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Else, das Dukatenkind

I.
Eine Hütte und ein Herz.

Den Hohlweg des Dorfes herauf kam ein Zug Haustiere wie von einer frommen Wanderung zurück.

Den Vortritt hatte ein stattlicher, geldgelber Haushahn, welcher, eine junge Gattin zur Linken und eine erwachsene Tochter zur Rechten, das rote Fähnlein seinen Kammes hoch in die Lüfte hob und als Führer sorgfältig Ausguck hielt nach etwaigen Hindernissen und Gefahren.

Seiner Leitung voll Grandezza schien sich eine Anzahl Enten mit voller Beruhigung anzuvertrauen und wackelte, leise Bemerkungen stammelnd, sorglos hinter dem wehenden Hahnenschweife her. Nicht so vertrauensvoll als diese kamen in einiger Entfernung ein paar Gänse nachgeschritten, die Schläuche ihrer Hälse wachsam in der Luft und milde Lästerungen über ihre Nebenmenschen schnatternd; sie schienen manchmal über ihre Behauptungen selber zu erschrecken und spähten nicht ohne Sorge nach der Katze des Nachbarn hinüber, die vom Gartenzaune manchen verräterischen Blick nach ihnen gleiten ließ.

Den Gänsen folgte in ziemlicher Entfernung, mit rotem Bändchen um den Hals, eine schneeweiße Ziege, die sich um die Gesellschaft wenig zu kümmern schien und, ohne ihre Wanderung zu unterbrechen, hier und dort von dem Gesträuch am Wege naschte.

Ein Sprühschimmer der Abendsonne, der zwischen zwei Kornfeldern nach dem dunklen Hohlwege fiel, hatte nach und nach das bunter Gefieder des Geflügels und jetzt auch das weiße Haar der Ziege flüchtig beleuchtet, als ein doppelstimmiges Lied erschallte und bald darauf zwei Mädchengestalten, um ein Felsstück biegend, am Eingang in dem Hohlweg erschienen.

Das eine der Mädchen, von der Gattung der Schwarzbraunen, gedrungen von Gestalt und munter von Angesicht, sekundierte wacker dem von ihrer Begleiterin angestimmten Liede und sagte dann, als dieses zu Ende war:

»Guten Abend, Else, dass ich kann«, sagte die Angeredete hielt inne, um der schwarzbraunen Freundin, die mit einem Graskorb weiter ging, noch einmal zuzuwinken.

Sie kam dabei gerade unter den Streifen Abendschimmer zu stehen, welcher quer über den Hohlweg hinfiel, und erschien jetzt, wie sie so dastand mit ihrem duftenden Grasbund auf dem Kopfe, wie von einer sanften Verklärung umflossen.

Sie ahnte nicht, dass im nämlichen Augenblicke auch schon zwei stille Bewunderer ich der Nähe Boden fassten, welche nicht satt werden konnten, ihre Blicke an der schlanken, vollen Gestalt, an dem dunkelblonden Kopfe mit den warmen Wangen und blauen Augen zu erquicken.

Einer der Bewunderer, besorgt wahrscheinlich, es möchte ihm das schöne Kind zu bald entschwinden, wagte es sogar, aus einem nahen Busch den Kopf zu stecken und zu rufen:

»Grüß dich Gott, Else! Man sieht dich ja kaum mehr; was machst du?«

Else drehte rasch den Kopf der Stimme zu, errötete flüchtig und sagte munter:

»Was macht man viel? Man geht dem bisschen Arbeit nach, deckt immer seinen Tisch und säubert die Schüsseln; dazwischen wird man als um vierundzwanzig Stunden älter!«

»Du hast zu sorgen für dein Alter!« rief der Bursch, der weiter an den Gartenzaun vortrat, »du musst noch manchen Ring ansetzen, bis du siebzehn bist!«

»Siebzehn Mädeljahre sind auch vierzig Männerjahre, weißt du das? Gute Nacht für heute!«

»Was eilst du so?«

»Meine Familie ist voraus, sie will nicht immer recht zusammenhalten!«

Und wie zur Bestätigung dieser Aussage fiel in diesem Augenblicke ein Schuss in der Nähe, welcher sofort die Auslösung aller Ordnung unter den voranschreitenden Tieren zur Folge hatte.

Der Vortrab von Hühnern warf sich kreischend auf die Kolonne der Enten und von da auf den Gartenzaun zurück, die Enten vermochten erstlich nichts als »Quack!« zu rufen, fielen wie ohnmächtig auf ihr Hinterteil und krochen dann unterm Zaun weg in den Nachbargarten, während die Gänse, wie besessen schreiend, mit der nur ihrem Geschlechte eigenen Dummheit die senkrechte Erdwand hinauf zu fliehen suchten; die Ziege allein bewies einigen Anstand in der Furcht und nahm jetzt trabend ihren Rückzug zu der schönen Herrin, an deren Knie sie sich drückte.

»Wer muss uns auch gerade vors Ohr her krachen!« sagte der Bursch am Zaun, der anfangs über die Flucht der Tiere lachte und jetzt erst merkte, dass Else sehr erschrocken noch auf ihrem Platze stand: »Sei aber ruhig, ich helf dir wieder Ordnung machen!«

Und in der Meinung, Else sei nur über die Zerstreuung ihrer Tiere so betroffen, fing er an, diese im Garten wieder aufzustöbern und dem Hohlweg zuzutreiben ...

Er würde dieses Geschäft wohl schwerlich mit so vielem Behagen verrichtet haben, wenn er während dieser Zeit die Gestalt eines verwegen aussehenden Burschen auf dem oberen Rand des Hohlwegs gesehen hätte, welche lächelnd und winkend Elses Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen suchte.

Dieselbe Gestalt war ihr seit einigen Tagen als flotter Gebirgsjäger bereits zu öfteren Malen begegnet, hatte sich dabei immer durch Gruß und Zuruf als Verehrer hübscher Kinder gegeben und Else fast genötigt, förmlich die Flucht zu ergreifen; heute war der Fremde ihr, als er wieder durch die Felder strich, nach der Wiese und bis in die Nähe des Dorfes nachgeschlichen, wo er, um seine Gegenwart in feierlicher Weise anzumelden, seine Büchse schoss und aus dem wogenden Korn an den Rand des Hohlwegs vortrat; hier stand er denn auch noch und schwang den Hut dem holden Kinde zu, indem er dreist-vertraulich rief:

»Da sind wir wieder, liebes Hexle; Gott zum Gruß, ich denk' wir lernen uns bald näher kennen!«

Diese Hoffnung schien indessen nicht besonders gut zu wirken; wie ein verscheuchtes Reh beeilte sich die Else, aus dem Hohlweg fortzukommen, und sagte bittend zu dem Burschen, der ihr die Hühner und Enten aus dem Garten zutrieb:

»Komm mit, Reinhold, und hilf auch noch ein wenig Ordnung halten!«

Reinhold, der nicht bemerkte, dass er nur aus Furcht so freundlich eingeladen wurde, war schnell bereit, dem Ruf zu folgen, schwang sich leichtweg über den Zaun und schritt vergnügt neben der Else her, die nur von Zeit zu Zeit eine Bewegung mit der Schürze machte, um die Tiere anzutreiben.

»Das wäre also einer, den ich auszustechen habe«, sagte der Jägersmann jetzt rasch, doch munter: »Immerhin! Jagen ist mein Element und Erjagen macht die Beute umso süßer!«

Er ging noch eine Weile auf dem Rand des Hohlwegs hin und verschwand hierauf im hohen Korn der Felder ...

»Nun, was sagst du jetzt?« fragte in diesem Augenblick ein breitschultriger Mann, der im nahen Garten eine Tabaksflaschen aus der Joppe zog und eine Prise zwischen Daumen und Zeigefinder häufte, »gehen sie nicht neben einander wie Bräutigam und Braut, und ist nicht alles, wie ich sagte, zwischen ihnen abgemacht?«

»Glauben sollte man's«, erwiderte ein jüngerer Mann, der daneben stand und die Blicke nachdenklich der schönen Else und ihrem Begleiter folgen ließ – »da ich einmal davon weiß, so will ich weiter darauf achten.«

Der Breitschultrige war eben daran, die Prise unter die Einfahrt der Nase zu bringen, zog sie aber rasch wieder zurück und sagte mit gerunzelter Stirne:

»Willst du weiter darauf achten?«

Der jüngere Mann erschrak ein wenig, rückte am breiten Band eines Lederschurzes und nahm eine Zimmermannsaxt von der Schulter.

Ich weiß ja noch nicht, was ihr denkt und wollt«, bemerkte er, leicht errötend: »Ein Mann wie Unsereiner redet schwer mit Euereinem!«

Der Riedhöfer schnupfte seine Prise und sagte dann, die Flasche wieder in die Seitentasche steckend:

»Weiß wohl, was du meinst – und hast recht, den Gaul nicht gleich vom Zaum zu lassen. Aber es muss ausgeästet werden zwischen uns, komm her und lass uns alles sahen, was gesagt werden muss!«

Er zog den Zimmermann neben sich auf eine Holzbank nieder, und indem er den Hutschirm tiefer in die Stirne bog, sagte er:

»Hör' an!«

Ein leises Rauschen ging von Zweig zu Zweig durch den Nussbaum, und die Äste schienen sich zu senken, um von dem, was hier geredet würde, nichts zu überhören.

»Du bis kein Kind der Gegend, bist erst wenige Jahre da«, begann der Riedhöfer nach einer Pause – »du kannst daher nicht wissen, was mein Schicksal gewesen ist von Kind an und vor meiner Heirat. Der große Hof da, der mein ist, ist eigentlich mein geworden wider meinen Willen – versteh mich recht: ist mein geworden durch eine Heirat wider meinen Willen. Ich bin von Haus aus arm gewesen, arm wie ein Hungerstrauch am Rain, meine Aussichten waren nicht besser beschaffen, und ich war schon bereit, so in den Tag hineinzuleben, wie eine lebt, der nichts hat als seinen Gesund und starke Arme, sonst aber gerne seine Arbeit schafft. Mit sechzehn Jahren schon stand ich da wie ein Waldbaum, konnte meinen Dienst versehen wie einer, war mit Respekt betrachtet von Burschen und Männern – und bald auch von den Mädeln und Weibern ... Grad in dem Häusel da drüben, wo du dein Wesen hast, schoss dazumal ein Blümlein lustig auf, hieß Lene Rose und war auch wirklich eine Rose. Mit dieser hielt ich's heimlich vor der Welt, vergaß darüber Sorg und Not und alles, was vorbei war und noch kommen sollte. Ich wüsste nicht, dass ich je mit ihr von Verloben und Heiraten gesprochen hätte oder sie mit mir, es schien uns gar nicht nötig, da wir beide wussten, wie's mit unserem Hab' und Gut beschlagen war. Eines Tages – ich stand in meinem Hof da grad im Dienst – schickt meine Mutter einen Extraboten zu mir, ich möchte auf eine Stunde zu ihr kommen, sie wäre krank und möchte mit mir reden. Ich nehm' von meinem Meister Urlaub, geh' in Eil' nach Haus – und finde meine Mutter gar nicht krank und nicht betrübt; – was sie mir zu sagen hat, ist so vergnüglich, dass sie lächelnd mich begrüßt und sagt: Bist da, Riedhöfer? Ich frag': Wie nennt Ihr mich? Um so zu heißen müsste ich erst den Riedhof haben! Den hast du auch, sagt sie, den hast du ganz gewiss, wenn anders dein Sinn nicht höher steht; – und damit erzählt sie mir, die Riedhöfer-Suse sei bei ihr gewesen und habe ihr geklagt, wie dass ich gar kein Auge für sie habe und nicht merken wolle, dass sie alles auf mich halte! Ich stand jetzt da, wie vom Wetter gerührt, und sagte nur, so was sei mit gar nicht beigefallen; die Mutter aber setzte mir jetzt derblich zu, dem Mädel von Stund' an hold zu sein, es sollte sich der Mühe lohnen, da es so gut sei als gewiss, dass die Suse und nicht ihr kränkelnder Bruder den Riedhof erben würde. Ich sagte nicht ja und nicht nein und versprach nur, mir die Sach' zu überlegen; so ging ich ganz verwirrt von dannen ... Es sag' nur keiner, er sei der Mann, der nichts vom rechten Wege bringe; das hab' ich auch von mir gedacht und auf einmal ging ich, mir selbst ein fremder Mensch, im Dorf herum. Der schöne Riedhof wollte mir nicht mehr aus dem Kopfe, ich war jetzt voller Sorgen, dass die Suse, die ich gar nicht liebte, in ihrer Liebe zu mir wanken könnte, ich tat ihr hold, so viel sie wollte, und bestärkte sie in ihrem Sinn für mich. Da starb mein Meister unerwartet, sein Weib war nicht zum Besten in der Arbeit, sie wollte die Last vom Halse haben, und weil der kranke Sohn zum Erben nicht gemacht war, so musste jetzt getrachtet werden, der Tochter einen Mann, dem Hofe einen rechten Herrn zu schaffen. Es ging lebhaft her mit Werbern; reiche Burschen, hübsche Burschen, kecke und sanfte Gesellen stießen Tür und Tor ein um die reiche Braut; doch alles nur umsonst! Gegen den Vater wär' die Suse glimpflicher gewesen, gegen die Mutter aber trat sie scharf hervor und sagte, sie wolle mich und keinen sonst als mich; und als die Mutter Weh und Zeter schrie – blieb sie dabei und sprach von Leidsantun und Ledigbleiben. Was war zu tun? Die Mutter wich nun ihrem Willen, berief mich zum Verhör und sagte, da nun nichts zu änder sei, so wolle sie auch rasch die Hochzeit machen; – und sie hielt Wort – in Kurzem hatte ich den Riedhof wirklich, wie mir's prophezeit gewesen ...«

»Und lebte denn die Lene Rose noch um diese Zeit – und überlebte sie's?« fragte jetzt der Zimmermann, der anfangs zerstreut und dann mit wachsender Spannung zugehört hatte.

»Hast recht, hast recht zu fragen«, sagte der Riedhöfer langsam und ergriffen; – »Lene Rose lebte und überlebte alles; – die Armen haben starke Herzen – bis ein armes Herz zerreißt, geht manches andere leicht in Stücke ... Ich war Riedhöfen, hatte Gut und Geld die Menge, war beneidet und gefürchtet, belobt und angesehen – hatte aber eine Hausfrau, die schwer zu halten war, an Sitten täglich abnahm, herrisch wurde, mir die Herkunft vorhielt – und, ich weiß nicht wie erfuhr, dass Lene Rose einstmals stark in meiner Gunst gestanden. Von jetzt an treib sie Zorn und Eifersucht von Sinnen, und sie ruhte nicht, bis Lene Rose meinetwegen auch die Heimat verlor; – diese nahm ihr Bündelchen und ging davon, um nimmer wieder heimzukehren ... Aber auch mein Weib verließ mich bald – sie starb, und mein Herz stand wieder wie von Toten auf; – ich übersah mein Leben noch einmal und zog mir eine Lehre draus für Kind und Kindeskinder. Das Herz sei nie beschwatzt, sei nie verkauft, es soll sich streng prüfen und sich immer selber raten!«

Riedhöfer erhob sich bei diesen Worten, und indem er einen Augenblick ernst vor sich nieder sah, fügte er hinzu:

»Nun, Wendelin, ich hab' nur diesen Sohn; er ist mein einziges Kind, und was ich habe, wird er erben. Was ein rechter Vater ist, verwahrt sein Kind vor dem, was er kaum selbst ertragen ... Drum, Wendelin, geh' heim und prüf jetzt deine junge Base; ist sie für meinen Jungen, wie es scheint, so komm, gesteh' es mir – was auch die Leute sagen mögen, die Kinder sollen sich besitzen!«

Der Zimmermann hatte sich indessen auch erhoben, nahm jetzt seine Axt wieder auf und sagte nach einigem Schweigen:

»Gute Nacht, Riedhöfer; – ich will nun sehen und prüfen, was zu tun ist!«

»Will sehen und prüfen, was zu tun ist?« wiederholte der Riedhöfer, dem Fortgehenden mit großen Augen nachsehend – »Dieses Volk will am Ende noch fußfällig gebeten sein, vom Stroh ins Federbett zu kommen!«

Er war sehr versucht, in auffahrender Grimmigkeit dem Zimmermann zu folgen und ihn aller Mühe des Prüfens zu überheben; nur der Gedanke an seinen Sohn und die Else, zu der ihn eine tiefe Vorliebe hinzog, hielt ihn von einem so auffallenden Schritte zurück; er wollte diesmal noch zuwarten, was denn Wendelin für Untersuchungen anstellen, welchen Bescheid er endlich bringen würde ...

Hühner, Enten und Gänse hatten indessen wieder die nötige Fassung gefunden und wanderten, wenn auch nicht in der früheren Musterordnung, doch mit allem Anstand, den man nach einer großen Katastrophe verlangen konnte, zwischen den Garten zäunen dahin; sie schlüpften dann, als sie in der Nähe eines blanken Häuschens kamen, mit einer diesen Tieren eigentümlichen Hast durch die oft benützten Zaunlücken, während die Ziege, die sich seit dem letzten Schrecken nicht mehr von der Seite ihrer Herrin entfernt hatte, einige Schritte weiter ein Gitterpförtchen aufstieß und in einem zum Teil mit Bäumen bepflanzten geräumigen Hofraum trat.

Das Pförtchen war noch nicht wieder zugefallen, als auch schon die Else durch dasselbe eintrat, hinter sich rasch den Eingang schloss und über die Staketen hinaus ihrem Begleiter die Hand hinreichte.

»Schön Dank jetzt, Reinhold«, sagte sie freundlich und errötend, »ich hab' nun meine Familie wieder ordentlich daheim, vielleicht kann ich deine Hilfe einmal vergüten, gute Nacht!«

Und ohne auf das Zögern des Burschen, der wohl noch eine Weile mit dem hübschen Kinde plaudern zu können hoffte, zog sie ihre dargereichte Hand wieder an sich, trieb ihr Geflügel gegen das Haus hin und führte die Ziege nach dem sauber gehaltenen Ställchen, wo für dieselben die Abendmahlzeit bereits in der Raufe lag.

Nun wurde auf dem Herde Feuer angemacht, ein Topf mit Wasser an dasselbe gestellt und rasch bald hier, bald dort im Hause herumhantiert, dazwischen fielen Elses Blicke oft nach dem Gitterpförtchen, ob den der Vetter noch immer nicht komme, und als sie jetzt, neben der fertigen Abendsuppe am Herde stehend, noch immer vergebens wartete, deckte sie die Töpfe sorgfältig zu, rückte wie wieder an das verglimmende Feuer und ging nach dem Stall, um die einzige Kuh der kleinen Wirtschaft zu melken.

Aber auch diese Arbeit war getan und der Milchtopf nach dem Keller getragen, ohne dass der Vetter sich zeigen wollte, vielleicht wäre die Else jetzt selbst zum Nachbarn hinüber, um nachzusehen, was den Vetter so lange dort halte, wenn sie nicht gefürchtet hätte, ihr spätes Erscheinen könnte drüben missdeutet werden; so beschloss sie denn ruhig daheim zu bleiben, ergriff einen Krug und ging damit zu dem Röhrbrunnen, der mitten im Hofe sein Wasser spendete.

Nachdenklich geworden, stellte sie den Krug unter die Rinne, setzte sich daneben und brummte zu dem Rauschen des Wassers:

Lieb Wässerlein, wie rinnest du,
Sie klingst du so rein;
So frisch und munter, wie du bist,
Zu jeder Stunde, jeder Frist,
So sollte man auch sein!

Sie bemerkte nicht, dass sie während des Gesanges einen Zuhörer erhalten hatte, den sie weder erwartete noch wünschen konnte. Es war der junge Jägersmann, der sie schon oft genug in Verwirrung gesetzt hatte und ihr heute sogar bis in die Umfriedung des Hauses zu folgen wagte.

»Da ist sie!« sagte der ungebetene Gast herbei schleichend – »Und wenn ich nicht irre, allein! Himmel, heißt das Segen haben am Abend, wenn man den ganzen Tag umsonst gejagt hat!«

Else gewahrte die Nähe des Verfolgers immer noch nicht, erhob sich jetzt und stürzte den vollen Krug noch einige Sekunden nachdenklich auf die Brunnenbrüstung, indem sie leise wiederholte:

So frisch und munter, wie du bist,
Zu jeder Stunde, jeder Frist,
So sollte man auch sein!

»Red' ich sie an? Vertret' ich ihr den Weg nach dem Haus, dass sie mir ja nicht entkomme?« sagte der Jäger, näher tretend.

Else blickte noch einmal nach den Eingangspförtchen in den Hof, sagte unruhig: »Er kommt nicht, er kommt nicht!« und ging sinnend nach dem Hause. Aber diesen Augenblick benützte der Jäger, um ihr kecklich in den Weg zu treten, indem er lebhaft ausrief: »Endlich, holdes Kind, endlich bin ich so glücklich«, stellte er sich in der Nähe der Haustüre auf.

Allein das Glück, das er zu finden hoffte, war nicht besonders groß und von sehr kurzer Dauer. Denn Else hatte seine Stimme kaum gehört und seine Gestalt erblickt, als sie schreiend den Krug fallen ließ, und geschickt ausweichend, in das Häuschen entfloh.

Es wollte durchaus nicht fruchten, dass der hübsche Abenteurer bat, beschwor, die Else »süßes, herzigen Hexlein« nannte und die reinen Absichten seines Herzens pries, – die Fliehende schlug die Haustüre hinter sich zu und verriegelte sie, dann schloss sie auch klirrend alle Fenster des Häuschens und ward nicht mehr gesehen ...

»Alle Wetter, da steh' ich und habe wieder das Nachsehen!« rief der Jäger verdrossen, doch mit Humor: »Und wem verdank' ich dieses Unglück wieder? Dem Feuerteufel in meinem Blut! Kann ich dem Wild nachschleichen Stunden lang, warum trample ich wie ein Dragoner auf das Goldhuhn los, noch eh' das Netz geworfen, der Rückzug abgeschnitten ist?«

»Da mach' ich's besser, Ew. Gnaden«, sagte jetzt eine seltsame Bierstimme hinter dem Jäger: »Ich werfe vorher mein Netz und trete dann erst auf mit der ganze Schwere meines Gewichts ... Im Namen Ihres väterlichen Haus- und Staatsgesetzes, Ew. Gnaden, sind Sie mein Gefangener!«

Der Jäger hatte beim ersten Laute seinen wunderlichen Diener erkannt und konnte sich eines Lächelns nicht enthalten, trotzdem er durch die Gegenwart des ungebetenen Gastes verdrießlich überrascht wurde.

»Was willst denn du hier?« sagte er sich umdrehend und so barsch als möglich – »Wer hat dir erlaubt, mich zu stören, mit nachzufolgen?«

»Haben Ew. Gnaden nicht gehört, was Ihr Herr Vater zu mir sagte, als wie in den Wagen stiegen, um abzureisen? Anselm, sagte er, das sag' ich dir: ich binde dir meinen Sohn aufs Gewissen! Sagte er. Gut, sagte ich, gut, aber nehmen Ew. Gnaden ja lauter neue Stricke dazu, sonst reißt er mir dennoch durch! Und hab' ich recht gehabt?«

»Dass ich nicht wüsste ...«

»So? fuhr die dicke Gestalt mit dem roten Gesicht ereifert fort: »Schon auf der ersten Station verliebten sie Ew. Gnaden in zwei hübsche Damen auf einmal und wären mir sicher durchgebrannt, hätten Sie nur gewusst, welcher von beiden Sie folgen sollten!«

»Aber ich bin doch nicht durchgebrannt, und darauf kommt doch alles an«, sagte der Jäger, den der komische Eifer seines Dieners zu erheitern schien.

»Ganz recht, Ew. Gnaden, damals sind Sie mir nicht durchgegangen, auch blieben wir einige Zeit von aller Gesellschaft des sogenannten schönen Geschlechts verschont, wenn ich eines grauslichen Schoßhündchens nicht gedenken will, das mit zwei Kammerjungfern ins Bad für Brustkranke reiste. Schon sahen wir endlich von Weitem das Herrenschloss, wo wir bei Ihrem Freunde Besuch abstatten wollten, als zu unserem Unglück in einem Dorf gerade die Kirche zu Ende ist und ein wahrer Erzengel von Mädel am Wagenfenster vorüber geht. Da war's getan. Post und Postgeld wurden fahren gelassen, es wurde im Ort Quartier gemacht, ich wurde nach dem Cayenne des Dorfwirtshauses verbannt, und Sie pirschen seitdem als wilder Jäger dem schönen Mädel nach!«

»Da möchte ich nur wissen, was dieser Vorfall dich angeht! Du hattest im Wirtshause zu bleiben bei unsern Effekten, was ich dir ausdrücklich befohlen habe!«

Der Diener nahm einen höchst kläglichen Ton an, als er jetzt sagte:

»Haben Ew. Gnaden schon einmal drei Tage in Gesellschaft von Juchten, zwischen Koffern und Reisesäcken, zugebracht? Verzweiflung, Dienerpflicht trieben mich endlich ins Freie, Ihnen nach; ich musste wissen, wo Sie sind – ob Sie reüssiert haben, ob Sie nicht einen Schnellkurier brauchen, um Ihrem Vater Ihre neueste Verlobung zu melden.«

»Wagst du gar, über das Unglück deines Herrn dich lustig zu machen?«

»Denken Ew. Gnaden nicht so schändlich von mir. Ich habe im Gegenteil ganz herzbrecherisches Mitleid mit Ihnen. Eine solche Erscheinung aus höheren Sphären – ein Mädelsinchen so recht für Sie auf der Tagesordnung zu stehen ...«

»Schweig' sag' ich!«

»Ich will reden, ich will den Engel loben!« rief der Diener aufgeregt: »Glauben Sie, er hat nur auf Sie Eindruck gemacht? Ich sage Ihnen, die Schönheit dieses Mädels ist ein fait-à-compli! Die würde ich Ihnen erlauben en bloque zu heiraten! Das Glück an ihrer Seite müsste eine Tragweite haben ...«

»Kerl, wie sprichst du denn? Wo hast du denn diese Worte her?

»Im Wirtshaus habe ich aus langer Weile einen Pack alter Landtagsverhandlungen studiert, und da die Worte immer wieder kamen, dacht' ich, sie müssten besonders schön und wirkungsvoll sein.«

Der Jäger hatte sich indessen wiederholt nach dem Häuschen umgesehen und sagte jetzt sehr ernst:

»Geh', pack' dich nun, ich habe keine Zeit für deine Verrücktheit. Da ist Geld, zahl' unsere Rechnung, längstens morgen oder übermorgen reisen wir weiter. Was starrst du das Geld an, warum gehst du nicht?«

Kopfschüttelnd sagte der Diener nach einer Pause:

»Ich glaube, Ew. Gnden haben bei diesem Voranschlag der abgelaufenen Finanzperiode die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich habe drei Tage über den Wirtskellner wohnen müssen ...«

»Und da zogen deine Gedanken zu viel Feuchtigkeit an ...«

»Es ist mir leid, ich möchte die Sache nicht zu einer Kabinettsfrage machen ...«

»Das sollst du auch nicht – hier ist mehr – aber gehen, fortmachen sollst du!«

Der Diener verneigte sich feierlich und sagte, indem er den Hut zog und weiter ging: »Die Krisis ist vorüber, das Land ist ruhig, das Ministerium bleibt bei seinem Sinn, auf seinem Posten! ...«

Der Jäger – oder Freiherr Felix, wie wir ihn nennen wollen – übersah jetzt den kleinen Schauplatz seines Abenteuers wieder, um weitere Maßregeln zu ersinnen, als er plötzlich sehr verdrossen auf den Boden stampfte und ausrief:

»Alle Wetter! Kaum schaff' ich mir einen lästigen Gast vom Halse, so kommt dort schon wieder ein anderer!«

Es war der Zimmermann Wendelin, den er meinte und der in Gedanken eben an das Eingangspförtchen trat; es blieb also für den Augenblick nichts übrig, als sich hinter das Gartenpförtchen zurückzuziehen und bei günstiger Gelegenheit wieder zum Vorschein zu kommen.

Dass er seinen Rückzug unbemerkt auszuführen meinte, war indes ein Irrtum; der Zimmermann hatte ihn, plötzlich empor blickend, gerade noch hinter einem Strauch verschwinden sehen und erkannt.

»Geht dort nicht wieder der fremde Jägerbursch hinweg?« sagte er mit düsterer Stirn und zwischen dem Pförtchen stehen bleibend – »Ich sah ihn heute, da ich an Riedhöfers First arbeitete, gar wohl, wie er um die Else seine Kreise zog – wagt sich der Lämmerdieb jetzt bis an mein Haus?«

Er bemerkte indessen das wohlverriegelte Haus und atmete leichter auf.

»Das Lämmlein hat sich wohl hinter Tür und Angel verwahrt«, fügte er hinzu, »ich hätte auch wohl ...«

Das Wort stockte auf seiner Zunge, denn die Haustüre flog auf, und Else stand auf der Schwelle.

»Sieh' da«, vollendete Wendelin den angefangenen Gedanken ... »So sieht doch wohl kein böses Gewissen aus?«

»Vetter! Vetter!« rief jetzt Else hervorstürzend, »da seid ihr, endlich seid ihr da!«

Wendelin ging rasch auf sie zu.

»Else, Bäschen«, sagte er und reichte ihr die Hand entgegen.

Else blieb jetzt einen Augenblick verwirrt und errötend stehen und sagte dann:

»Wie habt ihr heute warten lassen – und wie hab' ich gewartet!«

Wendelin lehnte Axt und Winkelmaß an den Brunnen und erwiderte:

»Nun, es war nicht recht von mir«, dann legte er beide Hände auf den Scheitel Elses, blickte Sekunden lächelnd in deren Augen und fügte hinzu:

»Die gute Luft hat mich zu einem Umweg verleitet, vergib! Dafür will ich mir auch dein Abendessen aus dem Fundamente schmecken lassen!«

Diese Worte fanden ein dankbares Ohr; mit warmer Kindlichkeit und Unschuld den Vetter haltend, sagte Else:

»Ja? Wollt ihr das? Aber ich steh' nicht gut, dass das Essen auch geraten ist!«

Langsam, Arm in Arm, gingen nun beide dem Hause zu, und Else setzte glücklich und geschwätzig ihre Not und Sorge mit dem Kochen auseinander:

»Das Mehl zur Suppe ist mir zweimal verbrannt«, sagte sie, »Milch und Wasser liefen in einem fort über; das Feuer wollte geschürt und immer geschürt sein! Dort steht noch alles, wie es fertig wurde, weiß der Himmel, was geworden ist!«

Kaum waren Else und Wendelin bis an die Haustüre gelangt, als der Freiherr Felix wieder aus seinem Verstecke hervortrat und folgende Betrachtung anstellte:

»Ei, ei; sieh', sieh'! ... Vetter – Bäschen! Ein herziges Bäschen und ein viel geherzter Vetter! Hab' ich hier einen zweiten Vater auf meine Seite zu bringen oder einen Liebhaber auszustechen? ... Aber alle Tausend – warum kommt es mir denn vor, als hätt' ich diesen Mann schon wo gesehen? Wo war es denn? Und bei welcher Gelegenheit war es?«

Ein Gedanke machte ihn plötzlich stutzen, und er blickte nach dem Häuschen hinüber, als ob er den Zimmermann noch einmal prüfend ins Auge fassen wollte.

»Himmel!« rief er dann, »sollte er's wirklich sein, sollte er nur den Wohnort verändert haben? Dahinter muss ja leicht zu kommen sein, der erste beste Dorfbewohner muss mir Auskunft geben!«

Er täuschte sich in dieser Erwartung wirklich nicht; denn als er an dem Zogelhof vorüberging, fragte er eine alte Frau, die gerade Holz von einer Schichte nahm, und erhielt über Wendelin folgenden Aufschluss; er sei nicht in der Gegend geboren, sei vielmehr erst einige Jahre im Ort, habe früher in der Kreisstadt des Oberlandes gelebt und sei im Dorfe mit seiner alten Mutter und einem kleinen Bäsle angekommen; die Mutter sei aber tot, und die Base führe dem Vetter jetzt das Haus.

So unscheinbar diese Mitteilung eigentlich war, so wichtig erschien sie dem jungen Abenteurer, der sich kaum Zeit nahm, um der alten Frau ein Geldstück in die Hand zu drücken; forteilend sagte er hoch erfreut für sich:

»Holla! Was für eine Entdeckung! ... Vetter – Bäschen! Wartet doch, wartet! Mir scheint, da hab' ich die Angel, um den Goldfisch wegzufangen, eh ihn der Vetter Hai für sich erschnappt!«

II.
Der Vetter und sein Bäschen.

Der Riedhöfer hatte es bei seiner Unterredung mit dem Zimmermanne übel vermerkt, dass derselbe seine nicht gewöhnlichen Eröffnungen statt mit freudiger Überraschung nur wie noch zu überlegende Anträge still und nachdenklich hinnahm; es hatte ihm fast den Anschein, als könnte der Zimmermann erst nach Beseitigung ernster Bedenken sich entschließen, seinem Bäschen die Mitteilung von dem seltenen Glücke zu machen, das ihr bevorstand. Dieser Gedanke wurmte ihn nachträglich erst recht und machte ihn so ärgerlich, dass er in der folgenden Nacht, als er einmal zufällig wach wurde, heftig gegen die Wand spuckte und mit lauter Kehle sagte:

»Soll ich nicht Messen lesen lassen und Almosen an die Armen geben, damit mir Gott sein Herz gefällig mache?«

Es war daher kein Wunder, dass der Riedhöfer, als der Zimmermann am nächsten Morgen und auch nachmittags noch keine Antwort brachte, immer verdrossener wurde und die Eile, mit der er sein Vertrauen eröffnet hatte, zu bereuen anfing.

»Er soll mir aber auch auf Audienz warten, wenn er endlich kommt«, sagte er um vier Uhr nachmittags, indem er einige Ziegelsteine, die im Wege lagen, heftig gegen die Scheuerwand warf; und da gerade sein Sohn, der Reinhold, durch den Hofraum ging, so rief er ihm zu und ging, die Hände überm Rücken, nach dem Obstgarten voran.

»Wie man hört«, sagte er hier auf- und abgehend, »hast du es mit der Else drüben, des Wendelins Bäsle; kein Gedrucks, und was wahr ist, gesagt! Ist's richtig so?«

Nach dem rauen Ton und den tiefen Stirnfalten des Vaters glaubte Reinhold nicht anders, als dass seine Liebschaft sehr übel angesehen werde; Sorge und Überraschung benahmen dem Burschen daher vorerst das Wort, und er sagte nichts darauf.

»Nun, werde ich hören dürfen, was an der Sache ist?« fragte der Riedhöfer noch einmal.

»Still sein ist auch geredet«, erwiderte der Sohn schnell atmend – und einen Augenblick innehaltend, setzte er dann hinzu: »Ja – ja, ich halt's mit er Else!«

Die Stirn des Vaters wurde etwas glatter und der Ton der Stimme milder, als er hierauf sagte:

»So. Ich nehm' es zwar nicht übel, das du mit nicht gleich den ganzen Handel hinterbracht hast, aber der Vater soll doch auch nicht das Nachsehen haben, wo alle Welt im Voraus das und jenes weiß. Wie weit kennst du jetzt den Sinn des Mädels? Bist du sicher, dass sie dich auch will?«

Reinhold schwieg und sah zu Boden.

»Was?« rief der Vater, noch verstimmter als zuvor, »du kennst den Sinn des Mädels nicht? Du weißt nicht einmal ...«

»Sie ist mir immer gut gewesen«, sagte der Sohn betroffen, um nur etwas zu sagen – »Ich seh' sie oft und glaube auch ...«

»Was?«

»Sie hält gewiss so viel auf mich als jeden anderen ...«

Die Schritte des Riedhöfer griffen plötzlich so gewaltig aus, dass der Sohn mit Anstand nicht mehr neben her gehen konnte, ohne sich lächerlich vorzukommen, er blieb daher kurzweg stehen, brach verwirrt einen Baumzweig ab und knickte daran herum, seine Verlegenheit zu verbergen.

»Es ist gut, geh' jetzt nur wieder«, sagte Riedhöfer nach einem kurzen Sturmschritt hin und wieder ... »Ich will schon weiter mit dir reden, wenn es Zeit ist!«

Reinhold knickte zitternd den Rest des Astes in zwei letzte Stücke, ließ sie vor die Füße fallen und ging dem Hause langsam zu.

»Himmel und Erde! Mordelement!« rief der tobende Vater jetzt, allein zurückbleibend – »Solche Duckmäuser, solche Hängeköpfe sind unsere Söhne und Erbnachfolger! Was für ein Brei soll aus dem Menschengeschlecht werden, wenn das so immer weiter abnimmt? Nicht einmal einem Mädel abjagen, was man ihm wert ist! Da wär' ich längst wie ein Kürassier dem Ding an den Fersen gewesen, bis es gutwillig geächzt hätt': Ich mag dich, da bin ich – ich bin dein!«

Bei diesen Worten war der Riedhöfer so fuchswild geworden, dass er bei einem Haare zum Zimmermann hinüber wäre, um zu melden, die Heiratssache sei auch ohne weitere Unterredung zu Ende; – allein ein Umstand, der ihm plötzlich beifiel, brachte ihn schnell zur Besinnung und stimmte ihn merkwürdig um.

»Wie«, dachte er – »wär' mit denn wirklich lieber gewesen, wenn der Zimmermann anders getan hätte, wenn sein Bäsle aufgetreten wär' wie hundert andere? Wie, wenn beide zugegriffen hätten mit zwanzig Fingern auf einmal, recht wie arme Schlucker, denen das Glück einmal wohl will und die heißhungrig anfassen? Wetter – halt, o halt, sag' ich! Wenn das Mädel meinem Sohn Schlingen gelegt, sich ihm glücksgierig an den Hals geworfen hätte, um ihn abzufangen – wäre das mir lieber gewesen? Halt, sag' ich, gemach! Das Mädel soll man als Muster aufstellen, in Krongold fassen! Es hat meinen Sohn behandelt wie einen, der erst warten muss, was ihm sein wohlmeinender Vater zugedacht hat – Richtig, und darum hat sie ihn bescheidentlich vom Leibe gehalten wie ein Mädel, das wissen muss, was sich für ein züchtig und arm Ding schickt! Drum nochmals Halt! und dageblieben! Und abgewartet, was weiter kommt!«

Nach diesen Worten blieb Riedhöfer eine Weile stehen und führte seine Gedanken weiter aus, worauf er seien Zeigefinger hob, die Augenbrauen bis zur Hälfte der Stirn emporzog und mit etwas geneigtem Kopfe sagte:

»Respekt, Respekt vor solchen Leuten!«

Diese Worte öfter wiederholend, ging er nach dem Hofe zurück, um eine angefangene Arbeit weiter auszuführen ...

Indessen hätte es doch wohl geschehen können, dass diese verbesserte Ansicht Riedhöfers nach und nach wieder einer ernstlichen Verstimmung wich, hätte der Zufall nicht, wie so oft im Leben, eine wohltätige Vermittlung noch zu rechter Zeit herbeigeführt.

Denn es waren abermals eine Nacht und ein Tag verstrichen, ohne dass der Zimmermann den Riefhöfer von den Gesinnungen seines Bäschens in Kenntnis setzte, ja es war nicht zu verkennen, dass er dem Nachbarn sonntags auf dem Kirchenwege förmlich aus dem Wege ging; schon runzelte daher der Riedhöfer wieder die Stirn und dachte: »Zwingen sie mich denn nicht, die Freundschaft aufzukündigen?« als eines Tages beide Männer zwischen den Gartenzäunen auf schmalem Pfade einander entgegen kamen und sich auf keine Weise ausweichen konnten.

Der Riedhöfer bemerkte den Glücksfall mit einiger Schadenfreude zuerst und gedachte sogleich, von demselben zur Strafe des Zimmermanns Gebrauch zu machen. Als daher der Zimmermann eben erst aufblickte und sein unerwartetes Gegenüber gewahrte, war der Riedhöfer schon mit einem wunderlichen Lächeln zurechtgekommen und sagte ruhig:

»Guten Tag, Wendelin; Was ist dir? Wie sich der Mensch verändern kann, wenn man sich lange nicht sieht!«

Der Zimmermann errötete ein wenig und erwiderte ziemlich gefasst:

»Auch ihr habe euch verändert, ihr seid viel munterer, als ich euch vor meinen Gedanken hatte.«

Jetzt lächelte der Riedhöfer wirklich freundlich und bemerkte, indem nur aus dem Tone zu erkennen war, dass hinter seiner Heiterketi noch ein strenger Ernst verborgen liege:

»Nun, so freut mich's doch, dass du diese Zeit her ein rechtes Gewissen geführt hast; es hatte wirkliche gute Augen, dein Gewissen – und gerade heraus, Wendelin, dein Drucksen und Schweigen hat mich zu öftern Malen wild genug gemacht!«

»Nehmt's nicht zu hoch auf«, sagte der Zimmermann, »es hat ja jeder Mensch sein Eigenes auf dem Herzen und muss nach meiner Meinung tun und leben dürfen. Wollt ihr aber auch jetzt noch hören, was ich lang an mich gehalten, so kommt herein da – hier ist euer Garten, ich will euch alles beichten!«

Der Riedhöfer musste Anstandes halber einen Augenblick bedenken, ob er sich nicht spröde zeigen solle – drückte aber recht bald die Blankentüre auf und sagte:

»Meinethalben; wissen möchte' ich wirklich, wonach ich neulich fragte!«

Und vorangehend nahm er seinen Weg wie kürzlich nach dem Nussbaum hin und auf derselben Bank, wo er dem Zimmermann seine Heiratsangelegenheit erzählt, nahm er jetzt Platz, um seinen Nachbarn anzuhören; dieser setzte sich denn auch an seine Seite, und vorgebeugt, mit einem langen Maßstab auf den Boden zeichnend, begann er so:

»Es ist lange, lange her – ich war noch kaum siebzehn Jahre alt, hatte kaum die Lehrzeit bei meinem Meister im Oberkreis überstanden – als ich eines Tages auf dem großen Bauplatz vor der Stadt, knapp an der Landstraße, ein neu Gerüst behaue und von einem fertigen Balken zum andern gehe; weil ich Durst habe, will ich noch vorher aus einem Kruge trinken, der auf einer Bretterschichte steht, als eine Wanderin vor mit stille hält und bittet, sie doch auch trinken zu lassen. Ich guck jetzt auf, seh' ein Frauenzimmer vor mir, mit einem kleinen Bund in der Hand, müde, traurig, und ihr schönes Auge bittet noch viel mehr als ihre Worte; – geschwinde zieh' ich jetzt den Krug von meinem Munde, reich' ihn hin und seh' das schöne, arme Wesen schnelle Züge tun, die Augen vor Behagen schließen – die Adern am Hals und an der Stirne klopfen sichtbar, so dass ich sorge, sie trinkt zu schleunig in die Hitze. Atmend setzt sie endlich ab, öffnet die Augen wieder, lächelt, dankt und bittet, ihr zu sagen, wo ein Mädchen hier wohl einen Dienst erfragen könnte. Ich entsann mich, dass ein Bäcker angekündigt hat, er suche eine Magd – ich weise sie also gleich den rechten Weg und seh' sie still von dannen gehen ... Ich muss ein wenig lange gestanden und nachgesehen haben, da mir der Meister rufen musste, mehr beim Werk zu sein. Ich besinne mich also, fahre fort in meiner Arbeit – kann aber die Augen und die Stimme – kann die stille Traurigkeit der Fremden nicht vergessen; ich wünsche jetzt die Essenszeit herbei, um bei der Bäckersfrau zu fragen, ob die Fremde dagewesen – erfahre später auch, dass sie sich gestellt, den Dienst erhalten habe und den Leuten wohlgefalle ... Mir war auf einmal, als hätt' ich eine Freundin, eine Schwester unter Dach gebracht, ich glaubte, die Welt sei niemals schöner, die Menschen niemals besser, der Himmel nie gütiger gewesen, arme Menschen unter Dach zu führen. Sooft es anging, sucht' ich mir die Fremde anzusehen, sooft ich konnte, traf ich sie am Wege an und fragte, wie es ihr erginge. Sie dankte und sagte, dass sie wohl zufrieden sei, der nicht zu schwere Dienst, die gute Kost im Bäckerhause schlugen ihr auch sichtlich an; sie wurde schöner mit jedem Tage, wenn auch immer nicht recht froh ... Was soll ich euch erzählen, Nachbar – mein Blut ward heiß und heißer, und endlich lass ich meiner Fremdenmerken, wie es mir ums Herz sei. Sie wollte anfangs nicht verstehen, wich mir aus, und weil ich heftig wurde, ward sie traurig, drückte mir die Hand und sagte: Wendelin, such' andere Gedanken! Diese Worte trafen schwer; ich wäre nicht gern dringender geworden und fühlte doch, dass ich nicht leben konnte – ohne auf ihr Herz zu hoffen. Vielleicht aber hätt' ich alles noch geduldsam hingenommen, wenn ich nicht nach Jahr und Tag gesehen hätte, dass die Fremde einem anderen mehr zuneige; es war ein würdiger Mann, nicht mehr jung, gab Unterricht in Sprachen und konnte eine Familie wohl erhalten. Bald auch redeten die Leute von der Sache, sie wurde immer gewisser, die Verlobung wurde endlich gefeiert und die Hochzeit festgesetzt ... Jetzt brach die Krankheit bei mir aus; ich aß und schlief kaum mehr, Fehler in der Arbeit machten mir den Meister wild, er schickte mich fort, und da ich nicht zu meiner armen Mutter wollte, so lief ich Tage lang in Not und Jammer um – und kam so einmal auch der schönen Fremden zu Gesicht! Meine erste Rede mag recht toll gewesen sein, ich seh' das Wesen noch vor mit, vor Schrecken ganz erstarrt. Was ist das, Wendelin, mein Gott, hab' ich denn das verschuldet? rief sie und brach in Weinen aus. Ich sagte, ja, das habe sie an mir verschuldet und ich würde niemals dulden, dass sie einem andern angehöre! Da hörte sie zu weinen auf – erhob die Augen rasch und strenge – nahm meine Hand und sagte: Du bist ein Mann – ein Mann, heißt's immer, kann doch mehr ertragen als das schwache Weib – so wirst du ja auch tragen können, was ich trug; – und wir gingen eine Weile abseits über Feld, und sie erzählte mir, was sie erlebt, erlitten ... Riedhöfer, was ihr neulich von der Lene Rose sagtet, war zu wenig, war nur mit den Fingerspitzen angerührt – die Fremde erzählte mir jetzt von der Sache mehr: – denn Lene Rose selbst war's, welche ihre Leiden mir erzählte! ...«

Bei diesen Worten fasste der Riedhöfer, wie von einem elektrischen Schlag berührt, mit beiden Händen nach der Bank, als fürchte er hinab zu stürzen; – dann stand er auf, zog einmal Atem aus der tiefsten Brust und sprach nach einer Weile:

»Lene Rose – Lene Rose? – O, sage weiter, sage weiter, Wendelin ...«

Der Zimmermann erhob sich ebenfalls und fuhr nach einer Pause fort:

»Sowie sie ausgeredet hatte, blieb sie stehen und sah mich an – ich kann es nie vergessen! – nahm meine Hand und sagte, so dass ich heut' noch ihre Stimme höre: ›Wendelin, du bist noch jung, bis jünger als ich; du wirst, wenn du nur willst, wie ich überwinden! Bete und arbeite, an Trost und Stärkung wird's nicht fehlen. An deine alte Mutter denk', du bist ihr Trost, du sollst sie nähren; vertrau dem Himmel, er verlässt die Seinen nicht. Und ich – ich hab' nur eins noch zu bedenken. Ich bin allein in der Welt. Die alten Tage werde da sein, eh' ich's denke – ich muss wissen, wo ich ein ehrlich Plätzchen finde, wo ich mein Haupt hinlege. Der Mann, der mich freit, wird mir Schutz und Obdach schaffen, ich habe ihm gesagt, was ich erlitten, das hält in nicht ab, mich zum Weibe zu nehmen. Leb' wohl jetzt, Wendelin; sei brav, sei stark und halt' auf dich!‹ ... Mit dieser Rede ging sie fort, – und ihre Heirat kam zu Stande; – ich aber, ich ging in mich, das Wort der Lene und Gottes Kraft verhalfen mir zu Stärke, ich wurde von meinem Meister wieder aufgenommen, tat meine Pflicht und nährte meine Mutter ... Drei Jahre waren so dahin gegangen, da steh' ich eines Tages auf einem neuen Dachgerüste und füge Zwischenbalken, als am Ende der Stadt auf einmal Rauch aufsteigt, die Glocken anschlagen und großer Lärm verkündet, dass es Feuer gebe. Ich sogleich herunter, Axt und Leiter genommen und fort nach der Straße, wo es brennt; wie ich komme, steht ein Haus schon lichterloh in Flammen, das nächste dran fängt an zu brennen, aus einem oberen Fenster werden Stühle, Kasten, Betten geworfen – und auf einmal erscheint ein Weib mit einem Kind im Arm; – die Treppe herunter kam das Weib nicht mehr, zum Fenster hinaus auch nicht – und ich erkenn' mit einem Blick – die Lene Rose! Ich muss wie ein Tier die nutzlosen Gaffer durchbrochen haben, alles flog neben und vor mit auseinander – im Nu ist die Leiter an der Wand ich droben, ein brennender Balken schlägt mir eine Feuerwunde in den Kopf, ich aber acht' es nicht, fasse das Kind und überreich' es einem, der mir nachgestiegen; ich will hierauf die Mutter fassen, die in Rauch verhüllt im Fenster wankt – da schließen um ihre Schultern andere Arme, Feuerarme, die schneller sind als meine, ein Donnerkrach geschieht, und mit dem Boden unter ihr fällt auch die Mutter in den Feuerherd hinab und wird nicht mehr gesehen ...«

Eine Pause entstand, und die beiden Männer bildeten eine seltsame Gruppe; der Zimmermann blickte starr und mit zuckenden Lippen vor sich in die Luft, während der Riedhöfer sich mit der rechten Hand scharf in die Haare griff und gegen ein inneres Schluchzen zu kämpfen schien.

Der Zimmermann begann nach einer Weile wieder:

»Das Feuer wird endlich überwunden, drei Häuser liegen als Schutt und Asche da, und man fragt, wo denn der Mann der Lene Rose geblieben. Niemand weiß eine Auskunft, und endlich hört der Gürtler die Frage und sagt verwundert: ›Was sucht ihr denn lange? Hat ihn denn niemand gesehen, wie er zum Seitentor ins brennende Haus ist, um die Seinigen zu holen?‹ Da kam es schrecklich an den Tag; – auch er lag verschwunden unter den Trümmern, und man zog seine Reste später wirklich hervor ... Bei einem solchen Unglück war's kein Wunder, wenn jetzt viele Menschen nach dem Kindlein fragten, das zu rechter Zeit gerettet wurde; aber das hatte seinen Helfer schon gefunden; ich selber hatte es meiner Mutter heimgebracht, sorgte für dasselbe und half es pflegen, ich gönnte niemand ein Verdienst um dieses liebe Leben, es war das einzige und beste Angedenken, das mir seine Mutter selbst noch dargereicht; – mein Lohn blieb auch nicht aus. Das Kindlein wuchs in Freuden heran, zeigte bald ein liebreich Gemüt und, genauer besehen, war es ganz das Bild von seiner Mutter ... Riedhöfer, ich habe viel getrauert und sehr viel Trost geschöpft, wenn ich das Kindlein jeden Tag betrachtet; ich habe Gott im tiefsten Gebet versprochen, es zu wahren und zu schützen und zu versorgen nach besten Kräften. Damit es nichts erfahren sollte von dem Unglück seiner Eltern, habe ich den Ort geändert, bin nach Rodenheim gezogen und habe vorgesorgt, das Else überall nur als mein Bäschen gelte. Dies wird auch heute noch gehalten, wo ich hier mein bisschen Brot erwerbe; der Vetter bin ich meinem Schützling, und Gott mag richten, ob ich's je versäumen möchte, dessen bestes Glück zu gründen ... Riedhöfer, wenn ich euch noch keine Antwort brachte, ob die Else euern Reinhold wolle oder nicht, so wisst, dass ich gezweifelt habe, ob die Lene Rose euch in jenem Leben schon vergeben habe. Mein ärgstes, längstes Leid wär's, wenn ich eine Heirat zugegeben hätte und müsste mir sagen: Lene Rose will es nicht! Denkt nach und helft mir gegen meinen Zweifel streiten – lebt wohl – wir reden wieder, wenn wir uns gesammelt haben!«

III.
Die Flucht.

Wenn bisher der Zimmermann gezögert hatte, seinem Nachbarn die erwartete Auskunft zu bringen, so war es jetzt der Riedhöfer, welcher nicht so bald zum Vorschein kam, um den Zimmermann von seiner Ansicht, wie man sich der Else gegenüber zu benehmen habe, in Kenntnis zu setzen. Das Schicksal der Lene Rose hatte ihm Schlaf und Ruhe entzogen, sein nicht selten vorherrschend heiteres Gemüt war von tiefen Schatten der Schwermut getrübt, und er konnte des peinlichen Gedankens nicht ledig werden, dass er einen Teil der Schuld an dem schrecklichen Ende der Jugendgeliebten zu verantworten habe.

Bei dieser Stimmung seines Herzens war es nur ein Glück, dass ihm endlich der tröstende Gedanke kam, das Erscheinen der Else und die Beziehung derselben zu seinem Sohne sei eine Fügung Gottes, sei ein Werk der Verstorbenen, dass die Verschuldung an der Mutter durch die Sorge für ihr Kind wieder gut gemacht werden könne. Und das Glück der Else zu begründen war Riedhöfer jetzt auch fest entschlossen, und so kam er eines Tages zum Wendelin hinüber, mit dem er eine Weile vor dem Hause auf und abging und dann, um weniger beobachtet zu sein, in die kleine Wohnstube trat.

Beide Männer, wohl mit sich zu Rate gegangen, ernst und gefasst, setzten sich, da Else nicht zu Hause war, auf die zwei Stühle am Fenster und erleichterten ihr Herz durch milde Gegenreden.

»Sogar im Traume sah ich sie«, sagte der Riedhöfer, seinen Hut abnehmend, »sie lächelte, wenn auch betrübt – jedoch sie lächelte!«

»So sah ich sie vor wenig Tagen auch«, bemerkte Wendelin.

»Darum getrost, mein Freund! Gibt's etwas, das das Mutterherz auch dort noch mehr beglückt, als das Wohl des Kindes?«

»Schwerlich, schwerlich ...«

»Drum bin ich wieder fest in mir. Ein Wink von oben ist's, eine Schickung für die Tote wie für uns: die Hand, die sich die Kinder geben, ist die Versöhnungshand für sie und mich!«

»Ihr glaubt's«, sagte Wendelin nach einer Pause; – »so will ich danach handeln ... Else wisse euern Wunsch; sie sage offen ihres Herzens Antwort – Eines nur ...«

»Und was?«

»Else muss mein Bäschen bleiben ... Niemand, die Kinder besonders dürfen nicht erfahren, was wir wissen ... Willigt Else ein und nimmt sie euern Reinhold, so zieh'n wir nur das Amt und den Pfarrer ins Vertrauen – die andern sollen glauben wie bisher!«

Bei diesen Worten hatte Wendelin einen Blick durchs Fenster geworfen und sagte jetzt:

»Sie kommt! ... Aber was seh' ich? Sie kommt nicht allein nach Hause – der Jägerbursch – der freche Fremde folgt ihr ... Sie ist verwirrt, voll Angst; – aber sie duldet ihn, hört ihn an ...«

Eine zornige Aufregung ergriff ihn: »Ist's dennoch«, rief er, »dennoch, was ich nicht gern fürchten wollte?«

»Der Mensch ist nicht mehr aus den Augen zu lassen«, sagte der Riedhöfer, ebenfalls durch das Fenster sehend: »Ich sah ihn gestern auch schon hier herum; er wollte Näheres über dich wissen und fragte da und dort die Leute ...«

»Endlich – endlich nimmt er Abschied!« sagte Wendelin, nur Ohr und Auge für den Auftritt vor dem Hause: »Wie vertraulich und wie fein er sich gibt ...«

»Die Else aber scheint das kaum zu merken ...«

»Da er sie ganz und gar in Angst versetzt! ... Wie sie dem Haus zu flieht! Bald glühend im Gesicht, bald blass!«

»Wie komm' ich aber fort«, sagte der Riedhöfer, sich besinnend: »Soll sie mich hier sehen?«

»Es ist zu spät, Riedhöfer – bleibt ...«, erwiderte Wendelin.

»Aber wohin nur?«

»In den Verschlag hier«, sagte der Zimmermann: »Da hört ihr selbst, was wir verhandeln, hört auch ihre Antwort!«

»Still«, sagte Riedhöfer und verbarg sich hinter dem Verschlägle, während der Zimmermann ein Beil von der Wand nahm, einen Schleifstein anfeuchtete und, seitwärts stehend, die Schneide des Beiles schärfte ...

Else trat ein.

»Schon zurück, mein Kind?« sagte der Zimmermann, flüchtig beobachtend und mit harmlosem Tone.

Else, die verstört und hastig eingetreten war, antwortete nicht, hing eine Sichel an die Wand und schüttete dann eine Sammlung Kräuter, die sie in der aufgebundenen Schürze mitgebracht, in eine auf der Wandbank stehende Schüssel.

»Hast du nicht geseh'n, ob vor dem Dasselhof die Balken schon abgeladen sind?« fragte Wendelin nach einer Pause wieder.

Else, die offenbar zu antworten geneigt war, aber ihre Bewegung zu verraten fürchtete, stieß die Schüssel mit den Kräutern um, wischte sich die Augen und ging schnell nach der Kammer.

Jetzt ließ auch Wendelin das Schärfen des Beiles sein, die Hände fielen ihm schlaff an beiden Seiten herunter, und er sagte mit umflorter Stimme:

»Was ist das?«

»Warum redet sie nicht?« fragte Riedhöfer, aus seinem Versteck etwas hervorkommend.

»Still«, sagte Wendelin, ihn wieder fortwinkend: »Ich kann euch sagen, Nachbar, dass mir nicht zum Besten zu Mute ist!«

Er trat nach diesen Worten an die Kammertüre, bemühte sich, einer möglichst gefassten, freundlichen Stimme, und rief: »He, Else! Sei so gut – ein Schluck Milch wäre mit lieb, bevor ich gehe!«

Er horchte einen Augenblick, und da drinnen keine Antwort erfolgte, sagte er halblaut:

»Sie hat kein Ohr für mich; so hab' ich sie noch nie gesehen; – doch sie kommt!«

Damit stellte er sich wieder an den Tisch und schärfte am Beile, während Else mit verweinten Augen zurückkam und einen kleinen Milchtopf mitbrachte, den sie mit verlegener Miene so neben Wendelin zu stellen suchte, dass dieser ihr nicht ins Gesicht sehen konnte.

»Hier, Wendelin ...«, sagte sie nur, kaum hörbar und schnell.

»Wendelin?« dachte der Zimmermann höchst betroffen: »Nur schlechtweg Wendelin?«

Er legte Beil und Schleifstein weg und griff rasch, aber sanft nach Elses Arm, während sie noch flüchtig mit dem Schürzenende über die Tischplatte wischte.

»Hör' Else«, sagte Wendelin mit bewegter Stimme – »zwei Worte, eh' ich geh'!«

Er zog die verlegen Widerstrebende auf einen Stuhl nieder und setzte sich neben sie.

»Ich hab' seit gestern«, fuhr er fort, »etwas auf dem Herzen, Bäsle; ich hätte dir's gern schon gesagt, aber da ich nicht recht wusste, ob es dein Glück machen wird oder nicht – so hab' ich immer noch an mich gehalten ... Else, wenn ich jetzt rede, so bedenk' – das es nur ein Vorschlag ist – von deinem immer wahren und wohlmeinenden Vetter!«

Indem nach diesen Worten Wendelin einige Augenblicke inne hielt und zu Boden sah, um sich für die schwere Mitteilung, die er machen wollte, zu sammeln, hörte er plötzlich das Geräusch von fliehenden Fußtritten, ein seltsames Schluchzen rührte an sein Ohr – und als er emporblickte, sah er eben nur noch das fliegende Kleid der Else hinter der Kammertüre verschwinden.

»Was ist das?« sagte er mit bebenden Lippen; er blieb erblassend sitzen und starrte nach der Kammertüre.

»Weiß sie«, fügte er nach einer Pause hinzu, »was ich ihr zu sagen habe? Ist die Heirat nicht in ihrem Sinn?«

Jetzt kam auch der Riedhöfer wieder aus seinem Versteck hervor und fragte erstaunt:

»Nachbar – ums Himmels willen ...«

»Bleibt, bleibt, ich bitt' euch!« sagte Wendelin und erhob sich mühsam: »Fast glaub' ich jetzt, die Else weiß von der Heirat und will von ihr nichts hören!«

Er winkte dem Riedhöfer noch einmal, sich zu verbergen, worauf sich die Kammertüre wieder öffnete und Else reisefertig, mit einem Bündelchen in der Hand, zurückkam.

Ohne Aufenthalt vor Wendelin hintretend, reichte sie ihm, vor Wehmut zitternd, ihre Hand und sagte dann:

»Lebt wohl, Herr Wendelin – ich dank' euch für alles Lieb' und Gute – und zürnt mir nicht, ich darf nicht länger bei euch bleiben!«

Und ihre Hand ebenso schnell wieder zurückziehend, entfernte sie sich mit raschen Schritten durch die Stubentüre ...

Eine lautlose Pause entstand.

»Wie ist mir?« sagte der Zimmermann endlich, seine Sprache wieder findend: »Bin ich im Traum oder Wachen?«

»Mein bester Wunsch, meine Hoffnung ist zunichte!« sagte der Riedhöfer, sein Versteck verlassend; und indem er hierauf durch das Fenster der Davoneilenden nachsah, fügte er hinzu:

»Da geht sie hin – das Ebenbild ihrer Mutter – ach, so ging auch ihre Mutter einst von dannen!«

Trotz dieser niederbeugenden Erinnerung war es doch der Riedhöfer, der sich zuerst wieder ermannte und zu Wendelin, der vernichtet am Tische lehnte, sagte:

»Freund – aber ist es Zeit, so da zu stehen und ratlos ins Blaue zu sehen? Willst du dem Kind nicht nach, es zur Vernunft, zur Umkehr bringen? Soll ich selbst etwa ...?«

Diese Bemerkung brachte auch Wendelin wieder zu sich; er griff hastig nach Hut und Stock und sagte:

»Ihr habt recht. Sie muss zurück! Sie muss mir eingesteh'n, was das alles heißen soll! ... Ihr aber, Nachbar, wisst, dass keine Macht der Menschen sie zur Heirat zwingen soll, wenn es nicht des Kindes freier Wille ist!«

»Wer denkt hier anders?« sagte Riedhöfer nachdrücklich; »Fort! Erst bring' sie uns zurück, das andere wird sich finden! ...«

Wenn schon unter Gebildeten, denen die Mittel der Klugheit und Erfahrung in gleichem Maße eigen sind, der Harmlose und von unbedingtem Vertrauen Erfüllte stets im Nachteil ist gegenüber dem gewandten Eigennützigen, der jenen auszudeuten sucht: so muss sich dieser Nachteil umso sicherer in jenem Falle zeigen, wo sich der gewandte Weltmann einem reinen Naturkinde gegenüber befindet, welches außerdem durch augenblickliche Aufregung noch um die besten Mittel gewöhnlicher Einsicht gebracht ist; sieht sich diese Naturkind genötigt, dem überlegenen Gegner auch nur in einem Punkte zu vertrauen, so sind die Folgen eines solchen Verhältnisses schwerlich abzusehen, und es wird nicht selten auf die bloße Absicht des Freibeuters ankommen, wie weit er seinen Zweck und Nutzen bei dem Irregeleiteten verfolgen will.

In einem solchen, wenn nicht ganz so bedenklichen Falle, befand sich jetzt die Else dem jungen Abenteurer gegenüber. Solange dieser sie bloß wie ein Verehrer ihrer Schönheit verfolgte, waren alle Versuche, ihr näher zu kommen, vollständig vergebens; als er aber die Maske änderte, aus dem Liebhaber der Sendbote einer wichtigen Nachricht wurde, die er dem gläubigen Gemüte glaubhaft darzustellen wusste, da war zum Wenigsten ein Anhaltspunkt gefunden, um wichtige Hoffnungen und Folgen daran zu knüpfen.

Es war im nahen Buchenwalde, wo der junge Freiherr die erste Fracht seiner Bemühungen ernten wollte. Dorthin begab er sich sofort nach der Unterredung mit der Else, in der festen Überzeugung, dass sie ihm, getrieben von der peinlichen Unruhe, welche er ihr beigebracht, alsbald folgen würde. Er täuschte sich auch nicht; kaum eine halbe Stunde nach seiner Ankunft im Buchenwalde sah er auch schon die Else zwischen den Gärten hervor eilen und – freilich ohne die Nähe des Abenteurers zu suchen – die Richtung nach dem Walde einschlagen.

»Sie kommt!« rief er lebhaft aus: »In voller Flucht kommt sie! Ich habe richtig gerechnet!«

In diesem Rufe lag indes ein Ton, der nicht von reiner Freude zeugte; ihn erklären auch bald die Worte, die der Freiherr nach einer Pause innerer Unruhe folgen ließ:

»Mein Triumph über das engelreine Herz des Mädchens ist groß«, sagte er ernst, »aber ihr Sieg über mich selbst ist doch viel größer! Welch ein Wesen! Welch ein Gemüt, das die Furcht vor einem zweideutigen Schatten außer sich bringt und in die weite Welt treibt! ... Aber es sein auch der erste und letzte Missbrauch, den ich mit dem Herzen dieses Kindes wage; einem flüchtigen Abenteuer glaubte ich nachzugehen und folgte der Spur eines Engels, der mich vor den Altar der höchsten Andacht und Ehrfurcht führt ... Sie kommt!«

Müde und gebeugt, als hätte sie, beladen mit einer unerträglichen Last schon tagelang ihre Wanderung fortgesetzt, erschien die Else jetzt wirklich in der Nähe; sie blickte nach einer Stelle um, wo sie ein wenig rasten könne, und gewahrte eine steinerne Säule, darunter eine Ruhebank.

»Ich kann nicht weiter«, sagte sie leise vor sich hin – »hier muss ich ruhen!«

Felix wagte sich jetzt etwas näher und dachte, die Unglückliche eine Weile betrachtend:

»Wie leid tut mir's, dass ich ihren Schmerz noch um ein Weniges vermehren muss; aber ich hoffe alles wieder gut zu machen, mehr als gut!«

Und indem er noch einen Schritt näher trat, sagte er mit liebevoller Stimme laut:

»Mein teures Kind ...«

»Ihr wieder da?« rief Else, rasch und erschrocken aufstehend.

»Erschrecke nicht«, fuhr Felix in dem zutraulichen Tone fort: »Nur weil ich nicht bloß grausam gegen dich sein will, sondern dich auch trösten, beruhigen möchte, stehe ich wieder vor dir.«

»Besser – eines wie das andere wäre nicht geschehen!« erwiderte Else nach einer kleinen Pause.

Der Freiherr war schon zufrieden, dass Else mit einiger Ruhe geantwortet hatte, er hoffte jetzt einer geordneten und glücklichen Unterredung Bahn zu machen; mit aufrichtiger Wärme dem Mädchen sich nähernd, sagte er jetzt:

»Kind – dass ich dir als Freund geraten, dich zur Vorsicht mit dem sogenannten Vetter gemahnt habe, das hast du dankbar eingesehen – du bist hier, bist lieber auf der Wanderung in die weite Welt als länger bei ihm!«

»Ich bitt' euch, Herr ...«

»Ich kenne den Mann nicht näher, der sich deinen Vetter nennt; weiß also nicht, wie weit ihm deine Ruhe, dein argloses Herz länger anzuvertrauen war ...«

»Was denkt ihr, Herr?« sagte die Else, stolz aufstehend.

»Bleib' und höre mich ... Dass der Zimmermann sonst ein wackerer Mann ist, glaube ich – wie hättest du unter seiner Ohbut werden können, was du bist ...; aber er ist dein Vetter, dein Blutsverwandter nicht – und darauf kommt ja alles an ... Ich sagte dir vor einer Stunde, wie das alles sich ereignet hat; sagte dir von dem Unglück deiner Eltern, das ich trauernd selbst gesehen – sagte dir endlich, wie der junge Zimmermann dich tapfer aus dem Feuer gerettet und zu sich in sein Haus genommen habe ... Sage nun selbst – da komme ich nach Jahren unerwartet in dieses Dorf, sehe in dir das gerettete Kindlein wieder, in ihm den wackeren Retter deines Lebens; – aber was muss ich zugleich erfahren! Zu meinem Staunen ist niemand im Dorfe unterrichtet – du selbst weißt nicht, dass Wendelin dein Blutsverwandter nicht sein kann! Ja, als ich dir gestern Abend folgte, um dein Tun und Leben näher zu beobachten, da muss ich entdecken, dass du den Mann bei seiner Heimkehr – als Vetter, als Blutsverwandten herzest und küssest – derart, Kind, und auf die Gefahr hin, von der ganzen Nachbarschaft gesehen zu werden!«

Elses Gesicht überflog Purpurröte, und die entfernte sich einige Schritte.

»Denke dir nun«, fuhr der Freiherr fort – »es werde plötzlich bekannt, du seist ja gar nicht des Zimmermanns Base und Blutsverwandte – was wird die Folge sein? Alles, was bisher vor den Augen der Leute unverfänglich war, wird jetzt in zweideutiges Licht gestellt werden; Neid und Schadenfreude werden ihre Ernte halten; – da wird man sagen: ei, ei, so geschah es darum, dass das liebe Bäschen den Vetter bei seiner Heimkehr manchmal gar so wütig gehalst und geherzt hat? Er war ihr Vetter eben nicht. Dort wird man Augen machen und sagen: Ah! Nun ist's auch am Tag, warum kein Jahrmarkt vorüberging, ohne dass der Vetter seinem Bäsle ein standesgemäßes Geschenk nach Haus geführt; – und wieder andere werden sagen: Stille Wasser sind tief; wie oft hab' ich Sommers gegen Abend den Vetter und sein Bäschen vor dem Hause sitzen sehen, sie im süßen Schlaf, das Köpfchen an seiner Brust – und er – wohlzufrieden mit der holden Nachbarschaft – den Arm ganz sacht um ihren Hals geschlungen ...«

Else hatte sich während dieser Rede erschüttert auf die Steinbank niedergelassen und ihr Gesicht bedeckt; jetzt sprang sie heftig auf, um dem Bedränger zu entfliehen:

»Lasst mich – lasst mich fort«, rief sie: »Was quält und martert ihr mich noch?«

Sie bemerkte nicht, dass in diesem Augenblicke, kaum zehn Schritte hinter ihr, ein Retter erschienen war, der ihr sicherlich im äußersten Falle beizustehen eilte; es war der Zimmermann selbst, welcher langsam vorüberstrich und sich beobachtend hinter ein nahes Gebüsch verbarg.

Der Freiherr aber holte die Else ein, und sie so sanft als möglich zurückhaltend, sagte er:

»Du hast recht, mein Kind; es ist grausam, dich zu quälen, aber bedenke, dass auch der Arzt ins Fleisch schneiden muss, um einen ganzen Arm oder Fuß zu retten ... Ich war grausam«, fügte er noch zärtlicher hinzu, »aber höre jetzt, wie ich milde handeln will ... Else, ich bin nicht, der ich scheine; wenn auch ein bisschen Übermut mich bisher dir lästige machte, so lass' dich's nicht zu sehr bekümmern; ich bin nicht, was meine Kleider anzeigen – mein Stand und Vermögen gehen weit darüber! Sieh – und dies alles, Stand und Vermögen, will ich mit dir teilen, wenn ich hoffen darf, deinem Herzen einmal lieb, deinen Gedanken teuer zu werden! Gibst du mir ein Zeichen, dass ich hoffen darf – dann wisse, Kind, magst du ohne Sorge zu dem Vetter wiederkehren; denn wenn die Leute von einem Bewerber hören, wie ich vor dich zu treten gedenke, dann lassen sie sicher jedes Gerede, jeden Verdacht gegen dich und den Zimmermann fahren!«

Else hatte nach und nach ihr Auge starr zu dem Sprechenden emporgerichtet und fuhr sich nun langsam mit der flachen Hand über die Stirne.

»Was hab' ich getan!« sagte sie mit tonloser Stimme halb für sich: »Darauf ging alles hinaus? Ich sollte erschreckt werden – im Schrecken dem Vetter entflieh'n und so – diesem selbst in die Hände fallen!«

»Else«, sagte Felix mit dem Tone zärtlicher Beschwichtigung und wollte sie sanft umfangen.

»Weg!« rief Else mit der ganzen Majestät tugendhafter Entrüstung.

»Holder Engel ...«

»Undankbar an meinem Vetter habt ihr mich gemacht – aus der Heimat habt ihr mich vertrieben – so lasst mich auch allein meines Weges geh'n in die weite Welt!«

»Du betrübst mich«, sagte Felix, sie rücksichtsvoll gewaltsam zurückhaltend: »Aber bleib' oder geh' du in die weite Welt – ich folge dir!«

»Ich sag' euch, lasst mich«, rief Else mit gleicher, abweichender Kraft – »Zu lang schon hab' ich euch Rede gestanden – auch schon genug erfahr' ich in der Fremde ... Dorthin, muss ich bitten, geht euer Weg – der meine – führt wieder zum Vetter zurück. Ist mein Gewissen rein, mehr hab' ich nicht für meine Ruhe nötig!«

»Und so denkst du mir wirklich zu entkommen?« rief jetzt der Freiherr mit einem Anflug des Verdrusses und Leichtsinns: »So viel Schönheit, Lieblichkeit, unvergleichliche Reize sollen mit ganz ohne Lohn – ohne freundlichen Blick entgehen?«

»Hinweg!« sagte Else.

»Dein Sperren gerade wird mich rasend machen!« erwiderte Felix, sich nur lebhafter zudrängend; – aber da hatte ihm plötzlich Else wie der Blitz die Flinte von der Schulter gerissen und richtete den Lauf gegen ihn.

»Noch einen Schritt«, rief sie, »und ich schieße euch ohne Gnad' und Barmherzigkeit nieder!«

Felix ließ sich einen Augenblick von dieser Energie imponieren, dann kniete er nieder und sagte, indem er mit chevalereskem Humor die Brust darbot:

»Hier ist mein Herz; – triff gut, mein Kind! Drück los – gib Feuer!«

In diesem Augenblick wurden in der Ferne Jagdhörner vernehmbar, Else zögerte, ward von leichtem Schwindel ergriffen und ließ die Flinte gegen das Gebüsch hinfallen, wobei sie losging; – indem sie hierauf Felix nur noch schweigend eine strenge Handabwehr machte, entfernte sie sich nach derselben Richtung, woher sie gekommen war ...

»Tod und Teufel!« sagte Felix aufspringend und allein zurückbleibend: »So macht die Liebe, eh' man sich's versieht und gegen unsern Willen, Ungeheuer aus uns allen!«

Er blickte der Else mit aufrichtiger Wehmut nach und sagte nach einer Pause:

»Wahrlich, holdes Wesen, mich schmerzt dies Ende unseres flüchtigen Begegnens ... Leb' wohl, leb' wohl – und denk' der Stunde einst mit Nachsicht!«

Die Jagdhörner wurden jetzt von mehreren Seiten näher gehört, und gleich darauf traten zwei Jäger aus dem Walde und spähten nach der Stelle, wo Felix stand.

Dieser ahnte wohl, dass er ein Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit sei, ging ihnen entgegen und sagte:

»Ah, meine Herren – Sie sockt wohl der ungebetene Gast da herbei ...«

»Ganz wohl, mein Herr«, sagte der erste Jäger: »Sie haben fremdes Jagdgebiet betreten – bewaffnet und in Jägertracht – ein Schuss ist hier gefallen ...«

»Ich werde mich verantworten«, sagte Felix ruhig: »Wer ist der Herr dieses Reviers?«

»Duca Dorsena – General ...« sage ein Jäger.

»Was?« rief Felix überrascht: »General Dorsena, der im letzten Feldzug noch kommandierte?«

»Derselbe. Seit fünf Jahren hat er dieses Gut erworben.«

»O, dann führt mich zu ihm!« sagte Felix freudig: »Ich kenne den General persönlich – da bin ich bald entschuldigt!«

Er ging rasch mit den Jägern waldeinwärts ...

Von dem Verwundeten, der kaum drei Schritte weit im Gebüsch auf einem Baumstrunk saß, hatten freilich weder er noch seine Begleiter eine Ahnung.

Ein Rehposten aus der fallenden Flinte hatte schlimmer Weise den Weg durch den rechten Stiefel des Zimmermanns genommen und oberhalb des Knöchels, wenn auch nur ganz leicht, die Oberhaut durchschlitzt; deshalb saß der Mann ein wenig angegriffen auf dem Baumstrunk da, zog den Stiefel aus und band, so gut es ging, sein Schnupftuch um die Wunde.

Aber wenn man glauben wollte, dass das Unglück unserm Zimmermann zu Gemüte ging, so würde man sich irren. Nie wurde jemand heiterer verbunden, glücklicher im Schmerz gesehen als er. Denn die tapfere Art, mit welcher Else den kecken Jägerburschen abgefertigt hatte, dann der Umstand, dass sie wieder nach dem Dorfe heimgekehrt war, wirkten so vortrefflich auf sein Herz, dass er den Schmerz der Wunde kaum fühlte und der Gefahr, die seinem Leben gedroht, kaum mehr gedachte.

»Sie hat ihn abgetrumpft! Sie ist wieder heim!« Das waren die vielsagenden Worte, die er immer und immer wiederholte. Und kaum hatte er den verbundenen Fuß zur Not wieder in den geräumigen Stiefel gebracht, als er sich zur Heimkehr rüstete, den Stock zur Stütze nahm und fröhlich weiter ging; bald kamen ihm auch zwei Männer zu Hilfe, deren kräftige Arme ihm den Marsch erleichtern halfen.

Auf der Stelle aber, die Wendelin verließ, wurde es jetzt auf einmal sehr belebt; denn sie war zum Sammelpunkt der Jäger nach beendigter Jagd ersehen. Nachdem sich eine große Anzahl Grünröcke eingefunden, erschien auch der General Dorsena, umgeben von der Elite der Jagdgesellschaft; den Freiherrn Felix führte er lächelnd an der Hand.

»Nochmals bestens willkommen!« sagte er zu diesem: »Hätten Sie mir den halben Wildstand zusammengeschossen, in Übermut oder als Wilderer, Sie wären meiner Verzeihung dennoch sicher ...Freiherr Felix von Liebenstein«, fuhr er fort, denselben seinen Gästen präsentierend, »vor sieben Jahren noch mein trefflicher Adjutant, jetzt leider dem Militärstand wieder entfremdet! ... Ihr Besuch in dieser Gegend gilt also vor allem Ihrem Freunde Baron Scharfeneck?« frage er, wieder zu Liebenstein gewendet.

»So ist es, General«, erwiderte dieser.

»Nun gut«, sagte Duca Dorsena, »es lässt sich ganz gut vereinigen, dass Sie ihm und mir zu gleicher Zeit Ihre Aufwartung machen. Baron Scharfeneck ist diesen Abend auf meinem Schlosse; dahin seinen auch Sie hiermit eingeladen, und ich hoffe, Sie erfüllen mir den Wunsch!«

»Ihre Wünsche und Befehle waren mir immer angenehm, denn sie waren immer ehrenvoll«, sagte Felix, sich verbindlich verneigend.

»Die Jagd ist zu Ende!« sagte der General jetzt zu den versammelten Jägern – und zu den vornehmen gewendet, die er mit einem freundlichen Wink entließ, fügte er hinzu:

»Vergessen Sie nicht, meine Herren, dass Sie heute Abend meine Gäste sind!«

Die Jäger zerstreuten sich, und der General bemerkte weiter gehend zu seinem jungen Freunde:

»Ein kleines Fest, lieber Freiherr, in meinem sonst sehr stillen Hause. Seit einem halben Jahre habe ich meine Nichte, Frau von Hohenfels, bei mir, sie ist Witwe, hat vor kaum einem Jahre ihren Mann verloren und bedarf recht sehr der Zerstreuung. Sollte Sie sie nicht kennen gelernt haben?«

»Frau von Hohenfels?« sagte der Freiherr verneinend.

»Nun, der Name darf Sie nicht irreführen, die Nichte war damals noch nicht verheiratet; aber Contessa Beatrice Dorsena – die kennen Sie wohl?«

Betroffen und lebhaft erwiderte Felix:

»Sie hier?«

Etwas gefasster setzte er hinzu: »Freilich – freilich habe ich sie kennen gelernt – ich wäre nicht zu entschuldigen, wenn ich diese je vergessen könnte!«

»Umso besser. So bringe ich ihr einen Gast mit, der ihr doppelt willkommen sein wird, da er sie an Zeiten erinnert, wo sie, wie ich glaube, sehr glücklich war! ...«

Es war indessen Abend geworden, und Wendelin erreichte mit Hilfe seiner Gefährten das Dorf. Am Eingang in dasselbe, zwischen den Gärten hingehend, entzog sich der Zimmermann plötzlich seinen Führern, indem er sagte:

»So, nun dank' ich euch, Nachbarn, nun ist's genug; – dort ist mein Haus, und das bisschen Weh am Fuß ist schier verwunden.«

Er tat sich absichtlich Gewalt an, um den Männern rüstiger zu erscheinen, und so gingen sie weiter und ließen ihn nach Wunsch allein.

Wendelin hatte die Männer nur loswerden wollen, um ohne Zeugen sich seinem Hause nähern und beobachten zu können, ob und wie sich Else wieder eingefunden habe; er ging daher schon deshalb sehr bedächtig zwischen den Gartenzäunen hin, und als er in die Nähe seines Gitterpförtchens kam, blieb er eine Weile stehen und dachte:

»Wenn sie aber doch nicht wieder da sein sollte?«

Es war der letzte beunruhigende Zweifel, der ihm zu schaffen machte; denn im nächsten Momente schon hatte er sich durch einen Blick nach seinem Hause überzeugt, dass die Flüchtige heimgekehrt war und ruhend, den Kopf in die Hände gestützt, auf der Bank vor der Türe saß.

»Wie mach' ich's jetzt?« fragte sich der Zimmermann bedenklich: »Ich möchte nicht reden von dem, was vorgefallen ist und doch auch nicht kommen und gar nichts vorzuwenden haben!«

Ein Blick auf seinen Fuß führte ihn jetzt auf einen Gedanken, er stemmte sich mehr, als es nötig war, auf seinen Knotenstock, stieß das Gitterpförtchen auf und trat nun, wankend und die Else scheinbar nicht bemerkend, in den Hof.

Erst als der Zimmermann ihr ziemlich nahe gekommen war, vernahm die Else das Geräusch der Schritte und blickte auf.

Ihr umflortes Auge erglänzte auf einmal seltsam, ihr blasses Gesicht ward plötzlich von einer hellen Glut überflogen, als sie den Vetter so erbärmlich daher wanken sah; einen Augenblick schien sie ihr eigenes Leid und die kaum bestandenen Gefahren zu vergessen, war im Nu in der Höhe und eilte dem Kommenden mit der stockenden Frage entgegen:

»Was ist euch – Vetter?«

Mochte das Wort »Vetter« absichtlich gewählt oder bloß entschlüpft sein, gleichviel, es tat auf den Zimmermann eine wahrhaft beseligende Wirkung; nur mit der größten Mühe konnte er sich fassen und mit ruhigem Lächeln sagen:

»Sei ruhig, Kind; ein Balken hat mich gestreift, die Sach' hat keine Gefahr; – wenn du mir ein wenig helfen und beispringen willst, so sollst du sehen, wie es bald in Ordnung ist!«

»Was kann ich tun?« sagte Else, den Wendelin stützen und glückselig, dass sie nach ihrer Heimkehr so gute Gelegenheit fand, wieder nützlich zu sein und einer Rechenschaft über ihr Betragen auszuweichen.

»Fürs erste, mein Kind«, sagte der Zimmermann, »fürs erste geh' zur Schäferin hinüber und bitt' dir ein Stück Salbe aus, du sollst mir ein Pflaster streiche für den wunden Fuß!«

Das war ein Auftrag, welcher doppelt wohl gefiel; die Else hatte Anlass, ihre liebevolle Eile zu zeigen, und doch auch wieder Zeit gewonnen, um sich auf dem Hin- und Herweg recht zu sammeln. Sie sprang daher mit freudigem Eifer zum Pförtchen hinaus und das Dorf hinab zur Schäferin, die immer Salben in Bereitschaft hatte; glücklicherweise wurde sie auch schnell bedient und konnte den Rückweg sofort wieder antreten.

»Was fliegst du denn wie besessen?« rief ihr Gretle, die schwarzbraune Freundin, zu, als sie am Schlegelhof vorüber eilte.

»Mein Vetter hat es stark am Fuß, eine Salbe führ' ich heim«, erwiderte die Else weiter eilend, und fühlte ihr Gesicht vor Röte brennen.

Derselbe Name »Vetter« hatte sie heute in die Flucht getrieben, und jetzt kam er unwillkürlich immer wieder auf die Lippen; Else fühlte das Verwirrende dieses Umstandes wohl, half sich durch lebhaftes Atmen erleichtern und beschleunigte die Schritte, als wollt sie den eigenen Gedanken entfliehen.

Den Vetter fand sie jetzt nicht mehr im Hofraum, sondern bereits in der Stube an derselben Ecke des Tisches sitzen, wo er heute feierliche Mitteilung über die Heirat mit dem Nachbarsohne machen wollte; er hatte den Stiefel des wunden Fußes abgezogen, blickte der Kommenden freundlich lächelnd entgegen und sagte, um gleich wieder jede beengende Pause zu beseitigen:

»Jetzt, Else, weißt du, was ich möchte? Die Salbe, seh' ich, hast du; so guck' um, wie du einen reinlichen Verband von Leinwand findest!«

Das war nun wieder ein neuer, willkommener Anlass, sich zum Besten des Vetters geschäftig zu zeigen; mit liebevoller Eile besorgte sie nun auch den Verband, kniete dann behände vor den Verwundeten hin und half den Fuß aufs Beste pflegen und verwahren.

»So, mein Kind«, sagte Wendelin hierauf, »wenn es dir nicht zu viel wäre – etwas warme Suppe täte mir nun wohl; auch neigt es stark zum Abend.«

Sofort war nun die Else wieder in der Höhe, holte Späne, machte Feuer auf dem Herd – und indem sie alles Nötige ans Feuer stellte, holte sie immer leichter Atem und dachte mit freudiger Wehmut:

»So leicht ist alles jetzt vorüber; – wie hab' ich ihn gekränkt, und wie gut hat er mich aufgenommen! ... Wie mach' ich's aber wett? ... Ich muss ihm auch erleichtern, dass er mir bekenne, was er auf dem Herzen hat!«

Sie dachte jetzt an ihr Reisebündelchen, welches sie vor dem Hause liegen gelassen; als sie aber nachsah, lag es nicht mehr dort –

»Das hat er selbst ins Haus getragen und still an seinen Ort gelegt; – er wird leugnen, wenn ich's willen will – und doch ist's so!« dachte sie.

Es war auch richtig, wie sie vermutet, denn als Else später in die Kammer trat, lag das Bündelchen ich Schrank, zum Zeichen natürlich, dass von der heutigen Flucht nie weiter die Rede sein möge ...

Die Abendsuppe war endlich fertig und aufgetragen, der Zimmermann und seine »Bäsle« saßen scheinbar wie in den harmlosesten Zeiten ruhig gegenüber und zwangen sich zu einem Appetit, den sie in der Tat nicht hatten; sie wollten ihre innere Unruhe und Spannung nicht verraten und waren zum Reden doch auch viel zu befangen; da blieb ja nichts übrig, als sich scheinbar recht angelegentlich mit dem Essen zu beschäftigen.

Endlich konnte Else unmöglich mehr in diesem Wetteifer fortfahren, sie legte den Löffel weg und sagte, unwillkürlich verschnaufend:

»Vergelt' es Gott!«

Der Wendelin hatte auch bereits angefangen, im Zweikampf zu ermüden, er nahm die Gelegenheit mit Behagen wahr, legte ebenfalls den Löffel weg und sagte:

»Gesegn' uns Gott die Mahlzeit!«

Beide erhoben sich nun gleichzeitig, um ihr Nachtischgebet stille zu verrichten; beide richteten ihre bittenden Blicke nach demselben Kruzifix in der Stubenecke, und als gebetet war, nahm Else schweigend die Schüsseln und das Tischzeug weg und sah noch einmal nach den Tieren; Wendelin aber ließ sich wieder an der Tischecke nieder, um den Fuß nicht weiter anzustrengen.

Den Kopf in die Hand gelegt und immer tiefer in Nachsinnen sich verlierend, merkte er nicht, dass es endlich spät geworden war, er würde wahrscheinlich in dieser Weise noch lange dagesessen haben, wenn nicht eine leise Stimme mit umschleiertem Tone gesagt hätte:

»Wollt ihr nicht schlafen, Vetter?«

Jetzt blickte der Zimmermann gar schnell empor, und fast verlegen, als hätten seine Gedanken erraten werden können, erwiderte er:

»Ja, ja, Bäsle, hast recht, es wird auch meinem Fuße besser tun!«

Er stand auf, reichte der Else die rechte Hand hin, sagte »Gute Nacht, Kind« und wollte nach der Kammer gehen; – fühlte aber in demselben Augenblick, dass seine Hand zwischen zwei zitternden Händen festgehalten wurde.

»Gute Nacht, Vetter«, sagte Else nach einigem Ringen mit sich selbst: »Ihr habt mir etwas sagen wollen heute – es war nicht recht, dass ich ... O, sagt es mir jetzt – gesteht es – es sei schon, was es wolle!«

Im Grunde war diese Aufforderung dem Zimmermann willkommen, der sein Geheimnis nicht gern mit zu Bett genommen hätte; aber die freiwillige Bitte der Else überraschte ihn doch so, dass er nicht gleich zu einer Antwort rüstig war.

Erst nach einer Weile sagt er, mit der linken Hand den Scheitel der vorgebeugten Else suchend, um ihn sänftlich zu berühren:

»Es hätt' auch warten können, Kind; doch weil du's selber verlangst, so hör' in Kurzem: – Der Riedhöfer hat geglaubt, sein Sohn habe ein Herz für dich gefasst und wollte gern wissen, wenn's so wäre, was du sagen würdest – versteh' mich recht – auf dich kommt's an, ob eine Heirat daraus werden solle oder nicht!«

Fast waren jetzt die fliegenden Pulse der Else hörbar, ihr Atem wurde so heftig, dass der Zimmermann ängstlich aufsah, was das heißen solle.

»Das ist's, was ihr mir zu sagen hatten?« rief die Else dann mit einem Tone, der Verwirrung und Erleichterung zugleich anzeigte.

»Das ist's, Kind«, sagte der Zimmermann – »Ich bin erschrocken, als du mir heute nicht Stand gehalten – ich glaubte schon, du wüsstest alles – und wärest kurzweg gegen diese Heirat.«

»Erschrocken, Vetter – deshalb waret ihr erschrocken?« sagte Else mit aufflammender Lebhaftigkeit.

»Erschrocken – ja«, erwiderte der Zimmermann verlegen und verwirrt – »Und hast du denn ein anderes erwartet, das ich mitteilen sollte?« fügte er nach einer Pause hinzu.

Else antwortete nicht sobald; ihre Aufregung wuchs, und sie trat ans Fenster, ging wieder einige Schritte nach der Türe zu und kehrte abermals um, ohne sich zu einer Antwort fassen zu können.

»Was ist dir denn?« fragt der Zimmermann endlich, dies gewahrend.

»Nichts – nichts«, erwiderte die Else, beide Hände gegen das Herz drückend – »Ich wollte euch nur sagen ...«

»Nun was?«

»Dass ich erwartet habe – ihr würdet mir gestehen – warum ihr euch bis diesen Tag als Vetter – meinen Vetter ...«

»Was ist das?« rief Wendelin bebend.

»Meinen Blutsverwandten ausgegeben, der ihr doch nicht seid? Stieß die Else in äußerster Aufregung hervor.

Wendelin sank auf einen Stuhl zurück und brachte kaum die Worte hervor, die er halb für sich hinsprach:

»Gott – was muss ich hören! – Sie weiß ...«

In diesem Augenblick trat die alte Barbara in die Stube, die sonst als Aushilfe gerufen wurde, wenn viel zu schaffen war; Else zeigte rasch nach ihr und sagte mit fieberhafter Eile:

»Da kommt die Barbara – ich habe sie gebeten, über Nacht im Haus zu bleiben – ich selber – ich will, ich muss ...«

»Else! ... Ah, der Fremde, was ahn' ich?« sagte Wendelin für sich, ohne zu hören, was Else gesprochen.

Jetzt erklang eine helle Stimme vor dem Hause, und Gretle sang das Lied:

»Keine Rose, keine Nelke kann blühen so schön
Als wenn zwei verliebte Herzen bei einander tun stehn ect.«

»Da kommt das Gretle«, rief jetzt Else, der Türe zueilend. »Sie hat mich oft gebeten, bei ihr einmal über Nacht zu bleiben; – heut' geh' ich hin – ich muss heute hin – Morgen bin ich wieder daheim – Jetzt helf' uns Gott in Gnaden – gute Nacht!«

Wendelin bedeckte sein Gesicht und legte es sprachlos auf die Kante des Tisches; dies geschah in dem Augenblicke, wo die sanften Töne der Abendglocke durch die offenen Fenster in die Stube klangen ...

IV.
Das Dukatenkind

Bedeutende Ereignisse, wenn sie aus lange vorhandenen und in der Stille fortwirkenden Ursachen hervorgehen, haben immer die Folge, dass sie klare und dauernde Entscheidungen herbeiführen und somit das unbehagliche, meist schädliche Zwischenreich von Sorgen und kränkelnden Hoffnungen zerstören; sie sind im Leben die wahrhaftigen Sommergewitter, welche der tage- und wochenlangen Schwüle mit raschen Niederschlägen ein Ende machen und im großen Ganzen erquicken, wenn sie auch manche Schäden im Einzelnen herbeiführen.

Ob das letzterwähnte Ereignis als eines von so folgenreicher Wirkung sich herausstellen würde, war im Laufe der ersten Stunden freilich noch nicht abzusehen; wenigstens schien der Riedhöfer sich vorerst nur wenig Gutes davon zu versprechen. Denn neugierig zu erfahren, ob die Else wieder heimgekehrt sei und welchen Grund ihrer Flucht sie dem Zimmermann eingestanden, hatte er sich noch am Abend nach derm Gebetläuten zu Wendelin begeben – ihn aber weder zugänglich, noch überhaupt in seinem Benehmen erbaulich gefunden. Alles, was ihm bedeutet wurde, war die schwermütige Bitte, bis zum nächsten Morgen seine Geduld noch hinzuhalten und die Nacht dem Zimmermann zur Erholung und Sammlung zu gönnen – da die nächsten Stunden viel, sehr viel entscheiden würden!

Es lässt sich denken, dass mit solchen Eröffnungen der Riedhöfer weder klarer noch zufriedener nach Hause zurückkehrte und dass er, weil eben nichts Besseres zu tun war, beschloss, die mitteilsame Laune des Zimmermanns geduldig abzuwarten.

Am folgenden Morgen war der Riedhöfer eben aus der Stube in den Hof getreten, um den Falben nach Wannsbach zu reiten, wo heute Rossmarkt war, als der Zimmermann mit einer Aufregung, die er selten zeigte, durch das Hoftor kam und ausrief:

»Nachbar, reitet nicht weg – nur heute nicht – kommt mit!«

»Was gibt es?« fragte der Riedhöfer, die Zügel des Pferdes aus der Hand eines Knechtes in die Seine nehmend.

»Alles kommt in Ordnung – heute oder nie – sie wird für die Heirat sein – die Else weiß alles!« sagte der Zimmermann mit wiederholt stockender Stimme.

Der Riedhöfer winkte dem Knechte, sich gefälligst aus dem Staube zu machen, und sagte, das Pferd nach einer andern Seite wendend:

»Else weiß alles? Wird für die Heirat sein? Da reit' ich wahrlich nicht auf den Markt; dann lass' uns das Eisen schmieden, weil es warm ist!«

Er wollte eben seinen Knecht wieder näher winken und ihm das Pferd zu übergeben, als ihm bereits eine zitternde Hand die Zügel aus der Hand nahm und den Falben langsam nach dem Stalle führte. Reinhold war es, welcher diesen stillen und raschen Dienst erwies; er hatte mit freudigem Schrecken den Zimmermann durchs Hoftor kommen sehen und war so glücklich, dessen an Riedhöfer gerichtete Worte zu hören. Bald rot, bald blass im Gesichte, wollte er den Vater zum Daheimbleiben zwingen, indem er ihm das gesattelte Pferd abnahm und ohne Weiteres nach dem Stalle führte; konnte ihn doch nichts auf der Welt in dieser Stunde wichtiger sein als eine so ernste und entscheidende Unterredung seines Vaters mit Wendelin.

Diese Unterredung kam denn auch zu Stande, und Reinhold beeilte sich nach kurzer Beschäftigung im Stalle, den beiden Männern in einiger Entfernung zu folgen und von dem Inhalt ihrer Unterredung so viel als möglich zu hören oder wenigstens zu erraten.

Wendelin und Riedhöfer gingen erst eine Weile unter den Bäumen des Obstgartens hin und wieder und nahmen dann die Richtung nach dem Hause des Zimmermanns; der Inhalt ihrer Unterredung lautete im Wesentlichen:

»Schützt mich Gott vor einer zweiten Nacht wie diese«, sagte Wendelin gleich anfangs, »dann will ich allem Leid getrost ins Auge sehen ... Wie vor einem schweren Wetter die Natur in Ängsten stille hält, der Mensch, das Tier verzagt – so lag es über mir – unüberwindlich – die Gedanken liefen durcheinander – nirgends Festigkeit, Erkenntnis; – da fing es an, sich hier zu stellen; im Gemüte wurd' ich wieder fest – da kam auch die Erkenntnis wieder ... Du musst offen sein, alles frei bekennen: das Schicksal ihrer Mutter, den Tod ihrer Eltern, ihre Rettung, sprach's in mir, und ich folgte dieser Stimme. Seit einer Stunde weiß sie alles – auch was mich, was euch angeht – jetzt atm' ich wieder auf!«

»Gewagt war's, doch es war vonnöten«, sagte der Riedhöfer betroffen.

»Es wird für euern Sohn auch rieche Früchte tragen ...«

»Meinst du?«

Wendelin blieb stehen und legte dem Nachbarn seine Hand auf die Schulter; nachdem er einmal tief geatmet, sagte er:

»Lasst mich euch das Tiefste, Letzte sagen; – da schwerste Hindernis für euern Sohn war hier zu suchen – in meinem Herzen wie im Herzen der Else!«

»Was ist das?« sagte Riedhöfer erstaunt.

»Was ich noch vor Kurzem nicht zu denken wagte, heute sag' ich's euch; langsam und stille, lächelnd und ohne Arg schlich eine Neigung mir ins Herz, die sich nicht vertrug mit meinem Amt als Pflegevater!«

»Neigung für die Else? Und die Else ...?«

»Ich konnt' es nur erraten, ahnen – doch dieselbe Neigung lebte auch in ihr!«

»O, meine Hoffnung! Alles ist vorbei!« rief Riedhöfer.

»Gewonnen, sag' ich, habt ihr alles!« betonte Wendelin bestimmt.

»Das sagst du mir umsonst! Warum wirst du – warum soll sie das Opfer bringen?«

»Das fragt' ich mich noch gestern auch; – aber diesen Morgen, als ich der Else alles eingestand, wie ich einst zu ihrer Mutter gehalten, wie ich sie dann verlor – doppelt verlor – an einen andern Mann und an den Tod, da, Riedhöfer, wich des Kindes Bild vor meinen Augen, und das Bild der Mutter kam zurück; dunkel, immer mächtiger aufquellend, überlief mich Scham, dass ich mein Herz nicht besser verwahrte, dem Bilde der Mutter nicht treuer blieb; – und seid gewiss, ich habe, wenn auch schwer, jetzt wirklich überwunden!«

»Aber Else – Else ...«

»Auch bei ihr sah ich's wirken wie bei mit – Entsetzen und Scham jagten sich auf ihrer Stirn – sie brach in Tränen aus über das Schicksal ihrer Mutter – und beweinte mit denselben Tränen auch ihr Herz! Wie sie außer mit keinen Mann erlesen hätte, als sie noch nicht wusste, so bin ich jetzo, da sie alles weiß, außer Reihe mit den Männern, die sie wählen kann; das Andenken an die Mutter, das Schicksal ihres und meines Herzens – alles ist dagegen!«

Riedhöfer verfiel in Nachdenken und sagte nach einer Pause:

»Hoffen will ich – glauben aber kann ich noch nicht recht! ...«

Beide waren inzwischen vor Wendelins Hause angekommen, und Riedhöfer entdeckte jetzt seinen auf dem Fuße folgenden Sohn.

»Sieh da«, sagte er zu Reinhold gewendet: »Ungeduldiger, kannst du deinen Sinn nicht mehr bezähmen?«

Wendelin aber winkte ihn herbei und sagte:

»Nur weiter, Reinhold, weiter; getrost, du wirst dein Glück noch heute finden!«

»Soll er nicht noch eine Weile hier außen ...« meinte Riedhöfer fragend.

»Nein, nein«, erwiderte Wendelin: »Was entschieden sein muss, werd' es bald!« Und nach diesen Worten traten alle in das Haus ...

Indessen dauerte bei der Else ein durchwühlender Seelenkampf noch fort, der durch die Mitteilungen des Zimmermanns und durch die Regungen des eigenen Gemüts hervorgerufen war. In dumpfer, heftiger Bewegung hin- und hergehend, rief sie klagend aus:

»Wer hilft, wer ratet mir? Ich habe niemand – niemand – bin ganz ohne Halt! ... O Mutter, sieh' auf mich Verlassene herab – sieh hier das Schicksal deines Kindes! Das Feuer, das dich verzehrt hat, brennt in meinem Herzen fort und wird brennen, solang ich lebe! ... Luft, Luft! Die Beklemmung wird mich noch ersticken!«

Die alte Barbara, nichts ahnend von dem, was hier vorging, öffnete die Kammertüre leise und sagte:

»Else, ist dir's recht? Ich ginge gern jetzt einmal heim und sähe nach den Meinen ...«

»Geht, geht, Barbara«, sagte Else, ohne umzusehen ... »Die nächste Arbeit ist getan!«

Barbara entfernte sich, und die Else ging abermals unruhig auf und ab, indem sie halblaut fortfuhr:

»So hab' ich dahingelebt in Glück und Freude Tag für Tag. Vater- und Mutterliebe war vertreten, herrlich lag die Welt vor mir, ich ging der hellen Sonne nach, und hinter mir schlich der Schatten. Da muss ich endlich rückwärts sehen, den Schatten des Unglücks kennen lernen – dunkel schwillt's über mir auf und über alles hin – ich sehe nicht Sonn' und Sterne mehr – die Helfershand ist abgezogen – und auch die Stimme, die sonst Schmerz und Kummer übertönte, schweigt mir jetzt!«

Sie blieb auf einmal vor einem kleinen Kruzifix stehen, ergriff es plötzlich mit beiden Händen und rief:

»Verzeih', du höchster und letzter Trost; vergib' der Armen in ihrem Weh; die Sünde des Undanks ist groß in uns; – wenn uns alles verlässt – du bleibst uns wahr und treu – am treuesten, wenn wir fallen, dein vergessen!«

Niederkniend erleichterte sie hierauf ihr Herz durch ein Gebet, während in der Stube draußen die drei Männer, bald horchend, bald leise sprechend, erwarteten, dass jetzt und jetzt die Kammertüre sich öffnen und Else heraustreten werde.

Es dauert noch eine gute Weile, bis dies geschah, und als Else heraustrat, beruhigter und gefasster als bisher, waren die Erwartenden keineswegs die ersten Gegenstände, denen ihre Aufmerksamkeit galt; denn sie hatte ein Stück Spiegelglas in der Hand, in welches sie prüfend, tief nachdenklich sah, indem sie für sich sagte:

»Mir habe sie gleich gesehen – mein Aug' und meine Stirn, mein Haar und meine Stimme – alles hätt' ich von ihr – von der Mutter! ... Und hier – in dieser selben Stube – in demselben Hause – habe sie gesorgt und geschafft, wo jetzt ich, ihr Kind und Abbild, mein kleines Wesen habe!«

Sie blickte wieder in das Spiegelchen und fuhr nach einer Pause fort:

»Mutter, Mutter! So hab' ich doch etwas, woran ich mich halte, dein Bild, das auch das Meine ist – und wie ich dich fasse mit dem Aug' des Gesichtes, will ich dich von jetzt an fassen und festhalten mit dem Herzen meines Herzens – Mutter, die ich niemals sah und dennoch sehe!«

Sie legte das Glas weg und erblickte jetzt erst die anwesenden Männer.

»Ah, man ist hier!« sagte sie verlegen.

»Else – sieh' da unsere lieben Nachbarn«, sagte Wendelin sanft und näher tretend.

Riedhöfer reichte ihr die Hand hin und sagte ebenfalls sehr milde:

»Mich sieh, liebes Kind, aus dem du mit wenigen Worten einen heiteren oder trüben Mann machen kannst – guten Morgen, Else!«

»Guten Morgen«, erwiderte Else bewegt und zu Boden blickend.

Reinhold wollte nun ebenfalls vortreten, aber Wendelin hielt ihn zurück und sagte leise:

»Nein, nein – du bleibe noch ein wenig!«

Riedhöfer ließ nun Elses Hand nicht wieder los und sagte mit tiefer Bewegung:

»Else, du kennst uns alle – mich kennst du und meinen Sohn – und mein Hab' und Gut, das dein werden soll ... Du kannst uns annehmen oder abwehren, du bist im Recht, sollst keinen Zwang erleiden ... Was ich anwenden will, ist eine Bitte, eine Seelenbitte, ein Ruf meines Gewissens; – wie ein frommer Priester zwischen dem beschwerten Herzen des Beichtkindes und Gott vermittelt, so wende ich mich an dich, mein Kind – auf dass du fürbitten mögest für mich bei der hinübergegangenen Mutter – vermitteln möchtest zwischen ihr und mir ... Wähle meinen Sohn und sei glücklich – und ich nehm' das für den besten Trost von dort herüber; – weise meinen Sohn zurück und sag, eine innere Stimme wehre sich dagegen – und ich will meinen Sohn hinweg führen, dich nicht weiter bedrängen – du sollst Ruhe haben vor uns von dieser Stunde an ... Nun, wähle, Kind – und sprich getrost, sprich frei!«

Else hatte diese eindringlich gesprochenen Worte erschüttert angehört und wollte eben zögernd etwas erwidern, als ihr Blick zufällig durch das Fenster fiel und eine Erscheinung vor dem Hause sie in große Angst und Aufregung versetzte.

»Ah«, rief sie aus, »dort ist er wieder – er selbst ist's wieder! Er will mich abermals quälen und verfolgen, wer hilft mir von dem Menschen!«

»Von welchem Menschen?« sagte Wendelin, an das Fenster tretend: »Was seh' ich? Der Reiter dort – ein Wagen – Himmel! Der Fremde ist wieder da, der kecke Zudringling!«

Nun trat auch Riedhöfer an das Fenster und sagte zu zorniger Aufregung:

»Er untersteht sich, und in diesem Augenblick zu stören? Wie kommt der Jägersmann zu Pferd, in andere Tracht? Er macht Anstalt, in dieses Haus zu kommen? ... Nun ist's Zeit, Wendelin, dass wir Ernst machen und dem Herrn die Wege weisen – Her da, was du an tüchtigem Werkzeug hast, um Bäume und Klötze zu behandeln; – Reinhold – und du – du zeige jetzt ...«

Aber das Wort erstarb ihm plötzlich auf den Lippen; denn er sah Else, die noch einen Augenblick in schwerem Kampfe dagestanden, eben entschlossen und freundlich auf Reinhold zugehen und ihm als ihrem künftigen Herrn und Beschützer die Hand hinreichen; der Bund des jungen Paares war damit so gut als für ewig geschlossen, und Riedhöfer, dessen Stimmung sofort in heftige Freude überging, rief:

»Mein Gott – was seh' ich da? Else!«

»Ich brauche Schutz und Schirm in der Welt – bezeugt mir's dieser Augenblick nicht wieder?« sagte Else wehmütig lächelnd und sich einer heftigen Umarmung Reinholds entziehend:

»Euer Sohn ist wacker«, fuhr sie fort, »er hat ein gutes Herz – und seinem Schutz empfehl' ich mich von dieser Stund' an!«

Jetzt ging die Stubentüre geräuschlos auf, und eine junge, feine Dame, in Trauer gekleidet, trat herein. Sie blickte mit einiger Verwunderung auf die Else und deren Umgebung und sagte dann:

»Ich störe wohl, lieben Freunde ...«

Wendelin hatte die Dame zuerst bemerkt, trat ihr einen Schritt näher und erwiderte etwas befangen:

»Gnädige Frau sind immer willkommen – eine kleine Familiensache ...«

»Doch nicht ...«

Else eilte auf die schöne, blasse Dame zu, eh' sie weiter sprach, und drückte einen langen Kuss auf ihre Hand; – worauf die Dame fortfuhr:

»Doch nicht ein Versprechen zwischen diesen jungen Leuten? ... Wessen Sohn ist er?« fügte sie hinzu, nachdem sie Reinhold einen Augenblick scharf und prüfend angesehen.

»Es ist mein Sohn«, sagte der Riedhöfer fest und etwas stolz.

Die Dame legte nach einer Pause ihre Hand auf Elses Scheitel und sagte sanft: »Meinen Glückwunsch, Kind«; dann betrachtete sie den Reinhold abermals und fügte hinzu:

»Er sieht wohl und wacker aus – seine Stirn ist offen, und sein Aug' ist klar ... Wie ist der Name?«

»Reinhold.«

»Komm her«, sagte die Dame und legte Elses Hand in die des Burschen: »Dir vertraut der Himmel einen Schatz an«, sagte sie, »um den sich jedermann beneiden darf. Halte diesen Schatz auch wie ein Heiligtum! Ich lege dir dies Wort ans Herz – weil das Kind keine Mutter mehr hat, die es an meiner Stellen tun könnte ... Aber ich störe euch«, fuhr sie fort, zu Riedhöfer und Wendelin gewendet: »Was hattet ihr eben vor?«

»Frau Baronin«, erwiderte der Riedhöfer: »Wenn sich bei und zwei junge Leute das Wort geben zur Verlobung, so ist es Sitte, dass man die Braut in der ersten Freude durch ihr künftiges Haus geleitet, damit sie alles sehe und betrachte. Im Aug' der Braut ist Segen, heißt es; wo es hinfällt, bringt es Weihe den Menschen und Dingen – und viel Unglück wird verhütet ... Erlaubt Ihr es, so machen wir den Gang jetzt durch mein Haus!«

Die Baronin drängte nun selbst, dass man die schöne Sitte nicht versäumen möge, und bemerkte dabei:

»Wenn Else segnen kann, so ist es gewiss das Stück blauen Himmels in diesem Auge!« Sie küsste Elses Augen und sagte dann:

»Wie aber, mein Kind – ich bin wegen der Geschenke hier, von denen wir gesprochen; hast du niemand, dem ich das Nähere anvertrauen könnte?«

Else zeigte auf die eben hereintretende alte Barbara und sagte: »Sie weiß alles, vertrauen Sie ihr nur!«

»Dann geht und weilt nicht länger«, sagte Freu von Hohenfels; sie besprach hierauf mit der alten Barbara einige Armenangelegenheiten, gab ihr Geld für zwei Wöchnerinnen, die nicht wissen durften, woher die Unterstützung komme, und wollte sich eben wieder entfernen, als die Türe aufgedrückt wurde – und Felix, der Freiherr von Liebenstein, hereintrat.

»Gnädige Frau ...« sagte er um sich blickend.

»Ich lasse warten«, erwiderte Frau von Hohenfels ..., »vergeben Sie!«

»Ihr Oheim, der General, ist ins Dorf geritten, er wird uns gleich eingeholt haben!«

»Wir gehen ... Sind Sie neugierig, was mich hierher geführt? Sie blicken sich wenigstens um, als ob Sie's wären!«

»Wie reinlich und nett«, dachte Felix, den Raum des Stübchens betrachtend, »wie friedlich und heimselig! Und in dieses kleine Heiligtum wollt ich dringen mit weltlichen Begierden!«

Laut bemerkte er zur Frau Baronin:

»Gnädige Frau, es weht ein Geist in diesem bescheidenen Raume, der mich ergreift, gewinnt!«

»Das würde Sie nicht wundern«, erwiderte die Frau von Hohenfels, »wenn Sie das herrliche Wesen kennten, welches hier ordnet und wirkt!«

»Wohl kenn' ich es – wohl, gnädige Frau ...« sagt Felix etwas verlegen.

»Sie kennen es?« fragte die Baronin arglos.

»Das heißt«, erwiderte Felix, »ich kenne es vom Sehen – nach flüchtigen Erkundigungen! Ich sah das Kind bei einem Kirchgange – das Außerordentliche fällt überall auf – und meine Fragen über die liebliche Erscheinung wurden so beantwortet, dass ich nicht zweifeln konnte, her gehen Tugend und Schönheit Hand in Hand!«

»Da wird es Sie nicht wundern, wenn ich das Kind zum Schutzengel für Arme und Kranke ausersehen habe! ... Eine kleine Leidenschaft zum Wohltun – auf die ich mir nichts einbilde, da ich sie leicht befriedigen kann – drängt mich überall, wo ich mich aufhalte, das Unglück auszuforschen und zu helfen, soweit es möglich ist. Um die Empfänger der kleinen Gaben nicht durch mein persönliches Erscheinen zu drücken, lasse ich gerne durch eine zweite Hand wirken – und ich wähle für das Dorf hier das treffliche Wesen dieses Hauses; es ist treu und verschwiegen, und ihre bloße Erscheinung schon muss Kranken und Dürftigen ein Trost, eine Erquickung sein!«

»Da hat der Himmel dieselbe Hand zum Wohltun erwählt, die selbst einem Wunder ihre Rettung verdankt«, sagte Felix.

»Wieso?« fragte Frau von Hohenfels.

»Das Mädchen ist nicht des Zimmermanns Bäschen. Es ist ganz fremder Eltern Kind, die ein höchst trauriges Opfer eines Brandes wurden. Der Zimmermann hat das Kind gerettet und als wackerer Mann aufgezogen.«

Felix merkte, dass die Baronin plötzlich in schwermütiges Nachdenken verfiel und sagte: »Aber ich sehe, dass Sie nachdenklich werden – ich habe Sie durch diese trübe Erinnerung vielleicht verstimmt!«

»Nein – es ist nichts«, sagte die Baronin, sich wieder fassend: »Ein Fall in meiner eigenen Verwandtschaft – ein Oheim, der in der Fremde sich aufgehalten, der verschollen ist – soll auf ähnliche Weise sein Leben verloren haben ... Aber was haben Sie auf einmal?« fragte sie, da der Freiherr plötzlich selbst sehr unruhig und nachdenklich drein sah.

»Des Volkes Stimme, Gottes Stimme«, sagte Felix halb für sich – »Aber nein – nein – es ist nicht möglich!«

»Was ist nicht möglich?«

Der Freiherr kämpfte einen Augenblick mit sich, dann sagte er:

»Als ich das erste Mal im Dorf nach dem holden Wesen, der Else, mich erkundigte, entschlüpfte dem Manne, der mit Auskunft gab, zufällig das – hier wahrscheinlich sehr gewöhnliche Wort – Dukatenkind!«

»Dukatenkind?« wiederholte die Baronin mit großem Nachdruck.

»Ich achtete nicht weiter darauf, da das Volk es liebt, kleine Spitznamen zu geben, die manchmal viel, manchmal wenig bedeuten – darum ...«

»Ah!« rief die Baronin, ohne darauf zu achten, dass sie Felix beruhigen müsse – »Wenn es wäre, wenn hier der Zufall ...!«

Sie unterbrach sich selbst, indem sie plötzlich rasch auf die alte Barbara zuging, welche eben aus der Kammer trat.

»Liebe Frau«, sagte sie zu dieser: »Ihr könnt mir vielleicht Näheres sagen – hält hier jedermann die Else für des Zimmermanns Base?«

»Soviel ich weiß, jedermann«, erwiderte Barbara.

»Hat sie nichts im Besitz, was den Leuten auffällt?« fragte die Baronin weiter.

»Das ich nicht wüsste – doch ja – sie zeigt's aber nicht mehr, weil man ihr deshalb einen Namen gab«, sagte Barbara.

»Welchen Namen?«

»Dukatenkind.«

»Warum?«

»Von einem Dukaten, den die Else anfangs immer um den Hals getragen. Es soll aber eigentlich kein Dukaten – nur ein goldenes Andenken sein – von der Mutter oder einem reichen Paten her.«

»Könntet ihr mir die goldene Münze zeigen, wisst ihr, wo sie ist?« fragte die Baronin mit wachsender Spannung.

Barbara zögerte etwas, dann sagte sie:

»Wohl weiß ich's – aber ...«

»Bringt sie mir, bringt sie!« rief die Baronin lebhaft: »Ich will bei der Else alles verantworten, auch bei ihrem Pflegevater!«

Barbara ging nach der Kammer, und Frau von Hohenfels wendete sich zu Felix, indem sie sagte:

»Freiherr, Sie haben durch ein zufälliges Wort vielleicht auf eine Entdeckung geführt, die mir, die meinem Oheim, dem General, unschätzbar ist! ... Woher wissen Sie besser als die Leute im Ort, dass Else nicht des Zimmermanns Base ist?«

»Weil ich Augenzeuge des Brandes und der Rettung des Kindes war. Ich befand mich eben als Kadett in der Kreisstadt, als der Brand dort ausbrach; der Zimmermann war einige Zeit Gegenstand großer Bewunderung wegen der Kühnheit, mit der er sie Rettung des Kindes vollführt.«

»Und kannten Sie auch den Vater des Mädchens, eh' er durch den Brand umkam?«

»Vom Sehen und Hörensagen. Er war schon ziemlich hochbetagt, fiel durch wundervolle Haltung, Ernst und Verschlossenheit auf, sein Teint erinnerte an Italien, man hielt ihn auch für einen Italiener, doch führte er einen deutschen Namen; er gab Unterricht in fremden Sprachen, im Französischen und Italienischen!«

Frau von Hohenfels war ihrer kaum mehr mächtig, sie drückte beide Hände wider das Herz und sagte mit halb erstickter Stimme:

»Sei stark, mein Gemüt, wenn ein Umstand deine Hoffnung doch zunichtemachen sollte! ... Freiherr«, fuhr sie gegen diesen fort: »Ich werde Ihnen ewig danken, wenn Sie uns auf die Spur gebracht, die wir seit Jahren trotz aller Mühe vergebens suchten!«

Hastig zog sie jetzt eine goldene Denkmünze, die sie um den Hals trug, aus dem Busen und fügte hinzu:

»Hier – betrachten Sie diese Münze; ist sie ihrer Form nach dieselbe, die Else besitzt – dann ist's richtig – dann ...«

In diesem Augenblicke kam Barbara aus der Kammer zurück und trug ein Schächtelchen in der Hand.

»Nun Frau«, rief die Baronin, ihr entgegeneilend: »Bringt ihr die Münze?«

Im Nu hatte sie nach diesen Worten das Schächtelchen in der Hand und die goldene Münze herausgenommen.

»Es ist so!« rief sie erschüttert und hob die Münze in die Höhe: »Sie hat dieselbe Form, dasselbe Gepräge, sehen Sie selbst, Freiherr!«

Und zu Barbara gewendet, sagte sie drängend:

»Fort, eilt! ... Ruft den Zimmermann, ruft die Else – doch nein; – der Oheim wartet – ich nehme die Münze mit ... Sagt der Else nur, ich brächte die Münze selbst wieder zurück, sie werde etwas Großes, etwas Glückliches hören! ... Kommen Sie, Freiherr, unterwegs sollen Sie Weiteres vernehmen!«

Barbara war über diese Bewegung der Baronin nicht wenige betroffen, und es fing jetzt an, ihr Sorge zu machen, dass Wendelin die Auslieferung der Münze übel nehmen könne.

»Ich hätte stille sein, verschweigen sollen«, sagte sie, das Kinn in die Hand nehmend: »Was ging mich Elses Gedenkzeichen an? Aber es ist einmal geschehen, und es muss gebeichtet werden!«

Sie wendete sich nach der Türe, um den Zimmermann und die Else aufzusuchen, als ein Kopf neben der Klinke sichtbar wurde, welcher überraschend genug aussah.

»Heiliger Gott!« rief Barbara zurücktretend: »Ein fremdes Gesicht – und was für eines!«

Anselm, der Diener des Freiherrn Felix, war der unvermutete Besuch, welcher nun ohne Umstände ins Zimmer trat und mit spähenden Mienen sagte:

»Ist sie allein?«

»Warum fragt er das?« sagte Barbara, noch immer unruhig: »Er will mich doch nicht morden?«

»Frau! Hat sie Augen im Kopf?« rief Anselm: »Ich und morden! ... Ein wenig spionieren möcht' ich, das ist alles!«

Diese Worte, verbunden mit einem unverkennbar treuherzigen Tone, mussten wirklich beruhigen, und Barbara fragte auch vertrauensvoller:

»Was will er wissen?«

»Es war vorhin ein Herr da und eine Dame; – der Herr war mein Herr, und die Dame – war meine Dame!«

»Das ist richtig«, sagte Barbara.

»Das ist's auch; und nun möcht' ich wissen: Was hat mein Herr und meine Dame hier gewollt? Was haben sie gesucht, gesprochen und gedacht? Warum sind sie hergekommen und wieder fortgegangen? Wie hoch beläuft sich das Handgeld, das man ihr zwischen die Finger gedrückt? Was hat sie ihnen sagen, vertrauen, verraten müssen? Kurz – heiratet der schöne Engel dieses Hauses über kurz oder lang, und hat sich mein Herr um die Hand desselben beworben?«

»Mensch – und diese Sündflut von Fragen soll ich ihm beantworten?«

»Warum nicht? Es soll mir auf eine Kleinigkeit nicht ankommen. Hier ist ein Groschen und drei neue Kreuzer dazu ...«

»Bleib' er mir vom Leibe mit seinen Schätzen!«

»Was, unser schönes Geld nicht nehmen? Nun gut, da hab' ich auch noch einen gelben Napoleon – den verschenk' ich aber nicht, der kann mir höchstens gestohlen werden!«

»Schäm' er sich! Bestechen – die Schritte seines Herrn ausforschen!«

»Schämen? Wegen dem bissel bestechen?«

»Viel oder wenig – die Sünde ist gleich groß!«

»Ich hab' gelesen, dass ein großer Philosoph gesagt hat: Was alle tun können, ohne dass es eigentlich einem schadet, das sei erlaubt. Und nun seh' sie hin, wo sie will, bestochen und geschmult wird überall! Und schadet das wem? Da besticht eine Dame durch ihren freundlichen Blick, dort ein Fräulein durch ihre weite Krinoline, wieder hier ein Soldat durch sein zweierlei Tuch, wieder dort ein General durch seine ungeheure Heldentat; ein Fürst kann mit Orden, ein Abgeordneter mit Reden, ein Diplomat durch Agenten bestechen; die Spitze von Deutschland hat schon manchem in die Nase gestochen, die Sonne sticht vor jedem Gewitter, und die deutsche Einheit besticht noch immer jedes Herz!«

»Er ist ein durchtriebener Gesell – und ich wiederhol' ihm, dass es eine Schande ist, die Schritte seines Herrn auszuspähen!«

»Schön mag's gerade nicht sein, aber vonnöten ist's; je mehr kleine Schwächen und Fehltritte ein Diener von seiner Herrschaft weiß, desto fester steht er in ihrer Gunst!«

»Und er würde es also für einen Fehltritt halten, wenn sein Herr dem Bäsle des Zimmermanns die Heirat verspräche?«

»Im Gegenteil; es wäre äußerst schon von ihm! Ich würde Gott danken, wenn er einmal Ernst machte und unter die Haube käme.«

»Warum?«

»Weil – ich dann vielleicht selbst ... O, ich habe seit gestern auch was erlebt! ... gesonnen sein werden dürfte – mich selbst in den Unbestand der heiligen Ehe zu begeben!«

»Er – und heiraten?«

»Was wundert sie das?«

»Nun freilich, er hat wohl schon größere Dummheiten im Leben gemacht ... Aber fort! Ich höre kommen – Ah, um Gottes Willen – das ist ja der Herr General mit der Frau Baronin«, rief Barbara erschrocken, indem sie durch das Fenster blickte.

»Und mein Herr bei ihnen!« sagte Anselm, nicht weniger betroffen: »Nun ist wirklich Zeit, sich aus dem Staub zu machen!«

Mit einer Behändigkeit, die man seinem Leibesumfang schwerlich zugetraut hätte, drückte sich Anselm durch die Türe, und ihm folgte Barbara auf dem Fuße, um Wendelin und die Else aufzusuchen ...

Bald nachher ging die Türe zu Wendelins Stube wieder auf, und eine ernste Gruppe von Menschen trat herein; die Gruppe bestand aus dem General Dorsena, seiner Nichte, Frau von Hohenfels, und Felix.

Der General, welcher zwischen seiner Nichte und dem jungen Freiherrn ging, hatte Elses Denkmünze in der Hand und betrachtete sie voll schwermütiger Gedanken; – nach einer langen Pause des Schweigens sagte er halb für sich:

»Kein Zweifel, dass die Münze echt ist: Form und Gepräge, Gehalt und Alter lassen kein Bedenken übrig – und die Nachricht über meinen Bruder stimmt zu dem, was wir – all wissen!«

Frau von Hohenfels, die den General gern aus seinem Dahinsinnen gezogen hätte, bemerkte liebevoll:

»Guter Oheim – wär's nicht besser, wenn wir – Ihrer Ruhe willen – den Gegenstand für diesmal fallen ließen?«

Der General versank nur noch tiefer in Gedanken, indem er sagte:

»Und also hat ihn eine schwere Hand hinweg gerissen, eh' wir uns versöhnend in die Augen sahen. In Sorgen und Niedrigkeit lieber als in der Fülle des Glücks an meiner Seite wollte er leben – den Namen seines altehrwürdigen Hauses legte er ab, damit ich ja nur seine Spur nicht finden sollte!«

»Oheim«, sagte Frau von Hohenfels milde tröstend: »Dass er nicht ganz mit den Erinnerungen unseres Hauses gebrochen, dass er noch zu versöhnen war, wenn er länger lebte – zeigt, das nicht gerade diese Münze?«

»Was meinst du, liebe Nichte?« sagte der General, aus seinen Gedanken erwachend – »Lasst mich, lasst ein wenig, Freunde«, setzte er nach einer Pause hinzu und ließ sich tiefsinnig auf eine nahe Bank nieder, indem er bald auf die Münze, bald auf den Boden vor sich starrte.

Freiherr Felix trat jetzt mit der Nichte des Generals einige Schritte bei Seite und sagte betroffen:

»Gnädige Frau – ich habe eine erfreuliche Wirkung von unserer Entdeckung erwartet – und sehe mit Bedauern, dass sie Ihren Oheim ganz danieder beugt!«

»Zwischen seine erste Freude und die mildere Stimmung, die sich finden wird, legt sich jetzt der Schatten tiefer Trauer; er wird sich lichten, dieser Schatten, hoffen wir's getrost«, erwiderte Frau von Hohenfels.

»Aber der Grund, das Geheimnis, das hier waltet?«

»Sie solle es erfahren, Freund, in der nächsten ruhigen Stunde erfahren ... Nie hat ein Bruderpaar sich zärtlicher geliebt als er und der Verstorbene – nie hätte ein Haus der Liebe zweier Söhne nötiger bedurft als unseres – und dennoch hat es einem schweren Verhängnis gefallen, Herz von Herz zu reißen und dem Stamm unseres Hauses dem Erlöschen nahezubringen ... Doch stille! Der General kommt zu sich. Tiefsinn und Unruhe folgen sich in seiner Brust ... Nun, teurer Oheim? Wollen wir ins Schloss zurück?«

Immer noch mit seinen Gedanken beschäftige, aber lebhaft und von schmerzlicher Unmut ergriffen, rief der General jetzt:

»Ich will sein Kind seh'n; – ich will mich an das liebste halten, das er hinterlassen hat. Er soll sich dort noch überzeugen, dass die Bruderliebe in mir kein Maß kennt – nicht ermüdete, solang er lebte, und nicht ermüdet, seit er dahin ist! Ist nach dem Zimmermann geschickt?«

»So eilig, dass er jeden Augenblick erscheinen kann«, sagte Frau von Hohenfels.

»Er muss das Kind mir überliefern«, fuhr Duca Dorsena fort – »es soll nicht länger das Los der Armut teilen, soll in meinem Hause leben und ausgestattet werden, wie es meinem Bruderkinde ziemt! ... Und das Töchterlein des Bruders«, fügte er milde hinzu, »ist es wirklich wohlgeraten, schön?«

»Nicht Worte schildern diesen Engel!« sagte Frau von Hohenfels.

»Umso teurer ist das Unterpfand, das meinen Händen wird«, fuhr Dorsena fort – »Kommt, o kommt – verzeiht ... Meine Schwäche war und ist die Liebe zu dem Bruder; seine Stärke war der Hass, mit dem er mir vergalt!«

Indem er sich zum Fortgehen wendete, ging die Stubentüre auf, Wendelin, Else, Riedhöfer und Reinhold kamen zurück, und Barbara folgte ihnen.

Auch diese waren bei ihrem Eintritt in die Stube so vertieft in ein Gespräch, dass sie die Gäste nicht sogleich bemerkten; besonders der Zimmermann war in einem Zustand tiefer Unruhe und Sorge.

»Und mitgenommen, sagt ihr, hat sie jene Münze?« fragte er Barbara, in die Stube tretend.

»So ist es, Wendelin«, erwiderte Barbara betrübt, ihre Ahnung erfüllt zu sehen.

»Aber was ist dir denn«, fragte Riedhöfer seinen Nachbarn, dessen Unruhe er nicht begreifen konnte.

Wendelin überhörte die Frage ganz und sagte, mit wachsender Bewegung zur Barbara gewendet:

»Eine gleiche Münze hatte die Baronin?«

»Eine gleiche Münze, Wendelin.«

So gilt es meinem letzten Frieden!« sagte Wendelin halb für sich und am ganzen Leibe bebend.

»Aber ich bitte dich ...«

»Vetter!« riefen Else und Riedhöfer mit wachsender Sorge, und den Grund solcher Schwermut suchend.

Wendelin stand eine Weile in sich versunken, worauf er Elses Kopf zwischen seine zitternden Hände nahm und sagte:

»Dank, o Dank für diesen Namen, Vetter!«

Er küsste dann Else auf die Stirn, und indem er sich dem Reinhold zuführte, setzte er hinzu:

»Lasst euer Glück nicht unterbrechen; – seid froh, seid glücklich! ... Es ist vielleicht eine Sorge ohne Not, was mich bedrückt; – ich gah' ins Schloss und komme besseren Mutes wieder – bleibt beisammen bis dahin!«

Else, Reinhold und Barbara traten in die Kammer, und Wendelin wendete sich zum Nachbarn:

»Ihr, Riedhöfer, auf ein Wort!«

»So sag' doch, Freund, was sinnest du?« fragte dieser.

»Entsagt hab' ich heute meinem schönsten Glück – die Else sprach ich euerm Sohne zu – was ich mir vorbehielt, was, sie in der Nähe zu haben, sie Tag für Tag zu sehen – ihr Schutz und Schirm zu bleiben und als Vater von ihr geehrt zu werden ... Ich habe auf diesen Trost umsonst gehofft; auch er wird mir genommen werden – wie deinem Reinhold die Braut – uns allen die Nähe des Kindes!«

»Sprichst du im Traum?« rief der Nachbar.

Else ist das Bruderkind des Generals«, fuhr Wendelin bebend fort: »Längst hab' ich's geahnt, gefürchtet – jetzt weiß ich es gewiss! ... Die Ähnlichkeit des Generals mit Elses Vater – ihr gleiches Vaterland Italien – manches Wort der Frau Baronin, in meinem Beisein gefallen – und das Familienschaustück ... Nachbar, Nachbar«, setzte er mit überschwellender Wehmut hinzu: »Es ist entschieden! Wir alle haben sie verloren! Mein Trost, mein Mut ist hin! Meine letzte Hoffnung ...«

Er verstummte plötzlich; denn er sah den General und dessen Begleiter seitwärts stehen:

»Sieh da«, sagte General Dorsena, näher tretend – »Verzeiht, dass wir ungerufen zu euch kommen; – es scheint, ihr ahnt, weshalb wir kommen!«

Wendelin rang einen Augenblick mit seiner Bewegung, dann sagte er:

»Ich weiß es, General ... Euer Bruderkind lebt hier – ihr kommt, es abzuholen – es soll nicht länger unter diesem Dache leben!«

»Es ist, wie ihr sagt ... Bringt uns das Kind ... Und was den Lohn betrifft für eure Sorg' und Mühe – wie für die Rettung des Kindes – so weiß ich wohl, bezahlen lassen sich Heldentaten nicht, und mehr als eine Heldentat habt ihr getan; – lasst mich bald hören, welche Freude, Eurer Taten würdig, ich gewähren kann!«

»Das Kind ist glücklich aufgewachsen – Lohn genug für mich!« erwiderte Wendelin.

»Doch werdet ihr erlauben, noch ein Weniges hinzuzufügen ... Wo ist das Kind, die Else?«

»Gleich hier ...«

»Führt sie uns her!«

Wendelin zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Es soll geschehen«, und ging langsam nach der Kammer ...

»Wird es nicht gut sein«, bemerkte der General jetzt, zur Baronin gewendet – »das Kind unter einem Vorwand ins Schloss zu bringen und dort erst mit dem Wechsel seines Schicksals bekannt zu machen?«

»Der Meinung bin ich auch«, sagte Frau von Hohenfels, »doch fürchte ich, der Zimmermann hat bereits geredet; – Sie sahen doch, wie tief ihn jedes Ihrer Worte traf?«

»Wohl sah ich's – wohl – doch still, sie kommen!«

Wendelin trat mit der Else aus der Kammer und sagte, sie sanft an den Hals führend:

»Wer dieser neue Vetter ist, von heut' an Pflegevater wird, da sollst du später hören ... Genug – in einem Schlosse wirst du wohnen, reich und angesehen wirst du sein, du wirst in Samt und Seide gehen und alle Herrlichkeiten dieser Welt genießen!«

»Weh' mir!« sagte Else leise, ohne aufzublicken.

»Drum wünsch' ich«, fuhr Wendelinn mit schwerer Überwindung fort – »dass du froh seist, dein Glück ergreifest und dies Haus verlassest ohne Kummer!«

»Das wünscht ihr selbst?« sagte Else, schwer aufatmend.

»Ich selbst ... Hier steht der General – die Frau Baronin; – bei ihnen sollst du bleiben, bis dich die Verwandten holen ... Leb' wohl – leb' wohl – geh' hin!«

Frau von Hohenfels trat näher und zog die Else sanft an sich.

»Komm an mein Herz«, sagte sie liebevoll: »Hier suche Fassung für dein neues Leben!«

»Ein Engel in irdischer Gestalt«, dachte Dorsena, Else mit tiefem Entzücken betrachtend.

Schmerzlich aber rang die Else mit sich selbst und kaum hörbar sagte sie:

»Ich weiß nicht, was ich soll ...«

Erst nach einer längeren Pause wendete sic sich zum Zimmermann und reichte ihm die Hand.

»Lebt wohl«, sagte sie – »Ich gehe, weil ich muss, weil ihr es wollt!«

Frau von Hohenfels, Dorsena und Felix nahmen die Trauernde in ihre Mitte und traten aus dem Hause ...

Erst jetzt erwachte Riedhöfer aus einem dumpfen Erstaunen und sagte heftig zum Zimmermann:

»Kenn' ich dich noch? Wer bist du, der den besten Trost, das schöne Gut dahingibt, der das Unterpfand der Seligen entlässt, verschenkt – und keinen Einwand findet?«

»Sie ging – sie konnte gehen«, erwiderte Wendelin nur gebrochen.

»Du hast's gewünscht – das war für sie befohlen!«

»Sie braucht nicht zu gehen – und sie ging!«

»Du hast sie im Gehorsam auferzogen – musste sie nicht folgen?«

Immer gewaltiger schwoll der Schmerz in Wendelins Brust, und so rief er endlich:

»Nachbar, Nachbar – nie schmerzte ein Gehorsam tiefer! Kein Wort mehr, keinen Vorwurf, Nachbar – schon greift der Gram mir ans Gehirn, das Herz ist eine Wunde; – Else brauchte nicht zu gehen, und sie ging! Dahin ist Glück und Trost und Ruh und Frieden!«

In diesem Augenblick erhob sich dumpfes Lärmen in der Ferne, und Elses Stimme wurde hörbar, welche ausrief:

»Vetter! Wendelin!«

Ist da nicht ihre Stimme?« sagte Wendelin auffahrend.

»Hilfe! Vetter!« wiederholte Else näher vor dem Hause.

»Sie ist's! Sie kommt zurück!« sagte Riedhöfer, nach der Türe eilend.

Aber schon flog diese weitauf, und Else, in voller Flucht, stürzte in die Stube.

»Ich kann nicht fort – hier bin ich«, rief sie: »Schützt mich, Wendelin!«

»Else, Else!« rief Wendelin außer sich und fing die Flüchtige in seinen Armen auf.

»Hier bin ich aufgewachsen«, sagte Else zittern und sich halb aus seinen Armen windend – »Hier ist meine Heimat ... Die Mutter lebte hier, und meine schönsten Tage hab' ich hier gesehen ... O Wendelin, jetzt rettet mich, man wird mich suchen, zwingen wollen – ich kann nicht fort, hier will ich leben, sterben!«

»Ah, getrost«, rief Wendelin – »Schutz sollst du finden! Man komme – und ich seh', man säumet nicht ...«

Wirklich erschienen General Dorsena, Frau von Hohenfels und Felix an der Türe, und draußen lief das Volk zusammen.

»Gerettet hab' ich dich aus Feuerswogen, erzogen und beschützt«, fuhr Wendelin fort: »Du lebst durch mich, bist glücklich aufgewachsen – da gibt's kein Recht des Bluts, ein Recht allein hab' ich!«

»Was soll das heißen?« fragte Dorsena erstaunt und strenge.

»O kommt nur, staunt und furcht die Stirne«, sagte Wendelin – »Hier ist ihr Platz, ihr Vaterhaus – hier Vetter und Bruder! Drohen und Gewalt versuchen mögt ihr – aber wisst, solang ich lebe, nicht lebend soll man sie entführen!«

»Unerhört! Ist er von Sinnen?« rief General Dorsena.

»Oheim!« sagte Frau von Hohenfels und fiel ihm flehend um den Hals.

»Hinweg«, rief dieser – »Ich seh', man will Gewalt – Gewalt soll denn entscheiden!«

V.
Der Krieg um die Waise

Es ist nicht immer richtig, wenn es heißt, die Angelegenheiten einer Herrschaft wiederspiegeln sich im Betragen ihrer Diener; wenigstens stimmte das, was man um die Zeit der folgenden Begebenheit bei einem Teil der Diener auf Schloss Lauenburg bemerken konnte, nicht mit dem tiefen Ernste zusammen, der sich bei der Herrschaft zeigte.

Seit einigen Tagen war Freiherr Felix auf dem Schlosse förmlich einquartiert, und mit ihm hatte natürlich auch sein wunderlicher Diener von einigen Räumlichkeiten des schönen Gebäudes Besitz ergriffen; aber während der Freiherr rasch sich in die nächsten Angelegenheiten des Generals und seiner schönen Nichte einlebte, wucherte die Aufmerksamkeit seines Dieners Anselm nur für sein eigenes Beste, in Form einer stillen Neigung zu dem hübschen Kammermädchen, die er unter vier Augen stark genug kund zu geben pflegte.

Manche seltsame Vorspiele dieser Bedienten-Neigung waren schon zu Tage gekommen, Szenen zwischen Anselm und der Auserwählten hatte stattgefunden, man war sich näher gekommen und hatte sich wieder trotzend entfernt, wie denn in Liebesangelegenheiten Neckereien und Zwiste nichts Seltenes sind. Gerade drei Tage nach dem obigen Vorfall in Wendelins Hause wurde wieder ein bemerkenswertes Liebestreffen geliefert, und wir wollen es als mustergültig in Sachen Anselms und des hübschen Kammermädchens hier verzeichnen.

Es mochte um elf Uhr morgens sein, als Anselm, sorgfältiger gewaschen und gekleidet als sonst und seiner Zeit vollkommen Herr, das Parktor des Schlosses hinaus spazierte und die Richtung nach dem chinesischen Gartenhause einschlug.

Er ging sehr straff aufrecht, hatte beide Hände in die Rocktaschen am Rücken gesteckt, trug eine stutzermäßigen Zwicker im Auge und blickte dann und wann beobachtend hinter sich.

Was in ihm vorging, ließ er ziemlich deutlich verlautbar werden, indem er sprach:

»Sieh da – sie folgt mir überall! Der Sieg meiner Partei ist so gut als gewiss – die Mehrheit, ich und sie gegen die nur noch schwache Stimme ihrer mädchenhaften Ziererei ist schlagend; – noch eine kurze Debatte – der Präsident selbst steigt von seinem Sitz und nimmt das Wort – Stille, Sensation – ganz wie in den Landtagsverhandlungen – endlich Abstimmung, das schwache Amendment der Ziererei fällt schändlich durch, und der denkwürdige Tag endigt mit dem Sieg meiner Liebe – eventuell, der Heirat Anselms mit der Kammerjungfer Luise!«

Während dieses Selbstgespräches hatte er sich so postiert, dass Luise, die ihm nachkam und auf dem Wege Blumen zu einem Strauße schnitt, knapp an ihm vorüber musste; da er es aber im rechten Augenblicke etwas versah, so stießen beide unsanft gegen einander, und Luise sagte ziemlich unfein:

»Er ist einem aber auch überall im Wege!«

Das verschlug indes dem Manne von gewappneter Gefühlsweise wenig, und er parierte den Hieb ganz artig, indem er sagte:

»Warum nicht? Wie sollt' ich sonst ihren süßen Vorwürfen begegnen?«

»Sei er still«, erwiderte Luise, »wenn gute Worte nicht helfen wollen ...«

»Dann werden natürlich Tatsachen reden!« fiel Anselm ein.

»Jedenfalls werde ich andere Saiten aufzieh'n ...«

»Und – er liebt mich, liebt mich nicht – mit mir spielen?«

»Was ich ausspielen werde – nun – jedenfalls sollen ihm die Ohren davon brummen!«

»Immer zu! Ob sie Maultrommel oder Brummbass spielt – auch ihr Zürnen ist mir nur ein Spiel der Sphären!«

»Was für aufgedunsene Redensarten!« rief Luise, im Grunde froh, dass das Gespräch so hübsch in Fluss gekommen. Sie band jetzt den fertigen Strauß zusammen, und gegen das chinesische Gartenhaus hin wandernd, fuhr sie fort:

»Sag' er mir aber nur ...«

»Was, mein Kind?« unterbrach sie Anselm zärtlich.

»Was ist er denn eigentlich für ein Landsmann?«

»Was für einer wär' ihr denn der Liebste?«

»Mein Liebster hat bereits ein festes Vaterland – er ist ein ehrlicher Schwabe aus Berlin!«

Anselm wich einen Schritt zurück und sagte mit gewaltigem Erstaunen:

»Was? Sie hat also schon – sie hat schon einen?«

»Darüber macht er Augen?« rief Luise lachend.

»Augen?« sagte Anselm und suchte die Trümmer seiner Fassung wieder zusammen: »Augen? O nein«, fuhr er mit Verachtung fort: »Das wird auch ein sauberer Kerl sein!«

»Was untersteht er sich?« sagte Luise, scheinbar sehr empört, »er, der gar nicht sagen will, wo er her ist?«

»O, ich kann jedenfalls behaupten, dass ich weiter her bin als ihr – allerliebster Berliner aus Schwaben!«

»Da bin ich doch neugierig ...« sagte Luise spöttisch.

»Ich habe viele Vater- und Mutterländer gehabt, weit entlegene; habe auch in jedem etwas Merkwürdiges erlebt«, sagte Anselm ernsthaft.

»Zum Beispiel«, lächelte Luise.

»Ich bin in Ungarn geboren«, erzählte Anselm mit trockenem Ernst, »wurde dann von meiner Mutter eigenhändig nach Steiermark heraufgezogen; – musste später in Böhmen mit Gewalt entwöhnt werden, worauf ich mich in Bayern entschädigte und mir das ehrsame Trinken wieder angewöhnte. So wurde ich nach und nach erwachsen genug, um einige Jahre bei den Kaiserlichen in Mainz zu liegen, was mir endlich eine zu ruhige Lebensart war, so dass ich meiner Unterhaltung und Ausbildung wegen nach Paris ging. In Paris war's – richtig – da gingen mir 1848 die Augen auf, im nächsten Jahre da kam ich nach Hessen-Kassel, dort gingen mit die Augen über – und als ich bald darauf nach Schleswig-Holstein kam, da macht' ich die Augen lieber ganz wieder zu. Dort lernt' ich auch meinen gegenwärtigen Herrn kennen, und er schleppte mich nun blind durch die halbe Welt. Das war auch gut; denn hätt' ich mit offenen Augen alle seine Liebesabenteuer sehen sollen, ich wär' nicht, der ich bin – ein gesetzter, in Sachen der Liebe unerfahrener, zuverlässiger, schwurtreuer, Gut und Blut hingebender Mann von großer Zukunft in der Liebe!«

»Also sein Herr hat viele Abenteuer erlebt – und er ist sein Helfershelfer gewesen, wie Leporello im Don Juan?« sagte Luise und gab ihm einen Backenstreich mit dem Blumenstrauße.

»Gefällt es ihr, wenn ich sage: Ja! Dann ist es so«, erwiderte Anselm geschmeichelt – »Hat sie aber was dagegen einzuwenden, so schwör' ich hoch und teuer, dass ich mich von allen seinen Geschichten fern gehalten habe!«

»Ein sauberes Geständnis!« rief Luise lachend – »Aber ich will ihm was sagen. Ich hör' nämlich gar zu gern Liebesgeschichten; – wenn er mir ein paar recht artige Stücklein von seinem Herrn erzählt, so erlaub' ich ihm, noch eine Weile neben mir her durch den Garten zu geh'n.«

»Fast sollt' ich nicht«, sagte Anselm bedenklich – »Meinen guten Herrn verraten? ... Aber«, dachte er sich, »ich will ihr einige von meinen eigenen Memoiren aufbinden – in Liebessachen ist das oft der Fall – da glaubt das Frauenzimmer alles!«

Luise sah, dass ihr Begleiter nachdenklich werde, und sagte jetzt:

»Nun will er? Aber es muss auch mitunter hart hergehen – die Liebenden müssen für einander oder wenigstens durchs Feuer gehen!«

»Durchgehen – wenn's meinem Herrn zu viel wurde – das kommt öfter vor; – aber durchs Feuer gehen – nein! Ein einziges Mal ist er vor Liebesweh ins Wasser oder vielmehr über das Wasser gegangen – nach Amerika!«

»Also mit der Geschichte fang' er an, man lernt doch immer was dabei!«

Während Anselm und Luise sich links nach dem Parke wendeten, traten aus dem Schlosse Frau von Hohenfels, Felix und ein Diener.

Frau von Hohenfels war sehr aufgeregt und trug ein Schmuckkästchen in der Hand.

Indem sie dieses dem Diener übergab, sagte sie lebhaft:

»Das überbringst du ihm; und sage nur, es komme von mir, von deiner Herrschaft; wir grüßten ihn bestens und bäten die kleine Gabe anzunehmen!«

»Sehr wohl«, sagte der Diener und entfernte sich.

Frau von Hohenfels aber wendete sich mit derselben Lebhaftigkeit zu Felix, indem sie sagte:

»Und nun zu Ihnen, Freund! Folgen Sie dem Diener uns stehen Sie ihm bei, wenn der Zimmerman sich weigern sollte; ich hoffe noch alles ins Gleiche zu bringen, wenn Sie Ihr Vermittlungsamt fortsetzen, wie Sie begonnen!«

Felix küsste ihr die Hand und erwiderte:

»Könnt' ich Ihren Bitten widerstehen? Aber mir selbst liegt daran, zwei so edle Parteien in Glück und Frieden zu vereinen! ... Aber was ist das? Kommen dort nicht Gerichtsdiener? Will Ihr Oheim wirklich versuchen, die Else mit Gewalt zu entführen?«

»Leider steht es noch schlimm genug; doch ich hoffe, das Schlimmste noch zu verhüten ... Ihr Männer«, fuhr sie zu den Gerichtsdienern gewendet fort: »Euch hat mein Oheim, der General, gerufen, ich weiß davon; doch seid ihr zu früh gekommen; entfernt euch wieder, bis man nach euch schickt, beruft euch nur auf mich!«

Die Gerichtsdiener überlegten, und Frau von Hohenfels sagte zu Felix:

»Ich eile zum Oheim! Ich lasse nicht ab, seine Stimmung zu besänftigen; es ist nicht das erste und größte Opfer, das mir seine Liebe bringt!«

Felix blickte ihr mit leuchtenden Augen nach und dachte:

»Wer könnte dir auch ein Opfer versagen, das größte, das schwerste selbst?«

Indem er merkte, dass die Gerichtsdiener noch keineswegs entschlossen waren, sich aus dem Parke zu entfernen, rief sie Felix mit ernster Stimme an und sagte:

»Nun, was steht ihr noch da und überlegt? Ist euch die Bitte, der Befehl der Baronin nicht genug? Seid ihr so gern bei der Hand, einen Menschenraub auszuführen? Fort!«

Die Gerichtsdiener entfernten sich, und Felix ging einige Schritte dem Gittertor des Parkes zu, indem er sagte:

»Nun ans Werk! Ich habe einen schweren Stand mit dem Zimmermann. Mein Abenteuer mit der Else hat mich ihm sehr verdächtig gemacht; doch fangen meine Vorstellungen an, Gehör zu finden!«

In diesem Augenblick wurden seine Gedankenauf eine sehr ergötzliche Weise unterbrochen, und lachend rief er aus:

»Was ist denn los? Mein Diener Anselm – seh' ich wirklich recht? Arm in Arm spaziert er durch den Park, vor Vergnügen glänzt sein Angesicht, und stolzer als ein neugebackener Fähnrich streckt er Beine und Nacken!«

Er zog sich rasch hinter das nächste Gebüsch zurück, um das seltene Paar, welche näher kam, unterhandeln zu hören.

Anselm und Luise erschienen wirklich nach einigen Augenblicken in der Nähe des Gebüsches, welches den jungen Freiherrn verbarg, und erklärten sich hier, stehen bleibend, folgern Maßen:

»Also abgemacht – und kein Wort weiter!« sagte Anselm, den Zwicker im Auge, mit hoher Grandezza.

»Meinethalb«, erwiderte Luise – »aber ...«

»Was aber?« rief Anselm ungehalten.

»Das Heiraten ist schon recht«, sagte Luise mit unverkennbarer Schelmerei – »aber die Aussichten ...«

»Aussichten die schönsten, wohin du gucken magst«, sagte Anselm, in die Ferne zeigend.

»Von diesen Aussichten lebt man nicht – ich meine Aussichten ...«

»Hab' ich keinen Herrn, keine Livree, keine Charge?« fragte Anselm rasch und wichtig.

»Davon kann man auch nicht leben, wenn kein Einkommen dabei ist!« erwiderte Luise lächelnd.

»Ist dann keines dabei?« rief Anselm nach hitziger, aber doch mit durchscheinendem Humor – »Ich habe bei meinem Herrn ein gutes Einkommen und ein noch besseres Auskommen; denn ausgekommen ist er mir, sooft er verliebt war, und entwischt ist er mir, sooft er sich verlieben wollte.«

»Der Schurke!« dachte Felix in seinem Versteck.

»Du gehst noch immer meinen Fragen aus dem Wege«, bemerkte Luise.

»Im Gegenteil«, erwiderte Anselm, »ich geh' sie nur kurzweg über'n Haufen, da ich mich ärgere, wie du jetzt so bräutlich verschämt fragen kannst! ... Guck' mich an, seh' ich aus wie einer, der im Dienste seines Herrn ein Hungerleider war? Wenn ich die Hälfte meiner liberale Konstitutionen abdanke, so kann vom Überfluss eine Familie von zehn Häuptern ganz gut leben!«

»Das ist wahr«, sagte Luise lachend – »Aber bist du sicher, dass dich dein Herr unter allen Umständen behalten wird?«

»Er?« sagte Anselm sehr stolz – »O, den hab' ich in Händen, dass er mir nicht entgehen soll! Alle diplomatischen Fäden seines Lebens laufen hier zusammen!« Er schlug sich klatschend auf den Mund.

»Ei, du aufschneiderischer Heiduck!« dachte Freiherr Felix.

»Im Übrigen«, fuhr Anselm fort – »unter uns gesagt, hab' ich mir in seinem Dienste was erspart!«

»Wirklich?«

»Wenigstens so viel, dass es uns wenig verschlägt, wenn ich eines Tages den sonst trefflichen Herrn Springinsfeld meiner Dienste in Gnaden entlasse!«

»Ich bin doch neugierig«, dachte Freiherr Felix.

»Die Präsenter«, fuhr Anselm fort – »wenn mein Herr so merkte, dass ich ein Aug' zudrücke bei seinen Liebesabenteuern; – ferner die kleinen Profite, die ich machte, wenn er wochenlang in einer Liebschaft geistesabwesend war und ich im Wirtshaus carte blanche hatte – weißt du – diese Neben-Akzidenzien haben mir nach und nach ein kleines Rittergut eingetragen.«

»Ein Rittergut?« rief Luise erstaunt lachend: »Wo hast du es?«

»Natürlich nicht in der Tasche hier«, sagte Anselm: »Ich musste vorsichtig zu Werke gehen, als ich's kaufte ...«

»Nun, und wo hast du's gekauft?«

»Ganz verstohlen in Amerika, als ich mit meinem Herrn dort war, um uns alle Liebe und Leidenschaft abzugewöhnen. Ich habe ganz in der Stille gekauft – und in einer Gegend – so versteckt und traulich ...«

»Wo denn?«

»Bei den sogenannten Hinterwäldlern – die Quadratmeile zwischen zweieinhalb Silbergroschen – Brunnen – Bäche, ein paar feuerspeiende Berge umsonst – und wir haben den Vorteil, dass uns dort niemand entdecken wird; denn ich sage dir, es ist bis jetzt niemand lebendig bis dahin gedrungen!«

»Wie sollen nun wir dahin gelangen?«

»Wir brauchen auch nicht hinzugelangen; ich habe das bescheidene Gebiet von 2 000 Quadratmeilen bereits in Pacht gegeben und ziehe eine wahrhaft amerikanische Puffrente daraus.«

»Also sind schon Leute dort?«

»Sehr wohlfeile Arbeitskraft. Wenn mein Pächter säen oder ernten will, so nimmt er ein paar bewaffnete Knechte und geht mit ihnen durchs nächste beste Gehölz; dort springen wie auf unseren Wiesen die Heuschrecken, ganze Herden von Indianern vor ihnen her, sie fangen deren, so viel sie brauchen, zusammen, benützen sie zur Arbeit und lassen sie dann wieder aus – was diese Wilden als ihr liebstes Auskommen betrachten!«

»Das ist ja die billigste Wirtschaft, die es geben kann!« rief Luise lachend.

»Das ist's auch«, erwiderte Anselm; – »indessen bin ich doch der Meinung, dass ich meinen Herrn nicht ohne Not verlasse. Er ist immer noch einer der besten und – obwohl er's nicht recht verdient – lieb' ich ihn doch so, dass es eine Schande und ein Spott ist!«

»Das ist schön von dir.«

»Aber eines muss er mir von jetzt an versprechen, wenn ich bleiben soll; – er muss heiraten und einen ruhigen Wohnsitz nehmen! ... Das Herumflunkern, Ew. Gnaden, will ich ihm sagen, taugt nicht länger; wer in seiner Jugend wild herumfährt wie ein Hirsch, der muss sich's auch gefallen lassen, dass ihm im Alter Hörner wachsen. Der Mensch muss einmal in den sauren Apfel beißen und heiraten – also zugebissen, solang man noch jung ist! ... Er wird das auch einsehen, wird heiraten, auf seine Güter ziehen – mich zum Kammerdiener, dich zur Kammerfrau machen, und so die Tagesordnung seines Lebens würdig erschöpfen!«

Würdig dieser gewiegten Lebensansicht war nun auch die Art, wie Anselm jetzt, die Geliebte am Arm, dem Schlosse zuschritt. Sein Herr hätte ihn freilich als aufschneiderischen Verbrecher auf der Tat ergreifen und zur Rechenschaft ziehen können; allein er ließ ihn ungestraft entwischen und nahm sich sogar aus den Reden des Dieners eine kleine Lehre zu Herzen, indem er sagte:

»Der Schelm hat recht, so unhöflich auch seine Ausdrücke waren. Heiraten – einen ruhigen Wohnsitz nehmen – ich bin des Treibens wirklich müde ... Ja, wenn ich das Glück habe, wenn ich erringe, wonach mein ganzes Herz jetzt strebt, dann will ich mit dem ruhigsten Bürger, mit dem zufriedensten Hausvater wetteifern! Schon einmal sollte sie ein günstiges Geschick in meine Arme führen – es missglückte damals – jetzt hab' ich Hoffnung, dass ich meinen Wünschen näher bin! ...«

Die Gerichtsdiener hatten sich inzwischen aus dem Parke nur entfernt, um sich nach dem Schlosshofe zu begeben, wo sie dem Generale, der sie hatte rufen lassen, näher zu Befehl sein konnten; und wirklich nahm es bald den Anschein an, dass sie hier willkommen sein.

Denn so sehr auch die Frau Baronin auf die endliche Nachgiebigkeit des Oheims hoffen mochte, diese günstige Wendung war noch keineswegs in Aussicht; im Gegenteile nahm die Stimmung des Generals einen immer strengeren Charakter an.

Dieses ging aus der Unterredung hervor, welche die Baronin eben auf dem Zimmer mit ihm führte ...

»Das Kind des Bruders mir vorenthalten!« rief der General zu wiederholten Malen, auf und nieder gehend – »Unerhört ist's, unerhört!«

»Ungewöhnlich sind auch die Umstände, sie entschuldigen vieles«, erwiderte Frau von Hohenfels, keinesfalls entmutigt.

»Die Gerichtsdiener – wo bleiben sie – keinen Augenblick will ich mehr verlieren ...«

»Ich habe die Männer fortgeschickt«, sagte die Baronin ernst, »denn ich konnte nicht glauben, dass mein Oheim mit Gewalt in das Haus dringe werde, das ihm so treu einen großen Schatz bewahrt!«

»Aber man will ihn vorenthalten, diesen Schatz – gewaltsam vorenthalten, muss da nicht Gewalt entscheiden?«

Er trat jetzt nach der Türe und rief einem Diener.

»Die Gerichtsdiener sollen kommen«, befahl er heftig, »augenblicklich sollen sie kommen!«

Der Diener ging, und Frau von Hohenfels sagte nach einer Pause milde und schmerzlich:

»Oheim!«

Durch den Ton dieses Wortes etwas betroffen, blieb der General stehen und fragte ruhiger:

»Was willst du noch?«

Frau von Hohenfels trat ihm näher und sagte nach einer Pause:

»Bedenken Sie wirklich, gegen wen Sie Gewalt gebrauchen wollen? Nicht dem Zimmermann allein entreißen Sie das Kind, das er gerettet und erzogen – Sie entreißen die Else ihrem Boden, an dem sie haftet wie ein Blümlein im frischen Grund! Hat der Zimmermann nicht nachgegeben, als er noch zweifelhaft war, wie leicht oder schwer das Kind ihn verlassen würde? Erst als Else zurückfloh in sein Haus, lieber sterben als ihn verlassen wollte – erst da beschloss der wackere Mann, das Kind nicht gegen dessen Willen auszuliefern!«

»Das Kind war erschrocken, verwirrt, er hätte es belehren sollen!«

»Nein Oheim, nein! Was will der Zimmermann anders, als Sie wollen, ich selbst will? Das Glück der Else wollen wir alle! Else ist mit ihrem bisherigen Lose zufrieden – ab sie's in neuen Verhältnissen würde, ist mindestens zu bezweifeln! ... Noch ist es Zeit, die Dinge ohne Gewalt zum Besten aller zu entscheiden«, fuhr sie lebhaft bittend fort: »Noch weiß die Else nicht, dass wir die Verwandten sind, die sie dem Boden ihres Lebens entreißen wollen. Eine Erklärung genügt, dass die ungenannte Verwandtschaft auf den förmlichen Besitz des Kindes verzichtet und sich nur vorbehält, das Schicksal desselben zu überwachen – wie ein Schutzgeist für dessen Wohl zu sorgen. Unsere Stellung zum Hause des Zimmermanns wird wieder eine glückliche, Elses Zutrauen wird wiederkehren, wir können Wohltaten spenden, so viel wir wollen – und während wir das Glück des Kindes vollenden, belohnen wir zuggleich den Retter desselben – und glauben Sie mir, Oheim, wir handeln so am besten im Sinne Ihres verewigten Bruders!«

»Einen Anwalt hat da der Zimmermann« – sagte der General nachdenklich.

»Nein, Oheim, nein – auch Ihre Sache führe ich! Das Glück des Kindes sollen Sie fördern auf eine Weise, die Sie später selbst befriedigen muss! Darum keine Gewalt – wenigstens jetzt nicht – gerade heute würden Sie das Übel auf die Spitze treiben!«

»Warum? Drei Tage habe ich dem Zimmermann Bedenkzeit gegeben – ist er gekommen, sich zu erklären?«

»Das konnte er nicht, ohne dass Sie ihm entgegen kamen!«

»Ich ihm? Er weiß meinen Willen!«

»Ich habe mir erlaubt – Ihren Willen näher zu erklären ... Freiherr Felix war der Unterhändler, und mein Vorschlag lautete: Else soll bleiben, wo sie ist; sie soll in den Verhältnissen ungestört fortleben wie bisher; die soll den Namen der Verwandten nie erfahren, nur von Zeit zu Zeit ihre Wohltaten annehmen; – der Zimmermann wird, so hoff' ich, diesen Vorschlag annehmen – und wünscht vielleicht uns heute – als seine Hochzeitsgäste zu sehen!«

»Hochzeitsgäste?« rief der General, während eben die Türe aufging, die beschlossen war, in Folge unseres Streites beschleunigt – und heute wird sie gefeiert«, sagte die Baronin.

Böllerschüsse in der Ferne bestätigten in diesem Augenblicke, dass es also sie, und Frau von Hohenfels bemerkte weiter:

»Hören Sie die ersten Zeichen! Heute Gewalt brauchen, hieße sie doppelt missbrauchen!«

Diese Worte und Zeichen waren aber weit entfernt, den General zur Nachgiebigkeit zu bewegen; vielmehr rief er äußerst heftig aus:

»Elses Hochzeitstag? Das Kind meines Bruders einem Bauernsohne? Gerichtsdiener! Ins Dorf mit mir! Ich will mir erlauben, diese Kühnheit zu bestrafen!«

Frau von Hohenfels sah ihn eine Pause mit schwermütigen Blicken an und sagte dann mit ruhigem Schmerz:

»Dann gehen Sie, Oheim, und tun Sie, was Sie nicht lassen können; – aber wissen Sie zugleich: – Sie mögen das Kind des Bruders mit Gewalt erobern und auf Ihr Schloss hier führen – mich finden Sie nicht mehr, wenn Sie wieder kommen. Lieber gehe ich, so weit mich meine Füße tragen, um ein Glück nicht zu sehen, das mit Hilfe von Häschern gemacht wird!«

Diese Worte wirkten mehr als alle frühere Redekunst; der General sah der abgehenden Nichte einen Augenblick betroffen nach, dann sagte er zu den Gerichtsdienern:

»Entfernt euch!« und folgte der Baronin.

VI.
Der Ehrentag

Nach Stürmen Ruhe, das ist nach langem Toben der Elemente doch der Gang der Dinge immer; nach Krieg und Kriegesleiden Friede, darauf darf der Mensch nach langer Zerrüttung seines Lebens gleichfalls immer hoffen.

Und wie es eines der erhabensten und lieblichsten Bilder zugleich ist, wenn nach kurzem Schweigen der Stürme die zerrissenen Wolkenschwärme Halt machen und dem siegreichen Glanz der Sonne wieder Raum geben, so erfreulich und erhebend ist auch der Anblick des beginnenden Friedens zwischen liebevollen Menschen, die ein bedauernswerter Zwist einige Zeit erregt und getrennt hat.

Nach tagelangen Stürmen zog endlich über Rodenheim wieder ein stiller, klarer Morgen herauf, und dieser erste Friedensmorgen der Natur war auch der erste Morgen des aufschimmernden Friedens zwischen den uns bekannt gewordenen Personen, die ein kurzer Streit getrennt und gegen einander bewaffnet hatte.

Es war Elses Hochzeitsmorgen.

Wendelins Haus war von außen und innen festlich geschmückt, Türen und Fenster, Schränke und Bilder hatten ihre Festgewinde, ja selbst jedes Stück Handwerkszeug war mit Blumen und Blättern geschmückt; und noch immer kamen neue Zierden hinzu, herbeigebracht von geschmückten Mädchen des Dorfes, Elses Freundinnen, die der Braut ihre Freude und Teilnahme bezeugen wollten. Aber nicht genug, den kleinen Schauplatz von Elses Leben und Wirken zu schmücken, hatten die Freundinnen auch ein liebliches Gesangsstück eingelernt, das nun gegen neun Uhr vor Wendelins Haus erklang; die Worte des Gesanges lauteten:

Schmückt die Braut zum Ehrentage,
Blumen bringt und Kränzezier,
Dass wie ihre Seele prange
Ihre liebe Wohnung hier!

Wie sie treu zu uns gehalten,

Wie sie und ein Vorbild war,
Bringen wir mit stiller Liebe
Ihr nun Gruß und Wünsche dar:

Glücklich lebe, fröhlich wirke,
Else, holde Freundin, du,
Schließ' auch in dem Glück der Ehe
Uns dein schönes Herz nicht zu!

Während dieses Gesanges trat Wendelin durch die Hoftür in die Stube und kam langsam, etwas gebeugt und von ernsten Gedanken bewegt, vorwärts; ihm folgte in einiger Entfernung zwei männliche Beistände und ein Hochzeitlader, alle sowie Wendelin festlich geschmückt.

Wendelin legte seinen Hut auf den mit Blumen und Kränzen bedeckten Tisch, stützte sich dann auf die Lehne eines mitten in der Stube stehenden Stuhles, worauf er, mit trübem Blick vor sich hinsehend, kaum hörbar sagte:

»So sei es denn; an Entsagen und Entbehren hat man mich gewöhnt, so sei auch diesmal nachgegeben. Bleibt mir ja doch eins noch, dass mich die Else auch ferner als väterlichen Freund, als zweiten Vater betrachten wird ... Diesen Trost, mein Herz, umklammere mit aller Macht, damit du standhaft diese Stunde überlebst!«

Er setzte sich nach diesen Worten auf den Stuhl und verfiel, vor sich niedersehend, in tiefes Nachdenken.

In diesem Augenblick ging der Chorgesang zu Ende, der Hochzeitlader trat an das offene Fenster, um mit seinem bändergeschmückten Stabe Zeichen zu geben; sofort ertönte in einiger Entfernung ein feierlicher Böllerschuss; zugleich aber öffnete sich zur linken Hand die kleine Türe, welche nach der Kammer führte, und Gretle, als Kranzjungfer gekleidet, trat heraus.

Sie kam von der Else, deren bräutliche Ausschmückung eben beendet war, und hatte jetzt ihr Sprüchlein, wie es die Sitte verlangte, zu sagen, was sie auch angemessen feierlich und mit einem Anflug von Bewegung tat, indem, sie vor der Türe stehen bleibend, zu Wendelin und seinen Beiständen gewendet, also sprach:

»Ausgestattet, schmuck und fein,
Steht die Braut im Kämmerlein;
Vater, Mutter, wer es sei,
Ruft das gute Kind herbei:
Segen will es, eh es wandern
Muss von diesem Haus zum andern!

Der Hochzeitlader, dessen Amt es war, zu erwidern, sagte hierauf:

Viel gegrüßt sei uns die Braut,
Die auf Segen alles baut!
Lebt ihr auch kein Elternpaar,
Segen bringt ein andrer dar!

Indem nun das Gretle in die Kammer zurückging, öffnete sich die Türe nach dem Hof, ein Diener in reicher Livree, ein Kästchen in der Hand, trat herein und ging auf Wendelin zu.

»Freundlichen Gruß von meiner Herrschaft«, sagte er, etwas leise zu Wendelin niedergebeugt, »und hier ist, was sie euch anzunehmen bittet.«

Wendelin blickte bei dieser Anrede wie betroffen auf, schien sich dann einen Augenblick, mit der Hand über die Stirn fahrend, zu besinnen, worauf er nach einigem Zögern das Kästchen annahm und dem Diener, der sich sofort wieder entfernte, leise zunickte.

Der Diener war noch nicht wieder verschwunden, als die Kammertüre abermals aufging – und Else, von der Brautmutter und der alten Barbara geführt, von Gretle und zwei andern Brautjungfern begleitet, heraustrat.

Sie war ein Bild des Entzückens und der Rührung; auf das Liebreizendste geschmückt und den Kranz mit weißen Schleifen auf dem Kopfe, stützte sie sich mit der rechten Hand ein wenig auf die festlich gekleidete Barbara und ließ die Linke in den Händen der neben ihr gehenden Brautmutter ruhen; so blieb sie nach einigen Schritten ruhig und erwartend stehen.

»Sie kommt!« sagte der Hochzeitlader leise und ermunternd zu dem noch immer nachdenklich dasitzenden Wendelin, worauf er an das Fenster eilte und wieder ein Zeichen mit dem Stabe gab; zwei feierliche Böllersignale erschallten.

Nach der Sitte hatte jetzt die Brautmutter das Wort, und sie sagte nun ihren Spruch:

Hier bringe wir das liebe Kind,
Den Schmuck im Haar, die Zier am Leib;
Den Schmuck als ihre Ehr' verdient,
Der Segen drum nicht außen bleib'.
Nicht Vater hier –
Nicht Mutter hier-
(Zu Wendelin)
An Elternstatt sprecht ihr!

Da Wendelin auch jetzt noch wie gebrochen sitzen blieb, so näherte sich ihm der Hochzeitlader und sagte leise:

»Was habt ihr doch?«

Wendelin fuhr sich einmal über die Stirne, stand auf, legte das früher empfangene Kästchen auf den Stuhl und sagte dann zu Else, die zu ihm herangetreten war und jetzt niederkniete:

»Komm' her ...«

Er legte ihr die Hände auf das Haupt und fuhr nach einer Pause tiefer Bewegung fort:

»Der Segen unsers Gottes und Erlösers – der Segen deiner Eltern sammle sich in meiner Hand, dass ich ihn, mit dem Meinigen vereint, auf dein liebes Haupt hier übertrage ... Bleibe brav, sei treu, sei immer fromm, sei froh!« Er konnte nicht weiter sprechen.

Else erhob sich nun.

»Nur eines kann ich sagen«, brachte sie bebend hervor: »Vetter – habet Dank!«

Jetzt wirbelte ein Tusch vor dem Hause in die Luft, und zwei neue Böllersignale feierten den Augenblick der Segensprechung.

Wendelin aber nahm aus dem Kästchen ein Halsband von lauter Dukaten, zu unterst die Familienmünze Dorsenas, und sagte, der Else das Halsband umhängend:

»Hier – eine Gabe deiner Freundin und Beschützerin vom Schloss – deine Dukatenmünze verschönert und vermehrt.«

Else macht eine leise Bewegung der Überraschung, ließ sich aber den Schmuck wie willenlos und ergebungsvoll umhängen ...

Schon seit den letzten Schusssignalen hatte der Gesang der Mädchen vor dem Hause wieder begonnen; Else, von der Brautmutter und der alten Barbara in die Mitte genommen, trat nun durch die Stubentüre in den Hof, ihr folgten Gretle und die Gefährtinnen, die Beistände und der Hochzeitlader; in dem Augenblick aber, wo Else vor dem Hause den versammelten Gästen erschien, brach der Gesang ab, ein Tusch und Hochruf folgte, worauf ein hübscher, heiterer Hochzeitsmarsch begann ...

Indessen war Wendelin wie selbstvergessen in der Stube zurückgeblieben und rang noch schwer mit seinem Herzen.

»Wo ist er? ... Wendelin!« ertönte endlich eine dringliche Männerstimme vor der Türe, und der Riedhöfer kam herein.

»Ist's denn möglich«, fuhr er fort, »allein muss die Braut auf dem Hause? Ohne den Stellvertreter der Eltern muss sie fort?«

Wendelin umarmte ihn sprachlos und sagte dann mit tiefer Bewegung:

»Mein halbes Leben zieht mit ihr dahin! ... Wer wird mein Haus mit Segen füllen wie sie? Wenn ich morgens erwachte, wer ging geschäftig durch das Haus und sang ein frohes Lied? Wenn ich heimkam, müde und gedrückt von Arbeit und Gedanken, wer stand wie ein morgenfrohes Kindlein vor der Türe und rief mich Vetter und lächelte mir Sorg' und Müdigkeit hinweg? Bis in den letzten Winkel rein und heilig waren alle Räume, selbst den Tierlein des Hauses war nicht wohl, sobald sie ferne blieb ... das soll ein Ende haben, und ich soll leben ohne sie!«

»Daran denk' du später«, sagte der Riedhöfer, ihm den Hut reichend und ihm mit sich fortziehend: »Jetzt sei gefasst, blick auf, sei ein Mann und komm! Es wird sich vieles bessern! ...«

Die feierliche Stunde, die das Dorf in Spannung und Bewegung versetzte, war auch für die Lauenburg nicht mehr ohne Bedeutung, man sah dies an einigen Vorbereitungen und an dem festlichen Betragen der Bewohner deutlich genug.

Vor dem Tore, welches nach dem Parke führte, waren bereits eine gute Weile zwei Diener in reicher Livree aufgestellt, andere Diener kamen von Zeit zu Zeit mit Platten voll Speisen und Erfrischungen aus dem Tore und gingen nach einer Stelle des Parks, wo man durch ein offenes Gittertor auf die Straße gelangte.

Gegen neun Uhr trat auch Frau von Hohenfels, nicht mehr schwarz, sondern festlich hell gekleidet, in den Park und eilte dem Freiherrn Felix entgegen, welcher von der Straße her sich näherte.

»Sie kommen«, rief sie nun, »wie steht es, Freund?«

»Er hat das Kästchen angenommen – zwar sehr ernst und schweigsam – sagt der Diener – doch er hat es angenommen!«

»Gott sei's gedankt! Dann ist sein Herz auf versöhnlichem Wege!«

»Und wie geht es hier?« fragte Felix, auf das Schloss deutend: »Ist auch da ein milderer Geist eingezogen?«

»Der Oheim ist ruhiger«, sagte Frau von Hohenfels: »Er sieht ein, dass ein Kind von so holdem Wesen, das man mit Lebensgefahr rettet, das man erzieht und gedeihen sieht zu solcher Pracht, dem ersten Besten, selbst einem Blutsverwandten, nicht so leicht ausgeliefert werden kann.«

»Ich atme wieder auf«, sagte Felix, sich die Stirne trocknend ... »Was bin ich diese Tage beruhigend, vermittelnd hin und her, von einem zu andern! Wie schien alles vergebens! Besonders der Zimmermann – in meinem Leben habe ich keinen Menschen so gesehen! Der leibhaftige furor Teutonicus stand vor meinen Augen; aus dem friedfertigesten Menschen schien ein Raubtier geworden, das seine Jungen verteidigt!«

»Wie gewinnt der treffliche Mann in meinen Augen!« sagte die Baronin.

»Wahrlich, umso mehr«, erwiderte Felix, »als ihm das herrliche Kind ohnehin durch einen Bräutigam eben entzogen wird. Aber in diesem Falle bleibt sie doch als nachbarliche Hausfrau in seiner Nähe, er kann ihr Glück und Unglück überwachen, ist vertraut mit Personen und Verhältnissen, die das Kind aus seinen Händen empfangen; – hier – in glänzenden und fremden Umständen, war Else so gut als ganz für ihn verloren!«

In diesem Augenblick wurden wieder Erfrischungen vorübergetragen, und der Freiherr fragte:

»Was soll denn das?«

»Ein Zeichen, wie mein Oheim die Dinge jetzt ansieht. Er ist nun selber überzeugt, dass Else in den gewohnten Verhältnissen glücklicher ist, als wenn sie Bewohnerin diese Schlosses würde; und um ihr Glück allein ist ihm zu tun. Er will daher selbst dem Zimmermann versöhnlich entgegenkommen. An diesem Schlosse muss der Hochzeitszug vorüber; mein Oheim hat befohlen, dass der Zug in der Nähe des Parkes angehalten und mit Erfrischungen fürstlich überrascht werde; sobald der Zug hierauf wieder in Bewegung kommt, will sich der Oheim selbst mit uns zwei Dienern anschließen und hofft dafür als Gast des Hochzeitstisches erscheinen zu dürfen.«

»Das wird er gewiss«, sagte Felix, »eine gut Art, sich als nächster Anverwandter bei der Hochzeit einzufinden, ohne dass Else und die Gäste das Geheimnis ahnen ... Aber gnädige Frau«, fuhr Felix fort, zu einem kurzen Rundgang durch den Park den Arm der Baronin bietend: »Sie haben gestern die rührende Geschichte von der Bruderliebe zwischen Ihrem Oheim und Elses Vater begonnen – Sie wurden unterbrochen – und ich wüsste gar zu gern, um die wehmütige Bedeutung dieses Tages ganz zu begreifen, wie die Liebe der Brüder so furchtbar zerrissen und wenigstens in dem einen so tödlich in Hass verwandelt wurde?«

Frau von Hohenfels schwieg einen Augenblick und sagte dann:

»Nur wenig, Freund, ist da hinzuzufügen ... Welches Entsetzliche wäre zu denken, das politische Leidenschaft nicht schon verursacht hat? ... Bereits vor Ausbruch der letzten italienischen Bewegung entstand eine Spannung zwischen beiden Brüdern. Mein Oheim diente von Jugend auf mit Überzeugung, mit ganzer Liebe dem deutschen Staate, dem er jetzt noch angehört – während sein Bruder mit Schwärmereifer plötzlich die Partei der Nation, wie er sagte, ergriff und verlangte, dass der Oheim quittiere, sein Genie derselben Partei widme – kein Verräter am Heiligsten, Höchsten werde! Milde lehnte der General jeden solchen Vorschlag ab, suchte vielmehr den Bruder zu überzeugen, dass dieser nur sein eigenes, wie das Unglück der nationalen Sache herbeiführen helfe. Aber je ruhiger, je überzeugender der General sprach, desto erregter, heftiger wurde der Bruder – und so sagte er ihm endlich wütend Lebewohl ... Der Krieg brach los – Gefecht um Gefecht und Schlacht um Schlacht verloren die Gegner der Regierung – man suche auf dem Wege des Vergleichs zum Frieden, zum Niederlegen der Waffen zu bewegen – aber immer noch vergebens ... Da rückte man zur letzten Schlacht heran; – an der Spitze beider Teile standen sich kommandierend die beiden Brüder Dorsena gegenüber – und der Aufstand unterlag ... Kurz zuvor hatten einige Scharen mit gefangenen Soldaten kurzen Prozess gemacht, jetzt war Befehl gegeben, mit den Führern der Geschlagenen ein Gleiches zu tun; – unter den Gefangenen war auch des Oheims Bruder ... Eine Nach lag zwischen der Schlacht und dem Morgen der Exekution; mit blendend schwarzem Haare hatte mein Oheim den Befehl unterschrieben – mit schneeweißem Haare fand ihn die Morgensonne in dem Zelte wieder ... Aber das Schreckliche ward nicht vollführt. Noch vor Tagesanbruch brachte ein Kurier den eigenhändigen Befehl des Monarchen, unnützes Blutvergießen einzustellen ... Elses Vater wurde als Gefangener abgeführt, auf eine Landesfestung gebracht, durch die Verwendung des Generals so rücksichtsvoll als möglich behandelt – und in die erste Amnestie der Regierung eingeschlossen ... Aber der Pfeil des Hasses saß ihm zu tödlich in der Brust. Kein Wort des Dankes, kein Gruß erfreute den liebenden Bruder für all seine Verwendung – vielmehr entzog ihm der Gerettete von der Stunde der Befreiung an jede Spur seines Lebens – und wäre nicht durch Hörensagen ein und das andere Gerücht zu ihm gedrungen – er würde heute noch vergebens mit dem Herzen nach ihm suchen ...«

Man hörte jetzt sehr leise aus der Entfernung den Hochzeitsmarsch, und die Baronin sagte, den traurigen Gegenstand ihre Gespräches verlassend:

»Aber wir reden hier, und der Zug aus dem Dorfe beginnt bereits. Ich will nach dem Oheim sehen, er darf nicht zu viel allein sein!«

Sie eilte fort und ließ den Freiherrn in ernstem Nachdenken zurück.

»Trübes Schicksal eines Hauses«, dachte er, hin und her gehend, »das Jahrhunderte hindurch an Ehren und Talenten reich gewesen; – mit dem Generale stirbt der letzte männliche Sprosse weg, und der Name Dorsena gehört nur noch den Schatten an ... Aber, was beklag' ich das Ende eines fremden Hauses, während mein eigenes in Gefahr steht, ein unrühmliches Ende zu nehmen? Ich muss endlich mein Schicksal wissen – will es heute noch erfahren. Mein Leichtsinn und meine Jugend haben mir die Geliebte einst entrissen; – sie suchte Ernst und Tiefe des Charakters – und ich zeigte die leichtfertige Bravour eines Junkers ... Ich will sehen, was meine Umkehr vermag. Schon meine Fassung, meine Zurückhaltung ist nicht unbemerkt geblieben – leise, aber bedeutsame Worte sind gefallen – diese Stunde noch hoffe ich Bestimmtes zu wissen! ...«

Jetzt hörte man deutlich und immer näher kommend die Töne des Hochzeitsmarsches, und der Freiherr blickte teilnehmend in die Ferne.

»Sieh' da«, sagte er, »wie schön, wie malerisch! Dort windet sich die festliche Pilgerschar über Feld und Wiese, durch Hohlweg, über Hügel!«

Zwei feierliche Böller- und einige Pistolenschüsse ertönten, und er fügte hinzu: »Das Volk hat recht, zu kräftigen Sinnen gehören kräftige Sitten!«

Als er sich jetzt zur Rückkehr ins Schloss anschicken wollte, erblickte er unerwartet seinen Anselm und Luise, welche, Arm in Arm und sauber herausgeputzt, herbei schlichen; Anselm hielt den Hut in der Hand.

»Ei, sieh' da!« sagte Felix. »Wollt ihr euch auch dem Hochzeitszuge anschließen?«

Etwas verlegen erwiderte Anselm:

»Das weniger, Ew. Gnaden; – wir möchten vielmehr selbst bald etwas Ähnliches veranstalten.«

»Anselm! Du etwa gar heiraten? So weit ist es mit dir gekommen?« rief der Freiherr lachend.

»Mit Großem fängt man an, mit Kleinem hört man auf«, sagte Anselm ruhig.

»Das ist ja das hellste aller Wunder!« fuhr der Freiherr fort.

»Von Ihnen hab' ich's freilich nicht gelernt«, sagte Anselm.

»Dazu braucht auch niemand einen Meister; – aber sage mir, bist du gesonnen, wenn du heiratest, aus meinem Dienst zu treten?«

»Ich?« rief Anselm, »dass mich Gott behüte! Gerade an Ihr Haus will ich ja mein Schwalbennest mit der da bauen!«

»Aber du weißt«, sagte Felix, »dass ich daheim keine Ruhe habe, dass ich ohne Herumfachieren nicht leben kann.«

»Na, na«, meinte Anselm mit derb schelmischer Miene: »Lassen Sie's nur gut sein. Der silberne Kommandostab von Zucker ist schon gefunden, der Sie bald zu Paaren treibt!«

»Was unterstehst du dich, Verwegener?«

»Na, na«, fuhr Anselm fort und schlug sich einige Male klatschend auf den Mund: »Ich will nichts weiter gesagt haben!«

Er deutete auf das Schloss und setzte hinzu:

»So viel ist gewiss, Sie gehen von hier nicht fort, wie Sie gekommen sind!«

»Dafür verdientest du, dass ich dich meines Dienstes entließe – und auf dein Rittergut in Amerika verbannte!«

»Mein Rittergut ...« sagte Anselm betroffen.

»Ja, ja – bei den Hinterwäldlern ...« fuhr Felix fort.

Anselm stellte sich, als wisse und verstände er von alledem nichts, und sah bald seinen Herrn, bald Luise mit offenem Munde an.

»Hinterwäldlern – wa – Luischen, hast du je ...?« bracht er nach und nach hervor.

»Spiel' noch Versteckens mit der Wahrheit«, sagt Luise frischweg: »Ja, Ew. Gnaden, er hat mir etwas von einem Rittergut in Amerika vorgeschwatzt, aber da er hernach sah, wie Lügen und Aufschneiden nichts bei mir helfen – gestand er sein Verbrechen selbst und schwur, sich zu bessern.«

Das trieb jetzt Anselm zu Paaren, er kniete nieder und zog auch Luise neben sich zu Boden.

»Ew. Gnaden«, bat er, »machen Sie jetzt eine Faust und halten Sie zwei große Gnaden in der Hand; – eine Gnade zum Verzeihen, Ew. Gnaden – und eine Gnade, und zu segnen, Ew. Gnaden!«

»Meinethalben. Habe Verzeihung, Ungeratener – und seid in Zukunft glücklich miteinander! ... Jetzt aber steht auf und bürgt mir für einen tadellosen Lebenswandel, bis ich selbst eine Hausfrau habe!«

Anselm und Luise eilten glücklich von dannen, während Felix nach dem Schlosse ging, um nach dem General und seiner Nichte zu sehen; er traf sie bereits im Schlosshof und kehrte mit ihnen nach dem Park zurück.

Dem Gittertore zugehend, wo auf wohlbesetzten Tischen die Erfrischungen der Hochzeitsgäste harrten, sagte Duca Dorsena etwas angegriffen, aber lächelnd:

»Der Zug ist nahe – wie hübsch sich der heitere Marsch ausnimmt! ... Ich selbst will den Zug zum Stillstand bringen und begrüßen. Scheinbar harmlos will ich mich an das Wort des Volkes halten – bei der Hochzeit des Dukatenkindes dürfe ja Duca Dorsena in Person nicht fehlen!«

»Bester Oheim ...« sagte Frau von Hohenfels gerührt.

»Kommt, Kinder«, fiel der General ihr in die Rede und nahm, schwermütig lächelnd, auch des Freiherrn Arm, um zwischen ihm und seiner Nichte an das Parktor zu gelangen ...

Indessen war der Hochzeitszug unter Musik und Pistolenschüssen ein gutes Stück vorwärts gekommen und näherte sich, die mäßige Anhöhe heraufziehend, dem gutsherrlichen Schlosse.

Die Ordnung des Zuges war folgende:

Voran gingen, ihre Instrumente fleißig meisternd, die auserlesensten Musikanten der Gegend. Ihnen folgten sechs kleine, geputzte Mädchen mit Kränzen im Haar und um die Arme. Hinter diesen kam der Hochzeitslader in originellem Aufputz daher, dem dann wieder vier größere, geschmückte Dorfmädchen folgten. Riedhöfer und hinter ihm zwei männliche Beistände waren die nächsten Personen des Zuges, worauf zwei sauber herausgeputzte Bäuerinnen und vier Paare Hochzeitsgäste von Riedhöfers Verwandtschaft folgten. Nun kamen abermals zwei geputzte, erwachsene Mädchen des Dorfes, hinter denen zuerst Wendelin, der Zimmermann, hierauf zwei Beistände, dann Gretle und die übrigen Kranzjungfern, dann die Brautmutter, endlich Else und Reinhold, und abermals einige Kranzträgerinnen folgten; ihnen schloss sich dann eine lange Reihe Hochzeitsgäste beiderlei Geschlechts an.

Als der Zug so weit die Anhöhe heran war, dass sich die Hauptpersonen desselben dem Parktor des Schlosses gegenüber befanden, traten plötzlich aus demselben zwei Reihen Diener des Generals und gaben den Musikanten ein Zeichen, stille zu sein, und dem Zug einen Wink, ein wenig anzuhalten.

Dies war mit einiger Unordnung kaum in Ausführung gekommen, als auch der General mit seiner Nichte und dem Freiherrn vortrat und an Riedhöfer wie an Wendelin einige gute, ergreifende Worte richtete; bei der Bemerkung, dass er als Duca Dorsena die Hochzeit eines »Dukadenkindes« nicht unbeachtet und unbeehrt vorüberziehen lassen könne, ging ein Lächeln, mit Rührung untermischt, durch den Zug, und als der General hinzufügte, dass er nicht bloß mit Worten, sondern auch durch die Tat seine Teilnahme beweisen wolle, da wurde an allen Mienen eine große Spannung sichtbar.

Sofort machten jetzt die Diener rechtsum und zogen nach zwei Richtungen einen großen Vorhand auseinander; ein schön geschmücktes Zelt wurde sichtbar, reichlichst mit kostbaren Speise und Weinen ausgestattet.

Dieser Anblick brachte eine freudige und tiefe Bewegung hervor.

Riedhöfer trat jetzt mit einem vor Überraschung und Rührung kirschbraunen Gesicht aus dem Zug und reichte dem General sprachlos die Hand; diesem Beweise feinen und liebevollen Entgegenkommens konnte auch Wendelin nicht widerstehen, er folgte, blass und etwas gefasster als Riedhöfer, dem Beispiel des Letzteren und fand erst Worte des Dankes und der Freude, als sich seine Hand aus der des Generals in die sanfte, weiße Hand der Frau von Hohenfels senkte.

Einen fast lähmenden Eindruck aber machte der ganze Auftritt auf Else und den Bräutigam, die schweigend und betroffen eine Weile regungslos dreinsahen; als sich aber Frau von Hohenfels zu ihnen wendete, sie liebreich und ermunternd ansprach, ihnen die Hände reichte und ihnen nochmals mit zärtlichen Worten Glück wünschte, da – vermochten sie zwar mit keinem Worte zu erwidern, aber Elses Tränen sagten mehr denn Worte, als sie der Baronin, freudig schluchzend, an den Hals fiel.

Diese günstige Gelegenheit benützte denn auch Felix, der Freiherr, um seinen Frieden mit der arg beleidigten Else vollkommen zu schließen.

Schon während der letzten Tage hatte er als Vermittler zwischen den Bewohnern des Schlosses und Wendelin öfter Gelegenheit gehabt, das gute Kind ruhiger zu sehen und zu sprechen, sie auch förmlich um Vergebung zu bitten; jetzt reichte er der holden Braut noch einmal die Hand zur Versöhnung, und diese wurde ihm umso leichter, da ihm die Auszeichnung der Frau Baronin in den Augen der Else gar wohl zu Statten kam.

Der Hochzeitszug hatte sich endlich die kostbaren Erfrischungen lange genug munden lassen, als der Hochzeitslader seinen Kommandostab schwang, die Musikanten wieder zu spielen begannen und einige Pistolenschüsse den neuen Aufbruch meldeten.

Der General nebst seiner Begleitung durch Riedhöfer und Wendelin zur Hochzeit geladen, schloss sich dem Zuge wirklich an, ging mit nach der Kirche, wo die Trauung vollzogen wurde, und folgte dann auch als Gast in das Dorf, wo im Riedhofe die seltensten Anstalten zur Hochzeitstafel getroffen waren.

Hier freilich, vor dem Eingange in den Riedhof, sollte jetzt noch eine kleine Meinungsverschiedenheit ausgeglichen werden.

Dorsena mit Frau von Hohenfels, Felix und den zwei Dienern traten nämlich hier aus dem Zuge und folgten nicht sofort in das Haus.

Auf die Frage seiner Nichte, warum dies geschähe, sagte der General:

»Nie habe ich das Schöne und Ehrwürdige fester Volkssitte inniger gefühlt als heute. Lasst uns dem Volk auch zeigen, wie sehr wir seine Sitten achten.«

»Aber sind wir nicht gebeten worden, uns ohne Umstände als Gäste zu betrachten?« fragte die Baronin.

»Wohl«, erwiderte der General, »man wollte uns durch eine Ausnahme ehren – wir wollen ihnen aber durch Beobachten der allgemeinen Regel danken ... Zufällige Gäste wie wir, müssen vor dem Hochzeitshause warten, bis die Braut erscheint, um sie förmlich einzuladen.«

»Ei – und dort kommt sie schon!« rief Felix, nach der Türe zeigend.

»O, dass sie Vater und Mutter so sehen könnten!« sagte Dorsena, in Elses Anblick verloren.

Else war mit dem Hochzeitlader aus dem Hause getreten, und Letzterer begann zuerst:

Ihr Gäste, warum steht ihr da und wartet noch?
Dass ihr bei uns willkommen seid, ihr wisst es doch.
So folgt uns denn und tretet in das Haus,
Das Fest der Freude schließt hier niemand aus!

Jetzt verneigte sich auch Else, errötend ein wenig, und sagte mit lieblicher, fester Stimme:

Willkommen!
Tretet ein.
Gast bringt Segen –
Doch nicht Dankes wegen
Lad' ich ein;
Willkommen!

Ein Tusch fiel ein; Else verneigte sich wieder und ging in das Haus zurück, während der Hochzeitlader, den Gästen noch einmal mit dem Stabe winkend, folgte.

General Dorsena trat nun in das Haus, gefolgt von beiden Dienern; auch Frau von Hohenfels machte Miene zu folgen, als sie von Felix sanft zurückgehalten wurde.

»Eh' wir folgen«, sagte er, ihre Hand ergreifend, »noch ein Wort – ein Wort der Freude für mich, gnädige Frau!«

Frau von Hohenfels sah ihn bedeutsam an und erwiderte dann, milde lächelnd:

»Freund, ich sehe wohl – Ihr ungeduldiger Sinn hat noch viel zu überwinden, um sich selber zu beherrschen ... Ich will nicht sagen: Hoffen Sie! Ich sage nur: Streiten Sie noch eine Weile gegen Ihre Schwächen als um meinen raschen Besitz – noch manches könnte werden!«

Felix ließ sich auf ein Knie nieder und sage:

»Ich erlaube mir, diese Worte günstiger zu deuten, als sie klingen!«

Dann stand er auf, küsste der Baronin feurig die Hand und rief:

»Jetzt als Fröhliche zu den Glücklichen!«

Beide trafen die Hochzeitsgäste bereits in malerischer Ordnung um die Tische, und als sie sich kaum ebenfalls auf ihre Ehrenplätze niedergelassen hatten, erhob sich General Duca Dorsena und brache folgenden Trinkspruch aus:

»Freunde, liebe Nachbarn! Wie die Religion uns alle in Gott zusammenführt, so finden sich unsere Herzen heut in der Freude zusammen über das Glück dieses jungen Ehepaares. Lasst und Gottes gedenken, dessen Kinder wir alle sind, derjenigen lasst uns denken, die heute hier einen Ehrenplatz haben sollten, aber leider nicht mehr sind – und lasst uns den Tag preisen, der wieder zwei glückliche Leben vereinigt hat ... Ich betrachte die holde Braut und bedenke, was ich ihr wünschen soll ... Rein wie ihr Herz sei das Glück ihrer kommenden Tage! Hell wie ihre Stirn leuchte ihre Tugend den Töchtern des Landes voran! Lächelnd wie der Blick ihrer Freude möge bald das erste Kindlein an ihrem Herzen lächeln: Else, das Kind, Else, die Braut, Else, die glückliche Mutter kommender Tage lebe hoch – Gott erhalte ihren Mann und ihren wackeren Pflegevater – ihnen gilt dies erste volle Glas!«

Alles erhob sich, schwang die Gläser und rief ein erschütterndes »Hoch!«

Wendelin und Dorsena aber eilten auf einander zu und umarmten sich, während Else, die beim Beginn des Spruches ein Tuch in die weinenden Augen gedrückt hatte, sich erhob, um an das Herz der Frau von Hohenfels zu eilen; ein Tusch der Musik und Böllerschüsse feierten den hoch erfreulichen Augenblick des Ehrentages grundmäßig mit ...


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