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Siebentes Kapitel

»Den Ersten nennen wir bei der Fahne den Weckauf, der gehe auf Sein Wohl bergunter, Meister Müller. Den Zweiten nennen wir den Nebeldrücker; diesen bringe ich Ihr zu, Frau Meisterin, und verhoffe, daß Ihr kein Nebel in diesem Jahre den Dampf antue. Den Dritten nennen wir den Lerchentriller, und den trinke ich zum Schluß auf dein Wohl, Musketier Bodenhagen. Von den Lerchen ist freilich gegenwärtig noch nicht viel zu sehen und zu hören in der Luft – es sieht mir vielmehr nach einem ordentlichen Schneefall aus. Aber einerlei, ein Soldat marschiert mit gleichem Mut durch jedes Wetter; also habt allesamt Dank für eure kompläsante Aufnahme und fürs gute Quartier; und Ihm, Meister Müller, wünsche ich noch ganz apart beiseite, daß Er recht behalte und daß das, was Er da eben so grausamlich vollführet hat, Ihn und Sein Hauswesen vor allen Halunken von Geistern und Gespenstern schütze und nicht bloß vor denen, die in Seinem Mühlwasser ihr heimtückisch Wesen treiben.«

Also sprach am anderen Morgen gegen neun Uhr der Korporal Jochen Brand, und der Meister Christian entgegnete ihm:

»Seinen Wunsch will ich annehmen und gelten lassen, obgleich Er ihn wohl ein wenig feiner hätte vorbringen können. Sonst aber hat Er mir ganz wohl gefallen, Korporal, und es freut mich, daß mein Junge unter Seinen Stock unterm Volk geraten ist. Das Quartier war gern gegeben, und wenn Ihn Sein Weg schon nochmals hier vorbeiführen wird, so erinnere Er sich, daß ein Teller für Ihn ohne Maulverziehen mit Satisfaktion auf den Tisch gestellt wird.«

»Das ist ein Wort, Herr Vater, und ich bin der Mann zu dem Teller, Meister Müller. Aber nun adjes, Frau Mutter und Kamerad Albrecht! Bleibt gesund und munter. Beiläufig, es ist doch ein Gaudium, so frank und frei auf jeder Landstraße marschieren zu dürfen, ohne vor dem Colignon und seinen Leuten Bange zu haben. Da sieht man, wozu eine französische Kanonenkugel am richtigen Fleck nutze ist. Bonjour!«

Sie standen während dieser Reden alle auf dem Mühlenstege, der über die Innerste auf den Feld- und Wiesenweg nach Groß-Förste führte, und der Meister Christian Bodenhagen hielt im Arm die dickbäuchige Branntweinflasche, aus welcher er dem muntern Gast und braven Invaliden Seiner Majestät in Preußen zum fröhlichen Abschied den Weckauf, den Nebeldrücker und den Lerchentriller eingeschenkt hatte. Aber auf diesem nämlichen Stege hatte er, der Alte, im Augenblick vorher ein anderes nach seinem Vornehmen ins Werk gerichtet, was auch des Erzählens wert ist.

Wenn das Wasser, die Innerste, geschrieen hat, so will sie ihren Willen haben, und wehe! wenn sie den nicht kriegt. Ein lebendiges Landtier fordert sie für ihren gierigen Hunger, und am liebsten ist ihr ein schwarzes Huhn; weshalb, das weiß man nicht. Bekommt sie ihren Willen nicht in Zeit von vierundzwanzig Stunden, wird ihr das Huhn nicht mit gebundenen Füßen und Flügeln in den Rachen geworfen, so hilft sie sich selber. Sie versteht es, sich selber zu helfen, und holt sich einen Menschen – ohne Gnade und Gegenwehr einen Menschen! –, und zwar noch in dem nämlichen Jahre. Manchmal wartet sie heimtückisch boshaft bis in die letzte Stunde; aber sie erhascht ihr Opfer, und sollte es auch erst in der letzten Minute des letzten Dezembertages geschehen.

Diesmal jedenfalls hatte sie ihren Willen gehabt; der alte Müller an der Innerste, Meister Christian Bodenhagen, hatte die ganze Nacht hindurch ein zu seinem Unglück schwarzgefiedert Huhn, das ruhig und ahnungslos auf seinem Balken schlief, nicht aus seinen Gedanken und Träumen gelassen, und nun – hatte es die Innerste bereits wie der Colignon den Rekruten, auf welchen er's abgesehen hatte. Die Zuschauer hatten mit geheimem Schauder das elende Tier in der Mühlrinne zappeln gesehen und kreischen gehört – die Innerste hatte ihre Beute verschlungen, und selbst der Korporal Brand hatte es nicht gewagt, den Meister Christian auszulachen. Der Korporal hatte sogar dem jungen Müller leise den Ellenbogen in die Seite gestoßen und ihm hinter dem Rücken der Hand zugeflüstert:

»Du! Der König Fritze würde zwar über dieses auf französisch gelacht haben, doch mir ist's augenblicklich gar nicht lächerlich mehr. Nun ist mir doch wahrhaftig selber, als hätte ich gestern abend ein Geschrei gehört! Alle Wetter, Musketier Bodenhagen, gib mir acht, daß du für dein Teil auch immer ein schwarz Huhn zur Hand hast, wenn du hier allein Herr und Meister sein wirst. Selbst wenn mir jetzo die Sonne auf den Weg scheinen täte, was sie nicht tut, so würde sie mir diese Narretei nicht aus dem Kopfe scheinen. Was ich gestern abend gesagt habe, behält eben doch seinen Sinn. Merk dir's, Kamerad!«

Darauf hatte der junge Müller seinerseits dem Korporal den Ellenbogen in die Seite gesetzt, aber nur stumm dazu geseufzt. Der einarmige Invalide verschwand auf dem Wege nach Groß-Förste im Morgennebel, und der Meister Christian sagte:

»Jaja, Albrecht; wärst du mir so wie der nach Hause gekommen, so hätt's mir auch besser gefallen. Das ist wenigstens ein Kerl und kein Windsack. Marsch an die Arbeit! Was steht Er da und gafft, Junge?«

Die Mutter Bodenhagen trug die Flasche und das Glas in das Haus zurück, und allesamt gingen sie, ein jeglicher an sein Geschäfte. Es gab viele Arbeit in der nächsten Zeit, und das war für alle gut, besonders aber für den Haussohn, denn dem flog's recht häufig um Stirn und Nase gleich einer lästigen Fliege, die weder zu fangen noch zu verscheuchen war.

Es ist gar nicht zu sagen, wie viele Leute sich auf die Hochzeit des jungen Müllers und der Jungfer von Papenbergs Hofe freuten und wie viele sich zu derselbigen geladen und ungeladen einfanden. Zu angesetzter Zeit, als die Welt wieder grün geworden war, fand sie statt, und es wurde eine große Lustbarkeit. Unter den ungeladenen Gästen fanden sich gottlob keine von denen, die Lieschen Papenbergs gute Freundinnen so gern aus den Feldlagern in Westfalen, Schlesien oder Böhmen hergebeten hätten. Die Sonne schien, die Geige schrillte, und der Brummbaß rumpelte dem Siebenjährigen Kriege und den Franzosen im Lande zum Trotze, und was das allerbeste war: die Innerste hat nicht die Pläsierlichkeit gestört, das Wasser hat nicht in die Lust hineingeschrieen. Das war auch für sie, die Innerste, das beste; denn weder ein schwarz noch ein bunt Huhn wäre an dem Tage für sie auf dem Hofe zu finden gewesen. Groß und klein, jung und alt, waren sie in die Suppentöpfe gewandert – nicht ein einziges entging dem Messer der Hausmutter.

Und die Männer sagten alle, eine so saubere Braut wie das Lieschen sei im ganzen Fürstentum Hildesheim nicht zum zweiten Male zu finden.

»Ich suche auch gar nicht danach«, sprach der junge Meister, und der alte Meister rieb sich die Hände und murmelte:

»Nun mag es doch noch gehen; in sichere Zucht ist er anjetzo mit Gottes Hülfe gebracht. Ich habe das Meinige an ihm getan, und wann er jetzo dem Stabe Sanft parieren wird, so tue ich vor Johanni noch ein Letztes und gebe das Regimente ganz und gar ab. Der Alten wird's auch so recht sein.«

So reden die Menschen von dem, was sie morgen – übermorgen – vor Johanni tun wollen! Der Hochzeitsjubel ist verstummt in der Mühle; den Brummbaß samt seinem Musikanten hat man am Morgen in zärtlicher Umarmung, und was den Musikanten anging, im tiefen Schlaf im Graben an der Straße nach Höhen-Hameln, und den alten Müller, den wackern Meister Christian Bodenhagen, in seinem Bette tot gefunden. Der Medikus aus Sarstedt hat ihn, den Meister, nachträglich zur Ader gelassen, jedoch ganz und gar vergeblich.

»Es ist eben, auch nach der Errichtung der Universität Göttingen, immer noch ein eigen Ding mit diesen Schlagflüssen, Mutter Bodenhagen«, sprach der Doktor zu der in Tränen und Jammer aufgelösten alten Frau. »Zu schnell kann unsereiner da nie kommen. Halte Sie sich an den Trost, daß im vorliegenden Casu die ganze medizinische Fakultät der Georgia Augusta nicht mehr ausgerichtet hätte als wie ich.«


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