Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 6. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Phanor und Dina.

In den letzten Jahren Belsazars, des Königs von Babel lebte unter den Gefangenen Juden Athniel, ein Mann nach dem Herzen Gottes, den Bagoa, der Kämmerling des Königes, zum Hüter gesetzt hatte über seine Heerden. Und Athniel hatte eine Tochter mit Namen Dina, welche vierzehn Jahr alt und die schönste war unter allen Töchtern Jakobs. Als sie nun eines Tages Bagoa zu Tische diente, gefiel sie seinen Augen, und er gewann sie lieb, und wollte sie zu seinem Kebsweibe machen. Da fiel Dina vor ihm nieder, weinte und sprach: Herr, ich bin deine Magd, und mein Leben steht in deiner Hand, aber lieber will ich sterben, als in eine Sünde willigen gegen den Herrn, meinen Gott. Da lachte Bagoa des Mägdleins, und entbrannte nur noch mehr in seiner Liebe, und als er des Abends Dina in seinem Garten antraf, wollte er sie mit Gewalt zu seinem Willen zwingen. Aber das Mägdlein wehrte sich, und zog ein Messer aus seinem Gürtel, und verwundete damit den Kämmerling an seiner rechten Hand. Da ergrimmte Bagoa fast sehr, und ließ Dina greiffen, und in einen finstern Kerker werfen, daß sie darin verschmachten sollte. Das Mägdlein aber hub seine Hände empor, und flehete 200 mit lauter Stimme zu dem Gott Jakob. Und der Gott Jakob erhörte das Gebet der Unschuld, und erweckte ihr einen Heiland, der sie erlöste aus den Händen des Todes. Phanor war es, der Sohn Bagoa's, ein frommer Jüngling, der ein Schüler war des Fürsten Daniels, welchen der König gesetzt hatte über alle Weisen im Lande. Und um die Mitternachtsstunde öffnete Phanor die Thüre des Gefängnisses und sprach leise zu Dina: Sey mir gegrüßet, du holde Jungfrau! siehe ich bin gekommen, deine Bande zu zerbrechen. Und er zog ihr einen von seinen Leibröcken an, und verstellte ihr Angesicht mit brauner Farbe, und steckte ihr seinen Siegelring an den Finger, und sprach weiter: Gehe hin, der Gott deiner Väter begleite dich, wende deine Schritte nach dem Palmenhügel im waldichten Thale gegen Aufgang; da wirst du finden die Seherinn Debora, die da ist die Wittwe des Weisen Sadrachs, eines Freundes meines Lehrers Daniel. Zeige ihr meinen Siegelring, und sprich zu ihr: Phanor, der Sohn Bagoa, des Kämmerlings, sendet mich zu dir, daß du mich verbergest in deiner Hütte, bis der Zorn seines Vaters sich gelegt hat. Dina segnete den Jüngling, und küßte den Saum seines Rockes, und eilte von dannen, wie ein Reh, das die Hunde des Jägers verfolgen. Sie that, wie ihr Phanor gesagt hatte, 201 und Debora nahm sie auf, wie eine Mutter ihre Tochter aufnimmt, und erzählte ihr, daß Phanor schon sieben Jahre seine Kniee nicht mehr beuge vor den Götzen, sondern dem Herrn, dem Gott Israels, diene. Es begab sich aber nach fünf Monden, daß Cores, der junge Perserkönig, auszog gegen Belsazar, den König von Babel, und ihn schlug mit seinem ganzen Heere, und Belsazar, der König, fiel durch die Schärfe des Schwerdts, und Bagoa fiel an seiner Seite, und alle seine Güter wurden ein Raub der Feinde. In denselbigen Tagen saß Dina bei Sonnenuntergang im Schatten der Palmen, und dachte an ihren Vater und an Phanor, den sie nie vergessen hatte, und sie dachte bei sich selbst: Ach, daß er ein Hirt wäre, so könnte die arme Dina ihre Schaafe weiden an seiner Seite. Als sie dieses dachte, siehe, da kam Athniel, ihr Vater, und Phanor den Hügel herauf, denn sie waren in das Gebirge geflohen vor den Reisigen des Cores. Und Debora nahm sie freundlich auf, und that ihnen gütlich, und beherbergte sie in ihrer Hütte drei Monden lang. Cores aber ließ einen Befehl ausgehen durch das ganze Reich, daß die Kinder Israel heimzögen in das Land ihrer Väter, und wieder aufbaueten den Tempel zu Jerusalem, den Nebucadnezar zerstört hatte. Da machte sich auch auf Athniel mit 202 Dina, seiner Tochter, und Debora, die Seherinn, um heimzuziehen mit ihrem Volke. Phanor aber sprach zu Athniel: Lieber, gieb mir deine Tochter zum Weibe, und laß mich Euch geleiten in das Erbe Jakobs, auf daß ich daselbst dem Herrn diene in seinem Hause. Da ergriff Athniel die Hand seiner Tochter und die Hand ihres Retters, und legte sie beide in einander, und segnete sie und sprach: Der Herr laß es Euch wohl gehen auf Erden. Und sie zogen mit einander in die heilige Stadt und bauten sich daselbst Hütten. Phanor aber und Dina zeugten Söhne und Töchter, und stunden in großen Ehren bei dem Volke, und der Segen des Herrn war mit ihnen, darum, daß sie ihn fürchteten und in seinen Wegen wandelten.

 


 


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