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Der Harzbub

Eine Erzählung

I.

Eines Nachmittags, während Jung und Alt auf dem Felde war, schien es einem Sommerlüftchen im Holunderbusch vor Eckfrieds Fenster besonders zu behagen, bald stürzte es vom Gipfel des Busches kopfüber durchs Gezweig ins Gras des Bodens nieder, kollerte kreuz und quer über die Halmspitzen hin, worauf es sich rasch wieder emporschwang, am nächstbesten Aste rüttelte, Zweige schüttelte und hier eine Biene vertrieb, dort ein Käferchen, das sich kaum auf den Beinen hielt, in Todesangst versetzte; hatte sich das Lüftchen eine Weile so getummelt und erhitzt, dann beschloss es sich im nahen Kämmerchen ein wenig abzukühlen, beutelte eine Wolke Duft aus den Blüten und schwang sich dann, dieselbe vor sich hertreibend, auf das Fensterbrett und von da durch das offene Fenster in das kühle Halbdunkel der Kammer.

Hier ruhte den halben Vormittag bereits in einem kleinen Himmelbett ein Kind von etwa vier Jahren, die Wangen von Wärme und Behagen rot und von einer Fülle blonder Locken umgeben; an dem Vorhang dieses Himmelbettes auf und abzueilen, dann auf das Kissen zu springen und sachte im Haar des schlummernden Kindes zu spielen, war das regsame Treiben des Lüftchens, und es gab sich demselben wieder ganz dahin, als die Wanduhr in der Stube sechs schlug, am nahen Fenster ein Geräusch entstand – und ein wüster Männerkopf in die Kammer starrte, der sich weiter und weiter vorschob, so dass auch bald eine in Lumpen gekleidete Gestalt nachkam, welche schon nach wenigen Sekunden in der Kammer dastand, grässlich anzuschauen, wie sie, die räuberischen Finger spreitend, gierig durch die Kammer spähte, um sich eine Beute auszulesen; ein Linnenballen war es, welcher die Habgier der Blicke bald am meisten anzog, und er sollte eben ergriffen und fortgeführt werden – als das Kind im Bett sich regte, wendete und erwachte.

Ein kurzer, halb erstickter Schrei war alles, was das Kind beim Anblick der Gestalt vermochte, denn diese drehte sich plötzlich gegen das Kind, starrte es einen Augenblick mordsüchtig an und streckte ihm drohend eine riesige Faust entgegen; – wer weiß auch, was geschehen wäre, wenn nicht eben Schritte gehört wurden, ein Schlüssel ins Schloss fuhr und die Türe der anstoßenden Stube aufging; nun hatte der Dieb seine Zeit nur dazu nötig, um mit Hinterlassung seiner Beute wieder das Freie zu gewinnen, drückte sich auch behände durch das Fenster und war alsbald, durch den Holunderbusch reißend, aus der Nähe des Hauses verschwunden.

Dies tat auch not; denn schon waren die vernommenen Schritte an der Kammertüre hörbar, und die Mutter des Kindes, von dem Felde heimkehrend, trat herein.

Von dem, was eben vorgefallen, nichts ahnend, horchte sie nur einen Augenblick nach dem Bettlein hin, ob das Kind erwacht sei und sich rege, und als sie keinen Laut vernahm, ging sie auf den Zehen nach dem Kleiderschrank, nahm eine Schürze heraus, die sie umband, und begab sich nach der Stube, um Zurüstungen zu dem Abendessen zu treffen.

Schon früher war es ihr vorgekommen, als wären in der Ferne einige Schüsse gefallen, jetzt hörte sie das Knattern der Gewehre ganz deutlich, trat deshalb ans Fenster und war nicht wenig betroffen, ein Gelaufe von Männern und Weibern zu sehen, welche auf den Feldern sich in Gruppen sammelten oder mit ängstlichen Gebärdennach dem Dorfe eilten.

Von unbestimmtem Schreck erfasst, wollte die Eckfried eben wieder aus dem Hause treten, um den Grund des Lärmens zu erfahren, als der Dengler in fast komischer Verwirrung vorübersprang und, ohne gefragt zu sein, ausrief:

»Am Bucheck liegt schon einer, Nachbarin; maustot sag' ich euch, maustot!«

Durch diese Auskunft nur noch betroffener, eilte die Eckfried vor das Haus und gesellte sich zu einer Gruppe Leute, die beim Seidler drüben zusammentrat; hier erfuhr sie nun, dass die Landjäger einem Trupp Wildschützen auf die Spur gekommen, die mit allerlei Räubervolk in Verbindung, seit Wochen im Gebirge ihr Wesen getrieben und seit einer Stunde im nahen Waldbezirk umringt, gefangen oder erlegt werden würden. Eben war auch der Befehl eingetroffen, dass die Männer des Dorfes sich waffnen, das Tal entlang einen Kordon ziehen und jeden angreifen sollten, den sie fliehend oder verdächtig fänden; diesen Befehl auszuführen, wurde denn sofort auch die alte Gemeindetrommel gerührt, und unter großem Rennen, Schreien und Toben kamen nach und nach verrostete Flinten, gewichtige Dreschflegel und »Prügeldolche«, das ist, handsame Knüttel, zum Vorschein; – der Ausmarsch war indessen nicht mehr nötig; denn mit dem sterbenden Abendscheine auf dem Wald erlosch auch bald der Kampf in demselben, um sieben Uhr fiel der letzte Schuss, und bald darauf zog eine eben eingetroffene Kompagnie Soldaten selber den Kordon durchs Tal, während die Landjäger in kleinen Trupps geordnete Kreuz-und Querzüge begannen.

Es lässt sich denken, dass man im Dorf nicht wenig neugierig war, über den Kampf im Walde Näheres zu erfahren; war er doch höchst geheimnisvoll vorbereitet worden und plötzlich losgebrochen.

Die erste zusammenhängende Nachricht kam jetzt durch den Lukner ins Dorf, der den Mut gehabt hatte, mit noch drei Männern aus Reißing die Landjäger bewaffnet zu begleiten und als Schütze ihnen ausgiebig Dienste zu leisten.

Auf seine Heldenschaft tat sich nun Lukner auch was Erkleckliches zu Gute, und vor dem »Bären« aufgepflanzt, erzählte er jetzt von den Gestalten und Taten der Wilderer und Räuber solche Dinge, dass den Männern die Haare zu Berge stiegen und die Weiber samt und sonders die Gänsehaut bekamen.

Besonders der Hauptmann der Bande war Gegenstand seiner Schilderung, er ging als vollendeter Riese aus Lukners Munde hervor und kämpfte bis auf den letzten Blutstropfen wie ein Rasender; zwei scharfe Ladungen mussten ihn endlich zu einiger Besinnung bringen, und die dritte, aus Lukners Rohre natürlich, gab ihm den Rest.

»Und so fiel er denn hin, dieser Heid' und Riese«, schloss Lukner, »und ...«

»Weithin vom Fall erkrachte der Boden«, fiel die Stimme des Pfarrers in die Rede, der eben unter den Hörern angekommen war.

Lukner wollte eben zu dem Pfarrer aufschauen, um zu prüfen, mit welcher Miene er die seltsamen Worte gesprochen, als er eine schwere Hand auf seiner Schulter fühlte und betroffen zurücktrat.

Ein Fremder stand hinter ihm, der zwei große, leuchtende Augen auf ihn richtete und nach einigem Schweigen flüchtig sagte:

»Seid ihr nicht Martin Lukner? Kennt ihr mich nicht mehr?«

Noch mehr betroffen; erwiderte dieser:

»Der Lukner, der bin ich, ja; – aber ihr ...«, er prüfte mit leichtem Kopfschütteln des Fremden Gestalt, die dastand, schlank und kräftig, eine etwas wunderlich geformte Mütze mit Hahnenfeder auf dem Kopf, den Oberleib in eine Bluse, die Beine von den Knien abwärts in Gamaschen gekleidet, um die rechte Schulter eine Reisetasche gehangen.

»Nun, wenn ihr mich nicht kennt, wer soll mich kennen?« sagte der Fremde etwas ungeduldig: »Lebt euer Bruder, mein Vater noch, Lukner?«

»Heiliger Christian!« rief Lukner jetzt, sein Gewehr von der Schulter auf den Boden stellend: »Du – ihr seid doch nicht der Fabian, meines Bruders Bub, der nach Amerika ist vor sechzehn Jahren?«

»Der bin ich, Lukner, da bin ich wieder – und lebt mein Vater noch?«

»Dein Vater, Fabian, dein Vater – ist nicht mehr am Leben.«

»Nicht mehr am Leben?« sagte der Fremde und stampfte auf den Boden; eine Wolke des Unmuts statt des Schmerzes flog über seine Stirn, und nach einer Pause fügte er ruhiger hinzu:

»Ist mir leid; ich hätte ihm vieles abzubitten; – wo ist sein Grab?«

»Wo die Reißinger alle hinkommen, in unserm Kirchhof«, erwiderte der Lukner, den Fremden mit Unbehagen betrachtend.

Vom untern Dorfe her sah man jetzt einen Streifzug Jäger kommen, und der Fremde sagte mit einiger Dringlichkeit:

»Also begraben – dort begraben; – so kommt und lasst uns gehen, heute Nacht will ich euch als Gast beschwerlich sein, morgen besuch' ich meines Vaters Grab, und übermorgen – nun, übermorgen wird sich finden, was geschieht!«

Es lag etwas Unwiderstehliches in Blick und Gebärden des Fremden, so dass der Lukner, kein widerstrebendes Wort versuchend, auf den ersehnten Trunk im Bären verzichtete, sein Gewehr umhing und sich bereit erklärte, den Ankömmling ins nächste Dorf zu geleiten; aber schon war der Fremde von den spähenden Blicken der Landjäger erreicht, und er selbst war es, der in diesem Augenblick zu bleiben beschloss und lächelnd sagte:

»Da kommen welche, die werden, merk' ich, meine Bekanntschaft machen wollen; lasst uns so lange noch verziehen.«

Die Jäger waren auch bald so weit herangekommen, dass man die Worte des Anführers hören konnte, der aus einiger Entfernung rief:

»Wohin, ihr Männer? Wer seid ihr?«

»Gut Freund«, erwiderte Lukner, »ich glaube, ich bin euch wohl bekannt.«

»Und wer ist dieser hier?« fragte der Jäger, auf den Fremden zeigend.

»Mein Brudersohn, kommt aus der Fremde, nimmt bei mir Unterstand die Nacht, und das Weitere wird ich finden«, sagte Lukner, unwillkürlich wärmer fühlend für den Fremden.

»Eure Papiere?« sagte der zweite Jäger, die Hand ausstreckend.

Der Fremde lächelte, zog eine Brieftasche aus der Brust, holte eine ziemliche Rolle Papiergeld hervor und reichte sie dem Landjäger hin.

Dieser errötete und sagte barsch:

»Euern Reichtum verlang' ich nicht zu sehen, legitimiert euch sonst durch Pass oder Papiere!«

»Das kann ich auch, meine Herren«, sagte der Fremde, reihte einen Pass hin, und indem er den linken Ärmel der Bluse zurückstreifte, fügte er hinzu:

»Das Papier wird Sie zufrieden stellen, meiner Herrn; meinen Ohm aber dieses Mal am Arm.«

Der Lukner war schon durch den Anblick der Banknoten dem Fremden wieder ein Stück näher gerückt, das große Mal am Arm beseitigte nun vollends die letzten Bedenken.

»Ja, ja«, sagte er, »ihr seid, der ihr seid, ich hätte es auch ohne das wohl glauben müssen«; er selber streifte dem Brudersohn den Ärmel über das Mal herab und fügte hinzu:

»Was braucht's da noch Beweise?«

Weniger gläubig waren die Jäger, die das fremd aussehende Papier mit scharfen Blicken zu prüfen begannen; und wer weiß auch, welche Bedenken sie aus dem englisch geschriebenen und für sie unverständlichem Inhalt herausgefunden hätten, wenn in diesem Augenblick nicht ein peinlicher Lärm aus Eckfrieds Hause herüber gedrungen wäre; der Führer gab daher den Pass zurück und sagte:

»Das Papier wird noch näher geprüft werden, Lukner, ihr seid uns Bürge für den Brudersohn!«

»Das bin ich«, sagte Lukner und bedeutete dem Fremden, dass er nun bereit sei, mit ihm die ganz Wanderung nach Reißing anzutreten; die Jäger aber und die ganze Versammlung Volks begab sich nach Eckfrieds Hause in der Nähe, um den Grund des seltsamen und plötzlich ausbrechenden Lärmens zu erfahren.

Eckfrieds kleines Mädchen, welches während des Nachmittags in der Kammer geschlafen hatte, war im Zustande eines Starrkrampfes im Bett gefunden worden und hatte, als es wieder zu sich kam, von dem grässlichen Manne erzählt, der vor einer Stunde Stehlens und Raubens halber in die Kammer gedrungen ...

II.

Es war indessen Abend geworden, die Winde regten leise Flügel, und der Mond kam über die Wipfel desselben Waldes herauf, der vor Kurzem den Kampf auf Tod und Leben gesehen.

Lukner und dessen Begleiter hatten das freie Feld erreicht und schritten ziemlich lebhaft weiter.

Ihr Weg war nicht kurz und führte durch Gehölz und über Haidestrecken.

So musste denn jeder der Wanderer wünschen, dass ein lebendiges Gespräch den Weg abkürze und die Zeit ausfülle; zudem hatte jeder zu fragen genug.

Lukner zögerte auch nicht zu erkenne zu geben, wie gerne er die Schicksale seines Begleiters, der ihm jetzt auf einsamen Wegen wieder stille Schauer einflößte, näher zu erfahren; allein dieser wich einer ausführlichen Mitteilung jetzt noch aus, sagte, dass seine Erlebnisse viel zu bunt und reichhaltig seien, als dass sie nur so hin erzählt werden könnten, er versprach sie aber nächsten Morgen ausführlich mitzuteilen; nun war es daher an Lukner, die Fragen zu beantworten, welche sein Begleiter stellte.

Die Fragen betrafen ziemlich allgemeine Dinge, am nächsten gingen sie auf Leben und Tod von Lukners Bruder ein. Als auch diese Fragen beantwortet waren, sagte der Begleiter, freilich mit einem Lächeln, welches Lukner nicht bemerkte:

»Und was hat denn heute das Schießen, Lärmen und Laufen da herum bedeutet?«

Lukner fand es nicht einladend, jetzt, in der Nacht und auf einsamen Wegen, vom Kampf mit Dieben und Räubern zu erzählen, er war nicht ohne Sorge, dass hier oder dort noch ein versprengter Geselle aus einem Busche springen und ihn zur Rechenschaft ziehen könnte; er beschloss daher, der bedenklichen Sache nur im Allgemeinen zu erwähnen und so der Neugier des Begleiters zu genügen. Allein der Begleiter ließ sich nicht so leichten Kaufes abfertigen, und dem Lukner blieb nichts übrig, als zu erzählen, was er wusste, vorsichtshalber den Taten der Gauner und Wilderer »Gerechtigkeit widerfahren zu lassen« und sie, wie man zivilisiert ausdrücken würde, »im Lichte humaner Gesinnung zu betrachten«; namentlich hatte nun der kürzlich erst grell mitgenommene Bandenhauptmann das Glück, als ein Mann der höchsten Energie und Klugheit beurteilt zu werden, sein leider hingerafftes Leben »habe noch zu schönen Hoffnungen berechtigt!«

Dieses Urteil schien auch Lukners Begleiter nicht übel zu gefallen, er stellte jetzt umso mehr Fragen über die Person, Herkunft, Taten und Schicksale des merkwürdigen Helden, und wenn auch Lukner diese Fragen nur sehr unvollständig zu beantworten im Stande war, so wusste er doch einige Vorfälle zu erzählen, welche sich jedenfalls mit einigem Verwundern hören ließen.

»Es ist jetzt gerade vier Wochen her«, begann der Lukner, »als in einer stillen Mondnacht die alte Wirtschafterin auf dem Gute Raineck wach wird und einen Schatten durch ihre Kammer gehen sieht; erschrocken, dass ihr das Blut in den Schläfen hämmert, richtet sie sich auf und will die Gestalt mit den Augen suchen, welche den Schatten in die Kammer wirft; da erblickte sie drüben auf dem Dach der Herrschaftswohnung einen großen Mann, der gerade Anstalt macht, in ein Dachfenster zu steigen. In der ersten Hast reißt sie das Fenster auf und ruft hinüber: ›He da, was will er dort?‹ Die Gestalt macht Halt, schaut einen Augenblick nach dem Fenster der Alten und sagt dann ruhig: ›Seid stille, gute Frau, ich bin ein Nachtwandler, wenn ihr mich anruft, muss ich Knall und Fall vom Dache stürzen und Hals und Beine brechen!‹ Die Rede wirkt, die Wirtschafterin macht das Fenster zu, die Gestalt verschwindet unterm Dach, kommt dann wieder zum Vorschein und ist bald nirgends mehr zu sehen! Am nächsten Morgen aber ist das silberne Tischzeug, eine große Summe Geldes, eine goldene Uhr der Herrschaft fort und ein gefundener Zettel sagt: Sucht keinen andern, liebe Leute, ich war es selbst, der Räuberhauptmann Hüthedir!«

Lukners Begleiter lächelte und blickte zerstreut bald rechts, bald links nach dem Gebüsch, dann sagte er:

»Nicht übel, Vetter, nun, was wisst ihr noch von ihm?«

»Es sind jetzt drei Jahre«, erzählte Lukner, »da wird am Rhein derselbe Hauptmann aufgefangen und noch mit einem guten Freund ins Loch gesteckt. Die Gerichte haben's auf die Diebe, Räuber und Brandstifter besonders abgesehen und wollen auch mit diesen kurzen Prozess machen, als ihnen der Verteidiger, ein rechter Advokat und Vokativus, einen Strich durch die Rechnung macht, die Beweise übern Haufen wirft und den Hauptmann mit seinen Getreuen vom Galgen rettet. Beide gehen frei aus, sind deshalb dem Retter sehr erkenntlich, bieten ihm alles an, was sie haben – einen Beutel voll Dukaten, und der Advokat nimmt die Gabe an. Da er hört, dass die Burschen, weil es eben Nacht geworden, nicht wissen, wo ihr Haupt hinlegen, so ladet er sie ein, in seinem eigenen Haus vorlieb zu nehmen. Wirklich quartieren sich die beiden bei dem Advokaten ein und legen sich zur Ruh; doch ist der Retter kaum zu Bett gegangen, da stehen selbige wieder auf, knebeln ohne Weiteres ihren lieben Wirt und rauben ihm nicht nur, was sie ihm gegeben, sondern auch, was er selber hat, sagen höflich: gute Nacht, und machen sich aus dem Staube!«

»Horch«, sagte Lukners Begleiter jetzt und blickte links die Bergwand hinauf, wo über Fichtenwipfeln mondbeglänzte Burgruinen ragten:

»Habt ihr nichts gehört, Vetter?«

Lukner war nicht weinig betroffen, in diesem Augenblick wirklich ein schauerliches Ächzen und Rufen zu hören, er nahm sein Gewehr von der Schulter und sagte:

»Ich habe keinen Schuss im Rohr – aber ich will laden – da oben ist was vorgefallen!«

»Lasst's gut sein mit dem Laden, wir sind unser zwei – ich bin schon vorgesehen, Vetter«, sagte der Begleiter, und indem er ihn drängte, das Gewehr wieder umzuhängen, ging er voraus den Berg hinan und sagte, zwei Taschenpistolen aus der Bluse ziehend:

»Hier – wenn wir nicht auf eine ganze Bande stoßen, so reicht wohl das; nur Mut gefasst, in der Burgruine muss ein Lockvogel oder ein Blessierter liegen!«

Es waren also zwei sehr verschiedene Dinge, welche man oben zu treffen gefasst sein musste, und Lukner, der sonst einem bekannten Gegner gegenüber ganz wohl seinen Mann zu stellen wusste, war nicht sehr erbaut von unbekannten Gefahren, denen er entgegen ging.

»Die Nacht ist keines Menschen Freund«, sagte er und trocknete die Stirn: »Wir könnten es auch wohl machen wie viele andere, die links liegen lassen, was links liegt!«

»Wir sind aber nicht wie andere, Vetter, Courage führt immer drauf los den rechten Weg«, und mit diesen Worten ging der Begleiter rasch und lächelnd voran.

Der Weg, für zwei neben einander gehende Wanderer breit genug, führte in starken Windungen den Berghang empor, Mondschein und gespenstige Schatten fielen wechselnd drüber hin, und wenn schon die Stille der Nacht den einsamen Klang der Schritte unheimlich machte, so musste es umso schauervoller sein, das Ächzen und Hilferufen einer Menschenstimme immer näher zu vernehmen.

»Nur nicht verzagt, lieber Vetter«, sagte der Fremde ganz oben ... »da sind wir jetzt, wo einmal die Zugbrücke über den Graben führte, noch einige Schritte, und wir müssen sehen, was es gibt.«

Nach wenigen Schritten war man wirklich durch einen finsteren Torgang im Schlosshof der alten Burg angelangt, die ächzende Stimme klang jetzt ganz aus der Nähe.

»Nur mir nach«, sagte der Fremde ganz munter: »Da – da – nun seh' man einmal, da liegt das Ding ja: Mensch, Gauner, Dieb oder Räuber!«

Auf einer verwitterten Treppenstufe lag eine menschliche Gestalt, die, in weitläufige Lappen gehüllt, sich vergebens bemühte aufzustehen und beim Anblick der Kommenden ihre Schmerzenstöne umso lebhafter ausstieß.

»Hilfe! Hilfe!« rief die Gestalt immer von Neuem: »Habt Erbarmen, helft!«

»Nun, was gibt's denn?« fragte nähertretend Lukners Begleiter: »Was fehlt euch? Was macht ihr da?«

»Was ich mache, könnt ihr fragen?« sagte die Gestalt: »An Händ' und Füßen gebunden, ist viel zu machen, kommt und knüpft mich los!«

Lukner vergaß jetzt alle Bedenken, trat schleunigst hin und löste die Stricke von Arm und Beinen, indem er fragte:

»Wer seid ihr? Wie kommt ihr her? Wer hat euch so behandelt?«

»Ich bin gestern aus Amerika heimgekehrt, hatte nicht weit mehr zu den Meinigen nach Reißing«, sagte der Erlöste: »Da geh' ich eben, es war Abend geworden, unten die Straße vorüber, als mich drei Schurken aufgreifen, mit Sack und Pack abnehmen und mich zwingen, mit ihnen in diese Eulennest heraufzukommen. Hier fangen sie an, mit höflicher zu begegnen, forschen mich aus über dies und jenes, Menschen und Wege, Reiche und Arme, und damit ich besser reden möchte, geben sie mir zu trinken, was ich nur trinken mag; aber zu spät merk' ich, dass ich Schlaftrunk im Schnaps bekommen habe, mir drückt's auf einmal die Augen zu, ich schlafe ein – und als ich wieder erwache – bin ich an Händ' und Füßen gebunden, in eine Decke gewickelt und da her gelegt – Gott weiß es, dass ich gedacht habe, zu meinem letzten Ende!«

»Euer Name?« fragte Lukners Begleiter, näher tretend.

»Fabian Lukner«, sagte der Erlöste und richtete sich auf.

Lukner trat betroffen einen Schritt zurück und rief:

»Was? Fabian Lukner, sagt ihr?«

Er wollte die Frage mit einem Blick auf seinen Begleiter wiederholen, als dieser plötzlich eine ganz andere Erscheinung wurde, die Bluse auseinander schlug, zwei Taschenpistolen hervor nahm und, auf die beiden Männer anschlagend, sagte:

»Wenn du Fabian Lukner bist, der Brudersohn dieses Mannes hier, dann kann ich freilich dieselbe Person nicht sein, und du hast ein Recht auf diese Bluse und diesen Reisesack.

Nun hör' mich an. Ich habe dich meiner Sicherheit wegen gestern gefangen und berauben müssen – jetzt sollst du Freiheit und all' dein Gut wieder haben, wenn du mir versprichst, binnen einer Stunde niemand zu erzählen, was dir hier geschehen ist; versprichst du das nicht, so bin ich genötigt, dich und deinen Vetter hier ohne Gnade und Barmherzigkeit niederzustrecken!«

Fabian fiel auf die Knie und sagte mit aufgehobenen Händen:

»Gern will ich schweigen, solange ihr wollt, lasst mich frei ausgehen, und gebt mir Gut und Geld zurück!«

Im Nu lagen jetzt Bluse, Reisesack und Börse zu Fabians Füßen, der Fremde stand in der Kleidung eines fahrenden Studenten da, blickte den Lukner und dessen wirklichen Brudersohn einige Sekunden mit flammenden Augen an, lächelte und winkte – und war dann wie ein Schatten im nahen Gebüsch verschwunden ...

III.

Es war halb zehn Uhr nachts, als man im Bosselhof zu Reißing von der Abendandacht sich erhob und, müde von der Anstrengung des Erntetages, hier und dort im Hause sich zerstreute.

»Geh' mir keiner mehr fort heute«, sagte der Bossel zu den Knechten, als sie aus der Stube traten. »Morgen braucht es Arm und Beine, die gerastet haben!«

Die Knechte nickten nur zustimmend, indem sie gingen, die Mägde räumten Gedeck und Reste des Abendessens von dem Tisch, und die Hausfrau trug ein Kind, das ihr während des Gebetes auf dem Schoße eingeschlafen, sachte nach der Kammer.

»Lass' nur, lass'«, sagte sie, leise abwehrend, zu dem Kindermädchen, das ihr in den Weg trat: »Ich weiß, du hast das Würmchen lieb und hast es immer gut gehalten, es schläft; mach' jetzt, dass du fortkommst und such' uns ein andermal heim!«

Die Angeredete, ein Mädchen von sechzehn Jahren, blieb bei diesen Worten schüchtern stehen und wollte sich dann nach der Hausflur entfernen, als der Bossel eine hölzerne Geldschüssel auf den Ecktisch stellte und etwas unwirsch ausrief:

»Hanne!«

In diesem Augenblick war die Stubentüre aufgegangen, und ein Kopf, der auf zwei gewaltigen Schultern ruhte, blickte fragend herein.

Das Mädchen gewahrte den Gast an der Türe gar wohl und gedachte ihm eben ein Zeichen zu geben, dass sie kommen werde, als der Bossel heftig wiederholte:

»Hanne!«

Er wiegte einige Geldstücke in der Hand und blickte scharf nach dem Mädchen hin, indem er fortfuhr:

»Wird's werden? Soll ich heute noch vernommen werden?«

Er zählte nun sechs Gulden auf den Tisch, übertupfte sie nochmals mit dem Zeigefinger und sagte:

»Hier, zähl' nach, sechs Gulden, wie's bedungen ist.«

Die barsch zufahrende Weise des Hausherrn hatte zur Folge, dass das Mädchen wie versteinert stehen blieb und weder das Geld zählte, noch es anzunehmen Miene machte, zum Glück war die Bäuerin wieder aus der Kammer getreten und legte sich ins Mittel.

»Nimm den Lohn, Hanne«, sagte sie wohlwollend zu dem Mädchen, »aber du, Paul – was sind das wieder für Geschichten? Sooft du Geld auszahlst, bist du zornig wie ein Stacheligel!«

Bossel sah jetzt seine Unart ein, die er mit sehr vielen, selbst gebildeten Menschen gemein hatte, stand auf, drückte dem Mädchen selbst das Geld in die Hand und schloss die Kassenschüssel wieder in den großen Schrank; die Bossel aber übergab dem Mädchen noch ein hübsches Halstuch und sagte:

»Hier, Hanne, das find' ich noch für dich; nehm's mit und denk' an uns!«

Diese milden Worte brachten das scheue Mädchen wieder zu sich selbst, sie reichte dankend ihrer bisherigen Meisterin die Hand und ging dann aus der Stube, um den großen Christoph nicht länger warten zu lassen, der gekommen war, um ihre Kiste Eigentum in das nächste Dorf zu tragen ...

Der Vollmond hatte diesen ganzen Auftritt in der Stube beleuchtet, er diente im nächsten Augenblick auch zur Fackel, als vor dem Hause der große Christoph sich die Kiste des Mädchens auf die Schulter schwang und mit dem einzigen Auge, das er im dicken Gesicht hatte, umsah, ob die Hanne bereit sei, ihm zu folgen.

Hanne war mit ihrer Meisterin vor das Haus getreten und sagte hier ihr letztes Lebewohl; auch dem Meister, der besser gelaunt aus dem Fenster blickte, sagte sie ein schüchternes »B'hüt Gott!« und folgte dann dem Christoph, der als echter Fußgänger erst bedächtig in Bewegung kam, um später desto schärfer auszugreifen.

»Hätt' ich Platz gehabt, das gute Kind wär' mir nicht aus dem Haus gekommen«, sagte die Bossel zu der Gruppe Dienstboten, die sich vor der Stalltüre gesammelt hatte: »Die Hanne wird die Freude jeder Dienstfrau werden!«

Sie hätte wahrscheinlich noch ein wenig mehr Lob hinzugefügt, wenn ihr nicht in diesem Augenblick das Rasseln eines Wägelchens durch das Wort gefahren wäre; der Doktor aus Datternheim furh in einem Einspänner heran, ließ vor dem Bosselhofe halten und sagte in derber Landoktoren-Manier:

»Nun, liebe Bossel, soll ich euer Kind noch einmal sehen, oder erlaubt ihr, dass ich zum Teufel fahre?«

»Mein Kind ist besser; es isst und schläft wieder; gerade hab' ich auch das Kindsmädchen fortgelassen!«

»Nun, ich soll's nicht loben, dass ich nichts mehr dran verdiene, aber mich freut's, dass ihr dies Sorge los seid; – vorwärts, Kutscher – halt, will ich sagen!« fügte er hinzu, den Kutscher, nachdem er ihn mit dem Stock gedrängt, sofort am Joppenkragen wieder haltend:

»Bossel, euer Kindsmädchen ist ja, wie ich höre, von meiner Frau gedingt; ist's verwendbar, das Mädchen? Tut es seine Arbeit, wie es sein soll?«

Die Bossel war froh, ihr Lob jetzt recht gründlich an Mann zu bringen, und verbrauchte so ziemlich alle guten Eigenschaftsworte, die ein Dienstbotenbuch aufweisen kann; die Hanne war somit getreu, fleißig, sittsam, ordentlich, reinlich, fromm, zuverlässig, genügsam, zu jeder Arbeit geschickt und bei Kinderchen äußerst verwendsam; nur müsse das Wesen auch eigens gut behandelt werden; denn gütig angewiesen sie sie höchst verständig und flink, getadelt oder angefahren, verliere sie Fassung und Geschick, ein scharfer Zuruf verschlage ihr jedes Wort, und es brauche Zeit, bis es wieder helle in ihr werde!

»Das will ich mir ad notam nehmen«, sagte der Doktor lächelnd, »für meinen Hausdonner ist sie kein Objekt, aber für meine Frau wird sie der rechte Dienstengel sein!«

Das Wägelchen des Doktors rasselte davon, und die Bewohner der Bosselhofes wollten sich eben zurückziehen, als zwei Wanderer vorüber gingen, welche neue Aufmerksamkeit erregten.

»Ei Lukner«, sagte der Bossel, den Kopf noch weiter als zuvor aus dem Fenster steckend, »alle Wetter, du kommst ja direkt aus der Diebs-Tartarenschlacht! Man hat dich heute schon für tot gesagt, halt doch an und sag' wie's ausgegangen ist.«

Lukner schien das Stehenbleiben unbequem zu finden, berichtete ganz kurz über den glücklichen Ausgang des Gefechtes und fügte dann hinzu:

»Ich bin müde, komm' morgen zu mir, das Weitere soll dir werden!«

»Und wen bringst du da mit?« fragte Bossel geschwinde noch, dem Fremden zunickend, der den Lukner begleitete.

»Wenn ihr euch an den Fabian Lukner noch erinnert, der vor Jahren nach Amerika ist, so bin ich euch nicht unbekannt«, sagte der Fremde, an der Mütze mit der Hahnenfeder rückend; – »doch wir werden uns noch sehen, hoff' ich – und so gute Nacht!«

Die Bewohner des Bosselhofes blieben in keiner geringen Verwunderung zurück, als der Lukner mit seinem Vetter weiter ging, um nach einer langen und seltsamen Wanderung unter Dach zu kommen ...

»Du wirst vieles verändert finden«, sagte Lukner, am Eingang in seinen Hof stille haltend: »Wie du fort bist, ist diese Einfahrt nicht gebaut gewesen – du wirst auch im Hause vieles anders finden.«

Sie traten in den Hof und an die Haustüre, wo Lukner wieder stehen blieb und mit einem Tone, als würde er von einer trüben Ahnung erfüllt, sagte:

»Das Haus ist zu, alles ist schon schlafen. Wir wollen mein Weib nicht mehr wecken, dass sie dich sehe; dazu ist auch morgen Zeit. Wart' ein wenig, ich weiß ins Haus zu kommen, ich öffne dann von innen.«

Er wollte eben nach einer kleinen Nebentüre des Gebäudes, um ins Innere des Hauses zu komen, als ein Fenster lebhaft aufgedrückt wurde und ein jugendlicher Weiberkopf mit scharfen Gesichtszügen heraus sah.

»Wer ist da?« rief der Kopf im Fenster: »Bist du es, Lukner?«

Die Stimme klang rau, fast männlich.

»Ich bin's, liebes Weib; sei so gut und mach' uns auf!«

»Fast sollt' ich nicht«, meinte die Angeredete, »wer fortgeht, wie du und mir nichts dir nichts sein Leben aussetzt, der sollt' auch lieber ganz dort bleiben, wo er ist!«

»Du sollst haarklein alles hören«, bemerkte Lukner, von dem Empfange offenbar peinlich berührt, »die Herrschaft, das Amt ...«

»Die Herrschaft, das Amt hat dir das Leben nicht gegeben, kann es nicht aussetzen, wie es will, dazu sind Soldaten und Landjäger da!«

»Nun gut, nun gut; du hast ja recht, mach' nur auf, mein Kind, ich bringe dir jemand mit, einen guten Freund, einen Gast!«

Unverständliche Worte brummend, schlug die Hausfrau das Fenster wieder zu, öffnete die Haustüre und ging, ohne ihren Mann und dessen Begleiter eines Blickes zu würdigen, in die Stube zurück, wo sie sich an eine Ecke des Kachelofens stemmte und jetzt erst die Eintretenden mit scharfen Blicken musterte.

»Du wirst nicht erraten, wen ich da mit mir führe«, sagte Lukner, seinen Hut ans Hirschgeweih und den Stutzen an einen Nagel an der Wand hängend – »Du musst ihn fast noch von der Schule her kennen, meinen Brudersohn Fabian, der nach Amerika gegangen ist!«

Die Lukner regte sich nicht und erwiderte auch nichts, sei es aus Gleichgültigkeit oder vor Erstaunen; nur ihr Auge forschte düster nach den Zügen des Fremden, welche im Schimmer des Mondlichts nur unvollkommen unterschieden wurden.

Lukner machte jetzt Licht, während der Fremde einen Schritt näher an den Ofen trat und mit einem Anflug von Laune sagte:

»Ich glaube wohl, dass es euch lieber gewesen wäre, wenn euer Mann von seiner Jagd ein Stück Wild statt eines Gastes mitgebracht hätte; aber nehmt's, wie es kommt, und gebt mir einmal Nachtquartier, das andere wird sich finden.«

Ein brennender Span beleuchtete jetzt die rüstige Gestalt des Fremden, und sie schien auf die zürnende Hausfrau Eindruck zu machen; um den Argwohn abzuwehren, als ob sie einem Verwandten ihres Mannes nicht gerne Unterstand gewähre, sagte sie jetzt:

»Darum handelt sich's nicht; ihr sollt hier Unterstand haben, solang' ihr wollt; – wenn ich unfreund bin, so gilt das meinem Mann, der sich hingestellt hat, wo andere hingehören!«

Etwas milder erkundigte sie sich jetzt nach dem Appetit der Männer, und als ihr Lukner höflich bemerkte, dass sie beide dankbar wären, wenn sie etwas zu kosten bekämen, da verschwand sie sofort nach der Küche und brachte eine Schüssel mit gebackenen Semmelschnitten, die sie auf den großen Ecktisch setzte.

»Hätt' ich gewusst«, sagte sie dabei, »dass mein Mann einen Gast mitbringt, so hätt' ich mehr besorgt.«

»Es genügt auch das«, sagte der Gast, der inzwischen ganz abgelegt hatte und eine Schnitte versuchte, um sie loben zu können:

»Genügt vollkommen«, wiederholte er, »die Schnitten sind sehr geraten, und ich wünschte nur, dass jemand zur Hand wäre, der um Geld und gute Worte einen frischen Trunk vom Wirte holte!«

Er legte ein blankes Silberstück auf den Tisch, welches sichtlich Eindruck auf die Hausfrau machte.

»Ich sollt's nicht sagen«, bemerkte die Lukner mit einiger Verlegenheit, »aber ich hab' auch Bier besorgt für meinen Mann, der's eigentlich nicht verdient hätte.«

»Ei, dann nur her damit«, sagte Lukner ermutigt und das Ende der ehelichen Spannung absehend: »Her damit und lass' uns trinken auf gut Wetter im Haus und auf die gute Heimkehr unseres Gastes!«

Das Bier wurde gebracht, es wurde ihm auch tüchtig zugesprochen, und die Lukner, welche inzwischen ihren Anzug und ihr Haar in bessere Ordnung gebracht, setzte sich mit unverkennbarer Neugierde ihrem Gaste gegenüber, an den sie nach und nach bestimmtere Fragen richtete.

Fabian gab über seine Erlebnisse fast wörtlich dieselben Aussagen zum Besten, welche früher der entkommene Bandenhauptmann als seine Erlebnisse erwähnt hatte, und versprach am nächsten Morgen Näheres mitzuteilen; Lukner aber konnte der Versuchung nicht widerstehen, den heimgekehrten Vetter seinem Weibe recht wundermerkwürdig zu machen und erzählte ihr trotz des strengen Verbotes das Abenteuer mit dem Räuberhauptmann.

Die Wirkung dieser Mitteilung war nun wirklich stark genug, aber sie mochte doch nicht ganz in dem Sinne ausgefallen sein, wie sie Lukner hervorbringen wollte, denn als sein Weib hierauf zu Bette ging, wurde sie den schauervollen Gedanken nicht wieder los – dass am Ende Fabian dennoch selbst mit der fürchterlichen Bande in irgendwelcher Beziehung stehen könnte!

Anders freilich betrachtete die Dinge jetzt ihr Mann.

Zufrieden mit der unverhofft schnellen Nachgiebigkeit seines Weibes und nach scharfer Prüfung der Züge des Fremden fest überzeugt, dass er seinen Vetter wirklich vor sich habe, sprach er dem Bierkrug tapfer zu und sagte endlich, trotzdem es schon um Mitternacht war:

»Höre, Fabian, ich leine eigentlich jetzt erst auf; wenn du nicht gar zu müde und schläfrig bist, so lass uns noch ein Weilchen beisammen sitzen und schwatzen!«

»Mir ist's recht«, sagte Fabian, »ich habe in der Ruine so lange liegen und schlafen müssen, dass ich eigentlich für acht Tage Schlaf voraus genossen!«

Also blieben beide noch lange am Ecktisch sitzen und schwätzten eins ins andere; natürlich wurden die letzten Abenteuer immer wieder von Zeit zu Zeit der Mittelpunkt des Gespräches, und der Lukner sagte einmal, die überstandene Gefahr mit süßem Schauer nachgenießend:

»Ein pfiffiges, verwegenes Volk ist dies Bande aber doch; und dich so mir nichts dir nichts abzufangen, auszuforschen und mit deinem Pass und deinen Worten durchzuschlüpfen, das ist gar kein schlechter Spaß! Wie Teufel auch sollte ich dem fremden Fant gleich ansehen, dass du derselbe nicht sein könntst? Fünfzehn Jahre machen schon was anderes aus dem Menschen, absonderlich in Amerika! Zudem das Mal am Arm – das hältst du also wirklich für Kunstarbeit aus Wachs?«

»Natürlich.«

»Und wie gut war es gemacht – deinem Muttermal wie aus dem Gesicht geschnitten!«

»Die Burschen sind mit allen Salben geschmiert; wer weiß, wie weit durch's Land sie sich die Hände reichen. Kann leicht sein«, fügte er mit eigentümlichem Lächeln hinzu, »man hat der Kette nur einige Ringe abgerissen, und die Hauptbande spürt das kaum! ...«

Der Lukner fühlte endlich, dass er schläfrig werde, auch schien ihm die letzte Wendung des Gespräches nicht ganz zu behagen; er mache daher dem Vetter sein Lager in der Stube zurecht, sagte »gute Nach!« und begab sich nach der Kammer.

Aber kaum war die Türe hinter ihm zugefallen, als der Vetter eine ganz andere Erscheinung wurde.

Hoch aufgerichtet stand er plötzlich da und sah triumphierend um sich her.

»Bin ich wirklich unter Dach, glücklich durchgeschlüpft, sicher daheim – und mein Hauptmann ist gerettet?« sagte er.

Er ging rasch einige Male in der Stube hin und her, blickte mit gefurchter Stirne vor sich hin und schien noch einmal die Legion möglicher Gefahren zu bedenken, denen er entgangen war; dann trat er etwas ruhiger an das Fenster, um hinauszusehen.

Lange stand er in Gedanken an dem Fenster; still und vom Mondlicht erhellt erschienen die Häuser und Gärten des Dorfes, kein lebendes Wesen regte sich im Freien, das ferne Gebirge ragte wie eine regungslose, magisch beleuchtete Wolke gegen Himmel ...

Vielleicht regte sich jetzt die Erinnerung an frühe Kinderjahre – Fabian stand soeben an demselben Fenster, durch welches er einst, von Vater oder Mutter auf den Armen gehalten, oft geblickt; wie glücklich war er damals als reines, harmloses Geschöpf Gottes, wie selig in sich und wie zufrieden mit der Welt! ... Und heute? ... Fabian brach seine Gedanken kurz ab und drehte sich nach der Stube zurück.

Aber die Erinnerungen aus früher Zeit, einmal rege, ließen sich nicht sobald wieder zur Ruhe bringen – gemahnte doch die Stube mehr als eine Stelle an selige Stunden, glückliche Tage und wackere Menschen. Letztere konnten damals auch nicht ahnen, was aus ihrem munteren Liebling noch werden würde ...

IV.

Dem nächsten Morgen und den folgenden Tagen war es vorbehalten, die Gegend über die ganze Gefahr zu belehren, welche ihr von Seiten einer weit und breit gefürchteten Bande, die seit Ende des französischen Krieges das bergige Nachbarland heimsuchte, zugedacht waren; ein frecher Streifzug, vor keinem Verbrechen zurückschreckend, Leben und Eigentum mit gleicher Kaltblütigkeit angreifend, sollte einzelne Höfe, Dörfer und Märkte plündern, um sich dann mit schwerer Beute wieder spurlos zu verlieren.

Es war seit einige Wochen aufgefallen, dass sich ungewöhnlich viele Fremde in der Gegend sehen ließen, die als Porzellan- und Zunderhändler, als Kesselflicker und Orgelmänner von Hof zu Hof, von Dorf zu Dorf zogen.

An derlei Erscheinungen, wenn auch in geringerer Zahl, gewohnt, auch durch den Umstand beruhigt, dass alle diese Gestalten ordentliche Pässe vorzeigten, ließ man sie ruhig ihres Weges ziehen, gab ihnen manches zu verdienen und fasste auch dann noch keinen besonderen Argwohn gegen sie, als bereits hie und da kleine Eigentumsvergehen ruchbar wurden.

Ein solches war sogar geeignet, den Leuten Stoff zur Unterhaltung zu geben.

Denn ein Scherenschleifer, der nicht weit von Köckelbach eine Herde Schafe gewahrte, die sich gerade selbst überlassen war, bedachte sich nicht lange, die Gelegenheit zu benützen, lud sich einen fetten Hammel auf die Schulter und wollte fröhlich von dannen eilen, als mit einem Male sich die ganze Herde in Bewegung setzte, dem Dieb, der ihr den Leithammel entführen wollte, auf der Ferse folgte und ihn endlich solcher Gestalten dicht umschloss, dass er keinen Schritt mehr weiter konnte; der herbeieilende Schäfer, verstärkt durch zwei handfeste Holzhauer, bemächtigte sich des Hammels wieder und natürlich auch des Diebs.

Bedenklicher wurde die Sache schon, als sich Gerüchte von Pferde- und Bleichdiebstählen verbreiteten und die Förster über Wilderei zu klagen anfingen; aber da die Gegend selbst nicht frei war von Geschäftsleuten, die nächtlicher Weile sich mit derlei nützlichen Dingen abzugeben pflegten, so kamen und gingen die fremden Wanderer immer noch unbehelligt, bis endlich die Behörden durch einen Zufall unterrichtet wurden, was der Gegend außerdem bevorstand; rasch und umfassend waren nun die Maßregeln, die getroffen wurden.

Es war am ersten August gegen Abend, als der Michael Tascher sein Studentchen aus der Kreisstadt heimfuhr und dieses bei Bäblinger Wald, wo die Straße sich in vielen Krümmungen emporwindet, den Vater bat, er möchte doch allen die Straße fahren, indessen er zu Fuß den kürzeren Weg durch das Tal hin wandern wolle; Tascher war damit zufrieden, und der Knabe verfolgte seinen Weg. Er hatte aber kaum eine Strecke zurückgelegt, als er, an den Rand des Waldes gelangend, zu seinem Verwundern bemerkte, dass die vor ihm liegende Haidefläche sich zu beleben anfing. Drei Frauenzimmer, die, den Göttinnen von Ida vergleichbar, am Bache Toilette machte, ersahen seine verwunderten Blicke zuerst; etwas weiter wandernd und das nächste Gebüsch umgehend, überschaute der Wanderer ein förmliches Lager wüster Gesellen zu beiden Seiten des Pfades. Von Entsetzen erfüllt, ging er mit beschleunigten Schritten seines Weges, ungeheure Hunde blickten knurrend und klaffend zu ihm auf und würden ihn unzweifelhaft zerrissen haben, wenn sie nicht immer durch begütigende Hände, die sich ihnen auf die Köpfe legte, beruhigt worden wären. Dem Himmel aus voller Seele dankend, hatte der Knabe endlich das Lager der Gesellen hinter sich und eilte nun der Fahrstraße wieder zu, wo er seinem erschrockenen Vater das Erlebnis erzählte. Tascher jagte nach dem nächsten Dorfe, um es von der Nähe der gefährlichen Bande zu unterrichten, die Bauern griffen auch sogleich zu den Waffen und suchten von drei Seiten gegen das Lager vorzudringen; aber als sie zur Stelle kamen, gewahrten sie nichts mehr als die verglimmenden Haidefeuer – verschwunden war die Bande!

Diese Kunde war es, welche die Behörden veranlasste, die ausgedehntesten Nachforschungen anzustellen, Soldaten und Landjäger aufzubieten, die denn auch das Gesindel teils gewaltsam, teils durch falsche Nachrichten lockend, in den Haslauer Bergwald zusammentrieben, um ihm dort die schon erwähnte Schlacht zu liefern ...

Leider entsprach die Ausbeute dieses Tages nicht ganz den Erwartungen, welche man zu hegen Ursache hatte.

Vor allem war der vielgenannte und gefürchtete Hauptmann der Bande trotz des trefflich zielenden Lukner wirklich entkommen; von den übrigen Mitgliedern der Bande waren einige der gefährlichsten tot und konnten also nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, die Gefangene aber schienen mehr zum gelegentlichen Tross der Bande als zu den tiefer Eingeweihten zu gehören.

Nichts desto weniger waren die Folgen dieses Tages von erheblichem Nutzen für die Gegend, und die näheren Berichte über einzelne Mitglieder der Bande boten den seltsamsten Einblick in das Treiben der Verbrecher.

So hatte man während des Gefechts in einer Schänke einen höchst harmlos scheinenden Mann verhaftet, der, im Besitz eines vollkommen genügenden Passes, als Mooshändler mit einem groben Sack auf dem Rücken in die Gegend gekommen war; da man nach kurzer Untersuchung gegen den Mann nichts Verdächtiges entdecken konnte, so ließ man ihn frei ausgehen mit der Weisung, die Gegend ohne Aufenthalt zu räumen. Ruhig entfernte sich der Befreite auch aus dem Gefängnis – kam aber schon nach wenigen Stunden freiwillig wieder zurück, um die Behörde zu bitten, ihn wieder gefangen zu nehmen.

»Ich verwinde es nicht«, sagte er mit melancholischer Ruhe, »ich kann das Gericht nicht länger hintergehen, ich bin ein Verbrecher und muss gerichtet werden!«

Verwundert frage man, worin denn seine Verbrechen bestehen, und er gestand, dass er seit fünfzehn Jahren durch die Welt ziehe, nachts in den Quartieren die Bettdecken aufschneide und an die Stelle der herausgenommenen Federn Moos einstopfe; da er die Decken stets wieder zunähe und andern Morgen weiter ziehe, so sei er sicher vor jeder Entdeckung geblieben.

Man fragte ihn nun, warum er sich freiwillig mit diesem Geständnis eingefunden habe, und er gab zur Antwort, die merkwürdig genug war:

»Mein ruhiges und sicheres Geschäft hat mich schwermütig gemacht«, sagte er. »Das ewige Wandern und Wandern, das Vorüberziehen an fleißigen und friedlichen Menschen, die bei Hab und Gut auch reinen Gewissens sind, hat mir endlich wie das Rieseln einer Sanduhr ein leises Beschwernis um das andere auf das Herz gehäuft, es ist nach und nach eine Last geworden, die ich nicht mehr schleppen kann. Besonders hat mich der Anblick spielender Kinder angegriffen, wenn ich hier durch ein friedliches Dorf, dort durch ein regsames Städtchen ging. Und eben heute, da ich frei ausging, um mein Geschäft von Neuem zu beginnen – eben habe ich wieder jubelnde Kinder gesehen, glückliche Kinder beim Spiel; es war vor dem Dorfe neben dem Hohlweg – auf dem Apfelbaume daneben schlug ein Fink, die Schwalben flogen hoch und zeigten schön Wetter für viele Tage – was – sagt' ich mir, willst du wirklich dein Betrügen länger treiben, die Last auf dem Rücken wie die Last im Herzen fort und fort tragen – und die Welt ist so schön, die Menschen überall besser als du, und ehrliche Arbeit überall zu Hause! Da rief es laut in mir: Kehr um, und ich kehrte um; jetzt richtet und straft mich, wie es euch recht dünkt!«

Mit der größten Neugierde harrte man natürlich solcher Nachrichten, welche über das Treiben des Bandenhauptmanns Auskunft gaben, und in der Tat blieb diese Neugierde auch nicht unbefriedigt.

Nicht genug, dass dieser kühne Freibeuter mit knapper Not dem Tode oder der Gefangenschaft entgangen war, ließ er es trotz der Gefahr, die ihm auf den Fersen folgte, nicht dabei bewenden, den Lukner getäuscht zu haben, er hatte die Verwegenheit, hart an der Grenze im »Schwan« zu Obertulpach erst noch mit dem Führer der Landjäger, der ihn fangen sollte, als lustiger Studio Billard zu spielen, eher er entschlüpfte.

Aber kaum über der Grenze, auf einem Boden, wo er einer so drängenden Gefahr nicht ausgesetzt war, als er schon wieder einen harmlosen Landgeistlichen zum Ziele eines neuen dreisten Vergehens ausersah.

Denn er gab sich bei diesem als einen der damals zahlreich genug herumziehenden »Große« Frankreichs aus, der durch die politische Umwälzung all sein Vermögen bis auf ein in Brillanten gefasstes Familienporträt verloren habe und nun aus Mangel an Geld gezwungen sei, auch dieses zu verkaufen.

Er bot dieses Kleinod für den billigsten Preis dem würdigen Geistlichen an, der, voll Teilnahme für den unglücklichen Flüchtling nur bedauerte, über den Wert der Kostbarkeit kein Urteil zu haben; da wurde aber schon im nächsten Augenblick Rat, indem die Türe aufging und ein reisender Juwelier hereintrat, um den Herrn des Hauses nach der Richtung des Weges zu fragen; er wurde um seine Meinung über den Wert des Porträts ersucht und ermangelte nicht, die Brillanten desselben sehr hoch anzuschlagen. In Folge dessen erbot sich denn der Geistliche, auf die Kostbarkeit dreißig Louisdor zu leihen, welche später gegen Rückgabe des Kleinods wieder abgezahlt werden sollten; allein in der folgenden Nacht erschien der Freibeuter mit seinem Kameraden, dem angeblichen Juwelier, vor dem Bett des Geistlichen und nahm ihm die Kostbarkeit wieder ab, ohne der dreißig Louisdor auch nur mit einem Worte zu gedenken ...

Jetzt wurden auch diejenigen Streiche mehr und mehr bekannt, welche der Freibeuter vor der Schlacht im Haslauer Walde unternommen und durchgeführt hatte.

Deine erste Unternehmung war, dass er sich eines Tages als andächtiger Pilger einer Schar Wallfahrer anschloss, mit welcher er nach dem Gnadenorte St. Lucian zog, wo er gleich nach seiner Ankunft während der Nacht einige kostbare Kirchengeräte stahl und entführte.

Bald darauf erschien er bei einem reichen Kornhändler zu Riesheim, den er bewog, eine Ladung Frucht nach der Stadt zu bringen, wo sie ihm pünktlich ausgezahlt würde. Der Geschäftsmann zögerte nicht, mit der gewünschten Frucht zu erscheinen und sie vor dem bezeichneten Bäckerhause abzuladen; während er aber vor der Türe auf Zahlung wartete, hatte sich der Gauner das Geld im Hause selbst einhändigen lassen und war damit verschwunden.

Sehr merkwürdig war die Orts- und Menschenkenntnis, welche der Verbrecher bei dem Streifzug in der Gegend entwickelte; diese Kenntnis machte es möglich, statt in Wald und Höhle das Hauptquartier aufzuschlagen, sich's bei wohlhabenden Familien bequem zu machen und die freien Stunden in recht angenehmer Zerstreuung hinzubringen.

So erschien er kurz nach seiner Ankunft n der Gegend bei dem sogenannten Aumüller zu Amfing und wusste sich das Vertrauen des dortigen Hausvaters dadurch zu erwerben, dass er Briefe präsentierte, welche von dem Schwiegervater in der Hauptstadt herrühren sollten; zwei Tage später – und er durfte es bereits wagen, um die Hand der hübschen Müllerstochter anzuhalten! Bald darauf erbot er sich, die Geldverhältnisse des Müllers mit seinen bei dem Kammergerichte deponierten Erbschaftsgeldern von 30 000 Reichstalern zu ordnen. Um sein Opfer recht sicher zu machen und wahrscheinlich um sich die Schriftzüge eines angesehenen Bankierhauses zur Nachahmung bei der Anfertigung falscher Wechsel zu verschaffen, versprach er dem Müller ein Darlehen von 10 000 Talern und schickte zu diesem Behufe einen Brief an den Bankier Falter & Co. in Berlin; – aber bevor noch die Antwort auf diesen Brief zurücksein konnte, hielt es der Gauner für geraten, Bequemlichkeit und Braut im Stiche zu lassen und sich »französische« aus dem Staube zu machen ...

Diese und ähnliche Berichte wurden natürlich nirgends lieber erzählt und gehört als im Hause Lukners zu Reising, wo man ja in der Person des wackeren Scharfschützen Lukner und des heimgekehrten Brudersohnes auch zwei artige Opfer des verwegenen Räubers sah.

Lukner selbst schien anfangs von den frechen Abenteuern des Gauners nicht sonderlich gern zu hören, solange hauptsächlich nicht, als es zweifelhaft blieb, ob seine eigenes Abenteuer mit dem Räuber eine ernste oder lächerliche Wirkung auf die Leute machen werde; als er aber merkte, dass man seiner ausführlichen und nicht ohne Erfindungsgabe ausgeschmückten Erzählung mit Spannung und Schauder folgte, fing er an, das Erlebnis selber immer merkwürdiger zu finden, und würde in dr Folge wahrscheinlich noch ganz andere Schöpfungen seiner Phantasie hinzugefügt haben, wenn er nicht immer durch ein stilles Lächeln Fabians, der ja Zeuge der Hauptszene gewesen, zum Maßhalten veranlasst worden wäre.

Denn dieser, so kläglich ihn auch Lukner in der Ruine gefunden hatte, schien doch jetzt über das Abenteuer nur gewöhnlich zu denken, da er, wie er ausdrücklich bemerkte, von seinen Habseligkeiten durch den Räuber nichts eingebüßt hatte.

Ruhig, wie er sich den saftigen Berichten gegenüber verhielt, die Lukner und andere zum Besten gaben, erzählte er auch seine Erlebnisse in der weiten Welt, die freilich einem Feinfühlenden und Kundigen mancher Widersprüche halber Bedenken erregt haben würden, von den Bauern aber, da sie wirklich eine hübsche Sammlung von Merkwürdigkeiten enthielten, mit Dank und vollem Glauben hingenommen wurden.

Natürlich war der Erzähler vor dem Amte, welches über seine Abwesenheit und das Abenteuer seiner Heimkehr ebenfalls Aufschluss haben wollte, sehr viel kürzer und bedächtiger, sagte nur das Glaubwürdigste in gutem Zusammenhange und erreichte dadurch, was er wollte, das Vertrauen der Behörde, dass er ein vielgeprüfter, aber verlässlicher junger Mann sei, der Mittel und Kraft besitze, sich in der Heimat ehrlich fortzubringen. So wurde er denn auch nach dem ersten Verhöre nicht weiter belästigt und konnte, wenn es seine Absicht war, die Heimat zum künftigen Aufenthalt wählen, wie und so lange er wollte ...

Ob es aber wirklich Fabians Absicht war, in der Heimat zu bleiben und fortan sich ehrlich zu nähren, das schien denn doch trotz seiner Versicherungen und trotz der Anstalten, die er machte, immer noch nicht ausgemacht.

Denn abgesehen davon, dass er schon wiederholt in stillen Nächten nahe daran war, sich mit Sack und Pack wieder auf und davon zu machen, tauchten die Versuchungen zu entfliehen auch jetzt, nach Verlaufe einiger Wochen noch von Zeit zu Zeit auf, namentlich da es immer nicht ganz ausgemacht war, ob die Untersuchung nicht doch einen ernsten Verdacht auch gegen ihn rege machen würde. Aber unter den Gefangenen schien keiner zu sein, der von Fabian wusste oder dessen Nähe ahnte; er wurde in keiner Aussage erwähnt, und so unterließ es denn die Behörde, ihn einem oder dem anderen derselben gegenüber zu stellen.

Als diese Sicherheit Fabians endlich festgestellt war, brachte sie in seiner Stimmung jenes allmähliche Ausschwanken hervor, wie man es an Meereswogen nach langen Stürmen beobachten kann; zusehends dauernder wurde die Beruhigung, welche jeder nachträglichen Wallung folgte, und der manchmal noch derb stachelnde Drang nach kecken Unternehmungen wich nach und nach der immer siegreicheren Neigung zum Frieden, zu geregeltem, sicheren Leben; nicht unähnlich der Stimmung des Mooshändlers lagerte sich über die beladene Seele Fabians ein weicher Trübsinn, der endlich wirklich den festen Entschluss reifen ließ, daheim zu bleiben, unter ehrlichen Menschen, soweit es noch möglich war, selbst ein ehrlicher Mensch zu werden – und zuzusehen, wie er sich mit den Anwandlungen seines Gewissens etwa abfinden könne.

V.

Es ist keine Begebenheit so groß und wunderbar, dass sie nicht im Lauf der Zeit dem Interesse der Menschen aus den Augen gerückt und von dem Zwerggesträuch alltäglicher Erlebnisse überwuchert würde; auch die obige Begebenheit musste endlich diese Wirkung der Zeit erfahren.

Nachdem die merkwürdigsten Tatsachen derselben erzählt und wieder erzählt, die Gefangenen abgeurteilt und ihren Straforten zugewiesen waren, nachdem sich längere Zeit weder ein kleines noch ein großes Verbrechen in der Gegend erneuert hatte, fiel das Interesse der Leute endlich mit seltener Behändigkeit von den abenteuerlichen Erlebnissen ab und wendete sich mit gewohnter Stetigkeit den üblichen Arbeiten, Sorgen und Vorfällen des Tages wieder zu. Nun entschlummerte auch der erste Feuereifer für Nachtwachen und Streifereien, selbst die fanglustigsten Kämpfer hingen ihre Büchsen wieder an die Wand oder lehnten ihre »Hellebarden« und »Prügeldolche« bei Seite.

»Über die Sache ist jetzt Gras gewachsen, man hört doch gar nicht mehr gerne davon«, hieß es schließlich nach Jahr und Tag, und bald darauf war sogar auch der Hauptmann der Bande ein Gegenstand erblassender Erinnerung.

Wer dieser Lage der Dinge am meisten froh wurde, das war gerade Fabian Lukner.

Die Liebe zur Heimat, der mächtig gewordene Zug zum Guten und die immer tiefer gewürdigte Süßigkeit eines geregelten, ehrlichen Lebens hatten ihn endlich so gefesselt, dass er jetzt nur noch unter den gewaltsamsten Umständen Luft und Boden der Heimat aufgegeben hätte.

Um den Verdacht nicht zu erregen, als ob er unrecht Gut erworben, vertraute er nun seinem Oheim Lukner, dass er durch Fleiß und Sparsamkeit in Amerika einige hundert Gulden erworben, lieh das Geld auch dem erfreuten Lukner gegen sehr geringe Zinsen und bat ihn dann, ihm behilflich zu sein, als Knecht in ein größeres Hauswesen zu kommen.

Zufällig brauchte er auf die Erfüllung dieses Wunsches nicht lange zu warten, der Eckfried zu Riedheim hatte eben die Dienste eines kräftigen Burschen vonnöten, Fabian stellte sich ihm vor, wurde angenommen, und es dauerte nicht lange, so waren Herr und Knecht so wohl zufrieden miteinander, dass Eckfried oft bemerkte:

»Wenn Fabian nicht selbst von mir weicht, ich werde ihn niemals von mir drücken!«

War somit Eckfried mit dem neuen Knecht, was Fleiß und Betragen anbelangt, wohl zufrieden, so bekam Fabian bei der Eckfriedin dadurch einen Stein ins Brett, dass er ihr Lieblingskind, ein Töchterchen, mit warmer Zärtlichkeit behandelte.

Dies war dasselbe kleine Mädchen, welches an jenem Erntenachmittag in der Kammer, durch die drohende Räubergestalt entsetzt, einige Stunden lang dem Starrkrampf verfallen war. Die Eckfriedin ahnte freilich nicht, welche Gedanken und Stimmungen an Fabians Neigung für das Kind ihr Teil haben mochten.

Aus den Aussagen des Mädchens war bekannt geworden, worüber es in jenen Zustand verfallen war, und Fabian konnte den Verbrecher, der damals in Eckfrieds Kammer gewesen, aus mancherlei Gründen erraten; schon aus Vorsicht hätte er daher gegen das Kind die Miene der Neigung aufnehmen müssen, aber sein Betragen war nicht bloße Maske.

Wie derjenige, der lange im Dunkel gelebt, das endlich anbrechende Licht umso inniger begrüßt, so wollen die Empfindungen der Liebe umso stärker zu ihrem Rechte kommen, je länger sie von der Leidenschaft des Hasses gegen die umgebende Welt zurückgedrängt waren. Fabian, einmal wieder innerhalb der sicheren Grenze eines ehrlichen Lebens angelangt, fühlte jetzt tief und unabweisbar das Bedürfnis zu lieben, und da ihn allerlei Bedenken den Erwachsenen gegenüber noch sehr vorsichtig machten, so warf sich seine ganze Empfindung auf die Kleinen um sich her, und besonders auf das Eckfried-Lischen. Denn in den Kindesherzen suchte er keinen Argwohn gegen sein früheres Leben, im Kindesauge spiegelte sich sein Bildnis heiter und rein – nach jahrelanger Übung im Guten hoffte auch er noch selbständig zu werden, ein eigenes, wenn auch kleines Hauswesen zu gründen, an seinem Herd eine Gefährtin zu sehen und – die Natur ist gütig und ohne Arg – ein Kindlein wie Eckfrieds Kind konnte ihm auch noch einmal blühen. Wenn dieses einst für sein Heil zwei kleine Händchen gegen Himmel strecken würde, war dann nicht Hoffnung, dass noch alles sich zum Guten wenden müsse?

»Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht!« – diese Worte des göttlichen Meisters hatten Fabian eines Sonntags in der Kirche tief ergriffen, als er wenige Stundenspäter durch ein bedenkliches Ereignis für lange aus seinen Träumen und Hoffnungen empor gerüttelt wurde ...

Es war um fünf Uhr nachmittags, die Knechte und Mägde Eckfrieds hatten sich nach allen Richtungen des Dorfes zerstreut, Eckfried selbst war mit Weib und Kind um die vielversprechenden Fruchtfelder gegangen, nur Fabian fühlte sich nicht gestimmt, Zerstreuung und Menschen aufzusuchen, er beschloss, in der Nähe des Hauses zu bleiben, und legte sich nicht weit vom Holunderbusch des Gartens sinnend und ruhend unter einen Apfelbaum.

Auf dem Rücken liegend und in die Pracht der von Bienen umschwärmten Blüten empor sehend, gedachte er mit stillem Schauder der Tage seiner Entartung, wo er manchmal auch so unter einem Baume des Waldes lag und mit wüsten Blicken in die Zweige empor sah; die finstere Tanne sandte ihm aber keinen Blütengeruch nieder, und statt des traulichen Finken und der rastlosen Biene schwang sich der Rabe über seinem Haupte von Ast zu Ast. Wie erschreckte ihn damals jedes Rauschen des Windes, das Hacken des Spechts in den Zweigen; zwischen der Tat, die er getan und dem neuen Vorsatz, den er ausführen wollte, ward seine Seele rastlos hin und her geworfen, die Ruhe wollte oft keinen Schlaf, der Schlaf ihm keine Ruhe bringen.

Wie anders jetzt!

Wenn er auch noch weit von dem Frieden des Schuldlosen war, so war er jetzt doch auch weit von der nur selten ganz übertäubten Pein des Verbrechers.

Tief prägte er sich von Neuem den Vorsatz ein, sich fort und fort im Trefflichen zu üben und jede frühere Übeltat durch eine Anzahl guter Werke aufzuwiegen.

In solchem Denken und Sinnen unterbrach ihn ein leises Geräusch im Holunderbusch, er blickte hin und – fuhr sich entsetzt wie ein Träumender über die Stirn; denn eine wahrhaft konfiszierte Gestalt drückte eben die Zweige des Holunderbusches auseinander und spähte schleichend nach dem Kammerfenster.

An der Absicht dieser unheimlichen Erscheinung war keinen Augenblick zu zweifeln, und Fabians Erstarren hielt nur eben so lange an, bis die Gestalt, das halb offene Fenster auseinander drückend, auf das Fensterbrett stieg, um in die Kammer zu gelangen; jetzt aber war er mit einem Satz in der Höhe, und im nächsten Augenblick packten seine wütenden Fäuste den Dieb an beiden Hüften, um ihn zurück zu reißen und misshandelnd zu Boden zu werfen.

So weit war auch bald die gute Absicht erreicht, als die Blicke Fabians und des niedergeschleuderten Gesellen sich begegneten ... eine höchst überraschende Pause trat ein ... Fabians Wangen entfärbten sich, seinen Armen entwich die Kraft, er musste sich an einen Holunderast halten, um nicht hinzusinken; des Gauners Gesicht dagegen nahm den Ausdruck der höchsten Befriedigung an, und er sagte lustig:

»Ei, ei – Lohwene-Schurg (Weißzeug) wollt' ich hier suchen, und einen Chef (Freund) hab' ich gefunden! Du hier, Fabian? Du nicht im Kittchen (Zuchthaus) wie mancher andere Oger (Bruder)?«

»Du willst mich kenne, Schurke? Du willst dich auf Freund und Freund mit mir spielen?« erwiderte Fabian bebend vor Angst und Wut: »Nun, diese Lust will ich dir vertreiben! Sagst du mir noch ein solches Wort – gehst du nicht gleich von der Stelle, aus dem Ort, aus der Gegend fort, so erwürg' ich dich unbesehen wie einen Hund!«

»Dass sich der Sodon (Teufel) erbarm'! Du bist wohl ein rechtes Dinn (Kirchengebot) geworden, ein Philister-Brahl (Bruder)? Das glaub' dir ein anderer, dass du mir Schassoren (Schaden) tun wirst – zum Biereskroh (Amtsdiener) hast du doch nicht weit!«

»Schweig', sag' ich; fort, sag' ich!« rief Fabian mit gepresster Stimme und schleppte den Gegner mit wieder gefundener Kraft hinter den Holunderbusch.

»Hörst du nicht«, fuhr er mit halb ersticktem Tone fort, »hörst du nicht, dass man kommt, dass ich verloren bin, wenn du nicht gehst?«

Er warf dabei einen, vor Schmerz fast brechenden Blick nach dem Feldweg oberhalb des Gartens, wo der Eckfried mit Weib und Kind eben seinem Hofe wieder zuschritt und die Gartentüre erreichte ...

»Man geht heute gar nicht gern heim«, sagte Eckfried, in den Garten tretend: »Das lebt und gedeiht an allen Enden, dass es eine Freude ist; warum bleibst du stehen, Mutter?«

Der Eckfried hatte, in der halb offenen Gartentüre stehend, die Hand über die Augen gelegt und blickte, von Behagen erfüllt, noch einmal nach der Richtung zurück, welche sie eben gewandert.

»Mir ist wie dir, Alter«, sagte die Eckfried, »wär' nicht der Abend vor der Tür, ich sagte, lass' uns noch ein Weilchen haußen bleiben!«

Leider wurden sie in diesem Augenblick durch einen markdurchdringenden Schrei ihres Töchterleins erschreck, welches mit verzerrtem Gesicht und zuckenden Lippen nach der Rückseite des Hauses zeigte, wo sich eine fremde Gestalt aus Fabians Händen losriss und entwich.

»Der – der«, stöhnte das zusammenbrechende Kind noch einmal, schloss dann für einige Minuten die Augen und schien dem Starrkrampf wie vor Jahren zu erliegen.

Während nun die Mutter mit dem Kinde beschäftigt war, suchte und fand Eckfried rasch die Ursache des erschütternden Vorfalls, riss einen Zaunpfahl aus dem Boden und sprang der fliehenden Gestalt durch die Nachbargärten ins freie Feld nach; aber der Flüchtling hatte bereits eine zu großen Vorsprung gewonnen und besaß eine Behändigkeit im Fliehen, dass es unmöglich war, denselben einzuholen. Es blieb also nicht übrig als dem Ortsvorstande Anzeige von einem abermals sichtbar gewordenen Mitglied der vor drei Jahren versprengten Raub- und Mordbande zu machen und Amt und Gegend zur Wachsamkeit ermahnen zu lassen.

Dass Fabian nicht lange ungefragt blieb, wie er den frechen Dieb entdeckt und warum er ihn nicht besser gefasst habe, lässt sich denken.

Seine allmählich wiederkehrende Fassung machte ihn wenigstens so weit fähig, dass er mit einiger Ruhe eine glaubwürdige Erklärung geben konnte.

Er habe, sagte er, in Gedanken unter dem Baume gelegen, als er plötzlich ein Geräusch in nahen Strauch vernommen; er habe aufgeblickt und eine verdächtige Gestalt bemerkt, die im Begriffe war, durch das Kammerfenster einzusteigen; sofort sei er jetzt aufgesprungen, um den Gesellen zu fassen und gefangen zu nehmen, was ihm auch gelungen sei – als der Gauner auf einmal ein blitzendes Messer zog und ihm unausbleiblich die Hand vom Gelenk geschnitten hätte, wenn er ihn nicht rasch wieder losgelassen; diesen Augenblick habe der Schurke dann benutzt, um zu entspringen!

Auf die Frage, warum er nicht sofort wieder nachgeeilt und nach Hilfe gerufen habe, sagte er, dass ihm vor Wut und Überraschung das Wort versagt und dass ihm die Beine wie gelähmt gewesen; er habe wohl erraten, fügte er hinzu, dass der freche Dieb derselbe sein möge, der vor drei Jahren in Eckfrieds Kammer gedrungen ...

Da schon nach Verlauf einer Stunde sich das kleine Mädchen wieder erholte und der Sprache mächtig wurde, so konnte die Versammlung von Nachbarn, die der Lärm und das vorübergehende Unglück herbeizog, mit einiger Ruhe ihre Unterhaltung führen, wobei sich schließloch eine nicht unbedeutsame Frage von selbst aufdrängte.

»Wie ist es möglich«, bemerkte man, »dass ein halbwegs behutsamer Gauner es wagen konnte, am hellen Nachmittage, angesichts der Begebenheiten vor drei Jahren wieder vor dem Hause Eckfrieds zu erscheinen und in dieselbe Kammer dringen zu wollen, wo ihm schon der erste Diebstahl misslungen?«

Eckfried selbst war es, der auf diese Frage eine Antwort gab, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch die richtige war.

Er bemerkte nämlich, dass gewissen Dieben, welche ihr Handwerk lange und meist glücklich betrieben, die Sucht zu stehlen zur zweiten Natur werde, und dass sie namentlich eine misslungene Entwendung später nicht selten mit wachsener Vorsicht und Verwegenheit von Neuem versuchen.

»So hat man«, fuhr Eckfried fort, »vor nicht gar langer Zeit in Holland einen Dieb erwischt, der eben einen neuen kupfernen Kessel bei Seite bringen wollte; man ergriff ihn, steckte ihn ins Zuchthaus und ließ ihn nach überstandener Strafe wieder frei. Was aber war das Erste, das er jetzt tat? Er ging stehenden Fußes zu demselben Kupferschmied und suchte denselben kupfernen Kessel wieder zu stehlen!«

Fabian hatte, um jeden üblen Schein zu vermeiden, während dieser Unterhaltung als ruhiger Zuhörer Stand gehalten und suchte erst, als die Versammlung wegen der vorrückenden Nach auseinander ging, sein einsames Lager.

Hier erst konnte er seinen keineswegs beneidenswerten Gemütszustand gewähren lassen.

Dieser Zustand äußerte sich nicht sobald in einer auffallenden Weise; ein leises Stöhnen zeigte erst die Last des beschwerten Gemütes an, dann sage der Unglückliche mit halb erdrücktem Seufzen:

»Ich suche Ruhe und finde allwegs nichts als Angst; ich will auf guten Wegen weiter und renne immer an dem alten Abgrund dahin! Verband um Verband leg' ich meinem Herzen an, aber jeder blinde Lärm reißt die alten Wunden wieder auf – ich werde nicht, was ich werden möchte! ... Ist das der Lohn, weil ich Umkehr will?« setzte er zähneknirschend hinzu: »Eh' ich so fortlebe, Angst für Ruhe, Sorge für Freude ernte, kehr' ich lieber zu meinem früheren Leben zurück und ende, wie ich gelebt!«

Fabians Aufregung nahm jetzt so überhand, seine vorige Wildheit brach jetzt dermaßen wieder hervor, dass er ohne Zweifel der Versuchung zu entfliehen Folge geleistet hätte – wenn nicht ein besonderer, sehr geheimnisvoller Umstand ihn im rechten Augenblick noch besänftigt und zu bleiben veranlass hätte ...

Fabian hatte sich für den Fall, dass er einst als ruhiger Bewohner der Gegend sich einen häuslichen Herd gründen würde, seit einiger Zeit im Stillen nach einem weiblichen Wesen umgesehen, welches an seiner Seite die bessere Zukunft mit genießen sollte. Es war ihm nicht nur gelungen, ein solches Wesen zu finden und ihm sein Herz mit aller Wärme zuzuwenden, er glaubte auch sicher zu sein, dass seine Neigung erwidert werde. An diese künftige Gefährtin, Hanne Landner, und vom Bosselhofe her bekannt, dachte er in diesem Augenblick wieder, seinen Dienst und seine Heimat verlassen, hieß so viel als auch den erlesensten Schatz seines Herzens verlassen, vom Weg des Guten fliehen, hieß auch auf den tief gehegten Traum künftigen Liebesglücks verzichten.

Dieser Gedanke war es, der Fabian jetzt stutzen und zögern machte; er überlegte, ob es keinen Ausweg gebe, der ihn von der ewigen Gefahr befreien könnte, ohne ihn auf die Bahn der alten Verbrechen zurückzuführen – und ein solcher Ausweg stand nach langem Überlegen endlich vor seiner Seele.

Er wollte sich sobald als möglich der ganzen Neigung der Geliebten versichern, sie, indem er ihr sein Besitztum eingestand, zu dem Entschlusse bewegen, ihm ihre Hand zu geben – und dann weit weg von der Heimat, wo er vor jedem Zusammentreffen mit früheren Genossen und also vor Entdeckung sicher war, seinen so ersehnten häuslichen Herd gründen.

Mit diesem Gedanken, der ihn tief beruhigte, schlief er endlich lächelnd und mehr als je auf seines Glückes Sieg und seines Lebens selig Ende hoffend, ein ...

Mit solcher Hoffnung ist schon mancher froh entschlummert; minder froh indes war sein Erwachen ...

VI.

Am nächsten Morgen war die Gegend von drei an verschiedenen Orten zugleich verübten Verbrechen erfüllt.

In Altenhofen war in der Nacht ein gewaltsamer Einbruch geschehen, begleitet von argen Misshandlungen der Hausbewohner; im Kronauer Walde hatten drei vermummte Gesellen eine frechen Straßenraub ausgeführt, und im Hof des neuen Wirtshauses zu Babldorf fand man morgens einen mit Leinwandkisten beladenen Frachtwagen derart ausgeplündert, dass der Schaden auf mehr als tausend Gulden veranschlagt wurde.

Wahrscheinlich geschah es, um über die Täter irrezuführen, dass in Altenhofen ein Stück Schweinefleisch und zu Babldorf die »zehen Gebote« zurückgelassen waren, um hier auf Juden und dort auf Christen als die Täter hinzuweisen.

Dieser Umstand, zusammengehalten mit den später in Umlauf gesetzten Signalements, ließen Fabian kaum mehr zweifeln, dass die Verbrechen von früheren Mitgliedern seiner Bande ausgeübt waren; auch lag ihm der Gedanke nahe, dass die Gesellen alle früher angeknüpften Verbindungen mit Gelegenheitsgebern und Hehlern sorgfältig wieder aufgenommen haben, um sich längere Zeit mit Sicherheit in der Gegend zu behaupten.

Fabians Lage war von jetzt an vollkommen unhaltbar; er musste annehmen, dass der ihm entschlüpfte Gauner seinen Aufenthalt nicht verschweigen und seine früheren Genossen nicht ermangeln würden, seine Hilfe und Freundschaft zu Gewalttaten aller Art gehörig auszubeuten. Deshalb verlor er auch keinen Augenblick, um seine Vorkehrungen so zu treffen, dass es ihm jede Stunde möglich war, die Gegend zu verlassen und weit weg in der Ferne ungefährdet seine neue Heimat zu gründen.

Unter dem Vorgeben, dass er von einer kleinen Wirtschaft im Landenbergischen gehört, die um billigen Preis zu haben sei, ließ er sich von seinem Oheim Lukner sein Vermögen wieder geben, und dem Eckfried kündigte er den Dienst, weil er, wie er sagte, gesonnen sei, doch noch eine Weile die weite Welt zu sehen.

Es blieb ihm also nur ein eines, freilich auch das Schwerste, auszuführen, er musste mit klaren Worten die Geliebte von seiner Neigung unterrichten, ihr über seinen Besitzstand und seinen Entschluss auszuwandern Mitteilung machen und sie bewegen, als seine Lebensgefährtin mit ihm in die Fremde zu wandern.

Zu diesem Zwecke nahm er eines Sonntags Urlaub von seinem Meister und begab sich in Gesellschaft einiger Burschen nach Waldkirchen, wo vormittags große Kirchenfeier, nachmittags aber Jahrmarkt und Tanz gehalten wurde.

Dort durfte er das Mädchen seiner Neigung so gut als gewiss erwarten, konnte durch Geschenke und Tanz seine Mitteilungen und Bitten nachdrücklich unterstützen und hoffte nicht ohne Grund, in der Geliebten einen Entschluss für seine Wünsche durchzusetzen. Fabian stimmte daher ungewöhnlich froh in das heitere Wandergespräch seiner Begleiter ein, als sie Riesheim verließen, und half nicht selten der ganzen Unterhaltung eine neue frische Wendung geben; erst als die Wanderer das Adelsberger Gehölz erreichten und zu den drei Kreuzwegen kamen, wurde er auf einmal stille und konnte auch bin nach Waldkirchen nicht mehr recht zur vorigen Redelust und frohen Stimmung kommen.

Eine an sich gar nicht auffallende Erscheinung, die auch von seinen Begleitern kaum beachtet wurde, hatte Fabian auf einmal so tief betroffen und so schweigsam gemacht.

Die Erscheinung war ein Frauenzimmer von etwa vierundzwanzig Jahren, das etwas abseits vom Waldpfade an einem Baume stand und jemand zu erwarten schien; das Frauenzimmer war von Statur untersetzt und gar nicht übel gewachsen, hatte die gebräuchliche, wenn auch etwas nachlässig geordnete Landestracht, an, und würde selbst für Fabian kein Gegenstand der Aufmerksamkeit gewesen sein, wenn er nicht zufällig schärfer hingesehen und im Gesichte derselben einen Brandflecken über dem rechten Auge und ein Muttermal am Kinn bemerkt hätte; doch wenn er auch diesen Zeichen noch nicht zu trauen gewagt hätte – der winkende Blick und das verstohlene Zulächeln des Frauenzimmers waren sprechend genug, dass er hier eine Bekannte aus früheren Tagen vor Augen habe.

»Die Zunder-Lies!« rief es entsetzt in Fabians Brust, sein Blick fiel verwirrt zu Boden, und sie Ruhe seines Herzens war dahin!

Diese, seine verwegene Gefährtin der Gaunerbande, schon zu Fabians Zeiten in alle Streiche derselben eingeweiht, konnte nicht ohne besonderen Grund auf ihrem Posten hier stehen; ihren Blicken begegnet zu sein, war so viel als von den sämtlichen Augen früherer Spießgesellen entdeckt zu sein, und wenn Fabian durch den jüngst verscheuchten Kameraden noch nicht verraten war, so wurde jetzt sein Aufenthalt in der Gegend seiner Bande offenkundig.

Fabian kam mit durchwühlter Stimmung in Waldkirchen an.

Der feierliche Gottesdienst in der Kirche, das Gesumme beweglicher Menschen auf den Straßen, ja selbst die erwartete Nähe der Geliebten vermochten ihn nicht sobald wieder ruhiger zu stimmen.

Was ihm Not tat, das war eine versteckte Stelle im Wirtshaus, wo er unter fremden Menschen unbeachtet und ungefragt der aufgeregten Stimmung Zeit lassen konnte, sich zu mäßigen; er machte sich daher so rasch als möglich von seinen Begleitern los, durcheilte das Städtchen bis fast ans äußerste Ende und verlor sich dann unter dem Schilde eines goldenen Hirschen.

Hier fand er wirklich nur unbekannte Leute um die Tische versammelt, ein einsamer Winkel der Wirtsstube nahm ihn auf, und er hoffte nun durch ein gutes Glas sein Herz zu erwärmen und seinem Geist besseren Aufschwung zu geben.

Leider erging es ihm dabei, wie es vielen Menschen geht, die in der Hoffnung auf die gute Wirkung des Trankes dem Glase zu hastig zusprechen; statt sein Blut in frohere Wallung zu bringen, versetzte er es bald in tolle Bewegung, ohne sich von dem Unbehagen seiner Gedanken zu befreien. Dies veranlasste ihn, nur umso mehr dem Getränke zuzusprechen, und bevor eine Stunde verlief, befand er sich in einem Zustande, der nicht geeignet war, bei der Geliebten sein Anliegen glücklich anzubringen.

Die nächste Folge bestätigte dies auch; Fabian beging die erste Unvorsichtigkeit dadurch, dass er, aufgeregt, wie er war, sich alle Taschen voll Geschenke kaufte und sie der Geliebten, als er sie fand, mit einer so lustig sein sollenden Zudringlichkeit aufnötigte, dass das ohnehin leicht verlegene und scheue Mädchen lieber auf jeden Geschenk verzichtet hätte. Und wie Fabians Betragen sich schon beim ersten Gruß verdächtig machte, so trat es später beim Tanz und besonders da auf, als die Reihe an seine vertraulichen Mitteilungen kam.

Diese waren vor allem nicht klar genug gehalten, die Bekenntnisse über sein Vermögen nahmen einen starken Beigeschmack von Prahlerei an, und Fabians Bitten, statt sachte und zart sich an des Mädchens Herz zu wenden, klangen heftig und fast gewaltsam; als nun gar das in Verwirrung geratene Wesen sich Bedenkzeit erbat, um erst noch mit den Eltern zu reden, da bewachte sich Fabian so wenig, dass er seiner ohnehin leicht unbändig werdenden Natur ganz die Zügel schießen ließ und das Mädchen in die bitterste Not versetzte.

Um nicht endlich auch fremde Mensch einen Blick in diesen schmerzlichen Zwist tun zu lassen, um überhaupt es zu keinem Aufsehen erregenden Auftritt kommen zu lassen, ersah die Geliebte einen guten Augenblick, verließ verstohlen den Tanz und das Städtchen und ging betrübten Herzens, ohne Lebewohl gesagt zu haben, allein nach Hause.

Erst jetzt, als Fabian die Flucht der Geliebten gewahrte, wurde ihm auch das Ungehörige seines Benehmens klar; er ergrimmte über sich selbst und hätte vielleicht seiner schwellenden Erbitterung durch Streit und Kampf beim Tanze Luft gemacht, wenn ihn nicht der Gedanke beschäftigt hätte, dass er so ganz unverrichteter Sache heute nicht heimkehren dürfe; er beschloss daher, mit einbrechender Nacht der Geliebten nachzufolgen und vor dem Fenster ihre Schlafkämmerchens die unterbrochene Verhandlung vorsichtiger und geschickter fortzusetzen ...

Es mochte nach zehn Uhr abends sein, ein bedeckter Himmel kam einer geheimnisvollen Wanderung sehr zu Statten, als Fabian seine Zeche zahlte, noch einen kurzen Tanz mitmachte und, ohne seinen Kameraden aus Riesheim etwas zu sagen, sich auf den Weg machte, um der Geliebten zu folgen.

Schon war er die Treppe des Tanzsaales herabgestiegen und hatte eine langen Hausgang zurückgelegt, als ihm eine breitschultrige Männergestalt, die an der Haustüre lehnte, einen Wink gab, der ihm plötzlich das Blut in den Adern erstarren machte!

Der Wink bestand einfach darin, dass die fremde Gestalt einmal an das rechte Ohr und dann an das Kinn rührte; zwei geheimnisvoll leuchtende Augen sagten dem Erstarrten wahrscheinlich noch ganz andere Dinge, die sehr verständlich sein mussten, denn ohne dass auch nur ein Wort verloren wurde, schritt jetzt die fremde Gestalt von der Haustüre weg einem Nebengässchen zu – und Fabian folgte gesenkten Hauptes und dann und wann nur einmal tief aufatmend.

So gelangten beide durch das nächste Gässchen zu dem Marktplatz und gingen schweigend, wie sie die Wanderung begonnen hatten, an der Kirche des Städtchens vorüber nach der neuen Schenkenstraße, welche sie ins Freie gelangen ließ; nicht weit außerhalb des Ortes trafen sie auf eine zweisitzigen Wagen, der sie, ohne dass noch immer ein Wort gewechselt wurde, aufnahm und rasselnd von dannen führte ...

Tief in einer verborgenen Schlucht des Gebirges hatte sich um die zwölfte Stunde jener Nacht eine Anzahl Gesellen um ein Feuer gelagert, die wohl danach aussahen, das ihnen ein ehrliches Obdach nicht so leicht zuteilwerden könne; aber es schien auch nicht, dass sie deshalb Not und Kummer fühlten. Denn zu essen und zu trinken war vor ihnen reichlich ausgebreitet, und wenn ihre Gesichter, vom Feuerscheine grell beleuchtet, des Erbaulichen nur wenig boten, so sangen sie doch so munter, als ob ihnen die Freude umso heller in Herz und Kehle säße; ein echtes Gaunerlied erklang:

Wir schallen (singen) nun ein neues Lied:
Gott sei die Ehr' gegeben;
Das ganz Kochemer Geblüt
Soll jetzt und ewig leben!

Schranzt Mahlen (Kameraden)! Schranzt, was toffer ist,
Als Kochemer Vergnügen,
Man schwächt (trinkt), man schallt, man blattfüßt (gaunert),
Tut in der Lehge (Höhle) liegen!

Wir leben jetzt, zur Sommerzeit,
Wie's Kochem jent gebühret,
Im Sprauß (Wald) und auf der grünen Haid'
Sind Herrles wir logieret.

Steht's uns in der Märtin nicht an,
So hergen (laufen)wir nach andern,
Man schmußt: in dieser ist's getan;
Wir wollen weiter wandern ...

Das Lied wurde plötzlich durch eine Erscheinung unterbrochen, die zwischen dem nahen Gebüsch hervorkam und sagte:

»Verducht (Stille)!«

Sofort sprangen einige der Gesellen auf, um sich in Verteidigungsstand zu setzen, andere machten Anstalt zu raschesten Flucht; allein der wachhabende Kamerad winkte ihnen, ruhig zu sein: der »Herr« komme und bringe einen Fremden mit.

Man lagerte sich also wieder, und bald darauf rauschte es im nahen Gebüsch und – Fabian mit seinem Begleiter trat in die Schlucht.

»Zu essen, zu trinken!« sagte der Letztere, einen leichten Überwurf abwerfend: »Nichts vorgefallen?«

»Nein«, hieß die mehrstimmige Antwort, und die gespannten Blicke der wilden Gruppe richteten sich ausschließlich auf Fabian, der offenbar von den qualvollsten Empfindungen innerlich zerrissen am Feuer niedersank.

»Gebt mir auch zu trinken«, sagte er und legte seinen Kopf in beide Hände.

»Gebt ihm und genug«, fügte sein Begleiter mit triumphierendem Lächeln hinzu: »Kennt ihr ihn denn nicht mehr, den Locken-Fabian, den Harzbub, euern alten Kameraden?«

Eine lebhaft Bewegung entstand, indem man sich um diesen drängte.

»Wo warst du? Wie ging dir's?« fragten viele Stimmen zugleich.

»Lasst mich verschnaufen – und zu trinken her!« sagte Fabian und trocknete sich die Stirn: »Ich will euch dann erzählen! ...«

Er hatte also nicht umsonst gefürchtet, dass man seine Spur entdecken und ihn wieder in den Bund der früheren Verbrecher schleppen würde; so war er denn abermals mitten unter ihnen, gefangen und gebunden in bester Weise – wenn er nicht den Mut der Tugend hatte, bei der ersten Gelegenheit sich selbst der Gerechtigkeit zu überliefern ... Was gedachte er zu tun? ...

VII.

Seltsamer Weise kam im Laufe der nächsten Wochen und Monate auch nicht ein Fall vor, der auf die Nähe einer gefährlichen Bande schließen ließ. Es wurde weder gestohlen noch geraubt, noch hatte die Sicherheitsbehörde Ursache, über die Ergebnisse ihrer Mühe sich zu freuen ... Niemand fiel es auf, dass auch Fabian Lukner sich bei seinem Meister wieder einfand, bittend, dass er ferner bleiben dürfe ...

Schon wollte man sich also der tiefsten Beruhigung wieder überlassen, als ein Vorfall ganz eigener Art die Reihe neuer verwegener Verbrechen eröffnete; in Folge dieser letzteren wurde eine so geschickte und energische Verfolgung eingeleitet, dass man nicht nur einzelne Schuldige in die Gewalt bekam, sonder auch die ganze weitverzweigte Bande aufhob und der Gegend für länger als ein Menschenalter Sicherheit und Ruhe verschaffte ...

Es war anfangs Oktober, herbstliches Stillleben lag über der Gegend um Oldisangen, hie und da zog ein langsamer Pflug braune Furchen, und von den Kartoffelfeldern stiegen Rauchwolken auf; der alte Bürgl, der gern in Märchenbüchern las, hatte am Saum eines Buchenwäldchens eben einige Blätterhaufen geschichtet, als er nachdenklich stehen blieb, eine Prise nahm und auf die Blätter glotzend dachte:

»Mir könnte wohl auch einmal ein Geist die Blätter in Gold verwandeln, wie jener armen Holzleserin geschehen ist; arm und alt wär' ich genug dazu.«

Er hatte diesen Gedanken kaum gedacht, als er, heftig erschreckend, zusammenfuhr und nicht anders meinte, als dass der Boden sich öffne und eine schwarze Gestalt heraufschicke; es war indessen nur ein menschlicher Schatten, der knapp vor seinen Füßen den Wiesengrund dahinglitt.

»Gott sei Dank«, sagte er, seinen Irrtum gewahrend, »ohne ein Stück Teufel macht sich's selten mit dem Golde, hätt' ich lieber einen Fuhrmann, der mit mein Laub nach Hause führte!«

Er blickte jetzt der Gestalt nach, deren Schatten ihn so erschüttert, und gewahrte keineswegs eine unebene Erscheinung; ein Mädchen von mittlerer Größe, in graues Röckchen und braune Jacke gekleidet, ging in einiger Entfernung vorüber, es trug ein Päckchen unter dem Arm und schien von allem, was um sie vorging, wenig oder nichts zu gewahren.

»Na«, dachte der Bürgl bei diesem Anblick, »hab' ich nur sonst mein rechtes Gesicht bei mir, so ist der hübsche Geist dort niemand als die Hanne Landner; wie kommt das Mädel heute daher, sie hat doch nicht dem Dienst verlassen?«

Zur Beantwortung dieser Frage schien ihm ein Mann willkommen, der, ein Handwägelchen mit Waldstreu führend, den Saum des Buchenwäldchens herunter kam.

»Landner«, sagte er zu diesem, »da ist die Hanne, deines Bruders Kind, vorüber, ist sie aus dem Dienst gegangen?«

Landner blieb stehen und sagte:

»Dass ich nicht wüsste«, er erschrak gleichsam im Namen seines Bruders, der, wie er wusste, selbst nur knapp zu leben hatte und die Bravheit des Kindes, schon weil sie weiter half im Leben, sehr hoch anschlug.

»Es muss was vorgefallen sein, ohne schwere Ursach kommt das Kind nicht mitten in der Woche heim«, bemerkte der Bürgl, und der Landner setzte hinzu:

»Hast recht, ich will auch gleich erkunden, was es gibt.«

Er nahm die Deichsel wieder auf und hatte bereits einige Schritte gegen den Fahrweg getan, als aus dem Walde, gerade in der Richtung, welche die Hanne Landner eingeschlagen hatte, ein peinlich-dumpfer Lärm erscholl, den das tausendfache Echo des Waldes unheimlich hin und wieder trug; scharf aufschlagende Rosshufe, über Stock und Stein hinrasselnde Wagenräder ließen bald keinen Zweifel mehr übrig, dass ein Paar Pferde mit einem Wagen durchgegangen sei; schon nach wenigen Augenblicken sah man auch die Pferde den offenen Fahrweg daher brausen, von einem handfesten Burschen, der auf einem Leiterwagen saß, mit genauer Not wieder in Gewalt bekommen.

»Was gibt's? Sollen wir helfen?« rief der Bürgl den Burschen an, und der Landner ließ sein Wägelchen ruhen, um sich als Helfer anzubieten; aber der Bursche, ein Bild der Wut und des Schreckens, winkte beide sehr kurz ab und rief:

»Bleibt mir vom Leibe, ich kann mir selber helfen!«

Und mit heftiger Anstrengung die Zügel meisternd, lenkte er die Pferde vom holprigen Fahrweg nach der Wiese ab, um sie, in weitem Bogen herumführend, durch Zuruf und Schnalzen mit der Zunge zu beruhigen; dies gelang ihm endlich auch, und ohne die wiederholten Fragen, was ihm denn die Pferde so scheu gemacht, anders als mit verdrossenen Mienen zu beantworten, lenkte er nach dem Fahrweg zurück und fuhr nach Reisheim weiter.

»Ein handfester Bursch, der Fabian, aber etwas jäh und störrig«, sagte der Bürgl, dem Davonfahrenden nachblickend, »eine Antwort hätte er uns doch wohl geben können!«

Diese Ansicht war umso mehr in der Ordnung, als der Anlass, der die Tiere außer Fassung gebracht, mit wenigen Worten bezeichnet werden konnte.

Fabian war vor wenigen Minuten langsam und in Gedanken den Waldweg dahingefahren und hatte eben in einen Hohlweg eingelenkt, als plötzlich ein scharfer Schatten über den Weg fiel und die Pferde stutzen machte; indem sie nun rasch über den Schatten wegsetzten, fühlten sie, dass die Zügel nicht in wachsamer Hand waren, und griffen stärker aus; der Bursch, anstatt seine Kraft und Geistesgegenwart sofort fühlbar zu machen, blickte erst nach dem Rand des Hohlwegs und der Gestalt empor, welche den Schatten geworfen hatte – sah die Gestalt – erblasste, verlor die Fassung, und so gelang es den Pferden, sich eine Weile seiner Herrschaft zu entreißen.

War der Bursche beim Anblick der Gestalt im ersten Augenblick erblasst und außer Fassung gekommen, so ergoss sich jetzt, indem er langsam weiter fuhr, nach und nach ein tiefes Rot durch seine Wangen, das lange nicht weichen wollte, und als es wich, einige dunkle Flecken zurückließ; – und dennoch war die Erscheinung, die er vor Augen gehabt, weder abschreckend noch sonst für einen ruhigen Blick verwirrend. Denn niemand anders als die Hanne Landner hatte das Durchgehen der Pferde veranlasst und ihr leibhaftiges Bildnis war es, welchen dem dahinfahrenden Fabian eben vor der Seele stand.

Die Wanderin hatte auf ihrem stillen Gange durch den Buchenwald einen Fußpfad verfolgt, der nach einigen Windungen sich dem Fahrweg näherte und nach einer Strecke, die am Rande des Hohlwegs hinlief, ihn durchschnitt. Diesen obenhin führenden Pfad betretend, ahnte sie nicht, dass es ihr Schatten war, der das in der Tiefe schreitende Gespann außer Fassung brachte, und als sie, durch das Getöse befremdet, aus einem dumpfen Nachsinnen erwachte, erschrak sie nicht sowohl über das Durchgehen der Pferde, als, so schien es wenigstens, über den herauffahrenden Blick des Burschen, der plötzlich dem Ihrigen begegnete; sie blieb wie von unsichtbarer Macht gehalten, stehen, legte beide Hände ans Herz, atmete einmal tief und langsam und starrte regungslos vor sich hin, worauf sie, scheinbar wieder gefasst, ihren Weg verfolgte, um den nach Osten gelegenen Saum des Waldes zu erreichen.

Hatte die Wanderin auf diese Weise keine Acht weiter auf das Schicksal der durchgehenden Pferde, so war doch jemand, der betroffen und forschend jetzt aus dem Gebüsche trat, umso gespannter, was sich da begeben; der Jäger von Oldisangen war es, welcher in der Nähe des Hohlweges erschien und barsch die Wanderin fragte:

»He da, was hat's gegeben?«

Hanne blieb stehen, sah mit glanzlosem Blick zu dem Fremden auf und legte nur schweigend die Finger der rechten Hand an die Halsgrube.

»Ah, sieh da – du bist's, Hanne? Was ist denn geschehen – sind hier Pferde durchgegangen?« fragte er etwas milder.

Hanne, ihren Blick noch immer regungslos zu dem Jäger emporrichtend, erwiderte abermals nichts.

Da erinnerte sich der Jäger, dass es der Hanne von jeher die Rede verschlug, wenn sie heftig gefragt oder angerufen wurde, und er wiederholte die vorige Frage mit sanfterer Stimme. Hierauf fand die Hanne wirklich ihre Sprache wieder und erzählte mit leise zuckenden Lippen, dass einem Burschen eben die Pferde durchgegangen, sie wisse aber nicht – wem und warum sie durchgegangen.

»So«, sagte der Jäger und horchte nach der Richtung, welche die Pferde eingeschlagen hatten – »dem Geräusche noch ist man den Bestien immer noch nicht Meister, ich will doch sehen, ob ich helfen kann?«

Damit wendete er sich dem westlichen Ausgang des Waldes zu und verschwand hinter den nächsten Bäumen, während Hanne, dumpf hinsinnend, der entgegengesetzten Richtung des Waldes folgte ...

Die Abendsonne hatte sich siegreich durch graue Wolkenbildungen gerungen und übergoss jetzt, gänzlich frei geworden, Hügel und Berge mit einem Flammenmeer, das aus Fenstern von Wohnungen und Kirchen dunkelrot zurückloderte und den gelben Buchwald in seltsam bräunlichen Feuerschein hüllte; das verklärende Licht und die wohltuende Wärme schienen auf das Leben im Freien eine rasch belebende Wirkung auszuüben, die von Kartoffelkraut genährten Feuer knatterten lustiger als zuvor, die aus den Dörfern eilenden Kinder erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei, und auch die Erwachsenen gönnten sich jetzt nach wohl vollbrachter Arbeit einen Augenblick, um hier auf dem Pfluge ruhend, dort auf einen Hackenstiel gestützt, ein behäbiges Wörtlein mit dem Nachbarn zu reden.

Es konnte unter solchen Umständen nicht auffallen, wenn die Hanne Landner, plötzlich aus dem Dunkel des Waldes tretend und von dem verklärten Bilde der Heimat überrascht, eine Weile stehen blieb und Menschen und Dinge still betrachtete; war sie doch lange nicht mehr hier gewesen, kannte sie doch Äcker und Wiesen, Erwachsene und Kinder genau – sah sie doch ihre eigenen Eltern dort in der Nähe des Dorfes ihren kleinen Acker umgraben, von einem Schwesterlein, das bald am Feuer schürte, bald die gebeugten Kartoffelstöcke aufzurichten suchte, viel befragt und viel belästigt.

Hanne verlor sich nach dem ersten Aufatmen unwillkürlicher Freude wieder in dumpfes Sinnen, ermannte sich nach einer Weile nicht ohne sichtbares Ringen – und mit klopfenden Pulsen und mit schwellenden Stirnadern ging sie endlich dem Dorfe entgegen, dem Acker ihrer Eltern zu – um hier nicht zuerst durch Gruß und Zuruf sich anzukündigen, sondern zu warten, bis eins der Ihrigen zufällig aufblicken würde.

Der Vater war es, der im Begriff, einen Kartoffelsack bei Seite zu stellen, die Hanne in der Nähe stehen sah und, vor Schreck und Freude ergriffen, ausrief:

»Jesu, Jesu – mein Gott – die Hanne!«

Aber es war ihm nicht möglich, von der Stelle zu rücken und die Frage, wieso das Kind auf einmal komme, auszusprechen; diese Frage war erst der Mutter vorbehalten, welche, reiner von der Freude erfasst, der Tochter entgegen ging und mit leuchtenden Augen sagte:

»Mädel, grüß' dich Gott! Wie kommst du her?«

Ihre Augen umflorten sich freilich etwas, als sie der Hanne die Hand reichte und zögernd hinzufügte:

»Du bist doch nicht aus dem Dienst gegangen?«

»Ja, bist du das?« fragte jetzt auch der Landner, indem er näher trag – »Du weißt doch, wie daheim nur Not und Sorge Haushalt führen!«

Der starke Nachdruck, mit welchem diese Erinnerung gesprochen wurde, lag keineswegs in der sonst weicheren Art des Mannes, er fühlte auch selber, dass er zu rasch gewesen, und wollte milder fragen, als die Mutter bereits vermittelnd sagte:

»Vergiss nicht, Alter, dass man so bei ihr niemals eine Antwort kriegt!«

Sie mahnte damit an die wunderliche Befangenheit ihrer Tochter und fragte gleich selbst mit sanfter, mütterlicher Stimme:

»Bist du krank, oder ist sonst was vorgefallen, Kind?«

Hanne hatte ihre Hand an die Halsgrube gelegt, wie sie zu tun pflegte, wenn sie angefahren oder heftig gefragt wurde – und erst nach einer Weile vermochte sie zu sagen:

»Ich bin krank.«

Um ihren linken, etwas herabgezogenen Mundwinkel spielte bei diesen Worten ein düsteres, fast unheimliches Lächeln, ihre Blicke sanken zu Boden, und auf ihrer Stirne bildeten sich bebende, einzelne Perlen kalten Schweißes.

Aber diesen Zeichen keine andere Deutung gebend, als dass sie eben den kranken Zustand des Kindes bewiesen, ging die Mutter nun nicht mehr an ihre Arbeit zurück, sondern fasste ihr Kind am Arm und sagte mit sorglicher Hast:

»Sieh nun zu, Alter, wie du allein da mit der Arbeit weiter kommst; das Kind muss ins Bett, ins Bett!«

Und ohne abzuwarten, ob der Vater dagegen Einwendungen mache, führte sie bedauernd und fragend die Tochter nach dem Dorfe zu; der Landner aber war nicht der Mann, sein Vaterherz für sein Kind zu verschließen, im Gegenteil vergaß sein Gemüt jetzt über der Sorge für das Kind jede andere Sorge, blickte der scheinbar wirklich kranken Tochter eine Weile nach und beeilte sich dann, den Rest der Arbeit zu verrichten, um so schneller selbst nach Haus zu kommen ...

Man pflegt dem Gerüchte Flügel zu malen und es mit vielerlei Zungen auszustatten, um die Fähigkeit anzudeuten, eine Kunde nach verschiedenen Richtungen mit wunderbarer Schnelligkeit zu führen; diese Vorstellung ist keine zufällige Erfindung der Phantasie, sondern ein Ergebnis häufiger Beobachtungen, und auch heute traf ein Ereignis mit dieser Ansicht seltsam zusammen.

Denn die Hanne Landner hatte mit ihrer Mutter kaum das Dorf erreicht, als der Metzger aus Kältern, ein Kalb an der Leine führend und von seinem Hund umbellt, ihnen entgegen kam und sagte:

»Ei, sieh da, Hanne, kommst du heim? So ist's ja doch gewiss, dass es in Heimberg gebrannt hat!«

»In Heimberg gebrannt?« fragte die Landner erschrocken: »Wie Mädel, das hast du mir gar nicht gesagt?«

Hanne legte die Hand an den Hals und versuchte zu reden, aber die Mutter wiederholte sogleich noch einmal:

»In Heimberg gebrannt – und das sagst du mir nicht?«

»Ich hab' euch nicht erschrecken wollen, ich hätt' euch's hernach gesagt«, erwiderte die Hanne mit fast stumpfer Ruhe, während ihr leicht herabgezogener Mundwinkel wieder zuckte und Schweißperlen auf ihre Stirne traten.

»Ist's wahr?« fuhr der Metzger fort, den Hund mit dem Stock zum Schweigen bringend –

»Haus und Hof von deinem Herrn sind abgebrannt und das Nachbargehöfte dazu?«

»Um Gotteswillen!« rief die Landner und schlug die Hände zusammen, »das alles ist geschehen, und du sagst kein Wort?«

Der Hanne zog es den Blick zu Boden, sie schwieg einen Augenblick, worauf sie langsam erwiderte:

»Ich darf nicht viel dran denken; mir liegt der Schreck noch in den Gliedern; kommt nach Haus, Mutter, ich muss mich legen ...«

Diese Worte und der Anblick des Kindes reichten hin, die Mutter eine Weile jede andere Sorge vergessen zu lassen; so eilig als möglich ging sie daher, den schlaffen Schritt der Tochter unterstützend, ihrem Häuschen zu, um durch jede Hilfe beizuspringen, die ihr zu Gebote stand.

Das Gerücht aber bereicherte seine Nachricht von dem Brande sofort auch durch die Kunde von der Heimkehr und dem Unwohlsein der Hanne Landner und fügte außerdem hinzu, dass die Arme bei dem Brande Hab und Gut eingebüßt und fast selbst den Tod gefunden habe.

Es war daher kein Wunder, wenn Jung und Alt im Dorfe das Schicksal des guten Kindes, wie es überall hieß, sich ernstlich zu Herzen nahm, denselben Abend und am folgenden Morgen sich nach dem Befinden desselben erkundigte und nebenher gerne etwas Näheres über Entstehung und Umfang des Brandes vernommen hätte.

Diese Neugierde musste sich indessen auch noch den zweiten Tag ohne Antwort begnügen, indem die Hanne noch immer unwohl zu Bette lag und selbst den Eltern nur dürftige Auskunft gab; erst am dritten Tage verließ sie das Bett, sah gefasster und besser aus und teilte einigen näher stehenden Personen etwas ausführlicher mit, was sie von dem Brande wusste. Danach war das Feuer gegen Abend im oberen Teile der Scheuer plötzlich und ohne erklärbare Ursache ausgebrochen, hatte sich nach den angrenzenden Stallungen und Wohngebäuden mit solcher Eile ausgebreitet, dass es kaum möglich war, etwas zu retten – so dass die Hanne selbst nur mit genauer Not ein Weniges aus ihrer Truhe habe holen können; – was sie in einem Bündelchen nach Hause brachte, sei ihre ganze Habe.

Diese Mitteilung hatte die Hanne kaum gemacht, als sie den Eltern auch schon ihren Entschluss ankündigte, nach Heimberg zurückzukehren, um zu sehen, ob ihre Herrschaft, die noch mit einem Teil ihres Lohnes im Rückstand sei, ferner ihrer Dienste bedürfe; wäre dies nicht der Fall, so hätte sie Aussicht bei dem Schwiegervater ihres vorigen Herrn ein Unterkommen zu finden.

Die Eltern der Hanne, so schwer es ihnen wurde, das Kind schon jetzt von Hause fort zu lassen, hatten doch kaum eine andere Wahl, als demselben ihren Segen auf den Weg mitzugeben; nach einem spärlichen Mittagstische trat denn Hanne wirklich ihre Rückkehr nach dem früheren Dienstort an, von der Mutter bis zum Buchenwäldchen still und wehvoll begleitet.

»Grüß deine Herrschaft von uns«, sagte sie beim Abschied dann – »Ich glaub', ihr seid mit einander zufrieden gewesen, wenigstens hab' ich noch keine Klage gehört!«

Hanne gab der Mutter ohne Antwort die Hand und sagte nach einer Pause nur:

»Behüt' euch Gott, Mutter!«

Sie ging dem Walde zu und blickte erst, als sie bereits von hohen Buchen umringt war, noch einmal nach der scheidenden Mutter und dem Dorfe zurück ...

Es war für lange Zeit das letzte Mal, dass Hannes Blicke auf der Heimat ihrer Geburt und Kindheit ruhten; – zwei Tage später durchflog das erschütternde Gerücht die Gegend, Hanne Landner sei in Heimberg von Gendarmen aufgegriffen und verhaftet worden, weil sich schwere Anzeichen gegen sie herausgestellt, dass sie selbst im Hause ihrer Herrschaft das Feuer angelegt habe!

VIII.

Man hat die Beobachtung gemacht, dass der Wetterstrahl, indem er in Häuser, Bäume oder Menschen fährt, von getroffenen Gegenständen schafte Lichtbilder zeichnet und dieselben als Zeichen seiner majestätischen Macht und Anwesenheit zurücklässt; ein Gemeindestier wandelte eines Tages mit dem Bildnis einer getroffenen Eiche auf der Halsglocke von der Weide nach Hause, ein ander Mal fand ein Bauer das Bild seines Lieblings, des heiligen Hieronymus, der im Rahmen an der Wand hing, genau getroffen, auf dem Gehäuse seiner Taschenuhr, und eine Mutter, die nach einem Gewitter vom Felde heimkam, musste den traurigen Trost erleben, dass ihr der Blitz das Bild des erschlagenen Kindleins mitsamt der Wiege neben dem Spiegel an der Wand zurückließ.

Mit dieser Beobachtung ha die Erfahrung einige Ähnlichkeit, dass uns bei Ereignissen, die wie der Blitz eintreten, die Bilder der betreffenden Personen und Gegenstände plötzlich leibhaftig vor Augen stehen, als legte uns ein höheres Wesen ihre Prüfung nahe ...

Der Pfarrer von Oldisangen war gerade von seinem Studiertisch aufgestanden und öffnete ein Fenster, um die warme Herbstluft zu genießen, als ihm die Nachricht von der Verhaftung der Hanne Landner gemeldet wurde; mit Blitzesschnelle trat anstatt der Landschaft vor dem Fenster das Bildnis des verhafteten Mädchens zwischen die Fensterrahmen, und die Augen des Seelsorgers starrten eine Weile unbeweglich auf dasselbe.

Die Hanne Landner war unter den Augen des Seelsorgers aufgewachsen, war von Kind an ein Liebling desselben, in der Schule ein Muster für andere gewesen, auf dieses Mädchen hatte er stets mit dem Stolze eines Gärtners gezeigt, dem eine Blume recht nach Herzenswunsch gewachsen ist; und nun sollte das Unglaubliche geschehen sein, das schüchterne, fromme, fleißige, tadellose Kind sollte eines der elendsten, verdammenswertesten Verbrechen, das Verbreche der Brandlegung begangen haben!

Der erste Eindruck dieser Nachricht auf den Geistlichen war höchst niederschlagend.

»Was helfen glückliche Anlagen der Natur«, sagte er, »was Erziehung und Segen der Religion, wenn unsere besten Zöglinge so tief, so plötzlich fallen können? Dann erhalten sich die Schwachen von Geist und Anlagen allein durch Indolenz und gedankenloses Traben auf dem breiten Gewohnheitswege des Rechten!«

Aber diese traurige Betrachtung wich alsbald dem helleren Gedanken, dass Hanne Landner wohl durch Umstände im Verdacht des Verbrechens sein könne, ohne es wirklich begangen zu haben.

»So ist es, und das will ich glauben und verfechten, bis mir das Gegenteil dargetan wird!« rief er.

Er beschloss nun vor allem die Eltern der Hanne aufzusuchen und sie durch Zuspruch, soweit es anging, aufzurichten.

Die Mutter der Hanne fand er nicht mehr zu Hause, sie war bei der ersten Kunde von der Verhaftung der Tochter aufgebrochen, um an Ort und Stelle selbst die Anklagen gegen ihr Kind zu hören; der Vater aber lag krank zu Bette, und mit ihm beschäftigte sich der geistliche Tröster warm und lange. Auf dem Heimwege sprach er dann noch mehrere Dorfbewohner, um durch sein kundgegebenes Vertrauen auch die Meinung anderer zu Gunsten der Hanne wieder aufzurichten.

Es freute ihn sehr, dass er die Meinung anderer über die Unschuld der Hanne Landner ebenfalls nicht zweifeln sah, und dadurch selbst gestärkt in seinem Vertrauen, kehrte er in seine Wohnung heim, um nun an seinen geistlichen Kollegen in Heimberg zu schreiben und ihn um genauere Auskunft über den Brand und die Verdachtsgründe gegen die Hanne zu bitten.

Die erste Antwort des Kollegen war eigentlich nur eine Empfangsanzeige dieses Briefes und enthielt das Versprechen, bald ausführlicher schreiben zu wollen; diese Versprechen wurde aber erst nach ziemlich langer Zeit erfüllt, und die erbetene Auskunft lautete keineswegs erbaulich; in strikter Kürze lautete die Mitteilung des Geistlichen von Heimberg folgender Maßen:

»Eine begangene Unredlichkeit hatte der Hanne Landner von Seiten ihres Dienstherrn ein Züchtigung zugezogen; Tags darauf war in den Flügerschen Ökonomiegebäuden Feuer ausgebrochen; die Hanne Landner verließ am Tag nach dem Brande heimlich den Dienst, kam hierauf wieder zu ihrer Herrschaft zurück und wurde auf mehrfach angeregten Verdacht hin verhaftet. Bei ihrer ersten Vernehmung hatte sie bestimm in Abrede gestellt, irgendwelche Auskunft über die Entstehung des Feuers geben zu können; nachdem sie aber verhaftet worden, hat sie angegeben, sie habe vom Scheuerboden Futter holen wollen, dabei aus Versehen die Laterne umgeworfen, die Lampe sei herausgefallen, habe das dort liegende Stroh entzündet, und nun habe das Feuer rasch um sich gegriffen. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Flügerschen Hausbewohner war aber bei Beschaffenheit der gebrauchten Laterne ein Herausfallen beim Umstoßen der ersteren nicht möglich gewesen; auf dem Scheuerboden hatte sich ferner auch kein Futter befunden, noch viel weniger Stroh. Nun seines vorstehende Belastungsmomente noch dadurch gesteigert worden, dass die Angeklagte zu der in Rede stehenden Zeit, wo sie auf dem Boden gewesen, um Futter zu holen, gar keiner Laterne bedurft haben könne. Aus diesen und anderen Erhebungen schien also hervorzugehen, dass die Hanne Landner von dem Entstehen des Feuers wusste und dabei auf jeden Fall beteiligt war; da nun bewiesen sei, dass durch den vorgewandten Umstand der Band nicht zufällig konnte entstanden sein, so gehe das Untersuchungsgericht die Schuld der Hanne Landner ziemlich sicher hervor, und er (der Schreiber diese Briefes) könne nur wünschen, dass aus der baldigen Verhandlung des Gerichtes die Unschuld der Angeklagten, die auch in Heimberg viele Gläubige finde, sich ergeben möge.«

Diese Mitteilung war nun nicht geeignet, den Geistlichen in seinem Glauben an die Unschuld der Angeklagten zu bestärken oder auch nur zu erhalten; ziemlich entmutigt, ließ er seine erste Absicht, dem Prozessgeschehen nicht ruhig zuzusehen, vorerst falle und dachte betroffen:

»Die Schicksalswege der Menschen sind unberechenbar, die Stärksten sind gefallen, und ein schwacher Augenblick hat hingereicht, sie zu Fall zu bringen; sollte nur bei diesem Mädchen das Unheil unmöglich gewesen sein? Seit einigen Jahren ha sie nicht mehr stetig unter meinen Augen gelebt, wer weiß, welche Versuchungen ihr Herz und ihre Sinne seitdem geschwächt, ihre Tugend gelockert haben? Sie bedauern und andere durch ihren Fall vor dem Sturze warnen, das ist am Ende alles, was uns jetzt noch übrig bleibt!«

Aber dies trübe Ansicht wich doch bald wieder einem mutigeren Vertrauen auf die Tugend der Landner, als durch die Mutter derselben und andere manche entlastende Nachrichten einliefen; die Absicht, ein vorzügliches Wesenseiner Seelsorge nicht ohne wackere Verteidigung der Verurteilung preiszugeben, erwachte stärker als zuvor, und mit lobenswertem Feuereifer sammelte der geistliche Beschützer weitere Notizen, trug sie in wirksame Ordnung zusammen und gab ihnen eine glückliche Folie durch die Jugendgeschichte der Angeklagten. Dieses schriftliche Material war noch nicht ganz zusammengetragen, als der Geistliche leider für einige Wochen in der Arbeit unterbrochen wurde, indem er von einer Krankheit befallen, zu Bette liegen musste. Endlich wieder genesen, vollendete er seine Aufgabe mit neuem Eifer, sendete die Entlastungsschrift dem Verteidiger der Hanne Landner und suchte durch warme Empfehlung der Angeklagten auf den Prozess derselben nach Kräften einzuwirken.

Er ahnte freilich nicht, dass gerade um jene Zeit, wo er die Richter eindringlich ermahnte, die Schuld und Unschuld an einem Verbrechen ja auf das Sorgsamste zu erwägen – neue Verbrechen sich vorbereiteten und in Gemeinschaft mit Gerüchten in Umlauf kamen, die das Schicksal der Hanne Landner beinahe vergessen machten ...

Am Morgen des 12. Oktober wurde bekannt, dass der Fabian Lukner wegen ehemaliger Verbindung mit verdächtigem Volk der Behörde plötzlich verdächtig geworden und ihrer Fahndung eben noch zeitig genug entschlüpft sei; in der folgenden Nacht wurden fast zur selben Stunde Einbrüche in mehrere reiche Kaufmannsgewölbe verübt, an denen ein geschäftiges Gerücht den Fabian Lukner beteiligt sein ließ; und damit es bald auch Stoffe zur höchsten Verwirrung, zum größten Entsetze gab, bereitete sich zu gleicher Zeit en nächtlicher Überfall vor, der mit Raub und Totschlag endigen sollte ...

»Bei der Windmühl
Geht der Weg 'naus,
Nacher Mannheim
In das Zuchthaus!«

Mit dem Trällern dieser Verse durchbrach in einer finstern Oktobernacht ein breitschultriger Wanderer das Bebüsch in der Nähe einer Waldhöhe und trat auf eienen freien Platz heraus, wo sich eine Rotte Gesellen um ein Feuer gelagert hatte.

Das Willkommen, welche diese dem Neuankommenden zu erkennen gab, bestand in einem dumpfen Gemurmel, aus welchem der Name »Bickel-Dipps!« hervorklang. Dabei erhoben einige den Oberleib und winkten grüßend mit der Hand, andere steckten sich nur behaglicher als zuvor auf dem Boden und sagten:

»Gute Kraut (Flucht) gehab? Keine Lampen (Verfolger) hinterher?«

Der Gefragte warf sich ermüdet nieder und sagte, indem er einem, der eben trinken wollte, das Glas aus der Hand nahm:

»Alles gojo (gut)!«

Nun wurden kurze Andeutungen gegeben, wie jeder der Anwesenden der Gefahr der Verhaftung entgangen, worauf beratschlagt wurde, was noch geschwinde in der Gegend ausgeführt werden könnte, ehe die »Prinzerei« (das höhere Gericht) sich an ihnen »lächerlich« mache, d. h. sie in die Gewalt bekomme.

Der eine – man nannte ihn das »Posthörnchen« – bemerkte, dass es am besten sein würde, dem Willen des »Bonnherrn« (Hauptmanns) zu folgen und die Gegend ohne weitere Unternehmungen jetzt schon zu verlassen; allein dies Meinung fand eine so stürmisch, zornige Aufnahme, dass das »Posthörnchen« wohl tat, sich in bescheidener Entfernung zu halten, um nicht »durchgeblasen« zu werden.

»Das fehlte noch«, war ungefähr die Meinung der meisten, »dass wir Sr. Exzellenz, dem Bonnherrn, wie sonst gehorsam sein sollten; er prasst im Überfluss und lässt sich seine gnädige Frau in Samt und Seide führen, während wir schaffen und darben sollen; der Winter ist da, und wir haben noch wenig Vorrat – es muss noch etwas ausgeführt werden!«

Bald erhoben sie sich auch mit diesem Vorsatz und beschlossen auf gut Glück den Bergwald zu verlassen und auf der Straße eine »Charoette zu malichnen« (Wagen zu berauben) oder sonst was auszuführen.

In diesem Augenblicke stieß ein neuer Teilnehmer zu den vorigen: der Mister »Harzbub«, wie sie ihn nannten; uns bekannt unter dem Namen – Fabian Lukner! In seiner Gesellschaft befand sich die schon einmal erwähnte »Zunder-Lies«.

»Jetzt wieder kess! (klug, vertraut)«, sagte der Bickel-Dipps stehen bleibend und Fabian die Hand reichend – »macht den Boddüs« (Ring), setzte er hinzu, zu den übrigen gewendet; und Fabian wurde rings umstellt und musste einmal einen Schluck Branntwein aus dem gemeinsamen Glase nehmen.

Dann ging es ohne weitere Umstände von dannen durch die steilsten und unwegsamsten Teile des Gebirges.

Zwar geschah es bald darauf, dass zwei der Gesellen, »Marzebull« und »Iltis-Hanjost«, die früher zu viel getrunken hatten, unterwegs in Streit gerieten und sich tüchtig zerbläuten, aber dieser kleine Zwischenfall hatte keine weitere Folge, als dass jeder der beiden Streiter seine erhaltenen Schläge ruhig hinnahm und auf seinem Rücken durch dick und dünn mitführte ...

Es war bereits ein Uhr in der Nacht, als die Gesellschaft bei Mattenhag vorüberzog.

Der mitgenommene Branntwein war längst getrunken, und Durst plagte die Räuber. Da wurde denn sofort ein Keller erbrochen und daraus ein Hafen Milch, ein Krug Wein – mehr war nicht zu funden – mitgenommen und getrunken.

Erst am Morgen des 15. Oktober kam die Gesellschaft auf dem sogenannten Juche-Häuschen im Gebirge an.

In diesem Häuschen wohnte der sogenannte »Schäfer-Hainchen« mit seinem Weibe, beide ebenfalls Kochems, Diebe; sie empfingen die Räuber mit großer Freude, gaben ihnen Apfelwein, Suppe und Eier, und der Wirt selbst unterhielt die Gesellschaft mit allerlei kurzweiligen Sprüngen und Späßen. Da das Geld der Räuber nicht reichte, um die Zeche zu bezahlen, so wurde ihnen willig Kredit gewährt, und sie versprachen, später von den zu machenden Geschäften zu zahlen.

Während des Tages hielten sich die Räuber im nahen Walde auf, mit sinkendem Abend aber stiegen sie das Gebirge weiter hinab bis in die Nähe der Straße, wo sie die Nacht einen guten Fang zu machen hofften; sie schnitten hier mannshohe junge Buchen ab, die sie sich zu Knütteln handsam machten.

Es ging schon auf elf Uhr in der Nacht, als die Räuber, in die Gebüsche zu beiden Seiten der Straße postiert, das Gerassel einer daher rollenden Chaise hörten.

Alle stellten sich in Bereitschaft, die Chaise kam näher, und schon sollte der Angriff geschehen – als sie entdeckten, dass eine zweite Chaise dicht hinter der ersten nachkomme.

Bickel-Dipps, welcher den Anführer machte, hielt sich und seine Genossen nicht für zahlreich genug, die beiden Wagen zugleich anzugreifen, und untersagte den Angriff. Es war die Diligenze mit einem Beiwagen.

Nun kam aber dieselbe Nacht weder Fuhrwerk noch Wanderer mehr die Straße daher, und die Räuber zogen sich gegen Morgen in den Wald zurück.

Hier fanden sie bis zum folgenden Abend in einer Kochemer-Bayes gute Aufnahme, wo die vertraute Witwe Zeefus hauste mit dem »Polengänger«, einem sonst auch gern »mittuenden« Gesellen. Nachdem nun dieser sie mit Branntwein erquickt, ihnen selbst eine Suppe gekocht und Eier gebacken hatte, eröffneten ihm die Kameraden ihr Vorhaben und luden ihn ein, mit ihnen Teil daran zu nehmen. Der Polengänger schien aber zu einem Straßenraube nicht beherzt genug oder Entdeckung zu fürchten, er schlug daher einen Diebstahl in der Mühle zu Erlenbach vor, wozu er Gelegenheit angab und wohin er mitziehen wollte; aber der Vorschlag wurde, als zu wenig versprechend, verworfen.

Nach eingebrochener Nacht verließen die Räuber ihren Bayes wieder, der Polengänger zeigte ihnen den Weg nachdem Teil der Hochstraße zwischen Dörlisau und Geiling, wo sie sich nun, mit frischgeschnittenen Prügeln versehen, aufstellten.

Sie harrten lange, es kamen endlich zwei Fußgänger; einige verlangten, sie anzugreifen, andere widersetzten sich, weil sie zu geringe Leute vermuteten; der Angriff unterblieb.

Es war jetzt bald Mitternacht vorüber und noch zeigte sich nichts. Die Gesellen fühlten Hunger, sie beschlossen in die Küche des Wirtshauses zu Geiling einzubrechen und sich mit Lebensmitteln zu versehen.

Schon waren sie im Hofe dieses Wirtshauses und hatten den Einbruch begonnen, als der auf der »Schmier« (Wache) stehende Räuber rief:

»Es kommt eine Charotte!«

Alle verließen den Hof und liefen der durch Dörlisau kommenden Chaise zuvor.

Hunds-Belten und der Schnurchler sollten den Pferden in die Zügel fallen, allein sie hatten den Mut nicht; Bickel-Dipps, der verwegenste und zugleich stärkste der Gesellschaft, erbot sich zu diesem gefährlichen Geschäft.

Mit Gewandtheit führte er, der schon manchen Straßenraube beigewohnt hatte, sein übernommenes Werk aus. Die Pferde wurden angehalten, der Postillon erhielt vom Marzebull und auch vom Iltis-Janhost einige Streiche und wurde gezwungen abzusteigen; er musste sich vorn zu den Pferden stellen und diese selber halten.

Zwei Reisende, welche schlafend bis zur Stelle des Angriffs gefahren, erwachten erst, nachdem Bickel-Dipps die Pferde bezwungen und andere mit Prügeln auf die Chaise geschlagen hatten, um die Reisenden in Furcht zu setzen und zum Herausspringen zu zwingen.

Diese Absicht ward auch bald erreicht; die beiden Reisenden, aufgeschreckt aus ihrem Schlafe, sprangen nacheinander aus der Chaise und erhielten, jeder, so wie er die Straße betrat, einen so kräftigen Schlag auf den Kopf, dass sie betäubt zu Boden stürzten. Zum Glücke für den einen war die Betäubung, in welche er verfiel, von längerer Dauer.

Der zweite Reisende erwachte aus seine Betäubung in dem Augenblicke, als die Räuber ihm Geld und Uhr abnahmen; sogleich erhielt er von Marzebull neue Streiche; der Unglückselige bat um sein Leben, erbot sich, alles herzugeben, was er besitze und suchte durch die Angabe, dass er Vater von sechs Kindern sei, das Mitleid des misshandelnden Bösewichts rege zu machen.

Umsonst; der Marzebull fuhr fort, mit unmenschlicher Grausamkeit auf ihn loszuschlagen; dabei rief er noch seine Kameraden um Hilfe.

Ehe diese aber ankamen, hatte er schon eine geladene Pistole, welche er bis sich führte, hervorgezogen, und schlug mit Kolben und Schloss den um Barmherzigkeit Flehende so lange auf Kopf und Brust, bis dieser bewusstlos hinsank. Er wurde nun ausgeplündert.

Im Verlaufe dieser Misshandlung hatten die übrigen Gesellen den Koffer, welcher hinten auf dem Wagen war, mit einem eigens gefertigten Instrumente unter Beihilfe des Bickel-Dipps erbrochen.

Alles, was sich in dem Koffer befand, wurde geraubt, die Chaise ausgeplündert, und dann zogen die Räuber, mit ihrer Beute beladen, wieder zurück in das Gebirge.

An dem schon erwähnten Juche-Häuschen hielten sie an, ließen sich, ohne jedoch in dasselbe zu gehen, Apfelwein reichen, bezahlten von dem geraubten Gelde ihren Zechrückstand, schenkten dem Wirte eines der geraubten Halstücher und setzten dann ihren Weg tiefer nach dem Walde fort. Unterwegs teilten sie die Beute in mehrere Teile und verlosten diese unter sich. Uhren, Ringe und andere Sachen, die sich nicht teilen ließen, wurden unter ihnen versteigert – oder – wie sie es nannten, herausgekauft.

Schon am folgenden Abend waren die Verbrecher wieder im »Höllengrund«, in derselben Gegend, von welcher sie ausgegangen; – Fabian allein fehlte bei der Gesellschaft, da er sich schon vor der Straßenräuberei wieder von ihr losgemacht hatte ...

IX.

Das Entsetzen über diese neuen Gewalttatenwider Menschenleben und Eigentum war umso größer, je sicherer man vor Kurzem noch zu sein glaubte; bald aber mischte sich in dieses Entsetzen auch ein dumpfer Zorn gegen die Behörden, die es nicht dahin bringen konnten, trotz so mancher, ohne viel Vorsicht angelegter und mit plumper Keckheit ausgeführter Streiche einen der Täter zu erwischen oder ein Verbrechen noch vor dessen Ausführung zu verhindern.

In Ermangelung einer andern Ableitung dieses allgemeinen Unmuts hätte es daher ganz wohl geschehen können, dass die Behörden selbst in eine schweren Zusammenstoß mit dem Volksunwillen gerieten, hätte nicht schon nach einigen Tagen eine Tatsache nach der anderen den Beweis geliefert, dass die Sicherheitsbehörden jetzt wenigsten an Eifer nichts zu wünsche übrig ließen und mit diesem Eifer auch die gewünschten Erfolge erzielten.

Fürs erste wurde denn bekannt, dass man im sogenannten »Höllengrunde« die sämtlichen Genossen, welche an dem letzten Raubmord teilgenommen, überfallen und gefangen genommen habe, wobei man fast der ganzen Beute habhaft wurde, die bei dem Überfalle geraubt worden war; zum andern verbreitete sich die angenehme Kunde, dass es den Behörden gelungen sei, auch einige der bedeutendsten Hehler und Herbergsväter aufzuspüren, ohne deren Hilfe so manches Verbrechen in der Gegend nicht hätte ausgeführt werden können; es war nun alle Aussicht vorhanden, dass es schließlich gelingen werde, die sämtlichen Fäden des weit verbreiteten Verbrechernetzes aufzufinden und die Schäden der öffentlichen Sicherheit von Grund aus zu heilen.

Aber noch während man sich dieser guten Erfolge freute, traf die überraschendste aller Nachrichten ein, dass die Behörde auch den Bonnherrn« oder Hauptmann der Räuber entdeckt und – gefangen eingebracht habe!

Jetzt fehlte wirklich nicht viel, dass der frühere Zorn des Volkes in Begeisterung für die Klugheit und Kraft der Sicherheitsbehörde umschlug!

Alles wollte nun die näheren Umstände dieses polizeilichen Meisterstücks vernehmen, und man hoffte, bald auch über die Person Herkunft und Verhältnisse des kühnen Abenteurers nichts als Wunderdinge zu vernehmen.

Was nun die Umstände der Gefangennahme anbelangt, so waren sie gerade nicht besonders abenteuerlicher Natur und bewiesen höchstens, dass einer gewissen Sorglosigkeit des Gaunerhäuptlings ebenso sehr als der Klugheit der Behörde das Gelingen der Gefangennahme zuzuschreiben war.

Ersterer hatte nämlich seit Jahren ein Verhältnis mit einer hübschen und ihrem äußeren Benehmen nach wohlerzogenen Dame, die ihn überall hin begleitete, wo es ihm beliebte, den Schauplatz seiner Taten aufzuschlagen.

Gewöhnlich zog sie, wenn es sich um einen Streifzug von längerer Dauer handelte, ihrem Herrn und Gemahl voran und mietete sich wo möglich bei einer wohlbeleumdeten Beamtenfamilie selber ein. Denn da sie mit dem besten Anstande auftrat, reichlich mit Geld versehen war und als Gattin eines Juweliers oder anderen Geschäftsmannes, der viel auf Reisen ein musste, die genügenden Legitimationen vorzeigen konnte, so war auch kein Grund vorhanden, sie nicht zuvorkommend aufzunehmen und – gegen gute Bezahlung nebenbei – standesgemäß zu behandeln.

Kam dann ihr Herr und Gemahl von Zeit zu Zeit, um sie für einige Tage zu besuchen, so wurde natürlich auch er mit den üblichen Ehren als wohlhabender Geschäftsmann und nützlich-rühriges Mitglied der menschlichen Gesellschaft aufgenommen, wofür er sich hinwiederum nicht undankbar zeigte, indem er mit Geschenken die Mitglieder der schutzgewährenden Familie reichlich bedachte.

Also war es auch während des letzten Streif- und Raubzuges gehalten worden, und die Sicherheit, mit welcher Ihre Gnaden die Frau »Bonnherrin« bei dem Polizeidirektor in Liebenfeld wohnte und sich der wiederholten Besuche ihres Herrn erfreute, ließ nichts zu wünschen übrig.

Sie es nun aber, dass der letztere in jüngster Zeit zu sorglos oder übermütig geworden, sei es, dass er in der Freude über glücklich abgewickelte Geschäfte zu bedeutende Geschenke machte und so den nervös gewordene Argwohn der Behörden endlich rege machte; kurz, der bisher wie von unsichtbaren Händen geschützte Räuberhauptmann wurde eines Tages, als er eben mit seiner Frau »für kurze Zeit« nach einem berühmten Badeorte abreisen wollte – von seinen eigenen Quartierherrn, dem Polizeidirektor, um gefälligen Aufschub dieser kleinen Erholungsreise ersucht und mitsamt seiner Frau Gemahlin als gute Prise dem Untersuchungsrichter übergeben ...

In die erste Freude über dieses wichtige Ereignis fiel eine Nachricht, welche unter anderen Umständen viel von sich reden gemacht hätte, jetzt aber die einen kaum berührte, von den anderen beinahe überhört wurde.

Hanne Landner war nämlich inzwischen von Seiten des Gerichtes der absichtlichen Brandstiftung für schuldig erklärt – und zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden.

Während dieser Urteilsspruch die armen Eltern der Verurteilten beinahe das Leben kostete, den Seelsorger der selben vor Schmerz betäubte und überhaupt alle diejenigen, welche das Mädchen längere Zeit näher gekannt hatten, sehr überraschte und betrübte, ging der Eindruck desselben an den übrigen Bewohnern der Gegend, wie erwähnt, fast spurlos vorüber, und man konnte hie und da selbst das harte summarische Urteil hören, dass der jungen Verbrecherin eben nur recht geschehen sei.

Die Gemüter der Leute waren durch die früheren und letzten Verbrechen der Bande überaus reizbar gegen alle Eigentumsvergehen geworden und machten sich nun bei jeder Gelegenheit Luft, indem sie ihre Freude über die Verdammungsurteile des Gerichts, die nun häufig genug erfolgten, nicht verhehlten. Ja, die Aussicht auf die bevorstehende, reichliche Arbeit des Scharfrichters verbreitete eine ingrimmige Freude in der Gegend, die nicht etwa bloß die härteren Gemüter der Männer ergriff.

Hätte man auf diese Weise anfangs gar zu gern gesehen, dass durch kurze Prozesse die Reihe der gefangenen Gauner und Räuber gelichtet worden wäre, so erkannte man in Kurzem doch, dass die Männer des Gerichts die Sachen mit Recht etwas kaltblütiger nahmen und die gefangenen Verbrecher nicht bloß strafen, sondern vorerst auch zu weitläufigen Geständnissen bringen wollten; handelte es sich doch hauptsächlich mit darum, dass man den vielverzweigten Zusammenhang einer gefährlichen Gesellschaft unter sich und mit den einverstandenen Bewohnern der Gegend ganz kennen lerne, um ihn gründlich zu zerstören.

Die Untersuchung brachte denn auch bald die seltsamsten Geständnisse zu Tage, und man wurde beinahe weniger von der Art und Weise, wie die Verbrecher ihre Taten ausführten, überrascht, als man über die Personen der Gegend erstaunte, ja erschrak, die sich der Teilnahme an den Verbrechen durch Rat und Hehlerei schuldig machten.

Unter diesen Personen waren einige, die von Haus aus in den besten Verhältnissen lebten, wie der reiche Kaufmann Elias von Saltern; andere bekleideten selbst ein öffentliches Amt, wie der Gemeindevorstand Buchart zu Uffingen, der im Orte einige kleine Häuser besaß, die er stets nur an Diebe und Räuber vermietete, denen er einen Wink gab, sich zu entfernen, wenn ihnen Gefahr drohte.

Aber endlich fing die Untersuchung an, in den Frieden und die Ehre so vieler Familien einzugreifen, dass man um der vielen unschuldigen Opfer willen schaudern zu wünschen begann, es möchten lieber einige Schuldige ungestraft ausgehen, als noch mehr Kinder, Frauen und Verwandte in die Schmach einzelner Männer hineingezogen werden, die, durch Gewinn gelockt, die eigene Ehre wie die Ehre ihrer Familie auf das Spiel gesetzt hatten.

Es zeigte sich eben hier wie überall, dass Luxus oder Gewinnsucht, verbunden mit ordinären Grundsätzen des Lebens, den Charakter vollständig untergraben und gegen zeitweilige Beute jeder Ehrlosigkeit zugänglich machen.

War auf diese Art die Neugierde der Leute bald ein wenig abgekühlt worden, so erwärmte sich dieselbe erst wieder bei der Nachricht, dass man endlich durch ein treffliches Verfahren den Hauptmann der Räuber und dessen Gesponsin zu Geständnissen gebracht und durch vielfache genaue Erkundigungen ein vollständiges Gesamtbild seines Lebens zusammengestellt habe.

Die Zurückhaltung der Behörde mit ihren Entdeckungen trug nicht wenig dazu bei, die Erwartungen der Leute noch höher zu spannen, und schon begnügten sich viele nicht mehr, den Räuber-Bonnherrn bloß für einen Grafen-Sohn wie Karl Moor zu halten, er musste nun mindestens ein durch Verhältnisse zur Verzweiflung gebrachter Prinz sein, der das Räuberhandwerk erst aus irgendwelchem Rachedrang ergriff, um es dann aus Liebhaberei fortzusetzen.

Aber leider folgte auch hier bald eine Enttäuschung der andern, und wenn auch die Lebensgeschichte des Räuberhauptmanns belehrend und überraschend genug war, so entbehrte sie doch ziemlich all des romantischen Reizes, mit dem sie die Phantasie der Leute bereits ausgeschmückt hatte.

In kurzen Andeutungen folge hier, was der nötigen Ergänzung wegen mitgeteilt werden muss ...

Constantin Hühne (unter diesem Namen war der Bonnherr am häufigsten aufgetreten) war der Sohn eines wohlhabenden Müllers zu Ellisau, einem ganz kleinen Dorfe in Westfalen.

Als man ihn das letzte man gefangen nahm, zählte er nicht mehr als sechsunddreißig Jahre und war, nach Aussage aller seiner Gefährten, noch vor wenigen Jahren einer der schönsten Männer seines Zeit; seine kühne und maßlose Lebensart, oftmalige Einkerkerung und Krankheiten hatten trotzdem auch jetzt noch starke Spuren dieser Schönheit zurückgelassen.

Hühne verheiratete sich, nach seiner eigenen Angabe, schon im sechzehnten Jahre mit einer hübschen, artigen Nachbarin, und die ersten Monate dieser Ehe, die ein Mönche gestiftet hatte, waren ungetrübt glücklich. Da sollte es ein seltsames Buch sein, das Hühne in seinem Hause fand, welches seinem Glück ein Ende machte und seinem Leben die Richtung gab, die es tiefer und tiefer in den Abgrund des Lasters führte.

Das Buch, geheimnisvoll mit sieben Siegeln versehen, ein ererbtes Stück des Hauses und lange unbeachtet gelassen, reizte endlich den jungen Müller durch sein mysteriöses Äußere, er öffnete den Umschlag dieser Büchse der Pandora und fand – eine mit lateinischen Brocken untermischte Anweisung, Geister zu zitieren, Schätze zu graben, Geld zu machen, Universalarzneien zu bereiten, die Geheimnisse der Unter- und Oberwelt zu erfahren, schwarze und weiße Magie zu erlernen und dergleichen Unsinn mehr.

Hätte ihm doch eine warnende Stimme zugerufen:

Ziehe keine Kreise, rufe keine Geister,
Flieh' der Mitternacht geheimnisvolles Reich!

Aber im Aberglauben erzogen, von tiefer Verehrung gegen ein Buch durchdrungen, worin Latein enthalten war, überzeugt, dass es Geister, Hexen und Zauberer gebe, verführte ihn der Gedanke, die weise Magie zu erlernen und sich zum Herrn aller Geister und aller Schätze zu machen, und selbst die Reize seines jungen Weibes vermochten ihn nicht, vom Studium dieser Mystik abzulassen.

Mitternächtige Beobachtungen der Gestirne, geheimnisvolle Gebete mit dem Schlage »Zwölf« gesprochen, tiefes Schweigen gegen jedermann und strenge Enthaltung von allem weiblichen Umgang waren die Hauptbedingungen, unter welchen allein der Eingang ins Geisterreich möglich war. Der träumerische Hühne erfüllte streng diese Bedingungen, entsagte allen Lebensfreuden, vernachlässigte seine Geschäfte und noch mehr sein junges Weib, welche seiner Kälte, seiner Verschlossenheit und noch mehr seinen nächtlichen Wanderungen eine schlimmere Auslegung gab, als sie verdienten.

Eine einzige Unterredung mit einem vernünftigen Manne, ein Gran von dem Unglauben oder von der Aufklärung der Zeit, die vielen so verrufen sind, ein Freund, der das abgeschmackte Buch ins Feuer geworfen hätte, wie die ehrlichen Hausfreunde des Ritters von der Mancha mit der Büchersammlung desselben getan – und Constantin Hühne wäre als friedlicher Bewohner seines Tales gestorben!

Aber leider fand sich kein Freund dieser Art, im Gegenteil gesellte sich ein ebenso verschrobener Kopf aus der Nachbarschaft zu Hühne bei seinen magischen Arbeiten.

Was Wunder, dass nun die junge Frau zu maulen begann, dass ihre Neigung erkaltete, dass sie über die geheimen Gänge und die dadurch verursachten nicht unbeträchtlichen Ausgaben ihres Mannes zankte und endlich bei einem scheinheiligen Nachbarn Rat und Trost suchte.

Der Rat und Trost desselben bestand aber darin, dass er erklärte: »Hexereien und böse Leute seien an diesem Unheil schuld, das Ehebett sei verhext und müsse besprochen werden. Er wolle sich, wenn ihr Mann seine nächtlichen Wanderungen antrete, einfinden und durch heilige Beschwörungen dem Einflusse der Zauberei und bösen Geister Einhalt tun.«

Von nun an zog der schlimmste Dämon, Asmodi, in die friedliche Hütte ein.

Der scheinheilige Nachbar segnete das Ehebett ein – aber der Segen ward zum Fluch für das arme junge Paar.

Hühne war damals noch vertrauensvoll, zu wenig erfahren in den Geheimnissen der Verruchtheit, zu durchdrungen von Ehrsucht für den guten Namen des Vermittlers, um zu vermuten, dass er bald nicht mehr der einzige sei, der wegen des gestörten Friedens seiner Ehe sich Vorwürfe zu machen habe. Erst späterhin begriff er, was wir uns begnügen wollen anzudeuten, dass der Vermittler bei diesem Zustand der Dinge zu viele Vorteile für sich selbst fand, als dass es ihm ernst gewesen wäre, den Gatten mit seiner Gattin zu versöhnen.

Und nun, in dieser bedenklichen Lage, wo Hühne die Erholung und Freude, die er nicht mehr im Hause fand, bei der Flasche und in der Schänke suchte, wo die missvergnügte Frau die Schlüssel zum Geldkasten verwahrte und seine Ausgaben kontrollierte, näherte sich dem Betrübten ein hilfreicher Israelite, Wolf Dreifuß aus Ellingen, bot und gab ihm Vorschüsse von fünfzig und hundert Gulden, sooft er nur immer wollte, natürlich gegen doppelte Verschreibungen, verwickelte ihn in Lieferungsgeschäfte an die Armen, wobei Herr Dreifuß allein gewann; – und endlich trennt sich die Eheleute auf längere und kürzere Zeiten ganz.

Die Frau, bei der Verwirrung der ökonomischen Verhältnisse um ihr und der Kinder Vermögen besorgt, suchte nun rettend und energisch einzugreifen – allein da zeigte sich's, dass die Rettung zu spät versucht wurde – der liebevolle Geschäftsfreund Dreifuß verwandelte sich plötzlich in den ungestümen, hartherzigen Gläubiger, benutzte die Schikanen des Prozessganges sehr geschickt und wusste in kurzer Zeit auch Wege, die denen, die sie einschlagen und die dazu die Hände bieten, gleich viel Schande bringen, das ganze Vermögen Hühnes an sich zu reißen und diesen zum armen Mann zu machen.

Mit bitterem Groll und Gram erfüllt, schied Constantin Hühne von seinem friedlichen Herde und nach missverstandenen Grundsätzen über Bestimmung und Naturrecht, die er auch bei seiner letzten Verhaftung noch nicht ganz berichtigt hatte, glaubte er sich nun an andern für seine Verluste entschädigen zu dürfen; – er wurde vorerst – Spion – und als man ihm die vor der Ausführung einer verwegenen Unternehmung auf ein Schloss gemachten Versprechungen nicht hielt – Dieb und Räuber! ... Mit Riesenschritten ging er nun auf diesem Wege weiter ...

Zum ersten Male zu Surzach verhaftet, entwich er bald durch Ausbruch; zu Achthausen abermals festgesetzt, entkam er später ebenfalls auf die frechste und sinnreichste Art; bei einer dritten Gefangennehmung erhielt er eine Streifschuss von dem Vogt zu Hauenstein, wurde nach einer Festung gebracht und entkam auch hier auf die erstaunlichste Weile. Diebstähle auf Diebstähle, Kirchenräubereien, nächtliche Überfälle in Mühlen und Höfen häuften sich, Hühnes Name wurde der Schrecken vieler Gegenden.

Hatte er diese zahlreichen Verbrechen meistens ganz allein ausgeführt, so wurde er jetzt während eines längeren Aufenthalts in Frankreich das Haupt einer förmlichen Spitzbubenbande, deren Glieder sich aber nie Gewalttätigkeiten erlauben durften, da er immer mit Abscheu, Widerwillen und Verachtung von Räubern sprach, die mit persönlichen Misshandlungen oder gar Mord ihr Gewerbe betrieben. Dagegen tat es ihm aber auch keiner gleich, wo es auf Gewandtheit und Geistesgegenwart ankam. Kein Schloss war ihm zu fest, kein Gewölbe zu gut verwahrt, der geübteste Schlosser konnte von ihm lernen; aus mehr als zwölf der festesten Gefängnisse entwich er auf die unerhörteste Weise, und kein Richter hatte je ein Geständnis hierüber von ihm erpresst oder erschmeichelt.

Nichts Verwegeneres lässt sich denken als ein in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1805 zu Longwy begangener Diebstahl, wo die Gauner auf mehreren aneinander gebundenen Leitern und Balken die eisglatten Wälle, zehn Schritte weit von der Schildwache, erklimmten.

Bei solchen Gelegenheiten war Hühne in seinem Element, nie verlor er Geistesgegenwart und Mut. Bei der Ausführung einer Unternehmung der Tätigste, entwarf er bis ins Kleinste vorher die verwickeltsten Pläne, die seine meisten Gesellen oft nicht weiter kannten als etwa ein Unteroffizier den Schlachtplan seines Feldherrn. Dabei wurde er bei Verteilung der Beute nicht selten übervorteilt. Hatte er Geld, so hatten seine Kameraden auch, genussliebend verschwelgte und verteilte er es mit vollen Händen in Bädern, an Spielbanken, in verrufenen Häusern und Schänken.

Nach der Flucht von Aargau wogte er drei Tage lang, verwundet, ohne Nahrung, außer einem Stückchen Brot und einigen wilden Beeren, in einem Kahne auf einem klippenvollen Flüsschen umher.

Auf einem Tranport nach Lyon in ein Felsengewölbe eingesperrt, hatten er und zwei Genossen bereits ihre Fesseln abgestreift und angefangen durchzubrechen, als sie entdeckt und gestört wurden. Man nahm ihnen einen Teil ihrer Werkzeuge und ihres Geldes ab, allein man konnte nicht hindern, dass ein zweiter Fluchtversuch dennoch gelang; nur verwundete sich der eine Gefährte durch einen Sprung so hart, dass er seinen Genossen nicht folgen konnte. Hühne trug ihn daher auf dem Rücken weiter, und die Räuber irrten drei Tage und drei Nächte, des Weges unkundig, in Gebirgen und Wäldern im Kreise umher und befanden sich am Ende nicht weit von der Gegend, wo sie ausgegangen waren. Wütender Hunger und Durst trieben sie endlich in ein Dorf, aber die Bauern, schon vorher aufgeboten, um sie wieder einzufangen, setzten ihnen nach, anstatt sie zu erquicken. Von Angst gejagt, entkamen sie zwar ihren Verfolgern, aber der Verwundete konnte nicht mitgeschleppt werden und blieb, hinter einem Strauche versteckt, liegen. Die Unglücks- und Fluchtgefährten wurden nun getrennt, und erst auf deutschem Boden erfuhr Hühne zu seiner Verwunderung, dass seine Kameraden so glücklich entkommen waren als er selbst.

Zweimal wollte Hühne jetzt die Räuberlaufbahn verlassen, und zweimal stieß ihn ein Unfall in dieselbe wieder zurück. Das erste Mal schnitt ihm ein Zigeuner seinen Gurt mit hundert Louisdor ab, das zweite Mal führte ihn sein Unstern, als er sich im Spessart eine ansehnliche Sägemühle kaufen wollte, auf der Reise in ein Wirtshaus, wo er wegen schlechten Wetters liegen blieb. Hier traf er einen Hauptdieb Namens Mann-Jost mit seiner Liebsten, der Zunder-Lies, die ihm den größten Teil seines Geldes im Spiel abnahmen und ihm dann eine Schlaftrunk beibrachten, um ihn ganz auszuplündern.

Zu sich selber gekommen und über den Triumph zweier sonst höchst verächtlicher Geschöpfe sehr ergrimmt, warf er nun alle seine guten Vorsätze wieder kurz von sich, beschloss von seinen früheren Kameraden so viele zusammenzubringen, als ihrer noch zu finden waren, verstärkte sie teils durch die Reste anderer Banden in Deutschland, teils durch Deserteure und Marodeure, die truppenweise den Kriegsschauplatz am Ober- und Niederrhein verlassen hatten.

Schon nach wenigen Monaten war eine Gaunerarmee von einigen hundert Köpfen, wohlgeübt und gehorsam unter Hühnes Oberbefehl beisammen, und es begannen nun die zahlreichen, mehr oder weniger verruchten Feldzüge gegen Leben und Eigentum, von denen wir oben einige Episoden kennen gelernt haben.

Bemerkenswert war indessen, dass Hühne während seiner letzten Haft, wie er auch früher immer getan, wenn er schon n weicherer Stimmung war und Geständnisse machte, nie gegen seine Untergebenen, stets nur gegen sich selbst Aussagen machte; von dieser, einer besseren Sache würdigen Treue wich er auch dann nicht ab, wenn er, was beinahe täglich geschah, von der Treulosigkeit vieler der verhafteten Genossen hörte, die mitunter höchst behände ihren Oberen verrieten, um ihr Schicksal etwas milder zu gestalten.

Eines Tages fragte der Hauptmann, ob sich denn unter den Gefangenen seines Anhangs auch der sogenannte »Harzbub« (Fabian Lukner) befinde.

Man erwiderte ihm, dass man desselben noch nicht habhaft werden konnte.

»Das ist mir lieb«, sagte Hühne sehr erheitert, »und ich wünsche nur, dass er auch nicht in die Hände der Justiz gerate!«

Man wünschte jetzt zu wissen, weshalb denn Fabian Lukner den Namen »Harzbub« erhalten und warum er von seinem Hauptmann mit so vieler Vorliebe erwähnt werde.

Hühne erwiderte: »Ich habe den Fabian eines Tages in einer Schenke des Harzes getroffen, da er eben auf dem Wege nach Bremen war, um sich dort nach Amerika einzuschiffen; der Bursche gefiel mir, er schien die Lust zur Reise etwas verloren zu haben und doch auch nicht wieder heimkehren zu wollen, ich bearbeitete seine Verstimmung mit Worten und Getränken – und gewann ihn unter dem Namen »Harzbub« für meine Bande. Seitdem ist Fabian mein Liebling und Vertrauter geblieben, hat immer Mut und Geschick gezeigt, hat mir zwei Male das Leben gerettet – und im Übrigen nie Blut vergossen oder die Opfer des Verbrechens persönlich misshandelt.«

Als die Rede auf die Gefährtin seiner letzten Jahre kam, bat Hühne um Schonung für sie, setzte aber hinzu, dass man sie doch wenigstens ein Jahr lang gefangen halten möge, damit sie Zeit zum Nachdenken haben und sich nicht leichtsinnig wieder an einen schlechten Menschen hänge; – das Gericht erfüllte seinen Wunsch.

Weshalb Hühne von den wunderbaren Mitteln, sich seiner Ketten zu entledigen und aus dem Kerker zu entkommen, diesmal so gar keinen Gebrauch machte, wäre zu verwundern gewesen, wenn man nicht aus seinem eigenen Munde die wirklich aufrichtig gemeinte Äußerung gehört hätte, dass es hm gar nicht mehr der Mühe wert sei, sich zu retten. Er sei, bemerkte er, erst ein Verblendeter, dann ein Unglücklicher, endlich lange genug ein Verbrecher gewesen, habe tausend Leiden und Freuden genossen und wünsche ein für alle Male Ruhe zu haben!

Schon als man ihn das letzte Mal gefangen nahm, sagte er gelassen: »C'est ajourné«; als man ihn später fragte, was er denn für einen Ausgang seines Prozesses erwarte, sagte er:

»Entweder man tötet mich – und damit geschieht mir nichts als recht; oder man findet, dass ich dennoch Gnade verdiene – und dann verbannt man mich lebenslang weit, weit von hier – wie Napoleon auf eine Weltmeerinsel!«

Das baldige Urteil lautete auf den Tod durch das Schafott; doch gab man zu verstehen, dass Hühne den Versuch einer Bitte um Begnadigung machen solle; er machte den Versuch nicht und sagte nur trocken:

»Es ist doch besser, ganz aus mit mir!«

Bei seiner Abführung zum Blutgerüst blieb kein Auge trocken als das Seinige.

Er ab seiner Lebensgefährtin, die ihn begleiten durfte, die herzlichsten und rührendsten Lehren und Warnungen, als sie von ihm auf ewig Abschied nahm.

Noch auf dem Schafott erklärte er mit fester Stimme, sein Tod sei verdient, aber seine Hände vom Blute rein, und er sei nicht zum Räuber geboren gewesen ...

Von Hühnes Genosses wurden noch weitere fünf zum Tode, zehn zu lebenslänglichem Gefängnis und die Übrigen zu größeren und geringeren Strafen verurteilt ...

X.

Das Gerechtigkeitsgefühl der Leute hatte somit endlich eine ernste Genugtuung erhalten; nach lange anhaltender Spannung und Aufregung, nach sattsam und nicht immer angenehm befriedigter Neugierde trat nun wieder jene allmähliche Abspannung ein, welche es der Zeit nicht schwer macht, die Gemüter vollkommen zu beruhigen und einem dauernden Sicherheitsgefühl zugänglich zu machen.

Mit geeigneter Aufmerksamkeit wurden denn nun auch wieder Dinge ins Auge gefasst, welche, an sich wichtig genug, durch die obigen Begebenheiten einige Zeit ganz oder zum Teil überboten worden waren.

Zu den Letzteren gehörte die Verurteilung der Hanne Landner, welche nun seit Monaten, kaum über achtzehn Jahre alt, in ihr Gefängnis abgeführt worden war, wo sie – lebenslänglich – mit der Schmach eines schweren Verbrechens belastet, verbleiben und langsam altern und absterben sollte.

Als blühendes Leben hatte sie ihre Strafanstalt betreten und als welke achtzigjährige Kreatur wurde sie vielleicht eines Tages einer abgelegenen Grube des Friedhofs ausgeliefert!

Und wenn sie dennoch unschuldig war? ...

Mancher Vater, manche Mutter betrachtete jetzt, wenn von dem Los der Hanne Landner die Rede war, ihr eigenes aufblühendes Kind und schauderte in der Stille vor dem Gedanken, dass es ja ebenfalls schuldig werden könnte wie jene – noch mehr aber vor dem Gedanken, dass ein so teures Geschöpf durch einen unseligen Zusammenklang von Umständen – selbst unschuldig dem Elend, der Schmach und Gefangenschaft Zeitlebens verfallen könne! ...

Man wurde nachdenklicher, von mancher Seite selbst betroffen über die gleichgültige Härte, mit der man einst die Verurteilung des unglücklichen Mädchens angehört hatte, und es lag in der Natur der Sache, dass man einer lebendigen Stimmung nach und nach Worte gab – und Beispiele anführte, welche von den zeitweiligen Irrtümern der Gerichte erschütternde Beweise ablegten.

Ein warnendes Beispiel lag sogar in der nächsten Nachbarschaft vor. Bei dem vor Jahren in Riedhaussen ausgebrochenen Brande, der beinahe das ganze Dorf in Asche legte, war der Verdacht der Brandstiftung auf den dasigen Einwohner Gravenheim gefallen; man zog ihn ein, hielt ihn Jahre lang in Haft, obschon er unablässig seine Unschuld beteuerte. Endlich freigelassen, hat er in seiner Heimat bis an seinen Tod als Verbrecher gegolten, behaftet mit der allgemeinen Verachtung der Leute ... Lange nach seinem Tode aber bekannte ein auswärtiger Bettler auf dem Sterbelager, dass er selbst das Feuer angelegt habe, weil man ihn aus einem Hofe des Orts wegen Bettelns mit Hunden davon gehetzt ...

Diesen Zustand der Gemüter hatte der Pfarrer von Oldisangen abgewartet, um mit seiner Verteidigungsschrift für die Unschuld seines Pfarrkindes aufzutreten und sowohl die Richter als das Publikum zu der Überzeugung zu drängen, dass eine Wiederaufnahme des Prozesses ebensowohl für die Rechtfertigung des ersten Urteilsspruchs wie für die Möglichkeit der Unschuld der Verurteilten wünschenswert sei.

Die Wirkung der Verteidigungsschrift war in der Tat auch überraschend und verfehlte den Zweck, den sie verfolgte, wenigstens auf das Publikum und einige scharfsinnige Rechtsanwälte nicht, welche sofort in aller Stille den Fall mit neuen Erhebungen aufnahmen und ernsthaft prüften; selbst der Gerichtshof vermochte der fortschreitenden Bewegung des Volkes gegenüber nicht schweigend sich zu verhalten, er veröffentlichte eine Verteidigungsschrift seines Verfahrens und Urteils und rief dadurch, ohne die öffentliche Meinung beruhigen zu können, nur schärfere Anklagen von Seiten des Geistlichen und auch eines Rechtsanwaltes hervor.

Nach der Beweisführung des Gerichtshofes war die Hanne Landner schuldig, den Brand gelegt zu haben, weil sie die fahrlässige Brandlegung selber zugegeben; nachdem indessen bewiesen worden, dass alle Umstände durchaus gegen die Möglichkeit eine fahrlässigen Brandstiftung zeugte – die Landner auch einer vorhergegangenen Züchtigung wegen in der Stimmung sein konnte, sich an dem Besitzer des Hauses zu rächen – so müsse das Gericht dabei beharren, die Landner jetzt wie früher der absichtlichen Brandstiftung für schuldig zu halten.

Der geistliche Verteidiger der Landner erwiderte mit den Waffen eines warmen Gemüts und mancher neuen Tatsache, dass die Aussage der Landner, sie habe aus Fahrlässigkeit das Feuer verursacht, keine freiwillige, sondern eine von Seiten des Untersuchungsrichters roh erzwungene sei; derselbe habe ihr, als sie in sein Zimmer trat, mit Donnerstimme ein Messer auf die Brust gesetzt und gerufen: »Gesteh' nur, du hast das Feuer verursacht; ich steche dich nieder, wenn du es leugnest!« Da sei der Furchtsamen, Verlassenen, von Scham und Entsetzen über ihre Lage Gebeugten nichts übrig geblieben – als etwas zuzugeben, was sie nicht getan – nur um ihr Leben zu retten, das nach ihren beschränkten Begriffen unbedingt in den Händen des Richters war ...

Wer es darauf absieht, der öffentlichen Meinung eine bestimmte Richtung zu geben, der sorge ja vor allem dafür, dass die Gemüter in starke Mitleidenschaft gezogen, dass Teilnahme für die in Schutz genommenen Personen und Verhältnisse erregt werde; die Wärme des Vortrags wird zu diesem Zwecke viel beitragen, und wenn derselbe nur auch klar genug gehalten ist, so wird man wenig danach fragen, ob der Sachverhalt in allen Teilen wirklich auch treu und erschöpfend dargelegt ist.

Dies zeigte sich eben in dem vorliegenden Falle wieder.

Warm, klar und mit wenigen überraschenden Tatsachen ausgestattet, riss die Darstellung des geistlichen Verteidigers die öffentliche Meinung mächtig mit sich fort, und es nützte wenig, dass die Erwiderung der Staatsbehörde ruhig und prägnant die von ihrer Seite erhobenen Tatsachen zum Beweise des Gegenteils, zur Überführung der Hanne Landner zusammenstellte. Die Meinung, dass die Hanne Landner dennoch unschuldig verurteilt sei oder wenigstens sein könne, nahm unwiderstehlich in der Gegend überhand und drängte nach Wiederaufnahme des Prozesses ...

Eines Sonntagmorgens im September – gerade ein Jahr seit der Verurteilung der Hanne Landner – näherte sich ein junger Mann dem Tore des Strafhauses und zog an der Glocke, um eingelassen zu werden.

Es war ein junger Advokat, der von dem Rechtsfall angezogen, die Verurteilte sehen und zur Ergänzung seiner Ansichten noch physiognomische Studien machen wollte.

Das Tor ging auf, ein Unteroffizier hatte bereits Befehl, den Ankömmling in den oberen Teil des Gebäudes, nach der Hauskapelle zu führen, wo eben Gottesdienst gehalten wurde.

Beim Eintritt in die Kapelle sah der Advokat niemand in dem ganzen Raume als auf einer Altarerhebung den predigenden Geistlichen, rechts neben dem Eingang zwei Soldaten der Hauswache, links auf einem ziemlich jungen rüstigen Sträfling mit angehender Glatze, und nur aus einem leisen Schluchzen rechts und links hinter den Gitterwänden entnahm er die Gegenwart der versammelten Sträflinge.

Eine milde Herbstsonne verklärte den Raum der Kapelle, der Prediger hatte ein zum Herzen gehendes Thema gewählt, indem er von den Erntefesten sprach, die jetzt zum Danke für den Segen der Früchte und der Stärkung der Gemüter weit und breit im Lande gefeiert würden.

»Manches von Euch hat liebende Eltern, Geschwister oder Kinder daheim und gedenkt zu dieser Zeit besonders gerne derselben«, sagte er, »wie wird auch jenen die Sehnsucht lebendig werden, wie werden sie hoffen und beten, dass der Himmel Hilfe schaffen und Euch wieder mit ihnen vereinigen möge!«

Hinter der rechten Gitterwand trafen diese Worte besonders schwer, denn dort waren die weiblichen Sträflinge versammelt; auch auf der linken Seite unter den männlichen Gefangenen blieb die Wirkung nicht ganz aus, man hörte deutlich schnoppern und schluchzen ...

Nach dem Gottesdienste winkte der Geistliche den jungen Mann zu sich an das Fenster der Kapelle und ließ ihn durch die Gitter die sich entfernenden Sträflinge betrachten.

Es war eine sehr merkwürdige Sammlung von Verbrecherexemplaren, wie sie eben jedes Gefängnis aufzuweisen hat.

»Wo ist die Landner?« fragte der Advokat nach einer Pause.

»Sie ist bereits hinausgegangen, aber ich habe Auftrag gegeben, sie hierher zu bringen, und Sie können sie mit Muße betrachten, während ich ihr einige Mitteilungen mache«, sagte der Prediger.

Bald darauf öffnete sich die Türe wirklich, und die Hanne Landner trat ein.

Mit einem Gebetbuch in der Hand und in das übliche Sträflingsgewand gekleidet, blieb sie, befangen und einen argwöhnischen Blick auf den Fremden werfend, an der Türe stehen und wartete, bis sie einen Wink erhielt, weiter vor zu kommen.

Sie ging langsam, mit kleinen Schritten vor, als sie vor den Geistlichen und seinen Gast hintrat; es war nicht zu verkennen, dass sie in dem Fremden einen Beobachter ihrer Mienen und Worte, vielleicht einen neuen Inquirenten argwöhnte.

Der Geistliche richtete jetzt einige sanfte Fragen an sie: ob sie ein Lesebuch zu haben wünsche und ob sie eine Klage über die Behandlung der Aufwärterinnen vorzubringen habe.

Als sie nach einer Pause zu reden wagte, bat sie um ein Buch für heute und sagte, dass sie sonst mit allem zufrieden sei; ein wehmütiges Lächeln spielte dabei um ihre Lippen, und der rechte Mundwinkel senkte sich wie in schmerzlicher Ironie.

Während nun der Geistliche weiter fragte und sprach, prüfte der Fremde das runde, hübsche Gesicht und die artige Gestalt des Mädchens mit nachdenklichen Blicken; das alles reimte sich freilich wenig mit den düsteren Vorstellungen über das verübte Verbrechen.

Plötzlich gab eine harmlose Bemerkung des Geistlichen Anlass zu einer, wie es schien, außerordentlichen Wirkung auf das Mädchen.

Der Geistliche sprach nämlich mit ihr von den üblichen Erntefestgebräuchen auf dem Lande und fragte, das Mädchen in Gedanken leichthin betrachtend:

»Ist es bei euch ebenfalls Sitte, Feuer anzuzünden an dem Tage?«

Die Gefragte stand wie in einer plötzlichen Erstarrung da, ihr Blick irrte forschend vom Geistlichen zum Fremden, sank herauf zu Boden und erhob sich erst wieder, als der Geistliche nach einer längeren Pause noch einmal fragte und das »Feuer« in »Freudenfeuer« verwandelte.

Mit einer fast unverständlichen, zitternden Stimme verneinte sie die Frage, und ein tiefes Rot zog sich langsam von den Wangen nach der Stirn.

Der Geistliche wollte die Verwirrung der Unglücklichen nicht länger hinhalten, gab ihr einen Wink, sich zu entfernen, und sagte auf die Frage des Advokaten, was er von dieser seltsamen Verlegenheit halte:

»Nichts weiter, als dass das furchtsame Wesen in meiner Frage leider auch eine gestellte Falle argwöhnte.«

»Sie halten das Mädchen für unschuldig?« fragte der Fremde weiter.

»Ja«, erwiderte der Geistliche, indem er sein Postillenbuch nahm, um die Kapelle zu verlassen; allein er war mit seinem Gaste noch nicht bis an die Türe gekommen, als im Gange draußen starke Fußtritte hörbar wurden und gleich darauf ein Polizeibeamter mit einem Unteroffizier eintrat; der Polizeibeamte sagte rasch:

»Herr Pastor – Sie verlieren heute noch eine Gefangene – die Hanne Landner; denn eben läuft die Nachricht ein, dass der wirkliche Verbrecher und Brandstifter im Flügerschen Hause gefunden und festgenommen ist!«

»Was?« riefen der Pastor und der Advokat wie aus einem Munde: »Und wer ist der Schuldige?«

»Einer der berüchtigten Bande – der Harzbub genannt – Fabian Lukner – er hat sich selbst gestellt und will alle Umstände freiwillig bekennen! ...«

XI.

Es sah beinahe wie eine Ironie des Schicksals aus, dass das erste Verhör, welches Fabian Lukner zu bestehen hatte, durch denselben Untersuchungsrichter geleitet wurde, welcher, wie Hannes geistlicher Verteidiger standhaft behauptete, das unglückliche Mädchen durch Drohungen zu ihrem Notgeständnis gebracht hatte, das Feuer zu Heimberg sei durch sie verwahrloset worden.

Damals vielleicht stolz auf ein so rasches Ergebnis seiner Voruntersuchung, musste er jetzt die Unschuld des verurteilten Mädchens und das freiwillige Geständnis des wirklich Schuldigen zu Protokoll nehmen.

Fabian Lukner, der Harzbub, war bei der erfolgreichen Bekämpfung der Verbrecherbande einer der wenigen gewesen, welche trotz der ziemlich sicheren Spur, die man von ihnen hatte, nicht gefangen wurden.

Wäre es ihm daher bloß darauf angekommen, seine Person in Sicherheit zu bringen, so ist kein Zweifel, dass er diese Absicht sicherlich erreicht haben würde; allein er hatte bei seiner schnellen Flucht aus der Heimat einen so wertvollen Gegenstand daselbst zurückgelassen, dass er, kaum über der nächsten Grenze und in Sicherheit, beschloss, den wertvollen Schatz, seine Geliebte nämlich, koste es, was es wolle, selbst mit Gewalt und auf die Gefahr hin, darüber Freiheit und Leben zu verlieren, später nachzuholen.

Mit diesem Entschlusse eilte er auf beschwerlichen und oft bedenklichen Wegen weiter, erreichte die Niederlande, bestieg noch zu rechter Zeit ein Schiff, das nach Nordamerika abfuhr, und kam einige Wochen später glücklich an der fernen Küste Amerikas an.

Als flüchtiger Verbrecher also betrat er jetzt den amerikanischen Boden, den er so viele Jahre früher, frei von aller Schuld, erreichen wollte.

Geschickt und vorsichtig wie immer trieb er sich nun in New York nicht lange ohne Arbeit herum, sondern nahm die erste beste Beschäftigung an, die sich ihm darbot, bis er sie später mit einer besseren vertauschen konnte. So kam es, dass Fabian während seines Aufenthalts in New York jedem Verdachte der Polizei entging und nebenbei sich ein hübsches Einkommen verschaffte.

Aber gerade diese Sicherheit und diese namhafte Einkommen erweckten ihm wieder lebhaft jene einmal rege gewordene Sehnsucht nach Frieden und häuslichem Glück und kehrten sein Herz von Tag zu Tag stärker nach dem verlorenen Schatz in der Heimat zurück. Daher nahm er nach beinahe Jahr und Tag wieder einen Platz auf einem Schiff, das nach England ging, veränderte sein Äußeres, soweit es ging, versah sich mit richtigem Pass und guten Zeugnissen und wollte so die Heimat erreichen und die Entführung der Geliebten vollziehen.

Er kam auch glücklich in London und dann in Havre an, setzte seinen Weg nach Deutschland als Handelsreisender fort und gelangte endlich bis an einen Grenzort seiner Heimat – hier war es, wo er zum ersten Male das Schicksal der Hanne Landner – sie eben war die Erwählte seines Herzens – erfuhr, indem ihm sein Wirt als Nachtlektüre zufällig die Verteidigungsschrift des Oldisanger Pfarrers empfahl.

Der Eindruck dieser Lektüre war umso mächtiger, als Fabian leider gut genug wusste – dass er selbst und nicht die Hanne Landner das Verbrechen der Brandstiftung begangen habe; die Unglückliche litt die Strafe, die er selbst verdiente, sie litt für ihn, obwohl sie seine Schuld ganz wohl kannte und mit einigen Worten sich hätte befreien können.

Eine Frage, die er jetzt mit einiger Verwirrung an sich richtete, war:

»Hat die Landner während ihrer Haft erfahren, dass ich früher der verrufenen Bande angehört habe?«

Die Frage konnte allerdings gestellt werden, da Hanne, wie er aus der Verteidigungsschrift ersah, an demselben Tage verhaftet wurde, an welchem die Sicherheitsbehörde hinter seinen Zusammenhang mit der Gaunerbande kam.

Aber nicht lange sollte ihn diese Frage beschäftigen; genug für ihn, dass Hanne so tapfer die Strafe seines Verbrechens trug; sein kurzer und unabänderlicher Entschluss war denn jetzt, die Hanne Landner um jeden Preis aus dem Gefängnis zu befreien und mit ihr dann nach Amerika zu entfliehen.

Tag und Nacht entwarf er daher an seinem Plan zu diesem Zwecke, und als er endlich damit im Reinen war, versah er sich mit den nötigen Werkzeugen und warb in der Stille noch zwei Genossen an, die ihm gegen gute Belohnung bei dem Werke helfen sollten; – schon waren auch innerhalb der nächsten vierzehn Tage zwei vergebliche Befreiungsversuche gemacht worden – ein dritter, noch feiner angelegt, wurde für eine regnerische Septembernacht festgesetzt – als einer der Genossen seinen zweiten verriet und den Aufenthalt des »Herzbuben« in der Gegend der Polizei anzeigte.

Fabian entging nun zwar einige Tage glücklich den scharf nach ihm fahndenden Sicherheitsbehörden – allein endlich, erfasst von jener tiefen Melancholie, die bei besseren Verbrechern nicht selten das Ende ihrer Laufbahn bezeichnet, beschloss er freiwillig jedem Fluchtversuch zu entsagen und der Geliebten ihre Ehre und Freiheit dadurch zurückzugeben, dass er sich selbst dem Gerichte stellte und als Schuldigen angab ...

Vor Gericht handelte es sich natürlich jetzt zuerst von dem Verbrechender Brandlegung zu Heimberg.

Fabian hatte sich als Schuldigen selbst bekannt und musste nun das noch waltende Dunkel des Tatbestandes aufklären; und seinen Eröffnungen stellte sich als Tatsache folgendes heraus:

Fabian hatte bald nach seiner ersten Heimkehr, während er im Hause Eckfrieds in Diensten stand, die frisch aufblühende Landner bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen und, ohne sich ihr zu nähern, für sie eine warme Neigung gefasst.

Solange Fabian in sorgenvoller Unruhe leben musste, weil sein Aufenthalt in der Heimat keine rechte Sicherheit biete, was er aufrichtig bestrebt, einer innigeren Beziehung zu einem unschuldigen Geschöpf sich zu enthalten, weil er es nicht der Gefahr aussetzen wollte, wenn er plötzlich gefangen würde oder entfliehen müsste, in sein trauriges Schicksal mit verwickelt zu werden; als sich aber sein Leben in der Heimat immer besser uns sicherer zu gestalten schien, wagte er es endlich, sich bei jeder Gelegenheit der Hanne zu nähern und ihre Neigung zu gewinnen.

Wirklich sah er bald genug, dass seine Annäherung nicht ohne günstige Wirkung blieb, und endlich ward, soweit es mit Blicken und bescheidenen Worten geschehen kann, ein glücklicher Herzensbund geschlossen.

Aber schon in die ersten Tage dieses Herzensbundes fiel das unglückselige Wiedererscheinen der früheren Genossen Fabians, die Sorge und Verwirrung seines Gemütes warf düstere Schatten über sein ganzes Benehmen, und Hanne ward manchmal durch ein seltsames Hervorbrechen von Leidenschaftlichkeit betroffen – und vorsichtig gemacht.

Zu dieser Vorsicht mochte es nun allerdings schlimm genug passen, dass Fabian, wie wir gesehen haben, eines Tages bald angetrunken und tief aufgeregt von rascher Heirat und alsbaldiger Entfernung aus der Heimat sprach – ein Vorschlag, der nur mit Bedenken angehört und ausweichend beantwortet werden konnte, wie denn Hanne auch tat; sie sah sich sogar veranlasst, vom Tanzboden dem Dränger zu entfliehen.

Vielleicht würde jener Tag noch heftigere Auftritte gesehen haben – wenn nicht Fabian vom Hauptmann seiner Bande erreicht und aufs Neue in die Genossenschaft derselben gezogen worden wäre. Fabian, eine andere Rettung nicht absehend, beschloss nun, scheinbar willig sich wieder mit den alten Genossen zu verbinden und das Unvermeidliche vor der Hand durch sie geschehen zu lassen – aber es blieb auch zugleich sein fester Vorsatz, eines Tages, wenn er die Hanne Landner dennoch zur Heirat bewogen, plötzlich mit ihr den alten Genossen und der Heimat zu entfliehen. Deshalb erbat er sich von seinem Hauptmann die Gunst, noch eine Weile, um den Gaunern desto besser zu dienen, im Dienste Eckfrieds bleiben zu dürfen, und wiederholte nun öfter, indem er vor Hannes Kammerfenster kam, seine Überredungen zur Heirat.

Schon hatte es endlich den Anschein, dass Hanne trotz einer inneren Warnungsstimme Fabians Bitte nachgeben wolle – als der Tag des Verhängnisses erschien und nicht nur Fabians Flucht entschied, sondern auch die Hanne in ein beklagenswertes Unheil hineinzog.

Eines Morgens nämlich war Fabian von seinem Meister nach Bablsdorf auf den Markt geschickt worden, um einige Werkzeuge für ihn einzukaufen; sein Weg führte ihn durch Heimberg, und er beschloss am Flüglerhofe vorüberzugehen, um die Hanne zu sehen – vielleicht auch zu sprechen.

Richtig traf es sich, dass die Landner gerade aus dem Fenster sah, als er näher kam und seinen Gruß erwiderte.

»Bist du am Ende allein zu Haus?« fragte Fabian leise und in dem Hofe umblickend.

»Ja«, erwiderte Hanne, leicht errötend, und fügte rasch hinzu: »Aber nicht lange; die Herrnleut' können jeden Augenblick zurück sein!«

Diese Worte waren offenbar gesagt, um Fabian abzuhalten, ins Haus zu treten; allein er konnte der Versuchung nicht widerstehen, kam zu ihr in die Stube, gab ihr die Hand und begann ein freundliches, kurzes Gespräch mit ihr, indessen Hanne mit dem Aufräumen der Stube fortfuhr.

Eben hob sie ein Beinkleid ihres Meisters von der Stuhllehne weg, um demselben einen besseren Platz zu geben, als ein Geldstück herausfiel, das Fabian, um der Hanne das Bücken zu ersparen, aufhob und ihr überreichte; allein sie hatte das Geldstück noch nicht in der Hand, als sie zufällig durch das Fenster blickte, ausrief: »die Herrnleute kommen!« und nach der Kammer eilte!

Die Sorge um den guten Ruf der Hanne ergriff in diesem Augenblick auch den Fabian so sehr, dass er schleunigst aus dem Hause eilte und noch glücklich ungesehen davon kam.

Erst als er Heimberg im Rücken hatte, merkte er das in seiner Hand gebliebene Geldstück und beschloss, es auf dem Rückwege der Hanne wieder zuzustellen.

Aber gerade dieser kurze Aufschub führte den unglücklichen Auftritt herbei, dass der Flüger, sein Geld vermissend, die Hanne hart anließ, sie Diebin nannte und misshandelte; – Fabian erfuhr, als er gegen Abend wieder an Flügers Gehöfte vorbeiging und das Geldstück der Landner zurückstellte, diesen unseligen Vorfall und vernahm, dass die Misshandlung in – Peitschenhieben bestanden habe«

Diese Nachricht war nicht geeignet, in dem ohnehin jetzt zu heftigen Ausbrüchen geneigten Gemüte Fabians ungefährlich zu wirken.

Sprachlos, leichenbleich stand er eine Weile vor der Hanne da und starrte ihr wie einem fremden Gegenstande ins Gesicht; dann gab er ihr plötzlich in fieberhafter Aufregung die Hand und sagte mit bebenden Lippen:

»Gute Nacht, Hanne, morgen sehen wir uns wieder, und zwar – ordentlich gerächt!«

Und ohne auf die Sorge und Verwirrung des Mädchens zu achten, ohne auf ihren bittenden Zuruf, nichts Arges zu sinnen und zu tun, etwas zu erwidern, ging er weiter und verschwand im nächsten Wäldchen.

Hannes Unruhe legte sich zwar nach einiger Zeit wieder, sie hoffte, dass Fabians Zorn im Laufe von vierundzwanzig Stunden sich wohl legen würde; als aber am folgenden Tage in den Nachmittagsstunden am Saum des nahen Buchenwäldchens Fabians Gestalt wiederholt erschien und seltsam beobachtend den Flüglerschen Hof umkreiste, erwachten Hannes Sorgen lebhafte als zuvor.

In dieser Stimmung war es, wo sie der Magd des Kienborn auf die Frage, ob sie mit ihr nach Bablsdorf zum Markte gehen wolle, erwiderte:

»Nein, ich gehe nicht weg; ich habe so eine Angst, ich weiß nicht, warum.«

Die Anklageschrift hatte auf diesen Umstand einiges Gewicht gelegt, er fand nach dieser Darstellung der Sachlage seine ganz natürliche Erklärung.

Indessen kam die verhängnisvolle Abendstunde heran, der Hofbesitzer Flüger hatte sich mit den Kindern zur Ruhe begeben, die Knechte waren aus dem Hofe fortgegangen, um ihr übliches Plauderstündchen mit den Nachbarn zu halten; da bemerkte Hanne, die das Gebaren Fabians nicht aus den Augen ließ, dass dieser sich der Rückseite des Hofes näherte und nach einigen Augenblicken am Eingange des Hoftores selbst erschien.

Sein ganzes Wesen war in fieberhafter Aufregung –

»Wie steht's?« sagte er zur Hanne, die lautlos und mit gefalteten Händen zu ihm heranschlich: »Wie steht's, kann ich unbemerkt durch den Hof nach jener Bodentreppe dort?«

Die Hanne sagte leise und zitternd:

»Nein.«

»Auch gut«, erwiderte Fabian: »Wo ist dein Dienstherr?«

»Zu Bett ...«

»Und das Gesinde?«

»Bei den Nachbarn ...«

»Die Dienstfrau?«

»Sie säuert Brot in der Stube ...«

»Die Fenster gehen nicht nach dem Hof?«

Statt einer Antwort fiel Hanne flehend vor ihm nieder; aber schon hatte er sich die Antwort mit fliegenden Blicken selbst geholt – und die Hanne mit kräftiger Hand von sich drückend, sagte er:

»Wenn's brennt, komm' zwei Augenblicke hinter die Blanke dort – mach's kurz!«

Und mit einigen Sätzen war er unbemerkt über den Hof, die Bodentreppe hinauf; nicht zwanzig Sekunden vergingen, und schon trieben Rauch und Flammen zum Dach hinaus ...

Fabian kam nicht mehr durch den Hof zurück; er hatte an der Rückseite des Gebäudes die Bretterwand durchbrochen und war dort entsprungen, eh' man noch den Brand gewahrte ...

Dass Hanne, als sie sich von ihrem Schrecken etwas erholt, dem Fabian nachgeeilt, auf dem Boden den Brand bereits ausgebrochen fand und trostlos in die Küche zur Dienstfrau kam, nur die Worte stammelnd: »Ach Gott, ach Gott«, das hatte früher sehr stark für ihre Schuld gesprochen, jetzt fanden auch diese Umstände ihre natürliche Erklärung ...

Hinter der Blanke des Gartens hatte sich die Hanne während des Brandes nicht eingefunden, um mit Fabian Zwiesprache zu halten; es war ihr jetzt unmöglich, seinen Anblick zu ertragen.

Aber auch Fabian fühlte keine Lust mehr, sich länger in der Nähe des brennenden Gehöftes aufzuhalten, und machte sich fliehend aus dem Staube.

Seine Absicht war gewesen, die Hanne in der ersten Angst willenlos mit sich fortzureißen und die Flucht über die Grenze gemeinsam mit ihr anzutreten; jetzt aber beschloss er, so unbemerkt wie möglich zu seinem Dienstherrn Eckfried zurückzukehren und in den nächsten Tagen, wo die Hanne dienstlos und verzagt herumziehen würde, sie weniger gewaltsam zur gemeinsamen Flucht zu vermögen; – allein das strafende Schicksal trat früher dazwischen, Hanne wurde als der Brandstiftung verdächtig, eingezogen, und Fabian musste als verdächtig gewordener Bandengenosse schleunigst entfliehen; ihr letztes seltsames Begegnen hatte im Oldisanger Walde Statt, wo dem Fabian die Pferde mit dem Wagen durchgingen ...

Hanne ward also jetzt wieder frei gegeben, und Fabian gestand außer der Brandlegung auch noch seine übrigen Verbrechen als Genosse der Bande.

Danach hatte er jedoch niemals Blut vergossen, auch bei nächtlichen Einbrüchen und Überfällen keine Misshandlungen an Personen verübt; und sein Vermögen übergab er jetzt dem Gerichte mit der Bitte, es, soweit er die früheren Eigentümer noch bezeichnen konnte, zurückzustellen, den Rest nach Abzug der Gerichtskosten unter die Armen zu verteilen.

Dies geschah denn auch, und nach kurzer Zeit erfolgte das Urteil über ihn: er wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.

Als Fabian den Urteilsspruch hörte, sagte er gefasst:

»Das und Schlimmeres habe ich verdient. Will jemand sich mein Leben zur Warnung dienen lassen, der hüte sich vornehmlich vor dem ersten üblen Schritt, denn der erste, oft kleine Schritt führt den Menschen rasch von Fall zu Fall – und selten ist hernach die Umkehr wieder möglich!«

Der Hanne Landner ließ er durch den Oldisanger Pfarrer Abbitte tun für all die Schmerzen, welche er an ihrem jungen Leben verschuldet; die Treue, mit der sie für ihn gelitten, trotzdem sie sein letztes Verbrechen kannte, versprach er niemals zu vergessen. Den Geistlichen selbst bat er dringend, nach Kräften dahin zu wirken, dass Hannes Beziehungen zu ihm von der öffentlichen Meinung nicht zum Schaden der ohnehin schlimm genug Heimgesuchten ausgedeutet werden möchten.

Ende des zweiten Teils.

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