Gottlieb Konrad Pfeffel
Biographie eines Pudels
Gottlieb Konrad Pfeffel

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Fünftes Kapitel

Ich setzte über Zäune und Gräben, und sah mich nicht eher um, als bis ich mich in einem Hohlwege befand, aus dem ich nichts mehr als die Spitze des Schloßturmes erblicken konnte. Hier legte ich mich an einer Quelle nieder, und kühlte meine lechzende Zunge mit einem Labetrunk.

Von Müdigkeit, und noch mehr, von der ausgestandenen Todesangst erschöpft, sank ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst am hohen Mittage durch einen reisenden Handwerksburschen aufgeschreckt wurde, der sich bei der Quelle niederwarf, um seine dürftige Mahlzeit zu halten. Er zog ein Kreuzerbrot und ein Stück Käse aus der Tasche, und erregte dadurch meinen Appetit. Ich setzte mich auf meine Hinterkeulen, und bat mich so demütig bei ihm zu Gaste, daß er sich keinen Augenblick bedachte, seine kalte Küche mit mir zu teilen.

Da jeder Weg mir recht war, der meine Flucht begünstigte so drang ich mich meinem neuen Wohltäter zum Reisegefährten auf. Denn ungeachtet die Geographie keinen Teil meiner gelehrten Erziehung ausgemacht hatte, so sah ich doch gar wohl ein, daß seine Marschroute mich immer weiter von der furchtbaren Burg meines Tyrannen entfernte. Unter Weges benutzte ich jeden Anlaß, um dem guten Kerl gefällig zu sein: der Wind warf ihm seinen Hut vom Kopfe, ich hob ihn wieder von der Erde auf, und präsentierte ihm denselben mit einem so guten Anstande, daß er von nun an ein Finanzprojekt auf meine Talente gründete. Zu diesem Ende drehete er so lange an dem Vorlegeschlosse meines Halsbandes, daß es ihm endlich gelang mich von diesem aristokratischen Schmucke zu befreien. Ich bezeugte ihm meinen Dank durch einen Purzelbaum, den selbst Monsieur Lafleur beklatscht haben würde, und konnte nicht aufhören, mich zu schütteln, und, gleich einem Missetäter, der vom Pranger befreit wird, die Angeln meines Nackens in Bewegung zu setzen. Mein Kompan warf das Halsband in eine Pfütze, doch nicht ohne zuvor die Inschrift gelesen und sich meinen Namen gemerkt zu haben.

Ungefähr sechs Tage waren wir ganz traulich miteinander fortgepilgert, als wir ohne weiteres Abenteuer die Stadt Dresden erreichten. Es war Mittag: die Schornsteine rauchten, und aus dem Küchenfenster eines stattlichen Gasthofes duftete uns ein so süßer Geruch entgegen, daß wir beide zu gleicher Zeit einen mächtigen Hang verspürten, dieses Laboratorium des Wohllebens näher zu besichtigen.

Wir wanderten gerades Wegs in die Küche, wo wir den Sohn des Wirts, einen rüstigen Jüngling von achtzehn Jahren, in voller Arbeit antrafen, einen ungeheuern Truthahn vom Spieße zu ziehen. Mein Gefährte bot mich, ohne weiters, dem jungen Menschen zum Verkauf an, und ließ mich, um seine Ware anzupreisen, einige meiner Kunststücke machen, die er mir unterwegs abgelauscht hatte. Der Handel war noch nicht geschlossen, als der Wirt in die Küche trat. Mein Spießgeselle vergaß den Hut vor ihm abzunehmen; mit der Behendigkeit eines Vogels schwang ich mich empor, und riß ihm den Deckel vom Kopfe. Dieser Zug meiner feinen Lebensart entschied mein Schicksal. Der Wirt erhandelte mich für einen harten Taler, gab meinem Begleiter noch ein Stück kalten Braten in den Kauf, und warf mir zum Willkomm die abgeschälten Überbleibsel einer Schöpsenkeule vor, die ich mir trefflich schmecken ließ.

In wenig Tagen vergaß ich meine ausgestandenen Drangsale, und meine lockige Hülle, die mir während meiner Wanderschaft sehr weit geworden war, begonnte sich allmählich wieder auszufüllen. Ich bot all mein Genie auf, um mich bei meiner neuen Herrschaft in Gunst zu setzen, und war in wenig Wochen der Hahn im Korbe.

Sechstes Kapitel

Zum zweitenmal ließ ich mich durch mein Glück verblenden. Nicht zufrieden mit den Emolumenten der Küche, und mit den leckern Resten der Wirtstafel, geriet ich einst in die schwere Versuchung, einen prächtigen Karpfen vom Roste wegzufischen. Einige Augenblicke bekämpfte ich zwar diesen leichtfertigen Einfall; es war mir aber nicht möglich, meiner Lüsternheit zu widerstehen, und ich war im vollen Genusse der verbotnen Frucht begriffen, als mein Herr mich auf der Tat ertappte.

Mit schäumender Wut ergriff er einen Bratspieß, und drosch damit so unbarmherzig auf mich los, daß, wenn sein Sohn mir nicht zu Hilfe geeilt wäre, ich meine Naschhaftigkeit mit meinem Leben gebüßt haben würde. Indessen wurde ich, zur innigen Freude eines im Hofe angeketteten Pommers, mit Schimpf und Schande zum Gasthofe hinausgepeitscht, und das sämtliche Gesinde bekam den strengsten Befehl, mich unter keinem Vorwande wieder über die Schwelle zu lassen.

Mit schwerem Herzen und gesenktem Kopfe, wie ein reuiger Sünder, verließ ich eine Stadt, wo so mancher meiner Brüder meinen Wohlstand beneidet hatte, und beschloß, meine Schmach in einem einsamen Winkel zu verbergen. Der Zufall, oder vielmehr die unsichtbare Hand der Rache beförderte meinen Vorsatz. Sie führte mich in einem armseligen Dörfchen vor die Hütte eines Nagelschmidts, der mit seinem Weibe auf einer Bank saß, und sein Vesperbrot verzehrte. Indem ich nun vor ihn trat, und ohne Umschweif um eine Zehrung supplizierte, sagte der russigte Zyklope zu seiner Hälfte: Sieh einmal, Hanne, den vierschrötigen Pudel an. Der könnte uns, Gott straf mich, unsern seligen Spitz ersetzen. Hast recht, antwortete das Weib; allein er mag wohl schon seinen Herrn haben. Ei was! versetzte der Caspar, wir wollen ihn indessen immer behalten. Hiemit reichte er mir ein Stück von seinem Gerstenbrote zum Handgelde; die Frau holte einen Strick aus der Stube, und ehe ich michs versah, war ich in der Werkstätte angebunden.

Sobald der Mann an die Arbeit zurückkehrte, stellte er mich in ein Rad, in welchem ich immer vorwärts gehen, und so den Blasebalg treiben mußte. Anfänglich wollte ich zwar protestieren; allein Meister Caspar versetzte mir mit dem Hammerstiel ein paar so derbe Hiebe, daß ich ohne weiters meinen Beruf erkannte, und vermöge meiner natürlichen Gelehrigkeit, unter dem Namen Mohr, meinen Vorgänger, den seligen Spitz, in kurzem noch übertraf. Nun führte ich im genauesten Verstande das Leben eines Galeerensklaven: vom Morgen bis auf den Abend trieb ich mein Rad, und um meine Kräfte zu ersetzen, wurde mir Habergrütze und Gerstenbrot aufgetischt. In meinen Feierstunden mußte ich einen sechsjährigen Buben meines Meisters auf mir reiten lassen, und wenn ich mein Mißvergnügen durch Plefzen oder Schnappen an den Tag legte, wurde ich mit Prügeln zum Gehorsam verwiesen.

Sechs Wochen harrte ich in diesem Ofen der Trübsal aus; endlich aber ward meine Geduld erschöpft. An einem Sonntage, da das Ehepaar sich nach der Kirche begeben, und mich mit meinem kleinen Henker in die Stube gesperrt hatte, übermannte mich die Verzweiflung. Ich bahnte mir mit dem Kopfe einen Weg durch ein Fenster, das nach der Straße ging, und raffte den ganzen schwachen Überrest meiner Kräfte zusammen, um meinem Zuchthause zu entfliehen.

Indessen wäre es meinem Zwingherrn leicht gewesen, mich einzufangen, wenn er meine Flucht hätte ahnen können. Ich hatte in meinem verwünschten Rade das Laufen verlernt, und erst nach einer Stunde erlangte ich den freien Gebrauch meiner Beine wieder, die mich in einem scharfen Trabe nach einem Meierhofe trugen, wo meine spektralische Gestalt hinreichte, um mir bei dem gutherzigen Pächter ein Mittagsmahl und ein Obdach auszuwürken.

Siebentes Kapitel

Am folgenden Morgen machte ich mich, mit neuer Kraft ausgerüstet, schleunig auf den Weg, weil ich mich noch immer fürchtete, von meinem nachjagenden Herrn ausgespürt zu werden. Ich vermied daher die Landstraße, und folgte einem Fußsteige, der mich endlich einem Dorfe zuführte, das an einem Bache lag.

Am Eingange desselben erblickte ich eine hübsche junge Bäurin, die am Ufer des Baches kniete, und mit heiterer Miene einige Windeln wusch. Ein holdes Mädchen, von vier bis fünf Jahren, saß bei ihr im Grase; es hatte ein paar gebratne Kartoffeln in seinem Schürzchen, und eine in der Hand, die es eben zum Munde führte.

Ich näherte mich dem Kinde mit der freundlichen Zutätigkeit eines Schmarotzers. Aber der Schrecken über meine Erscheinung, und die Furcht für sein Frühstück, preßten ihm dennoch einen lauten Schrei aus. Die Mutter drehte den Kopf und las meine friedfertige Gesinnung in meinen Augen. Fürchte dich nicht, Lieschen, sagte sie, er tut dir nichts; das arme Tier ist hungrig, gib ihm eine von deinen Kartoffeln. Lieschen gehorchte, und reichte mir eine, die ich ihm so sittig, als ich nur konnte, aus dem Händchen nahm, und an seiner Seite verzehrte.

Nun war die Mutter mit ihrer Wäsche fertig, und hing sie in einer kleinen Entfernung an ein Seil auf, das sie an zween Obstbäumen befestigt hatte. Während dieser Arbeit wollte Lieschen das Geschäfte der Mutter nachahmen; es kroch näher an das Ufer, und bückte sich in das Wasser, um sein Schnupftuch zu waschen. Der Kopf wurde dem armen Kinde zu schwer, es stürzte in den Bach, ohne einen Laut von sich zu geben; ich sah es fallen, sprang ihm nach, und hielt es lange genug über dem Wasser, um der Mutter, die auf das Geräusche herbeiflog, Zeit zu lassen, mir die teure Beute abzunehmen. An dem mütterlichen Busen erholte es sich bald wieder, und als sie sich aufmachte, um es nach Hause zu tragen, sah sie sich nach mir um, und rief mir mit liebreicher Stimme zu: komm mit, lieber Pudel, so lange ich lebe, sollst du Brot bei mir haben.

Es gibt eine Sprache, die alle Tiere verstehen; Mieke redete diese Sprache. Ich war mit mir selber zufrieden, und folgte ihr mit fröhlichen Schritten in ihre Wohnung. Während sie ihr Kind auskleidete, erzählte sie ihrem Manne meine Tat; dieses geschah mit einer Wärme, der das kalte Herz des Dreschers nicht widerstehen konnte; er warf mir einen Blick des Beifalls zu, und meine Adoption wurde genehmigt.

Achtes Kapitel

Ein ganzes Jahr lebte ich bei meiner guttätigen Bäurin, zwar nicht im Überflusse, aber in einer glücklichen Mittelmäßigkeit, und wenn mir bisweilen die Dresdner Fleischtöpfe in den Sinn kamen, durfte ich mich nur an meinen Bälgentreterdienst erinnern, um mein Schicksal zu preisen. Die erkenntliche Mieke warf mir oft ein Schinkenbein oder eine Speckschwarte zu, die ihr Mann dem Hofhunde bestimmt hatte, und so wie Lieschen heranwuchs, erneuerte sie bei ihr das Andenken der Wohltat, die sie mir verdankte.

Ich hoffte bei diesen guten Seelen meine Tage zu endigen; allein das Verhängnis hatte es anders beschlossen. Mieke starb in ihrem dritten Wochenbette, und ehe sechs Monate vergingen, legte sich ihr Witwer eine andere Gehülfin bei, deren erster Anblick mich schon nichts gutes ahnen ließ. Es war eine lange, hohläugige Figur, deren Miene der ganzen Welt den Krieg ankündigte, und deren Herz keine andere Leidenschaft kannte, als den Geiz. Kaum hatte sie festen Fuß im Hause gefaßt, so versäumte sie keine Gelegenheit, mich ihrem Manne als einen lästigen Faulenzer vorzumalen. Jeden Bissen, den Lieschen mir zusteckte, verfolgten ihre Blicke bis in meinen Magen, und sie ermangelte nie, der Tischgesellschaft zu demonstrieren, daß jede Brosame, die ich genösse, ein Diebstahl sei, der an den Hühnern und Tauben, ja selbst an der ungleich nützlichern Katze verübet würde.

Dieser Maxime zufolge wurde mir mein Unterhalt täglich schmäler zugemessen; allein meine Liebe zu Lieschen ertrug den Mangel ohne Murren, und wenn ich mit dem frommen Mädchen das Grab ihrer Mutter besuchte, das sie beinahe jeden Morgen mit Blumen und Tränen schmückte, so kamen wir immer gestärkt, ja sogar fröhlich nach Hause.

Eines Tages fiel es der boshaften Stiefmutter ein, ihr nachzuschleichen und uns über unserm stillen Totenopfer zu überraschen. Mit knirschenden Wut riß sie das Mädchen von dem Grabe hinweg, und als ich meine kleine Freundin verteidigen wollte, versetzte sie mir mit einer dichten Rute, die sie unter der Schürze hervorzog, ein paar so unglückliche Hiebe über die Augen, daß ich von ihr ablassen, und mich unter einen Leichenstein verkriechen mußte. Nun fielen die Streiche auf das arme Kind, das sie mit sich fortschleppte, und ich hörte das abscheuliche Weib die Worte ausstoßen: Hätte nur der verfluchte Hund dich ersaufen lassen, es wäre kein Schade um dich gewesen.

Nichts als das Bild der leidenden Unschuld konnte mich bewegen, nach dem Bauerhofe zurückzukehren: Ich tat es, so bald mein Schmerz vertobt hatte, und ich die Augen wieder öffnen konnte; allein kaum ließ ich mich unter dem Torwege blicken, so sah ich auf ein Signal der Harpye, die an einem Fensterchen lauschte, ihren Mann, und die beiden Knechte mit Dreschflegeln und Mistgabeln bewaffnet, gegen mich anrücken. Lieschen lief ihrem Vater mit aufgehobenen Händen nach; allein er war taub bei ihrem Flehen. Ich winkte dem kleinen Engel noch ein wehmütiges Lebewohl zu, und rettete mich durch eben das Wasser, aus welchem ich sie gerettet hatte.


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