, an dem sie sich zu sammeln hatten.

Gasparino mußte zu diesem die Frauen voraus führen. Es blieb jetzt nur Tonelletto selbst und der Mann auf dem Platz, der vor der Hütte der Gefangenen Wache hielt.

Schon nach wenigen Minuten zeigten sich die Folgen der erteilten Befehle. Das Büchsenfeuer auf beiden Seiten wurde schwächer, man hörte das triumphierende Geschrei der vordringenden Soldaten, die aufmunternden Befehle ihrer Führer.

Dunkle Gestalten eilten über den Platz, bald einzeln, bald in Gruppen von zwei und drei. Sie sammelten sich um den Capitano, der mit ihnen sprach, während sie aufs neue die Büchsen luden. Auf seinen Befehl eilte ein Teil nach dem Ort, wo bereits Gasparino und die Frauen verschwunden waren und wohin setzt langsam der größere Haufe sich zurückzuziehen begann.

»Rache, Rache, Capitano!« klang es in dem Haufen – »wir dürfen die Gefangenen nicht lebend zurücklassen! Sie müssen sterben für unsere Brüder.«

»Bei meinem Schutzpatron, sie sollen es! Sind meine Befehle vollführt?«

»Der Balken liegt in den Klammern vor der Tür.«

»So zündet das Nest an allen vier Ecken an, während ich das Signal gebe! Die Flamme wird die Schufte blenden, daß sie nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen!« – Er hielt zwei Finger an den Mund und tat einen gellenden Pfiff.

Sogleich schwieg das Feuer der Verteidiger; – von beiden Seiten kamen die letzten, die Büchse in der Hand, über den Raum gelaufen.

»Dorthin, Kameraden – dort nach dem Buschwerk! Das Netz hat ein Loch!«

»Aber Kapitän Chevigné – wir dürfen den Kapitän nicht verlassen!« rief der wackere Tourbillon, sich das Blut von der Wange wischend, die eine Kugel gestreift.

»Narr – wenn der Kapitän nicht tot oder gefangen, wäre er hier! Vorwärts – zieht euch zurück! – Ha – ein Schuß aus der Hütte? Auch dort Verrat!«

Ein Revolverschuß hatte einen der Banditen getroffen, welche die grimme Rache der Überfallenen ausführen sollten, aber den anderen beiden war das schreckliche Werk desto besser gelungen – an dem dürren Fichtenholz züngelte mit Windesschnelle die Flamme empor …«

»Jetzt ist der Augenblick, – dort sind die ersten! – Die Hälfte Feuer gegen sie und dann fort! Einer hinter dem andern – die letzten halten sie mit ihren Kugeln zurück!«

Zehn Schüsse krachten gegen die Soldaten, die von beiden Seiten das Plateau zu erstürmen begannen und jetzt – von dem Licht geblendet, – von den Kugeln aus dem Dunkel begrüßt, – nicht wußten, wohin sie ihren Angriff richten sollten.

Durch den Pulverdampf flog eine leichte zierliche Gestalt – –

» La capitana!«

»Unsinnige – wo kommen Sie her! was wollen Sie hier noch? fort mit Ihnen!«

»Mörder! Dein Werk soll nicht gelingen, ich rette ihn!«

Der Brigant warf das Tier ihr in den Weg. »Zurück sag ich – oder bei allen Teufeln – – faßt sie! schleppt sie mit euch!«

Das junge Mädchen blieb stehen und hob den Karabiner an ihre Wange. »Zurück du selbst, Mörder, oder du stirbst von meiner Hand!«

Im nächsten Augenblick eilte sie wieder der Hütte zu, in der die Kraft der Verzweiflung gegen die Tür donnerte, deren Öffnen nach außen durch einen festen, in starken Krampen liegenden Balken unmöglich wurde – auf allen Seiten stand das Holzwerk in lichten Flammen.

»Hier bin ich, Sir! ich rette Sie oder sterbe mit Ihnen!«

Ihre schwachen Hände mühten sich, den Balken aus seinen Fugen zu heben – was der Andrang von Innen ihr wiederum unmöglich machte – Kugeln pfiffen um sie her – die Soldaten stürmten jetzt über den Platz oder feuerten aufs Geradewohl nach der Richtung, aus der noch immer einzelne Büchsenschüsse ihnen antworteten.

»Heilige Jungfrau, gib mir Kraft! Hierher, hierher, oder eure Freunde sterben den Feuertod! – Zurück, zurück von der Tür, oder ich vermag den Riegel nicht zu heben!«

Im nächsten Augenblick, mit Aufbietung all ihrer Kräfte gelang es ihr – die morsche Tür flog auf und schleuderte sie zu Boden – halb erstickt, mit versengtem Haar und Bart, die Kleider glimmend von der entsetzlichen Glut, Brandwunden an Händen und Gesicht, stürzten die beiden Gefangenen ins Freie.

Der Oberleutnant beugte sich nieder Zu dem zerschlagenen Mädchen, umschlang ihren Leib und trug sie aus der Nähe der Flammen und des zusammenstürzenden Gebälks. »Oh Miß – Ihnen danke ich meine Rettung!«

Sie sah wild umher »Aber der Dritte? wo ist der Graf?«

»In Sicherheit, wohin er sich beizeiten gebracht,« sagte der Offizier – »und wahrhaftig – –«

Der Major, den er eben nicht ohne Bitterkeit erwähnt, kam aus dem Soldatenhaufen auf die Gruppe zu: »Gott sei Dank, Herr Kamerad, daß ich Sie lebendig wiederfinde – wir kamen also zur rechten Zeit, Sie zu befreien!«

Der Preuße trat etwas kühl zurück: »Ist das wirklich Ihr Verdienst, Signor Conte?«

»Nein, bei Gott – ich will mich dessen nicht rühmen, obschon ich sicher hoffte, Ihnen Beistand bringen zu können und nicht aus diesen Bergen gewichen wäre, bis es geschehen. Ich glaubte aber erst in Isernia die Unseren zu finden, und war um so glücklicher, als plötzlich an einer Stelle des Weges vom Kloster ins Tal, den mich das wackere Mädchen, meine Retterin, führte, der Anruf unserer Soldaten uns festhielt und ich mich von den Unseren umgeben sah. Es war die Tête einer Kolonne, die General Pinelli auf die Nachrichten, die er zu erpressen verstanden, abgeschickt hatte, um aus dem Tal des Sangro her den Bergrücken zu ersteigen und dies Banditennest auszunehmen, während er selbst mit der Hälfte des Bataillons den Spuren der Briganten gefolgt war und von Norden her ihren Schlupfwinkel angegriffen hat. Ich stellte mich an die Spitze der Kolonne und führte sie über die Berghöhe den Weg zurück, den ich zwei Stunden vorher gemacht. Das ist die Lösung des Rätsels, daß wir so zur rechten Zeit gekommen sind. Aber das Feuer hat ganz geschwiegen, das Gefecht muß also zu Ende sein! Da kommt Kapitän Rocca, der Anführer des Kommandos! Nun, Kamerad – wie viel Gefangene, und ist der Spitzbube Tonelletto darunter?«

»Keinen einzigen, Major!«

»Höll' und Brand – sind Sie denn der Schurken noch nicht Herr? ich höre doch nicht mehr schießen!«

»Sie sind verschwunden, wie weggefegt von der Erde. – – Das Bellen der Hunde, ein Krachen und Stürzen war alles, was unsere ersten Tirailleurs hörten, keine Spur mehr von ihnen! Sie müssen sich selbst in den Abgrund gestürzt haben, als sie keine Rettung mehr vor sich sahen?«

»Vierzig Mann? – das ist unglaublich – ich kenne meine Landsleute im Süden. Dieser Tonelletto ist ein Teufel an Schlauheit. Wo stand zuletzt das Gefecht?«

»Dort an dem wilden Gerank, wo die Felswand fast senkrecht niederfällt.«

»Die Sache muß untersucht werden, ehe der General kommt. Er wird rasend darüber sein. He! nehmt einige Brände und leuchtet!«

Mehrere der Soldaten ergriffen brennende Holzscheite und begleiteten die Offiziere nach dem Ende des Platzes, wo noch immer die piemontesischen Soldaten umher suchten und ihre Haubajonette in das Gestrüpp stießen.

Die improvisierten Fackeln verbreiteten genug Licht, um das zertretene, durchbrochene Gebüsch zu durchforschen – einige alte Decken, das Kopftuch einer Bäuerin, eine zerbrochene Pfanne –

»Halt – dort geht offenbar ein Weg – zündet das Gestrüpp an, Leute, und haltet die Gewehre bereit!«

Die Brände flogen in das Dickicht, die trockenen Zweige und Schlingpflanzen loderten wie Zunder auf keine Spur von den Briganten; als in wenig Minuten das ganze Buschwerk verzehrt war, sah man nur den nackten Felsgrund, den die schroff niedersteigende Bergwand begrenzte.

Man hatte jetzt bessere Fackeln herbeigebracht, alles stand neugierig umher, selbst der Preuße war der Menge gefolgt und auf seinen Arm gestützt die junge Irländerin.

»Ha – endlich! Dort wird die Lösung des Rätsels sein! Dort in der dunklen Spalte des Felsens bewegt sich etwas. Vorwärts! Leute und schleppt die Schufte hervor. Keinen Pardon, wenn sie es wagen, einen Finger zu erheben!«

Mehrere der Kühnsten sprangen zu der zerklüfteten Felswand und zerrten aus einer dunklen Öffnung am Boden einen zappelnden, schlagenden Gegenstand.

Als es endlich gelungen war, ihn herauszuziehen, sprang der unbekannte Feind auf seine vier Beine, drehte sich im Kreise um und ein lautes Yah! überschrie das Gelächter der Soldaten.

»Ein Esel!«

»Es ist das Tier dieser Dame hier!« sagte der Major streng. »Wo sind Ihre Kameraden, Mademoiselle?«

Der von Natur so heitere, mutwillige Charakter der Irländerin hatte trotz der Mißhelligkeit ihrer Lage, der furchtbaren Ereignisse, die sie soeben erlebt und der Schmerzen, die sie noch von dem ungestümen Fall empfand, über das alles die Oberhand gewonnen und sie lachte mit den andern wie toll. Der Major mußte drohend seine Frage wiederholen.

»Aber Monsieur, ich habe noch nicht gelernt, die Sprache der Esel in diesem Lande zu verstehen! Fragen Sie ihn selbst – ich weiß es nicht!«

»Nehmen Sie sich in acht, Mademoiselle, Ihr Übermut könnte Ihnen teuer zu stehen kommen. General Pinelli macht wenig Umstände mit Landstreicherinnen, woher sie auch kommen!«

Der Oberleutnant ließ den Arm des Mädchens los und machte eine Bewegung, als wolle er sprechen, aber der Graf ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Die Fackeln hierher – das ist offenbar der Eingang einer Höhle, wir müssen sie untersuchen!«

Alles drängte und leuchtete um die niedere, etwa drei Fuß hohe und ebenso breite Öffnung am Boden der Felswand.

»Schießt einige Kugeln hinein!«

Drei, vier Musketen wurden in den Schlund abgeschossen, nur ein hohles Echo des Knalls antwortete.

»Dem muß ein Ende gemacht werden! Kapitän Rocca, haben Sie die Güte, das Nötige zu befehlen!«

»Die beiden ältesten Unteroffiziere vor!«

Zwei Männer sprangen vor.

»Untersuchen Sie die Höhlung – vorsichtig – das gespannte Gewehr vor sich, der Zweite eine der Fackeln!«

Der erste Unteroffizier, ein Veteran aus der Krim, warf sich auf die Knie und kroch, das Gewehr vorgestreckt, in die Höhle –

Man erwartete jeden Augenblick die Salve der Versteckten und gab die kühnen Männer verloren.

Aber auch der Schein des Lichts verschwand in der Höhle, ohne daß ein anderer Laut erfolgte.

Eine Minute lang tiefe Stille – dann erscholl der Ruf aus der Höhlung: »Sie sind auf und davon! Der Felsen hat einen natürlichen Durchbruch!«

»Höll' und Teufel!« Der Offizier kroch selbst in die Öffnung – als er nach wenigen Minuten zurückkam, zuckte er ärgerlich die Schultern.

»Die Spitzbuben sind uns richtig entwischt. Dies Felsenloch ist kaum fünf Schritte lang, an der anderen Seite ein tiefer Abgrund, über den eine Steinplatte, oder eine Balkenlage geführt haben muß – aber sie ist hinuntergestürzt – das war das Krachen, das ihr hörtet. Drüben, so viel im Fackelschein erkennbar, ein leicht passierbarer Abhang – ich hörte aus der Ferne noch das Bellen der Hunde!«

»So kann der General sie vom Fuß des Berges aus verfolgen – geben Sie rasch Nachricht. Oder vielleicht können wir den Übergang wiederherstellen?«

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich – der Gang ist krumm, die Balken wären nur von jener Seite zu legen. Ehe der General in der Nacht die Verfolgung etabliert, sind sie längst in Sicherheit. Wir müssen uns damit begnügen, hier den Herrn Kameraden aus ihren Händen befreit zu haben. Kommt, Leute, wir wollen den Rest der Nacht hier biwakieren, indes unser Soutien droben bei den Nonnen sich gütlich tut!« –

Bald darauf flammten die Feuer wieder lustig empor und ihr Schein blinkte hell auf den Waffen der Piemontesen – – – – – – – – – – – – – – –

Die Novembersonne war mild und freundlich aufgegangen, ihre Strahlen vergoldeten die Wipfel der Bäume im Tal, die Kuppen der Felsen, die grauen Mauern des Klosters der heiligen Büßerin.

Die Tore und Pforten dieser Mauern standen jetzt weit geöffnet, ebenso die der Kirche. Überall zerschlagene Fenster, herausgeschleppte Bänke und Möbel – Spuren brutaler Zerstörung. In der Kirche, auf den engen Höfen, dem Vorplatz, im Refektorium lagerten piemontesische Soldaten, selbst auf dem kleinen Kirchhof hatte man sich nur damit begnügt, den aufgehobenen Stein unordentlich wieder über der Gruft der armen Dulderin zu schließen, und dann ein Biwak daraus gemacht. An einem Feuer brodelte ein Kaffeekessel, Weinschläuche lagen mit Waffen und Gepäck gemischt auf dem Rand des Brunnens, und ein Federhut saß auf dem Schädel des Totenkopfes, dem die Soldaten mit Kohle dicke Augenbrauen über die wassersprudelnden Höhlen gemalt hatten.

Gelächter und Lärmen überall – mitten unter den Offizieren und Soldaten bewegten sich dreist und kokettierend die sechs vertriebenen Schwestern – mit andern trieben die Soldaten ihre Kurzweil und ängstigten die alten und frommen oder neckten und jagten in den Gängen die jüngeren, von denen gar manche froh schien, die scharfe Klosterzucht einmal durchbrochen zu sehen.

Auf einem Stein im Vorhofe des Klosters saß der französische Kapitän in finsterer Stimmung. Er hatte sein Ehrenwort gegeben, keinen Fluchtversuch zu unternehmen und er blieb deshalb unbewacht. Der Kapitän hatte ein Papier in der Hand, das er mehrfach auf- und wieder zusammenfaltete und las, und jedesmal stützte er dann den Kopf in die Hand und verfiel in tiefes Nachdenken.

Das Blatt in seiner Hand war die Lithographie des von der Februar-Revolution vertriebenen Bürgerkönigs – auf die Rückseite war ein Ausschnitt einer Nummer des Constitutionel geklebt.

Das Fragment datierte vom Jahr 1847 und enthielt den Abdruck der Rede, welche der Kanzler Pasquier in der Pairskammer gegen Charles Laurent Hugues, Herzog von Choiseul Praslin, Ober-Kammerherrn des Königs, angeklagt des Gattenmordes, geschleudert hatte.

Immer und immer wieder hafteten seine Augen an der furchtbaren Stelle:

»… ein ewiges Denkmal der Schlechtigkeit eines der ärgsten Verbrecher, die jemals gelebt haben …« – – und dann dachte er unwillkürlich an die Worte, die am Morgen vorher der arme, alte Klausner gesprochen, der jetzt kalt und tot, noch unbegraben droben in seiner Steinzelle lag.

»Sollte es möglich sein – man sprach davon – aber nein, es kann nicht sein! Man hat die Leiche rekognosziert. Und dennoch – –«

Er versank wieder in Gedanken, aus denen ihn ein leichter Schlag auf die Schulter weckte.

»Geben Sie sich nicht trübem Nachdenken hin, Kapitän Chevigné,« sagte die heitere Stimme des Oberleutnants, »die letzten zwei Tage haben bewiesen, wie rasch das Waffenglück wechselt, und das Los der Gefangenschaft trifft auch den Tapfersten. Ich hoffe, Ihre Sache wird sich leicht arrangieren, und zwar bald, denn General Pinelli muß jeden Augenblick eintreffen.«

»Aber unsere liebe Capitana hier?« Er wies auf die Irländerin, die den Preußen begleitet hatte.

»Oh – meine Lebensretterin steht unter meinem Schutz. Wenn man Sie auf Ihr Ehrenwort, sich in Civita-vecchia einzuschiffen, entläßt, werden Sie sie mit nach Rom nehmen. Je rascher die Donna aus dieser verpesteten Nähe kommt, – sehen Sie sich um, man atmet förmlich Moderhauch! – desto besser!«

»Ach – jene Weiber! – ich könnte Ihnen eine Geschichte darüber erzählen, Herr Kamerad, doch es ist besser, daß sie das Grab deckt.«

»Es sind ein Paar darunter,« flüsterte der Leutnant, als er bemerkte, daß die Irländerin zurückgetreten war, »die unseren Offizieren in den wenigen Stunden schon förmlich den Kopf verdreht haben. Sismondi und der Kapitän … sehen sich an wie ein Paar Kampfhähne. Und ich muß gestehen, in der Tat, dies Weib ist göttlich schön!«

» Par Dieu« meinte der Franzose mit einem Blick nach der Irländerin, »ich glaubte grade Sie vor allen solchen Eindrücken geschützt.«

Der Leutnant legte mit einer halb komischen Miene die Hand aufs Herz. »Auf Ehre – ich glaube es vollkommen zu sein! Was doch den Menschen nicht alles passieren kann! – Aber da wirbeln die Trommeln zum Antreten!«

In der Tat rollte der Appell. – Alles strömte auf dein Vorplatz des Klosters zusammen, die Offiziere und Soldaten, um sich in Reih und Glied zu ordnen, die Bewohner des Klosters aus Neugier.

Der Offizier, dem der General en chef Cialdini die Unterdrückung des Aufstandes in den Gebirgen übertragen hatte, und der nicht bloß mit eiserner Strenge, sondern mit einer wahren Grausamkeit verfuhr, gegen welche das Regiment Haynaus in Schatten trat, – Generalmajor Pinelli kam mit einem Adjutanten den Weg herauf. Er hatte den Pfad zu Fuß über den Bergrücken gemacht und erst auf der Stelle, wo gestern der Graf und seine Begleiterin auf die Avantgarde der piemontesischen Kolonne gestoßen waren, wieder das Pferd bestiegen. Sein hartes Gesicht war so finster wie eine Gewitterwolke, und jeder seiner Umgebung scheute sich, ihm nahe zu kommen.

Der General hielt vor dem Tor, wo die beiden Kompagnien aufmarschiert standen, die das Kloster besetzt hielten. Major Sismondi trat ihm entgegen und bewillkommnete ihn.

»Ah Signor Conte! Ich hörte in Balzarano, in welche alberne Falle Sie gegangen – Sie und der Offizier des Kommandos, der sich sehr unfähig des Postens gezeigt hat. Es tat mir leid, Ihren Wunsch nach der Auswechselung nicht erfüllen zu können, aber ich mußte auch die beiden anderen füsilieren lassen, des Beispiels halber, nachdem ich von ihnen das Nötige erfahren. Ich zog es vor, Sie mit unseren Bajonetten aus der Klemme zu ziehen!«

»Euer Excellenca wären sicher damit zu spät gekommen,« sagte der Graf sehr kühl, »wenn wir unsererseits nicht vorgezogen hätten, uns selbst aus der Klemme, wie Sie es zu nennen belieben, zu befreien!«

»Richtig – ich hörte davon, durch Frauenzimmer! Es war immer Ihre starke Seite, Herr Graf, nicht wie bei unsereins, der von der Muskete auf gedient hat, ohne die Protektion einer anderen Dame, als höchstens seiner Waschfrau. – Aber zum Dienst, Herr Graf. Kapitän Pirano!«

»Signor Generale!«

Der Offizier war vorgetreten.

»Sie hatten das Kommando der südlichen Expedition?«

»Zu Befehl, Excellenca!«

»Was Besonderes passiert dabei?«

»Ein Priester wurde dabei erschossen, als er durch einen geheimen Gang aus der Kirche nach der Höhe des Berges flüchten wollte, um den Banditen ein Warnungszeichen zu geben.«

»Ah – ein geheimer Gang! die alte Wirtschaft. Aber ich will den priesterlichen Vampyr zerquetschen, auf daß die Freiheit glorreich hervorgehe!« Worte seiner Proklamation.

»Desgleichen trafen wir einen Trupp Frauenzimmer, die eben das Kloster verlassen wollten.«

»Und Sie nahmen sie in Empfang! meine Lämmer kennen das. Haben Sie später das ganze verruchte Nest ausgenommen und die Vögel fliegen lassen?«

»Die Äbtissin und zehn der Nonnen weigern sich, das Kloster zu verlassen.«

»So mögen sie bleiben in Teufelsnamen. Sie werden alt genug sein, um der Welt nichts mehr zu nützen.«

»Signor Generale – man hat schändliche Kerker in diesem Kloster gefunden, Höhlen, in denen die Unglücklichen verdammt waren, allein zu vermodern, ohne je das Licht der Sonne wieder zu sehen! Wir haben fünf solche Unglückliche befreit. Wie es scheint, ist dies Kloster eine strenge Pönitenz-Anstalt, ein geistliches Zuchthaus!«

»Sind diese Klöster überhaupt etwas anderes, als Zuchthäuser oder Nester der Faulheit, der Völlerei? Ich werde nachher mit dieser Mutter Äbtissin ein ernstes Wort sprechen. Und das Klostervermögen?«

»Signor Generale – es ist nichts da!«

»Wie – kein Geld, keine Kleinodien und Gold- und Silbergefäße?«

»Nichts, Excellenca, es scheint wirklich das Gelübde der Armut streng bewahrt. Kaum, daß wir in den Kellern einige Schläuche geringen Weines fanden.«

»Bah! Sie werden schlecht gesucht haben. Ich werde das selbst besorgen und die Mutter Äbtissin wird eine schlimme Stunde haben. Was haben Sie mit dem Weibervolk gemacht?«

»Sie wollen die Kolonne begleiten, bis sie in Sicherheit sind, nicht etwa von den Bauern wieder eingefangen oder totgeschlagen zu werden. Sie erklären, nach Ponte Corvo zu wollen, oder ins Hauptquartier!«

»Was zum Teufel! wir haben des Weibervolks schon mehr als zu viel da, – an ihrer Spitze die tolle Gräfin della Torre. Jeder Offizier hat jetzt seine Maitresse im Lager und bei den Soldaten ist's kaum besser! Haben Sie noch etwas zu rapportieren, Kapitän? Sie sind zur rechten Zeit angekommen und ich bin zufrieden mit Ihnen!«

»Danke, Excellenca! indes –«

»Nun?«

»Es ist auf der Höhe des Berges bei dem erschossenen Klausner oder Priester ein französischer Offizier gefangen genommen worden!«

»Ein Franzose?«

»Ja, General, ein Offizier Gerneral Lamorcières, derselbe, welcher einen Teil der Brigantenschar kommandierte!«

»Diavolo! etwa dieser Kapitän Chevigné, wie er sich nennt, der die Unverschämtheit hatte, mir mit dem Banditen Tonelletto den Brief wegen der Auswechselung zu schreiben? Ha – das wäre ein trefflicher Fang!«

Der piemontesische Offizier begnügte sich mit einer Handbewegung, durch welche er den Franzosen einlud, vorzutreten.

Kapitän Chevigné näherte sich ruhig und fest, das Auge unerschrocken auf den General gerichtet.

»Wie?« brauste dieser erstaunt auf – »ungebunden – ohne Fesseln?«

»Ich bin Gefangener auf Ehrenwort, Signor!«

»Sie sind ein Brigant, ein Bandit! solchen Leuten nimmt man kein Ehrenwort ab, sondern schnürt ihnen die Arme auf den Rücken, bis man sie mit fünf Kugeln oder einem Strick abfertigt!«

»Das mag bei Ihnen Sitte sein, General,« sagte der Kapitän empört, »aber nicht in der französischen Armee. Ich bin Offizier in der Armee Seiner Heiligkeit, Adjutant des General Lamoricières, und habe mich Soldaten des Königs Victor Emanuel als Kriegsgefangener ergeben, indem ich nur der Übermacht wich. Fragen Sie diesen Herrn!« er wies nach dem piemontesischen Offizier.

Dieser bejahte stumm.

»Ich habe von meinem Kommandant en chef,« fuhr der Franzose unerschrocken fort, »die Order, mit meinen Leuten den Gebirgskrieg gegen Ihre Truppen zu führen. Von einem Friedensschluß des Königs Victor Emanuel mit Sr. Heiligkeit, dem Papst, ist mir nichts bekannt – ich bin demnach in meinem vollen Recht und verlange die Behandlung als Kriegsgefangener, wie sie unter zivilisierten Nationen Sitte ist!«

»Sie haben in Gesellschaft von Räubern und Banditen gewegelagert,« schrie der General wütend.

»Signor – ich habe das Recht, mir meine Gesellschaft zu wählen, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß jeder französische Edelmann die des Capitano Tonelletto der Ihren vorziehen wird!«

Diese kühne Beleidigung reizte den General aufs äußerste; er trieb unter den heftigsten Drohungen sein Pferd gegen den Wehrlosen und hätte diesen sicher über den Haufen geritten, wenn der Graf Sismondi ihm nicht in die Zügel gefallen wäre. Er flüsterte dem Erbitterten einige Worte zu, aus dem der scheu zurückgetretene Kreis der Umgebung nur die Namen »der Kaiser! – General Cialdini – der König« verstand, die aber ihren Eindruck nicht zu verfehlen schienen; denn General Pinelli begnügte sich, die Zügel mit einem Ruck frei zu machen und, einen Fluch über die verwünschten Franzosen murmelnd, dem Kapitän zu winken, er könne zurücktreten,

»Kapitän Rocca!«

»General!«

»Sie haben Ihre Sache schlecht gemacht – Sie haben diese Schurken entwischen lassen!«

»Euer Excellenza wollen sich erinnern, daß meine Order lautete, aus allen Verlust hin die Stellung der Briganten zu stürmen und sie daraus zu vertreiben. Ich habe meine Pflicht erfüllt – mein Verlust beträgt zehn Tote und vierzehn Verwundete.«

»Nun, dann sind Sie gut dabei weggekommen und das wird Ihren Onkel, den Herrn Marschall, freuen,« sagte der General höhnisch. »Aber Ihre Aufgabe war, diese Bande zu vernichten oder zu fangen, damit an ihr ein Beispiel statuiert werde!«

»General,« sagte der Kapitän, vor innerem Zorn bebend, – »ich habe meine Schuldigkeit getan – niemand kann mir gerechterweise einen Vorwurf daraus machen, daß ich bei Nacht, auf einem ganz unbekannten Terrain die Schlupfwinkel der Eingeborenen nicht erraten konnte!«

»Gleichviel, Sie konnten wenigstens Gefangene machen, aber nicht einen einzigen!«

»Nicht einen einzigen,« sagte der Offizier barsch, »denn ein Weib zählt nicht?«

»Ein Weib? was für ein Weib?«

Der Kapitän schien seine Worte zu bereuen – er zögerte mit der Antwort.

» La capitana Maria?« rief eine Stimme aus dem Kreise.

» La capitana Maria? Die Metze des Banditen Tonelletto und seiner Kameraden? Und das sagt man mir jetzt erst? Wo ist das Weibsstück?«

Der Oberleutnant von Arnim trat hastig einen Schritt vor, als wollte er sich dazwischenwerfen, – sein Gesicht war dunkel gerötet. Die Hand des Kapitän Chevigné faßte jedoch seinen Arm und zog ihn zurück. »Um Gotteswillen, schweigen Sie, Herr Kamerad – Sie reizen den Wüterich noch mehr.«

»Wo ist die Metze, die Landstreicherin?« brüllte der General.

Der Kreis hatte sich scheu geöffnet – Maria O'Donnell stand vor dem Erbitterten, der wenigstens ein Opfer suchte.

»Also diese ist's – eine Seiltänzerin – eine Landstreicherin! Und von solchem Komödienschanz haben sich Soldaten schrecken lassen? Nun, wir wollen ein Beispiel exekutieren. Ruten herbei!«

Selbst die Soldaten sahen sich erstaunt, erschrocken an.

»Nun, wird es? Wo ist der Profoß? Er soll der Dirne die Röcke über'm Kopf zusammenschnüren und ihr eine Tracht Hiebe geben, – das wird ihr das Komödienspielen verleiden!« Er lachte wild auf.

Das Mädchen stand totenbleich vor ihm – sie hatte nicht die Kraft, eine Geberde zu machen.

»General!«

»Was beliebt?«

»Es ist eine Dame aus gutem Stand, Signor,« sagte der Conte Sismondi. »Ich habe mich gewiß am meisten über sie zu beklagen, aber solche Strafe wäre in der Tat zu hart. Ich bitte um Gnade für sie.«

»Herr Major – ich habe mich einmal Ihrem unerbetenen Rat gefügt, weil – well höhere Interessen es forderten. Hier bin ich Herr und werde doch wohl noch das Recht haben, eine Vagabondin züchtigen zu lassen, wie mir beliebt. Wo ist der Profoß?«

Der Unteroffizier trat vor.

»Nehmt eure Gehilfen und tut, wie ich gesagt. Dort auf die Bank.

»Nur ein Nichtswürdiger wird eine solche Handlung gegen ein Weib begehen. Kein Offizier darf das dulden!« rief Kapitän Chevigné laut.

Der wütende Blick des Generals traf ihn. »Nehmen Sie sich in acht, Herr,« sagte er grimmig, »daß ich Sie nicht wegen Aufreizung zur Meuterei ergreifen lasse!«

Noch immer stand die junge Irländerin unbeweglich – totenblaß – mit starren Augen – selbst der rohe Soldat zögerte, sich ihr zu nähern.

Der Preuße hatte sich losgerissen – er sprang vor das Pferd.

»General – ein Wort!«

»Was wollen Sie?«

»Diese Dame hat für das Leben der Erschossenen gebeten! Sie ist den Briganten nicht gefolgt, um mit eigener Gefahr zwei Ihrer Soldaten aus dem Flammentod zu retten, mich und jenen Mann dort! Es ist ein Weib – ein schuldloses Mädchen – General – Gnade für sie!«

»Es bleibt bei meinem Befehl!«

»Excellenza – es darf nicht geschehen – bei Ihrer Ehre – rächen Sie sich nicht an einem Weibe!«

»Ihre Landsleute, mein Herr Deutscher,« sagte voll Haß der Piemontese, »haben in meiner Heimat das Beispiel gegeben. Was General Haynau in Brescia an den edelsten Frauen tat, tue ich hier gegen eine Landstreicherin – sonst nichts! Geben Sie Ihren Säbel ab, Oberleutnant, Sie sind Arrestant für Ihre unverschämte Einmischung.«

Der Offizier sah mit einem drohenden entschlossenen Blick umher, eine tiefe Blässe verdrängte die Farbe der Erregung. Langsam zog er den wieder angelegten Säbel aus der Scheide, setzte die Klinge auf den Boden, den Fuß darauf, und zerbrach sie.

Die Stücke warf er vor die Füße des Pferdes. »Ich bin ein preußischer Edelmann,« sagte er mit tödlicher Ruhe – »ich fordere meinen Abschied aus einer Armee, wo Männer wie Sie kommandieren!«

»Profoß!«

Der General wies zitternd vor Wut nach dem Mädchen – der Unteroffizier winkte seinen Gehilfen und trat auf sie zu.

In diesem furchtbaren Augenblick schien sich die krampfhafte Starrheit der Unglücklichen zu lösen – sie fiel auf die Knie und streckte flehend die Hände aus.

»Den Tod! – lassen Sie mich erschießen – aber entehren Sie mich nicht!«

»Für liederliche Weiber ist die Peitsche! Vorwärts!«

Der Profoß legte die Hand auf ihre Schulter – sie streckte die Arme nach dem deutschen Offizier: »Retten Sie mich! – den Tod!«

Ein Revolverschuß knallte – einen Augenblick, dann färbte ein Blutfleck die Brust der Irländerin – sie fiel vorn über.

»Jetzt, Profoß,« sagte der Preuße, indem er den noch dampfenden Revolver fallen ließ – »legen Sie die Hand an mich! Ich bin Ihr Gefangener.«

General Pinelli, ohne ein Wort zu sprechen, wandte sein Pferd und galoppierte den steilen Weg hinunter.

Um das Mädchen drängte sich eine dichte Gruppe – Männern und Frauen, selbst alten rauhen Soldaten liefen die Tränen in den Bart – der Bersaglieri, den sie oben auf der Felsenhöhe aus dem Flammengrab geholt, schluchzte wie ein Kind.

»Um Gott – was haben Sie getan, Herr Kamerad!« rief der Hauptmann Rocca. »Aber mein Oheim soll den Hergang wissen!«

»Ich bin nicht mehr Ihr Kamerad, Signor,« sagte der Preuße stolz. »Sie hat mir das Leben gerettet – ich ihr die Ehre!« Er setzte sich traurig auf die Bank, die zu der schändlichen Exekution hatte dienen sollen.

Plötzlich öffnete sich das Gedränge um die Sterbende. Langsam, hoch aufgerichtet, schritt die hagere Gestalt der Äbtissin in ihren dunklen Gewändern durch die Reihe – gefolgt von den vier Laienschwestern, das Kruzifix in der Hand.

» In manus tuas, Domino, cominendo spiritum suum!«

Sie legte das Kreuz auf die blutende Brust – die Augen der Sterbenden suchten, schon halb verdunkelt, nach dem Mann, der noch zwei Tage vorher sie gebeten, die Nachricht seines Todes in die ferne Heimat zu senden.

Jetzt ging sie ihm voran.

Ein bereits nicht mehr der Erde angehöriges Lächeln verklärte ihr Gesicht, als die brechenden Augen ihn gefunden.

» I thank you, my dear friend!«

» Suspice Domine servam tuam in locum sperandæ sibi salvationis a misericordia tua!«

Und die Menge umher murmelte »Amen!«

Sonnenschein ringsum – in den Wipfeln der Fichten, über die Felsen rauschte leise der Wind. Ein lieblicher reiner Geist schwebte empor zum Vater – frei und frech ging die Sünde hinaus in die Welt!



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