Wilhelm von Polenz
Luginsland
Wilhelm von Polenz

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Ein wilder Schößling

Die Einwohnerschaft eines jeden Dorfes hat ihre ausgesprochene Physiognomie. Und wiederum innerhalb der Dorfsgenossen giebt es Gruppen, Stämme, Sippschaften, welche sich scharf von einander abheben in äußeren und inneren Zügen, in Lastern, Tugenden und Fähigkeiten.

Einer Wiese vergleichbar ist die Menschenwelt des Dorfes. Von weitem mag sie wie eine gleichmäßig grüne Fläche langweiliger Grashalme erscheinen, aber steht man drinnen, dann sieht man, daß von diesen Halmen jeder seine Eigenart hat. Man erkennt, wie sie einander überwuchern und durchschlingen, man sieht, wie die stärkere Art andere minder lebensfähige verdrängt, man beobachtet, wie einzelne Gewächse ihre Ausläufer unterirdisch weithin versenden, wie ein einziges zur Reife gelangtes Individuum seinen Samen verstreut und sich verhundertfacht. Zwar überwiegt die große Masse der braven grünen Grashalme, die nach einer Richtung wachsen und sich alle in vorschriftsmäßiger Höhe halten, aber dazwischen giebt es auch Moose, die den Boden verfilzen, üppige Binsen, geile Stauden, anschmiegende Schlingpflanzen, zarte Blumen. Und dort schießt auf einmal ein fremdes wildes Gewächs empor, das scheinbar gar nicht zu dieser biederen Gesellschaft gehört, selbstbewußt frech in der Haltung, ein Ding, das nach anderen Gesetzen zu leben gesonnen ist, als die harmlose Nachbarschaft.

Es reizt, den Gründen dieser Erscheinungen nachzuforschen, man möchte für die Geschichte des Einzelnen Erklärung finden in der Geschichte seiner Art, möchte die Erlebnisse der Vorfahren kennen, die Mischung des Blutes in grauer Vergangenheit ergründen, die Entwicklung der ganzen Sippe bis auf unsere Tage herab verfolgen dürfen.

Aber die Bauern kennen keine Genealogie, sie haben keine Ahnengallerieen und Stammbäume. Ihre Sinne sind auf die Notdurft des Augenblickes gerichtet, um die Vergangenheit bekümmern sie sich nicht. Der Bauer hält sich an das, was ist; sich den Kopf zu zerbrechen darüber, wie und warum es geworden, das überläßt er den Gelehrten, die nichts Vernünftigeres zu thun haben auf der Welt. Kaum daß man von einem Landmanne erfahren kann, wer seine Großeltern gewesen und welche Geschicke sie gehabt.

Darum habe ich auch nichts Sicheres feststellen können über die Herkunft der Familie Kraps im Dorfe Zälowitz; eine Familie, die mich immer auf das lebhafteste interessiert hat. Der Name Kraps kommt nur in diesem Orte vor, während man sonst von den landläufigen Familiennamen in der Regel Vertreter in den benachbarten Ortschaften findet. Auch die Physiognomie dieser Leute weicht von den Gesichtern, welche man sonst in der Gegend sieht, stark ab.

Welcher Wind mag das ursprüngliche Samenkorn dieser absonderlichen Rasse an ihren jetzigen Standort getragen haben?

Einmal erzählte mir eine alte Frau, von der ich über die Sagen des Dorfes, seine Leute und ihre Schicksale mehr erfahren habe, als aus dem Kirchenbuche und den sämtlichen Akten des Gemeindeamtes: in Kriegszeiten sei ein verwundeter russischer Soldat in Zälowitz liegen geblieben. Ein halbes Jahr lang habe man ihn gepflegt, dann sei er gesundet zu seiner Truppe zurückgekehrt. Von dem stammten die Krapse ab, behauptete das alte Weib. Aber ihr Bericht ist nicht glaubhaft, denn russisches Kriegsvolk ist nachweisbar niemals in diese Gegend gekommen, weder zu Zeiten des alten Fritz noch in den Befreiungskriegen. Immerhin war mir die Erzählung der Alten ein Beweis dafür, daß auch von den Dorfgenossen die Krapse als Fremdlinge, als eine Ausnahme von der Regel, empfunden werden, und daß man über ihre Absonderlichkeiten schon in früheren Zeiten gesprochen und nachgedacht haben muß, sonst wäre jene Sage wohl kaum entstanden.

Die Krapse haben eben einige Eigenschaften an sich, die sie in Gegensatz stellen zu allem, was in Zälowitz Herkommen ist. Sie sind dunkel von Hautfarbe, haben schwarze, blitzende Augen, ihr Haar ist wollig, meist von schmutzigbrauner Färbung. Sie sind selten über Mittelgröße, untersetzt gebaut und von außerordentlicher Muskelkraft. Soweit ihr Äußeres, das von dem gewohnten Typus unserer blonden, langaufgeschossenen, helläugigen Bauern stark abweicht.

Die Krapse sind eine außerordentlich frühreife Rasse. Bei den Knaben sproßt der Schnurrbart meist vor der Konfirmation. Ist ein Kraps in der Klasse, so wird er sich dem Lehrer sehr bald unangenehm bemerkbar machen. Er lernt schwer, ist böckisch und widersetzlich und wird stets unter den Kindern sitzen, die mühsam durchgeschleppt werden müssen. Ganz anders steht ein junger Kraps unter den Mitschülern da. Meist der Stärkste in seiner Klasse, herrscht er durch Frechheit, Rücksichtslosigkeit und Verschlagenheit. Bei allen Anschlägen und schlechten Streichen ist er Führer. Auf die Mädchen wirft ein Sprößling dieser Familie früh sein Auge. Obgleich abstoßend häßlich, mit seinem großen Kopfe, dem wolligen Haar, den tiefliegenden Augen und der unreinen Farbe, scheint so ein Bengel den Altersgenossinnen doch nicht übel zu gefallen. Sie lassen sich auf seine dreisten Späße viel eher ein, als auf die Annäherung manches weit schmuckeren Knaben. So geht es weiter. Beim Konfirmationsunterricht hat der Pfarrer seine liebe Not, wenn ein Kraps in der Herde ist. Bei den Jugendbällen, die im nächsten Winter die Schulentlassenen vereinigen, spielt der junge Kraps die erste Rolle. Jetzt kommt die Zeit, wo er Reibungen bekommt mit der Behörde. Denn wenn ein Kraps auf dem Tanzsaale ist, in der Schenkstube, auf dem Festplatz, oder der Kegelbahn, dann giebt es Gebrüll, Schlägerei, häufig Auflehnungen gegen den aufsichthabenden Beamten. Denn das ist auch eine Eigenschaft dieser Familie, welche sich früh meldet, sie sind abgesagte Feinde aller Autorität. Jeden Beamten, den Gemeindediener, den Gendarm, betrachten sie als ihren natürlichen Feind, dem Trotz zu bieten oder einen Schabernack zu spielen, ihnen Wonne ist.

Eine kritische Zeit für die Krapse ist der Militärdienst. Bei der Truppe müssen sie sich fügen; denn die strenge Ordnung der Kaserne und des Exerzierplatzes kriegt schließlich den Wildesten zahm, selbst eine Krapsnatur. Und da sie körperlich kräftige Leute sind, gute Turner, Schützen und Reiter, zähe und wenn's drauf ankommt, unerschrocken, so würden sie vorm Feinde zu den brauchbarsten Leuten gehören. In Friedenszeiten aber, beim nüchternen Kasernenhofdienst, in der Garnisonstadt mit ihren Versuchungen, bleibt es nicht aus, daß die ungebändigte Kraft eines Kraps mit der Disciplin in Zusammenstoß gerät. Mehrere von ihnen haben als Soldaten zweiter Klasse geendet, ganz unbestraft ist wohl keiner von der Truppe in die Heimat zurückgekehrt. Zur Ehre der Familie sei aber auch berichtet, daß zwei von ihnen den Heldentod auf Frankreichs Feldern gefunden haben, und daß ein Kraps die Unteroffizierstressen erwarb. Er war der erste und blieb der einzige seines Namens, der eine Charge erlangte. Später machte er dem guten Anfang wenig Ehre. Er gewöhnte sich das Wildern an, und wurde von einem Förster in der Notwehr erschossen.

Um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern sich die Krapse nicht. Niemals ist einer von ihnen im Gemeinderat oder unter den Schul- und Kirchenvätern zu finden gewesen. Wenn sie eine politische Versammlung besuchen, so geschieht es nur, um dort Radau zu machen. Trinker von Profession kann man sie nicht nennen, sie verschmähen zwar den Branntwein nicht, doch vertragen sie so viel, daß man sie selten berauscht sehen wird. Dagegen waren einige von dieser Familie leidenschaftliche Spieler. Sie sind keine schlechten Arbeiter, besonders dort stellen sie ihren Mann, wo Körperkräfte erforderlich sind. Aber sie haben keine Ausdauer, außerdem wollen sie sich auch den Anordnungen des Arbeitgebers nicht fügen, und fangen Händel an mit den Mitarbeitern. Zur Landwirtschaft haben sie noch am meisten natürliche Anlagen, sie verstehen mit dem Vieh umzugehen und greifen beim Pflügen, Aufladen, Graben, Hacken, kurz bei aller schweren Arbeit, fest zu. Und doch kommen, sie als selbständige Landwirte nicht vorwärts, da sie keine Übersicht haben und in den Tag hinein wirtschaften.

Eine ganz besondere Stellung nehmen die Krapse dem weiblichen Geschlechte gegenüber ein. Von früher Jugend an kommen sie aus den Liebeshändeln nicht heraus. Rücksichtslos stellen sie dem Weibe nach, das sie begehren, und fast immer haben sie Erfolg. Sie sind als Liebhaber feurig, als Ehemänner brutal. Was ein echter Kraps ist, der prügelt sein Weib. Meist folgt in ihren Ehen ein Kind schnell nach dem andern; viele von diesen Kindern sterben jung, die Frauen altern frühzeitig und folgen ihren Kleinen. Ein Witwer Kraps aber ist selten um eine neue Braut verlegen. Und er findet auch stets ein Mädchen, das es mit ihm versuchen wird. Umarmungen und Prügel abwechselnd ist, was ihrer an der Seite des Eheherrn wartet.

Aber die Krapse haben nicht lauter schlechte Eigenschaften. Sie sind zum Beispiel ehrlich. Ihre Strafliste mag noch so schwere Delikte enthalten, Diebstahl und Betrug sind nicht darunter. Ausgesprochener Familiensinn ist ihnen eigentümlich; ein Kraps wird seinen Vater oder Bruder nicht im Stiche lassen in Not, wird ihm aushelfen, so lange er selbst noch etwas hat. Die Krapse sind große Tierfreunde, und über den Tod der Kuh werden sie sicherlich salzigere Thränen vergießen, als an der Leiche der Lebensgefährtin. Auch sind sie leicht gerührt. Der Prediger, der es versteht, sie im richtigen Moment mit dem rechten Worte zu fassen, wird sie zu einer Art Zerknirschung bringen, und vielleicht sogar zu Besserungsversprechen, die freilich keine Folgen haben.

Ich sprach bisher nur von den Söhnen dieser merkwürdigen Familie. Die Töchter unterscheiden sich stark von ihnen. Einmal sind sie nicht so häßlich wie die echten Krapse – ja, ich habe Schönheiten unter ihnen gesehen – sodann ist ihr Charakter auch milder, stetiger, mit einem Worte, gezähmter. Sie werden, wenn sie heiraten, meist tüchtige Hausfrauen, sind arbeitsam und ordentlich, halten das Geld zusammen und sind gute Mütter. Bei ihrer Nachkommenschaft aber schlagen die üblen Seiten der Krapsnatur nicht durch. Ich kenne unter den Kindern und Enkeln solcher Mütter manch tüchtigen Mann in der Zälowitzer Gemeinde.

Die Begüterung der Familie wechselt. Mehrfach haben Krapse wohlhabende Frauen geheiratet, aber fast immer haben sie auch deren Vermögen durchgebracht. Grundbesitz, wenn ihnen solcher zufällt, bleibt selten lange in ihren Händen. Aber zur Ehre der Krapse sei gesagt, daß sie nie so tief sinken, um der öffentlichen Armenpflege anheimzufallen. Sie haben nämlich ihren Ehrbegriff, wenn dieser auch eigener Art ist. Im Zuchthaus, Gefängnis oder in der Korrektionsanstalt gewesen zu sein, bedeutet für einen echten Kraps nichts, ja, es ist bei ihm fast Regel, einen Teil seines Lebens in solchem Institut zugebracht zu haben. Aber ins Armenhaus zu gehen, würde ihm sein Stolz niemals erlauben.

Die Stellung, welche diese Leute innerhalb der Gemeinde einnehmen, ist eigentümlich genug. Die meisten Nachbarn fürchten sich ein wenig vor ihnen. Man läßt einem Kraps manches durch, was einem anderen gerügt werden würde, nur um ihn nicht zu reizen. Und das hat eine gewisse Berechtigung. Mit Gewalt ist bei dieser Art Leuten gar nichts auszurichten, eher mit Ruhe und Milde. Man darf nicht vergessen, daß sie unter ihrem unglücklichen Charakter handeln wie unter einem Zwange. Wer weiß denn, welche Todsünden ihrer Vorfahren sie in ihrem Blute abbüßen!

Einmal hatte es den Anschein, als sollte die Kraps-Familie in Zälowitz aussterben. Kurz hintereinander waren mehrere Krapse im blühenden Mannesalter dahingefahren, ohne männliche Nachkommenschaft zu hinterlassen. Nur noch ein Erwachsener war da, Hermann mit Vornamen. Seine drei Brüder waren alle auf ungewöhnliche Weise umgekommen. Der eine, jener Wildschütz, fand sein Ende durch die Kugel, dann kam einer, der beim Kartenspiel in der Schenke vom Schlage gerührt unter den Tisch gefallen war. Der dritte endlich starb, von einem Eisenbahnzuge überfahren, als er dem herabgelassenen Schlagbaum zum Trotze über das Gleis laufen wollte.

Auf zwei Augen nur noch ruhte also jetzt die Zukunft dieses Stammes. Hermann war ein echter Kraps. Schon auf der Schule nahm er die Gelegenheit wahr, das zu beweisen. Die Kenntnisse, die er sich in der Schulzeit angeeignet hatte, waren die denkbar knappsten. Er wollte Schmied werden und kam zu einem Meister der Nachbarschaft in die Lehre. Der Mann, der schon manchen jungen Burschen ausgebildet hatte, verfluchte bald die Stunde, wo er Hermann Kraps in seine Werkstatt aufgenommen. Nun gab es immerwährend Streit. Die Kunden beschwerten sich über den »ruppigen Bengel von einem Lehrling«. Und außerhalb der Lehre trieb ers noch schlimmer. Bei jeder Prügelei, die in Zälowitz und Umgegend vorfiel, war Hermann Kraps gewiß, unter den Beteiligten. Bei keinem Tanze in den Schenken der Nachbarschaft durfte er fehlen. Auch er hatte das Glück beim weiblichen Geschlecht, das den Krapsen als besondere Gabe in die Wiege gelegt ist. Davon sollte sein Meister und Hauswirt einen schmerzlichen Beweis erhalten. Kurz nachdem Hermann Kraps die Werkstatt verlassen hatte, um sich auf Wanderschaft zu begeben, stellte es sich heraus, daß die Tochter des Hauses ein Kind von ihm unter dem Herzen trug.

Beim Militär führte sich Hermann Kraps verhältnismäßig gut auf. Er war zur Kavallerie ausgehoben worden. Liebe und Verständnis der Krapse für das Tier war auch ihm eigen, er zeichnete sich als tüchtiger Pferdewärter aus und wurde Stallbursche bei seinem Rittmeister. Als solcher nahm er eine bevorzugte Stellung ein in der Schwadron, hatte hübsche Einnahmen und genoß mehr Freiheit als die anderen. Bald war ein Verhältnis angeknüpft mit der Kellnerin einer Bierwirtschaft, das ihm manchen Freitrunk verschaffte und allabendlich die leckersten Speisereste. Kurz, der Dragoner Kraps besaß eine in jeder Beziehung beneidenswerte Stellung.

Ganz am Schlusse der Dienstzeit kam die Kraps-Natur doch noch zum Durchbruch. Seine Freundin, die Kellnerin, hatte noch einige andere Verehrer. Kraps wußte das, drückte aber ein Auge zu, solange er der einzige war und blieb, der von dem Mädchen mit den bewußten Speiseresten versorgt wurde. Ob sie mit ihren Zärtlichkeiten haushälterisch sei, kümmerte ihn weniger; bei diesem Verhältnis gab der Magen den Ton an. Neuerdings nun schloß er aus dem Geringerwerden der ihm gereichten Portionen, daß er einen Rivalen haben müsse. Sein Verdacht richtete sich auf einen wohlgenährten Unteroffizier von der Artillerie, mit dem das Mädel schön that. Anfangs knurrte der Dragoner nur, dann ließ er nach beliebter Kraps-Manier das Frauenzimmer seine Faust verspüren. Durch das Geschrei des Mädchens gerufen, kam der Wirt herbei und verwies dem Störenfried das Lokal. Da zog Kraps blank, verwundete den Wirt, schlug alles im Zimmer kurz und klein, wehrte sich gegen eine Überzahl herbeigerufener Gäste wie ein Verzweifelter, bis es schließlich gelang, ihn zu fesseln und unschädlich zu machen.

Nachdem er die sechs Monate abgesessen hatte, zu denen ihn das Kriegsgericht verurteilt hatte, kehrte Hermann Kraps nach Zälowitz zurück. Er begab sich dort, da er das Schmiedehandwerk als allzu beschwerlich inzwischen an den Nagel gehängt hatte, zu einem Großbauern als Knecht. Der Mann war kränklich und brauchte zur Stütze seiner umfangreichen Wirtschaft eine männliche Kraft. Bald führte Kraps das Regiment auf dem Bauernhofe. Die Mägde tanzten nach seiner Pfeife, und auch die Bäuerin that mehr das, was der Knecht befahl, als was der Gutsbesitzer vom Krankenbette aus anordnete.

Der Bauer starb, und niemand, der die Entwicklung der Dinge aus der Nähe mit angesehen hatte, wunderte sich, daß bald nach des Mannes Tode die Witwe dem Knechte die Hand zum Ehebunde reichte. Die Frau war um einige Jahre älter als Kraps, aber immer noch ein stattliches Weibsstück zu nennen. Aus erster Ehe hatte sie nur einen Jungen.

Nun saß Hermann Kraps in einem Bauerngute drin. Zwar gehörte der Hof nicht ihm, sondern der Frau und dem minderjährigen Kinde gemeinsam, aber er herrschte nichtsdestoweniger wie ein Herr darüber. Die Ackerwirtschaft langweilte ihn bald, Feld und Wiese zu versorgen hielt er Arbeiter und Mägde; er selbst warf sich auf den Pferdehandel. Bei der Truppe hatte er seinen Pferdeblick geschärft. Der Stall und die Wartung waren bei ihm in guten Händen. Er wäre ein tüchtiger Pferdehändler gewesen, wenn er nur vom Rechnen, Sparen und Zurücklegen mehr verstanden hätte. Aber bei dem vielen Hinundherziehen im Lande und dem Herumliegen in den Gasthäusern ging alles wieder zum Teufel, was er etwa beim Handel gut gemacht hatte. Und daheim die Wirtschaft verlotterte von Jahr zu Jahr mehr. Denn Kraps konnte wohl fluchen und prügeln, aber die Leute anstellen, oder gar angeben, was in seiner Abwesenheit geschehen solle, das überschritt seine Fähigkeiten.

Im Hause ging es noch schlimmer zu. Sein Weib gebar ihm ein Kind nach dem andern, von denen mehrere zeitig starben. Die Frau hatte es nicht gut. Ihr ursprünglich kräftiger Leib, von den Geburten geschwächt, verfiel schnell. Die rohe Behandlung und die Erkenntnis, daß der Mann ihr und ihres Erstgeborenen Vermögen durchbringe, thaten das Ihre. Sie fing an zu kränkeln. Kraps hatte für Krankheit keine Geduld. Eines Tages, als er mit neugekauften Pferden vom Markte zurückkam, fand er sie bettlägerig. Er zwang sie, das Bett zu verlassen und in der Wirtschaft zuzugreifen. Aus Angst vor seinem Zorn that die Frau, was ihr geheißen. Dazu war sie in gesegneten Umständen. In der Nacht verfiel sie in schweres Fieber und starb nach einigen Tagen an Gehirnentzündung.

Bei der Erbschaftsregulierung stellte sich die Entwertung des Bauerngutes in ihrem ganzen Umfange heraus. Das Vormundschaftsgericht mischte sich ein, trennte das Kind erster Ehe von dem Stiefvater und verpachtete das Bauerngut zu Gunsten des Bevormundeten.

Kraps, mit seinen zwei am Leben gebliebenen Kindern belastet, beides Mädchen, mußte wieder Stellung suchen. In seiner Heimat wollte niemand mehr was von ihm wissen. Im allgemeinen ist man zwar beim Landvolk nachsichtig gegen Fehltritte und nicht allzu feinfühlig; die Thatsache, daß einer gesessen hat, zum Beispiel, macht ihn noch nicht unmöglich bei seinesgleichen. Aber Hermann Kraps hatte es doch zu toll getrieben. Man rechnete ihm den Tod seiner Frau als Mord an, der nur nicht herausgekommen war. Es kam hinzu, daß damals gerade sein Bruder, der Wilderer, ein Ende fand, das allgemein als Gottesgericht aufgefaßt wurde. Man war der Krapse und ihrer Gewaltthätigkeit herzlich satt, und wünschte den einzigen noch Überlebenden fort aus der Gegend.

Hermann Kraps that den Leuten den Gefallen, er ging. Seine beiden kleinen Mädel ließ er in Pflegschaft zurück. Für manches Jahr galt er in Zälowitz als verschollen. Die Töchter wuchsen heran, eine heiratete im Dorfe, die andere ging nach auswärts in Stellung. Der Name Kraps wurde nicht mehr gehört. Die Familie schien für alle Zeit erloschen. Man erzählte sich in Zälowitz nur noch von ihnen und ihren Thaten unheimliche Geschichten. Eine Art Mythus spann sich um das Geschlecht.

Da nach etwa zwanzigjähriger Abwesenheit trat auf einmal Hermann Kraps wieder in Zälowitz auf. Er war zum Krüppel geworden. Ein Pferd hatte ihm mit dem Hinterhuf den Knochen am rechten Unterarm dicht über dem Handgelenk zerschmettert. Der Bruch wäre vielleicht geheilt, wenn Kraps den Gipsverband ertragen hätte. In seiner Unleidigkeit riß er den Verband ab, und wurde daran schuld, daß er fürs Leben einen unbrauchbaren rechten Arm behielt. Auch sonst war der alte Mann tief herabgekommen und körperlich arg vernachlässigt.

Für die Gemeinde war es keine angenehme Überraschung, als der Totgeglaubte auf einmal wieder auftauchte. Man erwog ernsthaft, wie man ihn abschieben könne; was ja, wenn ihm niemand Obdach und Beschäftigung gewährte, auch nicht so schwer gewesen wäre.

Aber die verheiratete Tochter nahm sich des Krüppels an. Ihr Mann war Tiefbauarbeiter, und einen großen Teil des Jahres bei Anlage von Drainagen, Teichen und Bahndämmen auswärts auf Arbeit. Die Frau konnte jemanden gebrauchen, der ihr in der Wirtschaft half; dazu langte des Vaters linker Arm immer noch aus.

So war denn Hermann Kraps wieder in Zälowitz, dem Schauplatz seiner Jugendstreiche. Wer ihn von früher her kannte, wunderte sich, wie zahm er geworden. Seine steife Hand mochte ihn vor manchem bewahren, außerdem paßte ihm auch seine Tochter, die eine ordnungsliebende Frau war, gehörig auf.

Einige Jahre lebte Hermann Kraps so, ohne daß sich etwas Bemerkenswertes mit ihm zugetragen hätte. Er verlor mehrere Zähne, was ihn nicht gerade verschönte, und sein struppiger Bart, sowie das Wollhaar auf seinem großen Schädel wurden grau. Obgleich er die Sechzig nunmehr erreicht hatte, war er doch noch ein kräftiger Mann zu nennen, und seine dunklen, trotzig blitzenden Augen sprachen dafür, daß er noch keineswegs matt und abgestumpft sei.

In dem Hause, das seiner Tochter und ihrem Manne gehörte, wohnte in einem angebauten Zimmer nach hinten hinaus eine Witwe mit ihren Kindern zur Miete. Es waren ganz arme Menschen, die sich im Winter mit Weben, im Sommer mit Tagelöhnern durchschlugen. Das älteste Mädchen hieß Marie. Auf ihr ruhte, da die Mutter an schwerem Rheumatismus litt, die Sorge für das Ganze. Sie sorgte für die jüngeren Geschwister, kochte, nähte, flickte, wusch und fand nebenbei auch noch Zeit, verdienen zu helfen. Marie war ein außergewöhnlich solides, vernünftiges und besonnenes Geschöpf. Niemals sah man sie an den Vergnügungen ihrer Altersgenossinnen, an Tanz, Theaterspiel, Landpartieen teilnehmen. Dabei war sie eines der hübschesten Mädchen ihrer Generation, mit großen, nachdenklichen Augen und von einer Zartheit der Hautfarbe, wie man sie unter den Frauen der arbeitenden Klasse selten findet. Es lag etwas Verfeinertes, Besonderes und höchst Anziehendes über diese Erscheinung gebreitet. Marie schien sich dessen auch bewußt zu sein, denn sie hielt auf sich, kleidete sich stets sauber und passend.

Das Mädchen war mir aufgefallen durch sein nettes, bescheidenes Benehmen, und ich freute mich stets, wenn ich ihr in der Dorfstraße begegnete. Mein Erstaunen war daher groß, als ich hörte, daß sich Marie mit einem Manne eingelassen habe, und daß ihr Verkehr nicht ohne Folgen bleiben werde. Als ich aber erfuhr, wer ihr Liebster sei, verwandelte sich mein Befremden in Entrüstung.

Dieses liebliche Geschöpf, das die Schamhaftigkeit in Person zu sein schien, und der alte, häßliche, wüste Kraps! – –

Wie es ihm gelungen, das Mädchen zu verführen, weiß ich nicht. Gewiß hat der Umstand, daß sie unter einem Dache lebten, mit geholfen. Vielleicht mag – das nehme ich zu Mariens Gunsten an – Mitleid seine Rolle bei dieser erstaunlichen Verirrung gespielt haben. Vielleicht auch imponierte ihr die ungebrochene, animalische Kraft, die Brutalität dieses alten Burschen; Eigenschaften, denen mehr Frauen zum Opfer gefallen sind, als ihrer vor Schönheit, Liebenswürdigkeit und Grazie kapituliert haben.

Wie die Dinge nun einmal lagen, war es das Beste, daß Marie und Kraps einander heirateten. Sie bezogen ein einziges kleines Zimmer zur Miete. Gelebt sollte werden von dem, was Marie verdienen würde. Selbst etwas zu erwerben, gedachte Kraps nicht.

Er saß auf einmal wieder ganz auf dem hohen Pferde, seit er diesen Bund geschlossen hatte. Mit der Tochter, bei der er bis dahin gelebt, brach er, weil sie seine Verbindung nicht billigte. Jede Andeutung, daß er unrecht thue, jeden schiefen Blick, eine Bemerkung nur über den Altersunterschied zwischen ihm und Marie, beantwortete er damit, daß er seinen gesunden Arm drohend erhob und erklärte: er habe in seiner linken Faust mehr Kraft als irgend einer in Zälowitz in beiden zusammen. Er war wieder ganz der alte; händelsüchtig, trotzig und frech.

Marie schenkte ihm ein Mädchen; ein Jahr darauf ein Zwillingspaar von Jungen. Das kleine Mädel blieb am Leben, die Zwillinge starben. Marie kam bald genug tief herunter, Ihre feinen Züge zwar waren nicht gänzlich zu verwüsten, und die schönen Augen behielt sie; aber ihre Gestalt verfiel, sie vernachlässigte sich in Kleidung und Haltung, bot schnell das Bild eines herabgekommenen Weibes. Er schlug sie. Dazu reichte sein linker Arm, den er durch Arbeit nicht schwächte, vollständig aus. Auch hatte er sich neuerdings angewöhnt, in der Wut um sich zu beißen.

Da Marie seiner Ansicht nach mit dem Weben nicht genug verdiente, war er auf eine neue Erwerbsart für sie verfallen. Er schaffte einen Handwagen an; in den spannte er nicht etwa ein Pferd oder einen Hund, sondern seine Frau. Er selbst ging nebenher, sie von Zeit zu Zeit mit Fluchen antreibend. So zogen sie durch die Dörfer, sammelten Lumpen und Knochen und allerhand andere Abfälle, die er in die Papierfabriken und Knochenmühlen verhandelte.

Das arme Weib mußte einen jammern; aber helfen konnte ihr niemand. Es giebt kein Gesetz, das den schützt, der sich freiwillig zum Sklaven macht. Es giebt auch keines, das ein liebendes Weib vor der Schlechtigkeit dessen rettet, dem ihre Liebe gilt.

Marie liebte diesen Menschen. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen. Sie hätte alles gethan ihm zu Liebe. Wenn sie keuchend den schweren Wagen zog, weit vorgebeugt, die Gurte kreuzweis über die Brust befestigt, die Schultern einstemmend, daherschritt in zerrissenem Schuhwerk, bei jeder Witterung auf öder Landstraße, mit scheuem Blick nach hinten, ob er nicht vielleicht aushole zum Schlage, so glaube ich, empfand sie tiefe Befriedigung in dem Bewußtsein, ihm zu dienen, den sie sich auserkoren hatte zu ihrem Gebieter.

Einen Beweis, wie Marie den Menschen liebte, lieferte sie, als Kraps wieder mal auf einige Monate ins Gefängnis wandern mußte. Er hatte sich nämlich gegen einen Gendarmen, der ihn nach dem Hausierschein fragte, thätlich vergangen und ward wegen Widerstandes verurteilt. Jeder, der Mariens Schicksal kannte, freute sich für die Frau, daß sie den Unhold nun für einige Zeit los sei. Marie dachte anders. Die Augen wollte sie sich ausweinen nach ihm, und als das Gefängnis ihn nach verbüßter Strafe endlich wieder herausgab, war es der größte Freudentag ihres Lebens.

Aber auch für Hermann Kraps kam die Stunde, wo alle Widerspenstigkeit und aller Trotz nichts mehr helfen. Ein Schlaganfall traf ihn, lähmte ihm den gesund gebliebenen Arm. Seine Frau pflegte ihn mit aufopfernder Liebe ein paar Wochen lang. Dann kam ein zweiter Anfall, der tödlich war.

Selten wird ein Mensch aufrichtiger betrauert worden sein als Hermann Kraps von Marie.

Diejenigen, welche es mit Zälowitz und seiner Bewohnerschaft gut meinten, atmeten auf, als der letzte Kraps gestorben war. Gott sei Dank, nun war diese unselige Rasse ausgetilgt! Ein Glück, daß der letzte seines Stammes nur eine Tochter hinterlassen hatte! –

Aber wir sollten noch eine Enttäuschung erleben. Einige Zeit nach dem Todesfall verbreitete sich das Gerücht, daß Marie guter Hoffnung sei, und ein halbes Jahr nachdem der letzte Kraps vom Leben Abschied genommen hatte, erblickte ein neuer Kraps das Licht der Welt.

Der Junge ist jetzt zwölf Jahre alt. Er heißt wie sein Vater: Hermann. Er hat die Krapssche Häßlichkeit geerbt, ist kräftig gebaut, und sieht nicht aus, als wolle er durch die Welt gehen, ohne sich darin unangenehm bemerkbar zu machen. Der Lehrer klagt über ihn als einen Knaben, an dem alle erzieherischen Mittel stumpf würden.

Ich erkundigte mich bei seiner Mutter nach Hermann, ermahnte sie, doch ja recht acht zu geben, daß sie sich mit ihm nicht eine neue Rute aufbinde. Marie lobte den Jungen nach allen Prädikamenten; es gäbe kein besseres Kind.

Sie liebt ihn sehr und zieht ihn der Tochter, die mit ihren sanften Augen und der zarten Haut ein Ebenbild darstellt von dem, was Marie vor zwanzig Jahren war, entschieden vor.

Da mir der Mutter günstiger Bericht über Hermann nicht recht glaubwürdig klang, so erkundigte ich mich bei Leuten, die mit der Witwe Kraps im selben Hause wohnen. Da erfuhr ich genau das, was ich, wie ich nun mal die Krapse kenne, von diesem Sprößling erwartet hatte. Er ist trotzig, tückisch und bissig, hat mit aller Welt Streit, mißhandelt die Schwester und schlägt seine Mutter.

Ich fürchte, wir werden von ihm noch mancherlei zu hören bekommen.

 


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