Franz von Pocci
Kasperl unter den Wilden
Franz von Pocci

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Zweiter Aufzug

Stadt. Morgendämmerung

Nachtwächter Schneck mit Spieß und Laterne läuft herein und schellt an einer Haustüre.

Schneck. Aufg'macht! 'runterg'schaut! Aufpaßt! weckt's den Bürgermeister auf! (Schellt immer stärker.)

Bürgermeister (mit der Zipfelmütze, öffnet ein Fenster und schaut herunter). Was gibt's da drunten? Was ist das für ein Spektakel? Wer untersteht sich, so an meinem Haus zu läuten, daß ich aus Schrecken beinah ausm Bett g'fallen wär'?

Schneck. Ich bin's, Herr Bürgermeister.

Bürgermeister. Wer ist dieses unverschämte Ich?

Schneck. Der Nachtwachter is.

Bürgermeister. Was, Er ist es, Schneck? Was gibt's, was gibt's? Warum so früh eine Meldung? hätt's nit später auch Zeit g'habt?

Schneck. Nein, nein! Kommen Euer Gnaden nur herunter; ich hab was ungeheuer Wichtiges zu notiflixieren.

Bürgermeister. Wart Er nur, ich komme gleich hinab. (Macht das Fenster zu.)

Schneck. Sipperement, sipperement, das ist eine G'schicht! Ich weiß gar nit, wo mir mein Nachtwachterkopf steht.

Bürgermeister (im Schlafrock). Also schnell, was ist besonderes g'schehn? Aber hätt' Er nicht das Ratskollegium zuerst aufwecken können? warum mich aus meiner amtlichen Ruhe stören?

Schneck. Ich bin schon bei alle Ratsherrn g'wesen; aber der Herr Rat Faßlmayer hat's Podagra und kann nicht auf; der Rat Wurstmüller hat sich gestern, wie er vom Bier nach Haus gegangen ist, den Fuß überstaucht, weil er niederg'fallen ist; der Rat Grobhäusler ist im Kindbett, das heißt: seine Frau hat einen Buben kriegt; der kann nit aus'm Haus, und der Marktschreiber ist gar nit hier; der ist gestern nachmittags ins Gäu fort und noch nit wieder z'ruck. Er muß ein paar Kälber kaufen, weil er zum Kirchtag Würst braucht.

Bürgermeister. Das ist doch fatal, daß Gewerbe und andere Allotrias so oft mit den Amtsverpflichtungen kollidieren! Also schnell, was gibt's?

Schneck. Ja, Herr Bürgermeister! stellen S' Ihnen vor: wie ich da in der Zwielichten meinen letzten Nachtwachtergang mach und übern Markt geh, seh ich auf einmal einen furchtbar großen, schwarzen Klumpen ober mir in der Luft. Ich hab glaubt, es is der Teufel, und hab mich gleich unter ein Obstlerstandl versteckt. Pumps!

Bürgermeister (fährt zusammen). Erschreck Er mich doch nicht so!

Schneck. Pumps hat's tan, und wie ich hinschau, ist ein großer Vogel auf und davon g'flogen, und aufm Pflaster ist eine G'waltsfigur g'legen, die einen furchtbaren Seufzer getan hat.

Bürgermeister. Nun, und was weiter?

Schneck. Ich hab mich vor Ängsten gar nimmer auskennt und bin davong'loffen. Nachher, wie mir nach und nach Couragi wieder kommen ist, bin ich zu alle Ratsherrn rumg'rennt, nu, das wissen S' ja, und zuletzt hab ich Ihnen in meiner Todesangst aufgeweckt.

Bürgermeister. Allerdings ein furchtbares Ereignis, das unser gutes Städtlein betroffen hat! Da muß alles aufgeweckt werd'n. Der Stadttrommler soll gleich herumtrommeln und Alarm schlagen, der Stadt-Turmer soll blasen, was er kann und an den Glocken anschlagen; lauf Er auch gleich zum Spritzenmeister, daß die große Feuerspritzen ausruckt; man kann nicht wissen, was g'schieht. Ich will unterdessen meinen Amtsrock anziehn; dann hol Er mich wieder ab; denn unter solchen Umständen allein auszugehn, das könnt' gefährlich sein und wäre für den Bürgermeister auch nicht schicklich. So – jetzt lauf Er, was Er kann!

Schneck. Ich lauf schon! Wenn mich nur das Ungeheuer nit frißt. (Ab.)

(Bürgermeister geht ins Haus, unterdessen ist es Tag geworden. Bald darauf beginnt das Geläute vom Turme, und der Turmwächter stößt ins Horn, der Stadttrommler marschiert über die Bühne und trommelt; der Lärm wird immer ärger.)

Kasperl (läuft herein). Schlipperdibix! das ist a Metten, ich kenn mich gar nit aus! Zuerst hat mich der indianische Stockfisch übers Meer getragen; an der europäischen Küste, i weiß nit wie's dort heißt – bin ich ausg'stieg'n, eigentlich abgestiegen. Kaum hab ich ein bißl ausrasten wollen, denn mir war steinübel von der Seekrankheit, weil ich aufm Meer nix als Austern g'fress'n hab – so ist auf einmal ein ungeheurer Vogel herg'flogen, hat mich bei der Hosen packt und ist mit mir auf und davon, bis er mich vor einer halben Stund' mitten in das Stadtl aufs Pflaster niederg'setzt hat, daß alles kracht hat. Jetzt fragt sich's: wo bin ich? Ich hab mich vor lauter Überraschung nit umgeschaut, und der Höllenspektakel macht mich ja ganz konfus. Ah, da kommt der Trommler wieder, den will ich fragen. (Trommler nähert sich.) Heda, sind S' a bißl stad auf ein' Augenblick. Sag'n S' mir doch, was der Lärm bedeut't und wo ich bin?

Trommler. Da müssen S' den Spritzenmeister fragen oder den Nachtwachter. Nach'n Regl'ment muß ich's Maul halten, wenn ich in Dienst bin. (Trommelt weiter.)

Kasperl. Schlipperement! jetzt weiß ich soviel wie zuvor.

(Nachtwächter kommt, um den Bürgermeister von seinem Hause abzuholen.)

Kasperl. Heda! Guter Freund! Ich bitt Ihnen, sagen S' mir doch – – –

Schneck. Pst, pst! Ich muß den Herrn Bürgermeister abholen, und da darf i nix red'n, weil ich im Dienst bin.

Kasperl. Brav! das sind a mal verschwiegene Leut'! Das nennt man das Amtsgeheimnis halten.

(Bürgermeister kömmt mit dem Nachtwächter aus seinem Hause.)

Bürgermeister. Was ist da für ein verdächtiges Subjektum! Nachtwächter! gleich verarretieren! – Ei, was seh ich, das ist ja der Monsiö Kasperl! Wo kommen denn Sie wieder her aus der Fremd'?

Kasperl. Ah! Schnickerl, Schneckerl! Das ist ja der Herr Burgermeister Zipfelberger! Juhe! Juhe! Jetzt bin ich also wieder z'Haus und weiß net wie!

Bürgermeister. Die Madame Gretl hat schon sehr nach Ihnen geschmachtet, weil Sie so lang ausblieben sind. Die wär' vor Sehnsucht beinah g'storben.

Kasperl. Ei was? Da wär' ich lieber noch ein' halbe Stund' länger ausblieben!

Bürgermeister. Ja sag'n S': wo war'n S' denn die ganze Zeit über?

Kasperl. Auf der Wanderschaft weit hinten übers Meer. (Vornehm tuend.) Zuerst war ich Matrosenhauptmann auf einem zwölfpfünder Dreimasterdampfschiff, dann war ich Seegeschöpf und Meerungeheuer; hierauf Insulaner, Naturaliensammler und Bratlaspirant; sodann wieder Seefahrer und schließlich Luftfahrer, bis ich mich in meine liebe Vaterstadt per posteriorem wieder niedergelassen habe.

Bürgermeister. Aber nein! Also sind Sie das Ungeheuer, welches heute nacht auf dem Marktplatze niederfiel?

Kasperl. Dasjenige, welches nicht nur, sondern auch –

Schneck. Die ganze Stadt in Alarm versetzt hat?

Bürgermeister (zu Schneck). Das heißt, weil Er ein Hasenfuß ist! Es ist erschrecklich! was werden die Leut' von uns denken?

Kasperl. Vermutlich, was sie zuvor schon von dem hohen Magistrat gedacht haben: Nix Rar's!

Bürgermeister. Genug davon! Nachtwächter, jetzt geh Er und sag Er den Alarm wieder ab. Ich meinerseits will die Einwohnerschaft beruhigen. (Ab.)

Kasperl. Und ich werde die Sehnsucht meiner Gretl beruhigen, aber zuvor will ich auf die vielen Strapazen 'nauf meinem Gevattersmann, dem Wirt »Zum Blauen Bock« einen interessanten Besuch abstatten. Dieser ernste, bedeutungsvolle Gang ist mir vor allem von Wichtigkeit. Nachtwachter! und du gehst derweil zu meiner Gretl und bereitest sie auf die Rückkehr ihres getreuen Gatten vor. (Im Schauspielerton.) Sag ihr, ja sag ihr, wölchen unsöglichen Gefahren ich entgangen bin! sag ihr, wie mein gattliches Hörz ihr aus dem »Blauen Bock« entgegenschlögt! sag ihr, ihr sag, sag ihr, ihr sag, wie ich zittere und ziböbe im Hinblick auf den Rückblick des Wiederblicks unseres zörtlichen Wüdersehens und der Umschlingung der weitausgebreiteten Umspannung der liebenden Arme treuer verhältnismäßiger Gattenliebe und öhlicher Umstände. Oh, sag ihr – – –

Schneck. Hör auf, Kasperl, das kann ich mir ja nit alles merken. Weißt was? ich geh mit dir ins Wirtshäusl; da kannst mir's besser explizieren, nachher gehen wir miteinander zu deiner Gretl, und die muß uns ein' Kaffee machen.

Kasperl. Einen Kaffee machen, sehr Kaffee mit einigen Brezeln und sonst noch was zum Eintunken. Juhe! Jetzt bin ich wieder z'Haus! Übers Meer mag ich nimmer, ich bleib ein ruhiger Staatsbürger und nähre mich redlich.

(Der Vorhang fällt.)

Ende des Stückes


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