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Ostpolitik, Erwerbung Westpreußens

Da trat nun aber eine Verwicklung der großen Angelegenheiten ein, welche seiner Politik eine Richtung auf neue Erwerbungen gab. Die große Frage, welche das östliche Europa schon bisher beschäftigt hatte und noch mehr beschäftigen sollte, über das Verhältnis von Rußland und der Türkei, erhob sich plötzlich in ihrer ganzen, den Orient umfassenden, auf den Okzident zurückwirkenden Tragweite. Solange die Osmanen mächtig und gefährlich waren, standen Rußland und Österreich gegen sie zusammen; seitdem aber die Pforte aufhörte, furchtbar zu sein, zeigte sich über die Bestimmung der türkischen Grenzgebiete ein schneidendes Mißverständnis zwischen den beiden Mächten. Um keinen Preis wollte der Hof zu Wien die Moldau und Wallachei, auf welche die Russen ihr Augenmerk richteten, in die Hände derselben geraten lassen.

Was hat diese Tendenz der Russen im Laufe der Zeiten nicht alles veranlaßt! Der große Krieg Napoleons gegen Rußland, die letzten Entscheidungen des Krimkrieges sind durch dieselbe herbeigeführt worden und ohne unmittelbare Beteiligung mußte Preußen von derselben allezeit nahe berührt werden. Meistenteils hat die Frage auch auf die polnischen Angelegenheiten eine sehr nahe Beziehung gehabt. Dann als lag sie darin, daß Stanislaus, der durch Rußland auf den Thron gekommen, von einer mächtigen Konföderation bekämpft wurde, die ihrerseits ihren Rückhalt an der Türkei hatte. Die Frage knüpfte mit andern zusammen, welche Europa beschäftigten, namentlich den Irrungen zwischen Frankreich und England, die wieder einen allgemeinen Krieg hervorzurufen drohten; Frankreich aber war mit Österreich verbündet und neigte zu den Türken; England näherte sich den Russen. Ursprünglich war es der Wunsch Friedrichs, sich aller Teilnahme an diesen weit aussehenden Irrungen zu enthalten; denn »wir sind Deutsche«, sagt er einmal einem österreichischen Bevollmächtigten; »was geht es uns an, wenn Engländer und Franzosen sich um Kanada schlagen oder Russen und Polen zugleich mit den Türken sich herumbalgen?« Auch Österreich wünschte damals eine Annäherung an Preußen, schon darum, weil es von den französischen Ministern besser behandelt wurde, sobald es mit Preußen gut stand; es wäre geneigt gewesen, ein System der Neutralität in Deutschland aufzurichten, wie Friedrich II. selbst. Der junge Kaiser Joseph, zugleich durch persönliche Bewunderung und Neugierde angetrieben, besuchte den König im Jahre 1769 in Neiße, der König den Kaiser im Jahre 1770 in Mährisch-Neustadt. Bei der Zusammenkunft in Neustadt, bei welcher auch Kaunitz erschien, kam es zwischen dem Staatskanzler, welcher die österreichische Politik repräsentierte, und dem König von Preußen zu gegenseitigen Erklärungen, welche beide Teile befriedigten. Man kam überein, eine Mediation Vermittlung. zwischen Russen und Türken zu versuchen. Die beiden Mächte hatten aber doch ganz verschiedene Stellungen zu dieser Frage. Auch Friedrich II. sah den Anwachs der russischen Macht sehr ungern; Österreich aber wurde von den orientalischen Ereignissen geradezu bedroht. Jeder Fortschritt der Russen erschien in Wien als eine Niederlage und Gefährdung, und wenn man den Forderungen nachfragte, welche Rußland stellte, so waren diese so beschaffen, daß das türkische Reich dabei schwerlich hätte bestehen können. Österreich aber erklärte, es wolle keine andern Nachbarn als die Türken und werde mit Waffengewalt einschreiten, um den gegenwärtigen Zustand aufrechtzuerhalten. Die damalige Annäherung von England an Rußland erschien insofern höchst gefährlich, als dadurch die Russen zur Herrschaft über das Schwarze Meer gelangt und die verbündete Seemacht von England und Rußland alle Küsten des Kontinents umspannt haben würde.

Die Bedingungen, welche Katharina II. dem König für ihren Frieden mit den Türken zugehen ließ, bewogen diesen, das Mediationsgeschäft vollkommen aufzugeben; er glaubte nichts weiter, als den unmittelbaren Ausbruch des Kampfes zwischen Rußland und Österreich voraussehen zu können. Ihn selbst berührte das nur insofern, als die Entzweiung zwischen den Russen und Österreichern auch auf Polen zurückwirkte. Stanislaus, den er aufrechtzuhalten verpflichtet war, wurde von Frankreich und den Konföderierten bedroht; Österreich war mehr auf der Seite der Konföderierten. Und schon hatte Österreich einen Teil des polnischen Gebietes, den es als einen alten Bestandteil von Ungarn betrachtete, in Besitz genommen: auch auf der russischen Seite aber hatte man sich überzeugt, daß der Zustand in Polen nicht haltbar sei, und daß die zugunsten der Dissidenten übernommenen Verpflichtungen von Stanislaus nicht würden erfüllt werden können. Schon im März 1770 war der Gedanke von russischer Seite geäußert worden, daß wie Österreich so auch jede der beiden andern Mächte einen ihr zunächst gelegenen Teil von Polen in Besitz nehmen solle. In dieser Absicht mag man den ersten Anfang einer Teilung von Polen sehen; der Grund wäre dann die Überzeugung gewesen, daß die von der Kaiserin von Rußland getroffenen Einrichtungen sich nicht würden behaupten lassen, wenn Polen im bisherigen Zustand bliebe. Friedrich II. war jedoch nicht darauf eingegangen. Schon hatte man auch von österreichischer Seite den Entwurf gemacht, den König durch das Anerbieten einer Akquisition auf Kosten von Polen für sich zu gewinnen; man dachte daran, ihm Kurland und Semgallen anzubieten, doch ist dies Anerbieten ihm eigentlich nicht gemacht worden; denn man sah voraus, daß er nicht darauf eingehen werde. Ohne sein Zutun kam er in eine Lage, in welcher er zwischen Rußland und Österreich zu entscheiden hatte; denn weder die eine noch die andre dieser Mächte hätte sich der Feindseligkeit von Preußen aussetzen dürfen. Und wenn Österreich Preußen nicht für sich hatte, so durfte es nicht wagen, den Türken mit Gewalt der Waffen zu Hilfe kommen. Überdies aber, was konnte die Türkei den Österreichern bieten? Sie hatten gewünscht, Belgrad und Widdin, d. h. Serbien zu erwerben. Bei der ersten Erwähnung eines solchen Vorhabens aber flehte der türkische Bevollmächtigte den Kaiser Joseph an, diese Saite nicht zu berühren; es könnte dem Großherrn den Kopf kosten, wenn er darauf einginge. Die Türken haben vielmehr auch ihrerseits damals den Wiener Hof auf eine Entschädigung in Polen verwiesen; sie haben eigentlich eine Teilung des polnischen Reiches in Vorschlag gebracht zunächst zwischen Österreich und der Pforte. Unmöglich aber war eine solche Verbindung. Österreich hätte zugleich Rußland und Preußen gegen sich gehabt, und nur wenig hatte die Hilfe der Türken in ihrem damaligen Zustand zu bedeuten. In dieser Verwicklung der Dinge nun ist es gewesen, daß Friedrich II. den Plan einer partiellen Teilung von Polen wirklich gefaßt hat. Er wollte sich weder mit Rußland noch mit Österreich entzweien und brachte in Erfahrung, daß Rußland diejenige seiner Bedingungen für die Herstellung des Friedens, die für Österreich die unangenehmste war, die Besitznahme der Moldau und Walachei, fallenlassen werde. Ihm schien es, als ob der Friede sich werde herstellen lassen, wenn nur sonst die drei Mächte zu einem Verständnis in der polnischen Angelegenheit gelangten. Unleugbar ist nun, daß die Besitznahme der Zips und einiger angrenzenden Starosteien durch die Österreicher, welche bereits eine Administration der inkorporierten Provinzen einsetzten, den nächsten Anlaß gab, die Idee einer Teilung ernstlich zu ergreifen. Katharina ließ vernehmen, was Österreich sich erlaube, müsse auch andern gestattet sein, und wer habe nicht ähnliche Prätensionen wie Osterreich? Friedrich II. schlug den Zuwachs an Gebiet, den Österreich durch jene Reunionen erlange, sehr hoch an und sah darin eine Alterierung des gegenseitigen Machtverhältnisses der beiden Monarchien; er nahm der Verstärkung von Österreich gegenüber auch eine Verstärkung von Preußen in Anspruch. Nicht Ausgleichung des Territorialbesitzes aber, sondern eine wesentliche Erweiterung seiner Macht faßte er dabei ins Auge. Der Augenblick schien ihm gekommen zu sein, um eine Erwerbung durchzuführen, welche ihm durch die unhaltbare geographische Position, in der er sich befand, höchst wünschenswert gemacht wurde. Er nahm die Idee auf, die schon im 14. Jahrhundert von den Gebietigern des Deutschen Ordens gefaßt worden war: das Ordensland, d. i. Ostpreußen, mit Schlesien durch die Erwerbung polnischer Landesstriche in unmittelbare Verbindung zu setzen, ein Vorhaben, dessen Ausführung in jener Epoche für das Vordringen des deutschen Elements gegen das reine Polentum von großer Wichtigkeit gewesen wäre. Es war damals vollkommen mißlungen; durch die Verbindung mit Litauen waren vielmehr die Polen Meister über den deutschen Orden geworden und hatten das deutsche Element zurückgedrängt. Ohne an jene alten Entwürfe anzuknüpfen, welche überhaupt in Vergessenheit begraben waren, sah Friedrich II. als Souverän von Preußen und nun auch von Schlesien in der Verbindung von beiden durch die Erwerbungen polnischer Landstriche eine Art von geographischer Notwendigkeit.

Schon als Kronprinz hatte er vom brandenburg-preußischen Standpunkte aus die Erwerbung von Westpreußen, welches schon früher allenthalben unter deutschem Einfluß gestanden, für höchst wünschenswert erklärt; es war einer von den Gedanken, die dem Prinzen Eugen, der davon Kunde bekam, als ein bedeutungsvolles Zeichen des aufstrebenden Geistes des jungen Fürsten erschien. Aber an diesen Plan hatte Friedrich II. seitdem doch nicht ernstlich gedacht. Er machte sich keine Hoffnung, denselben durchzuführen; er scheute sich, einen allgemeinen Sturm heraufzubeschwören. In dem politischen Testament von 1768 bezeichnet er diese Absicht als einen Gesichtspunkt für seine Nachfolger. Nun aber traten ganz im Gegenteil europäische Verwicklungen ein, die ihn einluden, seine Hand nach diesem Besitz auszustrecken.

Sehr präzis waren die Äußerungen der Kaiserin Katharina bei dem erwähnten Anlaß; warum wolle, sagte sie zu dem Prinzen Heinrich von Preußen, der ihr eben in Petersburg einen Besuch machte, der König von Preußen nicht auch seinerseits etwa sich das Gebiet von Ermeland aneignen? Bei dieser Eröffnung erwachte in dem Könige sein alter geographisch-politischer Gedanke; Ermeland, das die Kaiserin ihm anbot, war ihm zu unbedeutend, um sich darüber mit der öffentlichen Meinung zu entzweien, aber eine große Provinz einzunehmen, durch welche Ostpreußen mit Brandenburg und Schlesien in Verbindung gesetzt wurde, darauf ging er ein.

Von dynastischen Ansprüchen war hiebei nicht die Rede, und nicht sehr weit reichte das angeregte Argument. Der Akt war ein lediglich politischer; die Rechtfertigung desselben hat Friedrich nur immer darin gesucht, daß es das einzige Mittel gewesen sei, einen Krieg zwischen Rußland und Österreich, an dem er sich hätte beteiligen müssen, und der ein allgemeiner hätte werden können, zumal da zwischen Frankreich und England ein neues Zerwürfnis auszubrechen drohte, zu vermeiden. Für sich selbst nahm er jene Gebiete in Anspruch, welche der Deutsche Orden und das Deutsche Reich an die Polen verloren hatten; ein Ereignis, dessen Fortgang entgegengetreten zu sein das vornehmste Verdienst der alten Kurfürsten aus dem Stamme der Burggrafen ausmachte. König Friedrich war jetzt imstande, einer entgegengesetzten Strömung Bahn zu machen; er wollte zugleich Grenzen gewinnen, die er möglicherweise auch gegen Rußland in Verteidigungsstand setzen könne, und der Gefahr vorbeugen, von einem polnischen Reiche in seiner jetzigen großen Ausdehnung, das doch künftig einmal an einen tatkräftigen König gelangen konnte, überwältigt zu werden.

Ein polnisches Reich von mäßigem Umfange hätte er geduldet. Wenn ihm aber die beiden großen Mächte das Gebiet überwiesen, welches er als unentbehrlich zu einer Konsolidation seines Landes betrachtete, so hatte er nichts dagegen, daß sich Rußland ein fünffach, Österreich ein dreifach größeres Territorium ausbedang. Ihm kam alles darauf an, seinen Staat geographisch zu befestigen und in sich selbst zu konsolidieren. Er wußte wohl, daß ihm auch das schwere Ungelegenheit und Mühe zuziehen werde, aber er hatte den Grundsatz: daß der Mensch zur Arbeit geboren sei und es keine bessere geben könne, als eine solche, die zum Nutzen des Vaterlandes gereiche.

Für den preußischen Staat war die Erwerbung von Westpreußen, die im September 1772 eine vollendete Tatsache wurde, eine Bedingung seines künftigen politischen Bestehens.


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