Ferdinand Raimund
Der Verschwender
Ferdinand Raimund

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Zweiter Aufzug

Drei Jahre später

Erster Auftritt

Morgen. Im Hintergrunde die Hauptfronte von Flottwells neuerbautem Schlosse. An dem Fuße der breiten Stufen, welche zu dem palastartigen Portale führen, sitzt ein Bettler. Abgetragne Kleider, doch nicht zerlumpt. Wanderstab. Sein Haar ist grau, und tiefer Gram malt sich in seinen Zügen. Die Morgensonne beleuchtet ihn. Seitwärts ist ein Gittertor, durch welches man in den Schloßgarten sieht. In der Ferne erblickt man auf einem Hügel das früher bewohnte Schloß Flottwells. Die Fenster des neuen Schlosses sind geöffnet, in dem großen Saale brennen noch Lichter.

Flottwell und einige Gäste lehnen am Fenster.

Chor (im Tafelsaale).
Laßt brausen im Becher den perlenden Wein!
Wer schlafen kann, ist ein erbärmlicher Wicht.
Und guckt auch der Morgen zum Fenster herein,
Ein rüstiger Zecher lacht ihm ins Gesicht.
Ha! ha! ha! ha!
(Schallendes Gelächter.)

Der Bettler (zugleich mit dem Chor).
Oh, hört des armen Mannes Bitte
Und reicht ihm einen Bissen Brot!
Der Reichtum thront in eurer Mitte,
Mich drückt des Mangels bittre Not.
(Das Gelächter beantwortet gleichsam sein Lied.)

Chor.
Die düsteren Sorgen werft all über Bord!
Ein Tor, der die Freude nicht mächtig erfaßt.
Das Leben hält ja nur dem Fröhlichen Wort,
Wer niemals genoß, hat sich selber gehaßt.
Ha! ha! ha! ha!

Bettler.
Oh, laßt mich nicht vergebens klagen,
Seid nicht zu stolz auf eure Pracht!
Ich sprach wie ihr in goldnen Tagen,
Drum straft mich jetzt des Kummers Nacht.
(Er senkt sein Haupt.)

(Valentin und Rosa kommen aus dem Garten.)

Valentin. Ich hab dir schon hundertmal gesagt, daß du mit dem Kammerdiener nicht so grob sein sollst. Du weißt, was er für ein boshafter Mensch ist, am End verschwärzt er uns beim Herrn.

Rosa. Still sei und red nicht, wenn du nichts weißt. Ich muß grob sein, weil ich eine tugendhafte Person bin.

Valentin. Ah, das ist ja keine Konsequenz. Da müßten ja die Sesseltrager die tugendhaftesten Menschen auf der Welt sein.

Rosa. Bist du denn gar so einfältig? Merkst du denn noch nicht, daß mir der Kammerdiener überall nachschleicht, daß ich nicht einmal in der Kuchel a Ruh hab.

Valentin. Ja was will er denn von dir?

Rosa. Er will mich zu seiner Kammerdienerin machen.

Valentin. In der Kuchel drauß? Er soll in seiner Kammer bleiben, wenn er ein ordentlicher Kammerdiener ist. Du gibst ihm doch kein Gehör?

Rosa. Du willst ja nicht, daß ich ihm meine Meinung sagen soll.

Valentin. Aber wohl! Das hab ich ja nicht gewußt. Wirf ihm deine Tugend nur an Kopf! Es schadt ihm nicht. Übrigens ist das sehr schön von dir, daß du mir das sagst.

Rosa. Nun warum soll ichs denn nicht sagen? Ich mag ihn ja nicht. Wenn er mir gfallet, so saget ich nichts.

Valentin. Bravo! Das sind tugendhafte Grundsätze. Aber der duckmauserische Kammerdiener! Der geht mir gar nicht aus den Kopf.

Rosa. Es ist nicht mehr zum Aushalten mit ihm. Alles will er dirigieren. Um die dümmsten Sachen bekümmert er sich.

Valentin. Jetzt lauft er gar dir nach.

Rosa. Überall muß er dabeisein.

Valentin. Nu neulich haben s' für unsern Koch Stockfische gebracht, da war er auch dabei. Wenn nur mit unsern gnädgen Herrn etwas zu reden wär, aber der ist seit einiger Zeit verstimmt als wie ein alts Klavier.

Rosa. Weil nichts aus seiner Heirat wird. Der Herr Präsident von Klugheim gibt ihm seine Tochter nicht. Er kann ihn gar nicht leiden.

Valentin. Wie soll er ihn denn nicht leiden können? Er kommt ja heut zur Tafel.

Rosa. Ja wenn sich die Leute alle leiden könnten, die miteinander an einer Tafel sitzen, da wär die ganze Welt gut Freund. Was außer dem Herrn Präsidenten da in unser Haus hergeht, das heißt man Tafelfreunde. Das sind nur Freunde von der Tafel, aber nicht von dem, der Tafel gibt.

Valentin. Und der Herr Präsident?

Rosa. Bei dem ists ganz ein andrer Fall. Das ist ein Ehrenmann. Der halt ein bessere Ordnung in sein Haus als unser Herr. Ich bin sehr gut bekannt dort, denn das Stubenmädel ist meine beste Freundin.

Valentin. Ich auch. Der Kutscher schätzt mich ungemein. Und der führt das ganze Haus.

Rosa. Ich hör fast jedes Wort. Der Herr Präsident mag unsern Herrn nur darum nicht, weil er so großen Aufwand macht, er fürcht sich halt, er geht zugrunde Der Baron Flitterstein ist ganz ein anderer Mann und fast so reich wie unser Herr. Den muß das gnädge Fräulein heiraten.

Valentin. Das darf nicht sein. Da muß ich mit dem Kutscher drüber reden. Einen bessern kann sie gar nicht kriegen als unsern Herrn. Er ist so wohltätig, so gut.

Rosa. Zu gut ist auch ein Fehler. Ich bin viel zu gut mit dir. Und kurz und gut, der Herr Präsident gibts halt nicht zu.

Valentin. Sie ist ja wahnsinnig in ihm verliebt. Sie laßt ihn nicht.

Rosa. Sie muß. Da hats schon viele Auftritt geben. Sie kommen immer heimlich zusammen, der Herr Präsident darfs gar nicht wissen. Daß du nur niemand etwas sagst.

Valentin. Ich werd doch nicht meinen Herrn verraten. Aber warum ladet er denn den Baron Flitterstein heut ein? Er steht ja auf der Liste.

Rosa. Weil er muß. Der Herr Präsident wär ja nicht gekommen ohne ihn. Drum war schon gestern große Tafel, weil heut der Fräulein Amalie ihr Geburtstag ist. Aber gestern sind sie nicht gekommen. Da war der gnädge Herr desperat, hat einen langmächtigen Brief geschrieben an den Herrn Präsidenten. Der Kammerdiener ist damit in die Stadt geritten, ist ganz erhitzt nach Haus gekommen und hat die Nachricht gebracht, daß sie heut erscheinen werden; aber der Baron kommt mit.

Valentin. Das ist doch erschrecklich, was sie mit dem Herrn treiben. Wann ich nur wüßt, was da zu tun ist. Soll sich denn diese Sach gar nicht ausputzen lassen?

Rosa. Putz du deine Kleider und deine Stiefel aus und kümmere dich nicht um Sachen, die sich nicht für dich schicken.

Valentin. Ich fürcht nur, wenn ihm s' der Baron wegheirat, er tut sich ein Leid an. Am End wirds noch das beste sein, daß ich selber mit dem Herrn Präsidenten vernünftig darüber red.

Rosa. Du? Nu das würd ein schöner Diskurs werden. Untersteh dich, das wär ja eine Beleidigung für einen solchen Herrn.

Valentin. Ja es ist nur, daß man sich hernach keine Vorwürf zu machen hat. Wenn heut oder morgen ein solches Unglück passiert.

Rosa. Nu geh nur, du einfältiger Mensch!

Valentin. Ja man kann nicht vorsichtig genug sein, weil das eine große Verantwortung wär.

(Beide ab.)

Zweiter Auftritt

Flottwell und sein Haushofmeister aus dem Schloß.

Flottwell. Wie stehts mit uns, mein alter Haushofmeister? Ist alles so, wie ichs befohlen habe? Ich will an Glanz durchaus nicht übertroffen werden, und für Amaliens Freude ist kein Opfer mir zu groß.

Haushofmeister. Jawohl ein Opfer, gnädger Herr. Da sich das Gastmahl heute glänzender noch wiederholt, so wird die Rechnung ziemlich stark ausfallen.

Flottwell. Drum ists ein Glück, daß Er sie nicht zu zahlen braucht. Der reiche Flottwell wird doch keinen Heller schulden? Wie ist es mit dem Schmuck, den ich bestellt, hat ihn der Juwelier noch nicht gebracht?

Haushofmeister. Noch weiß ich nichts.

Flottwell (auffahrend). Den Augenblick schickt nach der Stadt. Es ist die höchste Zeit, er sollte schon die vorge Woche fertig sein.

Haushofmeister. Hätten Euer Gnaden ihn bei dem braven Mann bestellt, den ich Euer Gnaden empfohlen habe, so würden Sie ihn schon besitzen. Er würde schön und billig ausgefallen sein. Allein der Kammerdiener hat –

Flottwell. Mir einen bessern anempfohlen. Ists nicht so?

Haushofmeister. Das glaub ich kaum.

Flottwell. Die Meinung steht Ihm frei. Doch lieb ichs nicht, wenn meine Diener mir als Lehrer dienen wollen. Dies für die Zukunft. Nun den Juwelier. (Wendet sich von ihm.)

Haushofmeister (für sich, gekränkt). O Treue, was bist du für ein armer Hund, daß Undank dich mit Füßen treten darf. (Ab.)

Dritter Auftritt

Flottwell. Der Bettler, welcher immer mit unbedecktem Haupt erscheint.

Flottwell. Ein altes Möbel aus des Vaters Nachlaß. Der Mann ist immer unzufrieden mit allem, was ich tue. Die alten Leute sind doch gar zu wunderlich. Ich bin so schlecht gelaunt. Heut wird ein heißer Tag auf Flottwells Schloß, ein groß entscheidender. Ich kann Amalie nicht verlieren, sie nicht in eines andern Arm erblicken, ich hab es ihr geschworen; und gelingt es mir nicht, ihren Vater zu gewinnen, läßt er nicht ab, sein Kind dem Starrsinn aufzuopfern, so müßte ich zu einem bösen Mittel greifen. Schon gestern hab ich einen Brief erwartet. Gott! wenn sie wanken könnte. (Erblickt den Bettler, der nachdenkend mit seinem Stabe in den Sand schreibt.) Was macht der Bettler dort! Ich hab ihn heut vom Fenster schon bemerkt, und sein Gesang hat mich ganz sonderbar ergriffen. Mir wars, als hätt ich ihn schon irgendwo gesehn und als wollt er meiner Lust ein Grablied singen. Mich wunderts, daß ihn meine Dienerschaft hier sitzen läßt. Was schreibst du in den Sand mit deinem Bettelstab?

Bettler. Die Summen Goldes, die ich einst besaß.

Flottwell. So warst du reich?

Bettler (seufzend). Ich wars.

Flottwell. Daß du Verlust betrauerst, zeigt die Trän in deinem Auge.

Bettler. Was ich betraure, spiegelt sich in meiner Träne! – Ein Palast.

Flottwell (betroffen). Oho! – Was warst du, und wie heißest du?

Bettler. Es ist die letzte Aufgabe meines Lebens, beides zu vergessen. Das einzge Mittel, das mich vor Verzweiflung retten kann.

Flottwell. Sonderbar. (Wirft ihm ein Goldstück in den Hut.) Hier nimm dies Goldstück! (Will nach dem Garten gehen.)

Bettler (springt auf und stürzt zu seinen Füßen, ohne ihn je zu berühren). O gnädger Herr, schenken Sie mir mehr, schenken Sie mir eine Summe, welche Ihrer weltberühmten Großmut angemessen ist.

Flottwell. Bist du beweibt, hast du so viele Kinder?

Bettler. Ich bin allein, nur Gram begleitet mich.

Flottwell (wirft ihm noch ein Goldstück hin). So sättge dich und jag ihn fort.

Bettler. Er läßt sich nicht so leicht verjagen als das Glück.

Flottwell. Er ist nur Wirkung, heb die Ursach auf.

Bettler. Vermögen Sie die Ursach Ihrer Lieb zu tilgen?

Flottwell. Wer sagt dir, daß ich liebe?

Bettler. Wer denket groß und liebet nicht?

Flottwell. Willst du mir schmeicheln, Bettler? Schäme dich!

Bettler. Soll Schmeichelei denn nur ein Vorrecht reicher Menschen sein? Sie stammt von Bettlern ab, weil sie von Geistesarmut zeigt.

Flottwell. Ich frag dich nicht, um deines Mißmuts Spott zu hören. (Beiseite.) Mir ist so bang in dieses Mannes Nähe. Du kannst mit dem Geschenk zufrieden sein. (Will gehn.)

Bettler (flehend). Nein, gnädger Herr! ich bin es nicht, ich darfs nicht sein. Erbarmen Sie sich meiner Not. Nicht Habgier ists. Nicht Bettlerlist. Beschenken Sie mich reich, ich werde dankbar sein!

Flottwell. So nenn mir deinen frühern Stand.

Bettler. Ich nenn ihn nicht. Der Armut Rost hat meinen Schild zernagt, wer frägt darnach, was ihn einst für ein Sinnbild zierte. Ich weiß es, ich begehre viel, und meine Forderung kann mich in Verdacht des Wahnsinns bringen. Doch ist er fern von meinem Geist, und werd ich noch so reich bedacht, so hab ich einst viel größere Summen selbst gegeben.

Flottwell. Oh, schäm dich, so um Geld zu jammern, es ist das Niedrigste, was wir beweinen können. Du hast genug für heut, ein andermal komm wieder.

Bettler. Ich bin ein Bettler und gehorche. (Verbeugt sich und geht langsam fort.)

(Ein Diener eilig mit einem Brief.)

Diener. Gnädger Herr! ein Brief. (Übergibt ihn und geht wieder fort.)

Flottwell (sieht die Aufschrift). Von Amalie, von meiner himmlischen Amalie. (Liest.) »Mein teurer Julius! Verzeih, daß ich Dir gestern nicht geschrieben habe, allein der große Kampf in meinem Herzen mußte erst entschieden sein. Doch nun gelob ich Dir, Dich niemals zu verlassen. Ich willge nicht in meines Vaters strenge Forderung, und kann kein Flehen sein sonst so edles Herz erweichen, so mag geschehen, was wir beschlossen haben.« –Amalie mein! oh, könnt ich doch die Welt umarmen! He du! (Der Diener kommt.) Ruf mir den Bettler dort zurück, der eben sich in jene Laube setzt. (Zeigt in die Kulisse.)

Diener. Ich sehe keinen Bettler, gnädger Herr!

Flottwell. Bist du denn blind! Geh fort! (Bedienter ab. Ruft.) He Alter, komm!

Bettler. Was befehlen Sie, mein gnädiger Herr!

Flottwell. Ich habe eine frohe Botschaft hier erhalten, und Flottwell kann sich nicht allein erfreun. Verzeih, ich habe dich zu karg behandelt. Nimm diesen Beutel hier, auch diesen noch. (Wirft sie ihm in den Hut.) Nimm alles, was ich bei mir habe. Was ich verschenken kann, hat eines Sandkorns Wert gen den unendlichen Gewinn, der mir durch diesen Brief geworden ist. (Nach dem Garten ab.)

Bettler (allein). O Mitleid in des Menschen Brust! Wie bist du oft so kränkelnder Natur, als hätte dich ein weinend Kind gezeugt. Begeistrung ists, die alles Edle schnell gebiert, sie hat mit des Verschwenders Gold des Bettlers Hut gefüllt. (Geht ab.)


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