Ernst Raupach
Der Degen
Ernst Raupach

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Erster Aufzug.

Salon in der Wohnung des Präsidenten.

Eine Mittel- und zwei Seitenthüren; rechts ein Fenster. Auf der rechten Seite ein Sopha, überhaupt elegante Einrichtung.

Erster Auftritt.

Ida langsam und traurig aus der rechten Seitenthüre. Zu gleicher Zeit Lindau durch die Mitte.

Lindau. Ah, guten Morgen, theure Ida! (Er küßt ihr die Hand.) Das nenne ich einen glücklichen Stern, der mir sogleich beim Eintritt das Schönste und Liebste entgegenführt.

Ida. Preisen Sie Ihren Stern ja nicht, er hat es nicht verdient.

Lindau. Wie meinen –? Aber jetzt sehe ich erst, so trübe gestimmt?

Ida. Und wahrlich nicht ohne Grund.

Lindau. Ist Ihnen etwas Widriges begegnet?

Ida. Noch nicht; aber es droht mir etwas, was wohl mehr als widrig sein dürfte –

Lindau. Was droht Ihnen? was?

Ida. Eine Vermählung.

Lindau. Eine Vermählung! Mit wem?

Ida. Mit dem jungen Baron von Krautfeld.

Lindau. Ah – Sie scherzen.

Ida. Sehen Sie auf meinem Gesicht den Sonnenschein des Scherzes?

Lindau. So hat man mit Ihnen gescherzt.

Ida. Meine Mutter hat es mir so eben angekündigt, und die scherzt wahrhaftig nicht. Ja, wenn es mein Vater wäre.

Lindau. Also Ernst? – Warum haben wir uns nicht früher Ihren Eltern entdeckt?

Ida. War das meine Schuldigkeit?

Lindau. Nein! nein! die meinige. [Aber weiß ich denn 6 etwa schon seit Monden, daß meine geliebte Cousine so freundlich ist, mir mehr als Cousine sein zu wollen?][ ] Die eingeklammerten Stellen sind bei der Aufführung zu streichen. Doch, es ist wohl noch nicht zu spät: weit kann ja die Sache auf keinen Fall gediehen sein; Krautfeld ist erst seit vorgestern und zum ersten Male hier. Wir wollen uns Ihrem Vater entdecken.

Ida. Ich war eben auf dem Wege zu ihm, um ihm mein Leid zu klagen.

 
Zweiter Auftritt.

Die Vorigen. Der Präsident tritt durch die linke Seitenthüre ein.

Präsident. Vortrefflich! Ich lasse den jungen Herrn rufen einer Arbeit wegen, und hier steht er, und plaudert mit seiner Cousine.

Lindau. Theuerster Oheim. –

Ida. Lieber Vater, plaudern ist nicht das rechte Wort. Wir haben von sehr Ernstem gesprochen.

[Präsident. Hat er Dir etwas aus den Acten erzählt?

Ida. Im Gegentheil; ich habe ihm einen Bericht erstattet, der ihn sehr betrübt hat.]

Lindau. Und mit Recht. Lieber Oheim! verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen jetzt, vielleicht zur Unzeit, ein Geständnis ablege, mit dem ich mich Ihnen schon früher hätte nahen sollen.

Präsident. Citissime, Neffe! nur das Angestrichene!

Lindau. Ich liebe meine Cousine.

Präsident. Wie recht und billig.

Lindau. Nein, lieber Oheim –

Präsident. Also nicht wie recht und billig?

Lindau. Gewiß, aber mit der Liebe, an die sich des Lebens schönste Hoffnungen knüpfen.

Präsident. So – so! Ein Salto mortale über die Schranken der Verwandtschaft. (Zu Ida.) Bist du wohl auch mit gesprungen?

Ida. Er ist schon so lange mein Cousin – – –

Präsident. Und Abwechselung muß sein. Ich verstehe. 7 Nun meinetwegen, Kinder! Ihr seid mir Beide lieb, (zu Ida) Du als ein gutes Töchterchen, (zu Lindau) und Du als ein wackerer Arbeiter: also meinetwegen.

Ida. Wie mögen Sie so sprechen, lieber Vater, da Sie doch die Absicht meiner Mutter kennen?

Präsident. Was? Hat deine Mutter eine Absicht?

Ida. Mit mir und dem jungen Baron von Krautfeld – leider!

Präsident. Mit Krautfeld? Sieh doch, sieh!

Ida. Das hätten Sie nicht gewußt, lieber Vater?

Präsident. Wahrhaftig nicht. Deine Mutter pflegt mir häusliche Angelegenheiten erst mitzutheilen, wenn sie abgethan sind. Und warum auch früher? Das Aergernis kommt immer früh genug, und die Freude nie zu spät. Du hast wohl protestirt?

Ida. Es hat leider nichts gefruchtet.

Präsident. Das glaube ich gern. Aber warum verwirft sie deinen Protest!

Ida. Weil der Baron von altem Adel ist, weil er künftig Majoratsherr mit einer halben Million wird, weil seine selige Mutter ihre Jugendfreundin gewesen ist.

[Präsident. Siehst du, mein Kind, das sind doch sehr löbliche Gründe. Sie wünscht alten Adel, das beweiset Gefühl für die Würde ihres Standes; sie steht auf Reichthum, das ist mütterliche Fürsorge, da wir selbst nicht reich sind. Sie nimmt Rücksicht auf ihre Jugendfreundin, das zeugt von treuer Anhänglichkeit.

Lindau. Wie können Sie scherzen, theurer Oheim?

Präsident. Was sollte ich denn sonst thun?]

Ida. Helfen Sie, liebster Vater, helfen Sie. Oder billigen Sie den Plan meiner Mutter?

Präsident. Ehrlich gesagt, nein. Krautfeld ist vielleicht ein guter Mensch, aber mein Mann ist er nicht. Ich habe ihn zwar nur einmal gesehen, aber er scheint nicht viel gelernt zu haben.

[Lindau. Wahrhaftig nicht. Wir haben mit einander studirt: er pflegte seine Collegia nur in den Dorfschenken zu hören oder auch zu lesen.]

Präsident. Und trotz seiner Reisen ist er entsetzlich 8 unbeholfen, so was man in meiner Jugend einen Landjunker nannte; und wen Reisen nicht bilden, der hat entweder keinen Geist, oder gemeine Neigungen.

[Lindau. Ich wollte wetten, er hat auf seinen Reisen niemanden kennen gelernt, als Gastwirthe und Kellner, und nichts geschrieben, als seinen Namen oder schlechte Verse in Fensterscheiben.]

Ida. Und diesem Manne soll ich meine Hand reichen?

Lindau. Wenn auch nicht so reich wie er, bin ich doch nicht ohne Vermögen, und habe Aussichten.

Präsident. Ja, die hast du, Neffe, und ich hätte gar nichts gegen dich als Schwiegersohn. Aber was kann ich thun.

Lindau. Sind Sie nicht Chef der Familie?

Präsident. Ich bin Chef-Präsident und habe an diesem Chef genug.

Ida. Lieber Vater, Sie brauchen ja nur Ihre Einwilligung nicht zu geben.

Präsident. Das werde ich auch nicht – wenn deine Mutter sie nicht fordert.

Ida. Sie können der Mutter doch wenigstens Ihre Meinung sagen.

Präsident. Das will ich auch, und recht tüchtig – gleich den Tag nach der Hochzeit.

Lindau. Ich sehe, Herr Oheim, Sie wollen uns nicht helfen.

Ida. Und wo sollen wir sonst Hilfe finden?

Präsident. Hört mich, Kinder! Ihr wißt ja wohl beide, auf welchem Fuß ich mit der Frau Präsidentin stehe. Als ich ledig war, schwor ich wenigstens zweimal täglich bei Himmel und Erde, ich wolle nie unter dem Pantoffel einer Frau stehen; und nun ist meine Frau doch Herr im Hause, unumschränkter Herr; wie sie es geworden ist, weiß eigentlich nur der liebe Gott: es hat sich so gemacht, wie das Meiste in der Welt. Wenn ich es jetzt ändern wollte, müßte ich vor allen Dingen meinen Abschied nehmen, um Zeit zu dem nöthigen Aergernis zu gewinnen. Das könnt ihr mir doch nicht zumuthen.

Ida. Aber können Sie mir zumuthen, einen Mann zu heirathen, den ich nicht liebe, und niemals lieben werde? 9

Präsident. So weit ist es ja noch nicht. [Dergleichen geht nicht schnell, und unterdessen kann euch hundertmal der Zufall, dieser allgemeine Vormund der Menschen, aus der Noth helfen.] Ueberdieß ist deine Mutter eine feine Frau, und durch nähere Bekanntschaft mit Krautfeld verliert sie vielleicht den Geschmack an dieser Heirath. Also Geduld! Jetzt Neffe, zur Arbeit; ich will die Sache noch vor Tische abthun.

Lindau. Aber, bester Oheim, mit einem so bewegten Herzen – – –

Präsident. Bester Neffe, was hat das Herz mit Regierungssachen zu thun? Vorwärts!

(Er geht mit Lindau durch die linke Seitenthüre ab.)

Ida (allein). Ein vortrefflicher Gedanke! Wenn man ihn zu einer Tölpelei verleiten könnte, die bei meiner Mutter alle Rücksicht auf Adel, Geld und Jugendfreundschaft überwöge! Sie brauchte gar nicht so groß zu sein, denn die Mutter ist empfindlich. Aber wer soll ihn verleiten? Ich? – Ach, wir Mädchen dürfen vor lauter Schicklichkeit unser bißchen Witz nicht geltend machen. Lindau? Nein, der wäre nur zu brauchen, wenn es zu einem Duell kommen sollte. Aber wer?

 
Dritter Auftritt.

Ida. Der Regierungsrath von Birnbach tritt durch die Mitte ein.

Ida (ihn erblickend). Herr Rath – wie gerufen!

Rath. Sehr angenehm, wenn ich einer so liebenswürdigen Dame gelegen komme.

Ida. Ich habe eine Bitte an Sie.

Rath. Einen Befehl, meine Gnädige, einen Befehl.

Ida. Vielmehr eine Beschäftigung für Ihre gute, oder soll ich sagen boshafte Laune.

Rath. Wie Sie wollen, mein Fräulein: [ein schöner Mund hat das Privilegium Alles zu sagen.] Aber die Beschäftigung?

Ida. Es wird heute ein junger Wilder bei uns speisen, ein junger Cavalier der studirt hat, ohne etwas zu lernen, der in Italien, Frankreich und England gewesen ist, ohne 10 ein Wort Italienisch, Französisch und Englisch aufzufischen, und der im höchsten Grade linkisch und unbeholfen ist.

Rath. Und wer ist es?

Ida. Der junge Baron von Krautfeld.

Rath. Ah! Der? Man zerbricht sich den Kopf über den Zweck seines Hierseins.

Ida. Vielleicht will er sich eine Frau hier suchen.

Rath. Das wäre möglich, sehr möglich. Und deshalb, meine Gnädige, empfehlen Sie ihn meiner boshaften Laune?

Ida. Es wäre ergötzlich, wenn er einen recht ungeschickten Streich beginge, der ihn lächerlich machte, und der besonders einer Dame von feinem Tone unverzeihlich erschiene.

Rath. Ich verstehe, mein schönes Fräulein. Und zu diesem hilfreichen Streiche soll ich Ihnen verhelfen.

Ida. Errathen! Wofür wären Sie auch Rath? Sie sollen ihn aufs Glatteis führen.

Rath. Schön. [Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Ihren Auftrag zu übernehmen:] er soll einen treuen Führer an mir finden.

Ida. Ich will helfen so gut ich kann; aber Sie haben die Güte, meinen Cousin Lindau zu unterrichten, damit auch er uns beistehe. Er ist drin (zeigt nach links) bei meinem Vater.

Rath. Alles, wie Sie befehlen, meine Gnädige.

Ida. Zum Voraus meinen Dank, Herr Rath. Auf Wiedersehen! (Sie geht in die rechte Seitenthüre ab.)

Rath (allein). Den Baron soll sie, und den Cousin will sie heirathen, das ist klar. Die Mutter soll abgeschreckt werden, das ist auch klar. Herrliche Entdeckung! Sauerteig für acht Tage Conversation! Aber gut! Einem jungen Mädchen helfen und eine alte Dame abschrecken, ist ein doppeltes Verdienst. Wie aber? Ihn zuerst verlegen machen, aus einer Verlegenheit in die andere hetzen, bis er den Kopf verliert; dann findet sich wohl die Gelegenheit. 11

 
Vierter Auftritt.

Der Rath. Krautfeld tritt durch die Mitte ein, in schwarzer, altmodischer Kleidung, in Schuhen und Strümpfen, mit einem Galanteriedegen und Chapeaubas. Sein Benehmen ist linkisch.

Rath (für sich). Ich wette, das ist mein Mann.

Krautfeld (für sich). Ich wollte der Erste sein, und nun hat doch der Guckuk schon Einen hier.

(Sie machen einander stumme Verbeugungen.)

Rath (für sich). Ich muß anfangen! (Laut.) Darf ich mich erkühnen zu fragen, wen ich die Ehre habe, vor mir zu sehen?

Krautfeld. Bitte recht sehr. Ich bin nur der Baron von Krautfeld.

Rath. Ungemein erfreut.

Krautfeld. O ich bitte, mein Herr – ich weiß nicht, wie ich Sie –?

Rath. Regierungsrath von Birnbach.

Krautfeld. Zu viel Ehre. (Für sich.) Ich wollte, er ließe mich zufrieden.

Rath. Vermuthlich werden wir die Ehre haben, mit dem Herrn Baron zu speisen.

Krautfeld. So? Wer ist denn der Herr Baron? Ich kenne ihn nicht.

Rath. Ich meine mit Ihnen, Herr Baron.

Krautfeld. Ach ja – so – ich hatte es ganz vergessen. Ja, der Herr Präsident ist so gütig gewesen mich einzuladen. Es werden wohl viel Gäste hier sein?

Rath. Nein, nur wenig Personen. Es ist ein kleines freundliches Mahl.

Krautfeld. So? nur ein kleines?

Rath. Es kommt mir vor, Herr Baron, als hätten Sie sich auf ein großes gefaßt gemacht.

Krautfeld (für sich). Woran sieht er denn, daß mich hungert?

Rath. Habe ich es getroffen?

Krautfeld. So, so; aber woran merken Sie es, Herr Regierungsrath?

Rath. Je nun, Herr Baron; Ihr Costüm deutet auf ein dîner d'étiquette. 12

Krautfeld. Ei, das wäre.

Rath. Auf ein großes, altväterisches Gastmahl von sechs Stunden Länge.

Krautfeld. Sehen Sie doch. (Für sich.) Wetter! ich bin wohl nicht recht angezogen.

Rath (für sich). Den will ich nicht nur aufs Eis führen, sondern geradezu ins Wasser.

(Er stellt sich Krautfelden gegenüber ihn scharf fixirend, worüber dieser immer verlegener wird, und sich selbst zu mustern anfängt.)

Krautfeld (für sich). Was glotzt er mich denn so an?

Rath. Ein Prachtstück von Degen! – Ein wahres Juwel von Degen! – Ein Degen aus der guten alten Zeit! – Es thut Einem wohl, so einen Degen zu sehen. – So ein Degen erinnert an die schönen Zeiten, wo der ächte Cavalier noch mit dem Degen zu Bette ging.

Krautfeld (höchst verlegen lachend). O – o – o! Sie spaßen.

Rath. Keinesweges, Herr Baron. Die ganze Gesellschaft wird außer sich sein über den Degen. Aller Augen werden sich richten auf den Degen. Man wird nicht sprechen, nicht essen, nicht trinken können vor dem Degen. O über den seltnen Degen! (Er geht nach links, kehrt aber um.) Ich kann mich nicht losreißen von diesem Degen. O wundervoller Degen! (Er geht in die linke Seitenthüre ab.)

 
Fünfter Auftritt.

Krautfeld allein.

Krautfeld. Der verwünschte Kerl hat mir heiß gemacht. Ich merkte wohl, daß er mich foppte, und – wäre es nicht hier gewesen, ich hätte ihm eins ausgewischt. – Mein Alter hat es mir auf die Seele gebunden, den Degen nicht zu vergessen; – aber er ist seit dreißig Jahren nicht mehr in die vornehme Welt gekommen, und die verdammten Bratspieße müssen nicht mehr Mode sein. – Nun wird ein Narr nach dem andern kommen, und wird den Degen anglotzen und mich dazu, und wird über den Degen lachen, und über mich dazu; und dabei wird Einem brühsiedend heiß, als wenn man vor einem Backofen stände. Da will ich ja lieber einen ganzen Tag im Sumpfe stehen, und auf eine Schnepfe passen. – Aber was fange ich an? Fort 13 mit dem Lerchenspieße, fort! (Er hakt den Degen los.) Wo aber hin mit dem Unglücksvogel, daß ihn niemand sieht? [sonst geht er aus einer Hand in die andere, und jeder reißt einen Witz darüber. – Wenn ich nur meinen Wagen nicht weggeschickt hätte. –] Hier ist auch gar kein Winkelchen. (Indem er suchend umhergeht, kommt er an das Sopha.) Halt! das geht vielleicht. (Er steckt den Degen in die rechte Ecke des Sopha's unter das Seitenkissen.) Wirklich! es geht. Gott sei Dank! (Er betrachtet das Sopha von mehreren Seiten.) Nein! er ist nicht zu sehen und wer Geier wird hier einen Degen suchen. Beim Weggehen schleiche ich mich wieder hierher und nehme ihn mit – (Er verbirgt die Kette des Degengehenkes unter die Weste.) Ah! es ist mir ein wahrer Mühlstein vom Herzen gefallen. (Allmählich nach der Linken zurückgehend.) Weiß der Guckuk wie es kommt, daß ich gegen das vornehme Stadtwesen gar keine Courage habe? ich bin doch sonst der Mann, der es mit einer wilden Sau aufnimmt. Freilich, was kann die Courage gegen Achselzucken, Grinsen und Kichern, oder gar Französisch sprechen? – Sie denken, ich muß absolut Französisch schnaken, weil ich in Frankreich gewesen bin: als wenn es nicht überall Lohnbediente gäbe, die Deutsch verstehen. Und hier soll ich heirathen? Je nun, das Mädel ist nicht übel; die wäre mir schon recht, und ihr Vornehmthun würde sie bei uns auf dem Lande auch vergessen. Aber sie machen mich ja todt, ehe es zur Hochzeit kommt. [Nachher aber sollen sie mich auch nicht wieder sehen. –] Ob nur der Degen von hier aus zu sehen ist? (Er kauert sich nieder und sieht nach dem Sopha, indem er sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite neigt.) Nein, wahrhaftig, so nicht – und so auch nicht. (Während dessen kommen der Präsident, der Rath und Lindau aus der linken Seitenthüre.)

 
Sechster Auftritt.

Krautfeld. Der Präsident. Der Rath. Lindau.

Präsident. Willkommen, Herr Baron.

Krautfeld (will sich schnell erheben, verliert aber das Gleichgewicht, und stolpert dem herzukommenden Präsidenten entgegen.)

Präsident (ihn in seinen Armen auffangend). Recht so! 14 umarmen wir uns! ich bin ein Freund dieser ungezwungenen Herzlichkeit.

Krautfeld. Ach! ich bitte tausendmal um Verzeihung – es war gar nicht – meine Absicht – Ihnen lästig zu fallen, Herr Präsident. –

Präsident. Gut, lieber Baron, gut! ohne Complimente! (Zum Rath und Krautfeld) Die Herrn, höre ich, kennen sich schon.

Krautfeld. Wie Sie befehlen.

Präsident (auf Lindau zeigend). Mein Neffe, der Assessor von Lindau.

Krautfeld. Allzuviel Ehre.

Rath. Was suchten denn der Herr Baron dort unter dem Sopha?

Krautfeld. Unter dem Sopha? – Behüte! – Was sollte denn unter dem Sopha zu suchen sein?

Rath. Ihre ganze Aufmerksamkeit schien dahin gerichtet, als wir eintraten, und doch wohl nicht umsonst – – (er geht auf das Sopha zu).

Krautfeld (ihm den Weg vertretend). Es ist nichts mehr da – es war etwas da – aber es ist nichts mehr da. (Für sich.) Der unglückliche Degen!

Präsident. Was war denn da?

Krautfeld. Was? – Eine Maus, aufzuwarten, ein niedliches, neckisches Mäuschen.

Lindau. Sie scheinen Behagen an diesen Thieren zu finden, Herr Baron.

Krautfeld. Ach ja, außerordentlich; ich weiß nicht, was auf der Welt neckischer wäre, besonders die weißen.

Präsident. Sagen Sie das ja nicht in Gegenwart meiner Frau; die fällt in Ohnmacht.

Krautfeld. I ja, ich werde kein Narr sein. (Er erschrickt über seine Rede.)

 
Siebenter Auftritt.

Die Vorigen. Der Graf. Der Assessor Wettering und Herr von Hornburg treten durch die Mitte ein.

(Gegenseitige stumme Begrüßungen.)

Krautfeld (der daran keinen Theil nimmt für sich). Gott! wenn so Viele kommen, setzt sich gewiß einer auf das Sopha. Der unglückliche Degen! (Er zieht sich nach dem Sopha) 15

Präsident (zu den Angekommenen.) Erlauben Sie mir, meine Herren, Ihnen hier den jungen Herrn Baron von Krautfeld vorzustellen. (Stumme Complimente, wobei Krautfeld etwas vorwärts kommt; zu Krautfeld.) Herr Graf von Westen, Herr von Hornburg, Herr Assessor von Wettering.

(Alle, außer Krautfeld, fangen an sich zu unterhalten, und bilden dabei zwei Gruppen, der Präsident, der Herr von Hornburg und Lindau, in der Mitte etwas nach hinten, der Rath, der Graf und der Assessor auf der linken Seite.)

Krautfeld (unterdessen wieder vor die Ecke des Sopha's tretend, für sich). Hierher soll sich keiner setzen, so lange ein Knochen in mir ganz ist. Wenn es sich nur schickte, setzte ich mich lieber selbst; da wäre ich sicher. (Nach dem Rathe hinübersehend.) Was mag nur die Stechfliege dort erzählen? Gewiß die Geschichte von meinem Degen. Ach, der unglückliche Degen!

Rath (mit dem Grafen und dem Assessor sprechend.) Wie ich Ihnen sage, ein wahres Original. Er ist in Rom, Paris und London gewesen, spricht Italienisch, Französisch und Englisch wie Deutsch, will aber diese Sprachen durchaus nicht sprechen.

Graf. Incroyable!

Assessor. Marvellous!

Rath. Das soll so eine Art von Patriotismus sein.

Graf. Pitoyable!

Assessor. Monstruous!

Rath. Wir sollten ihn aus diesem Patriotismus heraushetzen, und ihn zum Sprechen zwingen.

Graf. Oui, oui! il faut l'entreprendre. Laissez-moi faire: il parlera.

Assessor. He shall speak, You may depend upon.

Graf (geht auf Krautfelden zu).

Krautfeld (der ihn kommen sieht, für sich). Der will sich setzen! (Er setzt sich in die Ecke.)

Graf (stutzt darüber, faßt sich aber sogleich und nähert sich ihm vollends). Monsieur le Baron, je viens d'apprendre, que Vous avez été à Paris. Je Vous en félicite. J'y ai été deux fois et je puis bien dire, que ce n'est qu'à ces deux époques que j'ai véritablement vécu. J'aime mon pays, cela va sans dire, mais - - - 16

Krautfeld (der allmählich aufgestanden, für sich). Pestilenz! (Er läßt den Grafen stehen, und geht nach der Linken.)

Graf (die Achseln zuckend). Ça fait pitié! (Er geht zum Präsidenten.)

Assessor (an Krautfelden herantretend). Sir, you have been in England. I congratulate you upon it, and I hope you have found like all people of common sense that that blessed island is the world -

Krautfeld (für sich). Donnerwetter! (Er geht nach der Rechten.)

Assessor (erstaunt). Monstruous! (Er geht zum Präsidenten.)

Krautfeld (der dem Rathe begegnet). Herr Regierungsrath –

Rath. Che commanda mio Padrone?

Krautfeld (für sich). O verflucht! (Er kehrt sich wieder nach der Linken, wo an des Assessors Stelle Lindau getreten ist, und eilt in ungestümer Angst zu diesem.) Herr Assessor, sprechen Sie deutsch?

Lindau. So ziemlich, Herr Baron.

Krautfeld. Gott sei gelobt, ein Christenmensch! Ich bitte Sie um des Himmels willen, bleiben Sie bei mir, setzen Sie sich bei Tische neben mich, und (sich vergessend ziemlich laut, indem er sich hinter ihn stellt) retten Sie mich von diesen Bremsen.

Alle (halb lachend). Bremsen!

 
Achter Auftritt.

Die Vorigen. Die Präsidentin und Ida treten durch die rechte Seitenthüre ein. Allgemeine Bewegung und stumme Begrüßung.

Krautfeld (der dadurch allein geblieben, für sich). Gott sei Dank, die Jugendfreundin der seligen Mama! die wird sie im Zaume halten.

Präsidentin (auf Krautfeld zugehend). Sehr erfreut, Herr Baron – –

Krautfeld (vorgehend). Allzu gnädig – gnädige Frau – da Sie so befohlen haben – (Er macht ihr dabei tiefe Verbeugungen, wird aber gewahr, daß er dem Präsidenten den Rücken kehrt, dreht sich um, und macht diesem ein Compliment.) Verzeihen Sie! (Er wird inne, daß er nun der Präsidentin den Rücken kehrt, dreht sich schnell um.) Verzeihen Sie! (Er kehrt dem Publikum den Rücken, sieht sich um, erschrickt, und stellt sich seitwärts.)

Alle (lächeln spöttisch). 17

Präsidentin (um dies zu beschwichtigen, ihn gleichsam vorstellend). Ein sehr fleißiger Landwirth, der einzige Sohn meiner theuersten Jugendfreundin. Hélas! le sort nous sépara, nos coeurs restèrent toujours unis. Zu meiner innigsten Betrübnis starb sie – – –

Krautfeld (traurig). Am Podagra!

Präsidentin (für sich). Grand dieu! (Sie wendet sich zum Grafen und spricht mit ihm.)

Krautfeld (zieht sich wieder rücklings einige Schritte nach der Linken, wobei er Lindau auf den Fuß tritt, und sich während des Folgenden complimentirend entschuldigt).

Ida (die zu dem Rathe auf der rechten Seite getreten ist, heimlich zu ihm). Haben Sie schon etwas ausgerichtet, Herr Rath?

Rath (eben so). Ihn wenigstens auf glühende Kohlen gesetzt. Wir müssen nun sehen, was sich bei Tische finden wird. Vielleicht trinkt er in der Verlegenheit mehr, als er vertragen kann.

Ida (wie oben). Nur nicht ihn dazu ermuntern; das würde meine Mutter bemerken und nie vergeben.

Haushofmeister (durch die Mitte, sehr laut). Madame est servie! (Er tritt zurück.)

Krautfeld. Gott sei Dank! nun geht es zu Tische. Da sitzt man doch fest.

Präsidentin. Meine Herrn, wenn es gefällig ist – –

(Die Herren legen die Hüte ab.)

Krautfeld (unterdessen für sich). Ach Gott! wenn nur unterdessen niemand meinen Degen ausspionirt!

Präsidentin (dem Grafen den Arm bietend). Monsieur le comte!

Graf (ihren Arm nehmend mit einer Verbeugung). Madame!

Präsidentin (zu Krautfeld auf Ida deutend). Herr Baron!

Krautfeld (macht ein stummes Compliment, ohne sich vom Flecke zu rühren).

Präsidentin. Reichen Sie meiner Tochter den Arm.

Krautfeld (zurückweichend). O! ich bitte unterthänigst – das werde ich mich nicht unterfangen – ich werde der Letzte sein.

Präsidentin (etwas verlegen). Tout innocence! (Zum Rath auf Ida zeigend.) Herr Rath! (Sie geht mit dem Grafen durch die Mitte ab.) 18

Rath (Ida den Arm reichend). Erlauben Sie denn, Didone abbandonata (Er folgt mit Ida der Präsidentin.)

Präsident (zu Krautfeld). Ich bitte, Herr Baron. (Er zeigt nach der Mittelthüre.)

Lindau. Nun, Herr Baron, wollen wir nicht auch gehen? (Ihm den Arm reichend.)

Krautfeld. Bitte unterthänig, ich werde folgen. (Der Präsident geht mit dem Herrn von Hornburg und dem Assessor durch die Mitte ab.)

Krautfeld (den Arm hastig nehmend). Ja, und beisammen bleiben in Noth und Tod: deßwegen wollte ich der Letzte sein. (Sie gehen; Krautfeld sieht sich noch einmal nach dem Sopha um, für sich, rückwärts.) Ach! der unglückliche Degen!

(Beide durch die Mitte ab.)



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