Wilhelm von Polenz
Luginsland
Wilhelm von Polenz

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Das Glück der »Riegels von Petersgrün«

Ich war ersucht worden, über den Wert eines ländlichen Grundstückes, das erbteilungshalber verkauft werden sollte, ein Gutachten abzugeben; das führte mich nach Petersgrün.

Der Ort liegt etwas abseits, in einem zwischen zwei Hügelketten muldenartig eingesenkten Thale. Die Häuser ohne einheitlichen Plan, einzeln und willkürlich an dem gewundenen Wasserlaufe hin verstreut. Meist sind es Bauerngehöfte mit stattlichen Scheunen und Stallungen, dazwischen eingesprengt die bescheideneren Anwesen der Häusler und Gartennahrungsbesitzer; diese Behausungen der Kleineren zwar ohne Wirtschaftsgebäude, aber mit schmucken Vorgärten versehen, in denen Rosenbäumchen an weißen Stäben blühen. Nach hinten hinaus erhebt sich dann meist der hölzerne Anbau, in dem als treue Hausgenossen: Schweine, Ziegen, Kaninchen und andere nützliche Tiere, ihr beschauliches Dasein verbringen.

Ich war noch nie in meinem Leben in dieses Dorf gekommen. Gehört hatte ich davon; es war mir erinnerlich, daß mein Vater zu sagen pflegte: in Petersgrün kämen viele Raufereien vor und nirgends in der Gegend brenne es so häufig wie dort. Allerdings, es war manches Jahr her, daß mein Vater das gesagt, aber im Gemüte des Kindes hatte die väterliche Behauptung einen so tiefen Eindruck gemacht, daß ich mich im stillen wunderte, die Petersgrüner genau so aussehend zu finden, wie die meisten Leute ringsum in der Gegend, nämlich: gutmütig und durchaus friedlich. Kein Mensch auf der langen Dorfstraße begegnete mir, den ich für einen Raufbold oder Mordbrenner hätte ansprechen mögen.

Das Dorf machte an einem sonnigen Herbstnachmittage mit seinen hellroten Ziegeldächern, seinen schieferbekleideten Hauswänden – Strohdach und Lehmwand waren ganz im Schwinden – mit gutgehaltener Fahrstraße und wohlreguliertem Wasserlaufe einen sauberen Eindruck.

Der Ortsvorstand war Landwirt. Sein Hof hätte ein kleines Rittergut auch nicht verunziert, mit seinen weißgetünchten Steinwänden, den breiten, braungestrichenen Scheunthoren – deren man drei zählte – der gemauerten Dungstätte, dem offenen Schuppen mit der stattlichen Wagenburg: dazu mancherlei Maschinen, die dafür sprachen, daß der Besitzer mit der Zeit fortgeschritten sei. Dabei war das Wohnhaus nicht prunkhaft, es wies noch die altväterisch gemütliche Holzstube auf. Das Dach, mit schwarzblauem Schiefer abgedeckt, zeigte ein mit helleren Platten durchwirktes buntes Muster. Solche lustige wie von Kindern ausgeführte Schieferbildchen waren nichts Seltenes in Petersgrün; sie gaben den Häusern etwas ungemein Schmuckes und Freundliches. Als ich durch die Hausthür schritt, fiel mir der Deckstein der granitnen Thüreinfassung auf. Der Name des Erbauers und die Jahreszahl der Errichtung waren darein eingehauen. Das Haus stand jetzt an vierzig Jahre. Der es erbaut hatte, war Leberecht Riegel.

Der Name Riegel war mir bereits aus den Grundakten bekannt, die ich studiert hatte, um für mein Gutachten vorbereitet zu sein. Nicht bloß der Gemeindevorstand hieß Riegel, sondern mindestens ein Dritteil der Gemeinderatsmitglieder führte diesen Namen. Das war also offenbar gegenwärtig die dominierende Familie in Petersgrün.

Der Ortsvorstand, der auf mein Kommen vorbereitet war, führte mich sofort zu dem fraglichen Grundstück. Das Umschreiten der Grenzen und das Begehen der Felder nahm einige Zeit in Anspruch, ebenso die Besichtigung der Gebäude, so daß der Nachmittag herangekommen war, ehe wir zur Wohnung des Gemeindevorstandes zurückkehrten, bei dem ich mir einige Notizen über das Geschehene niederschreiben wollte.

Vorstand Riegel, ein älterer, in diesen Dingen wohlbewanderter Mann, erleichterte mir meine Arbeit sehr durch seine schnellen und treffenden Antworten. Ich hatte inzwischen im Dorfe noch einige andere seines Namens kennen gelernt; ein Bruder war Besitzer des stattlichen Gasthofs und stand an der Spitze des Konsumvereins, ein anderer Riegel war Feuerwehrkommandant und hatte die Postagentur, ein dritter war Landwirt und dabei Vorsitzender der Sparkasse. Kurz, was es im Orte an nützlichen und zukunftsfrohen Einrichtungen gab, schien alles mit den Riegels zusammenzuhängen. Die Familienähnlichkeit war groß; sämtlich waren sie mittelgroße untersetzte blonde Männer, mit dem Biedermannsgesicht des deutschen Bauern, das unter Umständen auch eine Maske sein kann, wenn es unter unverdächtiger Behäbigkeit eine gehörige Portion Schelmerei und Pfiffigkeit verbirgt.

Tüchtig waren diese Leute, so viel war klar, und auf ihren Vorteil verstanden sie sich auch. Ich liebe nun mal die klugen Männer, die sich durchzusetzen wissen. Klug war der Gemeindevorstand Riegel, und klug waren alle, die ich von seiner Rasse in Petersgrün kennen gelernt.

Ich wies das Vesperbrot, das mir angeboten wurde, nicht ab. Wir kamen bei Kaffee, Butterbrot, Wurst und Branntwein, die mir gleichzeitig vorgesetzt wurden, ins Plaudern.

Ich fragte den Vorstand, was das eigentlich mit dem schlechten Rufe auf sich habe, in dem die Petersgrüner gestanden, und berief mich da auf die Autorität meines Vaters. Der Mann war nicht im geringsten beleidigt und meinte: früher seien sie auch nicht die besten gewesen, aber darin habe sich inzwischen vieles gebessert. Vor allem aufs Feueranlegen hätten sich die Leute in der alten, guten Zeit hier aus dem FF verstanden. Die Feuerversicherungsgesellschaften hätten sich schließlich geradezu geweigert, aus Petersgrün noch Anträge anzunehmen. Es sei nichts Seltenes gewesen, daß ein Bauer heute zur Stadt gefahren, um die eingebrachte Ernte zu versichern, und wenige Tage darauf schon war seine Scheune in Flammen aufgegangen.

»Ja, wurde denn das gar nie entdeckt?« fragte ich.

»Die Leute hielten zusammen und verrieten nichts,« war die Antwort. »Die Bauern waren dahinter gekommen, daß es viel einfacher sei, sein Korn auf diese Weise zu Geld zu machen, statt es erst mühsam auszudreschen. Und wenn einer neu aufbauen wollte, sparte er sich auch gern das Abreißen. – In der trockenen Jahreszeit brannte es monatlich mindestens zwei-, dreimal im Orte. Noch als mein Vater hierher kam, war das im Schwange.«

»Ihre Familie stammt wohl also gar nicht aus Petersgrün?« warf ich ein.

Der Vater sei zugezogen, erwiderte er, und nannte einen Ort, der mindestens zwanzig Kilometer tiefer im Gebirge lag. Früher habe es in Petersgrün den Namen »Riegel« überhaupt nicht gegeben; jetzt seien sie, wenn er alles: Kinder, Enkel und Urenkel beiderlei Geschlechts zusammenrechne, einige Siebzig.

»Und wie lange ist denn Ihr Vater schon tot?« fragte ich.

»Der lebt noch und ist ganz munter. Dort können Sie ihn gerade sehen.«

Ich blickte, der ausgestreckten Hand des Vorstandes folgend, zum Fenster hinaus und sah einen alten Mann in Hemdsärmeln, einen Rechen über der Schulter, von der offenen Hofseite her langsam auf das Haus zukommen. Er schritt etwas gebückt, sonst aber völlig sicher einher.

»Wie alt ist denn Ihr Vater?« fragte ich staunend.

»In den Achtzigen hat er nicht mehr viel zu suchen,« war die Antwort.

Und nun trat der alte Mann selbst ins Zimmer, »die Würde in Person«, mußte ich denken, als ich in dieses bartlose, von hundert Falten bedeckte Gesicht blickte, mit seinen tiefliegenden, schwarzumschatteten Augen, dem beinahe kahlen Kopfe, den nur noch im Genick ein paar Haarsträhne, wie weiße Federn, umstanden.

Sowie der Greis sah, daß Besuch da war, sagte er dem Sohne, er solle ihm seine Jacke reichen; verhältnismäßig schnell schlüpfte er hinein. Der Vorstand erklärte ihm kurz, wer ich sei und was ich hier wolle. Aus dem bis zum Schreien lauten Sprechen in seiner Gegenwart schloß ich, daß der alte Riegel so gut wie taub sein müsse. Er nickte mit dem Kopfe und setzte sich zu uns. Unwillkürlich schwiegen wir, um dem Alten das Wort zu lassen. Er bemerkte einiges über das Wetter, und daß heuer das Grummet, in dem er eben gearbeitet, gut sei; dann sprach er auf einmal mit einem plötzlichen Gedankensprunge vom Jahre 1835, erzählte uns, wie damals im Herbste die Witterung gewesen sei. Darauf schwieg er, mit leeren Augen, als sei der Gang seiner Gedanken unterbrochen.

Ich erfuhr von dem Sohne, daß der Vater an dreißig Jahre Ortsvorstand in Petersgrün gewesen sei, vor noch gar nicht langer Zeit erst habe er das Amt niedergelegt, weil sein schlechtes Hören doch allzu sehr gestört habe. Wir unterhielten uns ganz unbefangen über alles den Alten Betreffende, denn er konnte uns ja doch nicht verstehen. – Ganz arm sei der Vater hierher gekommen, habe das Gut nur kaufen können, weil soviel Schulden darauf gewesen, und selbst die geringe Anzahlungssumme habe er sich noch zusammenborgen müssen.

Ich sprach meine Verwunderung darüber aus, wie es möglich gewesen sei, sich aus so mißlichen Verhältnissen emporzuarbeiten zum schönen Wohlstande, wie er jetzt die Familie zu umgeben schien.

Vorstand Riegel meinte: »Ja, der Alte hat es eben verstanden; und dann, sehen Sie, brannte er ja auch ab! – Wer den alten Hof damals gesehen hat, glaubt es einfach nicht, wenn er jetzt unsere Gebäude sieht; so hat sich alles geändert.«

Er erzählte noch weiter, aber ich hörte ihm nicht mehr zu. Mich hatte es unangenehm berührt, wie er von jener Brandkatastrophe sprach, die er recht eigentlich als ein Glück für seine Familie zu betrachten schien. Ein Verdacht hatte mich erfaßt und ließ mich nicht wieder frei. Nun auf einmal sah ich die Erfolge der Riegels in ganz verändertem Lichte. Ihre Augen zeigten eben doch nicht umsonst jenen pfiffigen Bauern-Ausdruck.

Der Greis war aus seinem Hindämmern aufgewacht und fragte den Sohn, wovon die Rede sei. Der beugte sich ganz, zum Vater hinüber und schrie ihm ins Ohr: »Ich erzähle dem Herrn, wie unser Hof abbrannte.«

Das Gesicht des Alten erhellte sich bis in seine letzte Runzel; mit einem Nicken der Befriedigung sagte er: das wären damals schlimme Zeiten gewesen, wo keines Menschen Dach sicher geblieben vor ruchloser Hand. Und dann fing er an, allerhand auszukramen aus seiner Altmänner-Erinnerung, wie es ehemals zugegangen in Petersgrün und in der Welt überhaupt.

Aber meine unbefangene Freude an diesen Leuten war gestört. Der Greis da vor mir, der die Ehrenkrone des Alters auf dem Haupte trug, konnte, wenn man ihn sich näher betrachtete, auch ganz anders als ehrwürdig erscheinen. Hinter seinen dunklen Augenhöhlen mochte manch düsteres Geheimnis ruhen.

Da meine Geschäfte erledigt waren, verabschiedete ich mich und begab mich zum Gasthofe, von dem aus mich die Personenpost zur nächsten Bahnstation bringen sollte.

Gastwirt Riegel versuchte mich zwar in ein Gespräch zu verwickeln, darüber, ob Aussicht sei, daß der Ort bald die längst erwünschte Bahnverbindung vom Landtage bewilligt erhalten werde – offenbar nahm er an, daß ich auf diese Dinge Einfluß habe – aber ich blieb einsilbig und sann über Verschiedenes nach, was ich im Laufe des Tages in Petersgrün gesehen.

Im letzten Augenblicke, als die Pferde schon angezogen hatten, kam in ziemlicher Entfernung ein Mann die Dorfstraße herabgelaufen, winkend und rufend. Ich brachte den verschlafenen Kutscher dazu, anzuhalten. Atemlos vom Laufen sprang ein junger Mensch in den Wagen und dankte mir für meine Freundlichkeit, die ihm das Mitfahren ermöglicht habe.

Wir kamen ins Gespräch, und da ich den Mann seinen Kleidern und seiner Sprechweise nach nicht für ein Dorfkind halten konnte, sprach ich mich offener, als ich es sonst wohl gethan haben würde, über Petersgrün und seine Bewohner aus. Ich erwähnte auch, daß mir in diesem Orte alle Macht und alles Vermögen bei einer Familie zu ruhen scheine.

»Sie meinen die Riegels?!« sagte er und lächelte. »Recht haben Sie übrigens! Augenblicklich sind wir in Petersgrün entschieden die Leute an der Spritze. Ich bin nämlich auch ein Riegel.«

Natürlich sah ich mir den jungen Menschen daraufhin etwas näher an. In der That, er trug die Familienzüge, wenn auch ins Verfeinerte übersetzt. Er sei der jüngste Sohn des Postagentur-Riegel, von Beruf Mediziner, erzählte er, und habe sich vor Kurzem in seiner Heimatgemeinde als praktischer Arzt niedergelassen.

»Nun fehlt eigentlich nur, daß Sie auch noch das Pfarramt aus Ihrer Familie besetzen!« sagte ich.

»Was nicht ist, kann noch werden!« sagte Doktor Riegel schmunzelnd. »Einer meiner Vettern studiert Theologie; unser jetziger Herr Pastor ist nicht mehr der Jüngste. – Wer weiß!« –

So kamen wir aus einem ins andere. Hier hatte ich ja den Mann, der mir Aufklärung geben konnte! Ich lenkte das Gespräch absichtlich auf den Großvater Riegel; das seine Persönlichkeit umgebende Geheimnis war mir doch das Interessanteste vom allem. Wäre es wirklich möglich, daß Glück und Gedeihen eines ganzen Geschlechtes aufgebaut sein sollten auf einem Unrecht? – Und wenn so, wußten es die Enkel? und wie stellten sie sich zu dem, was Zeit und Erfolg gewissermaßen sanktioniert hatten? – Das festzustellen, schien mir der Mühe wert.

Doktor Riegel that mir den Gefallen, auf meine Fragen einzugehen. Er sagte: »Es ist ja nicht seine Tüchtigkeit allein gewesen, wodurch sich unser Großvater emporgebracht hat; er hat auch Glück gehabt. Aber, daß er das Glück nützte, war wieder sein Verdienst. Mein Großvater gehörte eben nicht zu jenen, die das Glück nicht zu halten wissen. – Wollen Sie hören, wie es ihm ergangen ist?«

Ich war nun doppelt neugierig und bat, daß er mir die Geschichte des alten Mannes erzählen möge.

* * *

Leberecht Riegel war der Sohn eines einfachen Pferdeknechtes. Er hatte den Beruf seines Vaters ergriffen, war aber nicht der Mann dazu, dort ruhig stehen zu bleiben, wo ihn die Geburt hingestellt. Durch Fleiß, Geschick und Umsicht hatte er sich nach und nach zur Stellung eines Gutsvogts emporgearbeitet. Dann heiratete er die Tochter eines Handelswebers, der einen schwunghaften Handel mit Leinwand betrieb, sich gern »Fabrikant« nennen ließ und für wohlhabend galt. Leberecht Riegels brennender Wunsch war es von früh auf, aus der dienenden Stellung herauszukommen und sich ein eigenes Anwesen zu erwerben. Das Geld, das er daraufhin sparte, übergab er seinem Schwiegervater, dem Leinwandhändler, der es ihm gut verzinste. Leberecht hatte sein Augenmerk auf verschiedene Bauerngüter der Nachbarschaft gerichtet, deren Besitzer infolge schlechter Wirtschaft oder aus anderen Gründen wackelig standen. Da, als er seinem Ziele schon ganz nahezu sein glaubte, brach sein Schwiegervater zusammen; er hatte unglücklich in ausländischen Werten spekuliert. Es stellte sich heraus, daß außer seinem Vermögen auch die Einlagen des Schwiegersohnes zum Teufel gegangen waren.

So war es denn mit dem Ankaufen zunächst nichts. Leberecht Riegel zog den Leibriemen etwas fester an und hing sich und seiner Familie – inzwischen waren drei Jungens bei ihnen angekommen – den Brotkorb noch höher als bisher. Dann hörte er durch einen Bekannten zufällig von einem großen Bauerngute, das für einen Pappenstiel zu haben sein sollte. Es sei verwahrlost, aber einer, der sich aufs Wirtschaften verstünde, könne schon noch etwas daraus machen, hieß es.

Das war etwas für Leberecht Riegel! Er fuhr nach Petersgrün, besah sich die Sache, borgte sich dann von einem Getreidehändler in der Stadt, der seine Kreditfähigkeit erkannt hatte, gegen hohe Verzinsung eine Summe und erstand den Bauernhof.

Nun war er mit vierzig Jahren das, was er sich all sein Lebtag ersehnt hatte: selbständiger Grundbesitzer.

Viel zwar gehörte ihm nicht von seinem Gute, und das, was da war, sah traurig genug aus. Das Feld verunkrautet und düngerarm, die Wiesen versauert, die Gebäude dem Einsturze nahe. Aber dem war abzuhelfen; den Quecken konnte man mit Pflug und Egge zu Leibe gehen, die Wiesen ließen sich durch Gräben entwässern, und die Gebäude waren mit Einflicken wetterfest zu machen. Freilich mußte man jeden Strohhalm zu Rate ziehen, keine Minute durfte in Müßiggang zugebracht werden. Frau und Kinder wurden zur Arbeit angespannt mit den Zugtieren um die Wette. Galt es doch nun mal den Kampf ums Dableiben; da durfte nichts geschont werden. Seine Jungens – es waren ihrer inzwischen fünf geworden – mußten ihm dienen wie die Knechte. Der älteste hatte die Pferde, der zweite die Ochsen, der dritte versah mit der Mutter zusammen das Melken, denn eine Magd konnte man sich nicht halten. Und selbst die beiden Kleinen mußten sich in Haus und Hof mit Laufen, Ziehen, Schleppen und allerhand Handreichungen nützlich machen.

So brachte Leberecht Riegel langsam aber sicher sein Gut empor, mit jedem Jahre wurden die Erträge besser, er konnte seine Zinsen bezahlen und anfangen, Schulden zu tilgen.

Eigenartig war die Stellung, die der Neuhinzugezogene den Bauern von Petersgrün gegenüber einnahm. Man hätte denken sollen, daß die Gemeinde eine rüstige und strebsame Familie, wie die Riegels, mit Freuden müßte aufgenommen haben; aber das Gegenteil war der Fall. Mit Mißtrauen betrachtete man die Fremdlinge. Die Art, wie der Riegelbauer die Wirtschaft anfaßte, handfest und durchgreifend, war etwas Neues in Petersgrün und widersprach durchaus dem Schlendrian, der hier bei den meisten Wirten üblich war. Aber auch in anderer Beziehung zeichnete sich der Fremde als ein schwarzes Schaf ab von der übrigen Herde; er ging nicht ins Gasthaus, beteiligte sich nicht an den in Petersgrün so beliebten Saufereien und Prügeleien, und was dem Faß den Boden ausschlug, er trat auch nicht der Feuerwehr bei.

Die freiwillige Feuerwehr war der wichtigste Verein in Petersgrün. Allerdings wollten böse Zungen behaupten, daß bei dieser Gesellschaft das Löschen des Durstes eine bei Weitem wichtigere Rolle spiele, als das Bekämpfen des feurigen Elementes. Und auch noch allerhand andere, freilich unerwiesene Behauptungen, gingen in der Nachbarschaft von Mund zu Mund, zum Beispiel daß die Petersgrüner Feuerwehr bei solchen ihrer Mitglieder, von denen bekannt, daß sie hoch versichert seien, gern zu spät komme. – Wie dem auch sei! Jedenfalls schien das Dasein eines solchen Vereins in Petersgrün nur zu berechtigt; denn nirgends in der Gegend brannte es so oft, wie gerade in diesem Dorfe. Der freiwilligen Feuerwehr gehörte alles an, was irgend Anspruch auf Ansehen machte in der Gemeinde. Der Ortsvorstand, Schade mit Namen, war Feuerwehrkommandant. Der Gastwirt, der Gemeindeälteste, sämtliche Bauern waren dabei und trugen die schmucke Vereinsuniform bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit zur Schau.

Vorstand Schade und der Riegelbauer waren Nachbarn. Es war noch kein halbes Jahr vergangen, da lebten sie im schönsten nachbarlichen Streit. Einmal waren Hühner von Riegels zu Schades durch den Gartenzaun gelaufen und hatten – wie Hühner zu thun pflegen – dort gescharrt, worauf Schade mit Schrot unter sie schoß, daß ein schöner Hahn und zwei Hennen auf dem Platze liegen blieben. Dann, als die Pflaumen bei Riegels reif waren, machten es die Schadeschen Jungen den Hühnern nach, brachen durch den Grenzzaun, in der Absicht, sich die Taschen vollzustecken. Riegel überraschte sie dabei und regalierte sie mit einer tüchtigen Tracht Prügel.

So ging das feindliche Geplänkel hinüber und herüber zwischen den beiden Nachbargrundstücken.

Eines Tages, im August – die Getreideernte war bereits eingebracht – sah Leberecht Riegel, der auf seinem Felde den Stoppel stürzte, vom Dorfe her eine Rauchsäule aufsteigen. Es war in der Richtung seines Hauses.

Er warf seinem Jüngsten, den er zum Stoppelrechen mit draußen hatte, die Zügel zu und rannte querfeldein, so schnell ihn seine Beine trugen, dem Dorfe zu. Als er auf dem Kamme des Feldhügels ankam, erkannte er, daß sein Nachbar Schade brenne. Niemand schien bisher etwas bemerkt zu haben, das halbe Dorf war ja heute draußen; kein Stürmen vom Turme, kein Feuersignal!

Riegel lief auf das brennende Gehöft zu. Die Scheune war schon halb nieder. Eben drohte die Flamme zum Stall überzuspringen. Kein Mensch im ganzen Hofe! Als er in den Stall eindringt, findet er ihn leer. Es fällt ihm ein, daß er früh Morgens die ganze Familie Schade mit allem Lebendigen, was sie besaßen: Kühen, Kalben, Kälbern, Schweinen, Gänsen, zur Weide hatte ausziehen sehen. Im stillen hatte er sich noch gewundert über diese ungewöhnliche Maßregel. Die Pferde- und Ochsengespanne waren ebenfalls draußen.

Riegel läuft ins Wohnhaus. Dort ist Frau Schade. Sowie sie des Nachbars ansichtig wird, fängt sie an, überlaut zu weinen und zu schreien, das entsetzliche Unglück beklagend, das sie betroffen. Riegel ruft ihr zu: wo ihr Mann das Signalhorn aufbewahre? und bläst, als ers erlangt, so gut er kann, das Alarmsignal darauf. Seine eigenen Söhne sind die ersten, die herbeigeeilt kommen; mit ihrer Hilfe fängt er an, das Wohnhaus auszuräumen.

Jetzt kommen allmählich Leute von den Feldern herein. Vom Turme her ertönt die Sturmglocke, nach und nach erscheint auch die Feuerwehr am Platze und sucht sich einen Fleck zum Aufstellen der Spritze. Aber, siehe da, die Pfütze, auf der sonst Schades Gänse und Enten lustig umherschwammen, ist heute trocken. In das schmale Rinnsal, das durch den Garten läuft, den Sauger zu legen, scheint unmöglich. Da weiß Leberecht Riegel Rat; eins, zwei, drei, ist ein Damm aus Rasenstücken aufgeworfen, das Wässerchen gestaut und die Spritze an den Tümpel gestellt, der sich schnell sammelt. Nun übernimmt er das Kommando. Auf den am meisten gefährdeten Giebel des Stalles wird der Wasserstrahl gerichtet. Wie ein kleiner Bach rieselt es bald vom Dache herab.

Jetzt kommt auch der Besitzer des brennenden Hofes vom Felde herein. Dunkelrot vor Zorn schreit er die Leute an, sie sollten sofort innehalten, er sei ihr Kommandant, sie hätten auf keines anderen Befehl zu hören. Dann brüllt er dem Nachbar zu, er möge sich wegscheren, er habe bei ihm nichts zu suchen.

Leberecht Riegel würde dieser Aufforderung schwerlich Folge geleistet haben, wenn nicht eben jetzt seine eigene Frau zu ihm herübergestürzt gekommen wäre, anzeigend, daß bei ihnen auf dem Scheunendache Funken lägen, die jeden Augenblick das Stroh in Brand setzen könnten. Nun freilich eilte Riegel mit seinen Söhnen dem eigenen gefährdeten Hofe zu.

Es war die höchste Zeit. Vom First der Scheune stieg bereits eine kleine weißliche Rauchsäule kerzengrade in die Luft empor. Schnell ist die Leiter angelegt, der Vater klettert hinauf, einer der Jungen stellt sich an die Wasserpumpe, zwei andere eilen mit Stalleimern die Sprossen hinauf und herab. Der Vater, rittlings auf dem Dache sitzend, gießt und schlägt mit einem Brette die immer noch von der Brandstätte herüberstiebenden Funken aus.

Auf diese Weise gelang es den Riegels in gemeinsamer gewaltiger Anstrengung, der Gefahr Herr zu werden. Drüben bei Schades brannte auch noch der Stall nieder. Nur das mit Ziegeln abgedeckte Wohnhaus blieb stehen.

Obgleich, wie gesagt, Schadenfeuer in Petersgrün nicht zu den Seltenheiten gehörten, hatte der Hergang diesmal doch großes Aufsehen erregt. Das Gelage im Gasthofe, das jeder Feuersbrunst zu folgen pflegte – die Feuerwehr legte dort ihre rühmlich erworbene Prämie in Bier und Branntwein an – dauerte diesmal besonders lange. Stoff zu erregter Unterhaltung gab Leberecht Riegels ungewöhnliches Verhalten. Daß der Mann versucht hatte, beim Nachbar zu löschen, schien noch am ersten begreiflich; war er doch mit Schade verfeindet. Aber daß er dann die eigene Scheune, die doch schon so wundervoll brannte, gerettet hatte, blieb allen ein Rätsel. Bis schließlich einer auf den schlauen Einfall kam: sollte Riegel etwa nicht versichert haben?!

Natürlich, das war es auch! Der Geizhals hatte nicht versichert; wahrscheinlich reute ihn die jährliche Prämie, die zu zahlen war. So ein dummer Kerl! Die Prämien kamen doch hundertmal wieder raus, wenn man den Wiederaufbau bezahlt bekam, und überdies noch das Geld für versichertes Getreide und Futtervorräte. Was man davon in der Nacht zuvor zum gefälligen Nachbar geschafft, konnte ja niemand kontrollieren. Das Endurteil der im Gasthof von Petersgrün versammelten Zechkumpane war, daß Leberecht Riegel ein viel dümmerer Kerl sei, als man bisher gedacht hatte.

Der Schadesche Hof stieg neu aus der Asche empor, schöner und fester, als er vorher gewesen war. Aber auch beim Nachbar Riegel besserte sich, obgleich er nicht abgebrannt war, mit der Zeit manches an den Gebäuden. Ob Leberecht Riegel inzwischen versichert habe, wußte niemand. Als ihn ein Neugieriger mal darüber auszufragen versuchte, lachte Riegel eigentümlich und meinte: an einem Orte, wo man eine so erprobte Feuerwehr habe, sei es ganz unnötig, zu versichern.

Er war ein schwer zu durchschauender Mensch! Mit Vorliebe machte er alles anders, als die übrigen Petersgrüner. Für die Landwirtschaft führte er Maschinen ein, die hier bisher noch keines Menschen Auge gesehen hatte. Oft fuhr er weit über Land, blieb tagelang aus, dann kam er mit wohlgepacktem Planwagen wieder. Man fragte ihn: was er in den Säcken da hätte. Die Antwort lautete: Phosphor, Kalk und Salpeter! – Was er denn damit anfange? Damit wolle er seine Felder düngen. Man prophezeite ihm, daß er sich alles verbrennen werde mit dem giftigen Zeuge; aber, siehe da, er machte im Jahre darauf wieder die beste Ernte.

Gelegentlich spielte er den Petersgrünern auch mal einen Possen. Wiederholt hatte die Feuerwehr bei ihm angefragt, ob er ihnen nicht beitreten wolle. Eines Tages nun sagte er zu, und lud den Verein zu sich ein: er wolle ihnen ein Fest geben. Dazu waren sie alle natürlich gern bereit. Als sie im festlichen Zuge antraten, der Kommandant an der Spitze, führte er sie in seine Scheune. Da stand ein bekränztes Faß. Feierlich wurde der Hahn angesetzt. Eine helle Flüssigkeit sprudelte heraus. Aber, als man es kostete, schmeckte es genau so wie Petersgrüner Brunnenwasser.

Ein anderer als Riegel hätte so etwas nicht wagen können; aber der Mann stand unangreifbar da. Jeder am Orte hatte sein Teil Werg am Rocken; von Leberecht Riegel wußte niemand etwas Unrechtes. Ihn zu überfallen und Lynchjustiz an ihm zu üben, schien aber auch nicht rätlich, denn er hatte seine Söhne, die in Handfestigkeit nach dem Vater geraten waren. So ging ihm denn selbst dieser Streich ungerochen hin.

Die Feindschaft mit dem Nachbar Schade war in den letzten Jahren nicht eingeschlummert. Überall in der Wirtschaft, in Gemeindeangelegenheiten, in allen Dingen, fühlte der Vorstand den Einfluß des verhaßten Nachbarn gefährlich wachsen und den seinen langsam, aber sicher verdrängen; denn nun, wo die Leute Erfolge sahen, fand Riegels Thätigkeit auch allmählich Anerkennung. Man wählte ihn sogar in den Gemeinderat; dort lagen die Dinge verworren genug, und das Eingreifen eines tüchtigen Mannes that dringend Not.

Eines Tages im Spätsommer trat Leberecht Riegel wieder mal eine seiner Reisen an, diesmal zum Viehhandel. Er nahm dazu seine beiden ältesten Söhne mit. Haus und Hof übergab er den drei Jüngeren. Die Mutter hatte das Zeitliche gesegnet; Leberecht war Witwer.

Die Jungens hatten reihum die Stallwache; so wollte es der Vater. In der dritten Nacht, nachdem der alte Bauer fort, schlief Karl bei den Pferden. Plötzlich wachte er auf von einem Knistern und Krachen.

Der ganze Stall ist voll Rauch, er sieht durch den Qualm einen rötlichen Schimmer. Halbbetäubt rafft er sich auf, eilt ins Wohnhaus, weckt die Brüder. Und nun machen sich die beherzten Burschen daran, das Vieh loszukoppeln. Das ist nicht leicht, denn die Tiere sind störrisch, brüllen vor Angst und müssen an den Hörnern zu der engen Stallthür herausgezerrt werden. Inzwischen kommen schon Sparren und glühende Holzteile herniedergeregnet vom Dachstuhle. Kaum ist die letzte Kuh aus dem Stalle gezogen, so bricht das Gebälk krachend zusammen.

Nachbarn sind herbeigeeilt, man läuft und schreit durcheinander. Wo bleibt die Feuerwehr? Wo ist der Kommandant? – Man eilt in das Schadesche Haus. Die Frau sagt, sie habe ihren Mann seit Mittag nicht gesehen, er werde wohl unten im Gasthof sitzen.

Schon steht auch die Scheune in hellen Flammen, mit der ganzen Ernte. Die Garben stiegen, als hätten sie Leben bekommen, raketengleich zum Dache hinaus. Das Wohnhaus fängt in der Holzverschalung an zu glimmen. Sämtliche Fenster sind gesprungen. Die Jungens machen sich daran, den Hausrat auszuräumen, und manche Hand ist ihnen dabei behilflich.

Jetzt kommt endlich die Feuerwehr angerasselt, die Spritze wird an den Ententümpel gesetzt, schnell ist der Schlauch angeschraubt, vier kräftige Männer stehen am Schwengel; auf Befehl des Kommandanten, der sich endlich auch herbeigefunden hat, beginnen sie zu pumpen. Aber der Schlauch füllt sich nicht, bleibt trocken, während doch der Sauger Wasser zieht. Noch einmal wird der Versuch gemacht; kein Wasserstrahl kommt. Etwas am Pumpwerk muß in Unordnung geraten sein! Ist kein Schraubenschlüssel da? Natürlich nicht! Ratlos stehen die Männer. Der Kommandant schimpft und tobt und verflucht den Spitzbuben, der so etwas angestiftet hat; denn hier liegt ein Bubenstück vor, darüber kann ja kein Zweifel sein.

Und währenddessen erfaßt die Flamme auch das Wohnhaus. Bald brennt es lichterloh. Leberecht Riegel ist also zum Bettler geworden; denn wie männiglich bekannt, hat er nicht versichert.

Inzwischen ist es gelungen, die Feuerspritze auseinanderzunehmen. Ein Ventil fehlt. Von neuem ergeht sich Schade in wilden Verwünschungen über die Durchtriebenheit des Thäters, der sein Handwerk nur zu gut verstanden habe.

Ehe die Spritze wiederhergestellt, ist das Haus bis auf die Grundmauer niedergebrannt.

Im Laufe des nächsten Tages kam Leberecht Riegel nach Petersgrün zurück. Die Kunde von dem Unglück war ihm bereits entgegengeeilt. Man war gespannt, wie er es hinnehmen würde. Riegel blieb völlig ruhig. Am selbigen Tage noch ging er umher bei Baumeistern, Zimmerleuten und Maurern und besprach den Neubau; denn er wollte noch vor Beginn des Winters unter Dach und Fach sein. Und weiter nach einigen Tagen ließ er Ziegelsteine anfahren, Sand und Holz. Eine Woche darauf wurde bereits auf der Brandstätte lustig gemauert und gezimmert.

Wo nahm der Mann das Geld her? Dem Baumeister hatte er sofort ein paar Hundert Vorschuß gezahlt, als sei das gar nichts. Und es hatte doch geheißen: er habe nichts versichert! Damals, als es beim Nachbar brannte und das Feuer zu ihm überspringen wollte, hatte er doch mit solchem Eifer gelöscht – das sollte mal einer erklären!

Jedenfalls gab es verdutzte Gesichter in Petersgrün, als man von den Summen hörte, welche Riegel von den verschiedenen Brandkassen erhielt. Und als man gar sah, wie groß, stattlich und massiv der Neubau wurde, da gab es mancherlei Gerede unter den Leuten.

So hatte er sichs also doch wohl selbst angelegt?! – Aber er war ja weit weg gewesen, als das Feuer auskam! Nun, dann hatte er vielleicht seinen Jungens Befehl dazu gegeben.

Aber das mit der Feuerspritze? – Daran konnte Riegel doch unmöglich schuld gewesen sein. War das vielleicht ein Racheakt? Er hatte ja Feinde. Jedenfalls, wenn es ein Streich war, der ihm schaden sollte, dann hatten die Thäter gerade das Gegenteil von dem erreicht, was sie bezweckt.

Leberecht Riegel war Fünfziger, als er beim Hebefeste den Kranz an den Firsten seines neuen Wohnhauses befestigen konnte. Das Glück, um das er so lange und so sauer hatte werben müssen, war ihm von nun an eine treue Braut. Einer seiner Söhne nach dem anderen heiratete, bald war er von einer stattlichen Enkelzahl umgeben. Er selbst blieb Witwer, obgleich es in Petersgrün kaum eine ledige Weibsperson gegeben hätte, die seinen Antrag ausgeschlagen haben würde.

Aber er hatte anderes im Kopfe, als Liebesgedanken. Die Angelegenheiten des Ortes nahmen neben seiner eigenen Wirtschaft von jetzt ab sein ganzes Interesse in Anspruch. Als Mitglied des Gemeinderats deckte er Unregelmäßigkeiten in der Kassenführung auf. Schade und verschiedene andere wurden in gerichtliche Untersuchung genommen. An Stelle des bisherigen Vorstandes ward Leberecht Riegel selbst zum Gemeinde-Oberhaupte gewählt.

Bei der Vernehmung von Schade und Genossen kamen wunderliche Dinge zum Vorschein. Einer wollte die Schuld auf den anderen wälzen; Dinge wurden ausgeplaudert, nach denen der Richter gar nicht gefragt hatte. So belasteten sie sich gegenseitig, verwickelten sich in ein Gewebe von Widersprüchen und Lügen. Die Unterschlagung von Geldern, um die es sich anfangs gehandelt, trat in den Hintergrund vor dem schwereren Verbrechen der Brandstiftung an eigenem und fremdem Gute, dessen sie nunmehr verdächtig waren.

Zur Verhandlung war halb Petersgrün geladen als Zeugen. Eigenartiges Licht fiel dabei auch auf die Thätigkeit der freiwilligen Feuerwehr. Sämtliche Verurteilte, unter ihnen Schade, waren Mitglieder gewesen dieses gemeinnützigen Vereins.

Leberecht Riegel war für die nächsten Jahrzehnte unbestritten der erste Mann in Petersgrün. Er sah nun freie Bahn für viele notwendige Verbesserungen, die bisher unausgeführt geblieben waren, weil es an einer kraftvoll stetigen Hand gefehlt hatte, sie in Angriff zu nehmen. Und bald halfen ihm seine Söhne und mit der Zeit auch die Enkel beim Werke.

Sogar der freiwilligen Feuerwehr trat Leberecht Riegel bei und wurde an Schades Stelle ihr Kommandant. Aber dieses Amt machte ihm noch am wenigsten Beschwerde, denn jetzt waren die Feuersbrünste in Petersgrün zur Seltenheit geworden.

 


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