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Up ewig ungedeelt!

In einem schönen Hause der Amalienstraße, die zu dem wenig belebteren, aber aristokratischen Teil Kopenhagens gehört, nahe dem prächtigen Kongens Nytorv, Königs Neumarkt, befanden sich in einem ziemlich geräumigen, auf das komfortabelste ausgestatteten Arbeitskabinett zwei Männer in angelegentlicher Unterhaltung. Beide trugen reiche Uniformen, als seien sie im Begriff, sich zu irgendeiner offiziellen oder Hoffestlichkeit zu begeben.

Der Ältere von ihnen saß auf einem mit dunklem englischem Velour überzogenem Sofa, hatte eine Nummer der Berliner Nationalzeitung in der Hand, und blickte zuweilen während des Gesprächs in diese, gleich als wolle er einen Stoff daraus erneuern. Er war ein Mann von mittelgroßer korpulenter Gestalt, dem die goldgestickte Uniform ziemlich unbequem saß, seinen weißen, mit Brillantringen geschmückten Händen, und einem trotz seiner sonstigen Korpulenz fein geschnittenen aristokratischen Gesicht, das an den Seiten einen spärlichen, bereits stark ins Weiße spielenden Backenbart zeigte. Auch das Haar war grau und dünn und über der etwas schmalen, aber hohen Stirn zusammengekämmt. Im ganzen machte die Persönlichkeit einen unharmonischen Eindruck, da Kopf und Körper gar nicht zusammen paßten.

Das Gegenteil war bei seinem Gesellschafter der Fall, der ein Mann von etwa neunundzwanzig bis dreißig Jahren war, hoch aufgeschossen, schlank und doch von kräftigem Gliederbau. Sein Gesicht war einfach mit breiter nachdenklicher Stirn und weit geöffneten Nasenflügeln, zuweilen – und in diesem Falle gewiß – das Kennzeichen des Ehrgeizes. Er hatte graue Augen, die gescheit und nachdenkend ausschauten, schmale Wangen und ein der Stirn entsprechendes kräftiges Kinn. Die Bureauluft und das Studierzimmer mochten die ursprünglich wohl frische Gesichtsfarbe abgemattet und auf die Stirn und um die Augen bereits die Spuren von Falten gezeichnet haben. Er trug gleichfalls eine Beamtenuniform, nur mit geringerer Stickerei, als der andere Herr.

»Der einfältige Pöbel der Volkspartei,« sagte dieser, »wird Herrn Blixen-Finecke binnen kurzem zujubeln, den er so oft angegriffen, verlassen Sie sich darauf. Die Narren bilden sich wirklich ein, daß mit dem Wechsel der Person in dem Minister der Herzogtümer auch ein Wechsel des Systems beabsichtigt werde. Als ob Wolfshagen Der eben neu ernannte Minister für Schleswig-Holstein. nicht bereits seine Proben in Schleswig abgelegt hätte! Der einzige Unterschied ist, daß der Kammerherr noch besser die Wege kennt, die wir konsequent zu verfolgen haben.«

»Ich fürchte in der Tat, daß man zu rasch verfährt; Jörgensen Damals Polizeimeister. macht sich in Schleswig geradezu verhaßt!«

»Was tut das? auf die jetzige Generation ist ohnehin nicht zu rechnen, die ist in ihrem Deutschtum erzogen und verstockt. Für sie kann die Regierung nur Strenge und unnachsichtliche Strafen haben. Man wird doch noch Mittel finden, den Trotz dieser Ritter und Bauern zu beugen. Unsere Hauptaufgabe bleibt es, auf die Erziehung der jungen Generation zu wirken und dieser von vorn herein das Bewußtsein einzuimpfen, daß sie Dänen, nicht Deutsche sind. In dieser Beziehung ist Etatsrat Regenburg Departementschef für das Kirchen- und Schulwesen. ganz der Mann dazu, seine Maßregeln sind vortrefflich und das System der gemischten Distrikte trägt bereits seine guten Früchte.«

»Sie wissen, zu welchen Klagen gerade dieses dem deutschen Bund Veranlassung gibt!«

Der Konferenzrat lachte. »Der deutsche Bund! wenn wir vor allem so sicher wären, wie vor dessen Entschließungen.«

»Nehmen Sie die Sache nicht so leicht. Ich kenne den deutschen Charakter, ich« – der Sprecher zögerte einige Augenblicke, und sein Gesicht färbte sich mit einer leichten Röte, sein Auge suchte den Boden, – »ich bin ja selbst ein halber Deutscher und weiß, daß man dort lange zu einem Entschluß braucht, aber wenn man endlich dazu kommt, ihn auch ausführt.«

»Sie sind vorerst kein Deutscher, sondern ein Nordfriese,« sagte der Konferenzrat mit einiger Strenge zu dem jungen Beamten, »und wissenschaftliche Autoritäten, wie Professor Allen, In seiner »Geschichte der dänischen Sprache«. haben zur Genüge bewiesen, daß die Friesen nicht ein deutscher, sondern ein dänischer Stamm sind. Solcher Gedanken müssen Sie sich total entschlagen, wenn Sie Karriere machen wollen und auf die Hand meiner Tochter zählen. Erinnern Sie sich, daß die Mission, mit der Sie auf meine Empfehlung hin betraut sind, ein ganz dänisches Herz erfordert, und lassen Sie uns auf diese noch einmal gründlich zurückkommen, damit Sie diesen Abend, wenn im Kabinett der Gräfin davon die Rede ist, in jeder Beziehung taktfest erscheinen.«

»Sie wissen,« sagte der Geheimsekretär fest, »daß ich aus Überzeugung Däne bin. Jene Beziehung auf einen historischen Streit sollte meine Treue nicht im geringsten verdächtigen.«

»Ich weiß das – und deshalb stehen Sie an dieser Stelle. Also zur Sache. Das Londoner Protokoll, mit dem die schändliche Rebellion von Achtundvierzig bis einundfünfzig endlich statt mit Waffengewalt unterdrückt wurde, hat leider den deutschen Kabinetten einige Handhaben gegeben, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen, und die unglückliche Erklärung des Ministers vom 19. Januar 1852 an Österreich und Preußen verstärkte diese Handhaben in einer Weise, die nun allerdings zu einigen Rücksichten zwingt. Von den andern Unterzeichnern des Londoner Protokolls haben England, Rußland und Frankreich nicht das geringste Interesse, unsern Absichten der endlichen Danisierung der Herzogtümer in den Weg zu treten, sie stehen vielmehr im stillen auf unserer Seite. Der Kaiser Louis Napoleon glaubt selbst nicht im geringsten an dem von ihm angeregten Nationalitäten-Schwindel. Gerade die Nationalitäten sind für jede kräftige Regierung ein Unglück. Frankreich wird sich nicht einen Augenblick bedenken, Nizza und Savoyen zu französieren, wie es den Elsaß und Lothringen französiert hat. England tut dasselbe mit Irland und Indien, Rußland mit Polen, und die Zeit wird kommen, wo auch seine deutschen Ostseeprovinzen dem Prinzip zum Opfer fallen müssen. Österreichs größte Schwäche ist seine Rücksicht aus seine zahlreichen Nationalitäten, und Preußen hat im Grunde auch gar keine Ursache, uns anzuklagen, denn es garmanisiert in Posen eben so gut, wie wir Schleswig und Holstein danisieren!«

»Nur etwas vorsichtiger!« warf lächelnd der Legationssekretär ein.

»Mag sein! Es wird auch nicht so gedrängt wie wir. Ich führte überhaupt dies alles bloß an, um Sie darauf aufmerksam zu machen, daß wir eben nichts anderes tun, als andere Regierungen. Die jetzige Generation in Holstein und Schleswig, oder, um mich richtiger auszudrücken, in Südjütland, mag Ursache haben, sich über uns zu beschweren; eine fremde Regierung hat es nicht. Der deutsche Bund sollte sich lieber um ganz andere Dinge kümmern, die ihm bevorstehen, –« der Konferenzrat hob bedeutsam die deutsche Zeitung, – »als um unsere Angelegenheiten. Ein Krieg mit Dänemark würde sehr leicht dazu führen, die gänzliche Unfähigkeit und Haltlosigkeit dieses Bundes klar an den Tag zu legen und den beiden deutschen Großmächten wahrscheinlich Veranlassung geben, die bisherigen Verhältnisse zu lösen, oder gar mit den Kleinstaaten aufzuräumen.

»Hier ist der Bericht der Berliner Nationalzeitung über die Beschlüsse und Verhandlungen des sogenannten deutschen Nationalvereins in Koburg am 3. und 4. September. Ganz offen wird darin die Bildung einer einheitlichen Zentralgewalt mit militärischer Obergewalt und ausschließlicher Vertretung gegenüber dem Ausland gefordert, und dabei nicht bloß durch die preußischen Mitglieder Amelung aus Stettin, von Unruh u. a., sondern selbst durch süddeutsche Demokraten, wie Metz und Konsorten, ganz offen diese alleinige Führung unter Ausschluß Österreichs für Preußen verlangt. Gott sei Dank sind die gegenwärtigen preußischen Staatsmänner nicht kräftig und schwungvoll genug, sich diese Bewegung zunutze zu machen, und die konservative und offizielle Presse feindet sie aus aller Macht an. Aber ich sage Ihnen, mein junger Freund, sollte der preußische Ehrgeiz einmal das Glück haben, daß ein Mann von Mut und Energie an die Spitze der Regierung gestellt wird, der dieses Programm auf die Fahne des Ministeriums schreibt und die jetzige oppositionelle Bewegung damit zu einer loyalen und konservativen stempelt, indem er der jetzigen Demokratie den Knochen eines deutschen Volksparlaments hinwirft, dann ist es aus mit dem Bundestag und der Souveränität der Klein- und Mittelstaaten, und wir werden für uns und überhaupt für die Staaten Europas sehr bedrohliche Wunderdinge erleben. Darauf machen Sie aufmerksam. Das ist der Gesichtspunkt, den Sie beauftragt sind, bei Ihrer Mission an den betreffenden Stellen geltend zu machen.«

Der Legationssekretär verbeugte sich zustimmend.

»Ihre Aufgabe ist also, an den Höfen von Mecklenburg, Dresden und besonders in Hannover und Cassel zu sondieren und die Gefahr vorzustellen, die daraus entstehen muß, wenn Preußen irgendeine Einmischung gestattet oder gar die verlangte Exekution übertragen würde. Man buhlt in Berlin jetzt um Popularität und ein Krieg mit Dänemark würde vielleicht ganz willkommen sein, um diese angebliche Reorganisation der Armee zu bewähren.

»Herr von Quade hat uns überdies einen Wink gegeben, man bereite in Berlin auf unsere Erklärungen am Bunde eine Denkschrift über die angeblichen Unterdrückungen in Schleswig vor, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich meine, daß der hiesige preußische Generalkonsul Quehl, einst die rechte Hand Manteuffels, mit der Sammlung von Beweisen dazu beauftragt ist. Er treibt sich in diesem Augenblick in Schleswig unter allerlei Vorwänden umher, ohne daß wir ihn daran hindern können. Es liegt nun der Regierung Seiner Majestät daran, beizeiten sichere Nachrichten über die beabsichtigte Denkschrift zu haben, um sie parieren zu können, und wenn der Marquis Moustier mit so leichter Mühe die Pläne von Sebastopol aus dem Kabinett Friedrich Wilhelms IV. sich verschaffen konnte, sollte es dock nicht so schwer und kostspielig sein, einige Blicke in die Mappen des Herrn von Schleinitz zu tun. Schönen Augen ist alles möglich. Also zeigen Sie sich als gewandter Diplomat, und lassen Sie alle Minen springen. Sie wissen, daß von Ihren Erfolgen in Berlin und Hannover Ihre Ernennung zum Legationsrat und die Hand Eddas abhängt.«

»Wenn du von mir sprichst, cher Papa,« sagte eine helle klare Stimme, und in der eben von ihr geöffneten Tür erschien eine hohe, schlanke Frauengestalt in eleganter Gesellschaftstoilette, – »ich bin da! – ich glaube, es ist Zeit, und der Wagen wartet.«

Der Legationssekretär hatte sich bei dem Klang der Stimme rasch umgewendet, erfreut, die diplomatische Instruktion damit beendet zu sehen, und war der Dame entgegen gegangen, deren Hand er nahm und zu den Lippen führte, während seine Augen bewundernd an der schönen Gestalt hingen.

»Sie sind reizend heute, Edda, und haben eine allerliebste Toilette gewählt – nur um mir den Abschied doppelt schwer zu machen,« sagte er zärtlich.

»So bewahren Sie dies Bild hübsch im Gedächtnis,« meinte die Dame leicht, »um sich zu panzern gegen die schönen Augen in Berlin. Aber ist es den Herren nun gefällig, aufzubrechen? Ich habe nicht Lust, die Erste, aber auch nicht, die Letzte zu sein!«

Die schöne, stolze Dame war die Tochter des Konferenzrats Halsteen, dem sie in körperlicher Beziehung wenig ähnelte. Die hohe schlanke Gestalt hatte sie von der Mutter, einer Schwedin, einer gebornen Gräfin Tordenskiold. Auf dem etwas langen schlanken und überaus zartem Halse, von dessen Haut man hätte sagen können, was die Dichter und Geschichtsschreiber jener Zeit von der schönen Philippine Welser melden: daß man das Blut pulsieren sah – saß ein idealer Kopf von ruhiger, ernster Schönheit. Es lag Stolz und zurückhaltende Würde in dem Ausdruck dieser Züge und der festen dunkelblauen Augen. Der kleine Mund mit den schmalen Lippen war geschlossen und hatte etwas Strenges. Nur die Flügel der geraden, in griechischer Linie von der reinen Stirn herunterlaufenden Nase waren weit geöffnet und verrieten zuweilen in ihrer Bewegung ein inneres feurigeres Leben, als die ruhige Außenhülle schließen ließ.

Das lichtbraune Haar war an Schläfen und Stirn von einem schmalen goldenen Reif zu einer halb chinesisch, halb griechischen Frisur ausgenommen, die dem ernsten Ausdruck des Gesichts mit dem zarten, aber keineswegs unfrischen Teint sehr wohl stand. Harmonierend damit umschloß ein lichtblaues Seidenkleid mit weißen Kanten an Ärmeln und Mieder besetzt die schlanke Gestalt, deren einzigen Schmuck ein einfaches goldenes Armband in englischem Geschmack und eine lange feine venetianische Kette bildeten.

»So kommt denn, Kinder,« sagte der Konferenzrat. »Edda hat Recht, es wird in der Tat Zeit, und ich muß gestehen, ich verspüre einigen Appetit auf die frischen Husumer Austern, die stets das Entree bei der Gräfin bilden, und den deliziösen Chablis, der dazu gegeben wird. Es ist ein Vorurteil, daß man bloß in Paris gut zu speisen versteht, – ich behaupte, gerade bei uns im Norden diniert man feiner und besser!« Er war während der Worte in den großen, an sein Arbeitszimmer stoßenden Salon getreten, an dessen gegenüberliegender Tür ein Diener bereits die Hüllen und Mäntel der Herrschaft hielt.

Der Legationssekretär hatte eben der Dame die elegante Hermelin-Mantille umgelegt und ihr den Arm gereicht, um sie zum Wagen zu führen, während der Konferenzrat bereits in seinen Mantel gewickelt stand, als ein anderer Diener den Kopf durch die Tür steckte und einige Worte mit seinem Kameraden sprach.

»Was gibt es, Jean?« fragte der Hausherr, indem die Gesellschaft bereits auf die Tür zuging.

»Es ist ein Mann da, gnädiger Herr, er wünscht den Herrn Legationssekretär zu sprechen.«

»Warum hast du ihn nicht abgewiesen?«

»Er wollte durchaus herauf – ich sagte ihm, daß der Herr Legationssekretär nicht zu sprechen wäre, aber er ließ sich nicht abweisen.«

»Er mag morgen früh wieder kommen,« sprach der Konferenzrat ärgerlich und wollte aus der vom Diener halb geöffneten Tür treten. »Herr Hansen hat jetzt unmöglich Zeit!«

»Auch nicht für einen Bruder?« fragte eine klare sonore Stimme draußen.

Der Legationssekretär blieb stehen und ließ unwillkürlich den Arm der Dame fahren. »Bruder? – bei Gott, das ist die Stimme von Klaus! – Bist du es wirklich?«

Das alte, bessere Naturgefühl siegte über alle Rücksichten und Formen; er schob den Konferenzrat und den Diener zur Seite, und lag im nächsten Augenblick in den Armen eines hochgewachsenen kräftigen Mannes, der in einfacher, aber sauberer Seemannskleidung in dem Entree stand.

Der Konferenzrat war mit ziemlich ärgerlicher Miene zurückgetreten, zuckte die Achseln und warf einen Blick auf seine Tochter, die er durch das Benehmen ihres Verlobten beleidigt glaubte, ehe er den neuen Ankömmling selbst durch das Glas in Augenschein nahm.

Dieser stand volle sechs Fuß in seinen Schuhen, – denn solche, und zwar derbe gute Seemannsschuhe trug er allerdings, – als er sich jetzt aus dem Arm des Bruders aufrichtete, wobei er jedoch, ohne sich viel um die vornehme Umgebung zu kümmern, dessen beiden Hände in den seinen behielt und ihn jetzt mit herzlichen, aber nach und nach einen gewissen gutmütigen Spott annehmenden Blicken betrachtete.

Der Fremde war ein stattlicher Mann von etwa 27 bis 28 Jahren, also etwa zwei Jahr jünger als sein Bruder. Er hatte dessen hohe Gestalt, vielleicht zwei oder drei Zoll höher, war aber weit breiter und stark gebaut. Die von keinem Handschuh bekleideten, nicht unförmlichen, aber kräftigen Hände bewiesen, daß er keine Arbeit gescheut, sondern selbst wacker zugegriffen hatte, wo es galt. Sein Gesicht war männlich und offen, von einem rötlich blonden Bart umrahmt, und hatte etwas überaus Frisches und Festes, und der freie heitere Blick der großen hellen Augen, die über der kurzen, hübsch gebogenen Nase und den vollen Lippen jetzt mit dem Auge der Liebe auf dem lang entbehrten Bruder lagen, erweckte unwillkürlich ein günstiges Vorurteil für ihn.

Klaus Hansen trug, wie bereits erwähnt, die behäbige Tracht eines Seemanns; weite Beinkleider und Rock von dunkelblauem, zwar nicht feinem, aber gutem Tuch, eine rotseidene chinesische Schärpe unter dem Rock um die Hüften geschlungen und ein schwarzes Tuch im laufenden Schifferknoten um den buntgestreiften Hemdkragen und den kräftigen Hals. Der lackierte Seemannshut mit den langen schwarzen Bändern war bei der stürmischen Umarmung zu Boden gefallen und hatte die von kurz gelocktem blondem Haar umgebene, nicht hohe aber breite Stirn offen gelegt. Eine fast scharfe Linie begrenzte auf dieser Stirn den von der Sonne der Tropen und den Einflüssen rauhen Wetters bräunlich gefärbten Teint des unteren Gesichts, während über der Linie, die der Rand des Hutes gebildet, die Farbe der oberen Stirn fast mädchenhaft weiß erschien. Eine breite, helle Narbe lief deutlich erkennbar durch diese Linie nach der linken Schläfe und verlor sich im lockigen Haar.

»Blixen, Jan,« sagte der Seemann in friesischem Dialekt, indem er den Bruder auf Armeslänge von sich hielt, »wat bist d' for'n moier Bursch worden in den seewen Johren, dat ick di nich sehn! Nur wat smalbäckig un spindelbeinig vor luter Gelehrsamkeit un Aktenstoww, un ick wett, du kannst kum noch ne Jolle rudern dörch de Brannung! Äwer grüß di Gott, Broder, ok wenn du in eener Jacke steckst, de so vull Gold is, wie de Rock det Sultans von Mysore un jedenfalls bei tau eng för de Glieder eenes ehrlichen Burßen von Westerland! – Aber Verzeihung,« fuhr er in gutem Hochdeutsch und nicht ohne eine gewisse freie Tournüre fort, indem er das verlegenwerdende Gesicht des Bruders bemerkte und erst jetzt auf die beiden diesen begleitenden Personen achtete, – »Verzeihung, meine Dame, daß ich hier hineinfalle, wie ein tölpelhafter Topgast vor dem Mars. Es ist mein einziger Bruder, den ich sieben Jahr nicht gesehen, und da läuft das Herz über wie eine Sturmflut über die Dämme unsrer Halligen!«

»Ah,« sagte der Konferenzrat, der schon zweimal während der kurzen Szene eine Prise aus seiner goldenen Tabatiere genommen, »also der jüngere Bruder unsers jungen Freundes, des Herrn Legationssekretärs, von dem wir gehört, daß er sich der vaterländischen Handelsmarine gewidmet hat? Wie sehr bedauern wir, daß gerade in diesem Augenblick unsere Zeit nicht gestattet …;«

Die junge Dame ließ ihn nicht aussprechen. Mit einer stolzen Bewegung der Hand unterbrach sie ihn und trat einen Schritt zurück in den Salon.

»Aber Herr Hansen,« sagte sie, »Sie werden Ihren Herrn Bruder doch hier nicht zwischen der Tür stehen lassen. Bitte, treten Sie näher, mein Herr, und lassen Sie es sich einige Augenblicke bei uns gefallen, bis dieser angehende Diplomat sich so weit von seiner Überraschung erholt hat, um Sie nach seiner Wohnung zu führen.«

Der Legationssekretär errötete bei dem Vorwurf. »Es ist wahr – ich vergaß ganz! Du wohnst doch bei mir? Aber um Himmelswillen, wo kommst du her – so ohne alle Anzeige und gerade jetzt?«

»Ich wußte nicht, daß dir die Zeit weniger passen würde, als eine andere,« meinte ziemlich trocken der Seemann. »Ich komme zuletzt von Ostindien oder vielmehr jetzt von Schleswig mit dem Barkschiff unsers Oheims Barthelsen, da sein Steuermann krank liegt, ich gerade nichts besseres zu tun und den Wunsch hatte, dich einmal nach so langer Zeit wieder zu sehen. Aber geniere dich nicht, ich finde wohl ein Unterkommen am Hafen und werde wieder kommen, wenn du von deinen Besuchen zurückkehrst.«

»Herr Hansen,« mischte sich der Konferenzrat ein, »ist leider mit uns heute bei Ihrer Exzellenz der Frau Gräfin von Danner eingeladen, und da nach dem Diner noch kleiner Cercle ist, dürfte es sehr spät werden.«

»Ich werde hier bleiben, Sie werden mich entschuldigen!«

»Wo denken Sie hin, lieber Sohn, das ist unmöglich. Erinnern Sie sich, daß Ihr Ausbleiben an dem letzten Abend, wo noch so viel zu besprechen ist. Ihnen die größte Ungnade zuziehen könnte! Aber Sie haben uns noch nicht einmal mit Ihrem Herrn Bruder bekannt gemacht.«

Der arme Legationssekretär kam aus den Verlegenheiten nicht heraus, die ihm die Überraschung gebracht.

»Verzeihen Sie,« sagte er endlich, sich fassend. »Lieber Bruder, ich habe die Ehre, dir meinen sehr wohlwollenden Gönner und väterlichen Freund, Herrn Konferenzrat Halsteen vorzustellen, der mich der freundlichsten Aufnahme in feine Familie gewürdigt hat, der wir hoffentlich mit Einwilligung dieser schönen Dame« – er nahm galant Eddas Finger – »schon nächstens durch diese schöne, mir versprochene Hand noch näher angehören werden.«

»Wie, du bist verlobt?« fragte erstaunt der Seemann, – »davon hat weder Mutter noch Onkel mir gesagt!«

»Es war mein Wunsch,« bemerkte der Konferenzrat, »daß nicht eher von der Verlobung gesprochen werden möchte, als bis sie mit allerhöchster Genehmigung Seiner Majestät und der Frau Gräfin von Danner bei Hofe proklamiert worden ist.«

Der junge Mann warf einen verwunderten Blick auf seinen Bruder und schüttelte den Kopf.

»Mit deren Erlaubnis? Was zum Henker hat denn diese Frau mit deiner Heirat zu tun? Aber wenn ich wirklich das Glück haben soll, schöne Dame,« sagte er, sich zu dem Fräulein wendend, und ein voller Blick seiner ehrlichen offenen Augen fiel auf ihr schönes Gesicht und tauchte sich in die ihren, »Sie künftig als meine liebe Verwandte zu begrüßen, so verzeihen Sie um des Bruders willen dem ungebärdigen Seemann sein rauhes Wesen und lassen Sie ihn die Bitte aussprechen, ihn als einen treu ergebenen Bruder betrachten zu wollen.«

Er hatte ihre Hand genommen und drückte sie herzlich. Ihr großes Auge ruhte trotz seines freien, so wenig den Formen, an die sie gewöhnt war, entsprechenden Benehmens nicht unfreundlich, ja mit Interesse auf seinem ehrlichen Gesicht, und eine leichte Röte überzog das ihre, als sie den harten Druck seiner Hand sanft erwiderte.

»Wenn ich auch noch nicht die Ehre habe, mich die Braut Ihres Herrn Bruders zu nennen,« sagte sie freundlich, »so darf ich doch wohl schon so weit von den Rechten, die mir dieser Name geben wird, Gebrauch machen, daß ich Sie herzlich willkommen heiße und sofort dafür sorgen werde, daß in der Wohnung Ihres Bruders, die über der unseren belegen ist, alles für Ihre Aufnahme in Ordnung gebracht wird. Entschuldigen Sie mich also einen Augenblick, ich bin gleich wieder zurück!«

»Aber Edda,« wiederholte der Konferenzrat, »der Wagen …;«

»Er mag warten!« Sie ging rasch nach der Tür und öffnete sie, prallte aber mit einem leichten Schrei zurück, als sie ein durch den weißen, den kahlgeschorenen Schädel bedeckenden Turban noch mehr gedunkeltes Gesicht von ins Grünliche spielender Bronzefarbe vor sich sah, das sie mit funkelnden Augen und breitem, spitze Zahnreihen zeigenden Mund, angrinste.

Die fremdartige Erscheinung trug zwar bis auf den Turban das gewöhnliche Matrosenkostüm: rotwollenes Hemd unter der blauen Jacke, aber in dem breiten gelben Seidenschal, der um die Hüften gewickelt war, steckte ein langes malayisches Messer von höchst gefährlichem Aussehen.

Die junge Dame hatte im ersten Augenblick übersehen, daß der grimmige Fremdling eine sehr zahme wohlgefüllte Reisetasche in der Hand trug.

»Um Himmelswillen, wer ist dies?«

»Sahib Hansa, mein Master, schöne Missus!« grinste der Grüne.

Der Seemann hatte sich bei dem Ruf umgesehen und lachte jetzt heiter.

»Verzeihen Sie, Fräulein, wenn der Bursche Sie erschreckt hat. Es ist Sucky, ein Laskare und mein Diener, ein ganz guter Bursche, wenn er auch etwas wild ausschaut noch von seinem alten Gewerbe als Seeräuber in den indischen Meeren her. Ich verdanke ihm diese Schmarre da über der Stirn und machte ihn dafür zum Gefangenen.«

»Wie, und du läßt den Mörder als deinen Diener umherlaufen?« fragte der Legationssekretär, während die Dame, nachdem sie sich von ihrem kleinen Schrecken erholt hatte, eilig an dem gefährlichen Fremdling vorüberglitt, um die versprochenen Befehle zu erteilen.

»Bah – warum soll ich nicht? Sucky ist ein ganz famoser Stewart geworden und ein tüchtiger Seemann obendrein, der mir die größte Anhänglichkeit zeigt, seit ich vor den Kurzdegen und Piken meiner Leute sein Leben schützte.«

»So haben Sie ein Gefecht mit malayischen Seeräubern bestanden?« fragte der Konferenzrat, der sah, daß er sich in Geduld fügen müsse.

»Auf der Fahrt von Singapore nach Kanton, als ich die englische Brigg ›Clary‹ kommandierte.«

Der Legationssekretär sah ihn erstaunt an. »Wie, Bruder Klaus, du bist Kapitän?«

»Mein alter wackerer Stafford starb in Singapore an der Cholera, und da ich erster Steuermann an Bord war, übernahm ich das Schiff. Die Reeder in Liverpool boten mir das weitere Kommando bei der Rückkehr an, und auch die ostindische Kompagnie wollte mir infolge der kleinen Affäre in der Malakkastraße ein Schiff geben, aber mich trieb die Sehnsucht nach meinen alten Halligen, die ihre Kinder niemals vergessen können! So ging ich nach Hamburg, machte zunächst mein Kapitänexamen und – da bin ich!«

»So viel ich weiß, existiert ja auch eine Examinationskommission in Kopenhagen für die Untertanen des Staates,« bemerkte nicht ohne Schärfe der Konferenzrat.

»Mag sein – wir von den friesischen Inseln kommen nur wenig hierher und halten uns zu unsern Stammesgenossen!«

»Und wann kamst du zurück aus Indien?« fragte der Legationsrat eilig, um den gefährlichen Gang des Gesprächs zu ändern.

»Vor fünf Wochen, Jan! Seit einer bin ich bei unserm wackern alten Ohm Barthelsen in Schleswig und kam von dort hierher, dich zu sehen, wenn du mich ein paar Tage beherbergen willst; sonst gehe ich zurück an Bord der Bark, bis diese ihre Ladung gelöscht hat.«

»Barthelsen, Kapitän Barthelsen,« fragte der Konferenzrat mit Interesse und einem scharfen Seitenblick auf seinen künftigen Schwiegersohn. »Das ist doch nicht derselbe, den – –«

»Den der Schurke Jörgen Jörissen auf vierzig Tage ins Gefängnis gesteckt hat gegen alles Gesetz und Recht, nur weil er auf das Wohl seines Vaterlandes getrunken, eine Sache, die ich alle Tage tue!« unterbrach ihn der offenherzige Seemann. »Ganz recht, das ist er, und eben deshalb habe ich die Fahrt hierher unternommen, um, da mein Bruder Jurist und einmal bei der Aktenschreiberei angestellt ist, zu sehen, ob es wirklich in Kopenhagen keine Gerechtigkeit mehr gibt für des Königs deutsche Untertanen!«

Der Legationssekretär trocknete sich den Schweiß von der Stirn und sah nur mit einem halben Blick auf das Antlitz seines künftigen Schwiegervaters, das immer länger und finsterer wurde.

»Ich habe bisher nicht gewußt,« sagte endlich der Konferenzrat spitz, »daß der berüchtigte Demokrat Barthelsen mit dem Verwandten dieses Herrn ein und dieselbe Person ist, sonst hätte allerdings manches nicht stattgesunden.«

»Wie? hat ihn denn Jan nicht verteidigt? Die Tante sagte mir doch, daß sie ausdrücklich an ihn geschrieben und ihm die Beschwerde zugeschickt hätte?!«

Der angehende Diplomat stand wie auf Kohlen. »Der Brief muß verloren gegangen sein!« stammelte er endlich und versuchte seinem Bruder einen Wink zu geben.

Der junge Schiffskapitän beachtete ihn aber nicht. »Meinetwegen!« sagte er, »aber die Zeitungen haben doch sicher Lärm genug geschlagen, oder die Federfuchser wären ebenso schlecht und faul wie die ganze Wirtschaft drüben in Schleswig! Doch davon zu reden werden wir ja wohl morgen Zeit genug haben. Was aber unfern Oheim betrifft, Herr Konferenzrat, so muß dieser hier nach Ihrer Rede zu schließen, stark verleumdet sein; denn er ist ein so redlicher Mann wie irgendeiner, und genießt die ganze Achtung seiner Mitbürger, wenn er auch sonst in seinen Verhältnissen nie viel Glück gehabt!«

»Aber er ist ein Agitator der Deutschpartei,« stieß der Konferenzrat hervor, der über dem Gespräch selbst das Diner bei der Gräfin Danner zu vergessen begann. »Er ist ein Demokrat!«

»Den Teufel auch – dann müssen sie uns alle hängen in Schleswig-Holstein, denn wir sind geborene Demokraten,« meinte lachend der Kapitän. »Ich bin nur Autokrat an Bord meines Schiffes, und der Teufel sollte den holen, der da anders wollte, als ich! Am Lande ist das etwas anders, da hat das Volk seine Rechte – seine Wetten, wie wir Friesen sagen, – und seine Privilegien, die freilich klein genug sind. Übrigens haben Sie ja hier, wie ich gelesen, selbst auf Seeland der Demokraten in Fülle und sehen an Herrn Orla Lehmann und seinen Freunden, daß sie nicht so schlechte Burschen sind, wie man sie malt.«

»Ja, aber sie haben ein dänisches Herz und dänische Gesinnung!« rief mit blitzendem Auge der hohe Beamte, »und ich will nicht hoffen, daß Sie diese Männer, selbst wo sie in Opposition gegen das Ministerium stehen, mit den Rebellen in Kiel und Südjütland gleichstellen, die nur auf Ungehorsam gegen ihren König und Herrn und auf Landeszerstückelung sinnen!«

»Ich bin kein großer Politiker, Herr Konferenzrat,« sagte ruhig der junge Kapitän, »und überdies in den letzten Jahren zu lange von meiner geliebten Heimat entfernt gewesen, um den Stand der Parteien genügend beurteilen zu können. Nur das glaube ich sicher sagen zu dürfen, daß es den Herzogtümern nicht im Traume einfällt, eine Landeszerstückelung zu verlangen. Ihr ganzes Streben ist, in aller Treue gegen ihren Herzog ihre seit länger als einem Jahrtausend geschützte Nationalität zu wahren und grade › up ewig ungedeelt‹ zu bleiben!

Das damals in Kopenhagen bereits so schwer verhaßte Wort, das der ganzen Politik und dem Streben des dänischen Ministeriums einen so gewaltigen Wall entgegensetzte, hätte, so unglücklich in dieser Umgebung angewendet, sicher eine Explosion veranlaßt, wenn nicht in diesem Augenblick eine andere Macht, die der Schönheit, eine Intervention eingelegt hätte.

Es war die Tochter des Hauses, Fräulein Edda Hallsteen, die unbemerkt wieder zurückkehrend, die letzten Worte des jungen Friesen gehört hatte und sofort dazwischentrat.

»Sind die Herren schon wieder bei der Politik?« sagte sie lächelnd, »in der Tat, ich glaube, man kann jetzt diesseits und jenseits des Belt die Männer nicht fünf Minuten allein lassen, ohne daß sie über Nationalitäten schwatzen und streiten. Sehen Sie, Herr Hansen, ich habe meine Scheu vor einer so wilden, wie die Ihres Sucky, überwunden und ihn bereits unter meine Protektion genommen, so daß er in voller Tätigkeit ist, die Reisetasche in Ihrem Zimmer auszupacken. Dafür haben Sie sich nun schleunigst in dieses zu begeben und es sich bequem zu machen für heute; denn allerdings müssen wir Ihnen, so leid es uns tut, Ihren Herrn Bruder jetzt entführen, der um seiner ganzen Karriere und auch um meinetwillen die heutige Einladung zu Hofe nicht versäumen darf. Und es ist wirklich die höchste Zeit. Vertreiben Sie sich diese also am Abend, so gut Sie können. Sie sind doch bekannt in Kopenhagen?«

»Ich war als Schiffsjunge und Leichtmatrose hier!«

»Ei,« sagte sie nicht ohne einen leichten Spott, der aber bald wieder in einen herzlicheren Ton überging, »dann werden Sie gewiß einige Stadtteile genau genug kennen! Aber nun leben Sie wohl bis morgen und vergessen Sie nicht, mir das romantische Abenteuer näher zu erzählen, bei dem Sie eine so kostbare Perle, Wie Ihren Suky, aus dem indischen Meere fischten.«

Sie reichte ihm nochmals mit ruhigem, freundlichem Lächeln die Hand, die er ehrerbietig berührte, und wandte sich dann zu ihrem Vater: »Ihren Arm, Papa!«

Ihre Gewalt im Hause war so groß und so anerkannt, daß selbst der Konferenzrat ihr unterlag. Er zuckte leicht die Achseln über die so offenkundig an den Tag gelegte Protektion – wahrscheinlich war ihm die Unterbrechung auch nicht unlieb, – grüßte höflich den jungen Kapitän und ließ sich von seiner Tochter fortführen.

Die Brüder folgten zusammen; Klaus begleitete Hand in Hand den Legationssekretär bis zum Wagen, und der letztere nahm die Gelegenheit wahr, ihm auf der Treppe die Bitte zuzuflüstern, in seinen Reden möglichst vorsichtig zu sein, bis er Gelegenheit habe, ihn über die Stimmung und die Verhältnisse in Kopenhagen näher aufzuklären.

Lächelnd nickte der junge Friese ihm das Versprechen zu, und als er die junge Dame in den Wagen gehoben hatte und die Equipage davonrasselte, wurde ihm noch ein freundlicher Gruß zuteil, den er jedoch, wie er sich umwendend bemerkte, mit seinem Indier teilen mußte, der mit dem ganzen braunen Gesicht vor Vergnügen grinsend hinter ihm gestanden und bereits die Aufmerksamkeit der lieben Straßenjugend auf sich gezogen hatte.

»Serra schön, Missus, serra schön weiß, Sahib Sansa!« meinte der braune Sohn der Molukken, während er sich vergnügt die Hände rieb.

In tiefem Nachdenken stieg der junge Seemann die Treppe hinauf nach dem ihm angewiesenen Zimmer. –


Der Kapitän war ein paar Stunden allein geblieben auf seinem Zimmer, wo man ihn mit Wein und Speise so angelegentlich versorgte, daß er darin den vorsorgenden strengen Befehl der jungen Gebieterin des Hauses erkennen konnte, und ordnete dabei die wenigen Sachen, die er mit von seinem Schiff gebracht, während er zugleich über das eben Erlebte nachsann. Unwillkürlich trat ihm dabei immer wieder das Bild der schönen Verlobten seines Bruders vor Augen, und er mußte sich gestehen, daß er selten oder nie ein schöneres Wesen gesehen habe.

Als die Gasflammen brannten und der Abend bereits ziemlich weit vorgeschritten war, verließ er, ohne seinem malayischen Diener davon zu sagen, das Haus und schlenderte durch die Straßen der Altstadt der Gegend des königlichen Schlosses Christiansborg zu.

Es fiel ihm auf, daß in den Straßen ein ungewöhnlich aufgeregtes und bewegtes Leben herrschte. Zahlreiche Menschengruppen, den untersten Ständen angehörig, zogen und standen umher, redeten lebhaft, und da er des Dänischen vollkommen mächtig war, konnte er vernehmen, wie sie auf die Regierung schimpften. Wiederholt fielen auch Drohungen über die deutsche Partei, und Klaus Hansen begriff, daß ein ungewöhnliches Ereignis sie aufgeregt haben mußte. Als er bei einer der Gruppen stehen blieb und einem der Sprecher zuhörte, erklärte sich ihm einigermaßen die Ursache.

Der Reichstag das heißt: die Kammern für Dänemark allein, nicht für den Gesamtstaat, – war am Tage vorher eröffnet worden. Die beiden Parteien, die nationalliberale, die wenigstens ihre Danisierungsgelüste geschickter zu verbergen wußte, und die sogenannten »Bauernfreunde«, die »Gemeinemanns-Partei« standen sich aufs schroffste gegenüber. Die letztere, welche die Vernichtung alles Deutschtums forderte, hatte im Volksthing, der zweiten Kammer, die Majorität, und ein Artikel des »Dagbladet« hatte sie an diesem Tage auf das Bitterste angegriffen. Das ministerielle Blatt sagte wörtlich über die Bauernfreunde, zu denen der abgetretene Minister Baron Blixen-Finecke gehörte: »Sie bilden eine Masse unverschämter, roher Dummköpfe, die unter der Leitung einiger halbstudierter Gauner stehen und, den gemeinsten plebejischen Instinkten folgend, zu weiter nichts taugen, als der Regierung Verdruß und dem Lande Schande zu machen.« Eine wütende Aufhetzung des dänischen Pöbels war die Antwort auf diese freilich wenig parlamentarische – obschon in Kopenhagen keineswegs ungewöhnliche – Sprache.

Er war über Kongens-Nyterv gegangen und hatte sich der Större-Straße zugewendet, als ein Arm sich plötzlich unter den seinen schob.

»De lüvhaftige Düvel sall mi halen,« sagte in gutem Hamburger Platt eine muntere Stimme, »wenn dat nich Kaptein Hansen van de Clary ist! – Heda, Schiffskamerad, kennt Ihr mich nicht wieder?«

Der Angeredete blickte sich um und sah in ein sturmdurchwettertes Seemannsgesicht.

»Wie – seh' ich recht? Kapitän Dreier aus Altona? mein wackerer Freund und Gönner von Singapore her!«

»Hat sich was zu gönnern,« meinte der alte Seewolf. »Ein Bursche Eures Schlages braucht höchstens die Gönnerschaft seines Reeders, und die ist einem tüchtigen Seefahrer gewiß. Aber erlauben Sie mir, Kapitän Hansen, Ihnen hier einen Kollegen vorzustellen, Kapitän Dom Sylvia Macinhos aus Oporto, der eben seine Ladung gelöscht hat. Ich wünschte, wir hätten etwas davon bei der Hand.«

Die Vorstellung war in englischer Sprache geschehen, und der Portugiese, der diese verstand, lachte mit ganzem Mund, der seine schönen weißen Zähne zeigte.

» Por Dios, Senhor Capitano, dem läßt sich abhelfen! In der Nähe muß eine Posada sein, deren Wirt ich eine Pipe echten Madeira abgelassen. Es freut mich, die Bekanntschaft des Senhor Kapitäns zu machen, und ich bitte Sie, eine Flasche mit mir zu leeren.«

Der Vorschlag wurde nach einer kleinen höflichen Weigerung angenommen, um so lieber, als der Altonaer Kapitän darauf aufmerksam machte, daß die Stimmung des umherziehenden Pöbels offenbar gegen die Deutschen sehr gereizt sei und ihnen Unannehmlichkeiten zuziehen könne, wenn man sie als solche erkenne.

In der Gegend des Kanals, der am Schloßplatz entlang läuft, traten sie in einer der Seitenstraße in eines der Strandwirtshäuser, wo die Seeleute zu verkehren pflegen. Der portugiesische Kapitän, der hier wohl Bescheid wußte, führte sie durch die Reihe der Zechenden nach dem Ende des großen hallenartigen Zimmers, indem er dabei an einigen Stellen Seeleute grüßte, die ihm bekannt, oder die von seinem Schoner waren.

Die Gesellschaft war aus allen Nationen gemischt, doch führten – wie Kapitän Hansen bald merkte, – die Schweden und Dänen heute das große Wort. Fortwährend strömte es ab und zu, und die unruhige Gesellschaft, die auf den Straßen lärmte und sich auf dem Schloßplatz zu sammeln begann, um allerlei Demonstrationen zu treiben, rekrutierte oder erfrischte sich fortwährend in den zahlreichen Kneipen. Überall war von der Eröffnung des Reichsrats die Rede und der Jubel der ultradänischen Partei groß, die mit den Wahlen in ihrer Kurzsichtigkeit bereits einen Sieg der Demokratie über die Regierung errungen zu haben glaubte.

Der portugiesische Kapitän hatte von seinem Wein verlangt, und bald glühte der köstliche Trank in den Gläsern, während der Wirt, ein abgedankter Invalide, hin- und herging, Neuigkeiten hörte und überbrachte, und die Gäste zum Trinken animierte oder wenigstens das Bestellte herbeischaffen ließ. Eine Flöte, eine Harfe und eine Guitarre bildeten das Orchester, und dies mühte sich, meist vergeblich, ab, in dem Lärm sich hörbar zu machen.

»Es ist gewöhnlich stiller und anständiger hier,« meinte der portugiesische Kapitän, »sonst würde ich die Herren nicht hierher geführt haben. Der Teufel ist heute los in der Stadt! Aber wenigstens, Senhor Dreier, kann ich Ihnen hier meine Schuld von gestern bezahlen. Ich kam eben aus dem Comptoir, an das ich konsigniert war und habe die Fracht ausgezahlt erhalten, da wir übermorgen segeln wollen, ehe das Eis kommt Wollen Sie Gold oder Banknoten?«

Er hatte eine strotzende Börse auf den Tisch gelegt, durch deren Maschen die Goldstücke funkelten und öffnete seine Brieftasche, die wohlgefüllt mit englischen Noten war, und wühlte darin.

»Es hätte ja Zeit gehabt bis morgen, Kapitän,« meinte der Altonaer. »Da Sie aber einmal dabei sind, können wir's abmachen. Sie erhielten ein Faß Pökelzungen und zwei Fässer Rauchfleisch – das macht mit dem baren Geld, 270 Mark. Geben Sie mir halb in Gold und halb in Noten, so kann ich es am besten brauchen, statt der verdammten dänischen Münzen!«

Der Portugiese zählte das Geld aus. »Senhor,« sagte der Friese in spanischer Sprache, von der er annehmen konnte, daß sie der andere verstand – »Sie sollten vermeiden, in dieser Umgebung so viel bares Geld zu zeigen. Sie wissen, daß es selbst unter den Teerjacken schlechtes Gesindel genug gibt, und das konfiszierte Gesicht, das Ihnen da eben über die Schultern sieht …;«

Der Portugiese wandte sich um. »Ah, por Dios! Pedro Aveiros, mein erster Steuermann! Es ist mir lieb, daß ich dich treffe, und wen zum Teufel hast du hier? Der Bursche sieht ja aus, als könne er unseren ganzen Schoner mit einem Bissen verschlingen!«

Der Mann, von dem er sprach, war von riesiger Größe und überragte den friesischen Kapitän Wohl noch um eine halbe Kopflänge. Der lange Körper war, wenn auch nicht breit, doch sehnig gebaut, und die langen, bei dieser Größe höchst unförmlich aussehenden Arme, an deren Enden Hände so breit wie Teller saßen, zeugten von großer Kraft. Das gänzlich bartlose Gesicht, das auf diesem Körper viel zu klein war, sah verschrumpft und unheimlich aus und die kleinen rötlichen Augen hatten einen bösen tierischen Blick. Fast weiße flachsartige Haare hingen ihm lang um den Kopf herunter.

Sein Gefährte, der portugiesische Steuermann, war in Gestalt und Wesen gerade das Gegenteil. Er war klein und schmächtig, aber von großer südlicher Beweglichkeit, und sein Auge schwarz und scharf funkelte wie das einer Ratte. Er mochte einige dreißig Jahre sein nach dem braunen, von einem dichten schwarzen Bart umgebenen Gesicht, das einige tiefe Falten zeigte.

»Die heilige Jungfrau sei mit Ihnen, Senhor Kapitano!« grüßte der Steuermann. »Ich hoffte, Sie hier anzutreffen, deshalb brachte ich da einen Maten hierher, der Lust hat, für den verunglückten Perez einzutreten und einmal sich anzusehen, wie sich's in den Orangenhainen von Portugal lebt. Der Bursche hebt seine fünfhundert Pfund allein!«

»Wer ist der Mann?«

»'s 'st ein Isländer, Senhor, und heißt Jökul! Er diente bisher nur auf Walfischfahrern.«

Der Kapitän musterte den Riesen, der stier auf das noch immer auf dem Tisch liegende Gold blickte. Der Mann mochte ihm wohl nicht sonderlich gefallen, indes es war schwer, tüchtige Matrosen zu erhalten, und deshalb beschloß er, ihn zu nehmen. Er rief nach einer frischen Flasche, schenkte den beiden zwei Gläser voll und sagte dann: »Ich danke, Steuermann Aveiros! Ich werde diese Nacht am Bord der Santa Lucia schlafen, und der Mann mag sich morgen früh bei mir melden, um die Heuerung zu schließen!«

Die Musik hatte eben auf das tobende Geschrei einer Rotte, die im Vordergrund der Halle zechte, das berühmt gewordene Nationallied den »Tapferen Landsoldaten« angestimmt und das Gesindel schlug brüllend den Takt dazu mit Händen und Füßen. Das Frauenzimmer, das die Guitarre trug, sang mit der gewöhnlichen schrillen Stimme dieser Kneipenvirtuosinnen das bekannte Lied:

»Als ich marschieren sollt,
Als ich marschieren sollt,
Mein Mädchen auch mit wollt,
Ja, mein Mädchen auch mit wollt.
Mein Schatz, das geht nicht an,
Es heißt nun: Drauf und dran!
Und wenn mich keine Kugel trifft, komm ich schon wieder an.
Ja, wär' der Feind nicht nah, ich zog' nicht in den Krieg;
Doch alle Dänschen Mädchen, die bauen nun auf mich;
Und drum will ich mich schlagen als tapfrer Landsoldat!
Hurrä! Hurrä! Hurräh!«

Kommt hier der Deutsche an,
Kommt hier der Deutsche an,
Beklag' ich jedermann,
Ja, beklag' ich jedermann.
Zu Peter und zu Paul
Er sagt gar: »Du bist faul!«
Und schilt man ihn dann aus auf Dän'sch, so sagt er gleich: »Hols Maul!«
Wer viele Sprachen spricht, dem ist das zwar einerlei,
Doch gibt's, zum Henker! solche, die können nich mal zwei!
Hurrä! Hurrä! Hurrä!

Ich weiß vom Dannebrog,
Ich weiß vom Dannebrog,
Er fiel vom Himmel hoch,
Ja, er fiel vom Himmel hoch.
Er flattert auf dem Meer
Und vorm Soldaten her,
Und keine andre Fahne ist für sich benannt, wie er,
In haben sie gehöhnt und beschimpft mit toller Wut, –
Nein, da ist unsere Fahne zu alt doch und zu gut!
Und darum will ich mich schlagen als tapferer Landsoldat!
Hurrä! Hurrä! Hurrä!

Die Menge jubelte jedesmal den Refrain mit. Die stieren Augen des Isländers hatten sich bei dem Liede seltsam belebt, eine wilde Lust schien über ihn zu kommen, und er schwenkte das Glas wie besessen.

»Hurrä! Hurrä! nieder mit der Regierung und den verfluchten Tydskers!« Deutschen.

»Der Kerl ist ein Narr!« sagte der Friese mit Ekel zu seinem älteren Kameraden. »Das Gesindel tobt wie besessen. Aber ich wette, mit meinen acht braven Jungen von den Halligen schlüge ich die ganze Bande hinaus!«

Es war, als ob der Zufall dem Wunsch Antwort geben sollte, denn eben, als der letzte Vers der »tapperen Landsoldaten« abgebrüllt wurde, drang ein neuer Schwarm Gäste in die Tür und sofort klangen am Schanktisch die wohlbekannten plattdeutschen Laute.

Ein tobendes dreimaliges »Hurrä!« schloß das herausfordernde Lied. Der lange Isländer sprang auf eine Bank und schwang eine Rumflasche.

»Der Dannebrog soll leben! Nieder mit den Tydsker Hundeseelen!«

Durch das Gebrüll der Trunkenen griff plötzlich ein schriller Harfenakkord.

Dann erhob sich eine klare, nicht unschöne Altstimme und ließ das so schwer verpönte Nationallied der deutschen Herzogtümer erschallen:

»Schleswig-Holstein, meerumschlungen,
Deutscher Sitte hohe Wacht,
Wahre treu, was schwer errungen,
Bis es tagt nach düstrer Nacht!
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
Wanke nicht, mein Vaterland!

Es war, obschon die Schenke sonst meist von deutschen und fremdländischen Seeleuten besucht und der Wirt selbst ein geborener Schleswiger war, unter den obwaltenden Umständen und namentlich an diesem Abend ein so unerhörtes Wagnis, dies Lied zu singen, daß es für eine wahnsinnige Herausforderung oder eine Tat hochherzigsten Nationalgefühls angesehen werden mußte, und in der Tat war die Wirkung so überraschend, daß einige Augenblicke beide Parteien vor Erstaunen schwiegen, während die Sängerin, hinter ihrer Harfe sitzend, mit fester klarer Stimme fortfuhr.

Dann aber brach der Sturm um so gewaltiger los. Ein rasender Applaus der anwesenden Deutschen belohnte die kühne Harfenistin, selbst die beiden Kapitäne am Ende des Zimmers stimmten rückhaltlos mit ein.

Doch diesem Applaus antwortete sofort ein Sturm der wildesten Flüche und Verwünschungen.

Die anwesenden Dänen und Schweden, meist schon in trunkenem oder doch in höchst aufgeregtem Zustand, bedachten nicht, daß sie die Demonstration zuerst hervorgerufen und sahen in dem Gesang des in der Hauptstadt von der herrschenden Gewalt streng verpönten Liedes eine freche Verhöhnung. Ihre Wut war grenzenlos, Tische und Bänke wurden umgeworfen und wohl zehn wilde Männer stürzten mit drohend erhobenen Fäusten gegen die kleine Estrade, auf der die Sängerin unbekümmert in ihrem Liede fortfuhr, obschon ihre beiden Gefährten sie auf alle Weise an der Fortsetzung ihrer Unvorsichtigkeit zu hindern suchten.

Kapitän Hansen hatte sich bisher um das musikalische Dreiblatt, einen Mann und zwei Frauenzimmer, gar nicht gekümmert und ihnen nicht einmal einen Blick geschenkt, da der Charakter dieser in den Kneipen herumziehenden Virtuosen ihm zu Wohl bekannt und widrig war, um Notiz von ihrer Persönlichkeit zu nehmen. Der seltsame Mut der Sängerin interessierte ihn jedoch so sehr, daß er sich voll Teilnahme erhob, um nach ihr zu spähen.

Der dicke Tabakdampf und die vor der Sängerin stehende hohe Harfe verhinderten ihn jedoch, ihr Gesicht zu erkennen. Er sah nur die mit den niedersten Schmähreden gegen die Ärmste wütend vorstürzenden Männer, und hörte den schrillen Klang der Harfe, als diese von den Fäusten des grimmigen Isländers der Sängerin entrissen und hoch in die Höhe geschwungen wurde, als solle das schwere Instrument seine Herrin zerschmettern.

»Metze! deutsche Hure! schlagt die Kanaille tot! Werft sie ins Wasser!«

Im Nu war alle Ruhe und Vorsicht bei dem jungen Kapitän verschwunden. Mit einem donnernden »Halt!« sprang er über den nächsten Tisch, stieß den Isländer zu rück und stellte sich vor das Mädchen.

»Halt, sag' ich! hierher zu mir, Schiffsmaate! Niemand soll das Mädchen anrühren! Gebt die Harfe zurück, Mann! habt Ihr Euer Lied gehört, so wollen wir uns auch das unsere singen lassen!«

Die Stimme klang so kräftig und befehlend, die Gestalt des Sprechenden sah so drohend aus, daß die Anstürmer unwillkürlich inne hielten. Die deutschen Matrosen ließen ein lustiges »Hurra«! ertönen und eilten an die Seite ihres so plötzlich aufgetauchten Führers.

»Die Harfe her, sag' ich, Mann!«

Der riesige Isländer stierte ihn an. Er hielt noch immer das schwere Instrument erhoben. Plötzlich machte er eine Bewegung, und ehe der Kapitän oder ein anderer Mensch es hindern konnte, schmetterte er die Harfe auf den Fußboden, daß sie in hundert Stücken zersprang.

»Da hast du sie! und jetzt an dich!«

Der halb tierische Wilde riß das kurze Matrosenmesser, das er in einer Scheide von Walfischhaut an einer Schnur um den Hals trug, aus seiner Hülle, nahm es zwischen die Zähne und streckte dann beide geballte Fäuste vor, um auf seinen Gegner loszustürzen, der ihn festen Fußes mit kaltem Blute erwartete, obschon er ohne Waffen war und selbst verschmähte, sein eigenes Messer aus der Seitentasche zu ziehen.

So erbittert die Parteien auch gegeneinander waren, so erscholl doch ein Schrei des Schreckens; denn alle hielten den mutigen jungen Mann für verloren oder erwarteten wenigstens einen schweren blutigen Kampf.

In diesem Augenblick langte die Hand des portugiesischen Steuermannes, dessen kleine Gestalt sich unter dem Arm des Isländers durchwand, nach dem Horngriff des Messers und zog es ihm aus dem Mund, indem der Portugiese dem Riesen einige Worte zuflüsterte.

Was auch ihr Inhalt sein mochte, die Wirkung war auffallend und augenblicklich.

Der Isländer ließ die Arme sinken, richtete sich wieder auf und warf seinem Gegner einen Blick zu, wie etwa ein tückischer Bullenbeißer einer mächtigen Dogge, die ihm seine Beute streitig macht und die er doch nicht anzugreifen wagt.

Dann drehte er sich um, stieß die umgeworfenen Stühle beiseite, und sagte bloß zwei Worte:

»Zu trinken!«

Der Portugiese reichte ihm eine neue Flasche Rum und nahm ihn mit einem bezeichnenden und verabschiedenden Wink an seinen näher getretenen Kapitän am Arm, um ihn fortzuführen.

Dieser Ausgang war so unerwartet, so gänzlich dem entgegen, was jeder für unvermeidlich gehalten, daß er nahezu lächerlich wurde und beide Parteien trotz ihrer Aufregung in ein lautes Gelächter ausbrachen.

Unter dieser Verhöhnung wurde der Riese von seinem kleinen Begleiter aus dem Schenkzimmer geführt.

Kapitän Dreier war mit seinem portugiesischen Freunde bei dem sich zuerst so gefährlich anlassenden wilden Auftritt besorgt näher getreten und nahm jetzt die Hand seines jungen Kollegen.

»Es war brav von Euch, Kapitän Hansen,« sagte er herzlich, »aber es ist genug damit, und es wird am besten sein, wir entfernen uns jetzt. Wir wollen das Mädchen mit uns gehen lassen; denn das arme Ding, wenn sie mir auch aus dem Herzen gesungen, könnte ihre Unvorsichtigkeit doch am Ende noch schwer büßen und hat ohnehin schon einen harten Verlust gehabt. Darum wollen wir sie unter unsern Schutz nehmen, bis sie in Sicherheit ist.«

Erst jetzt fand der junge Friese sich veranlaßt, sich umzuwenden und auf die Bänkelsängerin zu sehen, der er wahrscheinlich das Leben gerettet hatte.

Das Mädchen kniete hinter ihm am Boden und suchte ohne sichtbare Erregung durch den eben gehabten Schrecken aber mit ernstem, ja finsterem Ausdruck in ihren Mienen die Stücken seiner zerschmetterten Harfe zusammen.

Als der junge Friese sich umwandte, hob sie eben den Kopf und sah zu ihm auf.

Klaus Hansen prallte erschrocken zurück und unterdrückte nur mit Mühe einen Ruf.

Die da vor ihm kniete, die eben das deutsche Lied gesungen, die kaum der Todesgefahr entgangen, – war niemand anders, als – nur in ein verändertes dürftiges Gewand gekleidet – als die stolze Dänin Edda Hallsteen, die Braut seines Bruders!

 

(Schluß des ersten Bandes.)



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