Fritz Reck-Malleczewen
Phrygische Mützen
Fritz Reck-Malleczewen

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Der Tag der Tuilerien

Aus den Papieren des schweizer Kapitäns Hans Dreibündener

Heute, da die Welt anders und, wie mich deucht, auch nicht gescheiter geworden ist, mag man wohl lachen über das, was ich von dem Sommer dieses greulichen Jahres siebzehnhundertundzweiundneunzig niederschreiben will. Dennoch war es so, daß damals die ganze Natur wollte auf die große Veränderung der Dinge und Menschen vorbereiten: es war dieses siebzehnhundertundzweiundneunzigste Jahr, noch ehe mein Herr und König seinen Fall tat, ein abscheulich dürres, und fiel kein Regen vom Maien bis zum August, daß die Erde weit auseinanderbarst und die üblen Düfte von dem Unrat, den die Stadt Paris seit Jahrhunderten in ihrem Bauch und unterirdischen Gedärm beherbergt, hervordrangen. Stand damals immer eine große Staubwolke in der Luft, daß der Himmelsball immer nur wie ein rötlich Schreckgestirn zu sehn und das Licht fahl war, wie bei einer Sonnenfinsternis. Es standen auch die Blätter der Bäume voll ekelhaften Ungeziefers, das fraß alles fort, daß nur die Rippen in der Luft standen. Weiß es auch heute noch, daß auf dem Karussellplatze, wo wir, des Königs schweitzer Garde, gemeinhin exerzierten, eines Tages, mochte wohl vier Wochen vor dem großen Mord und Brand des Tuilerieenschlosses gewesen sein, aus den Spalten der Erde gelbe Maden krochen, allenthalben aus dem Boden, daß alles überzogen war vom schleimigen 10 Gewürm und die Soldaten daselbst nicht gehn wollten, maßen sie mit ihren Schuhen darinnen wie in einem Brei waten mußten. Waren alles rechte Totenwürmer, und die Soldaten raunten einander zu, daß diese nun bald würden ihre Atzung finden. Ich und die anderen Hauptleute haben ihnen wohl solche Reden verwiesen, maßen ein rechter Kriegsmann nicht daran denken soll, wann ihn die Würmer fressen. Konnte es dennoch nicht verhindern, daß sie in den Wachtstuben, die damals im Pavillon St. Marsan dicht bei des Königs Wohnung gewesen sind, ihre Köpfe zusammensteckten und Reden führten über so seltsame Zeichen der Natur, und was sie bedeuten wollten.

Es ist zu berichten, daß wir, des Königs schweitzer Garde und die vom Adel, so viel ihrer im Schlosse der Tuilerieen waren, daselbst in jener Zeit wie auf einer Insel im Meer lebten. Es war damals der Pöbel aus Marseille in Paris schon arrivieret, und wo ein Kopf noch nicht verdreht war, da ward er jetzt von diesen zu einem rechten Narrenhirn eingerenkt. Da sie nun vornehmlich uns, des Königs schweitzer Leibgarde, haßten wie das höllische Feuer, so vermochten wir das Schloß, es sei denn in ganzen Kompagnieen und in großer Wehr, nicht mehr zu verlassen. Nur will ich gestehn (und tu' es, da ich Weib und Kind nicht nach mir lasse und als ein unnützer Hagestolz auf meines Bruders Ulrichen Tasche liege), daß ich damals in der Vorstadt St. Antoine, dicht bei der gewesenen Bastille, ein Mädchen hatte, hieß Therese Marron; und zu dieser habe ich mich dann und 11 wann in bürgerlichem Kleid bei Nacht geschlichen. Bin auf solche Weise oft in des brüllenden Löwen Höhle gewesen und vornehmlich auch an der Marseiller Hauptquartier, das im Gasthaus »bleu cadran« – will sagen »Zum blauen Zifferblatt« – gewesen ist, nächtlings, wenn ich von meinem Dirnlein kam, vorübergeschlichen. War dann dort recht das, was man bei uns zu Lande einen Saustall nennt, soffen daselbst, wenn sie nicht ihre Reden hielten, dem Wirt fleißig den Keller leer, flackten mit den halbnackten Menschern, die allezeit in ihrer Gesellschaft waren, auf den Straßen umeinand, stahlen und plünderten, hielten wiederum von den Ecksteinen ihre Reden und machten, daß die Stadt, die schon ohne sie gezeichnet war von der Natur, ein rechtes Narrenhaus war.

Maßen sich nun dieser höllische Pöbel durch Zuzug aus allerlei Städten, vornehmlich aber aus Marseille, verstärkte, wurde er frecher und drohender, rannte auch zu wiederholten Malen gegen die Reitbahn an, wo sich die Nationalversammlung befand. Ich meine nun, es ist am letzten Juliustage gewesen, daß sie zum ersten Male vor dem Gitter erschienen sind, das den Platz vor dem Tuilerieenschlosse abtrennt von der gemeinen Straße. Sangen das Lied, das von ihrer Stadt den Namen hat, rissen an den Stäben und schrieen »Mort an boulanger«, welcher unziemliche Ruf sich auf meines Königs wohlbeleibte Gestalt bezog. Waren wieder vermischt Mannsbilder und Weibsbilder, und das Frauenzimmer von solcher Gestalt, daß man lieber des Teufels Geliebte küssen mochte, als von diesen einer nur die Hand reichen. 12 Waren ein ganzes Heer, allesamt mit Waffen, Piken und Flinten und Bratspießen durcheinander, drängten sich bis tief in die rue de l'echelle, so daß uns, die wir nur siebenhundert Schweitzer und bei Siebenhundert vom Adel gewesen sind, wohl hätte das Herz in die Hosen fallen können. Da es aber rechte Arschgesichter waren, wie sie einen wirklichen Soldaten nur durch den Anblick zum Dreinhauen reizen, so waren wir guten Mutes und sahen mit Lachen zu, wie Hauptmann Pfyffers Kompagnie, als sie die Wache am Pavillon des fleurs mit Steinen warfen, sie zum Teufel jagte, daß die Hasen mit Geschrei davonhupften.

Wenn wir nun auch guten Mutes waren, so muß ich, wofern mir das ziemt, doch sagen, daß es besser gewesen wäre, mein Herr und König hätte sich in Waffen unter uns, seines Leibes Wächtern, gezeigt. Wir aber sahen nur seine Pfaffen und die von der Nationalversammlung Deputierten zu ihm schleichen, und da damals die Königin unpäßlich war, war es uns manchmal, als ob wir mit unserem Leib nur ein leeres Schloß und die Möbel decken sollten, nicht aber des Königs heiliges Leben. Das verdroß manchen guten Soldaten. Mögen sich's die Könige merken, die noch ihren letzten Kampf werden bestehn müssen!

Ich nun entsinne mich aber doch, daß ich im August, da der Pöbel schon täglich um unser festes Haus heulte wie der Wolf um den Stall, eines Tages des Dienstes ledig war und in dem Garten mich promenierte, der hinter des Königs Hause ist. Da nun sah ich dicht 13 vor einer Taxushecke eines Kindes zierliche Gestalt, und da ich näher trat, sah ich, daß es der Dauphin war, der sich über einen Haufen von Sand geneigt hatte. Ich sah, maßen er uns Soldaten immer fern gehalten wurde, ihn zum ersten Male in solcher Nähe und wußte nun nicht, woran ich, der ich doch ein rechter Bär und Bauerngaul war, mehr meine Freude haben sollte: ob an dem feinen Herrlein oder an dem artigen Spiel, zu dem er sich neigte. Denn wiewohl ich ein rechter Schweitzer bin und nicht geneigt, alles anzustaunen, was höfisch ist, so wunderte ich mich doch über das, was des Kindes schmale Hand aus Erde und Hölzern und Moos gebildet hatte. Da war eine ganze Stadt, und die lag auf einem hohen Berg und hatte Zinnen und wehrhafte Türme, und war alles, Straßen und Plätze und Brunnen, so wohl geordnet, daß mir, weiß nicht weshalb, das Herz erwarmte. Unter dem Stadthügel aber war grüner Rasen, und dort weideten zierliche Wollschafe so friedlich und hatten an dem blassen Knaben einen sorglichen Schäfer, daß mir, maßen von fern wieder der Pöbel gröhlte, weiß nicht warum, ein heißes Erbarmen aufstieg mit aller sanften und Schutzes bedürftigen Kreatur, Mensch und Tier, und eine rechte Wut gegen alles, was des großen Gottes Frieden stört.

Wie ich so den Knaben spielen sehe und mich sorglich still halte, uns ihn nicht zu stören, raschelt es plötzlich in der Hecke und ich sehe mit einem Male, wie das kleine Herrlein zusammenzuckt und mit der 14 Hand nach dem Haupte faßt. Da springe ich herzu und sehe, daß Blut von der Stirn in feinem Bach fließt, und daß es ein Stein gewesen ist, mit dem man das Kind, ob es nun einer von dem Pöbel oder von den Schlechten unter dem Gesinde gewesen sein mochte, getroffen hatte. Da nun die Wut allezeit bei mir, damals wenigstens, über die Milde gegangen ist, habe ich das Kind gelassen und bin auf die Hecke zu, von der der Wurf gekommen ist. Wollte des meauvaisen Subjektes und Malefikus habhaft werden, konnte aber in das dicke Heckengestrüpp nicht eindringen, ob ich schon wie ein wütender Stier dagegen anrannte, zerriß mir unnützlich meine Montur und mußte obendrein anhören, wie es in dem Gebüsch hohnlachte.

Wie ich aber zu dem Kinde zurück bin, ist mir mein Grimm gänzlich vergangen. Denn ich fand das Kind nicht weinend, wie man hätte erwarten können, sondern es stand still da und sanft; und war wohl ein kleiner Fürst, und war doch erstaunt über der Welt Roheit und stand demütig und hoheitsvoll zugleich da, wie der große König unter seiner blutenden Krone, da er sagte, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei. Und da ich ja doch von Wiegen an ein rechter Bauer bin gewesen und im Stande, die Zeichen der Natur bei Mensch und Tier zu lesen, so sah ich bei diesem feinen und sanften Kinde, daß seines Lebens nicht lange sein werde. Da hat mich ein großer Jammer gefaßt und hätte bald heulen müssen, ich großer Schlagetot. Ich habe ihn auf die Arme genommen und ihn zu des 15 Königs Haus getragen, wo es mir einer der Kammerbuben von meinem Arm nahm.

Dies ist, wie ich meine, zwei Tage vor dem gewesen, an dem der Pöbel dann wirklich das Tuilerieenschloß stürmte und mein König seinen Fall getan hat. Am folgenden Tag berief der Major Reeding, dem sie nachher bei dem großen Septembermorden in der Abtei den Kopf haben abgeschnitten, uns schweitzer Hauptleute und eröffnete uns, wie ein gewisser Plan des Pöbels entdeckt sei, daß er das Schloß stürmen und den König mit Gewalt holen wollte. Wir sollten unsere Leute, da das Schloß offen dalag, noch in der kommenden Nacht schanzen und die Zugänge verrammeln lassen. Da wußten wir dann, daß es ernsthaft zugehn werde und dachten uns das Unsre. Da aber gegen die Liebe, wie ich wenigstens meine, ebenso wenig ein Kraut gewachsen ist, wie gegen den Tod, so bin ich noch an jenem Abend zu Therese Marron geschlichen; aber ein großes Unwetter, das über Paris niederging nach langer Dürre, verscheuchte uns die Göttin Venus, daß wir wie nasse Hühner bei einander saßen. Es ging draußen wahrhaft toll zu, regnete Schwefel und Blut und warf von den Dächern alle Kreuze herab und zerbrach alle Scheiben und verschonte bloß das Haus des »cadran bleu«, gleich als ob der Teufel die Marseiller, die dort ihre Versammlungen hielten, verschonen wollte.

Ich nun bin wieder ins Schloß und habe mich zu meinen Leuten gestellt, die fleißig an den Schanzen bauten, dennoch aber murrten, weil die vom Adel, die 16 oben in den Gemächern sich zum Schutz des Königs eingefunden hatten, uns nicht helfen wollten. Nur Herr de Saulminiac, welcher ein junger Priester und schön wie der Gott Apollo und bei sechs Fuß groß war, legte mit Hand an und war uns ein guter Helfer. So verrammelten wir insbesondere die große Freitreppe, die von der drunteren Halle geraden Weges zu den Gemächern des Königs führte, schleppten auch für diese Barrikaden, da wir nichts anderes hatten, aus den Gemächern der Hofdamen und ohngeachtet des Gezeters der Marquisen Schränke und Tische und Kamingitter und sogar die Klaviezimbel fort, daß man meinen konnte, der Teufel solle auf unseren Schanzen Musik schlagen.

Dies war nach dem Unwetter eine klare, laue Nacht, und es schien ein abnehmender und greulicher roter Mond, daß man glauben mußte, einer müsse sich aufhängen in dieser Stunde. Wiewohl es ganz still war in der Stadt, sahen wir den Pöbel doch keine fünfhundert Schuh entfernt von uns beim Gitter des Karussellplatzes stehn. Dies war eine dicke schwarze Menge, die den ganzen Platz verstopfte, tausende und aber tausende. In ihren Piken und Gewehren spiegelte sich der Mond und war so hell, daß man deutlich ihre Gesichter sehn konnte. Was unser Herz aber am meisten bedrückte, das war, daß sie so stumm dastanden und uns zusahen und ganz unbeweglich dabei waren, als stünde da der Tod und fletschte seine Zähne und wartete auf seinen Fraß. Ich meine, daß dies auch die Soldaten 17 merkten, denn sie arbeiteten schweigend und ohne fröhliches Lied, und ich glaube wohl, es hat so mancher sich aus unserem kleinen Häuslein weit fortgewünscht in dieser Nacht. Als wir mit den Barrikaden fertig waren, schleppten wir Geschütze die Treppe hinauf an die Fenster, daß wir den Platz vor dem Schloß bestreichen konnten. Ich trat zu dem Abbé de Saulminiac, der so fleißig mittat und allemal ein munteres Wort bei der Arbeit fand. »Ei,« sagte ich, »Ew. Würden werden die Hände zerschinden bei so viel Müh?« Da lachte er und sagte: »Hauptmann, morgen wird der Pöbel das ganze Fell von mir abziehn.«

Ich wunderte mich über die Fröhlichkeit, mit der er dies sagte. Aber ehe ich darauf erwidern konnte, hörten wir bei dem Pavillon St. Marsan einen Schrei, der mir die Rede verschlug. Da ich ahnte, daß einer der Wachen, die wir dortselbst halten konnten, überfallen sei, schickte ich einige dorthin und brauchte nicht lange auf Bescheid zu warten. Denn sie kamen sofort zurück, und was sie bei sich trugen, war der blutige Kopf eines der Unsern. Und ob es nun von mir eine schwache Stunde war, die ein jeder einmal hat, oder ob es diese Nacht mit ihrem blutroten Mondlicht war: ich muß sagen, daß mir der kalte Schweiß aus der Haut kam. Dieses war der Sergeant Vitus Bartenschlager, der vordem in des großen Königs potsdamer Garde gedient hatte, und er war ein erprobter Soldat gewesen. Aber meiner Treu, er mußte ein großes Entsetzen beim Sterben gesehn haben, denn er riß 18 die Augen im Tode weit auf in einem Schrecken, wie ich zuvor bei Toten nie bemerkt hatte. Die ihn brachten, zitterten am ganzen Leibe. Dies sei alles, was von Vitus Bartenschlager übrig sei, und man habe ihnen den Kopf über das Gitter zugeworfen. Des Leibes aber hatten sich die Weiber bemächtigt und ihm die Gliedmaßen wie einer Fliege ausgerissen und trieben nun ihren abscheulichen Spott damit.

Von Stund an wollte den Soldaten die Arbeit nicht von der Hand gehn. Ich habe manchen Jungen gesehn, dem standen die Tränen in den Augen, und die Anderen hockten auf den Treppenstufen und steckten die Köpfe zusammen, erzählten sich grausliche Geschichten von einem Zug Geharnischter, der sei in der vorigen Nacht durch Paris geritten und der Führer habe aus seinem Panzer heraus laut und kläglich geschrien: »Wehe Bourbon! Wehe Frankreich!« Und sei kein Anderer gewesen, als König Heinrich, der sei aus dem Grabe gestiegen, um ihnen allen den Untergang zu verkünden. Und Andere wiederum, die von den abgelösten Posten in der Louvregalerie kamen, sagten, es spuke greulich daselbst, und in ihrer Mitte hätten sich plötzlich längst gestorbene Kameraden gezeigt, hätten aber statt der Hellebarden Sterbekerzen in der Hand gehabt, und als ein Beherzter sie angeredet, mit den Totenfingern stumm auf den Boden gewiesen, als ob sie ihnen den Weg ins Grab zeigten.

Da alle so mutlos beieinander hockten im Frühlicht, trat Hauptmann Pfyffer Konrad zu ihnen und 19 redete sie an und sagte, daß der Tod nun einmal allen gemein sei und müsse geschmecket werden früher oder später. Und ob es nicht am Ende lustiger sei, sie gingen als gute Soldaten alle beisammen in seiner Gesellschaft zum letzten Tanz, als daß jeder einzeln müsse auf seiner Lagerstatt zum Todesreihen antreten. Da richteten sie sich auf und waren wieder wie brave Knechte und taten ihr Werk. Ich weiß nicht mehr, wie es gekommen ist und wer es angestimmt hat: Aber als sie fertig waren und die Sonne dieses schlimmen Tages uns blutig rot aufging, hockten sie auf den kalten Steinstufen und sangen das Lied, das vor Jahrhunderten die englischen Kavaliere in ihres Königs Exil gesungen haben:

»Oh Richard, oh mein König,
Die ganze Welt läßt Dich . . .«

Ob wir nun auch nur leise sangen, hallte es doch wieder an den Bogen oben, und es geschah plötzlich, daß oben am Ende der Treppe die Tür sich öffnete und in dieser Frühe die Königin mit einigen ihrer Frauen heraustrat. Ach, ich hatte seit dem Jahre zuvor ihr Gesicht nicht gesehn, als es noch von blonden Locken war umgeben gewesen. Nun war dieses Haar schneeig weiß geworden, und bitterlicher Gram war in ihren Zügen. Aber bei Gott, sie war eine stolze Frau, und nie wieder habe ich unter Gottes Sonne eine Herrin gesehn, für die zu sterben so gut gewesen wäre, wie für diese. Die Menschen von heute mögen lächeln 20 darüber: damals fuhr, als die Königin in unsere Mitte trat und hatte den besagten Dauphin auf ihrem Arm, der Mut in unsere Glieder. Und wir waren keine Fürstenknechte, wie man heute wohl meinen mag, sondern als freie Bauern geboren allesammt, und mag manches Handelsbübchen, das auf des Krämers Pfiff auf seinen Schemel hupfen muß, sich bei der Nase fassen und sich fragen, ob es je könne so frei sein, wie wir, die wir damals zum Kampf antraten, des Königs schweitzer Garde.

Eben nun, wie die Königin uns begrüßte und wir allesammt die Waffen ihr entgegen hoben, da kam von der anderen Seite kriegerische Musik, und wir sahen, daß die Grenadiere »Filles St. Thomas«, welche zur Nationalgarde gehörten und uns das Schloß sollten schützen helfen, in den Hof einzogen und sich vor der Haupttür aufstellten mit Geschütz und Fahnen. Diese galten als königstreu und wurden also vom Pöbel mit Halloh und Steinen begrüßt. Haben nicht viel Ehre gehabt von diesem Tag und haben wohl das Maul aufgerissen, sind aber doch schäbig davongelaufen. Ist auch eine neue Sitte, dem Bürger Waffen zu geben und den wirklichen Soldaten, der sie als sein ehrliches Handwerkzeug weiß zu führen, als dumme Söldner zu verlachen. Aber ich meine, die Könige werden nicht viel Freude haben von solchen Bürgersoldaten, die sich grämen, wenn daheim der Kochtopf überlaufen will. –

Eben, als diese Grenadiere »Filles St. Thomas« sich aufstellten und der Pöbel immer stärker gegen 21 das Gitter drängte, befahl die Königin, auch Seine Majestät zu rufen. Ach, da kam der gute Herr und mußte seinen dicken Wanst auf die Pfaffen stützen, mit denen er die Nacht gebetet hatte. Dies war kein gutes Bild für unsere Augen, und ich meine, auch die Königin habe sich in dieser Stunde ein wenig des unkriegerischen Herren geschämt. Ach, ich sehe sie, die Gott in seiner Gnade mag aufgenommen haben, vor den König treten, in der Hand eine Pistole, und die starke Unterlippe, die ihr Geschlecht auszeichnet, war geschwollen von Blut. »Sire, jetzt gilts!« habe ich sie sagen hören, und ich meine, sie hat mit dem Fuß gestampft dabei. In diesem Augenblick rief es oben: »Platz für den Adel Frankreichs,« und es öffnete sich die Tür der großen Paradekammer, und hervor traten in langem Zug die Edelleute, die zu des Königs Schutz im Schlosse waren bei siebenhundert. Waren fast alle mit Waffen, Alte und Junge, auch seidenhaarige Pagenknaben, die nur eine Feuerzange zum Kampfe trugen. Mögen gewesen sein wie sie wollen, haben aber brav gefochten an diesem Tag, und ihre Köpfe hingehalten . . . ach, und ich habe manchen dieser Köpfe dann auf der Picke gesehn am Abend . . .

Wie nun diese sich um ihren Herrn scharrten, heißt es plötzlich, die Grenadiere »Filles St. Thomas« wollen den König sehn. Und wie nun die unten noch schreien und man die Königin auf ihren Gemahl einreden sieht, tritt der Abbe de Saulminiac zu mir und sagt, ich solle den König nicht aus dem Auge verlieren. Im 22 selben Augenblick kam denn auch der König, begleitet von wenigen Kavalieren, die Treppe herab.

So gingen wir denn, indem ich mich zu diesen gesellte, hinaus. Ach, niemals hatte die Majestät einen so traurigen Gang getan. Kaum hatten wir den Platz erreicht, so flogen nach uns Steine vom Gitter her, und wir konnten es nicht hindern, obschon wir den König deckten, daß sie ihn trafen und daß alsbald sein Gesicht blutete. Ach, hätte er nun so getan, als täten sie ihm kein Weh, hätte er nur den Kopf hoch getragen, ich meine, er hätte jetzt noch diese beweglichen Franzosen für sich gewinnen können. So aber trat nicht der König, sondern ein wohlbeleibter guter Vater vor die Grenadiere, und Tränen standen in seinen Augen, als er sie anredete. Da war es aus mit diesen Bürgersoldaten, und man lachte zuerst, und dann wurden einzelne Scheltworte in den hinteren Gliedern gehört. Der König führte das Tuch vor die blutende Nase und begann zu stammeln, und der Pöbel, der seine Gesichter gegen die Gitterstäbe preßte, johlte und schrie und lachte. Da sah ich, wie die Kanoniere dieses Bataillons die Lunten austraten und schrieen, nie würden sie sich für diesen alten Papa schlagen. Da mußte ich sehn, wie man ihm die Fäuste unter die Nase hielt und wie der Speichel dieser vollbärtigen Dickwänste und Wurstmacher den Enkel des heiligen Ludwig traf. Was half es, daß ich einem von diesen, die uns umringten, mit der Hand aufs Maul hieb, daß ihm die rote Suppe hervorlief? Der König lief 23 ins Schloß zurück, und wir mußten unter Hohnlachen und üblen Mißhandlungen ihm nach, ob wir wollten oder nicht.

Da fand ich im Schloß meine Leute und Kameraden, die das alles mit angesehn hatten, verzagt und kleinlaut. Auf dem Hofe die Grenadiere waren auseinandergelaufen, und da nun der Pöbel Mut bekam, kletterte er über das Gitter und kam über den Hof, zertrampelte die Blumen, stürzte die Steingötter, die dort aufgestellt waren, um, lagerte sich auf all dieser Unordnung, präsentierte seine nackten Weiber, streckte, um uns zu höhnen, uns seine Blöße entgegen und schrie, man wolle unsere Herzen noch an diesem Tage am Spieße braten.

Währenddessen kam einer unserer Späher gelaufen, die wir in den Vorstädten unterhielten, und meldete, daß nun auch die Hauptmacht der Marseiller die rue de l'echelle heranrücke mit Geschütz und achttausend Gewehren, zehnmal so viel, als wir besaßen. Da berieten wir und fanden, daß wir, wenn uns schon Seine Majestät keine Ehre antäte, wir uns selbst als Soldaten wollten Ehre antun und uns unserer Haut wehren, da uns überdies nichts Besseres übrig bleibe. So ließen wir denn die Waffen aufnehmen und die Tür verrammeln und standen und warteten.

Während nun der Pöbel gegen die Tür zu rennen begann und der erste Kanonenschuß gegen den Pavillon der Prinzen gelöst wurde, daß das ganze Schloß zitterte, begann oben bei des Königs Gemächern ein klägliches Hin- und Herlaufen, und keiner von den feinen 24 Herrlein wußte, was tun. Kommt zu mir wieder der Abbé de Saulminiac die Treppe herab und sagt, daß der König vor dem Pöbel wolle in der Nationalversammlung bei den Deputierten drüben in der Reitbahn Schutz suchen, und ich solle ihn mit meinen Leuten dorthin geleiten. Ich habe nichts erwidert, obwohl mir eine Laus über die Leber gelaufen ist. Ich habe meine Leute aufgerufen, und so sind wir, wie es sich gehört, mit unseren Hellebarden vor den König getreten, den wir nebst der Königin und etlichen Herren und Damen und den königlichen Kindern im Garten fanden. Als wir nun, wie es die Vorschrift befiehlt, des Königs Person von allen Seiten mit unseren Waffen umgaben, reißt sich von der Seite der Madame de Tourcel, der die königlichen Kinder anvertraut waren, der Dauphin los und schmiegt sich, eben als ich wollte abmarschieren lassen, an meine Kniee. Da habe ich mein Sponton einem der Marquis gegeben und habe, während die Weiber zu schluchzen begannen, das Herrlein auf meinen Armen getragen.

Währenddes war es warm geworden, und da die Gräser und Kräuter noch von dem gestrigen Gewitter in ihrem Tau glänzten, strahlte alles in rechter Pracht, und die Vögel zeigten ihr buntes Gefieder und Bienen summten, und schien sich jedes Geschöpf des Schöpfers zu freuen, ausgenommen die Menschen, die seinen Tag mit Mord und Blut schändeten. Als wir so über die heißen Kieswege gehn, scheucht von den Buchen der Frühwind etliches dürres Laub auf uns herab, und ich 25 höre den König hinter mir sagen: »Die Blätter fallen früh in diesem Jahre.« Sagt der Abbé de Saulminiac, der nicht weit von mir ging: »Und noch früher unsere Köpfe!« –

Also betraten wir die Reitbahn, wo vor ihrem Vorsitzenden die Deputierten sich versammelt hatten, Da saßen diese Metzger und Bierwirte und hatten lange Mäntel als Amtstracht und fühlten sich darin so wichtig, als wären es römische Senatoren; hatten dicke Bäuche über den dünnen Beinen und in dem Schädel helle Angst, daß ihrer Wichtigtuerei die Marseiller könnten ein Ende setzen, wie denn auch nachher geschehn ist. Wie wir nun den Raum betreten, geht hinten beim Schloß jenes Schießen an, davon ich noch erzählen werde, und da wir unserer hundert Schweitzer um den König waren und mit festem Schritt und klirrenden Waffen hereinmarschierten, so glaubten diese Herren hier, der König fahre mit dem eisernen Donnerwetter drein und wolle sie beim Kragen nehmen. Da stoben sie auseinander wie die Schafe vor dem Hund, gewannen an uns vorbei den Ausgang, ja ich sah Einen, der zum hohen Fenster der Reitbahn hinauswollte und sich, da im gleichen Augenblick eine verirrte Kugel durch das Glas fuhr, jämmerlich die Hosen besprenzte.

Da mußte ich herzlich lachen über diese Hasen in ihren Vermummungen, und die Soldaten lachten auch. Aber da gebot unser königlicher Herr Stille und sagte mit lauter Stimme, wie er sich freiwillig in den Schutz des Volkes begäbe und wohl wisse, wie er hier ebenso sicher 26 aufgehoben sei, als unter den Waffen seiner Garden. Mich grämte solche Rede und verfinsterte mein Gesicht. Aber ich schluckte es die Kehle herab und setzte mein Herrlein, da es der König so gebot, auf den Tisch vor dem Präsidenten nieder. Ach, da stand er und fragte wieder mit den sanften Augen nach der Ursache für so viel Leides und Unrast in der Welt. Die Deputierten aber, die ihn da stehn sahen, brachen in Jubelrufe aus und schrien »Vive la Nation« und dergleichen mehr. Der Vorsitzende begrüßte mit vielen Grimassen und Verbeugungen den König und versicherte, daß der König in der Tat könne keinen sichereren Schutz finden, denn in den Armen des Volkes. Da trat Se. Majestät zu mir und sagte: »Leb' wohl, Hans, und ich danke Dir. Leb' wohl und grüß alle Kameraden.« Da küßte ich meinem Herrn die Hand und wußte, daß ich ihn nie wieder treffen würde.

Da wir Schweitzer nun so verlassen dastanden in Reih und Glied und stumm in diesem vollen Saal, geht mit einem Male draußen beim Schloß von Neuem das Schießen und Kanonieren an. Zugleich flüchteten sich allerlei Menschen, darunter ich auch marseiller Gesindel erkannte, in den Saal, schrieen, daß man auf das Volk schieße, hielten uns, die wir der Vorschrift gemäß still und mit gespreizten Beinen und vorgesetzten Hellebarden standen, die Pistolen unter die Nase und brüllten uns an, daß wir sollten die Waffen hinschmeißen. Wir wußten nichts Anderes, als auf des Königs Befehl warten und ließen uns von diesen die Monturen und 27 Gesichter bespeien und schauten nur trutzig geradeaus. Da bedeckt der Vorsitzende sein Haupt, was ein Zeichen ist, daß die Versammlung solle unterbrochen sein, kommt auf mich zu und sagt mir ins Gesicht: »Leg er die Waffen nieder.« Läuft mir eine neue Laus über die Leber, weil dieser Nachtwächter mich mit »Er« anredet, und ich sage ihm auf gut Deutsch, daß der Teufel sein »Er« ist und spreche ihm auch einen Wunsch zu, den ich hier nicht niederschreiben mag. Brüllt er mich wieder an und zeigt nach oben auf die Loge, wo die Schnellschreiber dieser Versammlung saßen. Ach, da sah ich sie denn in der hinteren Reihe aneinandergedrängt wie die verängsteten Vögel: den König und auf seinem Schoß mein zartes Herrlein und die Königin, die in ihr Sacktuch weinte, und Madame Elisabeth und die Prinzessin Lamballe, die man nach drei Wochen schon so grausam abschlachtete, und alle, die zu schützen mit unseren guten Waffen wir doch geschworen hatten. Da laufen mir die Tränen über das Gesicht, und ich rufe zur Loge und kann kaum sprechen vor Wut und Weinen: »Sire, on veut, que je mette bas les armes!« Ruft der König wieder: »Leg sie nieder, Hans! Ich will nicht, daß so brave Männer für mich sterben.«

Da murmelte ich einen Fluch gegen meinen Herrn in den Bart, welchen Fluch mir Gott nicht anrechnen möge am jüngsten Tage, versicherte mich beim Präsidenten, daß uns kein Leid geschehn und daß man uns in die Abtei bringen werde (wo denn meine Leute, getreu dem Worte dieser Franzosen, hinterher sind jammervoll 28 abgeschlachtet worden). Dann wandte ich mich zu den Leuten, die allesamt vor Wut über die Schande weinten, und ließ die Waffen hinschmeißen. Sogleich rissen diese umherstehenden Heringstecher und Tranfinger, die ihr leblang keine ehrliche Waffe mochten in der Hand gehabt haben, die Hellebarden an sich, prahlten damit vor einander, als hätten sie sie im guten Kampfe uns abgenommen. Wie ich aber sehe, daß man meine Leute, nun sie ohne Wehr waren, mit den Füßen tritt und an den Bärten reißt, da kann ichs nicht mehr ertragen und gebe dem Nächsten eine Maulschelle, daß er das Stehen verlernt, und setze durch die Tür davon, laufe durch den Garten, höre, wie sie hinter mir schreien und schießen, komme aber glücklich zum Schloß zurück, wo denn in meiner Abwesenheit der Teufel erst recht sein Spiel begonnen hatte.

Da fand ich oben in den Gemächern des Königs die Edelleute wortlos und zitternd, und dazwischen liefen die Damen der Königin in Unterkleidern und mit offenen und ungepuderten Haaren wie ängstliche Hühner, daß ich es mit dem Lachen bekam, ohngeachtet der greulichen Stunde. Aber da lief mir der Hauptmann Blaser Ulrich entgegen, schrie mich an: »Herunter mit Dir, Hans! Jetzo gilts!« Im selben Augenblick höre ich es unten in der Halle brüllen, und als ich die Treppe hinunterkomme, da sehe ich, daß das Tor gesprengt und der Pöbel dicht vor der Tür ist, aber es nicht recht wagt, angesichts unserer Feuergewehre in die Halle zu kommen. Ach, da sah ich erst, wieviel der Feinde wir vor uns 29 hatten, wie sich schier ganz Paris bewaffnete, um uns schweitzer Leibgarden den Kopf abzuschneiden. Bis weit über den Karusselplatz staute es sich und drängte vorwärts und mußte binnen Kurzem uns hier samt unserer schwachen Barrikade über den Haufen rennen . . .

Es war die Vorschrift seit Jahrhunderten, daß ein Schweitzer in der Halle die Wache hielt. So war denn auch jetzt, als ich die Treppe herabkam, einer vor die Barrikade getreten und stolzierte in rotem Lilienfrack und mit der Hellebarde auf und ab, als würde gleich des Königs Majestät die Treppe herabkommen und sich mit großem Gefolge zur Jagd begeben. Aber da holten die Marseiller, die in dem Portal lauerten und sich doch nicht recht in die Halle getrauten, ihn mit einem langen Feuerhaken heran, warfen ihn auf den Rücken, und die Weiber rissen ihm mit abscheulichem Geheul nacheinander die Glieder aus dem Leib. Da es aber die Vorschrift galt, trat, gleich als ob nichts gewesen wäre, ein Zweiter von Hauptmann Pfyffers Leuten hervor und begann ebenso zu stolzieren. Wurde aber ebenso vom Feuerhaken geholt und ihm der Kopf abgeschnitten, und gleicher Weise ging es einem Dritten.

Als ich sie so stumm und stolz auf ihren Posten und stracks nach der Vorschrift in ihren bitterlichen Tod marschieren sah, da freute ich mich doch recht, daß ich einer von ihrem Blute war und wußte, daß wir allesamt würden mit Ehren sterben. Trat aber doch zu Hauptmann Pfyffer, der stumm unter den Seinen bei der Barrikade 30 stand, bat ihn, einen Vierten nicht mehr hinaustreten und von der Bestia da draußen morden zu lassen. Da sah er mich an, sagte: »Hans, willst Du der Pflicht untreu sein?« riß, ehe wirs uns versahen, dem Nächsten die Hellebarde fort, sprang, ohne etwas zu sagen, vor die Barrikade und pflanzte sich selbst dort auf. Ehe nun aber die Marseiller ihre abscheuliche Menschenangel noch zum anderen Male ausstreckten, trat einer unter ihnen, welcher der Bierwirt Santerre war, hervor und schrie, er wolle, da er ein Menschenfreund sei und kein Blut mehr wolle, mit uns unterhandeln, wir aber müßten alle unsere Waffen hinlegen. Antwortete Hauptmann Pfyffer ihm, wie es die größte Schande sei, die Waffen abzugeben. Wolle man kein schweitzer Regiment mehr, so solle man uns den Vertrag zurückgeben, dann wollten wir in Ehren abziehn.

Da schrie der Marseiller unseren Soldaten zu, sie sollten uns Offiziere allesamt totschlagen und zum Volke übergehn. Wer das tun wolle, der solle es gleich tun, und ihm werde kein Leides geschehn. Da sahn wir auf unsere Soldaten, ob sie sich mit Schmach und Schande salvieren oder mit Ehren den Tod bestehn würden. Traten aber nur ihrer zwei vor und gingen zum Feinde über, weinten auch bitterlich dabei ob ihrer eigenen Schande, als sie so unsere Reihe verließen und die Waffen hinschmissen. Mag ihre Namen nicht nennen: damals meinte ich wohl, daß sie rechte Judasse und Felonisten seien, habe aber derweilen doch vom Leben so viel gesehn, daß ich wohl weiß, wie Jedem von uns einmal 31 eine schwache Stunde kommt und uns in große Schmach bringen kann. –

Da nun diese beiden die Einzigen blieben, schrie der Marseiller, man werde uns deutsche Bauernknechte allesamt in heißem Öle sieden, damit uns der Trotz vergehe. Gleichzeitig streckten die übrigen vom Pöbel, die in der Tür standen, wiederum den Haken aus, um Pfyffer Ulrich auf die nämliche Weise zu fangen. Ich aber riß ihn noch zu rechter Zeit zurück und ließ ihn über die Barrikade zu uns heben. Da ich nun sah, daß das Ding wolle zu seiner Entscheidung kommen, rief ich dem Pöbel zu, er solle des Königs Haus gutwillig verlassen. Da begann großes Johlen, und mit einem rannten sie in die Halle, auf die Barrikade zu. Da nun ließ ich die Salve rollen, und mit Blitz und Knall kollerten sie wie die Häslein übereinander und stieben davon und ließen ihre Toten liegen und rannten auf den Platz hinaus, schrieen auch kläglich im Davonlaufen, man schieße auf das Volk. Gleich als ob sie mit Zuckerdüten und nicht Piken und Säbeln zu uns gekommen wären und nicht unserer lieben Kameraden Blut vergossen hätten. Da nun im oberen Geschoß die vom Adel die Marseiller ruhmlos davonlaufen sahen, lösten sie die Stücke, die wir oben nächtlings postiert hatten, daß der eiserne Hagel dem Pöbel in die Hosen fuhr. So haben wir sie ein letztes Mal denn gejagt mit unserem schwachen Häuflein zu unserer lieben Fahnen und des Königs Ehren. War ein hinterhältig Volk, das sich niederwarf und um Pardon bat und dann von hinten auf uns schoß. Wir ließen sie 32 gleichwohl liegen, jagten sie von dem ganzen Platz fort bis in die Vorstadt, in die rue de l'echelle hinein, wo sie in den Häusern ihren Unterschlupf fanden.

Da nun freuten wir uns des Sieges, vergaßen alle Greuel, die wir mit angesehn, ließen unsere Fahnen flattern, sammelten auch die Waffen, die die Marseiller bei ihrer Flucht verloren hatten. Wie ich aber die stehn gebliebenen Kanonen umdrehn lasse und wie ich mich daran freuen will, daß wir uns nun hier würden halten und unser Stück durchfechten können, da läuft Einer vom Schloß her und ruft von Weitem schon meinen Namen, und das war kein Anderer als jener Abbé de Saulminiac, den ich beim König in der Reitbahn gelassen hatte. »Hauptmann« schreit er mir entgegen »der König will, daß Ihr hier gleich die Waffen niederlegt!« Wurde mir grün und blau vor den Augen, schrie ich ihn an, ob er denn des Teufels sei? Traten auch die anderen Hauptleute zu ihm, schrieen ihn an, ob er nicht wisse, daß uns der Pöbel allesamt schlachten würde, wenn wir jetzt den Kampf abbrechen wollten. Sagt er mir geradeaus ins Gesicht und seine Stimme zittert nur so: »Der König ist in der Hand des Volkes. Wenn Ihr weiter kämpft, wird der König statt Eurer getötet. Da mögt Ihr selber entscheiden.«

Da wußten wir denn, woran das Ding war, berieten uns kurz und beschlossen, die Waffen niederzulegen, ließen dann blasen und versammelten die Soldaten um uns im Viereck. Major Vitus Reeding, derselbe, dem nachher der Kopf ist abgesägt worden, 33 sprach sie an und sagte ihnen, wie sie einst geschworen hätten, für den König zu sterben, im Kampf oder ohne Kampf. Und das wisse er wohl, daß es noch schwerer sei, ohne Kampf totgeschlagen zu werden, als mit der Waffe in der Hand. Aber wenn wir wollten weiterfechten, so gehe es dem König ans Leben, und so müsse er sie fragen, ob sie die Waffen hinschmeißen wollten.

Da entstand Gemurmel unter den Soldaten, und sie zeigten auf Haggenmacher Sebastian, welcher der Älteste und gemeinhin ihr Sprecher war und schon in Amerika für den König gegen die Engländer gekämpft hatte. Der nun sagte: »Wir wollen ohne Waffen für den König sterben.« Und trat wieder an seinen Platz.

Da marschierten wir im Viereck und in festem Tritt wieder auf das Schloß zu, ließen auch unsere Feldmusik schmettern und unsere lieben Fahnen wehn. So zogen wir in die Halle zurück, wobei der Pöbel, der die Augen auftat wie der Luchs oder die Hyäne, zögernd uns folgte. In der Halle befahl Major Reeding Vitus, daß wir die Waffen hinwürfen. Da schmissen wir sie hin, Büchsen und Hellebarden und wir Offiziere die Spadas, daß es durch die Halle rasselte. Die Fähnriche aber zerbrachen die Fahnenstangen und rissen die Tücher ab und wickelten sich in die Seide und standen. Die vom Adel, die im Schlosse geblieben waren, standen und sahen von oben zu, und vornehmlich des Königs alte Diener weinten jämmerlich. Uns aber lief keine Träne aus den Augen, als wir uns also trennten von unseren Waffen. Da sagte Major 34 Reeding Vitus, während die Marseiller schon wieder auf dem Platze Mordio heulten, es solle jeder auf seinen Posten im Schlosse gehn, wo seine Wache vordem gewesen sei, und er wünsche allen guten Kameraden ein seelig Ende und fröhliche Urständ. Da ging jeder ohne seine Waffen an seinen Platz.

Ich nun nahm meinen Posten oberhalb der Treppe vor des Königs Zimmer ein, welcher Platz mir gebührte und von wo ich unter mir die Halle, hinter mir aber die ganze Flucht der königlichen Säle und, da alle Türen offen standen, auch noch tiefer in das Schloß hineinsehn konnte. Es hatten sich hinter mir die Diener des Königs und auch seine Kavaliere, so viel ihrer da waren, aufgestellt, der Kammerdiener Chalvry an des Königs Bett (welches noch verwühlt von der Nacht war), der Graf d'Issignac als der erste Kammerjunker an des Königs Tisch, und auch alle Übrigen da, wo sie stehn sollten. Vor mir aber stand, mitten auf der Treppe der Fähnrich Schwertfeger Hans, meiner Base Verlobter, hatte sich in die Fahnenseide gewickelt und stand da, recht breitspurig auf der Treppe. Ritt mich der Teufel und ich rief ihm, da draußen schon die Marseiller mit »mort aux Suisses« heranliefen, zu: »Was hast Du Dich so vermummelt, Hänschen? Siehst just wie des Teufels Großmutter aus!« Er aber mochte nicht mehr antworten und stand.

Und kaum habe ichs gesagt, da schleichen sich durchs Portal die Ersten, welche zwei Weiber waren: eine Alte, die nun wirklich wie des Teufels Großmutter 35 aussah, und eine Junge, in welcher ich die Theroigne de Mericourt erkannte, welche eine gemeine Hure und vormals des Herzogs von Orleans Frau Bettliebste gewesen war. Diese nun schlichen sich hinein und hatten lange Bratspieße in der Hand, waren auch gleich von Hunderten anderer aus dem Pöbel, meistens aber von Weibern gefolgt, die mit Hussah und Halloh in die Halle drängten. Wie nun die beiden ersten Weiber den Fähnrich Schwertfeger Hans dastehn sehen, denken sie, daß es kein Mensch, sondern eine bunte Figur ist, schleichen sich ängstlich näher, wo er so stumm dasteht, und zupfen an seinem Bart. Wie sie nun aber fühlten, daß es ein wirklicher Schweitzer von Bein und Fleisch war, begann die genannte Mericourt ihm ins Gesicht zu speien und ihm, der sich immer noch nicht rührte, vor den Leib zu treten, und rannte ihm mit eins den Spieß durch den Leib. Da fiel Schwertfeger Hans wie ein Baum nach vorn über und lag auf dem Gesicht, und auf der Fahne des Königs die weißen Lilien begannen schön rot zu blühen.

Wie nun dieser gemetzget war, denke ich bei mir: »Hans,« denke ich »nun kommt es an Dich.« Und wieder denke ich bei mir: »Hans, mach es gut.« Und wie so an die fünfzig Pöbelmenschen die Treppe auf mich zugelaufen kommen, rührt mich einer an den Schultern, und wie ich mich umdrehe, sehe ich den von Saulminiac, der lacht ganz vergnüglich, als ob wir einen besonderen Spaß mitsammen hätten und sagt mir: »Einen Beutel Dukaten, Kapitän, daß man mir später 36 den Kopf abschneiden wird, als Euch!« Will ihm noch sagen, daß dem, der bei solcher Wette gewönne, der Beutel Dukaten auch nicht mehr viel nützen werde: da sehe ich schon vor mir einen Kerl, den ich schon immer zuvor unter den Marseiller erkannt hatte. Dieser nun hatte einen roten Bart bis an den Nabel und hatte sich das Gesicht abscheulich wie ein Wilder oder Hottentotte mit Blut beschmiert und hatte ein breites Küchenmesser in der Hand, nimmt mich an der Montur fest und schreit: »Du, weißt Du wer ich bin? Weißt Du, wer ich bin?« Mich nun ärgerte dieses Gekasperl, und ich schreie ihn auf Deutsch an, daß er ein Saukerl und Haderlump sei und hau ihm geschwind eine aufs Maul, daß er sich drehte. Aber da hatte er mich gleich wieder und faßt das Messer gerade recht bequem, mir die Kehle zu schneiden, und schreit: »Ich bin Jean coupe-tête! Jean coupe-tête!« Aber wie wir noch ringen, sehe ich den von Saulminiac, der faßt ihn am Rock und reißt ihn fort von mir und schreit ihn an: »Siehst Du, das trifft sich gut, Jean! Ich bin der Marquis de Coupe-barbe!« Und hat wohl von des königlichen Sekretäres Tisch eine ellenlange Schere genommen und schneidet dem Kerl in Einem den langen Bart fort.

Der nun stand da, wie ein balbierter Ochs, daß ihn Niemand mehr recht erkennen konnte ohne diesen großen Zierrat, und so kam es, daß die Menscher, die mit ihm waren, laut zu lachen begannen. Und wie es so ist: ob uns der Tod schon dicht an der Gurgel saß, so mußten 37 wir doch alle mitlachen. Blieben aber nicht lange dabei, denn mit Einem schmeißt sich der Kerl auf den Abbé und ringt mit ihm, und da waren auch gleich Stücker zehn oder fünfzehn Andere und werfen sich alle auf den von Saulminiac. Ich fing an, um mich zu hauen, und wenn ich auch nichts hatte, als die Hand, so meine ich doch, daß ich ein paar von ihnen recht verbleuet habe. Half aber nichts: sie trieben mich in eine Ecke und hielten mich fest, und da stand ich und konnte mich nicht rühren und mußte sehn, wie sie den fröhlichen Herren von Saulminiac zu Tode brachten. Ich sah ihn stehn, der schön war wie der Held Achill und alle um ein Haupt überragte, und sie hingen an ihm wie die Hunde am wunden Eber hängen, bis ihm einer von hinten das Messer in Rücken stieß, daß er umfiel und lag. Wie er aber lag, sieht er mich noch stehn und ruft mir zu, der fröhliche Herr: »Ach Hans« ruft er »nun habe ich den Beutel verloren.« Und dreht sich und ist weg.

Im selben Augenblick, wo ich mich nicht rühren konnte, tritt ein Weib vor mich und zielt mit dem Bratspieß auf meinen Bauch. Ich nun will ihr noch wenigstens einen Tritt geben und mache eine Bewegung, welche mir zum Heil wurde: da fuhr der Spieß mir durch das dicke Fleisch des Beines. Ich fiel zu Boden, und da ich blutete wie ein gemetzgetes Schwein und sie dachten, ich sei zu Tode getroffen, so ließen sie mich liegen, wie ich lag; und da zugleich eine neue Rotte die Treppe hinaufbrauste, ging alles geschwind über 38 mich hinweg und drängte weiter in des Königs Zimmer, wirft sich auf des Königs Gesinde, das dort stand. Da trieben sie denn die alten Diener, denen doch die Glieder nicht mehr fest zusammen saßen in ihrem Alter, auf einen Haufen, schrieen sie an, sie könnten Gnade finden, wenn sie riefen: »Vive la nation!« Die Alten aber schrieen: »Hier ist unser Platz, wir wollen nicht leben!« Da wurden sie alle zu Tode geschlagen und fielen mit »Es lebe der König« und »Jesus Maria« um und lagen.

Ach, da begann da ein grausames Schlachten und Morden, daß man meinte, des Königs Haus sei eine Metzgerhalle geworden. Da ich, wie ich lag, die lange Flucht der Zimmer entlang sehn konnte, habe ich den Mord meiner lieben Gesellen mit diesen meinen Augen erblickt und sehe heute noch, wie sie den Tod empfingen als rechte Männer. Denn viele von uns Schweitzern standen da wie Bildsäulen oder steinerne Schildwachen und hielten den Kopf hin, da es der König so befohlen hatte, daß sie ihn stumm und ohne Wehr sollten hinhalten. Und empfingen ihren Schlag und fielen um und lagen. Blaser Ulrich, mein Kamerad und Kriegsgefährte in des Königs Kabinett zu Tode gestochen. Heinrich von Monteton, der Leibkompagnie Hauptmann, totgeschlagen ohne Laut. Zum Brunnen Heinz, Leutnant, ein junger Gesell wie Milch und Blut und Meister des Lautenspiels und der Prinzessin Lamballe Liebling, der Kopf abgeschnitten und durchs Fenster geworfen auf den Platz. Reeding, Major und Kommandant, in die 39 Brust gestochen und verwundet liegen gelassen in seinem Blut. Herr Meier von Ensisthal, Leutnant, jämmerlich gemartert, dennoch ohne Laut auf den Tod gekommen. Hat im Sterben gerufen »Hoch Bourbon« und ist hin gewesen. Diese und viele Andere.

Ach, ich habe wohl auch zu sagen, daß es manchem der jungen Soldaten bitterlich ankam, so früh und grausam zu sterben, und da liefen sie wie die armen Hasen vor dem Jäger, der sie durch die Zimmer und durch das ganze Schloß hetzte, bis sie in der Sackgasse waren und auf die Knie sanken und Gnade riefen. Hat ihnen aber nichts genützt, da allen Schweitzern als des Königs Getreuen der Tod geschworen war. In den Kellern hat man sie aufgespürt und in den Speicherräumen gewürgt und geschlachtet. Etliche krochen auch in die Kamine und kletterten darin hinauf; da feuerte man mit Pistolen in die Höhe, daß sie von oben kamen wie Äpfel im September und zu Tode gestochen wurden. Ich nun will ihnen ihre Todesfurcht nicht nachtragen. Ich, der ich viele Gefahren gesehn habe und den Tod manchesmal geschmeckt, kann bezeugen, daß heute Einer ein Hasenherz hat und ist doch morgen ein rechter Held. Und ist keiner auf der Welt, der kann von sich sagen: »Ich fürcht mich nie!«

So war es denn ein großes Schreien und Heulen und Flüchten und greuliches Morden, und ich kann bezeugen, daß aus dem Zimmer, wo ich lag und mich fein säuberlich mit geschlossenen Augen für tot stellte, das 40 Blut hinuntergelaufen ist auf den Steinstufen bis in die Halle. Kann auch bezeugen, daß die Weiber die Schlimmsten waren und, wo die Männer schon müde waren von aller Schlächterei, diese immer noch ihre Spieße schwangen, und, wenn Einer Gnade von den Mannsbildern gefunden hätte mit seinen Bitten, ihn dennoch die Weiber vom Leben zum Tode brachten und mit seinem toten Leibe noch greuliche und abscheuliche Unzucht trieben, daß ich es nicht niederschreiben mag.

Wie es den Tag über zugegangen ist, weiß ich nicht mehr, da mir von dem vielen Blut, das ich gelassen habe, die Sinne vergangen sind. Es mochte Abend sein, als ich wieder ein wenig erwachte, und da habe ich noch gesehn, was ich nun erzählen will. Denn an des Königs Zimmer stießen auf der anderen Seite die der Madame Elisabeth und diese Gemächer mochte der Pöbel übersehn haben und sprengte die Türen erst ganz zuletzt auf. Siehe da saßen in einem großen Saal die Damen und Kammerweiber der Prinzessin, hatten die Laden geschlossen und die Kronleuchter angesteckt und knieten um den großen Tisch in der Mitte. Wie nun der Pöbel hineinbricht und sieht den Kerzenschein, wo es draußen doch noch Tag ist, und die stillen Frauen, graust es ihn erst, und man weiß nicht, ob das da wirklich Menschen oder Geister sind, und niemand traut sich als Erster hinein. Da aber faßt einen jungen Haiducken, welcher sich bei den Frauen versteckt hatte, die Angst, und er springt und wirft sich einem der Marseiller zu Füßen und schreit um 41 Gnade. Den nun brachten sie zuerst um und warfen sich dann auf die Frauenzimmer. Hier ergab es sich, daß die Prinzessin von Tarent unter ihnen war, welche jämmerlich zitterte und um Gnade bat. Da mußten sie alle auf des Pöbels Geheiß auf die Stühle steigen, und Eine von den Menschern läuft fort und kommt mit einem Glase wieder, welches mit Blut gefüllt war, und reicht es der Prinzessin und schreit sie an, daß sie trinken müsse, wenn sie leben wolle. Da nun die Todesfurcht so groß war, nimmt Madame das Glas und setzt es richtig an die Lippen und nippt davon und fällt um und ist ohne Sinnen. Da müssen die Anderen, Marquisen und Kammerfrauen, auf ihren Stühlen stehn und schreien: »Vive la nation!« Und waren für dieses Mal gerettet. Sind aber meistens drei Wochen später bei dem großen Morden im September jämmerlich geschlachtet worden.

Wie nun der Pöbel müde geworden ist vom Blut, schreit es mit einem Male in dem Anderen Flügel »Feurio«, und wirklich kommt da Qualm mit dem Abendwind von dort. Da die Marseiller in Sicherheit bringen wollen, was in Sicherheit zu bringen ist, werfen sie sich auf des Königs Tische und Schränke, reißen die Papiere und die Juwelen hervor, putzen sich mit des Königs Kleidern, werfen die großen Kristallspiegel ein, schleppen unten durch die Halle die großen Weinfässer auf den Karusselplatz, werfen alles durch einander, werfen zum Schluß die Toten allesammt zum Fenster hinaus. Und ob ich mich auch schon auf die 42 Reise zu den Steinen und Toten hinab gefaßt machte, entkam ich dennoch dieses Mal, da ich mich leise unter das große Kamingitter geschlichen hatte, von wo sie mich aus Faulheit nicht holen mochten.

Da nun aber das Feuer so stark wurde, daß man es vor Qualm kaum mehr konnte aushalten, die Marseiller auch das Schloß schon gänzlich geleert und verlassen hatten, stahl ich mich, da es schon ganz dunkel war, die Treppe auf Händen und Füßen, ungeachtet meiner Schmerzen, hinunter, mußte über manchen guten Kameraden, dessen Körper dort lag, hinweg, gelangte aber doch endlich aus der Halle ins Gebüsch, das zu beiden Seiten des Einganges ist, und lag still. Da sah ich, welch höllisches Fest unsere Metzger in dieser Nacht feierten. Sie liefen in unseren Monturen umher, welche sie den Toten gestohlen, und die ich bei unserem Ausfall am schnellsten hatte laufen sehen, die prahlten mit unseren Waffen und Helmen, als hätten wir uns nicht stumm und ohne Gegenwehr totschlagen lassen. In der Mitte hatte man vier große Feuer angezündet, und ringsum die Piken mit den Köpfen der Toten aufgestellt, und da es Mode beim Pöbel war, den Toten ihren Frieden nicht zu lassen, so hatte man Bader und Balbiere bestellt, die hatten die blutigen Haare fein säuberlich nach der pariser Mode frisiert, daß meine lieben Gefährten wie grausame Spukfratzen zu mir herüberstarrten. Da saßen die Henker auf den Leibern und kratzten ihre Fiedeln, daß es greulich durch die Nacht gellte, und ob es in dieser heißen 43 Nacht schon nach Blut und dem Dunst so vieler Leichen roch, tanzte der Pöbel mit seinen nackten Weibern und soff und fraß, bis sie speien mußten und zwischen den Toten lagen. Da das Fiber über mich kam, so sah ich allerlei greuliche Spukbilder, und meinte meine guten Freunde zu erblicken, wie ihre kopflosen Leiber die Stangen hinaufkletterten und ihre Häupter sich hinunterlangten und dann mitten unter den Weibern tanzten und plötzlich wieder auf mich zukamen mit geschundenen und zerbrochenen Gliedern und vor mir standen und schrieen: »Was liegst Du, Hans? Warum bist Du nicht tot wie wir, Hans?«

Da erwachte ich und schriee beinah in jämmerlicher Furcht, hielt mich aber doch noch säuberlich still, da wohl sonst die Marseiller aus mir auch solchen spukenden Geist gemacht hätten.

Da lag ich zitternd und schlief wieder ein. Als ich aber erwachte, da war schon die Frühdämmerung da, und der Pöbel war fort oder lag besoffen im grauen Licht ohne Sonne. Über den Platz aber fuhren drei große Wagen mit sehr hohen Rädern, und da sahe ich, daß die Schinder die Toten aufluden und davonfuhren. Da sie aber ihre schwarzen Kappen herabgestülpt hatten und ihre Gesichter zur Hälfte verdeckt waren, so wußte ich zuerst in meiner Fieberhitze nicht, ob es Menschen oder die Höllenknechte waren, die meine toten Freunde davonfuhren. Das Eine aber weiß ich noch, daß, wie die Wagen so davonhumpelten und waren dabei über den Rand voller schwappender Leiber, aus einem Wagen ein starres Bein 44 sich gerade in die Luft streckte, davon man den Körper nicht sehn konnte. Weiß noch, daß es mit einem Strumpf von schwarzer Seide bekleidet war, und so mochte es einem vom Adel gehört haben, der hatte noch am Tage vorher sich zusammengeknickt und hatte gesagt: »Jawohl Ew. Majestät.« Und: »Nach Euerm Befehl, Majestät!«

Und wiewohl es nun nur ein armes Totenbein und bald ein rechter Wurmfraß war, so war doch darum, wie ich es heute noch mit meinen alten Augen sehe, der Schein Ewigkeit. Und am jüngsten Tage wird dieses seinen Mörder erkennen und für das Leid von Mensch und Tier und jeglicher Kreatur zeugen und den Schöpfer fragen, warum Eines das Andere denn morden muß und grausam würgen, wo doch alle gemacht sind von eines großen Gottes Hand. Der mag beiden ein milder Richter sein, den Gemordeten und den Mördern. –

Wie es nun still geworden war auf dem Platz, und die große Stadt Paris ihren großen Rausch und Katzenjammer nach dieser Nacht gehörig ausschlafen mochte, sah ich ein vermummtes Weib auf dem Platz, die suchte bald in der Halle, bald auf dem Platz und in den Taxusbüschen, die dort sind. Wie sie nun zu mir kommt, meine ich, es ist ein solches Messerweib wie die von gestern und liege still wie ein Toter unter dem Busch. Da aber erkannte ich bald, daß es mein liebes Mädchen war, die suchte mich und meinte schon, daß auch mich die Schinder hätten von dannen gefahren. »Halt Dich fein still, Hans,« sagt sie und geht und kommt mit zweien Männern wieder, von denen war der eine ihr Bruder, der 45 war der Wirt eines Kaffeehauses gerade gegenüber dem Schloß, und ich wußte, daß er wohl bei der Nationalgarde, im Herzen aber dem König treu war.

Da hüllten sie mich in einen großen Sack und schleppten mich ohngeachtet meiner Schmerzen über den Platz zu dem genannten Bruder, wo ich denn lange mit meiner bösen Wunde lag. Bin so ungefährdet über das große Septembermorden gekommen und auch sonst in Ruhe gelassen.

Mag hier nicht erzählen, wie mein feines Mädchen mich gepflegt, mich dann, als der Konvent zu wüten anfing, mit falschen Pässen ausgestattet hat, daß ich aus diesem Schlangennest Paris mit heilen Gliedern entkommen konnte. Will auch nicht sagen, wie mir nachher Kunde wurde, daß Therese Marron samt ihrem Bruder ihren Kopf unter das große Messer der Guillotine hat legen müssen. Da sitze ich, bin ein alter Kerl, weiß nichts mehr von seinen Liebchen und guten Gefährten und bin nichts nütz. –

Dies nun aber will ich noch sagen, daß in dem Kaffeehaus am Nachmittage in jenen Zeiten ein junger Mensch in Offiziersuniform zu sitzen pflegte, welcher sich Nabulione Buonaparte nannte und sich viel darauf zu Gute tat, als ein Edelmann zu gelten. So habe ich denn den großen Kaiser noch als unscheinbaren Lieutenant gesehn und zweifele nicht, daß er es war, maßen er damals doch keinen Grund gehabt hat, jenen damals doch unbekannten Namen vorzutäuschen. War, wie ich sagen kann, recht unscheinbar, trug immer eine zerschlissene 46 Uniform, ließ seine Haare ungeschoren bis in die Kaffeetasse hängen, spielte garnicht gut seine Schachpartie und war grimmig, wenn er verlor, was oft genug geschah.

Wie dieser, als ich zum ersten Male blaß und krank noch im Stuhle saß, mich sah, fragte er, ob ich ein Schweitzer sei und in den Tuilerieen gefochten habe. Da antwortete für mich mein Mädchen und war stolz und sagte: »Er hat für den Thron gefochten.«

Antwortete der Andere: »Ah, für den Thron! Was ist der Thron? Fünf Bretter und ein Stück Sammt!«

Habe oft daran denken müssen.

Und wiewohl ich nun unscheinbar bin, auch aus meines Bruders Tasche lebe, wiewohl die Menschen vorgeben, klüger geworden zu sein und sich viel zu schaffen machen und sich sehr weise dünken, machen sie mir altem Bauern und Kriegsmann nichts vor mit ihrem Geschrei: sind immer dieselben geblieben und bleiben dieselben, solange die Welt steht. Und die Geschlechter gehn und kommen, und wenn die einen »Hüh« sagen, so schreien die Nächsten »Hott«. Und sind immer die nämlichen Narren.

Und da sie allesammt nicht wissen, was sie tun und wissen es immer weniger von Geschlecht zu Geschlecht, so möchte es vielleicht wieder einmal geschehn, daß Esel und Öchslein fromm über einer Krippe brummen und knieen neue Könige davor, und der darinnen liegt, zwingt abermals die Welt zu seiner Liebe statt zum Morde. Worüber der große Gott nach seiner Gnade befinden mag.

 


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