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Drittes Kapitel

Es war der gutmütige und handfeste Mühlknappe Barthold Dörries aus Dielmissen, der dem zornigen Hausvater endlich den Stab Wehe entrang und den Haussohn vor dem Schicksal errettete, zu fein gemahlen zu werden. Auch das übrige Gesinde sprang endlich zu; dann kam die Mutter und am andern Morgen die ganze umliegende Landschaft zu Worte. Letztere behielt es längere Wochen hindurch über die Vorgänge in der Sarstedter Mühle.

Es gibt nicht wenige Leute, die, wenigstens zu einer gewissen Lebenszeit, einen schlimmen Ruf für besser als gar keinen halten; allein es gehört Charakter dazu, diese Ansicht bis zum Ende festzuhalten, und solche Seelenstärke besitzen freilich nicht alle. Albrecht Bodenhagen besaß sie sicherlich nicht.

Er hatte genug des Ruhmes oder Rufes und gab, wie man das nennt, klein bei; und auch darüber machte die Umgebung dann natürlich wieder ihre Glossen.

Selten sind zu irgendeiner Zelt so viele Kornsäcke nach der Mühle an der Innerste getragen und gefahren worden als in jenen Tagen. Ein jeglicher wollte den verlorenen Sohn sehen, ein jeglicher gern ein Wort mit ihm reden, und manch einer kam zu seinem Zweck zum großen Verdruß des Heimgekehrten, dem beides ein Greuel war, das Vermahnen sowohl als das Beglückwünschen, und der jedem Gevatter und jeder Gevatterin unter dem wachsamen Auge des Herrn Vaters stillzuhalten hatte. So blühte mit dem Geschwätz das Geschäft, und die Räder drehten sich, und der Laufer drehte sich auch, und die Innerste quirlte lautlos ihr schmutzig Wasser vorbei und nach Sarstedt, um jenseits der Stadt andere Mühlen zu treiben und auf anderer Leute Angelegenheiten tückisch Achtung zu geben. Das geht uns aber nichts an.

An einem Donnerstage war Albrecht nach Hause gekommen, und am Sonnabend kam nach alter fester Sitte der Balbierer von Sarstedt, um dem Meister Christian den Wochenbart abzunehmen. Stumm und mürrisch ließ sich der Alte an der Nase ziehen, drehen und wenden und das Messer gewähren; aber nachdem das glattmachende Werk an ihm vollendet war und er den Schaum abgetrocknet hatte, winkte er dem Sohn auf den Stuhl, und der kriegerische Schnauzbart desselben fiel dem Messer geradeso zum Opfer wie die Wochenstoppeln des Vaters. Der tapfere Kriegsmann ging mit einem ganz anderen Gesicht aus der Prozedur hervor, und die Hausgenossenschaft wie die Umgegend hatten von neuem Grund, sich zu verwundern.

Es war doch etwas an dem Wort des Alten vom Hasen im Marderpelze! Eine gar gutmütige und augenblicklich gar melancholische Menschenvisage kam hinter dem grimmen Bart zum Vorschein. Es fehlte weiter nichts als eine weiße gestrickte Zipfelkappe zu einer weißen Müllerjacke, und als am Sonntagmorgen die Mutter mit Freudentränen im Auge dem Söhnchen beides brachte und er mit der Kappe über den Ohren zur morgendlichen Biersuppe schlich, da mangelte nichts an der Verwandlung zum Besseren, und die Böswilligsten und Mißtrauischsten mußten zugestehen, daß sie doch wohl an dem »wilden« Bodenhagen sich geirrt haben könnten. Nun fehlte bald wenig, daß der verlorene Sohn durch das halbe Fürstentum Kalenberg und das ganze Fürstentum Hildesheim als ein Muster aufgestellt worden wäre. Entrüstete Väter und betrübte Mütter waren jetzo um so geneigter, Beifall zu nicken, als sie vordem den braven Albrecht als schlechtes Exemplum für ihre eigenen wilden Sprößlinge verwünscht hatten. Auch die Jungfern in der Stadt und auf dem Lande guckten auf und hin, und manch ein Mägdelein machte sich ein Geschäft in der Mühle, das ein anderer ebensogut oder besser hätte ausrichten können.

Am 1. August fiel die Schlacht bei Minden und am 12. desselbigen Monats die bei Kunersdorf vor, in welcher es dem Alten Fritz so herzlich schlecht erging. Nach der letzteren Bataille verschwand eines Tages der Knappe Dörries aus der Mühle; er war nach Pattensen auf den Jahrmarkt gezogen, sich einen vergnügten Tag zu machen und eine neue Mütze zu kaufen.

Beides soll er zustande gebracht haben dem Gerüchte nach; aber auf den vergnügten Tag folgte auch eine kreuzlustige Nacht; der gute Barthold ist nicht nach der Mühle zurückgekommen; der Oberst Colignon hatte auch ihn, und schon am 21. November hat ihn bei Maxen ein Stück von einer Haubitzgranate des Feldmarschalls Daun zu den übrigen auf den Boden gelegt. Es war schade um ihn, und der König Friedrich ist nachher auch sehr ergrimmt darob auf den Herrn General von Fink gewesen, hat ihn vor ein Kriegsgericht gestellt und auf die Festung gesetzt, aber den guten Barthold nicht wieder lebendig dadurch gemacht.

Meister Christian Bodenhagen in der Mühle an der Innerste nahm keinen andern an seiner Statt an. Er hatte ja seinen Sohn zurück und konnte ihm aufladen, was ihm beliebte; und Vater, Mutter und Kind waren und blieben allein und feierten Weihnachten im engsten Familienkreise. Man hat diesmal aber nicht gesehen, daß sie einen Tannenbaum mit goldenen Äpfeln und Nüssen behängten und mit Lichtern besteckten. Es wäre auch schade um den Baum gewesen, denn in diesem Jahre schwamm der ganze Torgauer Wald die Elbe hinunter nach Hamburg und durch des Obersten Colignons Werbetaschen so nach und nach in die Taschen von sechzigtausend neuen Rekruten. Und was an gutem Holz in den Lagern von Dresden, Freiberg und Dippoldiswalde in den Brandhütten der Österreicher und Preußen in Rauch aufging während des harten Winters, ist von der gütigen Mutter Natur auch erst lange Zeit nachher ersetzt worden.

Um Weihnachten drehte sich das Rad noch; aber dann kam der Frost, die Innerste wurde zu Eis, und die Mühle stand still. Da hat man Zeit gehabt, allerlei miteinander zu überlegen, und über allerhand Vergnügliches und Zärtliches zu einem festen Beschluß zu kommen. Bald hat man es weit und breit gewußt, daß der Vater Bodenhagen mit großem Nachdruck von dem Sohne verlangt habe, er solle ihm nun auch eine junge Frau ins Haus bringen, und zwar schon zu Ostern des kommenden Jahres. Rundum haben die Jungfern aufgehorcht, aber auch nicht wenig die Näschen gerümpfet, als sie zu dem übrigen vernahmen, daß sie keine Stimme bei dem Handel haben sollten, daß derselbige schon so gut wie abgemacht und durch Handschlag zwischen den Eltern besiegelt worden sei, daß der Albrecht ja gesagt habe, ohne sich lange zu zieren und zu besinnen, und daß die Braut zu Groß-Förste sitze und wirklich niemand anderes sei als Lieschen Papenberg, des Brinksitzers Papenberg einzige Tochter!

Das hatten sie nicht erwartet, die Jungfern in der Stadt Sarstedt und sonst im Fürstentum Hildesheim. Nun hatten sie sich zum zweiten Male in dem Albrecht Bodenhagen geirrt, aber vorauszusehen war's doch gewesen; denn ein Mensch, der so fortlief in die Welt und so wiederkam und so weichmäulig und so weiß, so hammelweiß vom Mehlstaub über die Gartenhecke greinte, dem konnte man alles zutrauen, selbst den schlechtesten Geschmack im Lande, weit über den Deister hinaus und bis tief hinein in die Lüneburger Heide.

So dachten und zischelten die Jungfern hinter den Türen, auf den Dorfgassen, am Brunnen und hinter den Spinnrädern; aber die Eltern dachten anders und nannten den Meister Christian einen Hauptkerl, der es verstehe, einen Windhund an die Leine zu nehmen, und auf die Haus- und Staatsräson fast ebensogut ausgelernt habe wie der preußische König Fritz und sein Herr Vater Friedrich Wilhelm.

Man hat auch das Lieschen gefragt, wie ihr denn eigentlich nun zumute sei, und sie hat den Schürzenzipfel an den Mund genommen und gemeint, das sei eine dumme Frage. Dabei aber hat sie gekichert, und die Fragerin hat auch nichts weiter gewußt, als gleichfalls zu kichern, ist jedoch hingegangen und hat, drei Häuser weiter, erzählt: ihr sei eben eine Gans über den Zaun geflogen, der sei sie nachgelaufen bis auf Papenbergs Hof, und da habe sie sich beinahe vergriffen und das Lieschen dafür am Flügel genommen; solch ein kurios Gegacker sei seit Erschaffung der Welt nicht erlebt worden, und auf die Hochzeit sei das ganze Freikorps des Obersten Bauer geladen, dazu aus Böhmen viele schöne Fräulein; wer aber zuallererst gebeten sei, das sei die Müllerstochter oben im Harz, die auch an der Innerste sitze und tagtäglich ihre Grüße mit dem Wasser herunterschicke, wie der arme Barthold Dörries das ja hundertmal erzählt habe. Dem sei nun, wie ihm wolle, gelacht mußte Lieschen Papenberg haben: wer das Mädchen lachen sehen wollte, der konnte überhaupt leicht dazu kommen. Es war ein fröhliches Ding von den Kinderschuhen an gewesen, brachte von Natur ein vergnügt geduldig Herz mit zu allem, was die Frauen erleben können auf dieser Erde; die Innerste hüpfte da oben in den Bergen, an ihrem Geburtsorte im Walde nicht unschuldiger, klarer und lieblicher in die Welt hinaus.

Gegen Ende Februars, als es in Schlesien und Sachsen wieder lebendig wurde und überall das Eis aufging, schrie die Innerste im neuen Jahre 1760 zum ersten Male, aber die junge Braut hat sie damals noch nicht schreien hören.


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