Gottlieb Konrad Pfeffel
Biographie eines Pudels
Gottlieb Konrad Pfeffel

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Neuntes Kapitel

Ich floh in einen dichten Wald, und verbarg mich in eine hohle Eiche, nicht vor meinen Verfolgern, diese hatte ich nicht mehr zu fürchten, sondern vor der ganzen Welt, der ich auf ewig entsagen wollte. Ich beschloß, in dieser Wildnis unabhängig und unbemerkt als ein Einsiedler zu leben; allein ich vergaß in meinem Plane den Artikel des Proviants, und mein Magen erinnerte mich noch vor dem Einbruche der Nacht so gebieterisch daran, daß ich genötigt ward, meine Klause zu verlassen, um diesen Gedächtnisfehler wieder gut zu machen.

Ich drang immer tiefer ins Dickicht, und gelangte endlich auf einen kahlen Rasenplatz, der mir ein gar seltsames Schauspiel darbot. Dreißig bis vierzig Männer, Weiber und Kinder mit verbrannten Gesichtern und zerfetzten Kleidern von allen möglichen Editionen, waren um ein großes Feuer versammelt, an welchem gesotten, gebraten, gespielt und geschmaucht wurde. Ich legte in meinem Sinne Beschlag auf das Gerippe einer Gans, die ein altes Mütterchen mit einem Medusenkopfe an einem Spieße umdrehte, und näherte mich der hochansehnlichen Gesellschaft mit ehrerbietiger Schüchternheit.

Je, zum Teufel! So hallte mir plötzlich eine hohle Stimme entgegen, den Pudel sollt ich kennen. Ja, bei meiner armen Seele, er ists: Joli, Joli! kommen wir hier wieder zusammen? Da es mir nicht schwer fiel, in der Person des Redners, selbst nach einer vierjährigen Trennung, meinen ehemaligen Marionettenprinzipal zu erkennen, so legte ich ohne Bedenken das Inkognito ab, und machte ihm alle die Liebkosungen, die ich fähig hielt, das Andenken meiner Hedschra bei ihm zu vertilgen, und mir seine Protektion zu erwerben.

Meine Politik war überflüssig: der Histrio gab mir mein Bewillkommungskompliment mit Wucher zurück, und sprach zur Gesellschaft: Brüder, dieser Hund ist Goldes wert; er wird uns bei unsern Kreuzzügen die wichtigsten Dienste leisten. Er sprachs, und ergriff einen Hasen, der neben ihm lag, rief mich bei meinem Namen, und warf ihn, so weit er konnte, in eine Hecke. Mit der Schnelligkeit eines Falken, schoß ich darauf zu, brachte das Wildprett zurück, und legte es meinem Gebieter zu Füßen. Ein allgemeines Händeklatschen krönte meine Heldentat, und alle Zuschauer beeiferten sich um die Wette, mich ihrer Gastfreundschaft zu versichern.

Über der Mahlzeit wurde eine Expedition auf den folgenden Tag verabredet, und da ich hörte, daß die Landjunker und die Bauern, die meines Hasses so würdig waren, dabei hauptsächlich in Betrachtung kamen, so kützelte sich meine Mißanthropie an dem Gedanken, daß ich doch endlich auch einmal die unbekannte Wollust der Rache schmecken würde. Die Unternehmung wurde glücklich ausgeführt. Indes das alte Mütterchen mit dem Medusenkopfe einem jungen Gänsehirten eine schöne, reiche Braut weissagte, machte ich Jagd auf die Herde, und brachte meinem Prinzipal, der hinter einem Baume lauerte, in fünf Minuten drei Prisen, die er in seinen Schnappsack steckte.

Wenig Tage darauf wurde der Hühnerhof eines Burgherrn heimgesucht, und die Gesellschaft hatte meiner Geschicklichkeit ein paar Kapaunen und einen ausgemästeten Truthahn zu danken. Kurz, es verging beinahe keine Woche, da ich nicht mit neuen Lorbeern gekrönt in unser Standquartier zurückkam, und nicht nur von meinen Waffenbrüdern, sondern auch von unsern Damen mit Gunstbezeugungen überhäuft wurde.

Man legte mir den Zunamen Cartusche bei; man hielt mir eine Maitresse, man rechnete mich bei der Tafel für eine Person, der nicht etwa die verschmäheten Reste des Schmauses, sondern die fettesten Bissen zu Teil wurden. Meine Verdienste strahlten auf meinen Herrn zurück, und als das Haupt unsrer Bande an einem nicht ganz natürlichen Steckflusse starb, ward er einmütig zu seinem Nachfolger erwählt. Mit einem Worte, nie hat ein Pudel in höhern Ehren und in einem bessern Futter gestanden, als ich in den acht Monaten, die ich als Adjutant eines Zigeunerhauptmanns verlebte. Auch vergaß ich in meiner Herrlichkeit alle meine Freunde und Feinde, nur das einzige Lieschen konnte ich mir nicht aus dem Sinne schlagen, und es träumte mir oft, als ob ich dem lieben Kinde die Hand lecken wollte, aber mit einem mitleidig traurigen Blicke von ihr abgewiesen würde.

Zehntes Kapitel

Unsere Streifereien brachten endlich die Justiz gegen uns in Harnisch, und die benachbarten Herrschaften vereinigten sich in der Stille, um unsern Wald zu umzingeln, und ein allgemeines Treibjagen gegen uns anzustellen.

Wie groß war unsere Bestürzung, als an einem schönen Morgen aus allen Ecken des Forstes Truppen und bewaffnete Bauern auf unser Standlager losstürmten. Die mutigsten unsrer Spießgesellen setzten sich zur Wehr, die übrigen suchten zu entwischen, und wurden größtenteils mit den Weibern und Kindern gefangen. So viel konnte ich mit flüchtigem Auge aus der Ferne bemerken; denn ich muß bekennen, daß ich bei der ersten Salve für rätlich fand, mich in das innere Gehölze zurückzuziehen. Ich hielt mich bereits für geborgen, als ein Bauer, der in mir vermutlich den rechten Arm des Generals erkannte, mir eine Ladung Hagel nachschickte, die verschiedene blutige Merkmale auf meinem Felle zurückließ. Zum Glück blieben meine vier Beine unversehrt und leisteten mir so treffliche Dienste, daß ich in wenig Minuten, ferne vom Schlachtgetümmel, eine Felsenhöhle erreichte, die wohl eher einem Wolfe zum Raubneste diente, und nun meine Bußzelle, wo nicht gar mein Grab werden sollte.

Ich überließ mich den traurigsten Betrachtungen, und hatte volle Zeit, ihnen nachzuhängen, weil meine Wunden mich über acht Tage in einer so harten Gefangenschaft hielten, daß ich mich bloß von den Schwämmen, die in meiner Grotte wuchsen, und von den Schnecken nähren mußte, die an ihrem Eingange vorüberkrochen.

Endlich konnte ich mein Siechbette verlassen, und mein Brot wieder in der weiten Welt suchen; allein es war, als ob das Brandmal der Ächtung mir auf der Stirne stünde. Ich schweifte sechs Wochen in der Irre herum, bot mich einem Leiermann, einem Kesselflicker, und einem Scherenschleifer zum Leibeigenen an, ohne mehr als einen augenblicklichen Unterhalt bei ihnen zu finden.

Ich war so tief gesunken, daß ich mich in die Werkstätte meines Nagelschmidts zurückwünschte, und sie gewiß aufgesucht haben würde, wenn nicht meine Wanderungen mich ferne von den Ufern der Elbe bis an den Ursprung des Isters hinausgeschleudert hätten. Es blieb mir also nichts übrig, als mich dem Strome des Zufalls zu überlassen, der mich eines Tages vor ein prächtiges Kloster führte, an dessen Pforte ein Laienbruder die sogenannte Bettelsuppe austeilte.

Ein ganzer Rudel von zerlumpten Gästen drängte sich hinzu, und ich wagte es, mich unter die Postulanten zu mischen. Ich bemerkte unter ihnen die Bettel mit dem Medusenkopfe, die mich immer vorzüglich begünstigt und sich kurz vor unserer Niederlage von der Gesellschaft verloren hatte; sie war es, die mir meine Leda, so hieß meine Maitresse, in die Arme führte, und den galanten Einfall hatte, mich für sie springen zu lehren. Nun hatte sie das Amt einer Sybille, mit dem einer Betschwester vertauscht, das sie durch einen ungeheuren Rosenkranz beurkundete, und als eine ehemalige Pfaffenköchin meisterhaft ausübte. Ich flehete sie demütig um Schutz an. Ei, willkomm lieber Joli, sagte sie, indem sie mich streichelte, und mir ein Stück Bettelbrot reichte.

Die Umstehenden murrten über diese Entweihung des Klostergutes, und verklagten sie bei dem schwarzen Truchsesse. Ihr wißt nicht, ehrwürdiger Bruder, sagte sie zu diesem, was das für ein verständiger Pudel ist. Beschafft mir gleich eine Audienz bei seiner Hochwürden, Euere Gefälligkeit soll Euch nicht gereuen. Sie sprach in einem so zuversichtlichen Tone, daß der Halbmönch kein Bedenken trug, ihr zu willfahren. Er kam mit einem günstigen Bescheid zurück, und ich wurde mit dem Mütterchen vor den Abt geführt, der ein dicker, schwerhöriger Bonze war. Die alte Hexe küßte den Saum seiner Kutte, und überreichte mich ihm als einen Tribut ihrer frommen Ehrfurcht. Zu gleicher Zeit ließ sie mich meine Künste machen, die ihr alle bekannt waren, und mehr als einmal das Zwerchfell des infulierten Faultiers erschütterten.

Zum Beschlusse hielt sie mir ihren Pilgerstab vor, und nachdem ich für den Kaiser gesprungen war, befahl sie mir auch, ich weiß nicht, ob aus Mutwillen, oder aus alter Gewohnheit, für Leda zu springen. Ich tat es mit bewunderungswürdiger Behendigkeit; der Prälat, der Vater Beda hieß, verstund das Weib unrecht, und glaubte, die Kapriole gelte Seiner Hochwürden. Nun war mein Glück gemacht; er nickte mir seinen gnädigen Beifall zu, beschenkte das Mütterchen mit einem Gulden und einem Amulette, und empfahl mich der Obsorge des Bruder Kochs, welcher nicht ermangelte, mir eine so reiche Portion vorzusetzen, daß ich, der ich Tages zuvor Gefahr lief, Hungers zu sterben, itzt beinahe an einer Indigestion zerplatzt wäre.

Eilftes Kapitel

Mein Glückswechsel hatte auch einen wohltätigen Einfluß auf meine Duenna. Seine Hochwürden befahlen, ihr wöchentlich einen Batzen und ein Roggenbrot zu reichen, und ich versäumte keine Gelegenheit, ihr meinen Dank durch die wärmsten Liebkosungen zu bezeugen. Mein Prälat ließ mich nicht von seiner Seite; Weizenbrot und Roßbiff waren meine gewöhnliche Nahrung, und der gutherzige Mann beklagte es oft, daß ich ihm nicht mit seinem Niersteiner Bescheid tun konnte. So oft wir fremde Gäste hatten, und dieses geschah beinahe täglich, mußte ich die Gesellschaft beim Nachtische mit meinen Gaukeleien belustigen, und die Szene jedesmal mit einem Luftsprunge für Vater Beda beschließen. So verstrich mir abermal ein Jährchen in Hülle und Fülle, und da ich meinen hohen Prinzipal täglich zu Chore begleitete, so setzte ich mich dadurch in einen Geruch der Heiligkeit, der meinem Glücke eine ewige Dauer zu versprechen schien; allein ich war bestimmt, ein Spielball seiner Laune zu sein.

Am Namensfeste Sr. Hochwürden, das durch ein prächtiges Bankett gefeiert wurde, besuchte ihn auch eine alte Äbtissin aus der Nachbarschaft, und begleitete ihren Glückwunsch mit dem Geschenke eines kleinen niedlichen Windspiels, das selbst der große Friedrich nicht verschmähet hätte. Eine Galanterie von einer so ehrwürdigen Hand konnte meinem Prälaten nicht anders als höchst willkommen sein, da aber mein neuer Rival nichts gelernt hatte, als sich krümmen und schmiegen, so blieb ich noch eine Zeitlang am Brett, und hatte bloß die Kränkung, mit ihm die Leckerbissen teilen zu müssen, die bisher meine ausschließende Kompetenz gewesen waren.

Nach und nach aber erfrechte sich der eingedrungene Speichellecker, mich von meinen Schüsseln zu verdrängen; hieraus entstunden mancherlei kleine Fehden, wobei ich zwar immer die Oberhand, aber auch immer unrecht behielt. Die Reliquien eines Fasans, die der unverschämte Günstling mir entreißen wollte, machten meiner Geduld ein Ende. Ich behauptete mein Seniorat mit so vielem Nachdrucke, daß Prinz Zephyr, so hieß mein Gegner, über dem Wortwechsel ein Ohr dahinten ließ, und mit gräßlichem Geheule sich unter die Kutte Sr. Hochwürden flüchtete.

Nun war mir der Stab gebrochen; Beda zitterte vor Zorn, gab mir seines Zipperleins uneingedenk ein paar kräftige Tritte, und wälzte schon wirklich mein Todesurteil von den Lippen, als ein fahrender Poet, der ihm in Hexametern einen Zehrpfenning gefordert, und, weil er ihn heiliger Vater nannte, einen Platz an der Tafel erhalten hatte, Seine Heiligkeit ersuchte, mich ihm zu überlassen.

Der rachgierige Prälat glaubte mich nicht härter bestrafen zu können, als wenn er mich dem Meistersänger schenkte, dessen hohle Backen und polyphemischer Appetit mir einen langsamen Hungertod prophezeiten. Er bewilligte dem Supplikanten seine Bitte, und kaum hatte dieser seinen Götterschmaus mit einem Gläschen Marasquino beschlossen, so mußte ich mein Exil antreten, und eine Freistätte verlassen, in welcher ich die ruhigsten Tage meines Lebens zugebracht hatte.


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