Franz von Pocci
Der artesische Brunnen oder Kasperl bei den Leuwutschen
Franz von Pocci

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Erster Aufzug

Wirtsstube. Morgen.

Kasperl liegt schlafend auf der Ofenbank. Nanni tritt aus einer Seitentüre ein, ordnet und schafft in der Stube, ohne Kasperl zu bemerken.

Nanni. Seit die selige Mutter gestorben ist, hab ich gar keine Ruh' mehr. Ordentliche Kellnerinnen sind rar, und die unsrige sitzt auch lieber in der Kuchl bei die Knödl, als daß sie die Schenkstuben sauber halt. Wenn mich der Vater nur mein Hansl heiraten ließ! Wir könnten d' Wirtschaft übernehmen, und der Vater könnt' sich Ruh' gönnen. Wir wollten ihn gewiß gut halten. Aber es ist ein Kreuz und ein wahr's Herzleid, daß er mir den Hansl net leiden will und ist doch so a braver Bursch. Geld hat er freilich z'wenig und der Vater möcht' halt höher naus, und ich sollt' ein' reichen Burschen nehmen. Aber wenn's Gott will, kommen wir doch zusammen und an andern als 'n Hansl nimm i nit, dabei bleibt's. (Man pocht ans Fenster.) Was gibt's? Wer ist drauß?

Hansl (schaut herein). Mach auf, ich bin's.

Nanni. Ei du bist's! – Grüß Gott! Komm nur a bißl in d' Stuben rein; der Vater liegt ja noch im Bett wegen seines Rheumatismus an der großen Zehe. (Öffnet die Mitteltüre.)

Hansl (mit einem Rechen in der Hand). Da bin i, Herzensschatz. Ich hab mir denkt, weil i grad zum Eingrasen vorbeigeh; ich muß doch a bißl 'reinschaun.

Nanni. Des war amal a gescheiter Gedanken – und du weißt ja, dem Vatern kommst nie g'legen, dem wär's am liebsten, daß wir zwei gar nit z'samkämen.

Hansl. Freilich weiß ich's; aber wir bleiben doch beinand. Gelt, Nanni! ich mein's redlich und du bist auch brav; da kann kein Mensch was entgegen haben, und unser Herrgott wird uns schon helfen, daß wir doch einmal mitanand hausen.

Nanni. O mein Hansl! Vorderhand ist wenig Aussicht da. Ja, wenn du nur a bißl mehr Geld hättst, nachher hätt' der Vater g'wiß nix entgegen, aber so spitzt er auf den reichen Hofbauernsohn mit seine 20 000 Gulden.

Hansl. Was ist's denn ums Geld, wenn man sich nit mag? Und der Fleiß, der ist doch oft mehr wert, als der Reichtum.

Nanni. Der Vater meint halt: 's Geld und der Fleiß beisammen wär' noch besser und der Hofbauer-Michel wär' auch a braver Bursch.

Hansl. Da steht's freilich schlecht mit uns; aber halt nur aus, Nanni!

Nanni. Darauf kannst's rechnen, daß ich dir treu bleib und kein' andern nimm; lieber geh ich ins Kloster zu die Salesianerinnen.

Hansl. Nein! nein! das dürft' nit g'schehn!

Kasperl (plumpst von der Ofenbank auf den Boden herab). Hopsa! jetzt bin i aufgewacht

Nanni. Bist du auch wieder da, Kasperl? Und richtig, auf der Ofenbank geschlafen! Schäm dich! bist jetzt die ganze Nacht wieder da heraußen g'legen und net in deiner Stuben?

Kasperl (gähnend und sich reckend). Es ist ganz einerlei, wo, wie und warum der Mensch liegt; wenn er überhaupt nur liegt, da bekanntlich und auch nach ärztlicher Anordnung das Liegen sowohl dem Kranken, wie auch dem Gesunden eine äußerst gesunde und vorteilhafte Bewegung oder vielmehr Lage ist. Übrigens kann es der Jungfer Nanni sehr einerlei sein, wo und wie ich liege; denn gelegen ist gelegen und Gelegenheit ist Gelegenheit, wie ich eben bemerke, weil der Hansi schon in aller Fruh' da ist.

Nanni. Halt's Maul mit dei'm G'schwätz! In der Zechstuben soll niemand schlafen; d'rum hat jeder Dienstbot' sein Kammer. Verstanden? Vermutlich hast gestern abends wieder zu viel g'habt und bist gleich auf der Ofenbank eingeschlafen.

Kasperl. Und ich sag: in der Zechstuben soll nit in aller Fruh' schon ein Dechtlmechtl aufgeführt werden, während der Herr Wirt noch in seinem Federbett liegt.

Hansl. Im Vorbeigehn kann man immer ein bißl zusprechen. Das ist auch kein' Sünd'.

Kasperl. Oh, sprechen Sie nur zu, Moßiö Hansl! Meinerseits leg ich Ihnen nichts vor die Haustür.

Nanni. Jetzt sei a mal still. Geh 'naus in die Kuchl; da steht schon dein' Milchsuppen.

Kasperl. Und immer die Milchsuppen! Als ich noch im »Flügelkleide« war, pflegte ich Kaffee zu frühstücken.

Nanni. Und im »Flegelkleide« ist grad a Milchsuppen für dich recht.

Kasperl. Dieser Witz ist nicht schlecht. Also Milchsuppen! Ich gehe. (Ab.)

Hansl. Und ich geh auch, Nanni. 's is hohe Zeit, daß ich eingras' fürs Vieh. B'hüt dich Gott!

Nanni. So geh halt. Vielleicht kommst heut abend auf a Halbi. Geh, komm!

Hansl. Wenn's möglich ist – g'wiß! Adies. (Ab.)

Nanni (allein).

Wirt (ruft zur Seitentüre herein, in der Schlafmütze). Nannl! wie viel Uhr ist's, meine Uhr ist stehnblieben.

Nanni. Sechs Uhr. Gut'n Morgen, Vater!

Wirt. Herrgott, hab ich mich verschlafen! Aber mein' Zehe hat mich auch so zwickt. (Zieht sich zurück.)

Kasperl (ruft zur Türe herein). Nannl! – Nannl! Jetzt hab ich mich am Brunnen waschen wollen, und er lauft schon wieder nit.

Nanni. Nun – das weißt ja, daß das Wasser schon drei Tag ausbleibt. Es muß am Gumper fehlen.

Kasperl (tritt ein). Das ist eine verflixte G'schicht! Jetzt müssen wir schon drei Tag lang unser Wasser beim Müller holen! Mir ist's recht; ich muß mich halt ans Bier halten.

Nanni. Das g'schieht ohnedem.

Kasperl. Man muß sich den Verhältnissen und den Umständen fügen. Von mir aus kann der Brunnen laufen oder der Brunnen kann nicht laufen. Ich kann mich halt nicht waschen.

Nanni. Deine Gurgel, scheint's, kannst aber doch waschen, und ein ungewaschenes Maul hast ohnedem immer.

Kasperl. Das ist meine Sache, Mamsell Nanni. Gewaschen ist gewaschen.

Wirt (tritt ein). Das ist aber doch eine Malefizg'schicht. Jetzt hab ich mir ein Glas Wasser pumpen wollen – und hat der Brunnen wieder kein Wasser geben. Jetzt müssen wirs Wasser schon drei Tag fürs Vieh holen, für uns holen! Warum habt's 'n Veitl den Brunnenmacher noch net g'holt? Ich hab's schon gestern früh ang'schafft.

Kasperl. Der Veitl, der Brunnenmacher, hat sich den Fuß brochen, und es muß wo anders fehlen. Seit gestern ist's Wasser beim Nachbar auch ausgeblieben. Das macht das trockene Jahr und ist eine Straf' Gottes, wie der Herr Pfarrer am vorigen Sonntag gepredigt hat, weil die Wirt' so viel Wasser ins Bier schütten – –

Wirt. Daß dich der – – kurz und gut: Wasser muß her!

Terzett.

Kasperl. Der Brunnen gibt kein Wasser mehr.

Wirt. Und ich sag: Wasser, Wasser her!

Nanni. Die Zuber stehen alle leer.

Zu Drei:
Kasperl. Kein Wasser mehr!
Wirt. Nur Wasser her!
Nanni. Die Zuber leer!
fugato:
Kasperl. Mehr, mehr, mehr!
Wirt. Her, her, her!
Nanni. Leer, leer, leer!

Zu Drei: Wir haben halt kein Wasser mehr.

(Professor Zwiebelmaier mit einer ungeheuren Schlafmütze tritt gravitätisch ein.)

Zwiebelmaier (singt).

Gerad steig ich aus meinem Bette,
Und höre hier schon ein Terzette,
Wie kömmt's, daß ihr in aller Frühe
Schon brüllet wie im Stall die Kühe.

Wirt. Ei, guten Morgen Herr Professor?

Nanni. Sind Sie auch schon so früh auf?

Kasperl. Ich hab Ihnen die Stiefel noch nicht geputzt.

Zwiebelmaier. Einerlei! ich habe den schönen Morgen genießen wollen und meine metereologischen Beobachtungen fortsetzen, welche ich gestern begonnen habe.

Kasperl. Was sind denn das für Beobachtungen, die metreologischen G'schichten da?

Zwiebelmaier. Wißt Ihr denn nicht, daß ich seit 8 Jahren diesen ländlichen Wohnsitz bezogen, um den Druck der Atmosphäre zu berechnen und den Thermometerstand mit der Barometerhöhe differentialisch zu berechnen?

Kasperl. Donnerwetter, das ist mir zu hoch! Dem Kronometer mit dem Druck atmosphärisch, indifferentialisch – – –

Zwiebelmaier. Still! entweihe die Wissenschaft nicht. Guten Morgen, liebes Nannchen, wollten Sie mir nicht ein frisches Glas Wasser vom Brunnen holen?

Kasperl. Hat ihn schon!

Nanni. Ja, mein Gott! der Brunnen – – – der Brunnen – –.

Zwiebelmaier. Der Brunnen – was ist's mit dem Brunnen?

Wirt. Ja, denken S': die Fatalität! mein Brunnen gibt kein Wasser mehr, beim Nachbarn ist's auch ausblieben –

Kasperl. Und wie mir der Nachtwachter g'sagt hat, greift die Trockenheit um sich – bald wird das ganze Dorf kein Wasser haben. Es muß eine unterirdische Revolution ausgebrochen sein.

Zwiebelmaier. Wie? Ist es möglich? Allerdings war das ganze Jahr bisher sehr trocken und es mag sein, daß die Kapillarität der Erde etwa nicht genug Aufnahmsstoff hat, weil die gehörige Feuchtigkeit des Niederschlags gefehlt hat, oder nicht hinlänglich war.

Kasperl. Das ist sehr verständlich, zum Beispiel: Wenn einer Durst hat und geht mit dem Maßkrug an ein Faß, um sich Bier zu holen, das Faß lauft aber nicht, so ist das ein sicheres Zeichen, daß nix drin ist. Gerade so ist's jetzt: Wenn in der Erden unten kein Wasser ist, so lauft halt keines 'rauf und man muß sich ganz und gar ans Bier halten.

Wirt. Dumm's G'schwatz! A Wasser braucht man doch; und was tut man denn mit 'm Vieh? Dem wird man doch kein Bier geben?

Kasperl. O nein! Es gibt nit die wenigsten Viecher, die nur Bier trinken, z. B. der G'meindvorsteher oder Gutsverwaltet –

Wirt. Halt 's Maul! Du verstehst nix.

(Hinter der Szene: ungeheures Gebrüll der Ochsen und Kühe und Lärm aller Art.)

Hiesl (Knecht, stürzt herein). Helft's, helft's! Alles Vieh ist los vor lauter Durst! Seit gestern hat's kein Wasser mehr kriegt. Jetzt ist alles wie narrisch und hat sich von die Ketten losgemacht.

Wirt. Um Gottes willen! naus, naus! Helft's z'sammen, daß wir's wieder anhängen.

(Alle eilen hinaus bis auf Zwiebelmaier und Nanni.)

Nanni. O mein, o mein, Herr Professor? Das ist schon a Malhör, wenn's Vieh sich losmacht! Ich trau mir gar nit naus. Ich fürcht den schwarzen Stier; der ist gar so wild und stürzt einen gleich um.

Zwiebelmaier. Sie haben recht, liebe Nanni. Man soll sich unnützermaßen keiner Gefahr aussetzen, um nicht etwa unvorsichtigermaßen in ein Unglück zu geraten.

Nanni. Ich bin ohnedies schon unglücklich, ich brauch kein' bösen Stier mehr dazu.

Zwiebelmaier. Wie? Sie sind unglücklich? Ich wohne doch zu meinen naturhistorischen Forschungen schon vierzehn Tage bei Ihnen und habe nichts von Ihrem Unglück bemerkt.

Nanni. Das hätten S' doch bemerken können, daß ich und der Lenzelbauernhans uns einand gern haben?

Zwiebelmaier. Jawohl; aber das sich Gernhaben ist ja doch kein Unglück?

Nanni. Unter gewissen Umständen aber doch ein Unglück: wenn nichts draus wird.

Zwiebelmaier. »Nichts daraus wird?« – dies scheint mir so viel zu bedeuten, als ob Ihrer ehelichen Verbindung ein Hindernis entgegenstünde.

Nanni. Ja freilich, der Vater mag nicht, weil der Lenzl nicht g'nug Geld hat und weil der Vater für mich den reichen Hofbauernsohn möcht'.

Zwiebelmaier. Ei, ei, ei, das ist freilich eine böse Geschichte. (Besinnt sich.) Hm, hm, hm! – Da sollte man dem Hans Geld verschaffen können. Das wäre wohl das beste Mittel, dem Unglück abzuhelfen.

Nanni. Ja, wenn der Hans Geld hätt', da wär's dem Vater schon recht; denn gegen den Burschen hat er weiter nichts einzuwenden.

Zwiebelmaier. Holla! mir kömmt ein trefflicher Gedanke. Wenn dessen Ausführung gelänge, so wäre Ihnen geholfen. Wissen Sie was, Nannchen? Sorgen Sie, daß ich sobald als möglich Ihren Geliebten sprechen kann.

Nanni. Das ist leicht möglich; denn er mäht Klee gleich da draußen.

Zwiebelmaier. So kommen Sie; zeigen Sie mir den Ort. Ich will zum Hans gehen.

Nanni. Recht gern.

(Beide ab.)

Kasperl (tritt mit großen Schritten ein). So, jetzt wär' alles wieder in Richtigkeit. Das Vieh ist wieder angekettet und mit einigem sanften Prügeln beruhigt. Leider kann man's nicht überall so machen; denn die Menschen benehmen sich auch oft wie närrisch, und solang die Welt steht und solang's Menschen gibt, hört auch der Unsinn nicht auf. Da könnt' man was erzählen!

Lied.

        Geht man ein wenig nur herum,
So findet man gar vieles dumm;
Die Tiere sind nicht bloß im Stall,
Vielmehr auf Erden überall.
zugleich:
        Hm, hm, hm, hm, hm, hm, hm, hm,
        Das ist halt so ein gewisser Fall!

Oft meint der ein', er ist sehr g'scheit,
Wenn er am Gelde sich erfreut,
Er sperrt es ein für sich allein,
Gibt keinem nur ein Kreuzerlein!
zugleich:
        Hm, hm, hm, etc.
        Was mag ein solcher denn wohl sein?

Ein anderer lebt in Saus und Braus
Und wirft das Geld nur so hinaus
Für nichts und wieder nichts, bis er
Als armer Schlucker geht einher.
zugleich:
        Hm, hm, hm, etc.
        Ich frage Sie, wer ist denn der?

Ein Fräulein putzt sich früh und spät
Und spreizt sich, wo sie geht und steht,
Dabei kriegt sie ein altes G'sicht,
Was schon die ganze Stadt bespricht.
zugleich:
        Hm, hm, hm, etc.
        Das ist halt auch so eine G'schicht.

Die Kindergärten sind nicht schlecht,
Für g'wisse Frauen g'rade recht;
»Was solln die Frazen mich genier'n,
Ich geh lieber allein spazier'n.«
zugleich:
        Hm, hm, hm, etc.
        Ich will nicht weiter kritisieren,
zugleich:
        Hm, hm, hm, etc.
        Sonst könnt' ich mich kompromittieren.

(Macht sein Kompliment und geht pathetisch ab, während der Vorhang langsam fällt.)

Ende des ersten Aufzugs


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