Franz von Pocci
Kasperl unter den Wilden
Franz von Pocci

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Erster Aufzug

Afrikanische Inselgegend, im Hintergrunde das Meer.

Während der Ouvertüre, welche eine stürmische Musik sein muß, geht der Vorhang auf. Furchtbarer Sturm, Blitz und Donner. Ein Schiff wird auf den Wogen hin- und hergetrieben. Es schlägt ins Schiff ein, welches verbrennt und untergeht. Kasperl schwimmt auf den Wellen und steigt ans Ufer, während das Gewitter allmählich aufhört.

Kasperl. Na, da dank ich g'horsamst! Die Wasserpartie soll der Guckuck holen! Wie mir nur eingefallen ist, nach Amerika ausz'wandern? Ja richtig! weil mich mein Gretl so plagt und schikaniert hat. Eigentlich aber kann ich doch nix dafür; denn wie ich beim »Grünen Baum« am Hafen auf und ab gangen bin und schon wieder hab umkehren wollen, hat mich ein Schiffskapitän beim Kragen packt und hat mir auf Englisch, was i aber nit verstanden hab, g'sagt: »Ju, ju, most werden Matroserl, ei nimm ju auf mei Schipp!« I hab g'meint, des »ju« bedeut't »Juhe« und bin glei mitgangen, weil ich mir dacht hab, da werd's lustig hergehn. Auweh zwick! Das ist aber bald anders word'n. Zuerst haben s' mir freilich ein prächtigen Likör geben un ein Pfund Schinken und eine Portion gerösteten Walfisch und zwölf Haring, und da hab ich ein' Rausch kriegt; ich weiß nimmer, war's der Walfisch oder der Branntwein, der mir in Kopf g'stiegen ist – kurz wie ich wieder von meinem Dusl aufg'wacht bin, da hat der Kapitän schon mit einer Stangen in die See g'stochen g'habt, und ich war unter die Matrosen gepreßt , daß mir's Hören und Sehn vergangen ist. Ja, das glaubt kein Mensch, was so eine Matrosenpresserei fürchterlich ist! Von allen Seiten wird man gedruckt. Na, da sind wir halt so fortg'fahren, oben blau, unten blau, nix als Himmel und Wasser, und wir mittendrein; mir ist's ganz blau vor die Augen word'n und englische Prügel hab ich auch genug kriegt, die tun grad so weh wie die boarischen. Endlich, nach mehreren Tagen, ist heut das Donnerwetter kommen, als wenn d' Welt untergehn wollt und wir alle samt'n Schiff. Ein Blitz, ein Schlag – jetzt war's vorbei; Gott sei Dank, hätt' ich net 's Schwimmen g'lernt, wie 's mich amal aus'n Wirtshaus ins Wasser g'worfen haben, so hätten mich ohne Zweifel die Wellen des Ozeans verschlungen; – doch hier bin ich gerettet – aber pudelnaß wie aus'n Faß!

Grausames Geschick oder eigentlich Ungeschick; denn das ist doch eine Ungeschicklichkeit, wenn man so mir nix, dir nix von den Wellen an ein unbekanntes Land geworfen wird! Ha, Verzweiflung! Denn da wird's schwerlich ein Wirtshäusel geben, die Gegend sieht mir nicht darnach aus! Auweh! da kommt schon ein ausgestopftes Krokodil auf mich losmarschiert! Ich mach mich aus'm Staub. (Läuft hinaus.)

(Ein Krokodil marschiert über die Bühne, einige Papageien fliegen hin und her. Zwei Wilde kommen von verschiedenen Seiten herein.)

Erster Wilder (mit Pfeil und Bogen). Kro, kro!

Zweiter Wilder (mit einer Lanze). Pu, pu, pu!

Erster Wilder. Mumulibutzili, Krokodili!

Zweiter Wilder. Schissi, schissi, stechi, stechi!

Erster Wilder. Wuliwulipumdara.

Zweiter Wilder. Hungerli, nix fressi ganzi Tagi.

Erster Wilder. Ja, Diaboliverflixti.

Zweiter Wilder. Muri, schnuri, prdibixti!

Erster Wilder. Kokolimu, kokalimu.

Zweiter Wilder. Mu, mu! (Beide ab.)

(Professor Gerstlmaier wie Robinson mit einer Schürze von Palmblättern und einem großen roten Parapluie.)

Gerstlmaier. Nun lebe ich schon ein Jahr auf dieser einsamen Insel unter dem achtundvierzigsten Grade südlicher Breite und widme mich unablässig dem Studium der Naturwissenschaft. Dank dem Zufall, daß mich die wilden Einwohner für ein höheres Wesen ansehen und als solches verehren, sonst hätten sie mich längst gefressen. Allein das ist ja der Vorteil der Männer der Wissenschaft, daß sie stets von einem verklärenden Nebeldunste umhüllt sind und von den Laien im allgemeinen, im vorliegenden Falle in specie von den Menschenfressern, als Halbgötter angesehen werden müssen! Noch bin ich aber mit meinen Forschungen nicht zu Ende; unerachtet der genauesten mikroskopischen Beobachtungen gelang es mir noch nicht zu entdecken, ob die Exkremente der Sepia annulata aus rein animalischen oder vegetabilischen Atomen bestehen, worüber ich bereits am achthundertsten Bogen einer ausführlichen Abhandlung arbeite.

Noch ein paar Monate, und der preußische Dampfer »Windebötel«, der mich hier auf Staatskosten ausgesetzt, wird mich wieder abholen. Es bleibt mir also nur noch kurze Zeit für meine Forschung.

Wie dem auch sei, jedenfalls kehre ich, reich an Erfahrungen, mit einer Sammlung von 40 000 naturwissenschaftlichen Objekten nach Europa zurück. – Ei! was seh ich da kommen? Eine Art Papagei? Ein Psittacus formosus? Die Spezies scheint mir neu. Ich will mich etwas verbergen und beobachten. (Versteckt sich.)

Kasperl (tritt ein). Schlapperdibix! das ist ja eine miserable Landschaft! Kein Wirtshaus weit und breit! Keine menschliche Seel'! Nix als Affen, Papperln und sonstige Menagerievieher! Das ist ja zum Verhungern. Hätt' ich nit a paar Schnecken g'funden – leider ohne Sauerkraut! –, so wär ich schon hin! Mein Magen kommt mir jetzt schon vor wie ein leerer Tabaksbeutel; mein Unterleib ist schon so eing'schrumpft, daß ich gar nimmer weiß, ob ich jemals einen Bauch g'habt hab! Ja, was wär' denn das? – der Kasperl ist doch nit zum Hungern und Dursten auf der Welt! Ha – Schreckenszeit! Und wie komm' ich denn wieder fort und nach Haus zu meiner Gretl! Ringsrum Wasser und nix als Wasser! Wenn's nur wenigstens Bier wär'; allein dieses heimatliche Getränk scheint hier gänzlich unbekannt zu sein.

Mich kommt schier die Verzweiflung an! Auweh, auweh! wenn ich verhungern müßt' – nein, das hielt' ich nit aus, da ging' ich eher zugrund! (Weint.)

Gerstlmaier (springt hervor und packt den Kasperl). Halt, du entkommst mir nicht.

Kasperl. Herrjemini! was ist denn das?

Gerstlmaier (Kasperl festhaltend). Ein herrliches Exemplar.

Kasperl. Lassen S' aus, oder ich schlag aus!

Gerstlmaier. Ah, ich habe mich geirrt: Psittacus garrulus. Nur stillgehalten, Freundchen, bis ich dir die Flügel ein wenig gestutzt, damit du mir nicht mehr entkommst.

Kasperl. Was fallt denn Ihnen ein? Flügelstutzen? Ich bin ja kein Vogel.

Gerstlmaier. Das muß ich, als Gelehrter, besser wissen, wer du bist und zu welcher Spezies du gehörst.

Kasperl. Nix Spezies, ich bedank mich für den Spezi, der mich stutzen will. Nix stutzen und nix duzen, heißt's bei uns zwei! Verstanden!

Gerstlmaier. Nun, du scheinst mir ein zahmes Exemplar, das vielleicht schon europäische Bildung genossen hat und wieder übers Meer hiehergeflogen ist.

Kasperl. Bildung hab ich nicht genossen, aber Bratwürsteln und Blauskraut genug; nur hierzuland heißt's Hunger leiden. Jetzt aber, wie kommen denn Sie daher in die abgelegene Insel; ich bin wirklich froh, daß ich eine menschliche Physionomie seh, obschon Sie wie a Narr ausschaun.

Gerstlmaier. Es ist die Frage, wer der Narr ist. Er ist also wirklich kein Papagei?

Kasperl. Wär' nit übel! Ich bin nicht nur kein Papagei, sondern der Kasperl Larifari, pensioniertes Mitglied der europäischen Völkerwanderung und untergegangener Schiffsmatrose außer Dienst, nebenbei Privatier und Stiefelputzer, also, wenn S' mich als Bedienten brauchen können oder was, so steh ich zu Diensten, aber ich seh mehr auf gute Kost als auf schlechte Behandlung und Arbeit – so jetzt wissen S' alles, was S' zu wissen brauchen, und überhaupt, wenn Sie ein ordentlicher Gelehrter sein wollen, so geben S' mir a Maß Bier als Drangeld.

Gerstlmaier. Gut, gut – genug des Geplappers, drolliger Psittacus. Ich will dich in meine Dienste nehmen, denn ich werde dich wohl brauchen können in meiner Höhle.

Kasperl. Was in der Höll'? Nein, ich dank, da drin mag ich nix zu tun haben, da is der Teufel und sein' Großmutter!

Gerstlmaier. Es ist ja nur eine Felsenhöhle, in der ich wohne und meine Sammlung von Naturalien aufbewahre.

Kasperl. So? Kapitalien hab'n S', das laß ich mir g'fall'n; bei einem Kapitalisten mag ich schon Budienter sein, da fallt bisweilen was ab.

Gerstlmaier. So sind wir einig. Ich bin dein Herr und du bist mein Diener.

Kasperl. Ja, ich bin von nun an Ihr Kammerdiener oder vielmehr Ihr Höhlendiener, weil Sie keine Kammer zu busitzen scheinen tun.

Gerstlmaier. Ich werde alles redlich mit dir teilen, obgleich die Bissen auf dieser Insel oft ziemlich schmal sind.

Kasperl. Und ich werde auch alles redlich mit Ihnen teilen, besonders weil ich nix hab; denn sonst tät ich's selber b'halten.

Gerstlmaier. Nun kannst du gleich deinen Dienst antreten. Bleibe hier und warte, bis ich von meinem wissenschaftlichen Spaziergang zurückkehre; dann sollst du etwa meine Beute heimtragen.

Kasperl. Wenn Sie einen Beutel haben, in welchem sich Geld bufindet, so können S' mir'n lieber gleich jetzt geben.

Gerstlmaier. Bleibe nur hier; sollten sich Einwohner dieser Insel nähern, so verstecke dich; denn du wärst verloren, im Falle sie dich entdecken würden.

Kasperl. Gehn S' nur zu, ich gib schon acht auf mich.

(Gerstlmaier geht ab.)

Kasperl. Das hab ich schon wieder g'merkt: des ist halt auch so ein gelehrter Hungerleider, wie mir's z'Haus g'nug haben. Die sind überall z'finden, sogar auf dieser Insel, da muß so einer rumlaufen. Aber jetzt will ich ein bißl ausrasten, des warme Klima tut mir gar nit gut; denn ich hab schon einen Schlaf, als wenn ich 12 Maß Bier getrunken hätt. (Setzt sich an einen Baum gelehnt.) So – ah! da liegt man gar nicht übel auf dem indianischen Moos, so weich wie – im – Feder – bett. (Schläft ein.)

(Die beiden Wilden schleichen herbei.)

Erster Wilder. Kro, kro, kro!

Zweiter Wilder. Pu, pu!

Erster Wilder. Witzliwuzi.

Zweiter Wilder. Wuziwitzli.

Erster Wilder. Stritzliwixi.

Zweiter Wilder. Karamalomilapitschipatschiwatschi!

Erster Wilder. Witschiwatschi!

(Die Wilden fallen mit Geschrei über Kasperl her.

Kasperl. Auweh, auweh, die Menschenfresser! Herr Professor, kommen S' mir zu Hülf'! Auweh! auweh!

Erster Wilder. Fressifraßi!

Zweiter Wilder. Gutibissi!

Erster Wilder. Spißibrati!

Zweiter Wilder. Kro, kro, kro!

(Die Wilden schleppen Kasperl hinter die Szene, mittlerweile kömmt das Krokodil wieder und singt folgende Arie:)

Krokodil.

Ich bin ein altes Krokodil
Und leb dahin ganz ruhig und still,
Bald in dem Wasser, bald zu Land
Am Ufer hier im warmen Sand.
Gemütlich ist mein Lebenslauf,
Was mir in' Weg kommt, freß ich auf,
Und mir ist es ganz einerlei,
In meinem Magen wird's zu Brei.
Schon hundert Jahre leb ich jetzt,
Und wenn ich sterben muß zuletzt,
Leg ich mich ruhig ins Schilf hinein
Und sterb im Abendsonnenschein.
(Marschiert ab.)

Die Wilden (schieben eine Feuerstelle heraus mit flackernder Flamme, ein Bratspieß liegt darüber. Es kommen noch andere Wilde dazu; unter scheppernder Musik tanzen sie und singen folgenden Chor):

Spißi, Spaßi, Kasperladi,
Hicki, Hacki, Karbonadi,
Trenschi, Transchi, Apetiti,
Fressi, Frassi, Fetti, Fitti.

Schlicki, Schlucki Kasperlucki,
Dricki Drucki mamelucki,
Michi, Machi Kasperlores,
Spißi, Spaßi, Tscha kapores.

(Kasperl wird gebunden an Händen und Füßen herausgeschleppt.)

Kasperl. Auweh! auweh! Potz Schlipperment, das wird mir zu arg. Ich bin ja ein Mensch und kein Kalbsbratl. Hört's auf, ihr rabenschwarzen, verdächtigen Individuen! Hört's auf! – Ich gelobe, daß ich nie mehr eine Maß Bier trinken will, wenn ich diesmal ungerupft durchkomm!

Furchtbarer Donnerschlag, die Wilden laufen auseinander.
In den Wellen erscheint der

Meergott Neptun.

Ich habe deinen Schwur gehört,
Mit welchem Rettung du begehrt,
Sieh hier am Ufer den Delphin,
Er trägt dich übers Meer dahin.
Du kannst auf seinem Rücken schlafen,
Er bringt dich sicher in den Hafen.
Doch was du hast gelobet hier,
Den Schwur auch halt', und trink kein Bier.
Ich bin die Gottheit der Gewässer,
Das Wasser soll dir schmecken besser.
Dies sagt zu dir der Gott Neptun
Und kehrt zurück ins Wasser nun.
(Versinkt.)

Kasperl (befreit von seinen Banden). Adie, adie, ich bedank mich halt recht schön für meine Errettung aus den Händen und Rachen dieser menschenfleischappetitlichen, ungebildeten indianischen Wildlinge! (Für sich.) Aber ang'führt hab ich den Wassermayer doch! Ich hab g'schwor'n daß ich nicht eine Maß Bier mehr trink; ja freilich nicht eine, sondern möglichst mehrere, denn eine Maß hat mir ohnehin nie g'langt!

Nun, auf! in das teure Vaterland! Mutig wiI1 ich diesen ausländischen Karpfen besteigen und mich seiner Entführung anvertrauen! Leb wohl, schönes Eiland, auf dem ich aber keine Eierspeis gessen hab! Leb wohl, Naturforscher!

(Er besteigt den Delphin, welcher unter sanfter Musik mit ihm fortschwimmt; Gerstlmaier erscheint auf einem Hügel am Ufer und schaut durch ein großes Perspektiv dem Kasperl nach. – Der Vorhang fällt.)


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