Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 6. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Ernestine.

Ernestine war die einzige Tochter eines deutschen Beamten, der durch die Unfälle des siebenjährigen Kriegs den größten Theil seines ohnehin mässigen Vermögens einbüßte. Sie war weder eine griechische, noch eine römische Schönheit, sondern eines von jenen lieblichen Phantasiestücken der Natur, die nur sich selber gleichen. Ihr Vater, ein Mann von Kopf und Herz, hatte nichts an ihrer Erziehung gespart, und ihre treflichen Anlagen hatten die Bemühungen ihrer Lehrer so wirksam unterstützt, daß ihr kein Fach der weiblichen Cultur fremd blieb. Sie war achtzehn Jahr alt, als sie ihren Vater verlor, dessen Haushaltung sie seit dem Tode ihrer Mutter mit rastloser Sorgfalt und weiser Sparsamkeit geführt hatte. Mit der väterlichen Besoldung fiel ihr nun die Hauptquelle ihres Unterhalts weg; sie faßte daher den Entschluß als Gesellschafterinn irgend einer adelichen Dame, oder als Erzieherinn ihrer Kinder eine anständige Versorgung zu suchen. Sie eröfnete ihr Vorhaben dem Hofrath Reinold, einem vertrauten Freunde ihres Vaters, indem sie ihm seinen Tod anzeigte: »Sie kennen mich, sagte sie in ihrem Briefe, Sie wissen besser, als ich, ob ich der 2 Laufbahn gewachsen bin, in die ich einzutreten wünsche, und nur in diesem Falle bitte ich Sie um eine Empfehlung an irgend eine rechtschaffene Familie. Mein Herz sagt mir, daß wenigstens meine Aufführung dem Andenken Ihres Freundes und Ihrer großmüthigen Bürgschaft nie Schande machen werde.«

Reinold lebte in der Residenz, die zehn Meilen von Ernestinens Wohnort entfernt war. Mit der rückgehenden Post erhielt sie von ihm einige Zeilen, die in die Klagen ihres Herzens einstimmten, und zugleich die Zusage enthielten, daß er sich alle Mühe geben wolle, ihrem Wunsche zu entsprechen. Dieses hatte sie von ihm erwartet; was sie aber nicht erwartete, war folgender Brief, den sie nach drei Wochen erhielt:

»Meine Hoffnung, Sie, theure Ernestine, in einem angesehenen Hause unsers Hofes unterzubringen, ist bisher fruchtlos geblieben. Wenn ich den Werth Ihres Vertrauens, wenn ich ihren eigenen Werth weniger fühlte, so würde ich in der Wahl Ihrer Freistätte weniger eckel und vielleicht glücklicher gewesen seyn. Allein die Tochter meines Freundes soll, wenigstens durch meine Vermittelung, von keinen Menschen abhängen, die ihre Verdienste nicht zu schätzen wissen. Ich habe alle Häuser durchgemustert, die Ihnen ein Obdach anbieten könnten: Keines entsprach meinen Wünschen. Hier fand ich 3 einen Sohn, dessen Sitten Ihrer Ruhe gefährlich werden konnten; dort eine Mutter, deren Ahnenstolz Sie kränkenden Demüthigungen aussetzen würde; an einem andern Orte ungezogene Kinder, die Ihre Mühe vereitelt, und verblendete Eltern, die Ihre Verdienste verkannt hätten. Nur die Präsidentin von Sonnenstein schien mir zu verdienen, daß ich ihr meinen Antrag eröfnete. Bei der Schilderung, die ich ihr von meiner jungen Freundinn machte, stiegen ihr die Thränen in die Augen. Schon lange, antwortete sie, sucht mein Herz die Gefährtin, die Sie mir anbieten. Meine häuslichen Umstände würden mir auch erlauben, gegen sie erkenntlich zu seyn; allein . . . sie hielt inne – kurz die übertriebene Sparsamkeit meines Gemahls, fuhr sie endlich leise fort, bindet mir die Hände.

»Dieses, liebe Ernestine, ist das Resultat meiner Nachforschungen. Es lag gewiß nicht an mir, Ihre Wünsche zu befriedigen; was gäbe ich nicht darum, wenn ich es könnte! Erlauben Sie mir Ihnen einen Beweiß dieses guten Willens zu geben: Wenn meine fünfzig Jahre sie nicht abschrecken, so biete ich ihnen meine Hand an. Der Mann, der Sie so oft auf seinem Schoose wiegte, so oft sich in Ihre Spiele mischte, der Mann, der der Freund Ihres rechtschaffenen Vaters war, und so manchen Tag unter Ihrem Dache zubrachte, kann Ihnen, seinem 4 Charakter nach, nicht unbekannt seyn. Eine unglückliche erste Wahl hat mich in frühern Jahren abgehalten, zu einer zweiten Ehe zu schreiten. Nur eine Ernestine konnte mich auf andere Gedanken bringen. Ihre Jugend, liebes Kind, verbietet mir nicht, Ihnen den Wunsch meines Herzens zu eröfnen. Ich kenne Sie. Ihr durch den Umgang mit einem weisen Vater und mit den Weisen aller Zeiten gereifter Verstand, Ihre durch die Widerwärtigkeit und durch die Religion geläuterten und erhöhten Grundsätze verbürgen mir meine Glückseligkeit, wenn Ihr Herz frei ist und sich gegen die Verbindung nicht empöret, die ich Ihnen anbiete. Ich sage ihnen nichts von meinem Vermögen; es war nie unbeträchtlich, und ist seit kurzem durch den Tod meines alten Oheims um das Doppelte vermehrt worden. Ich habe lauter entfernte Erben, und kann Ihnen, theure Ernestine, ohne ihr und mein Zartgefühl zu verletzen, die Hälfte desselben durch unsern Ehecontract versichern. Ich bin nicht mehr im Alter der Leidenschaften; Sie werden also keine leidenschaftliche Liebe bei mir finden, und ich verhehle mirs nicht, daß ich unfähig bin, Ihnen eine leidenschaftliche Liebe einzuflößen. Eine reine, warme, unwandelbare Freundschaft ist alles, was ich Ihnen geben, und was ich von Ihnen erwarten kann. 5 Dieses kennet kein Alter, und ist eben darum keinem Wechsel und keinen Stürmen unterworfen.

»Ueberlegen Sie, liebe Ernestine, den Antrag Ihres Freundes, der nur durch Ihr Glück das seinige zu befördern wünscht. Alles dieses hatte ich Ihnen mündlich sagen können, allein ich fürchtete Sie in Verlegenheit zu setzen. Ich lasse Ihnen einen Monat Bedenkzeit, und wenn es Ihnen alsdann wehe thun sollte, mir mein Urtheil zu sprechen, so werde ich nach Verfließung dieser Frist Ihr Stillschweigen für einen Wink halten, meine Nachforschungen nach einer Ihrer würdigen Versorgung fortzusetzen. Kennen Sie aber einen jungen Mann, für den Ihr Herz sich erklärt hat, und der durch seine oder Ihre Glücksumstände gehindert wird, sich mit Ihnen zu verbinden, so sagen Sie ihm, daß Sie ihm einen Brautschatz von sechstausend Gulden zubringen, die ich Ihnen am Tage Ihrer Verlöbniß ausbezahlen werde, und wovon ich Ihnen von heute an die Zinse versichere. Ich bin es dem Andenken meines Freundes schuldig, meinen Ueberfluß mit seiner Tochter zu theilen. Hätte ich einen Sohn, so würde ich Sie um die Erlaubniß bitten, nicht meine, sondern seine Hand in die Ihrige zu legen.«

Bei jeder Zeile dieses Briefes klopfte Ernestinens Herz schneller und lauter. Es ward von einer Fluth neuer Gefühle bestürmt, die, wie die 6 Wogen einer sprudelnden Quelle, aufwalten, und sich wechselsweise deckten. Sie warf sich auf einen Stuhl, sie las den Brief wieder, und nun erleichterte ein Thränenstrom ihre von Freude und Dankbarkeit beklommene Brust. Zween Tage brachte sie in einsamer Stille zu, und erwägte die Anerbietungen des edeln Mannes, der auf einmal allen ihren Besorgnissen ein Ende machen wollte. Sie erkannte darin eine höhere Fügung, und erhob ihre dankbare Blicke gen Himmel. Ihr Herz war frei, und täuschte sich nicht mir eiteln Hoffnungen. Ein Mädchen ohne Vermögen findet auch unter seinen Bewunderern selten einen Freier; sie bedauren, daß die Schönheit seine einzige Mitgift ist, und findet sich unter Ihnen ein edler Jüngling, der, weil er selbst arm ist, oder von eigennützigen Eltern abhängt, das arme Mädchen nicht vor den Altar führen kann, so macht er sichs zum heiligen Gesetz, ihm seine Leidenschaft zu verbergen. Ueberdieses hatte die Abgeschiedenheit, worin Ernestine lebte, sie vor jeder Bekanntschaft geschützt, aus der eine Liebschaft hätte werden können. Gleich einer seltenen Blume, die ein dunkles Büschchen verbirgt, hatte sie ihre ersten Frühlingstage unbemerkt verlebt; eine große Wohlthat des Schicksals für ein junges Frauenzimmer, das unter dem Druck äusserer Verhältniße steht, die es in die Nothwendigkeit setzen können, sein Herz zu 7 bekämpfen. Je später dieser Augenblick eintritt, desto mehr Kraft hat sie zum Siege. Ernestine bedurfte keines Kampfes, weil sie keinen Liebhaber ihrem Freier entgegen zu stellen hatte, sie brauchte blos sich selbst zu befragen, ob sie ihrem Wohlthäter das geben könne, was er von ihr erwartete, und ihre helle, feste Vernunft, die ihr Herz mit zu Rathe zog, bedurfte keines Monats, um seinen Entschluß zu bestimmen. Schon am fünften Tage erhielt Reinold von ihr folgende Antwort.

»Ich würde unfähig seyn, Edelster unter den Menschen, jemals Ihre Grosmuth zu rechtfertigen, wenn ich mir Bedenkzeit nähme, um einen Entschluß zu fassen, den mein Herz, gleich bei der Lesung Ihres Briefes, laut aussprach, und den ich mit meinen Thränen versiegelte. Es ist frei, dieses Herz; es war bisher blos mit den Gefühlen kindlicher Liebe und des Schmerzens bekannt: nun überfließt es von der zärtlichsten Erkenntlichkeit, und wenn diese Ihnen genüget, so ist es Ihrer würdig. Ich nehme Ihre Hand an: kein Mann lebt auf Erden, dem ich die meinige, mit einer so vollkommnen Hingebung, mit einem so grenzenlosen Vertrauen reichen könnte. Die Leidenschaft macht nicht glücklich; ich glaube, man kann ihrer entbehren, wenn Hochachtung und Freundschaft ihre Stelle ersetzen. Die Ungleichheit unsers Alters schreckt mich nicht; ich 8 bedarf eines Führers, und ich fühle, daß ich Sie zugleich als meinen zweyten Vater verehren, und als meinen Gatten lieben kann. Könnte ich das nicht, so würde ich Ihr mir angebotenes Geschenk nicht als eine Ausstattung, sondern als ein Mittel zu einem unabhängigen Unterhalt annehmen. Denn wenn ich Ihre Hand ausschlagen müßte, so würde ich immer noch Gerechtigkeit und Zartgefühl genug haben, um jede andere von mir abzulehnen, und Ihnen wenigstens dadurch zu beweisen, daß ich Ihnen keinen Menschen auf Erden vorziehe, oder an die Seite setzen will. Von nun an und ewig Ihre

Ernestine

Nach dem Empfange dieses Briefes flog Reinold in Ernestinens Arme. Die reizende Verwirrung, womit sie ihn empfieng, die frommen Ergiessungen ihrer Dankbarkeit, die zwanglose, kindliche Zärtlichkeit, womit sie seine Umarmung erwiederte, alles dieses entzückte sein Herz, und belohnte es im voraus für seinen Edelmuth. Nach wenig Wochen fand er noch einen schönern Lohn am Busen des liebenswürdigen Geschöpfes, und jeder Tag seiner Ehe war mit einem neuen Beweise ihrer reinen, innigen Liebe, mit einem neuen Genuße häuslicher Glückseligkeit bezeichnet. Ernestine kannte keine andere Gesellschaft, als die seinige; immer schienen die Worte: Mach ihn glücklich! ihr vor der Seele 9 zu schweben, und immer las ihre Seele sie mit Lächeln. Wenn er von der Arbeit abgemattet nach Hause kam, oder sein Cabinet verlies, so flößte ein Blick, ein Kuß des herrlichen Weibes neuen Balsam in die Quelle seines Lebens. Mit den Frauen der Residenz hatte sie keinen andern Umgang, als den der Wohlstand ihr gebot. Nur Christiane, eine interessante junge Wittwe, die Tochter eines würdigen Geistlichen, der Reinolds Busenfreund war, besaß ihre Vertraulichkeit, Sie hatte sich ihr, gleich in den ersten Wochen, als ein ihr verwandtes Wesen zu erkennen gegeben, und Reinold hatte mit zärtlichem Wohlgefallen den Bund ihrer Herzen bestätigt. Das einzige, was Ernestinen fehlte, war ein Pfand ihrer Ehe. Mehr als einmal warf sie einen trüben Blick auf diese öde Stelle ihres häuslichen Paradieses. Ihr Gatte, der in ihrem innern las, suchte ihr Auge durch ein Mittel davon abzuwenden, das nur bei einem Weibe höherer Art anschlagen konnte: Christiane hatte ein reizendes Mädchen von drei Jahren, die einzige Frucht ihrer einst glücklichen Liebe: er bat sie, es Ernestinen zu überlassen, und nun theilten sich die beiden Mütter in das heilige Geschäft seiner Erziehung, welches das Schwesterband ihrer Seelen täglich fester knüpfte, und Ernestinens einsame Stunden ausfüllte.

10 Drei Jahre lebte Reinold in dieser süßen Verbindung an der Seite seiner Gattin, ohne daß sie ihm einen einzigen Anlaß gegeben hätte, sie anders zu wünschen, als sie war. Im vierten Jahre starb er am zurückgetretenen Podagra. Beim ersten Anschein der Gefahr wich Ernestine weder des Tages noch des Nachts von seiner Seite; sie duldete nicht, daß eine fremde Hand ihm eine Arznei, oder eine Erquickung reichte, und selbst seine dringenden Bitten konnten sie nicht bewegen, einige Ruhe zu geniessen. Schon in gesunden Tagen hatte er sein Testament gemacht, und, ausser einigen ansehnlichen Legaten für seine entfernten Verwandten, Ernestinen sein ganzes Vermögen verschrieben. In der letzten Nacht, da sie neben seinem Bette saß, ergriff er ihre Hand: Ernestine, sagte er, wir müßen uns trennen; erst seitdem ich mit dir verbunden war, schmeckte ich das wahre Glück des Lebens. Dafür segnet dich mein brechendes Herz, und die Vorsehung wird diesen Seegen erfüllen. Sie zerfloß in Thränen. Weine nicht, mein Kind, fuhr er fort, du weist ja, und ich weiß es, daß wir nicht auf immer geschieden seyn werden. Noch eine letzte Bitte habe ich an dich, und die darfst du mir nicht versagen. Wie könnte ich das? schluchzte sie, indem sie ihren Mund auf seine blasse Wange drückte, meines Reinolds letzte Bitte wird, wie sein 11 Andenken, mir immer heilig seyn. Es ist mir ein süßer Gedanke, erwiederte er, daß ich fortfahren werde, in deinem Herzen zu leben, allein du bist jung, meine Ernestine, du hast mir drei schöne Jahre deines Frühlings aufgeopfert; ich weiß, du hast dieses Opfer nie bereuet. Nie, nie, rief sie, ich war die glücklichste Gattin! Auch mit einem andern kannst du es seyn, liebes Kind; ich wünschte mit der Hofnung zu sterben, noch nach meinem Tode einen glücklichen Menschen zu machen. Ich hinterlasse dir ein ansehnliches Vermögen, du hast die Mutterfreuden noch nicht geschmeckt: sie sind deines schönen Herzens würdig. Versprich mir, daß keine übelverstandene Verehrung meines Andenkens, kein übertriebenes Zartgefühl dich verleiten soll, einem edeln Manne, der dir sein Herz anträgt, das deinige zu öfnen, und ihm deine Hand zu reichen. Ernestine ließ ihren Kopf auf sein Hauptkissen sinken, der namenloseste Schmerz band ihr die Zunge. Sie hatte ihre Hand zurückgezogen, ihr Busen klopfte gewaltsam und alle ihre Glieder bebten. Du hast mir die Gewährung meiner Bitte versprochen, fuhr der Kranke fort, indem er mit seiner kalten Hand nach der ihrigen langte, ich nehme deine Hand darauf. Ernestinens Hand zitterte in der seinigen; sie legte ihr Gesicht auf seine Brust. Ein Seufzer des Sterbenden schreckte sie nach einigen Augenblicken auf; 12 seine Seele war mit dem Seufzer entflohen. Sie warf sich über den Leichnam hin; sie schrie ihm in die Ohren; sie rief um Hilfe. Reinold war verschieden.

Ernestinens Schmerz bedarf keiner Schilderung; er war still, wie der Schmerz der trauernden Tugend. Sie versparte ihre Thränen auf die Einsamkeit; dann flossen sie auf das Bild des Verewigten, das sie auf ihrem Busen trug. Nach einigen Monaten, die sie in einer strengen Abgeschiedenheit verlebte, begab sie sich auf das Gut, wo Reinold an ihrer Seite seine Erholungsstunden zubrachte, und das nun ihr Eigenthum war. Es bildete eine kleine Halbinsel, die ein spiegelheller Landsee umwogte. Hier errichtete sie in einem von Thränenweiden umschatteten Rondel ihrem Gatten ein Denkmal: es stellte ihr eigenes Bild in Marmor vor, das eine mit Reinolds Medaillon gezierte Urne ans Herz drückte, und mit weinenden Augen auf dieselbe herunter sah. Eine hohe, warme Zärtlichkeit sprach aus ihrer Miene, ihr Busen schien der Urne entgegen zu schwellen, und der krampfhafte Druck ihrer Hände zeigte sich in jeder gespannten Nerve. Sie hatte dieses Monument gleich nach Reinolds Tode angeordnet, und war den ganzen Sommer über mit der Anlegung seiner Wohnstätte beschäftigt. Niemand als Christiane durfte ihr in 13 dieses stille Heiligthum folgen, und als die Statue gegen das Ende des Herbstes aufgestellt wurde, flossen auch die Thränen der Gespielinn auf die geweihte Urne.

Schon hatte die Natur das letzte Stück ihres Feiergewandes abgelegt, und der rauhe Nordost das erste Schneegestöber über die kahle Flur gehaucht, als Ernestine in die Stadt zurückkehrte. Sie brachte den Winter an der Seite ihrer Freundinn, und ihres treflichen Vaters zu, den sie schon bei Reinolds Lebzeiten als Tochter verehrte, und zum Ausspender ihrer geheimen Wohlthaten gemacht hatte.

Mit dem Frühling kehrte sie, von Christianen begleitet, auf das Land zurück, wo sie ihre Zeit zwischen der Wartung ihres Gartens, ihren Büchern und ihrer Harfe theilte, der aber nichts als ernste Hymnen und schmerzende Nänien entquollen. Oft setzte sie sich mit einem Buche neben das Denkmal ihres Gatten; Young, Herwey, Mendelsohn waren alsdann die Weisen, mit denen sie sich unterhielt, und ihre Seele in den Vorgefühlen der Unsterblichkeit übte. Selbst Christiane begleitete sie nur selten hieher; sie wußte wohl, daß sie allein seyn wollte. Doch suchte sie unter allerhand Vorwänden diese Scenen der Selbstbetrachtung abzukürzen, sobald sie bemerkte, wie nachtheilig sie auf ihre 14 Gesundheit wirkten. Ihre kleine Lili leistete ihr hiebei die besten Dienste. Bald brachte sie ihrer zweiten Mutter ein Sträuschen, bald führte sie sie zu einem Obstbaum, und bettelte Früchte, oder sie hüpfte mit ihrer Fibel herbei, und wies ihr die Bilder. Ernestine, die den Vorstellungen der Mutter nicht gehorcht hätte, gehorchte den Liebkosungen des Kindes, und wurde nur selten gewahr, daß die Mutter die Hand mit im Spiele hatte.

Die sanfte Schwermuth, in der sie so viel Genuß fand, folgte ihr nach dem Herbst in die Stadt. Ihre Freunde suchten sie zu bewegen, an den öffentlichen Vergnügungen, besonders an den Schauspielen, Theil zu nehmen, die sie sonst am Arm ihres Gatten mit Vergnügen besuchte. Ihr Zureden war vergebens. Doch gelang es ihnen, sie zu bewegen, den Concerten beizuwohnen, die den Winter über von der Hofkapelle gegeben wurden. Ihre Liebe zur Musik besiegte ihre Misanthropie, und sie würde sich diese Zerstreuung noch öfter verschaft haben, wenn nicht ein gewisser Kammerjunker von Seeburg, der mit ihrem verstorbenen Gatten in einiger Verbindung gestanden, sich immer zu ihr gedrängt, und ihr auf eine lästige Weise den Hof gemacht hätte. Seine Zudringlichkeit schreckte sie von dem Concert ab, und vereitelte auch diesen Versuch, ihr Gemüth aufzuheitern. Ernestine verschloß sich wieder in 15 ihre Wohnung, und wenn sie bisweilen ihre Harfe ergriff, so geschah es blos, um ihre Schwermuth durch die traurigsten Melodien eines Graun und Hasse zu nähren.

Diese klösterliche Selbstverbannung mußte ihrer Gesundheit um so nachtheiliger werden, da das heilsamste aller Gegengifte, die Bewegung im Freien, ihr nun fehlte, und sie, um allen Vorwürfen auszuweichen, ihre Melancholie hinter die Hülle einer gezwungenen Heiterkeit zu verbergen suchte. Endlich fieng sie an, gleich einer zerknikten Blume, hinzuwelken, und den geheimen Wurm, der an ihrem Leben nagte, gewahr zu werden. Auf den ernstlichen Rath ihres Arztes, den die Vorstellungen Christianens und ihres Vaters kräftig unterstützten, entschloß sie sich das *** Bad zu besuchen, wenn ihre Freundinn sie begleiten wollte. Sie versprach es ihr, und der Arzt übernahm die Sorge, ihr durch seinen dortigen Collegen eine angenehme Wohnung auszumachen. Sobald diese Anstalt getroffen war, bewog er Ernestinen, der noch frühen Jahrszeit ungeachtet, ihre Abreise zu beschleunigen, um noch einige Wochen der Stille zu geniessen, und sich nach und nach an einen geräuschvollern Zirkel gewöhnen zu können. Ausser Christiane und der kleinen Lili, die nirgends zurückbleiben durfte, nahm sie, zu ihrer gemeinschaftlichen Bedienung, ein Mädchen mit 16 sich, das sie aus dem Waisenhause gezogen, und nach ihrem Sinne gebildet hatte.

Ihre Reise war glücklich, und ihre Wohnung ganz nach ihrem Geschmacke: ein kleines, aber wohlgelegenes Haus, indem sich nur noch einige Gastzimmer befanden, die für eine adeliche Wittwe bestellt waren. Dieser Umstand war Ernestinen willkommen. Die Dame, sagte sie zu ihrer Freundinn, wird sich nicht um uns bekümmern, wir werden ihre Gesellschaft nicht suchen, und so bleibt uns wenigstens unsere häusliche Unabhängigkeit gesichert.

Die Badegesellschaft war noch gar nicht zahlreich, und doch schon zu groß für Ernestinen. Ihre Freundinn überließ sie in den ersten Tagen ganz ihrem Willen. Sie begleitete sie auf ihren einsamen Spaziergängen; sie folgte ihr in die wildesten Labyrinthe der Natur, die wegen ihrer Entlegenheit von niemanden gesucht wurden. Diese Nachgiebigkeit war mit dem Arzte verabredet, der ihr einen Aufenthalt von zween Monate vorgeschrieben hatte, weil er wohl wußte, daß sie nur allmählig dazu würde gebracht werden können, ihre Abneigung von allem menschlichen Umgang, und vor den Zerstreuungen zu besiegen, von denen er eine noch heilsamere Wirkung, als von der Brunnenkur erwartete. Nach und nach ließ sie sich durch Christianen bewegen, um den Vorwurf einer affectirten Absonderung zu 17 vermeiden, sich in den gemeinschaftlichen Cirkel zu mischen. Schon lange waren die Augen der Badegäste auf sie gerichtet, allein keiner wagte es, sich zu ihr hinzudringen. Nun aber, da ein hellerer Blick ihren Morgengruß begleitete, da sie sich mit jedem Tage länger an der Quelle verweilte, benutzten sie freudig diese stille Erlaubniß ihr näher zu treten, und bald konnte keiner den Brunnen verlassen, ohne ein Wort mit ihr gesprochen, oder ein Wort von ihr gehört zu haben. Noch sprach sie wenig; allein selbst in der Achtung, die man für ihr Stillschweigen hatte, konnte sie den ungeduldigen Wunsch lesen, daß sie es doch öfters unterbrechen möchte.

Mit stillem Entzücken bemerkte Christiane ihre rückkehrende Geselligkeit, die sie als das erst Kennzeichen ihrer Genesung betrachtete. Sie betrog sich nicht. Schon fiengen ihre bleichen Wangen an, sich mit einem sanften Inkarnat zu färben, ein mattes Feuer blitzte wieder aus ihrem schönen Auge, und obgleich ihr Gesicht seinen vorigen Glanz noch nicht erhalten hatte, so gab ihm doch ihre schmachtende Miene einen so rührenden Ausdruck, daß es unmöglich war, sie ohne jene süße Bewunderung anzusehen, die der wahre Triumph der Schönheit ist. Selbst ihr Anputz trug dazu bei, dieses Interesse zu erregen. Er war einfach und ungesucht, ohne zu verrathen, daß er es seyn sollte; er war 18 geschmackvoll, ohne sich durch jene Eleganz auszuzeichnen, wozu ihr Vermögen und ihr Alter sie berechtigten. Aber eben diese edle Einfalt, die weiter nichts, als die Vollendung des Ideals war, das die Natur bei ihrer Bildung im Sinne hatte, fesselte den Blick des Beobachters, und öfnete ihm gleichsam die Thür ins Heiligthum ihrer Seele.

Täglich wuchs nun die Zahl der Ankömmlinge, und Ernestine befand sich besser dabei, als sie sichs vorgestellt hatte. Je mehr der Kreis sich erweiterte und anfüllte, desto weniger glaubte sie bemerkt zu werden, und selbst ihre ersten Bekannten verloren sich größtentheils unter dem Gewimmel. Sie saß einst in ihrem Cabinet, das auf einen Garten stieß, und spielte auf einer mittelmäßigen Harfe einige Arien durch, welche die Tochter des Hauses ihr mit dem Instrumente geborgt hatte, als ihr Mädchen ihr anzeigte, daß eine gewiße Baronin von Ellern mit ihrem Sohn angekommen sey, und die noch ledigen Zimmer des Hauses bezöge. Sie achtete wenig auf diese Nachricht, und setzte ihr Spiel fort, indeß Christiane die kleine Lili, die über der Musik eingeschlafen war, auf ihrem Schoose wiegte.

Des folgenden Morgens besuchte sie den Brunnen, wo man sie zu einem Liebhaberconcert einlud, das gegen Abend in dem großen Versammlungssaal gegeben werden sollte. Es war das erste, das 19 während ihres Aufenthaltes im Bade statt fand, und ihre leidenschaftliche Liebe zur Musik, die mit ihrer Gesundheit wieder aufblühete, ersparte Christianen die Mühe, sie durch Gründe zur Annahme dieser Einladung zu bewegen.

Nach Tische – die beiden Freundinnen speisten stets auf dem Zimmer – war sie eben mit ihrer Toilette beschäftigt, als ihre neue Hausgenossinn, an der Hand ihres Sohnes, ihr den gewöhnlichen Eintrittsbesuch machte. Ernestine stand hastig auf, um sie zu bewillkommen, allein, wie von einer Zauberruthe berührt, sank sie auf ihren Stuhl zurück, als sie im Sohne der Baronin den Kammerjunker von Seeburg erkannte. Bleiben Sie, bleiben Sie, meine schöne Nachbarinn, ich bin nicht gekommen, Sie zu stören, sagte die Dame; fangen Sie heute schon an, sich mit mir auf den ungezwungenen Fuß zu setzen, der in Bädern Sitte ist. Wenn man nur wenig Wochen beisammen leben kann, so muß man keine Stunde durch unnöthige Ceremonien verlieren. Ernestine war in der äußersten Verwirrung. Der Anblick des Kammerjunkers band ihr die Zunge, und so vertraulich auch der Ton der Baronin war, so schien er doch mehr eine absichtliche Herablassung, als jene wohlwollende Mittheilung zu verrathen, die der innere Sinn, zumal eines Frauenzimmers, von der Sprache der feinen Lebensart 20 so leicht unterscheidet. Christiane zog sie durch ihre Erscheinung aus ihrer Verlegenheit. Die Baronin erhob sich nachläßig von ihrem Stuhl, und erwiederte ihre Verneigung mit einem huldreichen Kopfnicken. Meine Freundinn, gnädige Frau, sagte Ernestine, indem sie ihr neben sich einen Stuhl vorrückte. Sie kommen ans N . . ., wie ich höre, fuhr die Baronin fort: wir sind also halbe Landsleute. Erst seit dem Tode meines zweiten Gemahls, der an dem dortigen Hofe Minister war, habe ich die Residenz mit meinem Wittwensitze vertauscht. Freilich geschah dieses schon vor neun Jahren, und da konnte ich unmöglich das Vergnügen haben, Sie zu kennen.

Der Baron hatte bisher geschwiegen, und sich mit lächelnder Miene an Ernestinens Verwirrung geweidet. Nun aber nahm er das Wort: Ich bin glücklicher als meine Mutter; schon verschiedenemal hatte ich die Ehre, mich mit der Frau Hofräthin in Gesellschaft zu befinden. Ernestine erröthete, und antwortete ihm durch eine stillschweigende Verbeugung. Der Baron war betreten; in seiner Miene las man, daß er eine bedeutendere Antwort erwartet hatte. Die Harfe, die er an der Wand erblickte, half ihm wieder zurechte. Dort sehe ich eine Harfe, sagte er; sollen wir etwa das Glück haben, Sie, Madam, heute im Concert zu hören? Behüte Gott! 21 erwiederte Ernestine, weder das Instrument, noch die Spielerinn schicken sich für einen großen Cirkel.

Der Baron. Gegen dieses letzte Urtheil appellire ich; denn kaum war ich gestern eingezogen, so ward ich durch ein Spiel bezaubert, das blos die Furcht, eine Indiscretion zu begehen, mich hindern konnte, in der Nähe zu behorchen.

Die Baronin. Wir wollen hoffen, daß wir nicht immer entfernte Zeugen Ihrer Talente seyn werden. Sie gehen doch diesen Abend ins Concert?

Ernestine. Ja, gnädige Frau.

Baron. So werden Sie mir erlauben, Ihnen den Arm zu geben?

Ernestine. (erröthend.) Ihr Arm, Herr Baron, gehört Ihrer Frau Mutter.

Baron. (lachend.) O! ich habe ihrer zween, und meine Mutter . . .

Baronin. Weiß zu leben, willst du sagen. Ich bin weit entfernt, dir das Recht, deine schöne Hausgenossinn zu bedienen, streitig zu machen, und Sie, Madam, werden meinen Sohn dem schmählichen Verdachte nicht aussetzen wollen, dieses Recht vernachläßigt zu haben. Doch, ich sehe, daß unsere Gegenwart Sie hindert, ihre Toilette fortzusetzen. Also auf Wiedersehen, meine Liebe, Bleiben Sie, bleiben Sie. Sie ergriff den Arm ihres 22 Sohnes, und nahm blos Christianens Begleitung bis auf den Hausflur an.

Ernestine war über diese Erscheinung äusserst mißmuthig. Als man ihr die Ankunft der Frau von Ellern und ihres Sohnes ankündigte, war sie weit entfernt, zu vermuthen, daß dieser Sohn eben der Kammerjunker von Seeburg seyn würde, dessen Zudringlichkeit ihr ehedem so sehr zur Last fiel. Hätte sie dieses vorauswissen können, so würde sie eine andere Wohnung, vielleicht gar ein anderes Bad, gewählt haben. Freilich wäre alle ihre Vorsicht vergebens gewesen; denn der Baron, der Ernestinens Entschluß, eine Brunnenkur zu gebrauchen, zufälligerweise von ihrem Arzt erfahren hatte, würde ihr an jeden andern Ort nachgefolgt seyn. Er hatte schon lange einen Anschlag auf die Hand dieser reichen Wittwe geschmiedet, und da ihre eingezogene Lebensart ihm in der Hauptstadt den Zutritt in ihre Behausung versperrte, so ergriff er begierig diese Gelegenheit, ihre Bekanntschaft im Bade zu suchen.

Zwar hatte die Baronin, deren einziger Sohn er war, vieles gegen diese Mißheirath einzuwenden. Allein da auf seinen Gütern beträchtliche Schulden lasteten, die er mit den Capitalien der schönen Bürgerinn zu tilgen hofte, so willigte sie endlich in sein Vorhaben, und beschloß mit eigenen Augen zu untersuchen, ob die Person, die er ihr zur 23 Schwiegertochter bestimmte, dieser Ehre würdig sey. Nun sandte der Baron seinen Kammerdiener nach dem Bade; er mußte sich insgeheim nach dem Hause erkundigen, das Ernestine beziehen sollte, und, unter dem Namen seiner Mutter, die noch ledigen Zimmer in Beschlag nehmen. Er hofte mit Recht, sich hinter diesen Namen, den eine zweite Heirath ihm gab, so lange zu verbergen, bis es Ernestinen unmöglich würde, ihm auszuweichen. Was also diese für das bloße Werk des Zufalls hielt war ein wohl angelegter Plan, dessen Ausführung bisher blos durch eine Unpäßlichkeit der Baronin war verschoben worden.

Hätte Ernestine ihre Anfrage, ob sie das Concert besuchen würde, nicht ausdrücklich bejahet, so würden itzt alle Gründe ihrer Freundinn sie vergebens dazu beredet haben. Allein so sehr sie die kleinlichen Regeln der Etikette verachtete, so wenig war sie fähig, die Regeln des Wohlstandes zu verletzen, und noch weniger konnte sie sich entschließen, jemanden wehe zu thun. Sie erwartete also den Baron zur Stunde des Concerts in einem Anzuge, der mit dem Prunk seiner Mutter einen auffallenden Contrast machte. Christiane begleitete sie, und mußte ihr versprechen, nicht von ihrer Seite zu weichen.

Die Gesellschaft war zahlreich und glänzend, und das Orchester weit besser, als sie es erwartete. Den 24 Anfang machten einige wohlgewählte Symphonien; dann schickte man sich zu einem Flötenconcert an. Ein junger etwa dreissigjähriger Offizier mit einer Narbe auf der Stirne, der bisher unbemerkt in einer Ecke saß, trat mit seinem Instrumente hervor. Ein General, der gleiche Uniform trug, reichte ihm die Hand, um ihm auf die Erhöhung zu helfen; denn der junge Mann schien an dem einen Fuße lahm zu seyn. Alle Augen waren auf die edle Figur gerichtet. Ernestine hatte ihn noch nie gesehen. Von ungefähr wandte sie ihren Blick auf die Baronin, die zu ihrer Rechten saß; sie war starr und blaß, wie eine Leiche. Um Gotteswillen! gnädige Frau, was fehlt Ihnen? Mir wird schlimm, stammelte sie. Vermuthlich von der Hitze, erwiederte Ernestine, und faßte sie unter dem Arme, um sie an ein Fenster zu führen. Bleiben Sie, sagte die Baronin mit leiser zitternder Stimme, wo ist mein Sohn? Dieser stand einige Schritte von ihr entfernt, und kehrte ihr den Rücken zu. Ernestine besann sich nicht; sie flog von ihrem Stuhl auf, und sagte zu ihm: Ihre Frau Mutter, Herr Baron . . . Er sprang herzu, und die Gräfinn faßte ihn halb ohnmächtig am Arme. Hinaus, hinaus, sagte sie leise, und er führte sie mit Christianens Beihilfe nach der Thüre. Hier blieb sie einige Augenblicke stehen, und schien sich zu erholen. Kehren Sie zu Ihrer Freundinn 25 zurück, sagte sie zu Christianen, mir ist besser; mein Sohn soll mich nach Hause bringen.

Diese Scene hatte einen kleinen Aufstand im Saal erregt; als es wieder ruhig war, begann das Concert. Das Allegro gab dem Flötenspieler alle Gelegenheit, sein Talent zu zeigen. Die Zuhörer staunten über die meisterhafte Fertigkeit, womit er die größten Schwierigkeiten überwand, und über die unnachahmliche Reinheit seiner Töne. Sie sprudelten in melodischer Verwirrung, gleich einer Silberquelle, die aus dem Schooß eines Felsen hervorstürzt, aus dem beseelten Rohre, mit dem der Virtuose blos zu tändeln schien. Ein langes, enthusiastisches Beifallklatschen füllte den Saal, als das Stück zu Ende war. Nun begann das Adagio, und eine feierliche Stille bemächtigte sich, als hätte ein Gott sie geboten, der horchenden Menge. Bald glaubte man das sanfte Girren der Turteltaube, bald die Elegien der verwittweten Philomele zu hören. Niemand bewegte sich: man hütete sich laut zu athmen. Ernestinens Augen füllten sich mit Thränen, und als das Beifallklatschen mit verdoppelter Stärke wiederholt ward, klatschte sie nicht, aber sie trocknete ihre glühende Wange mit ihrem Tuche. Adelbert bemerkte es; ein strahlender Blick seines seelenvollen schwarzen Auges sagte ihr: Dieses ist der Preis, nach dem ich ringe.

26 Gegen das Ende des Concerts kam der Baron mit der Nachricht zurück, daß seine Mutter sich völlig erholt habe. Er begleitete Ernestinen nach Hause. Ihr Herz erlaubte ihr nicht, am Zimmer der Baronin vorbei zu gehen, ohne sich nach ihrer Gesundheit zu erkundigen. Diese Theilnahme schien sie zu rühren; sie wiederholte Ernestinen die Versicherung ihres Sohnes, daß sie sich wieder wohl befinde. Doch zitterten noch Thränen in ihren Augen, und in ihrem blassen Gesichte waren mehr die Spuren einer heftigen Gemüthsbewegung, als einer zufälligen Uebelkeit zu lesen. Ernestine verließ sie nach einigen Augenblicken. Die Baronin umarmte sie: Leben Sie wohl, mein Kind, wir müssen uns näher kennen lernen. Dieses sagte sie in einem Tone, der auf Ernestinens Besuch einen weit größern Werth zu legen schien, als er für eine Dame von ihrem Range haben konnte, welche diese Aufmerksamkeit für eine Pflicht des Wohlstandes halten mußte.

Nun wie hat dir das Flötenconcert gefallen? sagte Christiane zu ihrer Freundinn als sie allein beisammen waren. Das würdest du mich nicht fragen, erwiederte diese, wenn du mich beobachtet hättest; nie hat mich der Zauber meines Lieblingsinstruments mächtiger hingerissen. Weißt du auch, wer der herrliche Flötenspieler ist? Wie kann ich das wissen? Ein Frauenzimmer, das hinter mir saß, fuhr Christiane 27 fort, fragte ihren Nachbar um seinen Namen. Rittmeister Adelbert, antwortete er, ein treflicher junger Mann, der seine frühe Beförderung blos seiner Tapferkeit verdankt. Der General von R . . ., der ihm die Hand reichte, liebt ihn, wie seinen Sohn; um seinetwillen hat er das hiesige Bad besucht, denn Sie werden bemerkt haben, daß er hinkt. Dieses kömmt von einer Fußwunde, die, wie der General mir erzählte, ihn das Bein gekostet haben würde, wenn er sich nicht der Operation standhaft widersetzt hätte. Er wollte, sagt er, lieber sterben, als den Dienst verlassen. Vielleicht ist er ohne Vermögen, erwiederte Ernestine; denn sein Gesicht und sein Spiel verrathen eine Seele, die sich mehr im stillen Kreise fühlender Wesen, als im tobenden Schlachtgetümmel gefallen muß. Reich muß er nicht seyn, versetzte Christiane, und auch nicht von Adel, denn mein Nachbar erzählte weiter, daß ihn der General in sein Haus aufgenommen, und daß der junge Held den Adelsbrief ausgeschlagen habe, womit der Hof nach dem Frieden seine Dienste belohnen wollte. Schön, brav, sagte Ernestine, indem sie die Unterredung auf einen andern Gegenstand lenkte.

Am folgenden Tage begegnete Sie dem Rittmeister am Brunnen. Sein Gruß, oder vielmehr der Blick, womit er ihn begleitete, war der Ausdruck jener reinen Ehrerbietung, die der Edle dem 28 Verdienste zollet, dem er sich gern nähern möchte. Er hat dich gestern bemerkt, dachte Ernestine, indem sie seinen Gruß erröthend erwiederte. Das Gespräch des Kammerjunkers, der ihr beinahe nie von der Seite wich, hinderte sie, diesen schmeichelhaften Gedanken nachzuhängen, und sie mußte sich Gewalt anthun, um ihm ihr Mißvergnügen über diese Störung zu verbergen. Ehe die Gesellschaft auseinander gieng, wurde auf den folgenden Abend ein kleiner Ball verabredet, der, den Gesetzen des Bades gemäß, nur bis zur Stunde der Abendmahlzeit dauern sollte. Sie werden mir doch erlauben, Madam, Ihnen morgen meinen Arm zu bieten, sagte der Baron, als er seine Mutter mit Ernestinen nach Hause begleitete. Wenn ich blose Zuschauerinn seyn darf, erwiederte sie, denn seit einigen Jahren finde ich keinen Geschmack mehr am Tanze.

Der Baron. Keinen Geschmack mehr? Also haben Sie doch ehedem getanzt?

Ernestine. O ja, und zwar oft mit Vergnügen.

Der Baron. Nun so wollen wir sehen, ob wir dieses Vergnügen nicht wieder aufwecken können.

Ernestine. Ihr Versuch würde vergebens seyn.

Der Baron. Sie haben doch das Tanzen nicht verschworen.

29 Ernestine. Ich verschwöre nichts, weil ich bei allem, was ich thue, gerne meinen freien Willen behalte.

Recht so, mein Kind, sagte die Baronin; hoffentlich wird mein Herr Sohn sich diese Lection merken. So wenig Christiane Geschmack an des Kammerjunkers Gesellschaft fand, so freute sie sich doch, daß ihre Freundinn durch seine Dienstgeflissenheit genöthigt wurde, an den öffentlichen Vergnügungen theil zu nehmen. Sie wünschte ihr Glück zu dem Entschluße, den Ball zu besuchen. Vielleicht, setzte sie hinzu, hattest du recht, die Zudringlichkeit des Barons zu bestrafen; allein Unrecht würdest du haben, wenn du dich des Tanzens gänzlich enthalten wolltest. Für krank kannst du dich nicht ausgeben; mit Entzücken sehe ich, daß dein Gesicht diese Entschuldigung wiederlegen würde. Deine Enthaltsamkeit würde dir also entweder als eine Ziererei, oder gar als ein Deckmantel deiner Ungeschicklichkeit ausgelegt werden. Nun möchte ich wissen, ob du dich lieber einer von dieser beiden Beschuldigungen aussetzen, als ihnen durch eine kleine Selbstverläugnung zuvorkommen willst. Doch genug hievon. Hast du am Brunnen nichts an der Baronin bemerkt?

Ernestine. Was soll ich bemerkt haben?

Christiane. Was jeder, der Augen hat, bemerken konnte, und vielleicht so wenig, als du 30 bemerkt hat: Sie hieng mit unverwandten Blicken an unserm Flötenspieler. Ihr Gesicht veränderte jeden Moment die Farbe, und als ich an ihr vorbeigieng, hörte ich sie tief seufzen. Nun erst fiel mir der Umstand auf, daß ihre gestrige Uebelkeit mit dem Augenblicke zusammentraf, da Adelbert sich auf dem Orchester zeigte.

Ernestine. (nachsinnend.) Du hast recht; allein, was läßt sich daraus schliessen?

Christiane. Vor der Hand nichts, als daß der junge Mann ihr nicht fremd seyn kann, oder wenigstens, daß sein Anblick irgend eine schreckliche Erinnerung in ihr errege. Ihrem Sohne muß er unbekannt, oder doch gleichgültig seyn; denn er schien weder gestern noch heute die Erschütterung seiner Mutter zu theilen.

Ernestine. Du hast sehr gute Augen, meine Freundinn; ich sehe wohl, man muß sich vor deinem Scharfblick in acht nehmen.

Christiane. Scherze nicht, oder . . . (sie hob den Finger in die Höhe.)

Hier unterbrach der Baron die Unterredung. Er war von einem Bedienten begleitet, der ihm eine sehr schöne Harfe nachtrug. Sie klagten mir gestern, sagte er, über die schlechte Beschaffenheit Ihres Instruments; ich bin so glücklich gewesen, eines auszukundschaften, mit dem Sie zufrieden seyn werden. 31 Ernestine war überrascht. Die ungebetene Dienstfertigkeit des Barons mißfiel ihr; dem ungeachtet verbot ihr der Wohlstand, oder vielmehr ihre unbegrenzte Gutmüthigkeit, einiges Mißvergnügen zu äussern. Sie dankte ihm für seine Gefälligkeit, und trieb am Ende die ihrige so weit, daß sie auf sein dringendes Anhalten sich bewegen ließ, einige kleine Stücke zu spielen, die eine meisterhafte Geschicklichkeit verriethen, und vom galanten Höfling mit Entzücken beklatscht wurden. Ein so glänzendes Talent, sagte er beim Weggehen, darf nicht in der Dunkelheit bleiben, und ich würde mich an der ganzen Badegesellschaft versündigen, wenn ich sie eines Vergnügens berauben wollte, das Sie, Madam, ohne Grausamkeit ihr nicht versagen können.

Der Baron war weder ein guter noch ein schlechter Mensch. Er gehörte zu der zahllosen Classe der Cavalliere und Nichtcavalliere, die keinen Character haben. Sein Lebenslauf glich einem Calender, darin die rothen und die schwarzen Tage mit einander abwechseln. Er war, was der gegenwärtige Augenblick, oder vielmehr was sein Egoismus aus ihm machte: Ein Philosoph unter den Philosophen, ein Geck unter den Gecken. War die Gesellschaft gemischt, so hüllte er sich in ein bedeutendes Stillschweigen, oder er trat bald auf diese, bald auf jene Parthie, je nachdem er einen Machtspruch, oder einen 32 witzigen Einfall anbringen konnte. Er hatte einige Jahre auf einer Universität zugebracht, und machte Anspruch auf den Titel eines Staatsmannes, und noch mehr auf den Ruhm eines schönen Geistes. Auch in der Musik wollte er Kenner seyn, und strich das Violincell nicht ohne Fertigkeit und Geschmack. Sein Talent, wie er es nannte, sollte ihm den öftern Zutritt zu Ernestinen erleichtern, und den Verdacht eines frühern Anschlags auf ihre Hand entfernen. Seine Mutter, deren Abgott er war, billigte diesen Plan, und spann ihn noch weiter aus. Da sich unter den Badegästen mehrere Personen von ihrer Bekanntschaft befanden, so war ihr daran gelegen, Ernestinen im vollen Glanz ihrer Vorzüge hervortreten zu lassen, um die künftige Wahl ihres Sohnes zu rechtfertigen, und den Argwohn zu entfernen, daß der Eigennutz sie geleitet habe. Sie ergriff daher jede Gelegenheit, die sich darbot, die liebenswürdigen und schätzbaren Eigenschaften ihrer schönen Hausgenossinn zu erheben; sie that es aber auf eine so unbefangene Weise, daß niemand ihre Absichten errathen konnte.

Auch Ernestine ahnete nichts von diesen Entwürfen. Hold, wie eine Grazie, erschien sie auf dem Balle. Der Kammerjunker führte sie mit triumphirender Miene in den glänzenden Zirkel. Jedes Auge bewillkommte sie, jedes Herz flog ihr entgegen, und 33 als sie an der Hand ihres Führers mit geflügelter Ferse durch die bunten Reihen schwebte, so konnte die Baronin nicht müde werden, sie zu betrachten. Sie überhäufte sie mit Liebkosungen, als sie nach geendigtem Tanze sich neben sie setzte. Sie hätten sehr Unrecht, mein schönes Kind, sagte sie zu ihr, wenn Sie dem Tanz entsagten; ohne Ihnen zu schmeicheln, kann ich Sie versichern, daß unter allen jungen Damen der Gesellschaft es Ihnen keine zuvorthut. Sie sind dazu gemacht, auf einem größern Theater, als in dem engen, bürgerlichen Kreise zu glänzen, in dem Sie bisher lebten.

Die Verwirrung, darein dieses überraschende Compliment Ernestinen versetzte, erlaubte ihr nicht, es sogleich zu beantworten, viel weniger den ganzen Sinn desselben zu fühlen. Ich verstehe Sie nicht, gnädige Frau, versetzte sie endlich in einem kalten Tone. Mich dünkt, daß jedes Theater für mich ein erborgter Standort wäre: der enge Zirkel, in dem ich bisher lebte, muß meiner Natur am gemäßesten seyn, weil ich mich darinn sehr wohl befand. Ein Fremder, der sie zu einem englischen Tanz auffoderte, zog sie aus dieser drückenden Lage; willig reichte sie ihm die Hand, die sie ihm vielleicht in der folgenden Minute versagt haben würde. Nach Endigung desselben begleitete er sie auf die nächste ledige Bank, die vom Platze der Baronin weit 34 entfernt war. Ein neuer Tanz begann; der Kammerjunker lud sie dazu ein; sie schlug es ihm unter dem Vorwande der Müdigkeit ab. Er war ein zu heißer Freund des Walzens, um sich nicht nach einer andern Dame umzusehen. Hiedurch riß er Ernestinen aus einer neuen Verlegenheit, weil sie fürchtete, er möchte sich neben sie setzen, und das abgebrochene Gespräch seiner Mutter ergänzen wollen.

Kaum saß sie einige Augenblicke allein auf ihrer Bank, so nahete sich ihr Adelbert, den sie bisher nicht bemerkt hatte; mit jener Schüchternheit, womit jeder edle Mensch, auch wenn er Held ist, der höhern Schönheit huldigt, setzte er sich in einer kleinen Entfernung neben ihr nieder, und als sie seinen ehrerbietigen Gruß mit heiterer, offener Miene erwiederte, rückte er ihr näher. Sie tanzen nicht, Madam, sagte er, und haben doch bewiesen, daß Sie eine Meisterinn in dieser angenehmen Kunst sind. Wäre ich ein Dichter, so würde ich sagen: Man habe Sie mit Terpsichoren verwechselt.

Ernestine. Indem Sie den Dichtertitel ablehnen, mein Herr, beweisen Sie mir, daß Sie einer sind.

Adelbert. So stolz ich auf diesen Titel seyn würde, wenn ich ihn verdiente, so müßte ich dennoch dagegen protestiren, wenn Sie unter einem Dichter 35 etwas anders, als einen Herold schöner Wahrheiten verständen.

Ernestine. Eine blühende Phantasie hat mit einer edeln Nachsicht das gemein, daß sie die Gegenstände verschönert.

Adelbert. Und die Bescheidenheit verschönert sie, indem sie ihre Reize zu verschleiern sucht.

Ernestine schwieg. Die Verwirrung, darinn sie sich befand, war sichtbar, ohne das Gepräge eines peinlichen Gefühls zu tragen. Indem schwirrte der Baron an ihr vorbei, sein selbstgefälliges Kopfnicken, eine drolligte Parodie des Ancheio des Corregio, foderte sie auf, seine Geschicklichkeit zu bewundern.

Adelbert. Der Herr von Seeburg hat das Glück, Ihr Hausgenosse zu seyn, und weiß es zu schätzen. Er erzählte uns diesen Morgen, wie sehr Sie, Madam, ihn durch Ihr Harfenspiel bezaubert haben. Wir beneideten ihn alle, und würden ihn noch mehr beneiden, wenn wir ihm dieses Vergnügen allein überlassen müßten.

Ernestine. (lebhaft.) Ach, mein Herr, meine Harfe ist, wie ich, eine Einsiedlerinn. Es ist mir leid, daß ich Sie vor dem Geschmacke des Herrn von Seeburg warnen muß; allein er selbst zwingt mich zu dieser Nothwehre.

Adelbert. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie in ihrer eigenen Sache nicht Richterinn seyn können.

36 Ernestine. Und vor einem Richter, wie Sie, würde ich nur mit zitternder Hand meine Saiten berühren . . . Ich war lezten Sonntag im Concert.

Adelbert. (in einem seelenvollen Tone.) O! das weiß ich, Madam; ich sah Sie, und es gab einen schönen Augenblick, da ich nur Sie sah.

Ernestine verbarg ihr glühendes Gesicht hinter ihren Fächer. Sie wußte sich nicht zu helfen. Zum Glück war der Tanz zu Ende, und der Kammerjunker hüpfte herbei, um sich ihrer Hand für den künftigen zu versichern. Es wird der letzte seyn, Herr Baron, sagte sie in einem trockenen Tone, und hielt Wort. So lange der Ball noch dauerte, wich sie nicht von Christianens Seite. Sie sprach wenig mit ihr; aber desto mehr mit sich selbst. Adelberts letzte Worte klangen ihr immer in den Ohren, und hallten, wie die Töne seiner Flöte in ihrem Herzen wieder. Sie verglich sie mit den Schmeicheleien, die der Kammerjunker ihr auf dem Rückwege vorsagte, und diese Vergleichung fiel nicht zu seinem Vortheil aus. Sie sind ein Hofmann, Herr Baron, war ihre ganze Antwort. Bald hätte ich etwas vergessen, sagte er beim Abschiede: der Rittmeister Adelbert hat einige herrliche Trios für die Harfe, die Flöte und das Violincell; Sie werden mir doch erlauben, ihn dieser Tage zu Ihnen zu bringen, um sie ein bischen durchzuspielen? 37 Ernestine war betroffen; sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Die Baronin schwieg auch. Wissen Sie was, fuhr er fort, ich will ihm morgen die Stücke abfodern, damit Sie sie zuvor ein wenig durchsehen können. Ernestine machte eine stumme Verneigung, und trat in ihr Zimmer.

Ich bin mit dir zufrieden, meine Freundinn, sagte Christiane, als sie sich mit ihr allein befand; du hast meine Erwartung übertroffen. Das war brav, sehr brav; dafür gehört dir ein Kuß. Ey, wo hast du deine Sprache gelassen? Doch nicht beim Flötenspieler? Ihr müßt ein sehr bedeutendes Gespräch mit einander geführt haben, denn ihr sahet beide so feierlich aus. Du magst selbst davon urtheilen, sagte Ernestine, die nun erst völlig zu sich selbst kam, und erzählte ihr die gehabte Unterredung; aber freilich nur im Auszuge, und nicht ganz bis ans Ende.. Denn als sie der Unbesonnenheit des Kammerjunkers, wie sie sich ausdrückte, mit lebhaftem Unwillen erwähnte, kam sie durch einen ganz natürlichen Sprung auf seine Mutter, und auf das Compliment, das sie ihr gemacht hatte. Ich fand es sehr sonderbar, setzte sie hinzu; sie scheint sich mit ihrem Sohne verschworen zu haben, meine Ruhe zu stören. Nicht doch, erwiederte Christiane, sie, als eine Dame aus der großen Welt, die, nach ihren schönen Ueberbleibseln zu urtheilen, ehedem Aufsehen darinn 38 gemacht haben mochte, kann sich nicht vorstellen, wie es möglich ist, daß eine Person von deinem Alter und von deiner Figur der großen Welt entsage, darinn sie eine so wichtige Rolle spielen könnte. Sie hält es für eine Folge deiner Unerfahrenheit, oder für kleinstädtische Blödigkeit, daß du dich deines Vortheils nicht bedienen willst, und macht sichs zur Pflicht, dich eines bessern zu belehren. Freilich wird ihr das nie gelingen, und wenn sie dich näher kennt, wird sie ihren Versuch aufgeben, und dich deiner Verblendung überlassen. Bis dahin aber mußt du ihre Dienstwilligkeit ertragen, und ihr beweisen, daß man weder von Adel, noch vom Hofe zu seyn braucht, um das zu besitzen, was der Hof und der Adel feine Lebensart nennet.

Ernestine. Wie ich sehe, so nimmt das Capitel der Selbstverläugnung in deiner Moral einen großen Raum ein. Was wäre das Leben, wenn man es unter der lästigen Befolgung kleinlicher Pflichten zubringen müßte, von denen unsere Vernunft nichts weiß, und die uns nicht bessern können?

Christiane. Du hast Recht, meine Freundinn. Auch bin ich weit entfernt, dein Leben zu dieser peinlichen Bußübung zu verdammen; allein so lange du mit einer Staatsräthin, und mit einem Kammerjunker unter einem Dache wohnest, wünsche ich, daß du sie mit ihren Vorurtheilen dulden 39 lerntest, ohne deine eigenen Grundsätze zu verläugnen. Wenn auch diese Toleranz uns, wie du meinst, nicht besser macht, so schützt sie uns doch vor dem Vorwurfe des Stolzes, oder des Eigensinns, der unserm Geschlecht in jedem Munde schaden kann, und erwirbt uns die Hochachtung des Weisen, dem unsere Nachgiebigkeit nicht entgehen wird.

Ernestine. Du siehst aber doch nun selbst, wohin eine erste Gefälligkeit uns führen, oder vielmehr, wie dreist sie gewisse Menschen machen kann. Weil ich mich bewegen ließ, dem Baron einige Stücke auf der Harfe zu spielen, so erlaubt er sich nun aus meiner Stube einen Concertsaal zu machen.

Christiane. Vielleicht um sein genossenes Vergnügen mit einem Manne zu theilen, dem auch du ein Vergnügen verdankest. Wäre es dir etwa lieber, wenn es im ganzen Bade hieße: Die Frau Hofräthin Reinold ist für niemanden zu Hause, spielt für niemanden die Harfe, als für den Herrn von Seeburg? Du nennest ihn unbesonnen, ich auch, aber in einem ganz andern Sinne, als du.

Ernestine. Wie so das?

Christiane. (lächelnd.) Ey nun, mich dünkt, daß er sich sehr irret, wenn er glaubt, daß wir die Flöte nicht lieber, als die Baßgeige hören.

Sie stand in der Thür, um auf ihr Zimmer zu gehen, und verschwand, ohne Ernestinens 40 Antwort zu erwarten; oder vielmehr um ihr die Verlegenheit zu ersparen, eine Antwort zu suchen.

Allerdings hätte der Kammerjunker klüger gehandelt, wenn er sich mehr um Duette, als um Trios umgesehen hätte; allein ein bürgerlicher Rittmeister, mit einem halblahmen Fuße und einer Narbe auf der Stirne, schien dem Reichsfreien Kammerjunker, der sich vom Scheitel bis zur Ferse für einen Adonis hielt, zu wenig gefährlich, als daß es ihm hätte einfallen sollen, gegen ihn auf seiner Hut zu seyn. Im siegreichen Gefühl seiner Ueberlegenheit stellte er Ernestinen den Rittmeister vor, der ihr seine Musik selber überreichen wollte. Der Besuch war kurz, und dennoch langweilig, weil der Baron das Amt eines Fürsprechers mit so unbarmherziger Redseligkeit verwaltete, daß er seinen Clienten kaum zum Worte kommen ließ. Ernestine saß auf Dornen. Adelbert bemerkte ihre Verlegenheit. Er brach auf; allein sein Blick sagte ihr, wie viel dieses Opfer ihn kostete. Sie versprach ihm die Musik durchzugehen, und der Tag des kleinen Hausconcerts wurde verabredet.

Der Tag erschien; allein Adelbert erschien nicht. Nach langem Warten lief der Kammerjunker voll Ungeduld in seine Wohnung, um ihn abzuholen. Ein Bedienter sagte ihm, er sey mitten unter dem Gewitter ausgeritten, das, einige Stunden zuvor, 41 alles in Schrecken setzte. Der Blitz hatte, wie es hieß, in einem benachbarten Dorfe gezündet; bald aber war keine Flamme mehr zu sehen. Hingegen fiel ein so heftiger Platzregen, daß die ganze Gegend einem See glich. Desto sonderbarer fand der Baron Adelberts Spazierreise. Mit lautem Gelächter stattete er Ernestinen seinen Bericht ab, und konnte nicht aufhören, über den possierlichen Einfall des Herrn Rittmeisters zu spotten. Er bat Ernestinen, ihn für das gescheiterte Trio durch ein Solo schadlos zu halten. Um seinem lästigen Geschwätze ein Ende zu machen, ergriff sie die Harfe, und spielte eine Sonate, die ihn entzückte, und einen noch feinern Kenner entzückt haben würde. Sie war kaum zu Ende, als Adelbert ins Zimmer trat. Sein stockender Athem und sein flammendes Gesicht verriethen die Ungeduld, womit er herzu geeilt war. Sie müssen, sagte er, überzeugt seyn, Madam, daß blos ein unerwarteter Vorfall mich abhalten konnte, früher bei Ihnen zu erscheinen. Ernestine schwieg; allein auf ihrer Stirne las er seine Rechtfertigung. Die Musik begann. Ernestine spielte mit hinreissender Anmuth. Der Hauch des Gottes, der Adelberts Flöte zu beseelen schien, wehete in ihre Saiten. Des Barons hyperbolische Suade ergoß sich in Lobeserhebungen. Adelbert sagte nichts; sein Instrument hatte für ihn gesprochen, und 42 Ernestine verstand seine Sprache. Sie saß einige Minuten in sich selbst versenkt auf ihrem Stuhl. Es war gut, daß der Kammerjunker mit Stimmung seines Violincells diese feierliche Scene ausfüllte, denn auch Christiane war verstummt. Der Baron wollte ein zweites Trio hervorlangen. O, nicht doch! sagte Ernestine halb flehend, halb unwillig, lassen Sie es gut seyn für heute. Für heute! Dieses Wörtchen verklärte Adelberts Gesicht, und sein Herz wiederholte es noch, als er um Mitternacht ohne Licht auf seinem Stübchen saß, und seine schwelgende Phantasie ihm die schöne Scene des Abends noch einmal vors Auge zauberte. Auch Ernestine verlor sie nicht aus dem Gesichte; lange unterhielt sie sich mit ihrer Freundinn von dem edeln Manne, und seinem unnachahmlichen Spiele. Es war ihr lieb, daß Christiane die Unterredung immer wieder anknüpfte, und als diese sich der Hoffnung freuete, das häusliche Concert wiederholt zu sehen, so wurde ihr nicht widersprochen.

Der folgende Morgen war regnerisch; die Gesellschaft drängte sich in den bedeckten Gängen, und in dem großen Saale des Badehauses zusammen. Allerhand traurige Berichte von dem durch das gestrige Gewitter verursachten Schaden waren der Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung. Der Kammerjunker saß bei Ernestinen, und bot, von seiner Mutter 43 unterstützt, alle seine Beredtsamkeit auf, um sie zu bewegen, sich im nächsten Concert hören zu lassen, während Adelbert bei Christianen in einem Fenster stand, und mit ihr in ein warmes Gespräch vertieft schien, daß ihre Freundinn seht gerne behorcht hätte. Indem trat eine junge Bäuerin in den Saal; ihr Gesicht war bleich, stiller Gram lag auf ihrer Stirne, und überstandene Todesangst in ihrem rothgeweinten Auge. Sie hielt in ihrer Hand ein leeres Körbchen, und trat mit schüchternem Schritte in die Versammlung. Als Adelbert sie gewahr wurde, brach er sein Gespräch mit Christianen ab, und gieng nach der Thüre. Itzt erblickte ihn die Bäuerinn: schnell, wie ein Gedanke, flog sie auf ihn zu, und stürzte zu seinen Füßen nieder. Er ist es! er ist es! rief sie, indem ihre zitternden Arme seine Kniee umklammerten. Alle Blicke waren auf sie geheftet, und in einem Moment umschloß ein wimmelnder Zirkel die feierliche Gruppe. Was wollt ihr, gute Frau? sagte Adelbert, laßt mich. Ich dich lassen, du Engel Gottes! rief die Bäuerinn, nein ich lasse dich nicht. Du entflohest mit gestern, indem ich den Busen meines Vaters erwärmte; heute sollst du mir nicht entfliehen, ohne daß ich dir für seine Rettung gedankt, ohne daß ich dich, ach, ich habe sonst nichts! mit meinen Thränen gesegnet habe. Fasse dich, liebes Weib, flüsterte Adelbert ihr zu, 44 und die schönste Verwirrung röthete sein Antliz. Er zwang sie aufzustehen.

Nun wandte sie sich zur Gesellschaft: Ich muß es erzählen, der ganzen Welt erzählen, wie ich es diese Nacht den dort oben erzählte, was er an mir gethan hat. Der Strahl fiel auf unsere Scheune. Unser Hof liegt einsam dort oben im Walde. Mein Mann war in der Stadt, und mein alter Vater lag krank in seinem Bette. Niemand kam uns zu Hilfe; wer konnte es bei dem entsetzlichen Gewitter? Da löschte der Platzregen die Flamme, noch ehe sie unsere Hütte ergriff; aber ein schreckliches Meer brauste vom Berge herab, und drohete, sie wegzuspühlen. Schon drang das Wasser in die Stube. Ich wollte meinem Vater aus seinem Bette helfen, er lag in einer Ohnmacht. Vergebens suchte ich ihn auf meine Arme zu laden, um ihn auf den Boden zu tragen. Ich knieete vor seinem Lager; schon erreichte es das Wasser. Ich strengte meine letzten Kräfte an, um ihn aufrecht zu setzen. Da fieng mein Kind, das bisher ruhig in der Nebenkammer schlief, und das ich im Schrecken vergessen hatte, das arme Würmchen fieng an zu weinen. Ein glühendes Messer fuhr mir durchs Herz. Ich lief hinzu, riß es aus seiner Wiege, und trug es in die Stube. Nun gieng das Wasser mir bis an die Hüften, und meinem Vater bis an die Brust. Er erwachte; allein er war zu 45 schwach, um sich aufzurichten. Mit meinem Säugling an der Brust stellte ich mich neben ihn, und erwartete den Tod. Rette dich, meine Tochter, sagte der sterbende Greis, rette dich und dein Kind. Ich war in Verzweiflung. Auf einmal glaubte ich das Stampfen eines Pferdes zu hören. Ich hielt mein Kind über meinen Kopf, drängte mich an das offene Fenster, und schrie um Hilfe. Da erschien mein Helfer. Er zog mich aus dem Fenster, und hob mich mit meinem Säugling auf sein Pferd. Ach, mein Vater, mein armer Vater! rief ich, und wieß auf sein Lager. Er besann sich nur einen Augenblick. Auch ihn wollen wir retten, sagte er dann, und leitete sein Pferd nach einer kleinen Anhöhe, die ausser dem Strome lag. Hier setzte er mich nieder, eilte nach der Hütte zurück, und . . . Gott allein weiß, wie er es machte! mein Vater wußte mir nichts anders zu sagen, als daß er ihn mit Riesenkraft aus seinem Bette riß, und auf sein Pferd trug. Ich lag auf meinen Knieen, und betete für beide, als er mir ihn übergab. Er warf ihm seinen Mantel um, und da der Regenguß ein wenig nachließ, jagte er in das nächste Dorf, und kam in einer halben Stunde mit einem Karren zurück, der uns zu guten Leuten ins Trockene brachte. Noch hatte ich ihm nicht danken können. Izt wollte ich es versuchen: ich sank zu seinen Füßen: er legte mir seine Börse in 46 die Hand, und sprengte davon. Diesen Morgen fand uns mein guter Mann. Wir kehrten in unsere Hütte zurück. Sie stehet noch; allein unser Vieh ist verloren.

Die ganze Gesellschaft hatte dem jungen Weibe mit stummer Rührung zugehört. Nun drängte sich der General durch den Kreis, und warf sich dem Rittmeister um den Hals. O, du lieber, guter Junge! rief er, indem er ihn fest an seine Brust drückte; du bist dir doch immer ähnlich. Diese Expedition ist noch mehr werth, als eine eroberte Batterie. Adelbert stand da verschämt, wie eine Jungfrau, der die lauschende Mutter das Geheimniß ihrer ersten Liebe entlockt hat. O, lassen Sie mich! lassen Sie mich! mein ehrwürdiger Vater, sagte er zum General; that ich denn mehr, als Sie an meiner Stelle gethan hätten? Er entschlüpfte seinen Armen, und indem der General die ganze Gesellschaft zu einer Beisteuer für das unglückliche Weib auffoderte, verschwand er aus dem Saale. Alle Anwesende warfen ihr einige Geldstücke in das Körbchen. Ernestine trat auf die Seite, wickelte sechs Dukaten in ein Papier, und schob es hastig unter die übrigen Opfer. Die Bäuerinn bemerkte es, und warf ihr einen süßen schwärmerischen Blick zu. Wonnethränen rieselten über Ernestinens Wangen. Ihr Auge begegnete dem Auge der Baronin; auch sie weinte, namenlose Regungen zuckten in ihrem Gesichte. Sie faßte Ernestinen am 47 Arme, und wankte mit ihr auf eine Bank. Ihre Brust war gepreßt; kaum konnte sie Athem schöpfen. Ernestine faßte ihre Hand, und drückte sie an ihr Herz; sie war entzückt, ein Wesen zu finden, das so ganz ihre Gefühle theilte, und überrascht, daß es gerade die Baronin war, in deren Busen sie hinüber strömten.

Indessen stand noch immer ein dichter Kreis um den General her. Ich habe, sagte er, lauter brave Offiziere; aber keiner gleicht diesem jungen Manne. Sie sahen doch die schöne Narbe auf seiner Stirne? Nun, meine Herren, die war auf mich gemünzt: ein feindlicher Husar wollte mir den Kopf spalten, Adelbert fieng den Hieb auf, und stach ihn von der Märe. Im letzten Feldzuge stürmte er mit fünfzig von meinen Dragonern eine Schanze: er nahm sie weg; allein er bekam einen Schuß, der ihn bei einem Haar ein Bein kostete. Das ganze Regiment weinte, als er in sein Zelt getragen wurde, und als er wieder zum erstenmal auf die Wache zog, o, da hätten Sie den Jubel der Soldaten sehen sollen! Ich gab den ehrlichen Burschen sechs Tonnen Bier zum besten, um auf seine Gesundheit zu trinken. Mit seinem Beine wills nun freilich noch nicht recht fort; doch kann er so gut, als ein anderer, den Dienst versehen, und dann hoffe ich noch viel vom Gebrauche des Bades. Es wäre Jammerschade, wenn er 48 quittiren müßte; denn, bei Gott! es steckt ein General in seinem Hemde. Das wissen alle seine Cameraden; nur er weiß es nicht. Als ich ihn unserm Herrn vorstellte, so stand er da, wie wenn ers nicht wäre. Er hieng ihm selber den Orden um, und wollte ihn in den Adelstand erheben; er schlug es aus. Da that er nun recht wohl daran. Was braucht er einen Adelsbrief? Männer, wie er, geben den Adel, sie empfangen ihn nicht. Blos um seinetwillen wünschte ich eine Tochter zu haben; sie müßte ihn heirathen, und dadurch meinen alten Adel wieder auffrischen. Ich pflege immer zu sagen, wenn man Mensch ist, so ist man mehr als Baron, und Mensch ist er, wie wenig Baronen es sind. In Feindeslanden hätten Sie ihn sehen sollen. Wo er war, wurde niemanden ein Haar gekrümmt, keine Stecknadel verrückt, keine Thräne vergossen. Wenn durch fremde Schuld eine floß, so trocknete er sie ab, und . . . Hier unterbrach den General eine Stimme: Selig ist der Leib, der dich geboren hat, und die Brüste, die du gesogen hast! Es war die junge Bäuerinn, die in einem Winkel seiner Erzählung zugehorcht hatte. Dieser Ausruf war ein Plagiat für Ernestinens Herz, das jedes Wort des grauen Helden mit einer Wollust einschlürfte, wozu es keinen Namen fand, oder vielmehr keinen Namen suchte. Die Baronin weckte sie aus ihrer Entzückung. Sie weinte laut, 49 bebte von ihrem Sitz auf, und riß Ernestinen mit sich fort. Kommen Sie, kommen Sie, mein Kind, sagte sie mit brechender Stimme: ich muß ins Freie. Ernestine ließ sich von ihr fortreissen. Sie eilte zum Saal hinaus in einen nahegelegenen Bogengang, wo sie ihren Sohn antraf, den die Capuzinade des Generals, wie er sie nannte, gleich Anfangs ennuyirt hatte. Wohin, wohin, meine Damen? sagte er, indem er ihnen entgegen hüpfte. Nach Hause, schluchzte seine Mutter. Der Baron. Ich wette, die junge Betschwester und der alte Haudegen haben Ihnen die Mittagsmahlzeit verdorben. Ein Schauer überlief Ernestinen; sie zog unwillkührlich ihren Arm unter dem des Kammerjunkers weg, und in gleichem Nu warf seine Mutter ihm einen Blick zu, wie noch keiner ihrem Aug entblitzte. Urplötzlich stockte der Strom seiner Rede: das hast du nicht gut gemacht, dachte er bei sich selbst, und schlich nun eben so sprachlos, als seine Gefährtinnen, an ihrer Seite nach Hause. Er begleitete die schöne Wittwe bis an ihr Zimmer. Der kalte Ernst, womit sie ihm seinen Abschied zunickte, brachte ihn vollends aus aller Fassung, und erlaubte ihm nicht, ihr zu folgen, wie er es schon einigemal gethan hatte. Er machte ihr eine schiefe Verbeugung, so schief, daß er sich selbst einen Tölpel würde gescholten haben, wenn 50 ihre Stubenthür in diesem Augenblick ein Spiegel gewesen wäre.

Ernestine bedurfte der Einsamkeit. Mit einem tiefen Athemzuge warf sie sich in einen Lehnstuhl. Christiane setzte sich neben sie, und schlang ihren Arm um ihren Nacken. Schweigend sahen beide sich an; jede las in der Seele der andern. Ernestine sank an den Busen der Schwester; er klopfte so laut als der ihrige. Welch eine Szene, sagte endlich Christiane, und welch ein Mann! Ernestine sagte eben das: aber nicht mit Worten. Ihre Lippen klebten an der Wange der Freundinn. Erst nach einer langen Pause fragte sie leise, und ein flammendes Roth ergoß sich über ihr Antlitz: Was hat er mit dir gesprochen?

Christiane. Er hat den gestrigen Abend den schönsten seines Lebens genannt.

Ernestine. Er hat Recht. Ich hätte ihn sehen mögen, wie er die verzweiflungsvolle Mutter mit ihrem Säugling in seine Arme faßte. Doch wir sahen ihn ja; das gute Weib hat uns diese göttliche Szene so lebendig vorgemalt, und der General . . . O, dieser Morgen war noch schöner! selbst für ihn mußte ers seyn, als der edle Greis ihn an sein Herz drückte.

Christiane. Du irrest dich, meine Freundinn, oder du willst mich nicht verstehen. Von dir 51 sprach er, von der Stunde, die er bei dir zubrachte; und von dem Wunsche, daß ihm solche Stunden noch mehr werden möchten. Wenn du ihn mit einer solchen Stunde für seine gestrige That belohnen könntest, würdest du es nicht thun?

Ernestine. Welch eine Frage. Meinest du, ich könnte ihn besser belohnen, als der Ausruf des jungen Weibes ihn belohnte? Schade, daß er ihn nicht gehört hat. (Nach einer Pause.) Mir kommt ein Gedanke: Wie wäre es, wenn wir an einem kühlen Morgen nach der Hütte dieser unglücklichen Familie wallfahrteten? Mich dünkt, ich hörte sagen, sie liege nur eine halbe Meile von hier.

Christiane. (sie umarmend.) Vortrefflich, meine Freundinn! Morgen, wenn du willst. Der Himmel scheint sich wieder aufzuklären. Wir müssen aber früh gehen, sonst möchten wir leicht einen ungeladenen Gefährten bekommen.

Ernestine. Den würde ich mir verbitten. Du hast ja ohnedem gehört, daß dergleichen Szenen nicht nach seinem Geschmacke sind. Ein ganz anderes Herz hat seine Mutter; hast du bemerkt, wie gerührt sie war?

Christiane. Ja wohl habe ich es bemerkt, und sie bedauert.

Ernestine. Bedauert? 52

Christiane. Es schien mir in ihrer Theilnahme etwas peinliches zu liegen, das mir ein Räthsel ist.

Ueber dieses Räthsel ward noch lange gesprochen; da aber der Rittmeister die Baroninn gar nicht zu kennen schien, so blieb es unaufgelöst, und die Unterredung lenkte sich von selbst wieder auf die Wallfahrt nach dem Meierhofe, die auf den folgenden Morgen festgesetzt wurde.

Kaum wand Aurora ihr purpurnes Diadem um den schwarzen Scheitel des Tannenberges, der die Aussicht von Ernestinens Schlafgemach begrenzte, so machte sie sich mit ihrer Freundinn auf den Weg. Die Natur schien eben aus einem erfrischenden Schlummer zu erwachen, und die Psalmodieen der Vögel feierten den Pomp dieser Szene. Ein leises Morgenlied der beiden Pilgerinnen begleitete ihren Wechselgesang. Ein Bauer, den sie um den Weg befragten, wies ihnen einen abkürzenden Fußsteig, welcher sie in weniger als einer Stunde, längs eines klaren Giesbachs, der vor zween Tagen ein wüthender Strom war, dem kleinen Meierhofe zuführte. Er lag am Abhang eines Berges in einem buschichten Grunde, der noch überall das Bild der Verheerung darbot. Halb entwurzelte Bäume senkten ihre vom Hagel entblätterten Wipfel zur Erde; ausgewühlte Felsenstücke, die der 53 Strom vom Berge herabgeflößt hatte, lagen unter den Trümmern des weggerissenen Stalles, und ein leimichter Schlamm überzog den einst grünen Anger, in dessen Schooße die Hütte lag.

Ernestine schlich ans Fenster, um zu sehen, ob die junge Bäuerinn zu Hause sey. Sie erblickte sie knieend vor dem reinlichen Bette eines Greises, dem sie einen Morgensegen vorlas; er saß mit entblöstem Haupt auf seinem Lager, und hielt die Hände über seinem silberweißen Bart gefaltet, der seine ganze Brust bedeckte. An diesem Schmuck erkannte Ernestine einen Mennoniten. Ihre Freundinn theilte mit ihr den rührenden Anblick, und erst als das lange feierliche Gebet geendigt war, öffneten sie die Thüre des Gemaches. Die Bäuerinn, die das Gesicht gegen ihren Vater gekehrt hatte, wandte sich erschrocken um, und blieb einen Augenblick unbeweglich stehen. Plötzlich erwachte sie wie aus einem Traume, und eilte mit aufgehobenen Händen und schwärmerisch funkelnden Augen Ernestinen entgegen. Sie ist es, rief sie; ja, sie ist es! Sey mir gegrüßt, du schöne Sulamith, du Gebenedeyte unter den Weibern. Jetzt ergriff sie Ernestinen bei der Hand, und führte sie zum Bette: Sieh, Vater, diese war es, von der ich dir sagte, von ihr kam die reiche Gabe im Papier; aber in ihrem Blicke lag noch mehr, 54 als im Papier. Sie meinte, ich hätte ihre Hand nicht bemerkt, und wenn ich sie nicht bemerkt hätte, so wäre sie doch dem nicht entgangen, der ins Verborgene sieht . . . und ders ihr vergelten wird öffentlich, sagte der Greis, indem er Ernestinen seine zitternde Hand reichte. Wie gut meint es der liebe Gott mit mir; dieses ist die zweite himmlische Erscheinung, die er mir heute zusendet. Wohl mir, daß ich das Angesicht meiner Wohlthäterinn noch auf Erden schauen, und ihr danken kann, ehe ich hinfahre.

Nun erst konnte Ernestine sprechen: Wir wollen hoffen, ehrwürdiger Vater, daß ihr eure Gesundheit wieder erlangen werdet; habt ihr keinen Arzt? O ja, antwortete der Greis, der uns rettete, wie soll ich, wie kann ich ihn nennen! sandte mir gestern einen. Er sagte, er wolle mir heute stärkende Arzneien bringen; allein die brauche ich nicht. Meine Sanduhr ist ausgelaufen, und Gott selbst hat mich Müden gestärkt zu meiner Heimreise. Diese letzten Worte sagte er mit lächelnder Miene. Seine Tochter wandte ihr Gesicht weg, um ihre Thränen zu verbergen. Der Alte bemerkte es: Wie, Lea, du weinest? Hast du dich doch nur eben mit mir gefreuet. Die beiden Pilgerinnen standen tief erschüttert vor dem Bette. Nun besann sich Lea; sie rückte ein paar hölzerne Stühle 55 herbei, und bat sie, sich zu setzen. Christiane saß zu den Füßen des Alten, und weidete sich an seinem patriarchalischen Antlitz, in dessen Zügen Friede und Freude glänzten: wie glücklich ist er, dachte sie, und konnte sich nicht enthalten, ihn anzulächeln. Nicht wahr, sprach der Alte, ihr seyd ihre Schwester? Ich lese eure Verwandtschaft in euerm Gesichte. Ihre Freundinn, erwiederte Christiane. Meine beste Freundinn, sagte Ernestine. Also was meine Sara mir war, versetzte der Kranke, indem er Christianen mit heiterm Wohlgefallen anblickte. Schon hier war sie meine beste Freundinn, und wird es auch dort seyn. Diesen Abend werde ich sie wiedersehen; sie selbst hat mirs verkündigt.

Christiane sah seine Tochter an: sie glaubte, er rede irre. Lea errieth ihre Gedanken: vor einer Stunde fuhr er aus einem kurzen Schlummer auf, und erzählte mir, sie sey im Traum ihm erschienen . . . Das ist sie, unterbrach sie der Greis, und sie hat zu mir geredet: Diesen Abend, wenn der Mond meinen Grabhügel bescheinen wird, sollst du mich wiedersehen! so sagte sie und verschwand, und ich erwachte. Aber ich sehe sie noch: Ihr Gewand war weiß, wie der Schnee, und mit glänzenden Blutstriemen geflammt. Ernestine wiederholte dieß leise. Der Greis hörte es: Ja mit 56 Blutstriemen, gleich denen, welche die Kleider der Märtyrer schmücken. O, ich muß euch erzählen, woher diese Blutstriemen kommen: Eines Abends, es sind heute gerade dreißig Jahre, saß sie, mit meiner Lea an der Brust, auf der Bank vor unserer Hütte. Ach! ich habe sie immer als ein Heiligthum vor Wind und Wetter bewahrt, diese Bank: aber nun hat das Wasser sie mir weggespühlt. Dort aussen stand sie unter jenem Fenster, durch welches vorgestern der Mann Gottes uns rettete. Als nun das liebe Weib so da saß, kam mein Hofhund auf sie zugelaufen. Sie wußte nicht, daß er toll war. Er biß sie in das Bein, und sprang an ihr hinauf, und schnappte nach dem Kinde. Vater! Vater! rief sie, indem sie mit dem einen Arm das Kind gegen das Fenster hielt, und den andern dem Hunde darreichte. Ich sprang ans Fenster, und ergriff das Kind. Um Gottes Willen! sagte sie zu mir, komm nicht heraus, er ist toll. Mehr todt, als lebendig, warf ich das Kind auf dieses Bett, nahm mein Feuerrohr von der Wand, taumelte an das Fenster, und schoß nach dem Hunde im Augenblicke, da er sie zu Boden riß. Die Kugel traf sein Herz, und zugleich das Herz meines Weibes. Ihr letzter Blick . . . Ach, wie kann ich den beschreiben! Er war das erste Halleluja einer Verklärten. Ernestine und ihre Freundinn weinten. 57 Der Alte schwieg, aber er weinte nicht. Ich habe nichts mehr zu sagen, fuhr er jetzt fort; aber diese schönen Thränen möchte ich mit mir nehmen: es sind Perlen, werth den Hals meiner Sara zu schmücken. O, liebe Kinder, wäre der Herr nicht mein Trost gewesen, so wäre ich vergangen in meinem Elende!

Hier wurde der Greis unterbrochen. Adelbert, vom Arzte begleitet, trat in die Stube. Ernestine und Christiane hatten die Kraft nicht, aufzustehen; ihre Augen schwammen in Thränen, und verbreiteten einen himmlischen Glanz über ihr Gesicht. Adelbert betrachtete sie einen Augenblick mit inniger Wonne, dann sagte er zu Ernestinen: Mich wundert nicht, Sie hier zu finden. Lea trat zu ihm hin, und drückte seine Hand an ihre Brust, dann sagte sie, indem sie auf Ernestinen wies: Der Herr hat seinen Engel vor dir hergesandt. Der Alte lächelte: Wie glücklich bin ich, daß ich auch ihn noch segnen kann vor meinem Ende! Indessen trat der Arzt vor das Bette. Er wollte dem Greise den Puls fühlen; er zog seine Hand zurück: Gebt euch keine Mühe, lieber Herr; diese Nacht werde ich genesen.

Nun kam auch der Schwiegersohn herein, den das Geräusch des Wagens herbeigezogen hatte. Hier ist mein guter Mann, sagte Lea zu den beiden 58 Freundinnen Sieh, Jacob, diese ist es, von der ich dir sagte. Jacob konnte nicht sprechen; sein Herz war zu voll. Ernestine reichte ihm die Hand: Ihr müßt ein rechtschaffener Mann seyn, da dieser ehrwürdige Greis euch zu seinem Sohne gewählt hat. Das ist er, sagte der Alte; er macht meine Lea so glücklich, als meine Sara mich machte, und liebt mich, wie meine Lea mich liebt. Uebermorgen wird er ihr helfen meine Gebeine in das Grab meiner Sara legen, wie er ihr jeden Frühling die Blumen begießen half, die ich darauf gepflanzt habe. Die Wasserfluth, die meine liebe Bank fortriß und meine Bäume niederwarf, hat in meinem Gärtchen die Rosenhecke verschont, die das Haupt meiner Sara beschattet. Der Arzt ermahnte den Greis, nicht soviel zu sprechen, und langte ein Arzneiglas mit einem Cordial hervor, wovon er ihm einen Löffel voll reichen wollte. Er schlug es aus: Ich danke euch, lieber Herr; ich brauche nichts. So werdet ihr doch, guter Vater, meine Arznei nicht ausschlagen? sagte Adelbert, indem er ein Fläschchen Tokaier aus seiner Tasche zog; es ist Wein. Nun wohl, erwiederte der Alte mit freundlichem Lächeln, um auf die Gesundheit aller meiner Wohlthäter zu trinken. Lea brachte eine gläserne Trinkschale; Adelbert füllte sie, und gab sie dem Alten. Er neigte sein entblöstes Haupt ehrerbietig gegen die Fremden, und trank. 59 Ein herrliches Labsal, sagte er; nun aber nichts mehr, bis der Mond aufgehet, und dann, Lea, noch eine Schaale zum Abschiede.

Der Arzt hatte gleich vermuthet, daß die Einbildungskraft des Greises irgend eine Erschütterung erlitten haben müsse; allein er wußte nicht an wen er sich wenden sollte, um die Auflösung des Räthsels zu erhalten. Christiane, die neben ihm stand, bemerkte seine Verlegenheit; sie zog ihn auf die Seite, und erzählte ihm den Traum des Kranken. Dieser Traum, erwiederte er, so natürlich er auch ist, kann gar leicht zur wahren Prophezeihung werden. Schon gestern fand ich, daß der gute Alte ein Zehrfieber hat. Der ausgestandene Schrecken und diese Vision sind mehr als hinreichend, die kaum noch glimmende Lampe vollends auszulöschen; wenigstens bin ich hier unnütz, und des Herrn Rittmeisters Cordial ist eben so kräftig, als das meinige.

Indessen hielten Adelbert und Ernestine ein stummes Gespräch, das sie auch ohne Zeugen nie würden laut gehalten haben. Ihre Herzen freueten sich des Augenblicks, und noch mehr des sympathetischen Zuges, der sie zusammenführte, und wünschten sich Glück, einander zu gleichen. Ein süßer Seufzer entwischte der Brust des edeln Mannes, und das edle Weib mußte sich zwingen, ihn nicht zu beantworten. Noch eine halbe Stunde, in welcher die 60 Unterredung allgemeiner, aber nie lebhaft wurde, verweilte die Gesellschaft vor dem Bette des Dulders. Es gibt Gotteshäuser, die Jahrhunderte stehen, und in denen noch nie so heilige Gefühle aufloderten, als in dieser Krankenstube. Ernestine brach zuerst auf, und als Adelbert erfuhr, daß sie mit ihrer Gefährtinn zu Fuße gekommen sey, bat er sie so dringend, seinen viersitzigen Wagen mit ihm und dem Arzte zu theilen, daß sie ohne Ziererei sein Anerbieten nicht ausschlagen konnte. Im Grunde war sies auch ganz wohl zufrieden, weil die steigende Hitze ihr und ihrer Freundinn den Rückweg sehr beschwerlich gemacht hätte. Beide drückten dem Greise die Hand. Auf Wiedersehen, guter Vater, sagte Ernestine mit erstickter Stimme. Ja wohl auf Wiedersehen dort in unserer Heimath, antwortete er, und nun gab er ihr und dem Rittmeister, der neben ihr stand, mit der salbungsvollen Einfalt eines Patriarchen seinen Segen.

Lea folgte ihnen weinend, mit ihrem Kind auf dem Arm, an den Wagen. Ernestine bat sie, ihr am folgenden Tage durch ihren Mann vom Befinden ihres Vaters Nachricht zu geben; hier habe ich meine Wohnung aufgeschrieben, fuhr sie fort, indem sie ihr aus dem Schlage eine gespaltene Besuch-Karte in die Hand drückte, zwischen welche sie schon zu Hause einige Goldstücke gesteckt hatte. Sie wählte 61 absichtlich diesen Augenblick, da der Wagen abfahren wollte, und wirklich rollte er pfeilschnell ins Thal hinunter, ehe das gute Weib sich besinnen konnte. Der ehrwürdige Mennonit war die ganze Zeit über der Gegenstand ihres Gespräches. Ernestine erzählte ihren Gefährten seine Geschichte. Alle bewunderten die Seelenruhe und die heitere Standhaftigkeit des Greises, und der Arzt fand es besonders auffallend, daß eine Gemeinde, deren Stifter und erste Anhänger sich durch alle Ausschweifungen der Gesetzlosigkeit auszeichneten, sich nun eben so sehr durch friedliche Sanftmuth und musterhafte Redlichkeit unterscheidet.

Als der Wagen sich dem Bade näherte, stieg der Arzt aus, weil er ausserhalb dem Städtchen einen Patienten hatte, und die beiden Freundinnen fuhren mit dem Rittmeister bis in die Gegend des Brunnens, wo die Gäste bereits in großer Anzahl versammelt waren. Der Baron machte eine etwas stürmische Miene, als er die beiden Frauenzimmer mit Adelberten aussteigen sah; doch hielt er es für klüger, mit Ernestinen über diese Partie fine, wie er sich ausdrückte, nach seiner Art zu scherzen. Das ernste Stillschweigen, womit sie seine Faseleien anhörte, benahm ihm den Muth, sie um die eigentliche Absicht ihrer Reise zu befragen; er wandte sich daher an Christianen, und als diese ihm geradezu 62 die Wahrheit bekannte, so begnügte er sich, über diese abentheuerliche Wallfahrt zu lachen. Doch schlich sich von nun an die Muthmaßung in seine Seele. daß er, seiner hohen Vorzüge ungeachtet, im Rittmeister einen Nebenbuhler haben könne, und er nahm sich vor, ihn und die schöne Wittwe mit schlauer Wachsamkeit zu beobachten.

Am folgenden Morgen kam Ernestine eben vom Brunnen nach Hause, als ihr Mädchen ihr einen Bauer anmeldete, der sie zu sprechen verlangte. Es ist Jacob, riefen die beiden Freundinnen zugleich, und eilten ihm entgegen. Wirklich war ers; er kam, ihnen den Tod seines Schwiegervaters anzuzeigen. Er starb, sprach er, in der Stunde, die er vorhergesagt hatte Als der Mond aufgegangen war, mußte ihm Lea eine Schale Wein reichen; dann hob er die Hände auf, und betete über uns. Auf einmal hielt er inne, und sah lächelnd nach dem Fenster. Seht ihr sie dort? Sie winkt mir . . . Ich komme! . . . Gute Nacht, Kinder! Er legte sich hin, und entschlief. Ernestine und Christiane weinten. Jacob weinte erst dann, als er Ernestinen für ihre neue Wohlthat dankte. Sie behielt ihn bei Tische; nur mit Mühe ließ er sich dazu bewegen. Ueber der Mahlzeit erkundigte sie sich nach seinen häuslichen Umständen. Der Hof gehörte einem benachbarten Edelmann, dessen Eltern ihn der 63 Familie schon vor vielen Jahren für sechzig Thaler erblich verpachtet hatten. Der Herr von Forstheim ist etwas strenge, sagte Jacob; doch hoffe ich, er werde uns die heurige Pacht erlassen, sonst könnten wir uns nicht erholen, denn wir müssen frisches Vieh kaufen. Ernestine wollte sich den Namen des Edelmannes und seinen Wohnort aufschreiben. Ey er ist, fuhr Jacob fort, seit einigen Tagen hier im Bade mit seiner Tochter. Ich war heute schon bei ihm, und bat, was ich konnte; allein er will mir nur die halbe Gülte nachlassen. Ja, wenn das Fräulein Meister wäre, so würde es besser gehen. Ich hörte es wohl, wie sie leise für uns bat; aber er hieß sie schweigen. Es schickte sich nicht für mich, daß ich mich an sie wandte; das muß Lea thun. Sobald wir den Vater begraben haben, wird sie ohnehin kommen, und die Hand küssen, aus der uns so viel Gutes zufloß. Er hat es ihr befohlen. Der gute Vater! er brauchte es ihr nicht zu befehlen. Gebt euch zufrieden, mein Freund, erwiederte Ernestine; ich hoffe, der Herr von Forstheim werde sich wohl noch erweichen lassen. Es wird mich freuen, euer liebes Weib bei mir zu sehen.

Sobald Jacob fort war, nahm sie Christianen beim Arme; ich habe, mit dem ehrlichen General zu reden, eine Expedition vor, und du mußt meine Adjutantinn seyn. Wo gehts hinaus? fragte 64 Christiane. Zu einem gnädigen Herrn, von dessen Gnade ich nichts erwarte, erwiederte sie, und Christiane, die nun ihren Vorsatz errieth, folgte ihr mit hüpfendem Herzen. Die Wohnung des Edelmanns war bald erfragt, und er stutzte nicht wenig, als die beiden Damen in sein Zimmer traten. Desto offener und liebreicher war der Empfang des Fräuleins. Sie haben die Güte gehabt, Herr Baron, Ihrem verunglückten Pächter die Hälfte des diesjährigen Zinses zu erlassen; erlauben Sie mir, dieses gute Werk mit Ihnen zu theilen, und die andere Hälfte auf meine Rechnung zu nehmen. Der reichsfreie Jude war etwas verlegen, und schien sich sogar ein bischen zu schämen; das Fräulein erröthete bis in die Fingerspitzen, und schlug die Augen nieder. Indessen reichte ihm Ernestine die dreißig Thaler hin. Seine Hand machte auf halbem Wege einen Augenblick halt; allein zu nehmen gewohnt, rückte sie mechanisch vorwärts, und empfieng die Summe. Sie sind sehr gütig, Madam, stammelte er bald leise. Befehlen Sie eine Quittung? Wenn ich Sie darum bitten dürfte, versetzte Ernestine; Sie würden mich verbinden, wenn Sie dieselbe auf den Namen des jetzigen Erbpächters Jacob ausstellen, und darinn ihrer eigenen Wohlthat erwähnen wollten. Der Edelmann machte eine Verbeugung, und setzte sich an seinen Schreibtisch, indeß Ernestine 65 und Christiane mit dem Fräulein ein Gespräch anknüpften. Das arme Kind war auf der Folter; sie fühlte das unwürdige Betragen ihres Vaters in seiner ganzen Stärke, und ihre Blicke schienen für ihn um Vergebung zu flehen. Aus zarter Schonung gegen sie brach Ernestine auf, sobald sie den Schein empfangen hatte: aber ihr herzlicher Abschieds-Kuß sagte dem liebenswürdigen Mädchen, daß sie die Tochter nicht mit dem Vater vermengte.

So sehr Christiane mit der Handlungsweise ihrer Freundinn bekannt war, so hatte dennoch dieser Auftritt ein so neues, eigenes Gefühl in ihr erregt, daß sie beim Eintritt in ihr Zimmer Ernestinen um den Hals fiel. Liebe, Einzige! war alles, was sie sagen konnte. Einzige? erwiederte Ernestine; lasest du nicht in den Augen des guten Mädchens, daß es eben so gehandelt hätte? Liede Freundinn, ich habe nicht Jacobs, sondern meine Schuld bezahlt. Ich habe das vorige Jahr kaum die Hälfte meines Einkommens verzehrt; gleichwohl ließ ich mir nichts abgehen. Was mir übrig blieb, war Ueberfluß, und dieser gehört nicht mir; ich muß ihn denen ausbezahlen, welchen die Vorsehung Wechsel auf mich anweist. O, es ist eine süße Ehre, ihre Verwalterinn zu seyn! Doch, wieder auf das Fräulein zu kommen, hast du 66 gesehen, wie das gute Kind litt? Ja wohl habe ich es gesehen, und noch mehr, als das: ihre Blicke segneten dich, daß du deinem Anbringen eine Wendung gabst, die ihr eine größere Beschämung ersparte.

Ernestine. Wenn ich nicht eine unüberwindliche Abneigung vor neuen Bekanntschaften hätte, so würde ich die ihrige suchen.

Christiane. Diese Abneigung erstreckt sich doch nicht auf alle neue Bekanntschaften?

Ernestine. (errötend.) Eine sehr muthwillige Anmerkung. Doch ich bin heute nicht zum Disputiren aufgelegt.

Um das Gespräch abzubrechen, ergriff sie ihre Harfe, und spielte, bis es Zeit war, den öffentlichen Spaziergang zu besuchen.

Sie kommen eben recht, rief der Kammerjunker ihr entgegen, als sie sich der Gesellschaft näherten; wir haben auf morgen ein Concert veranstaltet, und ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen eine Rolle darin anzuweisen. Ernestine war betreten, und bemühete sich, ihren Unwillen zu verbergen. Ich habe noch nie in einem Concert gespielt, antwortete sie, und wenn ich das einzige Frauenzimmer bin, dem Sie eine Rolle angewiesen haben, so fürchte ich nicht die Gesellschaft zu beleidigen, wenn ich ein Versprechen ablehne, das ich 67 nicht geleistet habe. Bravo! Bravissimo! rief der Baron; eine Bedenklichkeit hebt die andere auf. Das Fräulein von Forstheim will nicht allein singen, Sie wollen nicht allein spielen: wir werden also das Vergnügen haben, Sie beide zu hören. Sie wissen ja selbst, Herr Baron, daß ich keine Musik bei mir habe, erwiederte Ernestine, und bis übermorgen . . . Auch dafür ist gesorgt, sprach der Kammerjunker mit triumphirender Miene; wir wollen das Trio spielen, wovon Ihnen neulich der erste Versuch so trefflich gelungen ist. Morgen nach Tische, wenn es Ihnen gefällt, wollen wirs zum Ueberfluß noch einmal bey Ihnen durchgehen; ich habe bereits mit dem Rittmeister gesprochen. Ernestinens Gesicht flammte; sie antwortete blos durch ein leichtes Kopfnicken. Das Fräulein von Forstheim riß sie aus ihrer Verwirrung. Sie nahete sich ihr mit der holdesten Freundlichkeit: Ihr Beispiel, Madam, gibt mir den Muth, die Aufforderung des Herrn von Seeburg anzunehmen. Vielleicht sollte es mich eher abschrecken; doch ich weiß ja, mit welcher Schonung sie sich Ihrer Ueberlegenheit bedienen. Die letzten Worte sprach sie in einem Tone, den nur die beiden Freundinnen verstehen konnten. Auch Sie wollen mich beschämen, versetzte Ernestine, indem sie Augusten, so hieß das Fräulein, zärtlich die Hand 68 drückte. Dieses würden Sie nicht sagen, erwiederte sie, wenn Sie mich so genau kenneten, als ich Sie kenne. Sie hielt inne, und schien sich einen Moment zu besinnen, oder vielmehr mit ihrer Blödigkeit zu kämpfen. Nicht wahr, Sie erlauben mir, Sie zu besuchen? setzte sie dann leise hinzu. Ein Blick Ernestinens, in dem eine Thräne glänzte, sagte ihr, daß sie ihre Frage mit keiner von jenen schönen Phrasen beantworten wollte, die schon lange aufgehört haben, die Sprache des Herzens zu seyn.

Indessen hatte der Baron den Rittmeister herbeigeholt. Adelberts Gesicht war heiter, wie die Freude: er fragte Ernestinen, um welche Stunde es ihr gelegen sey, ihr Stück zu repetieren. Ich denke um vier Uhr, antwortete sie. Merken Sie sichs, um vier Uhr, sagte der Baron lachend, und lassen Sie sich durch keinen Spazierritt verleiten, die Stunde zu verfehlen. Adelbert schwieg; aber Ernestine konnte nicht schweigen. Es gibt Fälle, sagte sie, da man besser thut, seinem Herzen, als seiner Uhr zu folgen. Meinen Sie das, versetzte der Kammerjunker, und lachte noch lauter; Sie können Recht haben. Sein schalkhafter Blick schien den Grund ihrer Seele durchdringen zu wollen. Ernestine (frostig): Sie sind heute sehr aufgeräumt, Herr Baron. Sehr ungezogen! wollen Sie vielleicht sagen, unterbrach sie seine Mutter, die ihre 69 verdrießliche Miene bemerkte, kommen Sie, liebe Nachbarinn, ich will Sie von diesem Plagegeist erlösen. Sie lehnte sich auf ihren Arm, und zog sie mit sich in eine Nebenallee: Mein Sohn läßt sich bisweilen von seiner muntern Laune zu weit führen; Sie würden ihm aber Unrecht thun, mein Kind, wenn Sie an seinem guten Herzen zweifelten. Das Zeugniß einer Mutter ist zwar verdächtig; allein wenn Sie ihn erst näher kennen, so werden Sie es bestätigen. Ernestine war äusserst betreten; zum erstenmal ahnete sie die Absichten der Mutter und des Sohnes. Sie konnte nicht antworten, und hielt sich den Fächer vors Gesicht. Die Baroninn legte dieses Stillschweigen zu ihrem Vortheil aus, und wollte sich vor der Hand nicht näher erklären; zumal der Ort zu einer Anwerbung eben nicht der bequemste war. Sie lenkte das Gespräch auf das Fräulein von Forstheim, und fragte Ernestinen, ob sie es kenne? Ernestine: Erst seit heute, gnädige Frau; ich finde sie sehr liebenswürdig. Die Baroninn: Sie betrügen sich nicht; das gute Kind hat seine Mutter zu früh verloren, die eine weitläuftige Verwandte von mir war. So genau sonst ihr Vater ist, so hat er doch nichts an ihrer Erziehung gespart. Sie besitzt allerhand Talente, nur ist sie zu schüchtern. Das kommt von ihrem beständigen Aufenthalt auf dem Lande her. Doch habe ich sie 70 vermocht, übermorgen im Concert zu singen; sie hat eine sehr hübsche Stimme. Auch Sie, meine Liebe, wollen sich hören lassen? das macht mir große Freude. Ich bin nicht weniger schüchtern, als das Fräulein, erwiederte Ernestine, und habe vermuthlich mehr Ursach, es zu seyn, doch da meine Weigerung die Gesellschaft des Vergnügens beraubt hätte, sie zu hören, so durfte ich nicht darauf bestehen. Es wurde noch mehr von dem Fräulein gesprochen, das mit Christianen den beiden Damen in einiger Entfernung folgte. Beim Umkehren gab Ernestine ihrer Freundinn einen Wink, sie verstand ihn, und wandte sich mit ihrer Gefährtinn zu ihr und der Baroninn. Ernestine richtete ihr Gespräch vornehmlich an Augusten, welche die ganze übrige Zeit nicht mehr von ihrer Seite wich. Die Baroninn verließ sie, um ihre gewöhnliche Parthie zu machen, und Auguste fühlte sich bei Ernestinen so ganz zu Hause, und diese fand so viel Vergnügen am Umgange des sanften, offenen Mädchens, daß die Gesellschaft sich beinahe schon ganz verloren hatte, als sie sich trennten.

Ein liebenswürdiges Wesen, sagte Ernestine auf dem Heimwege zu Christianen. Das ist es, erwiederte sie; auch mich hat das holde Mädchen durch die edle Wärme eingenommen, womit es mir Glück wünschte, deine Freundinn zu seyn. Glauben 71 Sie, setzte es furchtsam hinzu, daß ihr meine Besuche nicht zuwider seyn werden? Gewiß nicht, antwortete ich; Sie sind heute in einem Augenblick ihre alte Bekannte geworden. Meinen Sie das? sagte sie tief bewegt; o, dann sollte selbst die Veranlassung unserer Bekanntschaft . . . Hier stotterte sie; sie wünschte verstanden zu seyn, ohne ausreden zu dürfen. Ehe wir in ihr Zimmer traten, liebes Fräulein, fuhr ich fort, wußte meine Freundinn, wer Sie sind: der ehrliche Jacob hatte Sie uns verrathen. Sie erröthete: Jacob? . . . Ach, was konnte der Ihnen sagen, als daß ich Ihrer Freundinn gern zuvorgekommen wäre. Ihre edle Seele hatte ja schon genug gethan! O, ich weiß alles, der gute Mann hat es mir mit Thränen erzählt, und es that ihm so wohl, als er auch meine Thränen fließen sah. Gott! als ich den Engel erblickte, hätte ich ihr zu Fuße fallen mögen. Dieses Gespräch führte sie bis nach Hause, und nun erzählte auch Ernestine ihrer Freundinn die mit der Baroninn gehabte Unterredung. Du sagst mir nichts neues, erwiederte Christiane, und wenn der Kammerjunker dir weniger gleichgültig wäre, so würdest du auch schon lange seine Absicht errathen haben. Ernestine: Dieser Mensch verderbt mir meine Kur, und zwingt mich, es zu bereuen, daß ich diesen Ort besucht habe. Blos um seiner Mutter willen dulde ich ihn, und blos 72 um ihretwillen ist es mir lieb, daß ich, wenn meine Muthmaßungen eintreffen sollten, andere als persönliche Gründe anführen kann, um ihn von mir zu entfernen. Gott! ist es möglich, daß Reinold und Seeburg zu einem Geschlechte gehören, und daß dieser, der den Edeln, Unvergeßlichen kannte, den Wahn hegen darf, ihm in meinem Herzen nachzufolgen.

Noch vor der verabredeten Stunde erschien Adelbert bei Ernestinen. Er hoffte, sich einige Augenblicke mit ihr unterhalten zu können; allein der Kammerjunker ließ ihm keine Zeit dazu. Er hatte ihn durchs Fenster erblickt, und kam ihm auf dem Fuße nach. Ernestine hatte sich auf die Repetition vorbereitet, und spielte mit einem Feuer und mit einer Fertigkeit, die ihre beiden Gesellschafter bezauberten. Adelberts stiller Beifall besiegte ihre Schüchternheit, und auf die erste Bitte ihrer Freundinn ließ sie sich bewegen, zum Beschluß einige Arien aus der damals neuen Operette, das Elysium, zu spielen, und mit ihrer sanften, seelenvollen Stimme zu begleiten. Nie wurden die reinen Gefühle des edeln Dichters getreuer ausgedrückt; nie die unnachahmliche Melodie seiner Accente selbst vom Componisten näher erreicht, als von der reizenden Sängerinn, die der Text und die Musik, und die Gegenwart des Mannes, dem sie mehr als jemanden in 73 der Welt zu gefallen wünschte, im eigentlichsten Sinne begeisterten. Adelbert stand in stummer Entzückung vor ihr. Selbst der Baron vergaß seine Ausrufungen; er ahnete, was Adelbert mit der ganzen Allmacht der Sympathie fühlte, als plötzlich die Stubenthür aufsprang, und Lea, ohne auf die Anwesenden zu achten, oder vielmehr ohne sie zu sehen, zu Ernestinens Füßen niederstürzte. Sie umfaßte ihre Kniee, sie küßte sie mit zitternder Inbrunst. Ernestine war bestürzt, sie konnte lange nicht sprechen. Was thut ihr, gute Frau? stammelte sie endlich, indem sie sie aufzurichten suchte. Was ich thue? Ach, danken möchte ich! segnen möchte ich! und kann es nicht, aber hier, hier! . . . Sie legte die Hand auf ihre Brust: O, selig, selig sind die Barmherzigen! Ich komme von unserm Herrn, ich weiß alles. Jetzt erblickte sie den Rittmeister: Auch er hier? Sie stand auf, und wollte ihm die Hand küssen. Er zog sie zurück: Nicht doch, gute Lea. Warum nicht? Es ist ja nicht die Hand eines Menschen. Jetzt sah sie ihn und Ernestinen wechselsweise an: Ha! die Blume zu Saron, und die Rose im Thal! Diese beiden Seelen, wie soll ich sie nennen? Ihre Namen sind dort oben angeschrieben; aber ich kann sie nicht aussprechen. Mein sterbender Vater hatte wohl Recht zu sagen, daß es Zwillinge sind, die zu gleicher Zeit aus Gottes Schooße hervorgiengen.

74 Der Baron, der bisher mit seinem Fiedelbogen gespielt hatte, zwang sich nun zu lächeln, Adelbert bemerkte es, und selbst Ernestinens Wangen glüheten kaum so hoch, als die seinigen. Um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, sagte er zur Bäuerinn: Was macht der gute Jacob? Dank, lieber Herr; er ist wohl, versetzte sie, und bald wird er auch froh seyn, so froh, wie ich. Als er mich fortschickte, sagte er seufzend zu mir: Gott gebe, daß du mehr ausrichtest, als ich, und als ich zum Gutsherrn kam, zitterte ich an allen Gliedern. Da lief das gnädige Fräulein mir entgegen, und sagte zu mir: Nicht wahr, Lea, ihr kommt wegen der Pacht? Ich konnte ihr nicht antworten. Seyd ruhig, sagte sie, alles ist in Richtigkeit; die großmüthige Fremde, die schon einmal eure Thränen abtrocknete, hat euern Rückstand bezahlt.

Adelberts und Ernestinens Blicke begegneten sich; sie fielen ins innerste Heiligthum ihrer Seelen. Eine las in der andern den Ausspruch des sterbenden Patriarchen. Nun erst erkannten sie sich ganz; ihre Herzen wallten sich entgegen: Eine unsichtbare Hand wischte den schüchternen Zwang von ihrem Angesicht, und aus ihren Augen blitzte der Bewillkommungsgruß verschwisterter Wesen. Sie standen allein auf einem isolirten Punkte des Weltalls; um sie her herrschte eine tiefe, heilige Stille. Selbst Seeburg wagte es nicht, sie zu 75 unterbrechen; Ernestinens Anblick, die in einem Ehrfurcht gebietenden Glanze vor ihm schwebte, band ihm einige Minuten die Zunge. Seine erwachende Eifersucht gab ihm die Sprache wieder. Wir dürfen die Frau Hofräthinn nicht länger aufhalten, sagte er zum Rittmeister, indem er Ernestinen eine tiefe Verbeugung machte, und Adelbert, der sichs nicht verbarg, daß die Delikatesse dieses Opfer von ihm foderte, ließ, wie ein folgsamer Knabe, den sein Zuchtmeister aus einem süßen Mittagstraum in die Schule ruft, sich von ihm fortführen. Ernestine wußte ihm Dank für diese Folgsamkeit, die ihr Herz nicht mißdeutete. Sein Abschied von ihr und Christianen war stumm; nur Lea erhielt ein freundliches Lebewohl, und einen Gruß an ihren Mann. Dieser Gruß erinnerte sie an die Unruhe, in der sie ihn verlassen hatte. Ich muß gehen, sagte sie zu Ernestinen; ich muß ihm unser neues Glück ankündigen. Wie wohl wird er diese Nacht schlafen! Ernestine gab ihr die Quittung des Gutsherrn; mit heißen Thränen befeuchtet, steckte Lea sie in ihren Busen. Unter der Stubenthür wandte sie sich noch einmal um, und hob ihre Hände gen Himmel. Lieber Gott, rief sie, wie wird mir seyn, wenn ich ihr Angesicht nicht mehr schauen kann!

Tief athmend warf sich Ernestine in ihren Lehnstuhl; sie fühlte jene süße Erschöpfung, die ein 76 schönes, aber mühsam vollendetes Tagwerk krönete. Christiane beobachtete sie, ohne ihr Herz im Nachgenusse der Gefühle zu stören, die es wechselsweise durchströmt hatten. Endlich kam ihre Seele zurück aus dem reizenden Labyrinthe ihrer Phantasieen; sie sah Christianen neben sich sitzend, die sie mit zärtlicher Aufmerksamkeit betrachtete.

Ernestine. Wie, du hier? Warum denn so stille?

Christiane. Ich behorchte deine Gedanken.

Ernestine. (erröthend.) Meine Gedanken?

Christiane. (lächelnd.) Nicht wahr, deine Gefühle sollte ich sagen? Du hast Recht; jeder Gedanke an ihn geht in ein Gefühl über.

Ernestine. (an Christianens Busen gelehnt.) An ihn? Du weißt also, daß er für mich keinen Namen mehr hat? Nun ja, meine Freundinn, meine Schwester, ich will, ich darf dir meine Gefühle nicht verhehlen, aber nicht blos zur Vertrauten, zur Wächterinn meines Herzens will ich dich machen.

Christiane. Zur Wächterinn? O, da werde ich wenig zu thun haben; den Eingang in dein Herz kann ich ihm nicht mehr verwehren, und du wirst doch nicht verlangen, daß ich ihn heraus treibe?

Ernestine. Ich fürchte, du hast Recht.

Christiane. Du fürchtest? Warum das, meine Freundinn? Du darfst weder fürchten, noch erröthen. 77 Verdient ers etwa nicht, daß du ihn allen dir bekannten Männern vorziehest? Kennst du einen edlern?

Ernestine. Diese Frage habe ich meinem Herzen schon oft vorgelegt.

Christiane. Und es hat sie verneinet; nicht wahr? O, liebe Freundinn! ich lese schon lange in deiner Seele, und du, du mußt in der seinigen gelesen haben, es kann dir so wenig, als mir, entgangen seyn, daß er dich in der Stille anbetet. Vergieb mir diesen Ausdruck; Adelbert beweist mir, daß der erste, der ihn brauchte, kein Lügner war.

Ernestine antwortete ihr blos mit einem Blicke, der ihr aber alles sagte, was ihr Mund ihr verschwieg. Sie sank in ein tiefes Nachdenken zurück, sanfte Freude und sanfte Wehmuth wechselten in ihren seelenvollen Zügen. Christiane sah, daß sie sich mit dem Schatten ihres Reinolds unterhielt, und hatte zuviel Ehrfurcht für die feierliche Unterredung, als daß sie sichs hätte erlauben können, sie zu unterbrechen. Bisweilen rieselte eine Thräne über ihre Wange; bisweilen zückte ein himmlisches Lächeln auf ihren Lippen. Die kleine Lili unterbrach die heilige Scene; sie kam herbeigehüpft, um ihre beiden Mütter zur Abendmahlzeit zu rufen. Ernestine zwang sich, die Liebkosungen des reizenden Kindes zu erwiedern, aber selbst Lili bemerkte, daß etwas Ausserordentliches in ihr vorgieng. Sie fragte sie 78 mehrmals, ob sie krank sey; nicht krank, aber müde, antwortete sie, und küßte die kleine Schwätzerinn. Bei Tische gab sie sich alle Mühe, ihre Zerstreuung zu verbergen; allein es wollte ihr nicht gelingen. Zum erstenmal war ihre Mahlzeit kurz und langweilig. Christiane hielt es für besser, sie ihren Betrachtungen zu überlassen; du bedarfst der Ruhe, sagte sie, indem sie aufstand. Jene errieth ihre Absicht, und hielt sie lange fest in ihre Arme geschlossen, ehe sie sich von ihr trennte.

Des folgenden Morgens bat Auguste beim Brunnen Ernestinen um die Erlaubnis, sie nach Hause zu begleiten. Schon gestern, sagte das holde Mädchen, hätte ich Sie gerne besucht; allein die Concertprobe hat mich abgehalten. Sie hieng sich ihr traulich an den Arm, und folgte ihr in ihre Wohnung. Sie setzte sich neben ihr auf ein Canapee, und schwieg einige Momente, als wollte sie ihre Kräfte sammeln. Ich habe, liebe Frau Hofräthinn, sagte sie dann schüchtern, einen Auftrag von meinem Papa an Sie: Ihr Besuch hat ihn so sehr überrascht, Ihre Großmuth hat ihm ein so angenehmes Erstaunen verursacht, daß er . . . Sie stockte . . . daß er . . . den Muth nicht hatte, Ihnen Ihre Bitte zu versagen; nun läßt er Sie durch mich ersuchen, ihm zu erlauben, die Pacht des guten Jacobs ganz auf seine Rechnung zu nehmen. Mit zitternder Hand 79 langte sie ein Papier aus der Tasche, in welches die dreissig Thaler eingewickelt waren. Jetzt erblickte sie Christianen, die gegen ihr über stand, und sie mit forschendem, liebevollem Auge ansah. All ihr Blut stieg ihr ins Gesicht: sie schlug die Augen nieder, und wollte das Geld Ernestinen in die Hand legen. Sie zog sie zurück: Nicht doch, liebes Fräulein, Ihr Herr Vater soll mir das Vergnügen nicht verderben, die kleine Wohlthat mit ihm getheilt zu haben. Ueber dieses wird er mich nicht zur Lügnerinn machen wollen: ich habe seine Quittung bereits der Pächterinn zugestellt. Mit Thränen in den Augen drang Auguste noch einmal in sie. Ernestine schloß ihr den Mund mit einem Kusse: Lassen Sie uns, liebes Kind, unsere nähere Bekanntschaft nicht mit einem Zank anfangen. Ihr Herr Vater hat mehr Gelegenheit als ich, diesen guten Leuten wohlzuthun. Auguste schwieg einige Momente. Dann sagte sie noch einmal, aber ganz leise: Ach, liebe, liebe Madame, ich bitte . . . Ernestine drückte ihre ausgestreckte Hand an ihre Brust, und sagte: Ersparen Sie mir, bestes Kind, die Mühe, selber mit Ihrem Herrn Vater zu sprechen. Sie erblaßte, und schob langsam ihr Papier in die Tasche. Um ihrer Verlegenheit ein Ende zu machen, sprach Ernestine vom Concert, und auch ihre Freundinn mischte sich in die Unterredung. Bald aber verfiel 80 man auf ernstere Gegenstände. Ueberall ließ Auguste einen reinen Verstand und ein noch reineres Herz blicken. Sie bat Ernestinen so dringend um ihre Freundschaft, sie zeigte ihr eine so kunstlose, zärtliche Liebe, und ersuchte Christianen so herzlich, ihre Fürsprecherinn bei ihrer Freundinn zu seyn, daß beide sie innigst gerührt umarmten, und ihr mit Freuden die Erlaubniß ertheilten, sie, so oft sie wollte, zu besuchen.

Ein liebenswürdiges Geschöpf, sagte Christiane, als sie weg war, das zur Betrügerinn verdorben ist. Wie so das? erwiederte Ernestine. Ey, fuhr jene fort, hast du nicht bemerkt, wie ihr Angesicht glühete, als sie dir das Geld zurückgeben wollte, und wie sie erschrak, als du ihr sagtest, sie möchte dich der Mühe überheben, selbst mit ihrem Vater zu sprechen? O, ganz gewiß weiß er nichts von diesem Schritte; das gute Mädchen hat seine Ehre bei uns retten wollen. Ich glaube, du hast Recht, erwiederte Ernestine. Wie sehr verdient das edle Kind unser Mitleid und unsere Liebe! Christiane hatte wirklich Recht. Das arme Mädchen konnte den Gedanken nicht ertragen, daß Ernestine von ihrem Vater einen nachtheiligen Begriff gefaßt haben müsse; sie nahm die dreissig Thaler, die sie sich zu einem neuen Kleide zusammengespart hatte, und freute sich, sie einer edlern 81 Bestimmung widmen zu können, schlug fehl; allein für das geheime Protokoll der Tugend gieng ihre That nicht verloren.

Die Stunde des Concerts erschien. So glänzend und zahlreich war die Gesellschaft noch nie; es war, als ob jedermann Ernestinens Triumph feiern wollte. Sie allein schien nicht zu wissen, daß sie die Heldinn des Tages war. Edel und geschmackvoll, aber eben so einfach, wie gestern und ehegestern, war ihr Anzug; nur blitzte an ihrem Finger ein großer Diamant, das erste Geschenk ihres Reinolds. Die Baroninn konnte sich nicht enthalten, diese allzu große Bescheidenheit zu rügen. Ich hoffe, Sie scherzen, gnädige Frau, erwiederte Ernestine: denn wenn es Ihr Ernst wäre, so würde das, was Sie zu viel Bescheidenheit nennen, seinem wahren Sinne nach zu wenig Bescheidenheit seyn.

Als das Trio gespielt werden sollte, führte der Baron sie an das Orchester. Die siegreiche Miene, womit er ihr die Hand reichte, vermehrte ihre schüchterne Verwirrung, welche der Gruß des Rittmeisters, den sie nun erst wahrnahm, eben nicht fähig war, zu zerstreuen. Erröthend und mit gesenktem Blick ergriff sie ihre Harfe. Sie beschäftigte sich einige Momente mit Stimmen; Adelbert gab ihr den Ton an, und die Zaubersprache seiner Flöte weckte ihren Muth. Das Stück begann. Ernestine 82 vergaß den zahllosen Zirkel, der sie umgab. Mit jeder Periode stieg ihre Begeisterung. Alles schwieg; alles war entzückt. Jedes Auge hieng an dem sanftverklärten Gesichte der Spielerinn, jedes Ohr an den Silbertönen, die zwischen ihren Rosenfingern hervorsprudelten. Ihr letzter Accord war die Losung zu einem schmetternden Händeklatschen, das, mehrmals wiederholt, sie bis auf ihren Stuhl zurückbegleitete.

Ernestinens Verwirrung war größer, als im Augenblicke, da sie ihre Harfe in den Arm nahm; um nicht nöthig zu haben, sich umzusehen, ergriff sie die kleine Lili, die von ihrer Mutter Seite auf sie zusprang, und machte sich allerhand mit ihr zu schaffen. Dann kam die Reihe an das Fräulein: auch sie ärndete den Beifall, den ihre liebliche Stimme und ihr reiner, ausdrucksvoller Gesang verdienten. Sie hatte sich gleich anfangs ihren Sitz neben Ernestinen gewählt; jetzt nahm sie ihn wieder ein, und rankte liebreich den Arm um den ihrigen. Das Orchester machte einen kleinen Stillstand. Man schwatzte, und die Mannspersonen giengen hin und her. Der alte General nahete sich den zwo jungen Damen mit freudestrahlender Miene: So ist es denn doch wahr, was man mir in der Schule sagte, daß die Musen Schwestern sind. Mutter, wer ist der Herr mit dem schönen Bande? fragte Lili, die 83 noch immer vor Ernestinen stand, und mit ihrem Fächer spielte. Das will ich dir zu Hause sagen. Ist dieser kleine Engel ihr Kind, Madame? sagte er, indem er des Mädchens Wange streichelte. Ja und nein, antwortete Ernestine; es gehört meiner Freundinn und mir gemeinschaftlich zu. Wohl dir, holdes Geschöpf! erwiederte der Greis, tief bewegt; wenn du die Kunst, glücklich zu machen, nicht lernest, so geht sie mit deiner Pflegemutter verloren. Sie sehen, vortreffliche Frau, daß ich Sie kenne, und hoffentlich errathen Sie, woher. Die Ankunft des Barons unterbrach ihn. Der General verließ sie, und so freundlich auch sein Abschiedsgruß war, so konnte man doch seinen Unwillen über diese Störung auf seiner Stirne lesen.

Des Kammerjunkers Komplimente waren in seinen gewöhnlichen Ton gestimmt, der aber zugleich die hohe Selbstzufriedenheit verrieth, womit er einen Theil des Triumphs dieses Tages auf seine Rechnung schrieb. Ernestine war bei dem erhaltenen Beifall nicht unempfindlich; wie hätte sie es seyn können, da sie den Antheil wußte, den Adelbert daran nahm? Sie glaubte also dem Kammerjunker einige verbindliche Worte sagen zu müssen, die ihn noch in seinem eiteln Wahne bestärkten. Auf dem Rückwege ergoß auch die Baroninn sich in Lobeserhebungen; allein sie waren in einen Ausdruck 84 mütterliche Zärtlichkeit gekleidet, der Ernestinen rührte, aber auch ihre Verlegenheit vermehrte, weil der Grund dieser ausgezeichneten Begegnung ihr kein Räthsel mehr war.

Sie besprach sich darüber mit ihrer Freundinn, als sie bei Tische jede Scene die es geräuschvollen Abends zurückriefen, und bei dem kurzen Auftritt des Generals am längsten und liebsten verweilten. Nun, sagte sie, habe ich alles gethan, was die Baroninn und selbst ihr Sohn von meiner Gefälligkeit erwarten durften, und hoffe, hinfort berechtigt zu seyn, meine Vergnügungen selber zu wählen. Ich achte die Baroninn höher, als ich es anfangs für möglich hielt, und du weißt, warum; ihr Sohn aber fällt mir täglich mehr zur Last, und ich wünsche mehr, als ich fürchte, eine Gelegenheit zu finden, ihn zu bitten, seine Aufwartungen einzustellen, die, wie mich dünkt, anfangen Aufmerksamkeit zu erregen. Christiane lächelte: Auf diese Gelegenheit wird er dich wohl nicht lange warten lassen. Wenn ich mich nicht sehr betrüge, so fängt er an gegen den Rittmeister Mißtrauen zu schöpfen; wenigstens kann ich mir nur dadurch die unruhige Miene erklären, womit er herbeisprang, als er dich in einem Gespräche mit dem General begriffen sah. Allemal wollte ich wetten, daß er es bereuet, dir den Flötenspieler zugeführt zu haben, und wir wissen am besten, 85 daß er eben nicht Unrecht hatte, diesen Gedanken zu verwünschen.

Während dieser Unterredung hielt der Baron mit seiner Mutter eine geheime Konferenz, welche Christianens Prophezeihung rechtfertigte. Bisher, sagte er, haben wir uns begnügt, unsere Wittwe zu beobachten, und die Zugänge ihres Herzens auszuspähen. Diese Unthätigkeit hat schon zu lange gedauert, und vielleicht haben wir den günstigsten Augenblick bereits versäumt. Wie dem auch sey, so sehen Sie nun zur Genüge, daß ich Ihnen nicht zuviel von dem Weibchen sagte, und daß das Publikum mich nicht tadeln wird, wenn ich einer Person, die so viele seltene Eigenschaften mit einem Vermögen von 60,000 Thalern vereinigt, meine Hand gebe. Noch einmal, es ist hohe Zeit, das Eisen zu schmieden; ein längeres Zögern könnte gefährlich werden. Ich habe wahrgenommen, daß die Dame anfängt, Geschmack am Rittmeister zu finden. Sie hat einigen Hang zur Schwärmerei, und die Großthaten dieses Don Quixote haben eine Zeit her ihrem Enthusiasmus volle Nahrung verschaft: wenn ich ihr meine Absichten länger verhehle, so kann eine falsche Bewunderung oder ein großmüthiges Mitleiden dem Invaliden seine Eroberung erleichtern, die er freilich mit den Waffen der Liebe nie machen würde. Ein solches Abentheuer wäre nicht das erste dieser Art, und wenn 86 vollends, wie ich vermuthe, der alte Degenknopf sein Fürsprecher werden sollte, so könnte die liebenswürdige Schwärmerinn, die neulich so herzlich bei seiner albernen Lobrede weinte, leicht in die Falle gelockt werden.

Ich habe dich nicht unterbrochen, erwiederte die gnädige Mama, weil ich es umsonst versucht hätte; zudem finde ich es überflüssig, den Plan, den ich bisher befolgte, zu vertheidigen, und den Grund oder Ungrund deiner Muthmaßungen zu untersuchen. Genug, daß ich schon im Concert den Vorsatz gefaßt habe, nicht später, als morgen, die Hofräthinn, deren Geist und Herz mich eben so sehr, als ihre äussern Vorzüge für sie einnehmen, um eine Unterredung zu bitten. Mit Ihrer Erlaubniß! fiel der Baron ihr hastig in's Wort, ich bin, dächte ich, alt genug, um mein eigener Sachwalter zu seyn. Ich will die Unterhandlung eröffnen, und wenn der Hauptpunkt im Reinen ist, so werde ich Ihnen mit Vergnügen den Ueberrest, besonders den ökonomischen Artikel, überlassen. Die Baroninn mochte einwenden, was sie wollte, er beharrte auf seinem Vorsatze. Thue, was du willst, sagte sie endlich voll Unwillens über seinen unbiegsamen Eigendünkel; es soll mir lieb seyn wenn du nicht Ursache findest, deinen Starrsinn zu bereuen und den Beistand einer Mutter zu einer Zeit zu suchen, da er dir vielleicht von keinem Nutzen mehr seyn kann. Ich habe dir 87 den Weg zum Herzen der Wittwe gebahnt. Noch konnte ich nicht darinn lesen; nur fand ich sie kalt gegen alles, was sonst die Eitelkeit einer Bürgerinn reizt. Grimasse! rief er hastig; bloße Grimasse! Ich kenne das weibliche Herz besser. Gesetzt aber auch, es wäre Philosophie, so wird sie ihr entsagen, so bald sie ihrer nicht mehr bedarf, um das entbehren zu lernen, was ich ihr anbieten werde. Lassen Sie mich nur machen; ehe vier und zwanzig Stunden vergehen, werden Sie etwas Neues hören.

Am folgenden Morgen war es, als ob Ernestine in eine Gesellschaft von lauter alten Bekannten träte; jedermann, auch die fremdesten Gesichter, grüßten sie mit einer traulichen wohlwollenden Miene; und die frühern Gäste, welche glänzendere Ankömmlinge zurückgedrängt hatten, näherten sich ihr wieder, und fragten, wie sie geruhet habe. Selbst der Herr von Forstheim kam herbeigeschlichen, und dankte ihr für die Güte, die sie seiner Tochter erzeigte. Nur Adelbert und sein alter Freund ließen sich nicht blicken. Ernestine vermißte sie um so mehr, da sie hoffen konnte, daß ihre Erscheinung dem geschäftigen Eifer des Barons eine Diversion machen würde. Wirklich war er emsiger und zuthätiger als nie; er folgte ihr, wie ihr Schatten, und sie mußte sich alle Gewalt anthun, um ihm ihren Mißmuth zu verbergen. Als er sie endlich verlassen mußte, bat er 88 sie in Gegenwart seiner Mutter um die Erlaubniß, ihr nach Tische aufwarten zu dürfen. Mit Vergnügen, antwortete Ernestine, und es war Ernst. Nur nahm er das Wort in einem andern Sinne, als sie es aussprach; sie freute sich der Gelegenheit, seinen Zudringlichkeiten ein Ende zu machen, und er glaubte sich bereits am Ziele seiner Hoffnung. Haben Sie's gehört? sagte er zu seiner Mutter: mit Vergnügen wird sie mich empfangen! Die Baroninn, die ihn mit grenzenloser Schwachheit liebte, vergaß nun ihre Zweifel, und theilte einen Wahn, der ihren Wünschen schmeichelte. Sie hatte Ernestinen wirklich lieb gewonnen, und der Plan ihres Sohnes, den sie anfänglich blos aus Nachgiebigkeit begünstigte, war für sie zur Angelegenheit des Herzens geworden.

Mit banger Ungedult erwartete Ernestine die entscheidende Stunde. Ihr Entschluß blieb fest, aber ihr Muth fieng an zu wanken. Um seiner Mutter willen that es ihr weh, dem Baron etwas Unangenehmes sagen zu müssen; selbst die oft lästigen Gefälligkeiten, die er erzeigte, erschienen ihr nun in einem andern Licht, und vermehrten ihre Verlegenheit. Sie gestand ihrer Freundinn ihre Unruhe, und bat sie, der Unterredung beizuwohnen. Allein Christiane gab ihr zu bedenken, daß ihre Gegenwart vielleicht der Entwicklung des Knotens im Wege 89 stehen würde; doch bewilligte sie ihr die Bitte, das Nebenzimmer nicht zu verlassen, um nöthigen Falls durch ihre Erscheinung die Scene abkürzen zu können.

Der Baron ließ nicht lange auf sich warten. Ernestine empfieng ihn mit jener holden Würde, die das Gepräge einer reinen Seele ist, und die selbst die beste Schauspielerinn nur unvollkommen nachahmen kann. Seeburg war ein wenig betreten; er hatte sie sich unter einer mittheilenden Gestalt vorgestellt. Doch der Gedanke, daß dieser Anstand eine angenommene Maske seyn könne, gab ihm gar bald seine hofmännische Keckheit wieder. Nach einigen gleichgültigen Phrasen rückte er mit seinem Stuhle näher, und sagte in einem vertrauten Tone: Es ist mir unendlich lieb, meine schöne Nachbarinn, daß ich Sie allein antreffe. Ich habe Ihnen ein Geheimniß zu entdecken, das ich schon lange mit mir herumtrage, und das eigentlich kein Geheimniß mehr für Sie seyn sollte. Ernestine erröthete und schwieg. Schon vor mehr als einem Jahre haben ihre glänzenden Vorzüge auf mein Herz den Eindruck gemacht, den sie auf jedes Herz machen müssen. Nur Ihre klösterliche Eingezogenheit konnte mich damals hindern, mich Ihnen zu nähern, und Ihnen meine Gesinnungen zu eröffnen. Ein günstigeres Gestirn gewährte mir hier, was die Stadt mir versagte: ich hatte das Glück, Sie täglich zu sehen, und jeder 90 Tag vermehrte meine Bewunderung und meine Liebe. Sie kennen meinen Stand und wissen, zu was für Hoffnungen er mich berechtigt. Ich besitze ein schönes Rittergut, das mir jährlich dreitausend Thaler einträgt, und noch großer Verbesserungen fähig ist. Das alles, meine schöne Freundinn, lege ich zu ihren Füßen, und biete Ihnen mit meinem Herzen meine Hand an. Daß meine Mutter mit meinen Wünschen übereinstimme, wird sie Ihnen selbst sagen, oder vielmehr, sie braucht es Ihnen nicht zu sagen, da die Zärtlichkeit, die Sie ihr eingeflößt haben, Ihnen nicht verborgen bleiben konnte. Ihr Antrag, Herr Baron, schmeichelt mir, erwiederte Ernestine mit ihrer ganzen Freundlichkeit, und ich würde mir vielleicht Bedenkzeit ausbitten, um ihn zu beantworten, wenn nicht häufige Erfahrungen meinen Fall bereits entschieden, und mir die warnende Lehre hinterlassen hätten, daß ungleiche Heurathen selten glücklich sind.

Der Baron. Ey Madam, Schönheit und Tugend füllen alle Zwischenräume aus, wodurch das Vorurtheil die Stände getrennt hat; denn daß ich diesen Unterschied für ein Vorurtheil halte, brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern.

Ernestine. Ihr Antrag beweist es mir; allein, Herr Baron, Ihre Philosophie ist noch weder am Hofe, noch in den adelichen Zirkeln heimisch 91 geworden, und es wird Ihnen und mir unendlich leichter seyn, dem Vorurtheil nachzugeben, als es zu besiegen.

Der Baron. An Ihrer Seite, schöne Ernestine, wird mich dieser Sieg wenig kosten. Bei Ihrem Anblick wird das Vorurtheil verstummen, und, gleich mir, Ihren Verdiensten huldigen.

Ernestine. Sie betrügen sich, mein Herr; denn ich bin nicht so ungerecht zu glauben, daß Sie mich betrügen wollen. Die ganze Ritterzunft wird Ihnen den Rücken zukehren, und das eitle Weib, das Ihre Hand annahm, oder, wie man vielleicht sagen wird, an sich riß, mit Hohn und Verachtung brandmarken. Sie werden Zeuge dieser Demüthigungen seyn, und sie nicht verhindern können.

Der Baron. Ey, das möchte ich doch sehen.

Ernestine. Unterbrechen Sie mich nicht. Ihnen selbst wird es nicht besser ergehen. Der Fürst wird Sie den Gesetzen der Etikette, oder dem Geschrei der Höflinge aufopfern, und früh oder spät wird die Binde von Ihren Augen fallen. Dann werden Sie Ihre unüberlegte Heirath bereuen, und in Ihrer Gattinn die Urheberinn Ihres Unglücks erblicken, und vielleicht verwünschen.

Der Baron. (nach einer kurzen Pause.) Ein schwarzes Gemählde; allein zum Glück ist es blos ein Traum Ihrer geschreckten Phantasie. Doch gesetzt auch, ich müßte mich vom Hof entfernen, und auf 92 eine Zeitlang die Zirkel meiner Standesgenossen meiden, so habe ich ja einen reizenden Landsitz, der uns in seinen Schooß aufnehmen wird. Dort werden wir in philosophischer Ruhe nur für uns und für die Liebe leben, die uns für das Flittergold des Hofes, und für die Gesellschaft verachtungswürdiger Menschen überschwenglich entschädigen wird.

Ernestine. (ernsthaft.) Und Sie können glauben, Herr Baron, daß ein Weib, dem Sie, ich will nicht sagen Philosophie, sondern blos einen schlichten Verstand und einigen Seelenadel zutrauen, daß ein solches Weib, wenn es Sie wirklich liebt, Sie allen diesen Kränkungen aussetzen, alle diese Opfer von Ihnen annehmen würde? Und wenn es in einem Augenblicke der Verblendung Ihnen seine Hand reichte, können Sie glauben, daß es in dem schrecklichen Exil, wozu Sie sich um seinetwillen verdammen müßten, einen einzigen Tag der Ruhe genießen, ein einziges Jahr Ihre und seine Martern überleben könnte?

Der Baron. (zu ihren Füßen.) Göttliches Weib! Dieser Blick in Ihr Herz zeigt mir den offenen Himmel. (Er küßt ihr feurig die Hand.)

Ernestine. Was thun Sie, mein Herr? Sie haben mich mißverstanden.

Der Baron. Mißverstanden? O, lassen Sie mir die Freude, mein Glück zu ahnen! 93

Ernestine. (ernsthaft.) Stehen Sie auf, diese Stellung ist Ihrer unwürdig.

Der Baron. Unwürdig? Mein ganzes Leben werde ich zu Ihren Füßen zubringen.

Ernestine. (macht eine Bewegung, um aufzustehen.) Sie wollen mich also nöthigen, Sie zu verlassen? Noch einmal, Herr Baron, Sie sind im Irrthum. Ich liebe Sie nicht, ich kann Sie nicht lieben; Sie wissen meine Gründe.

Der Baron. (der sich aufrichtet, nach einem kurzen Stillschweigen.) Sie können mich nicht lieben? Sollten Ihre Gründe nicht etwa ein Deckmantel seyn . . . Ha! wenn meine Vermuthung wahr wäre. (in einem heftigen Tone, indem er ihre beiden Hände ergreift.) Sagen Sie mir, Grausame! ist Ihr Herz frei?

Ernestine. (mit edelm Stolze.) Herr von Seeburg, mein Zimmer ist kein Criminalgefängniß und ich bin keine Inquisitinn. Ich bitte Sie, verlassen Sie mich.

Christiane, die eine Minute zuvor sich aus dem Nebengemach in den Hausflur geschlichen hatte, öffnete nun die Thüre. Der Baron erblaßte, und biß sich in die Lippen. Sein Auge irrte wild im Zimmer umher; jetzt bemerkte er die Harfe und warf ihr einen wüthenden Blick zu. Endlich nahm er sich zusammen, murmelte ein dumpfes: Adieu, 94 Madam! zwischen den Zähnen, und entfernte sich mit weit weniger Geräusch, als er gekommen war.

Ernestine brauchte Zeit, sich von der ausgestandenen Erschütterung zu erholen. Sie hatte ihrer Freundinn wenig zu erzählen, weil sie alles mit angehört hatte; desto reichhaltiger aber war der Commentar, der über diese sonderbare Scene gemacht wurde. Hast du den grimmigen Blick bemerkt, sagte endlich Christiane, den er auf die Harfe warf? es war, als wollte er sie zernichten. Ich habe mich mehr, als er, antwortete sie, über das fatale Instrument zu beklagen, durch das er sich den freien Zutritt zu mir gebahnt hat. Wie wäre es, wenn ich es ihm zurückschickte? Ich werde ohnehin keine Saite mehr berühren. – Warte bis morgen; es möchte sonst einem Trotz ähnlich sehen. – Immerhin, Morgen habe ich vielleicht den Muth nicht mehr, oder verfehle wohl gar meinen Zweck, den unartigen Menschen von mir zu entfernen. Laß mich nur machen. Sie nahm ein Papier, und schrieb darauf folgende Zeilen in französischer Sprache: »Da mein hiesiger Aufenthalt sich seinem Ende nahet, so erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen die Harfe, welche Sie die Güte hatten, mir zu verschaffen, mit dem verbindlichsten Danke zurückzusenden.« Sie klingelte, und ihr Mädchen wurde sogleich mit der Botschaft an den Baron abgefertigt.

95 Hannchen fand ihn allein auf seinem Zimmer. Ein Besuch, den er bei seiner Mutter antraf, hatte ihn gehindert, ihr von seiner Werbung Bericht abzustatten. Unwillig nahm er der Zofe das Instrument aus der Hand, und als er das Briefchen gelesen hatte, sagte er: Schon gut. Meinen Empfehl an Ihre Damen. Er hatte bereits seine Heftigkeit bereuet, und den Entschluß gefaßt, Ernestinen um Vergebung zu bitten. Ihr Briefchen fachte seinen Zorn von neuem an; doch war es nicht Ernestine, sondern Adelbert, auf den seine Verwünschungen ausströmten. Er trabte, wie ein Unsinniger, im Zimmer auf und ab, und zerriß das unselige Briefchen in winzige Stückchen, die wie Schneeflocken umherstöberten. Ein zufälliger Blick in seinen Spiegel bewirkte eine plötzliche Metamorphose. Sein hohes Selbstgefühl wachte wieder auf, und der neue Narcissus fand es unmöglich, daß eine Schramme auf der Stirne, und ein lahmes Bein ihm seine Beute streitig machen könne. Nun war er froh, daß ihn das Mädchen allein antraf. Er beschloß, seiner Mutter den schlimmen Ausgang seiner Unterhandlung zu verhehlen, und ihr blos zu sagen, daß er durch Christianens Erscheinung gehindert worden sey, die Einwendungen der schönen Wittwe siegreich zu widerlegen.

96 Nun, wie steht es? rief die gnädige Mama, als er in ihr Zimmer trat, habe ich das Vergnügen, mit einem Bräutigam zu sprechen? Ganz fertig ist er noch nicht, antwortete er, aber doch in der Mache. Man ziert sich ein bischen: man sträubt sich vor der Ehre, Frau Baroninn zu heißen; man macht es mir zur Gewissenssache, eine Mißheirath zu schließen. – Die gnädige Mama schüttelte den Kopf. – Ich war im vollen Kampfe mit der Großmuth meiner Philosophinn begriffen, und der entscheidende Augenblick rückte mit starken Schritten heran, als ein feindseliger Dämon ihre Trabantinn herbeiführte, und die Entwicklung unterbrach. Ihnen, gute Mama, ist die Ehre vorbehalten, mir den völligen Sieg zu versichern. Die gnädige Mama lächelte: Also werde ich doch noch zu etwas zu gebrauchen seyn. Indessen wundert es mich, daß ihre Freundinn, die doch zu leben weiß sich nicht entfernte, als sie sah, daß sie euer Tete a Tete störte. Der Baron stutzte: Je nun, die schöne Wittwe stand auf, als sie hereintrat; ich that, wie natürlich, ein Gleiches, und da man mich nicht wieder sitzen hieß, nahm ich meinen Abschied. Jetzt gieng erst das umständliche Verhör an. Der Baron mußte seiner Mutter von der ganzen Unterredung Rechenschaft geben. Er that es mit ziemlicher Treue, bis er auf die pathetische Scene des Fußfalles kam, die er, mit allen ihren 97 Folgen wohlbedächtlich überhüpfte. Es wird gut seyn, so schloß er seinen Bericht, wenn Sie das Weibchen, je eher, je lieber, in die Kur nehmen. Nicht später, als morgen, erwiederte die Baronin, und damit es mir nicht gehe, wie dir, will ich sie heute noch fragen, um welche Stunde ich sie allein treffen kann. Der Kammerjunker hielt nicht für rathsam, die Sitzung zu verlängern; er ersann einen Vorwand, auszugehen, um allen weitern Fragen seiner Mutter auszuweichen.

Diese überlegte den Hergang in die Länge und in die Queere, und da die Sache nun einmal eingeleitet war, fand sie für's Beste, ihren Besuch bei der schönen Nachbarinn keinen Augenblick zu verschieben. Sie trat unangemeldet in ihre Stube. Ernestine saß, auf den Arm gestützt, am Tische, und hatte ein Buch vor sich liegen. Sie warf es hastig zu und gieng, oder besser zu sagen, sie taumelte der Baroninn entgegen. Ich habe Sie erschreckt, armes Kind, vergeben Sie mirs. Es ist wirklich unartig von mir, daß ich Sie so überrasche; allein wir sollten einander nicht mehr fremd seyn, und ich wollte Ihnen durch mein Beispiel zeigen, wie Sie es künftig mit mir zu halten haben. Ernestine neigte sich, und zwang sich, zu lächeln; allein zum erstenmal in ihrem Leben sah sie albern aus. Sie vergaß sogar, der Baroninn einen Stuhl zu bieten. Diese schien ihre 98 Verwirrung nicht zu bemerken; sie nahm sie bei der Hand, und zog sie mit sich auf den Sopha: Ich denke, liebe Freundinn, Sie errathen die Ursache meines Besuchs; erlauben Sie mir also, ohne Umschweif die Unterredung fortzusetzen, in welcher vorhin mein Sohn unterbrochen wurde. Er hat Ihnen seine Wünsche eröffnet, und mich von Ihren Bedenklichkeiten unterrichtet. Ich ehre Ihre Delikatesse; allein ich hoffe, Sie, meine Beste, zu überzeugen, daß sie übertrieben ist . . . Die Thüre flog auf. Der Herr Rittmeister und ein fremder Herr mit einem Stern, sagte Hannchen, und ehe die bestürzte Ernestine eine Antwort fand, trat der General, von Adelbert begleitet, ins Zimmer.

Der General. Vergeben Sie, liebe Frau Hofräthinn, daß ich wie ein alter Bekannter bei Ihnen einspreche. Ich wollte Sie gestern im Concert um die Erlaubniß bitten, Ihnen aufzuwarten; ich ward unterbrochen, und heute sagte ich hier zu meinem lieben Adjutanten: Ey, was! ich will einmal bei ihr anklopfen; da sie den Armen ihre Thüre nicht verschließt, so wird sie wohl auch mich vor sich lassen.

Die Baroninn war über diese Erscheinung nicht weniger betreten, als Ernestine; allein sie machte gar keine Miene wegzugehen. Nun wandte der General sich an sie: Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau; ich habe Ihre Unterredung gestört. 99

Die Baroninn. (freundlich.) Gar nicht, Herr General. Ich kam blos, um meiner lieben Nachbarinn auf morgen früh einen einsamen Spaziergang vorzuschlagen.

Der General. Ah, vermuthlich nach dem bewußten Meierhofe? Wir machten diesen Morgen auch einen Ritt dahin; denn ich wollte meinen Patienten hier nicht zu Fuße gehen lassen. Bei Gott! es ist ein wackeres paar Leute. Das gute fromme Weibchen wurde mir schon damals lieb, als sie . . . Mein Tage werde ichs nicht vergessen . . . Sie wissen schon, gnädige Frau, was ich sagen will. Aber heute, heute hätten Sie sie erst hören sollen, wie sie diesen Engel Gottes hier segnete: Sie hätten die hellen Thränen auf ihren braunen Backen sollen glänzen sehen. Weiß Gott! ich mußte mit ihr weinen; ich fühlte, daß ich so glücklich war, und nun (zu Ernestinen) konnte ichs nicht länger aufschieben, Ihnen, wie soll ich sie nennen? für diesen schönen Morgen zu danken.

Ernestine. Es war doch Ihre Absicht nicht, mich zu beschämen, Herr General? Dazu sind Sie zu gut.

Der General. Meine Absicht war, Ihnen zu sagen, was ich schon hundertmal hier meinem jungen Freunde gesagt habe, daß ich Sie nie ansehe, ohne mich zur schönsten Handlung fähig zu 100 fühlen, die in der Gewalt eines Menschen stehet. Ha, bei Gott! der erste Maler, welcher der Tugend eine weibliche Gestalt gab, war ein lieber Mann, der sein Handwerk trefflich verstand: er muß aber auch solch ein Modell vor Augen gehabt haben. Doch da werden Sie schon wieder roth, wie eine Granatblume. Verzeihen Sie mir, edles, bestes Weib; einem fünf und sechzigjährigen Soldaten ist es erlaubt, frisch von der Brust weg zu sagen, was er denkt und fühlt.

Die Frau von Ellern hatte wenig auf des Generals Reden gemerkt; sie schien wachend zu träumen. Unverwandt, aber unwillkührlich war ihr Auge auf das Gesicht des Rittmeisters geheftet, der es nicht wahrnahm, weil seine Seele blos mit Ernestinen beschäftigt war. Auf einmal fuhr sie auf und erröthete; hastig umarmte sie Ernestinen, und sagte zu ihr: Also auf morgen, liebe Freundinn; ich will kommen und Sie abrufen. Mit gesenktem Blicke nickte sie den beiden Offizieren ein Compliment, und eilte davon.

Adelbert, der Ernestinens Verlegenheit endigen wollte, sah nach der Uhr: Vermuthlich, Madame, werden Sie den Spaziergang besuchen wollen; können wir die Ehre haben, Sie dahin zu begleiten? Mit Vergnügen ergriff Ernestine dieses Anerbieten, das sie für den Abend auf eine 101 ungezwungene Art von der Gesellschaft des Kammerjunkers befreiete. Christiane ward gerufen; Adelbert bot ihr den Arm, indeß der General siegprangend Ernestinen voranführte. Nach einiger Zeit erschien auch der Baron mit seiner Mutter auf dem Spaziergang. Er vermied seine Hausgenossinnen und ihre Begleiter nicht; er gesellte sich vielmehr zu ihnen, und bemächtigte sich, wie gewöhnlich, des Gespräches. Ernestine wußte ihm Dank für diese Unverschämtheit, welche die Verwirrung zerstreute, die sein Anblick ihr verursacht hatte.

Endlich setzten die Damen sich nieder, und nun zog der Kammerjunker den Rittmeister auf die Seite. Sie giengen in eine Nebenallee, indeß der General dem Frauenzimmer Gesellschaft leistete. Die Natur des Ortes, und die Ankunft des Fräuleins von Forstheim zügelten seinen Enthusiasmus, und stimmten das Gespräch in einen allgemeinen Ton der Ernestinen ihre ganze Unbefangenheit wiedergab, die allmählig in eine Munterkeit übergieng, welche den grauen Helden bezauberte. Diese Munterkeit erhielt sich auch nach der Rückkunft der beiden jungen Männer, die kaum eine Viertelstunde wegblieben. Adelbert kam zuerst wieder; seine Miene war ernsthaft, aber unbewölkt. Er setzte sich an Christianens Seite, und mischte sich in die Unterredung. Seeburgs Gesicht war bleich, wie 102 der neidische Groll; er sprach wenig, und so oft Ernestine redete, überschoß ein glühendes Roth seine Wangen, und ein hämischer Blick schien ihre heitere Laune zu verwünschen. Nur ihre Freundinn bemerkte diese Pantomime, und glaubte sie zu verstehen. Sie verbarg Ernestinen ihre Beobachtung, um ihren Frohsinn nicht zu stören, der sie auch zu Hause nicht verließ. Sie hatte in Adelberts Atmosphäre Muth eingeathmet, und ob ihr gleich die Baroninn weit furchtbarer war, als ihr Sohn, so sprach sie dennoch von bevorstehendem Strause mit einer Ruhe, die Christianen entzückte. Heiter sank ihre Stirne an den Busen des Morpheus, dessen Zauberhand sie in die Gesellschaft Adelberts und seines Pflegevaters zurückführte, und im Augenblicke des Erwachens ihr Antlitz mit der Farbe Aurorens schminkte.

An der Südseite des Bades erhebt sich ein blumenreicher Hügel, zu dessen Füßen die wohlthätige Quelle entspringt, und auf dessen breitem Scheitel die Ruinen einer uralten Burg, gleich dem Torso des Belvedere, der Zeit und der modernen Kunst Trotz bieten. Der ehemalige Burgplatz ist mit einigen Rasenbänken besetzt und mit hohen Gesträuchen bewachsen, in deren Schatten Ernestine und ihre Freundinn von ihren einsamen Streifereien ausruhten, oder Kleists und Geßners bezaubernde 103 Phantasieen lasen. Man braucht keine halbe Stunde, um auf einem sanften mit Obstbäumen verbrämten Schlangenpfade den Gipfel des Hügels zu erreichen, der dem Auge das prächtigste Landschaftsgemälde darbietet.

Es war nicht mehr frühe für Ernestinen, als die Frau von Ellern sie zum verabredeten Spaziergange abholte. Blos mit den Alleen und Bosketten des Bades bekannt, überließ sie ihrer Führerinn die Wahl der Gegend, und Ernestine wählte den Burghügel, weil er, seiner Nähe ungeachtet, selten besucht wurde. Unterwegs knüpfte die Baroninn den abgerissenen Faden der gestrigen Unterredung wieder an, und Ernestine wiederholte ihr mit der holdesten Gelassenheit die Gründe, die sie der Rhetorik ihres Sohnes entgegengesetzt hatte. Die Dame hatte die gewonnene Frist benutzt, um sich mit neuen Waffen zu versehen. Ich glaube, sagte sie, voraussehen zu dürfen, daß die Gestalt und der Charakter meines Sohnes keinen Einfluß auf ihre Weigerung haben. Hier vermied sie, Ernestinen anzublicken, weil sie auf diese Frage keine Antwort verlangte, die sie sonst freilich auf ihrer Stirne gelesen hätte. In der That, so fuhr sie in einem Athem fort, finde ich ausser den kleinen Fehlern, die er Ihnen nicht verborgen hat, und wovon keiner dem Glücke seiner künftigen Gattinn im Wege steht, lauter 104 Eigenschaften an ihm, die Ihnen eine angenehme Zukunft versprechen können; und wer wäre überdem fähiger als Sie, ihn von diesen kleinen Fehlern zu entwöhnen? Hat nicht selbst diese Hoffnung einigen Reiz für Ihre schöne Seele? zumal wenn Sie bedenken, was wir uns wohl gestehen dürfen, wie selten der Mann des Weibes würdig ist, dem er seine Hand bietet, und wie sehr es mit zu unserm Berufe gehört, nicht nur uns selber, sondern auch der Tugend Liebhaber zu erwerben.

Ernestine. Ihr Vertrauen rührt mich, gnädige Frau; allein . . . .

Die Baroninn. Nur noch ein Wort, mein Kind; ehe ich Sie kannte, würde ich die Beweggründe des Ranges, der Ehre, des äussern Glanzes bey Ihnen in Anschlag gebracht haben. Mit Bewunderung sehe ich, daß Sie alle diese Vortheile verachten. Nun wohlan, mein Sohn soll noch vor seiner Verbindung den Hof verlassen. Es soll Ihnen freistehen, zwischen seinem reizenden Rittergute und meinem eben so reizenden Wittwensitze Ihren Aufenthalt zu wählen; an jedem Orte sollen Sie, wenn Sie es begehren, an mir eine liebevolle Gespielinn, eine mütterliche Freundinn haben. So würden wir allen Unannehmlichkeiten ausweichen, die Sie entweder für sich, oder für Ihren Gemahl in der Residenz, mit oder ohne Grund, befürchten; und ich 105 stehe Ihnen dafür, liebes Kind, daß in wenig Monaten alle unsere adelichen Nachbarn Ihre Gesellschaft suchen, und sich, wie das Fräulein von Forstheim, Ihre Freundschaft zur Ehre rechnen werden.

Ernestine. Diese Thränen, gnädige Frau, sagen Ihnen, daß Sie zu keinem unempfindlichen Herzen sprechen. Allein wenn auch Ihre Weissagung einträfe, wenn das liebliche Gemälde, das Sie mir vorhalten, durch kein Wölkchen getrübt würde, so erlauben Sie mir noch eine Frage: Haben Sie und Ihr Herr Sohn keine Pflichten gegen Ihre Nachkommen zu beobachten? Es ist nun einmal in unserm Lande zwischen Edelmann und Bürger ein unläugbarer Unterschied eingeführt, mit oder ohne Recht, das gilt gleich; eben so unläugbar sind die Vortheile, die der Edelmann vor dem Bürger genießt; der Bürger kann sie nicht erlangen, und der Edelmann verliert sie, so bald er sich mit einer Bürgerinn verbindet. Können Sie, liebe gnädige Frau, den Gedanken ertragen, daß Ihre Enkel Sie oder Ihren Herrn Sohn wegen des Verlustes dieser Vortheile, die ihnen Ehre und Ansehen, vielleicht das benöthigte Brod gegeben hätten, anklagen, und ihre Asche mit Füßen treten werden; können Sie diesen Gedanken ertragen? Ich wenigstens, ob ich gleich den Erbadel für weiter nichts, als für eine oft unverdiente Gunst des Zufalls halte, schaudere vor der bloßen Idee 106 zurück, als die Mitschuldige, oder vielmehr als die Urheberinn einer solchen Enterbung ganzer Generationen genannt zu werden.

Die Baroninn stand wie vom Blitze gerührt. Sie sah Ernestinen einige Momente starr an, dann fiel sie ihr um den Hals: unbegreifliches, unwiderstehliches Weib! Sie sagen mir, was ich meinem Sohne sagen würde, wenn von einer andern Person, als von Ihnen, die Frage wäre; allein gestehen Sie mir, daß, wenn Sie ihn liebten, Ihre Vernunft vielleicht minder strenge seyn würde.

Ernestine. (etwas betreten.) Meine Vernunft könnte dann mit meiner Leidenschaft in Streit gerathen; allein wenn ich das fühlte, so schwöre ich Ihnen, daß ich fliehen, und meine Grundsätze, es koste mich, was es wolle, in Sicherheit bringen würde; denn lange könnte meine Verblendung nicht dauern, und eben dieses, gnädige Frau, können Sie von der Leidenschaft Ihres Herrn Sohnes hoffen. Es giebt ja so manches junge Frauenzimmer, das mit den Vorzügen der Geburt alle diejenigen vereiniget, die Ihr Herr Sohn bey mir anzutreffen glaubt, daß es nur auf ihn ankömmt, die glücklichste Wahl zu treffen. Das Fräulein von Forstheim zum Beispiel, von dem Sie mir vorhin sprachen, besitzt bei einem vortrefflichen Herzen alle 107 Annehmlichkeiten, welche Natur und Erziehung geben können . . . .

Die Baroninn. Sie haben wohl Recht; allein erlauben Sie mir nun, als Freundinn mit Ihnen zu sprechen. Der alte Forstheim ist zwar sehr reich, aber seine Güter sind unter Lehen, die seinem Sohne zufallen, und dabei ist er so geizig, daß er bei seinen Lebzeiten dem Mädchen, selbst von seinen beträchtlichen Capitalien, nur sehr wenig mitgeben wird. Mein Sohn aber muß auf eine Mitgift von acht bis zehntausend Thalern rechnen dürfen, um eine Schuld, die auf seinem Gute haftet, und welche die Erben seines Gläubigers mit Ungestümm zurückfodern, bezahlen zu können . . . . . Doch still!

Sie hatten den Hügel erstiegen, und bereits den Burgplatz betreten. Die Baroninn glaubte ein nahes Geräusch zu hören. Sie blieb einen Augenblick stehen, und gieng hierauf an Ernestinens Arm weiter. Diese wollte sie auf eine Rasenbank führen, von der sie nur noch durch ein hohes Gebüsche getrennt waren. Der Pfad war schmal. Ernestinens Kleid verwickelte sich in einer Hecke. Die Baroninn drang einige Schritte voran. Plötzlich hörte Ernestine sie mit gellender Stimme aufschreien: Halt, du tödtest deinen Bruder! Sie flog ihr nach und erblickte den Rittmeister im Momente, da er zween Degen wegschleuderte, indeß der Baron 108 wehrlos und leichenblaß vor ihm stand. Seine Mutter lag ohnmächtig auf der Erde.

Ernestine warf sich neben sie hin, löste ihr das Halsband auf, und hielt ihr ein Fläschchen Salz vor. Dann schob sie ihr den Arm unter den Nacken und suchte sie aufzurichten. Adelbert, dem der Zuruf der Baroninn wie ein Donnerschlag in die Seele fuhr, erwachte nun aus seiner Betäubung. Er sah die Ohnmächtige auf der Erde, und Ernestinens fruchtlose Bemühung, sie emporzuheben. Zitternd nahete er sich, um ihr Beistand zu leisten. Ernestine warf ihm einen kalten strafenden Blick zu, der sein Herz zerriß. Er ließ sich auf ein Knie nieder, und indem er ihr die Baroninn aufrichten half, sagte er leise: Verdammen Sie mich nicht unangehört. Nun holte die Entschlummerte einen tiefen Seufzer, und schlug die Augen auf. Sie sah sich in Adelberts und Ernestinens Armen. Schweigend lehnte sie ihre Wange an Ernestinens Wange, und versuchte es, sie anzulächeln. Dann wandte sie ihren Blick auf den Rittmeister: O Carl, Carl, was wolltest du thun? lallte sie im Tone der zärtlichsten Wehmuth. Beim Namen Carl bebte er auf, er war ihm das Losungswort, durch das die Mutter sich legitimirte. Er schwieg einige Momente: Ach! glauben Sie mir, ich habe keine Schuld; selbst soll reden, rief er dann, indem er 109 ehrfurchtsvoll ihre welke Hand küßte, und mit Thränen benezte.

Der Kammerjunker stand noch immer wie vernichtet auf einem Flecke. Nun erst schien er sich zu besinnen, und trat der rührenden Gruppe um einige Schritte näher. Seine Mutter wurde ihn gewahr: Komm Ferdinand, umarme deinen Bruder. Er regte sich nicht. Adelbert machte sich von der Baroninn los, sprang auf, und warf sich ihm um den Hals. Nun erst war er überwunden. Schon zu lange bin ich ungerecht, schluchzte er, indem er den Rittmeister an sein Herz drückte. Ich allein bin strafbar, liebe Mutter; ich habe ihn zum Zweikampfe gezwungen. Ein himmlischer Glanz verbreitete sich über Ernestinens Antlitz; aber sie wagte es nicht, weder den einen noch den andern anzublicken. Sie wandte sich zur Baroninn: Möchten Sie es nicht versuchen, aufzustehen, gnädige Frau? dort auf jener Rasenbank würden Sie besser ausruhen können. Die beiden Brüder halfen ihr auf, und unterstützten sie, bis sie die Bank erreichte. Ernestine trug ihr den Sonnenschirm nach, und setzte sich neben sie. Die Baroninn ergriff ihre Hand und drückte sie an ihren Busen: O liebe Freundinn, fühlen Sie die Schläge dieses Herzens? Ach es hat schon länger geschlagen. Sie wissen nur einen Theil meines Geheimnisses; heute noch sollen Sie es ganz 110 erfahren. Für Sie habe ich keine Geheimnisse mehr. Der Schein ist wider mich; dennoch, meine Kinder, verdiene ich blos euer Mitleiden. Beruhigen Sie sich, liebe gnädige Frau, sagte Ernestine, indem sie ihr den kalten Schweiß von der Stirne trocknete. O! es ist mir besser, weit besser; bald werde ich die Kraft haben zu gehen. Diesen Abend, liebes Kind, kommen Sie zu mir auf mein Zimmer; auch du, lieber Carl, mußt kommen. Ich muß mein Herz ausschütten; länger kann ich nicht warten.

Da die Baroninn die Ursache des Duells vermuthete, so vermied sie, aus Schonung für Ernestinen, diese Saite zu berühren. Sie winkte dem Rittmeister, sich neben sie zu setzen. Lieber Carl, sagte sie mit schwacher Stimme, ich hielt dich schon lange für tod, oder doch für auf immer verloren. Das Unglück verfolgte dich schon vor deiner Geburt. Gottlob! daß du die Probe hieltest, und daß ich mich freuen darf, dich gefunden zu haben. Wie gern wäre ich dir gestern, als ich dir so nahe war, um den Hals gefallen.

Adelbert. (küßt ihr mit Inbrunst die Hände.) Ach, Mutter, Mutter! zum erstenmale spreche ich diesen Namen aus. Einen Vater habe ich; Sie kennen ihn.

Die Baroninn. Der edle Greis! Auch ihm darf deine Mutter nicht unbekannt bleiben. Bitte ihn in meinem Namen, daß er dich heute zu mir 111 begleite. Ich muß ihm danken; er hat viel an dir gethan. Aber wie geriethest du in seine Hände?

Adelbert. Das weiß ich nicht; allem seitdem ich mich besinne, stehe ich unter seiner Pflege.

Die Baroninn. Sprach er dir nie von deiner Mutter?

Adelbert. Ein einzigesmal, um mich zu versichern, daß er sie nicht kenne; daß er nicht wisse, wer meine Mutter war.

Die Baroninn. Unbegreiflich! Aber doch von deinem Vater?

Adelbert. Selten, und immer mit einer gewissen Zurückhaltung. Lange hielt ich ihn selber für meinen Vater, und er ließ mich in meinem Irrthume. Bei reifern Jahren sagte er mir, mein Vater sey in seinen Armen gestorben; allein er wollte sich nie näher erklären.

Die Baroninn weinte, und Ernestinens Thränen vermengten sich mit den ihrigen. Das Gefühl seiner eigenen Lage schwächte die Theilnahme des Kammerjunkers, und er bemerkte am ersten, daß es anfieng, spät zu werden: Meinen Sie nicht, Mama, daß wir auf unsern Rückweg denken sollen? Sie sind erschüttert und müde; wir werden langsam gehen müssen. Du hast Recht, mein Sohn, sagte seine Mutter; komm, sey meine Stütze, du bist besser zu Fuße, als dein Bruder. Sie ergriff ihn beim Arme, 112 und Adelbert bot den seinigen Ernestinen an. Sie schlug ihn nicht aus, allein in der Verwirrung, darinn sie war, hätte sie ein Jahr ihres Lebens darum gegeben, wenn sie den Zwischenraum, der sie von ihrer Wohnung trennte, in einer Minute hätte zurücklegen können.

Adelbert bemerkte ihre Verlegenheit und sprach wenig; er war schon glücklich genug, daß Ernestine nicht mehr auf ihn zürnte, und daß ihr Arm auf dem seinigen ruhete. Auch der Kammerjunker ließ sich nur selten hören; seine Keckheit hatte ihn verlassen; er wanderte trübsinnig an der Seite seiner Mutter, deren Herz zu voll war, als daß sie das Gespräch hätte beleben können. Die Freundlichkeit, womit sie Ernestinen begegnete, ließ ihm zwar noch einige Hoffnung übrig; allein der bloße Gedanke an die vorgefallene Scene zernichtete sie wieder, und erfüllte sein Gemüth mit traurigen Ahnungen. Endlich erreichte man das Ziel dieser endlosen Reise. Adelbert verließ die Gesellschaft an der Thüre ihrer Wohnung; er wollte beim Abschiede, seiner Gefährtinn ein leises Wörtchen sagen, und fand keines, er wollte ihr die Hand drücken und die seinige zitterte bei der ersten Berührung zurück, als ob sie ein Heiligthum entweiht hätte. Der Kammerjunker benutzte seine Entfernung, um Ernestinen bis vor ihr Zimmer zu begleiten. 113 Vergeben Sie mir, Madame, flüsterte er ihr zu, Ihr gestriges Billet und der Besuch, den Sie kurz darauf erhielten, brachten mich aus aller Fassung. Genug, mein Herr, auf immer genug von diesem ärgerlichen Auftritt, dessen glückliche Wendung Sie allein bei mir entschuldigen kann. Eine frostige Verneigung gab ihm zu verstehen, daß sie seiner Begleitung nicht weiter bedürfe.

O, liebe Freundinn, rief sie, indem sie sich Christianen in die Arme warf, was für wunderbare Dinge habe ich dir zu erzählen! Deine Vermuthung ist eingetroffen: Adelbert ist der Frau von Ellern nichts weniger als fremd, er ist ihr Sohn.

Christiane. (staunend.) Gott! so weit gieng meine Vermuthung nicht. Wie? und dieses war der Beweggrund der Unterredung, zu der sie dich abrief? Die Wahrheit zu gestehen, ich glaubte, sie habe dir ganz andere Dinge zu sagen.

Ernestine. So war es auch; allein ein sehr unvermutheter Zufall hat mich zur Vertrauten eines Geheimnisses gemacht, daß sie mir sonst schwerlich entdeckt haben würde. Nun erzählte sie Chirstianen den ganzen Vorgang. Ich verberge dir nicht, so endigte sie, daß es mir wohl thut, den Rittmeister an einer Begebenheit unschuldig zu wissen, die meine Ruhe auf immer hätte 114 zerstören können: denn die Entschuldigungen, die der Baron mir so eben machte, lassen mir keinen Zweifel mehr übrig, daß ich die Ursache seiner tollen Ausforderung war.

Christiane. O ganz gewiß: ich sah es ihm gestern auf dem Spaziergang an, daß er mit dem Rittmeister grollte; allein den Muth zu einem Duell, zumal mit einem solchen Gegner, hätte ich ihm nicht zugetraut.

Ernestine. Adelbert begnügte sich, ihn zu entwaffnen.

Christiane. Dieß sieht ihm ähnlich. Hoffentlich wird der unbesonnene Mensch dich nun in Ruhe lassen.

Ernestine. (lächelnd.) Dafür laß mich sorgen. Von seiner Mutter habe ich nichts mehr zu fürchten, ich bin sehr wohl mit ihr zufrieden, und ich denke, sie werde auch mit mir zufrieden werden.

Christiane. Die Frau fängt an, mich mehr zu interessiren, als ich es für möglich hielt.

Ernestine. Im Grunde ist sie eine gute Frau. Einige Vorurtheile und Schwachheiten muß man ihr zu gute halten; sie sind Erbübel ihres Standes und Früchte ihrer Erziehung.

Christiane. Daß sie ein Herz hat, beweist mir ihr Benehmen gegen Adelbert vom ersten Augenblick an, da sie ihn erkannte. Wie manche 115 Mutter würde an ihrer Stelle die Stimme der Natur erstickt, und sich dem Zeugen ihrer Schwachheit hinter einen undurchdringlichen Vorhang verborgen haben.

Ernestine. Heute erst hättest du sie sehen sollen. Sie würde dir nicht nur lieb, sondern ehrwürdig geworden seyn, und er . . . . noch nie kam er mir so rührend vor, als da er, zu ihren Füßen knieend, sie zum erstenmal Mutter nannte. und noch nie so groß, als da er, seinen Bruder umarmend, ihn zum zweitenmal entwaffnete.

Während die beiden Freundinnen sich so unterhielten, hatte Adelbert den General mit wallender Ungeduld bei der Badegesellschaft aufgesucht und nicht gefunden. Er eilte nach Hause. Der gute Alte saß in seinem Armstuhl, und rauchte sein Pfeifchen.

Der General. Ey, sieh da! Kömmst du endlich zum Vorschein? Wo stackest du den ganzen Morgen.

Adelbert. Ich habe mich geschlagen.

Der General. (nimmt seine Pfeife aus dem Munde und sieht ihn steif an.) Spaßest du?

Adelbert. Mit Ihnen, mein Vater, bin ich nicht gewohnt, so zu spaßen.

Der General. Was Teufel! Wer hat dir denn etwas in den Weg gelegt? 116

Adelbert. Der junge Seeburg hat mich gestern Abends, mir nichts dir nichts, herausgefodert.

Der General. Ja, der Laffe! Doch auf Pistolen?

Adelbert. Nein auf den Degen.

Der General. Verflucht! Das hättest du nicht annehmen sollen; wie leicht hättest du mit deinem schwachen Bein ausglitschen können! Du hast ihn doch ein bischen gezeichnet?

Adelbert. Nein, das war meine Absicht nicht; ich wollte ihn blos beschämen.

Der General. Bravo! komm, du lieber Herzensjunge, setze dich und erzähle mir alles haarklein; ich muß es wissen.

Adelbert. Sie erinnern sich doch, daß der Kammerjunker mich gestern beim Spaziergang auf die Seite nahm? Er sagte, er habe mich etwas zu fragen, und führte mich in eine Nebenallee. Nur ein Wort, Herr Rittmeister, sagte er mit feurigem Gesichte; lieben Sie die Hofräthinn Reinold? Ich sah ihn an: Erlauben Sie auch mir eine Frage; seit wann sind Sie mein Beichtvater? Hier gilt es keinen Scherz, erwiederte er; lieben Sie die Hofräthinn? ja oder nein. Ihr Ton ist mir fremd, mein Herr; ich verstehe ihn nicht. Noch einmal, ich bin Ihnen keine Rechenschaft 117 schuldig. Aber doch Satisfaction, antwortete er mit verbissener Wuth; morgen früh um sieben Uhr erwarte ich Sie hier mit Ihrem Degen; dann wollen wir sehen, wo wir einen Kampfplatz finden. Wir trafen pünktlich zusammen. Er überließ mir die Wahl des Ortes; ich schlug ihm den Burghügel vor; wir hatten einst diesen Spaziergang mit einander gemacht. Er wars zufrieden. Unterwegs suchte ich ihn zur Vernunft zu bringen; er hielt meine Vorstellungen für Feigheit. Wir erreichten die Stelle. Ich war müde. Lassen Sie uns ein wenig ausruhen. Wir setzten uns auf eine Rasenbank. Mein Zaudern bestärkte ihn im Wahne, daß ich ihn zu besänftigen suchte. Nach einem Viertelstündchen sagte ich: Nun bin ich bereit. Wir zogen vom Leder. Anfangs vertheidigte ich mich blos; endlich ward mir die Zeit zu lang: ich drang auf ihn ein, und entwaffnete ihn im Augenblicke, da wir überrascht wurden.

Der General. Und durch wen?

Adelbert. Durch unsere Mutter.

Der General. (mit einer bedenklichen Miene.) Faselst du, armer Junge? Komm her, laß dir den Puls befühlen.

Adelbert. (ihn umarmend.) Nein, mein guter Vater, ich fasele nicht. Die Frau von Ellern ist meine Mutter. Sie flog mir als eine 118 Verzweifelte entgegen und rief: (o, nie werde ich diesen herzdurchschneidenden Ton vergessen!) Du tödtest deinen Bruder! Sie sank in Ohnmacht. Ich half der Hofräthinn, die sie begleitete, sie ins Leben zurückrufen, und ihre ersten Worte waren: Mein lieber Carl, mein Sohn! Nach Tische soll ich das ganze Geheimniß meiner Geburt erfahren.

Der General saß unbeweglich in seinem Armstuhl: Hum, hum, sagte er endlich, daß ist eine sonderbare Affaire; und sie konnte dich acht und zwanzig Jahre in der Welt umhertreiben lassen, ohne zu mucksen? Sie hielt mich für tod, versetzte Adelbert. Auch Ihnen, bester Vater, will sie alles offenbaren; sie wünscht Sie zu sprechen, und theilt meine ganze Dankbarkeit gegen den Pfleger meiner Jugend.

Der General. Nun, nun, wollen hören, was das für ein Räthsel seyn wird; vielleicht habe ich auch einen Schlüssel, der hineinpaßt. Sag indessen unserm Kerl, daß er eine Flasche Hochheimer auftischen soll; heute muß ein Gläschen Extra getrunken werden.

Ungeachtet der gewaltigen Erschütterung, welche die Baroninn erlitten hatte, war ihr nun dennoch leichter ums Herz; der Berg, der es drückte, war abgewälzt. Ueber den Gedanken an ihren Carl vergaß sie den ausgestandenen Schrecken und die 119 mißlungene Unterhandlung. Sein Bild, das ihr, bald strafend, bald trauernd, vor die Seele trat, erschien ihr nun in seiner ganzen Freundlichkeit. Schon lange hatte sie auf ein Mittel gesonnen, sich ihm zu erkennen zu geben: allein die Anwesenheit des Kammerjunkers stand ihr im Wege. Sie scheuete sich eben so sehr, ihn zu ihrem Vertrauten zu machen, als sie sich scheuete, sich mit dem Rittmeister in eine nähere Bekanntschaft einzulassen, ohne dem Baron ihre Beweggründe zu entdecken. Nun hatte der Zufall alle Schwierigkeiten gehoben; das große Wort war ausgesprochen, und es kostete sie nur wenig Ueberwindung, das angefangene Bekenntniß zu vollenden. In diese Gedanken verloren, nahm sie nicht wahr, daß der Kammerjunker schon eine Weile um sie herstrich. Endlich ward er seiner stummen Rolle müde: Nun, Mama, was kann ich hoffen? Du weißt, daß wir in unserer Unterredung gestört wurden, antwortete sie; soviel aber kann ich dich versichern, daß ihre Einwendungen nichts weniger als Ziererei sind. Ich muß ihre Grundsätze ehren, die, aufrichtig zu reden, bisher auch die unsrigen waren. Freilich kenne ich keine Person, die eine Abweichung von der Regel so sehr entschuldigen würde. Ich will sie daher in einigen Tagen wieder sprechen; denn du siehest selbst ein, daß die Klugheit uns befiehlt 120 zu warten, bis der Eindruck der heutigen Scene sich ein wenig verloren hat. Sie wollte ihm nicht alle Hoffnung benehmen, um seine Eifersucht, die sie für keine bloße Grille mehr hielt, nicht von neuem anzufachen, und versparte es auf einen ruhigern Augenblick, ihm den ganzen Inhalt seines Endurtheils anzukündigen.

 

Ernestine hatte ihrer Freundinn vieles erzählt, und gleichwohl schien noch ein wichtiger Anhang in ihrem Herzen zurückzubleiben. Sie gieng gedankenvoll in der Stube auf und nieder; bisweilen warf sie Christianen einen zärtlichen Blick zu, ohne ein Wort zu sprechen. Gleich nach Tische verschloß sie sich in ihre Kammer. Nach einer Stunde kam sie mit hochglühenden Wangen zurück, auf denen noch einige Thränen flimmerten. Reinolds Bild, das sie sonst immer unter ihrem Halstuche verbarg, lag unverhüllt auf ihrem Busen. Sie fiel Christianen in die Arme und preßte sie lange fest an ihre Brust. Schwester! war alles, was sie sagte, indem sie sich von ihr losriß und ihr den Abschiedskuß eines scheidenden Engels zunickte. Christiane war verstummt; sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Allein sie hörte, daß Ernestine einige Momente vor der Thüre verweilte, vermuthlich, um sich zu 121 erholen, und dann mit muthigem Schritte nach dem Zimmer der Frau von Ellern hinschwirrte.

Ihre Erscheinung überraschte die Baroninn, sie hatte sie noch nicht erwartet. Sie glaubte, sie wolle sie allein sprechen, und gab dem Kammerjunker einen Wink wegzugehen. Ernestine bemerkte es: bleiben Sie, Herr Baron; Ihre Gegenwart ist uns nöthig. Sie setzte sich neben seiner Mutter: Unsere Unterredung, gnädige Frau, wurde diesen Morgen in dem Augenblick unterbrochen, da sie mir einen rührenden Beweis Ihres Vertrauens gaben. Sie sagten mir, daß gewisse ökonomische Rücksichten bisher Ihren Herrn Sohn gehindert haben, sich standesmäßig zu vermählen. Ich kann die mir angebotene Ehre, Ihre Tochter zu werden, nicht annehmen; allein den Titel Ihrer Freundinn, womit Sie mich heute beehrten, kann ich vielleicht rechtfertigen. Ich habe in der Bank zu Hamburg zehntausend Thaler liegen, die ich jede Stunde zurückziehen kann. Ist Ihnen mit dieser Summe gedient, Herr Baron, so trete ich an die Stelle Ihres Giäubigers, und Sie bestimmen die Termine der Rückzahlung.

Seeburg saß wie ein Marmorbild auf seinem Stuhle. Ernestine erschien ihm reizender, als nie, und sie war für ihn verloren. Ihr Anerbieten demüthigte ihn; aber es riß ihn aus einer 122 dringenden Verlegenheit. Seine Mutter gab nicht auf ihn Achtung. Ein neuer moralischer Sinn war in ihrer Seele erwacht. Sie schlang ihren Arm um Ernestinen, und suchte mit bebenden Lippen den Ausdruck zu dem Gefühle, daß ihren Busen schwellte. Engel von einem Weibe! stammelte sie endlich; wie sehr verkannte ich Sie, als ich Sie blos für eine schöne und reiche Frau hielt; Sie sind der Seele nach eine Fürstinn. Nun Ferdinand? Stolz, Bewunderung, Liebe kämpften noch immer in seinem Herzen. Ein Blick auf die Holde, welche die Hand seiner Mutter beschämt an ihre pochende Brust drückte, und aus ihrem himmlischen Auge eine Thräne wegblinzte, führte ihn zu ihren Füßen. Herr Baron! rief Ernestine in einem strafenden Tone, indem sie aufstand und ihn zurückhielt. Erschrocken ergriff er ihre Hand. Sie zog sie nicht weg. Er küßte sie voll Ehrerbietung, und fühlte zum erstenmal, daß er ihrer nicht würdig war. Wohlan, sagte er gerührt, aus dieser Hand darf niemand erröthen, eine Wohlthat anzunehmen. Möchte die Gläubigerinn wenigstens meine Freundinn werden können! Das wird von Ihnen abhängen, erwiederte Ernestine voll Güte: wir wünschen Sie glücklich zu sehen, und ich hoffe, Sie sollen es werden. Dieser Gedanke hat Ihre Frau Mutter und mich diesen Morgen beschäftigt. 123 Sagen Sie mir, wie gefällt Ihnen das Fräulein von Forstheim?

Der Baron. (verwirrt.) In welchem Augenblicke fragen Sie mich das? Neben Ihnen hat mir bisher niemand gefallen.

Ernestine. Weg mit dem Hofmanne! Ich sehe wohl, ich muß ihre Frau Mutter fragen.

Die Baroninn. Ich finde das Mädchen sehr liebenswürdig.

Ernestine. So bestätigen Sie mein Urtheil, gnädige Frau.

Der Baron. Ich verstehe Sie; allein wie können Sie glauben, daß mein Herz . . . .

Ernestine. (lächelnd.) Ich glaube, daß Ihr Herz Ihrer Vernunft gehorchen werde, und hoffe, Sie werden meinen Glauben nicht zu Schanden machen. Je geschwinder Ihre Vernunft siegen wird, desto früher wird Ihr Herz glücklich seyn, und . . . . Adelbert und der General traten in die Stube.

Ernestine glühete. Eine süße Ohnmacht ergriff sie; kaum konnte sie sich aufrichten, um ihren Gruß zu erwiedern. Die Baroninn gieng ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen. Alle Herzen schmolzen, als der General ihr seinen Liebling übergab. Er ist Ihr Sohn, gnädige Frau; ich wünsche Ihnen und ihm Glück dazu; darum aber darf er nicht aufhören, auch mein Sohn zu seyn. Das soll 124 er nicht, rief die Baroninn, indem sie die von einer schneeweißen Locke umflatterte Wange des Helden küßte; Sie haben mehr Recht, ihn sich zuzueignen, als ich, und ich würde weder Ihren noch seinen Anblick ertragen können, wenn ich mich mit Vorsatz bis heute vor ihm verborgen hätte. Ich war unglücklich, aus eigener Schuld unglücklich; aber ich bin die Barbarinn nicht, die ich scheine. Hören Sie mich an, und dann sprechen Sie mir mein Urtheil: es wird gewiß nicht so strenge seyn, als das, so ich in den Tagen meiner Leiden mir selbst gesprochen habe. Die Gesellschaft setzte sich um sie her, und sie begann ihre Erzählung, die mehr als einmal Seufzer und Thränen unterbrachen.

Meine Eltern lebten auf dem Lande, an den reizenden Ufern des Neckars. Hier brachte ich meine Jugend zu, ohne eine andere Gesellschaft, als ein paar benachbarte adeliche Familien zu sehen, und ohne des Jahres mehr, als zwei bis dreimal, eine der umliegenden Städte zu besuchen. Ich war der Liebling meiner Mutter, die meine Erziehung mit einer Französinn theilte, welche mir, als Kind, den Kopf mit Feenmährchen und Rittergeschichten, als Mädchen, mit Schauspielen und Romanen anfüllte, die, ohne gerade schlüpfrig zu seyn, meine Phantasie erhitzten, und mir die Welt in einem falschen Lichte zeigten. Ich hatte mein 125 siebzehntes Jahr angetreten, als mein Bruder, der als Fähndrich in kaiserlichen Diensten stand, uns mit einem seiner Freunde besuchte, der, gleich ihm, einen dreimonatlichen Urlaub erhalten hatte. Sein verstorbener Vater war einst ein Kriegscamerade des meinigen, der den liebenswürdigen jungen Mann wie ein Glied unserer Familie aufnahm, und ihn einlud, einige Wochen auf unserm Gute zuzubringen. Der Lieutenant von Buchau, so hieß er, nahm die Einladung mit einem Vergnügen an, dessen vornehmste Ursache mir nicht entgieng, und das ich insgeheim mit ihm theilte. Gleich in den ersten Tagen hatten unsere Augen geredet. Buchau besaß mehr Vorzüge, als nöthig waren, in einem unverwahrten Herzen den Zunder der Leidenschaft anzufachen, und mein lebhafter, munterer Geist, von den Annehmlichkeiten der Jugend begleitet, machte einen mächtigen Eindruck auf seine feurige, gefühlvolle Seele. Er gestand mir seine Liebe, und ich ließ ihn die meinige errathen. Mein Bruder, der mit altritterlicher Freundschaft an ihm hieng, wurde der Vertraute seines Geheimnisses, und wünschte mir Glück zu meiner Eroberung. Die Hoffnung, seinen Herzensfreund zu seinem Bruder zu machen, entzückte den guten Jüngling, und verbarg ihm die Schwierigkeiten, die ihr im Wege standen.

126 Der Lieutenant, ein nachgeborner Sohn frühverstorbner Eltern, war beinahe ganz ohne Vermögen; allein er hatte einen reichen Oheim, der eine Maltheser-Comthurei in Schwaben besaß, und ihm den größten Theil seiner Verlassenschaft bestimmte. Auf diesen Oheim, der ihm schon jetzt eine jährliche Zulage von 1000 Gulden gab, die er gar leicht verdoppeln konnte, bauete mein Liebhaber seine Plane, an denen mein Bruder eben so wenig, als ich, auszusetzen fand. Er begünstigte unsere kleinen Zusammenkünfte bald auf dem Spaziergange, bald auf seinem Zimmer, und wohnte ihnen regelmäßig bei, indeß das Podagra meinen Vater auf der Stube zurückhielt. Endlich wurden wir schlüssig, daß Buchau meiner Mutter seine Absichten eröffnen, und um ihr Vorwort bei meinem Vater bitten sollte. Meine Mutter hatte ihn liebgewonnen, und ihre Zärtlichkeit gegen mich kannte keine Grenzen. Sie billigte unsere Liebe, und übernahm es, mit meinem Vater zu sprechen; denn erst, wenn dieser sich zu unserm Vortheil erklärt haben würde, sollte Buchau seine Wünsche dem Comthur eröffnen, an dessen Einwilligung er nicht zweifelte.

Die Unterhandlung meiner Mutter lief sehr unglücklich ab. Mein Vater, der immer ein eifriger Lutheraner war, hatte sich seit einiger Zeit 127 einer ängstlichen Frömmelei ergeben, die in seiner zunehmenden Altersschwäche und im Pietismus unsers Pfarrers tägliche Nahrung fand. Der Antrag meiner Mutter empörte ihn: er erklärte ihr rund heraus, daß er seine Tochter nie einem Papisten geben würde, und bat sie, im Tone eines Befehls, ihm kein Wort mehr von einer so heillosen Verbindung zu sprechen. Zu gleicher Zeit ließ er meinen Bruder vor sich kommen, und trug ihm auf, dem Lieutenant zu verstehen zu geben, daß er wohlthun würde, wenn er seinen Aufenthalt auf unserm Schlosse abkürzte. Mein Bruder wagte es, seines Freundes Fürsprecher zu seyn; allein mein Vater wieß ihm die Thür, und bedrohete ihn mit seinem Fluche, wenn er seinen Befehl nicht vollstrecken würde. Dieser Machtspruch donnerte uns nieder; unser Schmerz grenzte an Verzweiflung. Im ersten Augenblicke wollten wir uns meinem Vater zu Füßen werfen; allein wir bedurften keiner langen Ueberlegung, um diesen Gedanken aufzugeben. Zu meinem Glücke hatte meine Mutter ihm den wahren Zustand meines Herzens verborgen, und ihn blos errathen lassen, daß ich nicht ungeneigt wäre, dem Lieutenant meine Hand zu geben. Diese Behutsamkeit ersparte mir die Marter eines persönlichen Verhörs, und brachte ihn auf den Wahn, daß es hinreichend seyn würde, 128 meinem Liebhaber und mir seine Gesinnungen durch meine Mutter zu wissen zu thun. Diese hätte vielleicht besser gethan, mich von einer hoffnungslosen Liebe abzumahnen; allein sie fürchtete für meine Gesundheit, und suchte mich zu trösten. Sie versprach sogar mir und meinem Geliebten, alles anzuwenden, um meinen Vater auf andere Gedanken zu bringen; ungeachtet sie fühlen mußte, daß sie uns mit einer vergeblichen Hoffnung schmeichelte.

Buchau verreiste wirklich am folgenden Tage zu seinem Oheim. Ehe wir uns trennten, schwuren wir uns eine ewige Liebe. Seine Briefe, die ich durch die Vermittelung meines Bruders erhielt, versüßten mir meinen Kummer in eben dem Maaße, als sie in meinem Herzen das Feuer der Leidenschaft nährten. Meine Mutter wagte es mehrmals, den Eigensinn meines Vaters zu bekämpfen: er war unerbittlich; er hieß sie eine Rabenmutter, die ihr Kind dem Moloch aufopfern wolle, und befahl ihr, wenn sein Leben ihr lieb sey, den Namen Buchau nicht mehr vor ihm auszusprechen. Nun suchte die gute Mutter durch allerhand Zerstreuungen und durch liebreiches Zureden mein Herz zu heilen; allein es war zu spät: es hatte dem Geliebten eine unverbrüchliche Treue gelobet, und glaubte ihm schon wirklich auf ewig anzugehören. Meine romantische Einbildungskraft gab meiner Standhaftigkeit 129 einen heroischen Schwung, und ich fand eine Wollust in dem Gedanken, daß die wahre Liebe durch Leiden bewährt wird. Das wiederholte Zudringen meiner Mutter brachte mich auf den Entschluß, ihr den wahren Zustand meines Gemüths zu verbergen, und es gelang mir, sie durch eine verstellte Gelassenheit auf den Wahn zu bringen, daß sie nichts mehr für meine Ruhe zu fürchten habe.

Der Urlaub meines Bruders gieng zu Ende, und er schickte sich an, zu seinem Regiment nach Freiburg zurückzukehren. Er schrieb meinem Geliebten, daß er ihn auf einem benachbarten Dorfe erwarten sollte; wo der Vater meines Kammermädchens wohnte. Am Abende vor seiner Abreise, es war einer der ersten Frühlingstage, schlug mein Bruder mir einen Spaziergang vor. Wir giengen nach dem Dorfe, das ein kleines Wäldchen von unserm Schlosse trennte. Hier überraschte mich Buchau. Ich sank in seine Arme; ich weinte an seinem Halse. Wir wiederholten uns unsere heiligen Gelübde. Wir begleiteten ihn ins Dorf, und verabredeten unsern Briefwechsel, den der Vater meines Mädchens zu begünstigen versprach. Die Dämmerung war schon eingebrochen, als wir von einander schieden; und es würde mir unmöglich gewesen seyn, die Schmerzen der Trennung vor meinen Eltern zu verbergen, wenn sie nicht meine Thränen der zärtlichen Freundschaft 130 zugeschrieben hätten, die mich von jeher an meinen Bruder kettete.

Nach einigen Monaten verlor meine Mutter ihre einzige Schwester, die an einen Landvogt im Baden-Durlachischen verheirathet war. Sie hatte keine Kinder, und hinterließ meiner Mutter ein ansehnliches Vermächtniß. Da die Kränklichkeit meines Vaters ihm nicht erlaubte, sich von Hause zu entfernen, so beschloß meine Mutter, ihre Erbschaft selber abzuholen, und ich erhielt ohne Mühe die Erlaubniß, sie auf dieser Reise zu begleiten. Sie dauerte mehr nicht, als zween Tage, und wir wurden von meinem Onkel aufs liebreichste empfangen. Schon am folgenden Morgen besuchte uns mein Bruder, den ich, auf meiner Mutter Befehl, von unserer Reise benachrichtigt hatte. Der Ort unsers Aufenthaltes, das Städtchen Emmendingen, war keine zwo Meilen von Freiburg entfernt. Bei Tische sprach man viel von einem bevorstehenden Kriege mit Frankreich. Da mein Bruder ein einziger Sohn war, so suchte meine Mutter ihn zu bewegen, den Dienst zu verlassen. Allein umsonst; nichts konnte ihn zu einem Schritte vermögen, den er für entehrend hielt. Zufälligerweise fragte er mich, ob ich in seiner Abwesenheit das Reiten nicht verlernt habe, und als mein Onkel erfuhr, daß ich eine große Liebhaberinn dieser Uebung sey, schenkte er mir ein sehr hübsches Reitpferd, das 131 meiner Tante gehört hatte. Als ich mit meinem Bruder allein war, steckte er mir ein Briefchen von meinem Geliebten zu. In der Sprache der heißesten Leidenschaft beschwor er mich, ihm Gelegenheit zu einer Zusammenkunft zu verschaffen, nach der ich mich so sehr sehnte, als er. Ich verabredete sie mit meinem Bruder; der folgende Tag wurde dazu festgesetzt, und Buchau durch ein Billet auf einen benachbarten Meierhof beschieden. Unter dem ganz ungezwungenen Vorwande, mein Pferd zu probiren, ritt ich mit meinem Bruder aus, und in einer halben Stunde lag ich in Buchaus Armen. Diese Zusammenkünfte wurden noch mehrmals wiederholt, und immer durch neue Gelübde unserer Treue besiegelt.

Der Krieg ward erklärt, und das Regiment meines Bruders bekam Befehl, sich marschfertig zu halten. Ich zerfloß in Thränen, als mein Geliebter mir diese Nachricht ankündigte. Auch er weinte. Ich habe weit mehr zu fürchten, als du, meine Lina, sagte er zu mir: Nur der Tod kann mich von dir trennen; du aber wirst, von Freiern belagert, endlich gezwungen werden, einem Andern die Hand zu geben. Ich schauderte bei diesem Gedanken, und versicherte ihn in den wärmsten Ausdrücken meiner unerschütterlichen Standhaftigkeit. Es giebt, erwiederte er, ein einziges, aber unfehlbares Mittel, dich vor allen Verfolgungen zu schützen, und sogar deinen 132 Vater zu bewegen, endlich in unsere Liebe zu willigen. Und was für eins? fragte ich hastig. Eine geheime Verbindung, erwiederte er. Alle Fibern meines Herzens erbebten, und dennoch – wozu kann nicht die Leidenschaft ein siebzehnjähriges Mädchen verleiten! – in weniger als einer Stunde willigte ich in den Vorschlag, den mein Bruder mit der ganzen Beredsamkeit seiner schwärmerischen Freundschaft zu meinem Geliebten unterstützte, an dessen Schicksal ihn ein neuer, allmächtiger Beweggrund fesselte. Er hatte bei ihm das überaus reizende Portrait seiner Schwester gesehen, die sich seit Kurzem bei dem Comthur aufhielt, nachdem sie ihre frühern Jahre in einem Kloster zugebracht hatte. Mein Bruder war von diesem Gemälde bezaubert, dessen Glanz durch die Schilderung der liebenswürdigen Eigenschaften des Originals noch unendlich erhöht wurde. Sein Freund, der diesen Eindruck bemerkte, versprach ihm heilig, daß niemand anders, als er, das herrliche Mädchen besitzen sollte. Diese entzückende Aussicht war ihm ein neuer Sporn, unsere Verbindung zu befördern, und ehe wir uns trennten, war der ganze Plan zu diesem unvorsichtigen Schritte verabredet.

Ernestine, die bisher der Baroninn mir großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, gerieth nun in eine Unruhe, die sie mit allen aufgebotenen Kräften ihrer Seele kaum verbergen konnte. Ihr Fächer, ihr 133 Taschentuch, alles wurde zu Hilfe genommen, und demungeachtet übergoß die Blässe des Todes ihr Gesicht, als die Baroninn das Wort, geheime Verbindung, aussprach. Adelbert, als ein natürlicher Sohn, konnte ihr angehören; Adelbert, als Edelmann, wurde durch eben die Gründe von ihr entfernt, die sie erst vor wenig Stunden mit so vielem Feuer dem Antrage der Baroninn entgegengestellt hatte. Diese Gründe waren keine bloßen Ausflüchte; sie waren die Frucht ihrer Ueberzeugung. Und wären sie es nicht gewesen, wie würde sie den Anblick des Barons, und selbst seiner Mutter, wie würde sie ihre eigene Verachtung haben ertragen können, wenn sie sich durch ihre Leidenschaft hätte bewegen lassen, davon abzuweichen? Ihr Herz zitterte; ihre Vernunft wankte; ein kalter Schweiß stand auf ihrer Stirne. Endlich gewann sie so viel Gewalt über sich, daß sie ihrer marternden Verwirrung den Anstrich einer zärtlichen Theilnahme am Schicksale der Baroninn geben konnte, welche hier ihre Erzählung unterbrechen mußte, um ihrem eigenen Herzen Zeit zu lassen, neue Kräfte zu sammeln.

Der Anblick meiner Mutter, so fuhr sie fort, regte zwar das Gefühl meines Unrechts in mir auf; allein der Gedanke, daß sie meine Liebe eigentlich nie mißbilligt hatte, und mein gegründetes Vertrauen in ihre nachsichtsvolle Güte brachten die Stimme der 134 Vernunft und des Gewissens bald zum Stillschweigen. Dennoch schwoll mir das Herz, als ich am verhängnißvollen Tage Abschied von ihr nahm, um, ihrer Meinung nach, mit meinem Bruder unsern gewöhnlichen Spazierritt vorzunehmen, und ich eilte, so geschwind ich konnte, zum Zimmer hinaus, um ihr meine Thränen zu verbergen. In einer Stunde erreichten wir das nächste österreichische Dorf, wo ich meinen Bräutigam und den Feldpater seines Regiments antraf, mit dem er das Nöthige veranstaltet hatte. Nach einem kleinen Spaziergange begaben wir uns in die Kirche. Mein Bruder und der bestochene Küster des Dorfs waren die Zeugen unserer Trauung, die in der größten Stille vollzogen wurde. Der Gedanke, daß ein unzertrennliches Band mich nun an meinen Geliebten knüpfte, versüßte mir den Schmerz des Abschieds, und meine überspannte Phantasie erfüllte mein Herz mit einem Muthe, der mich auch im Angesichte meiner Mutter nicht verließ. Nie war ich heiterer, als jenen Abend, und ich entzückte meinen Onkel durch einige Liedchen, die ich, auf meines Bruders Aufforderung, zu einem Claviere sang, das im Speisezimmer stand, ohne daß ich mich bisher viel darum bekümmert hatte.

Am folgenden Tage erhielt mein Bruder einen Brief von Buchau. Wir saßen eben beim Tische. Er las ihn laut vor. Sein Freund bat ihn, ihm die 135 Erlaubniß auszuwirken, meiner Mutter und meinem Onkel aufzuwarten, den er ehedem schon einigemal mit meinem Bruder besucht hatte. Ey, warum nicht? sagte mein Oheim; auch Sie, Frau Schwester, werden ihn gerne wiedersehen: er hat mir erzählt, daß er vorigen Herbst einige Wochen auf Ihrem Schlosse zugebracht habe. Meine Mutter war etwas betroffen; allein sie fühlte, daß sie nicht nein sagen konnte, ohne ihrem Schwager eine Geschichte anzuvertrauen, die sie für geendigt hielt, und die er, als ein Weltmann, nach ganz andern Grundsätzen, als mein Vater, würde beurtheilt haben. Sie antwortete ihm durch ein gefälliges Kopfnicken, und vermied dabei,. mich anzusehen, um mir eine Verwirrung zu ersparen, die unser Geheimniß hätte verrathen können. Als wir aber allein waren, sagte sie zu mir: Ich hoffe, mein Kind, daß dein Herz geheilt, und vor einem Rückfall gesichert ist, sonst würde ich es sehr bereuen, daß ich mich dem Besuche des Lieutenants nicht widersetzt, und meine Bedenklichkeiten deinem Onkel nicht eröffnet habe. Wenn du deine und meine Ruhe liebst, so wirst du mein Vertrauen nicht täuschen, und jeder Gelegenheit, mit Buchau allein zu seyn, sorgfältig ausweichen. Das Herz brach mir; meine Augen füllten sich mit Thränen; meine Kniee wankten. Ich war im Begriffe, mich vor ihr niederzuwerfen, und ihr alles zu bekennen: ein 136 plötzlicher Schauer hielt mich zurück; das Bild meines Geliebten stellte sich zwischen mich und meine Mutter, und die Furcht, ihn zu verlieren, die mir wie ein Blitz in die Seele fuhr, lähmte mir die Zunge. Ich verbarg mein Gesicht in ihrem Busen, und stammelte ein Gelübde, das mein Herz verläugnete; dennoch ergriff mich eine bange Traurigkeit, die ich umsonst zu verbannen suchte. Ich brachte die Nacht in Thränen zu, und faßte, von innern Vorwürfen gepeinigt, den Entschluß, meinen Geliebten zu beschwören, seinen Besuch zu unterlassen. Erst gegen Morgen schlief ich ein. Als ich erwachte, schrieb ich ein Billet an Buchau, dessen Bestellung ich meinem Bruder auftragen wollte. Er war schon vor einer Stunde ausgeritten, um seinen Freund abzuholen.

Meine Angst wuchs mit jeder Minute. Ich fürchtete mich, in diesem Zustande meiner Mutter unter die Augen zu treten, und blieb auf meinem Zimmer. Ich lag gedankenvoll im Fenster, als mein Geliebter, von meinem Bruder begleitet, zum Hofe hereinritt. Sein Anblick verscheuchte meine Schwermuth; der Taumel der Leidenschaft trat an ihre Stelle, und nun wunderte ich mich, wie ich mir das Glück, einige Stunden an seiner Seite zuzubringen, versagen konnte. Ich begab mich zur Gesellschaft. Mein Bruder hatte dem Lieutenant die strengste Behutsamkeit empfohlen. 137 Seine Bewillkommung war weder fremd, noch vertraut, und ich . . . . . mit Erröthen gestehe ich es, ich that es ihm in der Verstellung noch zuvor. Kein Wort, keine Miene verrieth unser Geheimniß. Ueber der Mahlzeit entspann sich zwischen meinem Onkel und den beiden Offizieren ein politisches Gespräch über den ausgebrochenen Krieg. Buchau entzückte ihn durch seine Kenntnisse und durch die Feinheit seiner Bemerkungen. Junger Mann, sagte mein Onkel, wir müssen näher mit einander bekannt werden; Sie gehören ja ohnehin schon halb und halb zur Familie. Suchen Sie sich einen Urlaub von einigen Tagen auszuwirken, und leisten Sie uns Gesellschaft; wer weiß, wann wir wieder so zusammenkommen. Mein Herz hüpfte; Buchaus Gesicht strahlte. Er verließ uns gleich nach Tische, und jagte nach Freyburg zurück. Sein Obrister, der ihn väterlich liebte, bewilligte ihm einen Urlaub von acht Tagen, und seine Ungedult erlaubte ihm nicht, seine Rückkunft bis auf den folgenden Morgen zu verschieben.

Als wir allein waren, sagte meine Mutter zu mir: ich bin mit dir zufrieden, mein Kind, und hoffe, du werdest fortfahren, dich vorsichtig zu betragen. Ich küßte ihr die Hand; was hätte ich ihr antworten können? Erlassen Sie mir, meine Freunde, die Geschichte eines Zeitraums, den mein bethörtes Herz für den glücklichsten meines Lebens hielt, indeß ich 138 langsam in den tiefsten Abgrund des Jammers hinabglitt. Mein Geliebter und ich erschöpften alle Künste der erfindsamen Liebe, um meine gute Mutter sicher zu machen, und es gelang uns nur zu wohl, ihr Vertrauen zu hintergehen.

Sechs Tage waren uns wie ein zauberischer Traum verstrichen, als die beiden Offiziere zu ihrem Regiment abgerufen wurden, das Befehl erhalten hatte, schleunig ins Feld zu rücken. Auch jetzt kam die Liebe zu meinem Bruder mir zu statten, um den grenzenlosen Schmerz zu rechtfertigen, den diese Schreckenspost mir verursachte. Die beiden Waffenbrüder verreisten noch denselben Abend. Ich wußte mich nicht zu fassen, ungeachtet ich gewiß war, sie noch einmal zu sehen. Denn da das Regiment am folgenden Morgen durch unser Städtchen ziehen sollte, so hatte sie mein Onkel zum Frühstück eingeladen. Der gute Mann that alles, was er konnte, um mich zu trösten; allein umsonst. Die schwärzesten Bilder folgten mir auf mein Lager, und nach einer peinlich durchwachten Nacht erschien die noch peinlichere Stunde der Trennung. Ich hieng bald ohnmächtig am Halse meines Bruders, der mir eine reichgestickte Brieftasche zustellte, um, wie er sagte, seine Briefe darinn aufzubewahren. Mein Geliebter, bleich wie der Tod, ergriff meine Hand mit einem Drucke, den ich zu verstehen glaubte. Unschlüssig, ob er mehr 139 wagen dürfe, wollte er sie an seine Lippen pressen. Mein Oheim errieth seinen Wunsch: dem Freunde des Bruders gebührt ein Schwesterkuß, sagte er, indem er ihm meine Wange hinbot. Buchau küßte die Thränen auf, die sie überschwemmten; er wußte wohl, daß die bittersten für ihn flossen; aber er und ich ahneten nicht, daß die Zukunft mir noch weit bittrere aufbehielt.

Kaum hatte ich sie aus dem Gesichte verloren, so begab ich mich auf mein Zimmer, um meine Brieftasche zu öffnen, die mir ein Geschenk meines Geliebten zu seyn schien. Ich betrog mich nicht, ich fand darinn, außer einem von seinen Thränen feuchten Abschiedsbillet, unsern Trauschein, den er mich beschwor, wohl zu verwahren, weil dieses Blatt das Glück unserer Liebe versichern könne. Ich folgte seinem Befehl, und war entzückt, ein Andenken von ihm zu besitzen, das ich nicht verbergen durfte, weil ich es unter einem andern Namen empfangen hatte. Ich besitze es noch, und werde es, so bald ich nach Hause komme, mit den beiden Urkunden die es enthielt, meinem Karl als das einzige Erbgut zustellen, das mir sein Vater für ihn hinterlassen hat.

Noch ein paar traurige Tage brachten wir bei meinem guten Onkel zu: dann traten wir unsere Rückreise an. Mein Reitpferd mußte mir folgen, und ich freuete mich dieses Gefährten, der mich so 140 oft meinem Buchau entgegen trug. Nun sollte es mir zur Beförderung unsers Briefwechsels dienen, den wir auf den alten Fuß verabredet hatten. Meine Eltern glaubten mir eine Zerstreuung zu verschaffen, wenn sie mir von Zeit zu Zeit erlaubten, in Begleitung eines Bedienten auszureiten. Ich kehrte gewöhnlich bei unserm Unterhändler ein, und wenn ich abgehalten wurde, so vertrat mein Mädchen meine Stelle, das ohnehin jeden Sonntag seinen Vater besuchte. Die Briefe meines Geliebten athmeten die reinste, wärmste Zärtlichkeit; sie würden mir seine Abwesenheit erträglich gemacht haben, wenn ich nicht täglich für sein Leben hätte zittern müssen. Doch nun kam die Zeit, da ich für mich selbst und für ein größeres Gut, als mein Leben, zittern sollte.

Die Folgen meines strafbaren Schrittes bedrohten meine Ehre. Vier Monate weinte ich in der Stille, ohne meinem Gatten meine tödtliche Unruhe zu vertrauen. Endlich entdeckte ich ihm das traurige Geheimniß. Mein Wunsch ist erfüllt, antwortete er mir im Triumph seiner Freude, nun erst, meine Lina, bist du ganz mein: keine irdische Macht kann uns mehr trennen. Entdecke dich unserer guten Mutter, du bedarfst ihres Beistandes; sie liebt dich, sie wird dir ihn nicht versagen. Ich fühlte, daß dieser Rath der einzige war, den er mir geben konnte; allein so oft ich ihn befolgen wollte, entsank mir der 141 Muth. Zehnmal trat ich vor meine Mutter, um ihr mein Vergehen zu bekennen, und immer starb das Wort auf meinen Lippen. So verstrichen mir noch einige Wochen. Namenlose Martern zermalmten mein Herz. Endlich zwang der bedenkliche Zustand meiner Gesundheit mich, zu reden; ich fiel vor meiner Mutter auf die Kniee: ich stammelte einige unvernehmliche Töne, die unser Trauschein, den ich ihr in die Hand legte, ihr enträthselte. Sie schauderte zurück, und ich stürzte längs zur Erde. Sie ließ mich einige Minuten liegen; endlich siegte die mütterliche Liebe. Sie half mir auf; sie schloß mich in ihre Arme, Thränen der zärtlichsten Wehmuth begleiteten ihre Vorwürfe, ich warf mich von neuem auf die Kniee, und wollte nicht eher aufstehen, als bis sie das Wort der Vergebung aussprach. Nun vermengte sie ihre Thränen mit den meinigen, ich beschwor sie, mich nicht zu verlassen; ihre vornehmste Sorge war, meinen Zustand meinem Vater und unserm fanatischen Pfarrer zu verbergen, den wir noch mehr fürchteten, als meinen Vater. Dieses gelang uns noch einige Zeit, endlich aber mußte ein unverdächtiger Vorwand erfunden werden, mich auf ein paar Monathe von Hause zu entfernen.

Nach langem Hin und Hersinnen beschloß meine Mutter, unsern Arzt, einen edeln, rechtschaffenen Mann, in unser Geheimniß aufzunehmen. Sie that 142 es mit einer Schonung, die mich mehr, als die härteste Strafe demüthigte, indem sie ihm zu verstehen gab, meine Heirath sey mit ihrem Vorwissen und in der Hoffnung geschlossen worden, daß ihr Gemahl sie endlich gutheissen werde. Der Arzt zeigte sich unsers Vertrauens würdig, er stellte meinem Vater vor, daß meine Gesundheit den Gebrauch einer Brunnenkur unumgänglich erfordere, und meine Mutter erbot sich, mich nach Schwalbach zu begleiten. Man wählte diesen Ort, weil unser Vertrauter in dessen Nachbarschaft einen zuverläßigen Freund hatte, dem er uns empfehlen wollte. Niemand, als mein Mädchen dem mein Geheimniß nicht fremd war, sollte uns auf dieser Reise begleiten. Mein Vater, der mich schon lange kränkeln sah, willigte in alles, und der Tag unserer Abreise war bereits festgesetzt, als eine traurige Nachricht diesen Plan vereitelte.

Das Regiment meines Bruders machte einen Theil der Besatzung von Philipsburg aus. Die Franzosen belagerten diese Festung, und wir schwebten einige Wochen in tödtlicher Unruhe, als mein Vater einen Brief von fremder Hand erhielt, den aber mein Bruder dictirt und unterschrieben hatte. Er meldete darinn, daß er in einem Ausfall schwer verwundet, gefangen und in die Festung Landau gebracht worden sey. Die französischen Feldscheerer, setzte er hinzu, fänden zwar keine seiner Wunden 143 tödtlich, die Kur aber dürfte langwierig seyn. Diese Nachricht stürzte uns in die tiefste Betrübniß, und mein Vater, der alle Hoffnung auf diesen Sohn setzte, beklagte es mit Thränen, daß sein siecher Körper ihn hinderte, ihm zu Hülfe zu eilen. Das will ich thun, sagte meine Mutter, und wenn es der Arzt für gut findet, so kann Lina mich begleiten. Der Arzt wurde gerufen, er errieth unsere Absicht, und war der Meinung, daß eine solche Luftveränderung mir vielleicht eben so zuträglich seyn würde. Nur müßte ich mich vor heftigen Gemüthsbewegungen hüten, und meinem Kummer nicht zu sehr nachhängen.

Schon am folgenden Tage machten wir uns auf den Weg. Es war gegen das Ende des Junius. Wir reisten schnell und glücklich. Mit pochendem Herzen fragten wir nach dem Quartier meines Bruders. Er hatte sich in ein Privathaus bringen lassen, und wir erfuhren von seinem Wirthe, daß er sich etwas besser befinde. Wir eilten auf sein Zimmer. Meine Mutter öffnete sachte die Thüre: sie sah hinein, und erblickte meinen Bruder an den Busen seines Freundes gelehnt, der ihm eine Erfrischung reichte. In diesem Momente ward Buchau sie gewahr; schaudernd ließ er den Becher aus der Hand fallen, und wollte sich ihr zu Füssen werfen, eben da ich hinter ihr in die Stube trat. Er blieb 144 wie versteinert stehen, ich zitterte vor Schrecken und Freude, jetzt lag er vor meiner Mutter auf den Knieen. Sie hat uns vergeben! rief ich mit erlöschender Stimme, indem ich an seine Brust niedersank. Nun erst bemerkte ich, daß er den linken Arm in einer Binde trug. Gott, auch du verwundet! . . . . Mir zu Liebe, sagte mein Bruder heiter lächelnd zu meiner Mutter, die ihre Hand von Buchaus Lippen wegriß, und auf den Patienten zuflog, dessen blasses Gesicht sie mit Küssen und Thränen bedeckte.

Urtheilen Sie selbst, meine Freunde, ob diese Szene sich beschreiben läßt. Ich setze nichts hinzu, als daß mein Bruder die Wahrheit sagte. Er hatte drei Wunden empfangen, und lag von Feinden umringt auf der Erde. Buchau wollte ihn ihren Händen entreissen, und drang mit einigen seiner Leute wütend auf sie ein. Er wurde übermannt, verwundet und selber gefangen. Er schlug alle Hülfe aus, bis die Wunden seines Freundes verbunden waren. Da die seinige wenig auf sich hatte, so stellte man ihm frei, im Feldlazareth zu bleiben, und nach einigen Tagen auf sein Ehrenwort nach Hause zu gehen; allein er folgte seinem Schwager nach Landau, und theilte sein Zimmer mit ihm. Kurz, mein Bruder hatte seine Erhaltung eben so sehr der Freundschaft, als der Heilkunst zu danken.

145 Diese Erzählung söhnte meine Mutter mit dem Lieutenant vollends aus. Sie nannte ihn wieder, wie in glücklichern Tagen, ihren lieben Sohn, und gieng mit ihm über die eigentliche Veranlassung meiner Reise zu Rathe. So sehr uns allen daran gelegen war, meine Verbindung wenigstens noch eine Zeit lang vor meinem Vater zu verbergen, so fanden wir doch keine Ursache, das Geheimniß in einer fremden Stadt zu beobachten, wo niemand uns kannte. Nichts war natürlicher, als daß ich in Gesellschaft meiner Mutter einen verwundeten Gatten und Bruder besuchte, und mit ihnen unter einem Dache wohnte. Unsere gefällige Wirthinn räumte uns einige Zimmer ein, und da, nach dem Urtheil der Wundärzte, mein Bruder vor zween Monaten Landau nicht verlassen konnte, so ward beschlossen, daß ich hier meine Niederkunft abwarten sollte. Sie erfolgte bereits nach einigen Tagen; die Beschwerlichkeiten der Reise und die ausgestandenen Gemüthserschütterungen hatten sie beschleunigt. Du, mein lieber Carl, wurdest gebohren. Unser Lohnlakei und mein Mädchen waren deine Pathen, und ich war deine Amme. Ich wollte mir die Freude, dich selber zu stillen, so lange ich um dich war, nicht rauben lassen. Ach! es war die einzige Mutterpflicht, die ich dir, und leider nur auf kurze Zeit, erweisen konnte.

146 Während meinem Wochenbette ergab sich die Festung Philipsburg, und dein Vater und mein Bruder wurden einige Wochen darauf ausgewechselt. Die Wunden dieses letztern waren zwar nothdürftig geheilt, allein sie erlaubten ihm nicht, den Kriegsdienst fortzusetzen. Ehe Buchau zu seinem Regiment zurückkehrte, wollte er für deine Unterkunft sorgen, und da der Krieg in Deutschland fortdauerte, hielten wir fürs Beste, dir in einer französischen Grenzstadt ein sicheres Asyl auszumachen. Wir verfielen einmüthig auf die Stadt Strasburg, deren Größe uns die meisten Hülfsmittel anbot, und zugleich für deine Verborgenheit bürgte. Wir beschlossen also, in Begleitung deines Vaters unsern Rückweg durch diese Stadt zu nehmen. Wir hatten das Glück, dich bei einer ehrbaren jungen Wittwe unter dem Namen Carl Adelbert (der letztere war deines Vaters Taufnahme) unterzubringen. Buchau bezahlte deiner neuen Pflegemutter das bedungene Kostgeld für ein halbes Jahr voraus, und hinterlegte in einem Strasburger Wechselhause eine Summe von hundert Ducaten, die sein Oheim ihm zugeschickt hatte, und welche hinreichten, deine Verpflegung auf ein paar Jahre zu bestreiten. Ich finde keinen Ausdruck, um die Schmerzen meines Abschieds von dir und deinem Vater zu schildern; ach! sie waren nur allzugerecht. 147 Ich sollte ihn nie, und dich, mein lieber Carl, nur erst nach vielen Jahren wiedersehen.

Unsere Thränen waren noch nicht getrocknet, als wir bei meinem Vater anlangten. Der Anblick meiner hergestellten Gesundheit linderte einigermaßen seinen Kummer über den traurigen Zustand meines Bruders, der noch anderthalb Jahre siechte, und endlich an den Folgen seiner Wunden starb. So lange er lebte, erhielt ich durch ihn von Zeit zu Zeit Briefe von deinem Vater und Nachrichten von deinem Befinden. Der Friede mit Frankreich war zwar hergestellt; allein kurz darauf brach ein Krieg mit der Pforte aus. Buchau hatte eine Compagnie erhalten, und der Augenblick näherte sich, da ich, von meiner Mutter unterstützt, meinem Vater meine Heirath eröffnen wollte, als wir durch Zeitungen erfuhren, daß mein Gatte, dem ich kurz zuvor den Tod seines Freundes gemeldet hatte, auf einem Vorposten unweit Widdin geblieben sey. Mein Schmerz hatte keine Grenzen; ich verbarg meine Thränen meinem Vater nicht: er entschuldigte sie, weil er glaubte, daß der Tod des Freundes mir den Verlust des Bruders erneuerte. Bisweilen täuschte ich mich mit dem Gedanken, daß Buchau vielleicht nicht getödtet, sondern nur verwundet worden. Ich beredete daher meine Mutter, an den Comthur zu schreiben, um die Wahrheit zu erfahren. Ihr Brief wurde 148 durch seine Nichte beantwortet. Er enthielt die Nachricht, daß ihr Oheim kurz vor dem Tode ihres Bruders plötzlich am Schlage gestorben sey. Ich war der Verzweiflung nahe. Nun war mein Unglück nur zu gewiß, und mit diesem Oheim, dem unsere Verbindung erst nach meinem Vater eröffnet werden sollte, fiel die letzte Stütze meines armen Kindes.

Sobald ich fähig war, an etwas anders als an meinen Verlust zu denken, gieng ich mit meiner Mutter wegen deiner künftigen Versorgung zu Rathe. Wir wurden schlüssig, dich noch ein paar Jahre in den Händen deiner Pflegemutter zu lassen, und das Weitere von den Umständen zu erwarten. Meinem Vater etwas von meiner Heirath zu entdecken, wäre nun zwecklos gewesen, und würde mich ohne Nutzen seinem Zorne blosgestellt haben. Meine Mutter und ich legten also alle Ersparnisse zusammen, und schickten damit den Vater meines Mädchens nach Strasburg, um sich nach dir zu erkundigen, und die Summe bei eben dem Wechsler niederzulegen, dem die Bezahlung deines Kostgeldes aufgetragen war. Der Mann kam mit einer Botschaft zurück, die mich an den Rand des Grabes brachte. Wenige Tage vor seiner Ankunft, so sagte ihm deine Verpflegerinn, habe sich ein fremder Herr bei ihr gemeldet, und ihr den Tod deines Vaters angezeigt, mit dem Beisatze, daß er als dein Vormund nun selbst für deine 149 Erziehung sorgen wolle. Er habe sie reichlich belohnt, und in Begleitung eines ältlichen Frauenzimmers das Kind mit sich fortgenommen.

Dieser fremde Herr war ich, rief der General, und das ältliche Frauenzimmer war meine Verwalterinn. Doch vergeben Sie, gnädige Frau, daß ich Sie unterbrach; die Reihe, zu reden, wird auch an mich kommen. Das vermuthete ich schon diesen Morgen, sagte die Baroninn, indem sie dem General mit feuchten Augen die Hand drückte. Die Reihe, zu reden, wird bald an Ihnen seyn, ich habe wenig mehr zu sagen. Drei Wochen lag ich ohne Besinnung in einem hitzigen Fieber. Die Hülfsmittel der Kunst und meine Jugend brachten mich in's Leben zurück; meine Genesung war sehr langsam, und ich behielt eine Nervenschwäche, die meinen Arzt veranlaßte, mir nun im Ernst eine Badekur zu verordnen. Wir wählten absichtlich die warmen Quellen zu Baden bei Rastadt, und meine Mutter begleitete mich dahin. Ehe ich meine Kur anfieng, machten wir eine kleine Reise nach Strasburg. Ich wollte die Pflegemutter meines Kindes selber sprechen, und hoffte von ihr einige nähere Nachrichten von seinem Aufenthalt einzuziehen; allein sie konnte uns nicht mehr sagen, als was unser Bote uns hinterbracht hatte. Der angebliche Vormund meines Sohnes hatte sich nicht genannt, und der Wechsler hatte ihn gar nicht 150 gesehen. Mit einem nagenden Kummer im Herzen kehrte ich nach Baden zurück.

Meine Gesundheit stellte sich allmälig wieder her, und nach zwei Jahren heirathete ich den Herrn von Seeburg. Die Schwester meines Buchau hatte sich mit einem Edelmann aus unserer Gegend verbunden. Ich suchte ihre Bekanntschaft, und fand Gelegenheit, mich bei ihr nach den Umständen des Todes ihres Bruders zu erkundigen; allein sie konnte mir mehr nicht sagen, als was sie meiner Mutter gemeldet hatte. So wurde mir meine letzte Hoffnung vereitelt, und ohne das Wunder, das uns, mein lieber Carl, hier zusammenführte, wäre mir dein Daseyn auf immer verborgen geblieben. Als ich dich im Concert erblickte, glaubte ich deinen auferstandenen Vater zu sehen.

Der General. Da haben Sie Recht; in meinem ganzen Leben ist mit keine solche Aehnlichkeit vorgekommen.

Die Baroninn. Und als ich vollends den Namen Adelbert aussprechen hörte, blieb mir kein Zweifel mehr übrig. Nur durch meine Entfernung konnte ich einer Ohnmacht ausweichen. Allemal ist es mir unbegreiflich, warum dein Vater mir die Maasregeln verhehlte, die er zu deiner Versorgung getroffen hat.

151 Dieses Räthsel, sagte der General, kann ich Ihnen erklären. Beim Ausbruche des Türkenkriegs ward ich als Major bei dem Regiment angestellt, unter welchem Buchau als Hauptmann stand. Wir wurden bald Freunde; doch entdeckte er mir nichts von seiner Verbindung. Er ward auf einen Vorposten nach einem Dorfe kommandirt. Die Feinde überfielen ihn des Nachts mit einer überlegenen Macht. Er vertheidigte sich als ein Held, und bekam einen Lanzenstich in den Unterleib, eben als ich ihm mit einer Verstärkung zu Hülfe eilte. Als die Türken zurückgeschlagen waren, ließ ich meinen verwundeten Freund in ein Haus bringen und verbinden. Der Feldscheerer erklärte seine Wunde für höchst gefährlich. Sobald ich für die Sicherheit des Postens gesorgt hatte, kehrte ich zu ihm zurück. Er befahl den zween Soldaten, die ich ihm zu Wärtern gegeben hatte, uns allein zu lassen; dann sagte er zu mir: ich fühle, mein Freund! daß meine Wunde tödtlich ist. Ihnen allein kann ich ein Anliegen anvertrauen, das mir schwer auf dem Herzen liegt. Ich bin heimlich verheirathet, und habe einen zweijährigen Sohn, dessen Mutter sich Ihnen selber zu erkennen geben wird. Da es mir bisher wegen unüberwindlicher Hindernisse nicht möglich war, meiner Verbindung die gesetzliche Kraft zu geben, so halte ich mich nicht für berechtigt, das Geheimniß einer 152 ehrwürdigen Familie selbst meinem Freunde zu offenbaren. Von seiner Mutter wird einst mein Sohn den Namen seines Vaters erfahren, den ich Sie beschwöre, ihm zu verschweigen. Er ist seiner Pflegerinn unter dem Namen Carl Adelbert übergeben worden, und vielleicht wird seine Ruhe und meine Ehre erfordern, daß er nie einen andern führe. Da der Mann, der meine Stelle bei ihm vertreten und für sein Glück gesorgt haben würde, seit kurzem gestorben ist, so kann ich nur wenig für ihn thun. Hier langte er seine Brieftasche unter dem Hauptkissen hervor, und nahm einen Wiener Wechsel von tausend Ducaten heraus. Die Zinsen dieses Wechsels, fuhr er fort, müssen zu seiner Erziehung hinreichen, bis er im Stande ist, mit dem Degen sein Brod zu verdienen. Da ich weiß, welchen Händen ich ihn übergebe, so ist mir für sein Schicksal nicht bange. Jetzt gab er mir die Adresse der Pflegemutter des Kindes, und ich versprach ihm nicht ohne Thränen, es selber in Strasburg abzuholen, sobald die Umstände mir erlauben würden, einen Urlaub zu begehren. Die Pflicht des Dienstes rief mich ab. Nach einer Stunde kam ich wieder, und fand ihn mit dem Tode ringend. Ich bog mich über ihn hin, ich schrie ihm in die Ohren; allein vergebens. Er warf mir einen brechenden Blick zu, und verschied in meinen Armen. Einer von seinen Wärtern stellte mir ein 153 Papier zu, an dem er schrieb, als seine Wunde aufbrach, und die Verblutung verursachte, die seinen Tod beschleunigte. Hier ist es. Der General zog es aus seiner Tasche und überreichte es der Baroninn. Ach Gott! es ist seine Hand, rief sie schluchsend, und las folgende Worte:

»Ich sterbe, meine theure Lina, und fühle nun erst, ach, zu spät! daß ich Dich unglücklich gemacht habe. Vergieb mir, meine Gattinn, und liebe mein Andenken in unserem Kinde. Mein edler Freund, der Herr von Löwen, Major unsers Regiments, wird für seine Erziehung sorgen, und es bleibt Dir freigestellt, ob Du Dich ihm entdecken, oder . . . .«

Diesen Brief, so fuhr der General fort, konnte ich nicht bestellen, weil ich nicht wußte, an wen er gerichtet war. Adelbert nahm das Blatt seiner Mutter aus der Hand; er küßte es und netzte es mit seinen Thränen. Auch Ernestine weinte, und war froh, weinen zu dürfen. Es entstand eine lange düstere Pause.

Adelbert gab seiner Mutter das Papier zurück. Edler Mann, sagte sie zum General, nicht wahr, ich darf es doch behalten? Auch noch jetzt ist es mir ein heiliges Andenken, das nach meinem Tode seinem Sohne zufallen soll. Der Brief ist an Sie, erwiederte der General, und vermuthlich wäre er Ihnen durch Ihren gewöhnlichen Vermittler zugekommen. 154 Die heftige Gemüthsbewegung, darinn mein Freund ihn schrieb, brachte sein Blut in Wallung, und war die wahrscheinliche Ursache seines so schnellen Endes. Unter den Geräthschaften, die er bei sich hatte, fand ich nichts, das mich auf die Spur seiner Adresse hätte bringen können; nur sagten mir die Wärter, daß er, ehe er zu schreiben anfieng, verschiedene Papiere aus seiner Brieftasche hervorgelangt und verbrannt habe; auf gleiche Art sey er mit einem schönen Bildniß verfahren, das er auf seiner Brust trug, und wovon sie mir die Einfassung zustellten. Ehe ers verbrannte, sagten sie, habe er es unzählichemal geküßt und mit Thränen begossen. Da diese Einfassung mit den verzogenen Buchstaben A. C. verziert war . . . . Adelbert und Caroline, unterbrach ihn die Baroninn. Das Portrait wurde dem Scheine nach für meinen Bruder gemahlt, durch den ich es noch vor unserer Verbindung meinem Geliebten zustellen ließ. Ich behielt das Rähmchen zurück, weil es vielleicht meinem künftigen Pflegesohne dienen konnte, sagte der General, indem er es der Baroninn übergab, die es augenblicklich erkannte. Er hat es auf seinem Herzen getragen, sprach Adelbert, der es seiner Mutter ehrerbietig aus der Hand nahm, es ist ein Vermächtniß, das ich mir zueigne, und ich hoffe, Sie werden es mir ergänzen. Gerne, lieber Carl erwiederte sie. Doch wir haben deinen Wohlthäter unterbrochen.

155 Ein Auftrag, womit unser Feldmarschall mich wenig Tage nach dem Tode meines Freundes an den Hofkriegsrath abschickte, so fuhr der General fort, setzte mich weit eher, als ich es hoffen durfte, in den Stand, mein Versprechen zu erfüllen. Unter dem Vorwande einer dringenden Familienangelegenheit erhielt ich ohne Mühe einen Urlaub auf vierzehn Tage, und mehr brauchte ich nicht, um meinen kleinen Mündel in Straßburg abzuholen und auf mein Gut zu meinem Verwalter zu bringen. Das Kind schoß auf wie ein Rohr, und nannte mich Vater. Nach des Kaisers Tode trat ich in die Dienste meines Landesfürsten, der mir ein Dragoner-Regiment auftrug. Hiedurch bekam ich Gelegenheit, dem Knaben in der Folge einen Platz in unserm Kadettenhause zu verschaffen. Er war in allen Stücken, wie noch jetzt, einer der ersten, und als er das Alter hatte, bat ich mir eine Standarte für ihn aus. Nun hatte er den Fuß im Bügel, und Sie sehen (auf Adelberts Ordensband weisend), daß er im scharfen Trab auf der Bahn der Ehre avancirt ist.

Die Baroninn. Das alles, vortrefflicher Mann, hat er Ihnen zu danken, und seine Mutter wird Sie ewig dafür segnen. Doch bald hätte ich einen wichtigen Umstand vergessen. Der Comthur hat eine beträchtliche Erbschaft hinterlassen, wovon ein Drittheil meinem Carl von Rechts wegen 156 zugehört. Mein eignes Vermögen ist während meiner zweiten Ehe so sehr zusammengeschmolzen, daß es ihm leider wenig Unterstützung verspricht. Desto mehr hat er von der Seite seines Vaters zu erwarten, wenn er die Rechte seiner Geburt, wovon ich die Beweisschriften in Händen habe, geltend macht.

Adelbert. (zärtlich.) Nein, liebe Mutter, das Glück, Sie gefunden zu haben, soll niemanden etwas kosten. Ihr Herz, nicht Ihr Vermögen, will ich mit meinem Bruder theilen, und in die Familie meines Vaters will ich mich durch keinen Proceß eindrängen, der seine Asche stören und dessen Ausgang ungewiß seyn würde. Vor dem Richterstuhle der Moral ist meine Geburt rechtmäßig; vor dem Richterstuhle der Gesetze kann man sie mir streitig machen, und das verhaßte Licht, das man darauf werfen würde, könnte auf meine Mutter zurückfallen. Ich verzichte auf meine Ansprüche, auf den Namen meines Vaters, und vor der Welt, liebe Mutter, verzichte ich selbst auf den süßen Titel Ihres Sohnes.

Ernestine lächelte, ihre Augen funkelten, ein tiefer Seufzer machte ihrem schwellenden Herzen Luft; sie konnte sich kaum auf ihrem Stuhl halten. Der General sprang auf, und faßte den Rittmeister in seine Arme, recht so, lieber herrlicher Junge, das habe ich von dir erwartet. Du bedarfst keines andern Namens; Adelbert sagt mehr als Buchau. 157 Mangel hast du keinen gelitten; ich habe mit deinen tausend Ducaten gewuchert, sie sind auf zwei tausend angewachsen, und auch wenn du den Dienst verlassen müßtest, wirst du zu leben haben. Eine Pension ist dir gewiß, und auch ein eigener Heerd, in dem du sie verzehren kannst. Ich habe es nicht gemacht wie der alte Comthur, den der Tod, wie der Rundmajor eine schlafende Schildwache, überraschte. Mein Gut fällt meinem Neffen zu, allein der Freihof, einen Büchsenschuß vom Dorfe, den ich aus meinen Ersparnissen erkaufte, habe ich dir verschrieben. So lange ich lebe, wohnst du bei mir, und wenn du mir die Augen zugedrückt hast, so beziehst du dein Eigenthum.

Die Baroninn zerfloß in Thränen, und fiel dem General schweigend um den Hals. Ernestine wogte einige Momente in einem Meere großer Gefühle, die sich mit Flammenzügen auf ihre Stirne mahlten. Jetzt stand sie auf und trat der Baroninn entgegen. Gnädige Frau, sprach sie mit der feierlichen Melodie ihrer Silberstimme; ich sagte Ihnen heute, daß ich Ihre Tochter nicht werden könne. Ich betrog mich. Die Verzichtleistung Ihres Sohnes kann mir diese Ehre verschaffen. Nun wendete sie sich zum Rittmeister. Adelbert, ich habe in Ihrer Seele gelesen. Können Sie sich mit einem Herzen begnügen, in dem das Andenken dieses Edeln 158 (sie küßte Reinolds Bild) einen unzerstörbaren Altar hat, so biete ich es Ihnen mit meiner Hand an.

Adelbert war ausser sich. Er zitterte, er erblaßte; die süßeste Wonne der Ueberraschung hemmte seine Lebensgeister. Gott! konnte ich das hoffen? stammelte er endlich, indem er Ernestinens Hand, mit einer großen heißen Thräne benetzt, an seinen Mund drückte, mehr, weit mehr Seligkeit, als mein Herz fassen kann, liegt in dieser Hand. Die Baroninn taumelte an Ernestinens Busen; meine Tochter, liebste, beste Tochter! Und auch meine Tochter, rief der General, und schloß sie väterlich in seine Arme. Bei Gott! das ist zu viel auf einen Tag. Dieser Engel da nimmt mir zwanzig Jahre vom Nacken. Du wirst sehen mein Sohn, ich werde wenigstens achtzig Jahre alt, und daran ist sie Schuld. O liebes, liebes Kind! Wie glücklich werden Sie uns machen!

Der Kammerjunker war betroffen, er allein hatte sich der Gruppe nicht genähert. Endlich siegte sein besserer Genius; also doch wenigstens meine Schwester, sagte er zu Ernestinen, indem er ihre Wange küßte. Eine treue Schwester, antwortete sie, und eine redliche Freundinn, das hoffe ich Ihnen zu beweisen. Das haben Sie ihm bewiesen, sagte seine Mutter, indem sie ihr liebreich auf die Backen klopfte. Ey potz tausend, was fällt mir ein! rief der 159 General mit schalkhaftem Lächeln, wissen Sie denn auch, liebe Tochter, daß Ihr Bräutigam katholisch ist? Ernestine wies auf Adelberts Narbe; sein Glaubensbekenntniß steht hier und in Jakobs Hütte angeschrieben. Selbst im Evangelium steht nicht mehr, und mehr brauche ich nicht von seiner Religion zu wissen.

Der General. (ihr mit dem Finger drohend.) Ein Glück, daß der Großpapa im Paradies ist; sonst würde er die neue Enkelinn mit dem neuen Enkel in den Bann thun. Doch Spaß bei Seite, ich hielt es für Pflicht, meinen Mündel in der Religion seines Vaters zu erziehen. Freilich ist er ein Sohn und kein Knecht seiner Kirche.

Ernestine bemerkte, daß der Rittmeister seine Augen gerührt auf Reinolds Bildniß heftete: den sollen Sie näher kennen lernen, und auch die treffliche Freundinn, die ich von seiner Hand empfieng. Gott! sie weiß noch nichts . . . . .

Adelbert. O so lassen Sie mich selber der Bote meines Glückes seyn.

Die Baroninn. Bringe sie zu uns; sie darf alles wissen.

Wonnetrunken kam nach einigen Minuten Christiane an Adelberts Hand in das Zimmer getaumelt. Sie sah nur Ernestinen, der sie sich in die Arme warf. Lange hielten beide sich sprachlos 160 umklammert; ihre Freudenthränen vermengten sich wie die Pulse ihrer Herzen. Der General weidete sich am rührenden Anblick, er trat näher hinzu, und nun erst kam Christiane zu sich. Vergeben Sie meiner Entzückung, sagte sie zur Gesellschaft, ich sah nur sie. Der Greis küßte sie ehrerbietig auf die Stirne; die Baroninn und selbst ihr Sohn bewillkommten sie mit freundschaftlicher Vertraulichkeit.

Flüchtig, wie ein süßer Morgentraum, verstrich dieser heilige Abend. Er war nur der Vorbote der festlichen Tage, die auf ihn folgten. Adelbert und Ernestine sagten sich wenig; jedes las die Gefühle des andern in seinem eigenen Herzen. Dieses ist der Stolz, der höchste Genuß der edlern Liebe. Jeden Abend nach dem Spaziergange versammelte man sich bei der Baroninn und machte Plane auf die Zukunft, oder mahlte die bereits gemachten mit noch schönern Farben aus. Seeburg war selten dabei. Da Ernestine für ihn verloren war, so suchte er sich nun im Ernst um die Gunst des Fräuleins von Forstheim zu bewerben. Die empfangene Lehre hatte ihn bescheidener gemacht; Ernestine hatte ihm für ihr ganzes Geschlecht mehr Ehrfurcht eingeflöst, und er glaubte mit ihrer jungen Freundinn so sprechen zu müssen, wie er mit ihr selbst hätte sprechen sollen. Der Versuch gelang ihm, und er bemerkte bald, daß er den rechten Weg 161 eingeschlagen habe. Auguste hatte noch nie geliebt, und wenig Gelegenheiten gehabt, Vergleichung anzustellen. Der Kammerjunker, der sie zuvor nicht interessirt hatte, weil er sich wenig mit ihr abgab, fieng in seiner neuen Gestalt an, Eindruck auf sie zu machen, und Ernestinens freundschaftliches Benehmen gegen ihn schien ihr diesen Eindruck zu rechtfertigen. Er fand sie jeden Tag liebenswürdiger, und seine natürliche Ungeduld, von dem täglichen Anblick eines liebenden Paares angefeuert, ließ ihn keine vierzehn Tage warten, ohne dem Fräulein seine Wünsche zu eröffnen. Die überraschte Auguste verwies ihn an ihren Vater; allein schon diese Antwort und ihre reizende Verwirrung sagten ihm, daß er von ihrer Seite kein Hinderniß zu befürchten habe. Er eilte zu seiner Mutter und sie zu Ernestinen. Sie wollte ihrem Herzen nicht ganz trauen, und es ihrer Freundinn aufschliessen, um sich bei ihr Raths zu erholen.

Ungeachtet das Fräulein Ernestinen nichts neues sagte, so wußte sie sich doch nicht gleich zu fassen; Sie setzen mich, liebes Kind, in einen Fall, darinn ich mich noch nie befand. Meine Verlegenheit ist eben so groß, als meine dankbare Freude über Ihr Vertrauen.

Auguste. Ey! Sie brauchen mir ja nur zu sagen, was Sie an meiner Stelle thun würden.

162 Ernestine. Als Auguste würde ich vermuthlich anders handeln, als Ernestine an Augustens Stelle handeln würde.

Auguste. Wie so? Ich verstehe Sie nicht.

Ernestine. Des Herrn von Seeburg höherer Stand würde zwischen ihm und mir eine undurchdringliche Scheidewand ziehen. Das ist nun einmal meine Grille. Ich kann die Freundinn, aber nicht die Gattinn eines Edelmanns werden.

Auguste. Sonderbar. Können Sie des Barons Freundinn werden?

Ernestine. Warum nicht? zumal wenn er Augustens Gemahl wäre.

Auguste. Und wenn er bürgerlichen Standes wäre, könnten Sie alsdann seine Gattinn werden?

Ernestine. (etwas betroffen.) Als Bürger würde er das nicht seyn, was er jetzt ist; seine Erziehung, seine Verhältnisse würden einen mir jetzt unbekannten Mann aus ihm gemacht haben. Kurz ich weiß nicht, was ich alsdann thun würde.

Auguste. Was würden Sie denn thun, wenn Sie Auguste von Forstheim wären, und der Herr von Seeburg um Ihre Hand anhielte?

Ernestine. Ich würde mich befragen, ob sein Aeusseres, ob sein Verstand, sein Herz, sein Karakter meinen vernünftigen Wünschen entsprechen können? 163

Auguste. Und wie würde die Antwort ausfallen?

Ernestine. Ich denke zu seinem Vortheil. Bei seiner Gestalt würde ich mich am wenigsten aufhalten; bei allen ihren Vorzügen würde ich sie dennoch als eine Nebensache betrachten. Seinen Verstand und die Güte seines Herzens würde ich kein Recht haben, zu bezweifeln. Vielleicht würde mir sein Ton ein wenig zu entscheidend und sein Karakter etwas flüchtig vorkommen. Allein sein Ton gehört nicht ihm, sondern unserm Zeitalter und der Athmosphäre zu, darinn er lebt; und ich müßte mich sehr betrügen, wenn nicht sein Karakter, an der Seite eines vernünftigen guten Weibes und im Genusse häuslicher Freuden, mehr Stetigkeit erhalten sollte. Ueberhaupt, liebes Kind, muß unser Geschlecht bei der Wahl eines Gatten auf die Vollkommenheit Verzicht thun; ich rede nicht von der idealischen, die man nur in Romanen findet, nein, auch die Eigenschaften wirklicher, aber seltener Menschen dürfen wir nicht von einem Freier fordern, oder, wenn er sie nicht besitzt, ihn deswegen verwerfen.

Auguste. Und warum nicht?

Ernestine. Weil es in den Plan der Vorsehung zu gehören scheint, ungleichartige Wesen zusammen zu führen, um eines durch das andere zu 164 veredeln. Nicht immer begegnen sich die Seelen, die einander am nächsten verwandt sind, und wenn sie sich begegnen, so geschieht es oft, um sich wechselsweise zum Prüfstein ihrer Tugend zu dienen, und ihr die Opfer zu bringen, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse ihnen auflegen.

Auguste. Ich hätte Sie, liebe Freundinn, nicht für so anspruchslos gehalten.

Ernestine. Vielleicht bin ich es weit weniger, als Sie glauben. Denn ich zähle einen gesunden Verstand und ein unbeflecktes Herz unter die unbedingten Eigenschaften eines Freiers.

Auguste. Würden Sie sich wohl mit diesen Eigenschaften begnügen?

Ernestine. Ich glaube ja, wenn mein Herz für ihn spräche. Dann würde meine Vernunft alles, was er mehr besäße, aus der Hand der Vorsehung als eine Zulage zu meinem Loose mit Dank annehmen.

Auguste. (nach einem kurzen Stillschweigen.) Wohlan denn! Da Ernestine die Freundinn meines Liebhabers werden kann, so kann ich ohne Gefahr seine Gattinn werden. Ich rechne auf Ihren Rath, auf Ihre Lehren, und vornehmlich auf Ihr Beispiel; da ich wahrscheinlich das unschätzbare Glück haben werde, mit Ihnen in einer Stadt zu wohnen. 165

Ernestine. (sie zärtlich umarmend.) Sie werden Ihrer Freundinn doch auch bisweilen in ihr einsames Landhäuschen folgen? Dort, liebes Kind, und nicht in der Stadt, werden wir ganz unser seyn, und ungestört für die Freundschaft leben können.

Ernestine stattete der Baroninn von dem Wesentlichen dieser Unterredung Bericht ab. Diese begab sich gleich am folgenden Tage zum Herrn von Forstheim, und da sie ihm die Bestimmung der Mitgift völlig überließ, und das Fräulein alles dem Willen des gnädigen Papa heimstellte, so erreichte die Unterhandlung gar bald einen erwünschten Ausgang. Freilich rümpfte der alte Filz ein wenig die Stirne, als die Baroninn der Schulden erwähnte, die auf den seeburgschen Gütern hafteten. Da man ihm aber nicht zumuthete, sie zu bezahlen, so begnügte er sich, seinem künftigen Schwiegersohne, der immer noch eine vortheilhafte Partie war, die Regeln einer weisen Oeconomie einzuschärfen, und im Projecte, das er von den Ehepacten entwarf, sich die Freiheit vorzubehalten, von dem Heirathsgute seiner Tochter vor der Hand blos die Zinse zu vier Procenten zu bezahlen. Junge Leute, sagte er, können sich einstweilen mit den Eiern begnügen, wenn ihnen nur das Huhn gewiß ist. Die Baroninn und ihr Sohn giengen alles ein, weil Ernestinens edles Anerbieten die 166 Hauptschwierigkeit aus dem Wege geräumt hatte, und es wurde beschlossen, das Verlöbniß noch vor der Trennung der Gesellschaft in Forstheim zu feiern, die Hochzeit aber um einen Monat zu verschieben. Ernestine mußte ihrer jungen Freundinn versprechen, ihrem Verlöbnisse beizuwohnen, und der gnädige Herr verfügte sich in selbst eigener Person zween Tage vorher in seinem seidenen Galarocke mit der langen Troddelweste zu ihr, um sich diese Ehre auszubitten.

Forstheim lag nur drei Meilen von dem Bade, und in den zween Tagen, die Ernestine dort zubrachte, hatte sie Gelegenheit, Augusten von einer neuen Seite kennen zu lernen. Nichts übertraf die Ordnung und die ruhige Thätigkeit, womit das achtzehnjährige Mädchen die Haushaltung ihres Vaters führte. Ernestine beobachtete sie mit innigem Vergnügen, und konnte sich nicht enthalten, die Frau von Ellern auf dieses Verdienst ihrer künftigen Schwiegertochter aufmerksam zu machen. Ehe sie Forstheim verließ, vertraute sie dem Fräulein ihre bevorstehende Verbindung mit dem Rittmeister, doch ohne ihr die nahe Verwandtschaft zu eröffnen, welche dieses Band zwischen ihnen knüpfen würde. Dieses Geheimniß gehörte der Baroninn zu, und sie erlaubte sich nicht, es ihrer künftigen Schwester zu offenbaren. Auguste war 167 über diese Nachricht entzückt. Adelbert, den sie seit einiger Zeit öfters in Ernestinens Gesellschaft antraf, besaß ihre ganze Hochachtung, und sie hatte sich schon einigemal über Vergleichungen zwischen ihm und ihrem Bräutigam überrascht, die eben nicht zum Vortheil dieses letztern ausfielen. Doch der Mantel der Liebe deckte seine Fehler, und da Adelbert einige Jahre älter war, so glaubte sie dem Baron unrecht zu thun, wenn sie von ihm die Eigenschaften des reifen Mannes forderte.

Während Ernestinens Abwesenheit war der General mit den Anstalten zu seiner Abreise beschäftigt. Da sein Gut nahe an der Straße lag, die nach der Residenz führte, so sollten Ernestine und ihre Freundinn bei ihm einkehren, und einige Tage, wie er sagte, seine Soldatenkost versuchen. Dagegen versprach er ihnen, sie alsdann mit dem Rittmeister in die Hauptstadt zu begleiten, und bei Ernestinen sein Quartier zu nehmen. Er hatte ohnehin einige Geschäfte bei Hofe, und seit einigen Wochen mit dem Minister verschiedene Briefe gewechselt, von deren Inhalt er, wider seine Gewohnheit, dem Rittmeister nichts mittheilte.

Am Abend vor der Abreise war Adelbert eben bei Ernestinen, als Jacob und Lea sie besuchten. Sie kamen, um ihre Wohlthäter noch 168 einmal zu segnen. Lea nahm aus ihrem Körbchen zween Sträuße hervor, und gab sie Ernestinen und dem Rittmeister: es sind Blumen vom Grabe des Vaters; sie werden nur dem Scheine nach verblühen, und wenn Ihr freudensatt erwachet aus dem letzten Schlummer, so werdet Ihr sie wiederfinden in Euern Kronen. Tief gerührt versprachen sie dem guten Paar, es nie zu vergessen, und als Ernestine dem Weibe zum Abschied die Hand reichte, preßte sie gierig sie zwischen die ihrigen, und rief in einem extatischen Tone: trockne du noch viele Thränen ab, ehe der Herr dich zu sich zieht, um seinen Siegelring an deinen Finger zu stecken.

Indeß Adelberts Verlobte mit ihrer Gesellschaft nach dem Gute des Generals abreiste, schlug die Frau von Ellern den Weg nach Seeburg ein, um auf dem Schlosse alles zum Empfange ihrer neuen Schwiegertochter einzurichten. Adelbert und Ernestine sollten der Hochzeit als Freunde beiwohnen, zuvor aber die ihrige, während des Generals Anwesenheit in der Stadt, und zwar in aller Stille feiern; denn die Baroninn sah wohl ein, daß weder sie, noch ihr Sohn, dabei erscheinen konnten, ohne ein lästiges Aufsehen zu erregen, oder wohl gar das Geheimniß ihrer Verhältnisse mit dem Rittmeister in Gefahr zu setzen. Der graue Held empfieng seine Gäste mit väterlicher 169 Zärtlichkeit. Sein Landsitz glich einem wohlerhaltenen Ueberbleibsel des ehrwürdigen Alterthums. Seine Achtung für die Wohnung seiner Väter und sein eigener angeerbter Geschmack erlaubten ihm nicht, etwas daran zu modernisiren. Alles sah noch aus wie vor hundert Jahren, ohne das Gepräge des Verfalles zu tragen. Ueberall herrschte die größte Ordnung und Reinlichkeit, und die abgenutzten Geräthschaften wurden jederzeit durch ähnliche ersetzt, um die antike Harmonie nicht zu stören. Ernestine und ihre Freundinn waren über diesen Anblick entzückt, und der gute Greis freuete sich, daß sie, wie er sagte, in seinem altfränkischen Neste das Vergnügen der Neuheit fanden. Das Ganze stand unter der Aufsicht einer rüstigen Haushälterinn, welche die Tochter jener Verwalterinn, die Adelberts erste Erziehung besorgte, und die muntere Gespielinn seiner Kinderjahre war. Sie wußte sich vor Freuden nicht zu fassen, als er ihr seine Braut vorstellte, und als Ernestine sie liebreich umarmte, sagte sie schluchsend: o! warum hat meine gute Mutter diesen Tag nicht erlebt? Da hast du Recht, liebe Rose, rief der General; allein noch vor vier Wochen hoffte ich auch nicht, einen solchen Tag zu erleben. Aber gieb dich zufrieden; wenn ich hinüber komme, will ich deiner Mutter alles erzählen.

170 VierTage waren Ernestinen unter den seligsten Genüssen des Herzens verstrichen. Nun glaubte sie den General fragen zu dürfen, wann es ihm gelegen wäre, sie nach der Stadt zu begleiten. Ich erwarte, antwortete er, nur noch einige Briefe, welche morgen eintreffen müssen; dann wollen wir unsere Abreise festsetzen. Am folgenden Tage ward er vom Tische abgerufen; er kam erst nach einer halben Stunde zurück; seine Stirne war mit Schweiß bedeckt; ein geheimnißvolles Entzücken blickte aus seinen Augen. Die Gäste sahen sich an; aber niemand erlaubte sich, ihn um die Ursache dieser heftigen Gemüthsbewegung zu fragen. Gegen Abend sagte er zu Ernestinen: Sie dürfen nicht von hier abreisen, meine Tochter, ohne das Gütchen Ihres Bräutigams zu sehen. Der Abend ist kühl und angenehm; lassen Sie uns einen Spaziergang dahin machen. In einem Viertelstündchen erreichten sie den Hof, der einer niedlichen Meierei glich, die ein zwiefacher Zirkel von Akazien umringte. Der Greis führte sie im Hause herum, das mit allen Bequemlichkeiten versehen, und mit geschmackvoller Einfalt, aber ohne Pracht meublirt war. Sie fühlten jenes süße Wohlbehagen, das man im Frühling beim ersten Lächeln der Natur fühlet, und glaubten nun den Schlüssel zu des Generals Geheimniß gefunden zu haben, als dieser 171 zu Ihnen sagte: bald hätte ich das vornehmste Zimmer, den Speisesaal, vergessen. Kommen Sie, kommen Sie, wenn Rose klug war, so hat sie uns einige Erfrischungen darinn aufgetischt. Sie folgten ihm; er öffnete die Thür, und das erste, was sie erblickten, war – Christianens Vater. Mit einem lauten Freudenrufe stürzten die zwo Freundinnen ihm entgegen: ey, um Gottes willen, Sie hier! rief Ernestine, indem sie dem ehrwürdigen Geistlichen zärtlich die Hand drückte. Diese angenehme Ueberraschung haben wir Ihnen, bester, Vater, zu danken, sagte sie dann zum General. Er ist mein Briefträger, erwiederte dieser mit Lachen, und führte seinen Gast in des Rittmeisters Arme; sehen Sie, lieber Herr Pastor, dieses ist der brave, junge Mann, den Sie morgen mit Ihrer Ernestine trauen sollen. Mit flammendem Gesichte sahen Adelbert und Ernestine den General an. Ich scherze nicht, fuhr er fort, indem er einige Papiere aus der Tasche langte; hier sind Briefe und Siegel. Es war eine fürstliche Consistorial-Erlaubniß, welche die Verlobten von den Förmlichkeiten des Aufgebots dispensirte, und den Pfarrer bevollmächtigte, die Trauung außer seiner Gemeinde vorzunehmen. Sie sagten neulich, liebe Tochter, daß der Vater Ihrer Freundinn Sie einsegnen müsse. Da dachte ich, er kanns hier eben 172 so gut, und noch besser als in der Stadt thun, Sie wollen ja ihre Hochzeit in der Stille feiern. Eine reizende Bestürzung band Ernestinen die Zunge. Alles vereinigte sich, um ihre Einwilligung zu erhalten. Nach einigen Augenblicken ergriff sie ihren Geliebten bei der Hand, und zog ihn mit sich in des Generals Arme. So, meine Tochter, sprach dieser, indem er sie an sein Herz drückte, ich danke Ihnen, daß Sie meine Vaterfreude vollkommen machen wollen; doch ich sehe, Rose hat meine Gedanken errathen; setzt Euch, meine Lieben; bei Tische läßt sichs am besten schwatzen. Die Tafel war mit Blumen bestreut und mit Obst und andern Erfrischungen zierlich besetzt. Man aß wenig und sprach wenig; man hatte sich nichts mitzutheilen; die wonnetrunkene Seele konnte nur ihrer selbst geniesen. In allen Augen funkelte das Vergnügen, und der General weidete sich mit väterlichem Wohlgefallen an der himmlischen Scene.

Die Dämmerung war schon angebrochen, und die Strahlen des Vollmondes versilberten die Flur, als die Gesellschaft nach dem Schlosse zurückkehrte. Der General führte Ernestinen in sein Cabinet, und winkte dem Rittmeister, ihm zu folgen. Jetzt ist es Zeit, mein Sohn, sagte er zu ihm, daß ich meine Vormundschaft niederlege. Ich hätte es schon eher thun sollen; allein bisher brauchtest du 173 dein Capital nicht, und ich dachte, je länger ich es arbeiten lasse, desto höher wird es anschwellen. Er übergab ihm eine Verschreibung von zwei tausend Ducaten; und damit ihr, liebe Kinder, so fuhr er fort, euch um so eher bewegen lasset, mir jedes Jahr drei Monate zu schenken, so setze ich euch von heute an in den Besitz eures Gütchens. Ich liebe weder die Residenzen, noch die Nachbarschaft der Residenzen; nur hier werde ich mit euch mich meiner Verjüngung ungestört freuen können. Adelbert und Ernestine wollten Einwendungen machen; allein vergebens. Um den edeln Greis nicht zu kränken, mußten sie die Schenkungsacte annehmen.

Hierauf überreichte er Ernestinen eine mit Perlen gestickte Brieftasche, die er insgeheim durch Christianens Vater hatte bestellen lassen. Sie enthält das Brautgeschenk eines Soldaten; ich bin gewiß, daß Sie es nicht ausschlagen werden. Ernestine öffnete sie, und zog ein Hofdekret heraus, wodurch Adelbert, mit Beibehaltung seines vollen Gehalts, dem General, der Inspector der Cavallerie war, zum Adjutanten zugegeben, und aller übrigen Kriegsdienste überhoben wurde. Sie kommen, lieber Vater, meinem letzten Wunsche zuvor, rief Ernestine mit Freudenthränen: es wäre mir gleich schwer gefallen, von meinem Adelbert Monate lang getrennt zu seyn, oder mit ihm fern vom 174 eigenen Herde in einer Garnison zu leben. Noch aber hatte ich den Muth nicht, mit Ihnen davon zu sprechen. Das dachte ich wohl, erwiederte der Greis; nun begleitet er mich des Jahres einige Wochen lang auf die Revüen; ich hole ihn bei Ihnen ab, und bringe ihn wieder zurück. Dann folgt Ihr mir beide hieher. Der Edle verbarg ihnen, und Adelbert erfuhr es erst spät, daß er eine ihm zuerkannte Zulage ausschlug, um, ohne die Staatskasse zu beschweren, diesen Plan durchzusetzen.

Still und heiter, wie die Natur ihre Feste feiert, wurde der schönsten Liebe Krönungstag begangen. Der General führte Ernestinen zum Altar. Sie erschien in eben dem Anzuge, den sie an dem Tage trug, da sie ihren Geliebten zum erstenmal im Concert sah, und auch jetzt lag Reinolds Bildniß auf ihrem Herzen. Der wackere Pfarrer des Orts und der Gerichtsverwalter waren die einzigen Fremden, die der Feierlichkeit als Zeugen und dem Hochzeitmahl als Gäste beiwohnten. Es wurde weder gezecht, noch getanzt, noch gespielt, und dennoch blieb die Gesellschaft bis an den späten Abend beisammen. Am folgenden Tage gab der General den Jünglingen und Mädchen seines Dorfes ein Fest, daran auch die Alten Theil nahmen. Ernestine sah mit der Gesellschaft dem Tanze zu, der auf dem Schloßplatze um eine große Linde gehalten 175 ward, und weidete sich an den mannigfaltigen Zügen, womit die Freude sich auf die Physionomien prägte. Unter den jungen Dirnen bemerkte sie eine schmucke Brunette, auf deren Stirne eine traurige Wolke ruhte, und die am öffentlichen Vergnügen blos den Antheil des Wohlstandes zu nehmen schien. Bisweilen überraschte sie sich selbst über ihrer Schwermuth, und zwang sich, dem Brautpaar oder dem General einen heitern Blick zuzuwerfen. Ernestine beobachtete sie lange, und fragte endlich den Pfarrer, ob er nicht wisse, warum das artige Mädchen ein so betrübtes Gesicht mache? Das glaube ich zu errathen, antwortete er: der junge Pursche, der ihr nicht von der Seite weicht, ist ihr Freier, den sie nicht liebt: und dort von ferne steht ihr Geliebter, den sie nicht lieben soll. Dieser ist arm, darum will ihr Vormund nicht in die Heirath willigen; jener hat ein paar hundert Gulden, darum soll ihr Herz ihn vorziehen. Ich habe mich bisher ohne Erfolg des guten Kindes angenommen, allein ich hoffe, die Rückkunft des Herrn Generals werde der Sache eine andere Wendung geben.

Ernestine. Steht ihr Geliebter in einem guten Rufe?

Pfarrer. O ja; es ist ein wackerer, arbeitsamer Jüngling, an dem der Vormund selbst nichts als seine Armuth auszusetzen weiß. 176

Ernestine. In diesem Falle, lieber Herr Pfarrer, bitte ich Sie, noch einmal mit dem Manne zu sprechen, und ihm zu sagen, daß dem jungen Menschen ein Erbe von zwei hundert Gulden zugefallen sey, die ich Ihnen heute noch zustellen werde. Beharrt er auf seiner Weigerung, so ist es dann Zeit genug, den Herrn General zu Hülfe zu rufen.

Pfarrer. Ich brauche nicht weit zu gehen; dort sitzt er am Schenktische, und läßt sichs wohl schmecken.

Velten stutzte anfangs über die Nachricht von Christels Erbschaft. Allein er besann sich bald: vielleicht sagt er nur so, antwortete er, um Lieschen in ihrem Ungehorsam zu bestärken. Ihr könnt, erwiederte der Pfarrer, das arme Mädchen zwingen, seine Heirath mit Christel bis zu seiner Volljährigkeit zu verschieben: aber zwingen könnt ihr es nicht, einen andern zu heirathen, und wenn der gnädige Herr erführe, daß ihr Härte gebrauchet . . . . .

Velten. Gott behüte! Der gnädige Herr soll nichts erfahren; denn ich möchte gerne meine Pacht erneuern. Da könnten Sie, Herr Pastor, auch ein gutes Wort für mich sprechen.

Pfarrer. Ich kann und will es thun, ausser wenn . . . . . 177

Velten. Außer wenn! . . . . Was meinen Sie damit?

Pfarrer, wenn etwa der Herr General Christeln zum Pächter annehmen wollte. Ihr wißt, er verpachtet seine Felder gern an Arme, damit sie reich dabei werden.

Velten. O Christeln fürchte ich nicht; der wäre froh, wenn er mein Grosknecht werden könnte. Zweihundert Gulden können ihm wenig auf die Beine helfen.

Pfarrer. Ich kenne jemanden, der ihm nöthigenfalls noch zweihundert vorschießen, oder gar bei dem gnädigen Herrn Bürgschaft für ihn leisten würde.

Velten. Vertrakt! Wissen Sie was, Herr Pastor, ich will das Ding überlegen und Ihnen morgen Bescheid bringen.

Der Pfarrer stattete Ernestinen vom Fortgange seiner Unterhandlung Bericht ab. Freudig stellte sie ihm die zweihundert Gulden zu, und bat ihn, nur die Sache, wo möglich, am folgenden Tage in Richtigkeit zu bringen, weil der General mit ihnen in die Stadt reisen, und alsdann dem schlauen Velten weit weniger furchtbar seyn würde. Ernestine sprach mit Adelbert von der Sache, und dieser übernahm es, das junge Paar dem Schutze seines Pflegevaters zu empfehlen.

178 Schon mit dem frühen Morgen trat Velten, von Christeln begleitet, in des Pfarrers Stube. Christel hat Sie mit Lügen berichtet, Herr Pastor; ich wollte ihm gestern Abends ein bischen auf den Zahn fühlen, und wünschte ihm Glück zu seiner Erbschaft. Er wurde roth wie ein Truthahn, und versicherte mich, daß er von keiner Erbschaft wisse. Ists nicht wahr, he?

Christel. Nein, ich weiß von keiner, und habe auch nie gesagt, daß ich eine Erbschaft gethan habe.

Velten. (triumphierend.) Da hören Sie's.

Pfarrer. Und dennoch, Velten, habe ich euch die Wahrheit gesagt, Christel weiß noch nichts von der Sache; das Geld wurde mir gestern, als dem Pfarrer des Orts, zugeschickt, und liegt hier in meinem Pulte.

Christel. Ists möglich? lieber Gott! und von wem denn? vermuthlich vom alten Vetter in Amerika. Er hat schon lange nicht mehr geschrieben.

Pfarrer. (lächelnd.) Mag seyn. Allemal ist es ein Geschenk, womit die göttliche Vorsehung, dir, guter Christel beweisen wollte, daß sie dich nicht vergessen hat. Hoffentlich, Velten, werdet ihr euch nun seiner Heirath mit Lieschen nicht länger widersetzen?

Das wird er nicht, ertönte die ernste Stimme des Generals, der im Schlafpelz und mit einer 179 langen Pfeife im Munde hereintrat. Adelbert hatte ihn von allem unterrichtet, und nun kam er, um mit dem Pfarrer das Weitere zu verabreden. Velten stand wie ein Missethäter da, und hielt seinen Hut vor die Brust. Das wird er nicht, wiederholte der General, nicht wahr Velten? Christel war immer ein braver Junge, Lieschen ist ihm gut und ich auch. Die erste Stelle, die unter meinen Forstknechten aufgeht, soll er haben; es sey denn, daß ihr mich zwinget . . . ihr versteht mich schon.

Velten. Ach ja, gnädiger Herr, ich wußte ja nicht, daß Sie . . . .

Zitternd vor Freuden und Erstaunen trat nun Christel näher, und wollte dem General den Schlafrock küssen.

Der General. Laß die Possen seyn, mein Sohn, sey ferner brav, und bringe nach Tische dein Mädchen zu mir. Ihr, Velten, bringt euern Pachtbrief mit, ich will ihn euch auf drei Jahre verlängern. Adieu, Herr Pastor, ich empfehle Ihnen die jungen Leute. Wenn ich aus der Stadt zurückkomme, müssen sie ein Paar seyn. Rose wird für das Hochzeitmahl sorgen. Doch davon wollen wir bei Tische sprechen.

Der ist kein Jacob, sagte der General, als er der Gesellschaft mit froher Miene seine Unterredung 180 mit Velten erzählte; allein wenn alle meine Bauern unserm Jacob glichen, so würde ich mich der Sünde fürchten, ihr Herr zu heißen. Nach Tische erschien Velten, vom jungen Paare begleitet. Die Wolke auf Lieschens Stirne war verschwunden; eine sanfte Röthe färbte ihr gestern noch blasses Gesicht. Sie wollte dem General einige Worte des Dankes lallen; er unterbrach sie: nicht mir, sondern diesem Engel da hast du dein Glück zu danken. Es ist mir leid, daß ich nicht reden darf . . . . . Ernestine warf ihm einen flehenden Blick zu, und ließ sich mit dem Mädchen in ein freundliches Gespräch ein, indeß er dem Vormunde die Pachtverlängerung ausfertigte. So war der letzte Tag wie der erste; so war jeder der geheimen Eilboten einer, die dem Tugendhaften voran fliegen, um ihn am Gestade der Ewigkeit zu bewillkommnen.

Als am folgenden Morgen die Gesellschaft abreiste, erwartete sie am Ende des Dorfes eine zwiefache Reihe junger Mädchen in Feierkleidern, die Blumen auf ihren Weg streuten. Der General befahl langsam zu fahren. Lieschen war mit darunter. Sie nahm eine Blume aus ihrem Körbchen, ließ eine dankbare Thräne darauf fallen, und warf sie Ernestinen in den Schooß. Zu gleicher Zeit kamen die jungen Purschen, die sich in einer 181 Nebengasse verborgen hielten, hinter dem Wagen hergesprengt, und begleiteten ihn bis auf das nächste Dorf. Rose hatte insgeheim diese Scene veranstaltet, die ihre Würkung nicht verfehlte. Es war schon spät, als man die Hauptstadt erreichte. Himmlische Freude glänzte auf Ernestinens Gesicht, als sie ihren Gatten und ihren väterlichen Freund in ihre Wohnung einführte, wo Christianens Vater vor seiner Abreise alles zu ihrem Empfange angeordnet hatte. Ich fühle, sagte der General, indem er sie umarmte, daß ich hier daheim bin. Wäre das große Haus dort (er wies auf das gegenüberliegende fürstliche Schloß) nicht so nahe, so würden hundert Pferde mich nicht mehr fortbringen.

Des andern Tages begab er sich nach Hofe und stellte den Rittmeister dem Landesherrn vor, der ihn mit rührender Güte empfieng, und ihm zu seiner Verbindung Glück wünschte. Beide wurden bei der Tafel behalten und der General ward ein für allemal vom Fürsten eingeladen. Ihnen, sagte er zum Rittmeister, darf ich das nicht zumuthen; wenn man eine so liebenswürdige Gefährtinn zu Hause hat, so hat man an jedem andern Orte lange Weile. Das habe ich wohl gedacht, rief der gute Alte, als er des Abends zu Ernestinen zurückkam; hier sind wir nicht unser; machen Sie ja, liebe Tochter, 182 daß wir bald aufs Land fliehen, sonst geht es mir wie jenem armen Schelm, von dem mein Hofmeister mir erzählte, daß die herrlichsten Früchte ihm vor dem Munde schwebten, ohne daß er sie erschnappen konnte. Lieber wollte ich hundert Meilen von Ihnen entfernt seyn, als unter Ihrem Dache wohnen, und ganze Tage Ihres Umgangs entbehren. Morgen, nicht später als morgen, antwortete Ernestine, wollen wir mein Gartenhaus beziehen. Dieses geschah. Christiane allein begleitete die Glücklichen, und nur ihr Vater verstärkte von Zeit zu Zeit den traulichen Zirkel.

An einem lieblichen Morgen, den die Hymnen der Vögel begrüßten, ergriff Ernestine den General und ihren Gatten am Arme, und führte sie schweigend durch den Garten in das mit hohen Gebüschen verzäunte Heiligthum, das Reinolds Denkmahl verbarg. Beide waren überrascht, und standen lange schweigend vor dem sprechenden Monumente. Lassen Sie uns auf dieser Rasenbank ausruhen, sagte Ernestine: ich habe meinem Adelbert versprochen, daß er den hier auf der Urne näher kennen lernen soll, und auch Sie, guter Vater, müssen ihn näher kennen. Nun erzählte sie ihnen die Geschichte ihrer Jugend und ihrer ersten Ehe. Mit Flammenzügen schilderte sie Reinolds 183 Karakter, und die Scene seines Todes. Als sie fertig war, küßte Adelbert das Bild des Edeln, und der General rief mir einer heitern Thräne im Auge: auf den Mann freue ich mich, denn mein Herz sagt mir, daß wir zusammenkommen werden. Sehen Sie, liebes Kind, ich war mein Tage kein Raufer; allein wenn mir einer die Hoffnung des Wiedersehens in einer bessern Welt abstreiten wollte, so würde ich mich, Gott verzeih mirs, noch auf dem Todbette mit ihm herumschießen.

Der General verließ die reizende Siedelei nicht eher, als bis Ernestine Briefe erhielt, die sie und ihren Gatten zur Hochzeit des Kammerjunkers beriefen. Auch der gute Alte, von dessen neuen Wohlthaten sie ihrer Schwiegermutter Bericht ertheilt hatte, wurde dazu eingeladen. Viel Ehre, sagte er; allein ich gehe nun zu keiner Hochzeit mehr. Die Baroninn ist eine brave Frau; ihr Sohn, das hoff ich, wird ein braver Mann werden. Allein wenn ich hinkäme, würde ich eine sehr dumme Rolle spielen. Im Kriege kam ich wohl eher neben einem Schuft zu stehen, und mußte mirs gefallen lassen; aber aus freier Wahl möchte ich neben einem Forstheim keine Pfeife Taback rauchen. Nein, nein, wir reisen mit einander bis auf die nächste Station; dann rechts und links schwenkt euch, marsch! 184 Künftigen Frühling, liebe Kinder, sehn wir uns, wills Gott, wieder.

Der Tag der Trennung war der erste trüb Tag, der auf so viele heitere folgte. Adelbert, der seit seinem Eintritt in das Jünglingsalter nur selten und nie lange von seinem Wohlthäter getrennt war, fühlte die Schmerzen des Abschieds eben so lebhaft als Ernestine, die einige Minuten lang schweigend am Halse des Greises hieng, und dann sich in ihren Wagen stürzte. Den übrigen Theil der Reise erheiterten sie sich mit den Aussichten des Wiedersehens und mit Planen der thätigen Tugend. Nur als sie das Schloß Seeburg erblickten, bekam Ernestine ein wenig bange. Die stillen Wonnetage, die sie verlebt hatte, stachen zu sehr von dem brausenden Fest ab, das sie erwartete; allein die liebreiche Freude, womit die Baroninn und ihr Sohn, vornehmlich aber Auguste, sie empfiengen, zerstreute diese Wolke. Indem das holde Mädchen sie küßte, flüsterte sie ihr ins Ohr: willkommen, liebste Schwester! Dieser Gruß entzückte Ernestinen; er belehrte sie, daß ihr die Baroninn ihr Geheimniß anvertraut habe, und nahm alle Fesseln des Zwanges von ihrem Herzen. Weit vergnügter, als sie es gehofft hatten, verstrichen ihnen die Tage der Hochzeit. Die Gesellschaft war zahlreich, aber eben 185 deswegen konnten Adelbert und seine Gattinn sich um desto zwangloser die ihrige wählen. Ernestine erregte ein allgemeines Aufsehen; die Herren Cavalliere fanden sie bezaubernd; den jungen Damen entwischten zwar anfangs einige scheele Blicke, allein die anspruchslose Simplicität der schönen Bürgerinn, ihre zuvorkommende und doch bescheidene Freundlichkeit, hatten sie bald mit ihren Vorzügen ausgesöhnt; und es gab sogar ein paar gute Kinder von Fräulein, die sich an sie anschmiegten, und Augusten Glück wünschten, eine solche Freundinn zu haben.

Auf die Scenen des Geräusches folgten sanftere und reinere Freuden; zumal da selbst Herr von Forstheim nach einigen Tagen abreiste, um sein Krummet einzuthun. Angenehme Spaziergänge, unvorbereitete Concerte wechselten mit den traulichen Unterredungen, in denen Ernestine nach und nach die Verlegenheit ablegte, die sie anwandelte, wenn sie sich zufälligerweise mit dem Baron allein befand. Dieser liebte seine Gemahlinn zärtlich; aber für Ernestinen wuchs seine Verehrung mit jedem Tage. Ohne es zu wollen, erhielt sie eine Gewalt über ihn, die ein weniger edles Weib als Augusten beunruhigt haben würde. Sagte er eine Unbesonnenheit, so durfte sie nur lächeln, und er suchte sie herumzudrehen oder gestand sie ein. Ein flacher schillernder Karakter, der, 186 wie das Chamäleon, seine Farben von außen empfängt, kann durch den beständigen Umgang mit denselben Menschen nach und nach eine bleibende Tinte erhalten. So gieng es dem Kammerjunker. Er und Auguste brachten die meisten Abende des folgenden Winters in Adelberts und Ernestinens Gesellschaft zu, und als die Baroninn sie nach einigen Monaten besuchte, fand sie ihn so sehr zu seinem Vortheil geändert, daß sie diese Veränderung Ernestinen als die größte Wohlthat anrechnete die er von ihr empfangen hatte. Freilich blieb er immer ein etwas fremdartiges Glied des geweihten Zirkels; allein er entstellte ihn nicht, und selbst der General, als er im Frühling Adelberten abholte, bemerkte diese Verwandlung und lernte ihn schätzen.

Die Prophezeiung des trefflichen Greises ward erfüllt. Er lebte noch zwölf Jahre, glücklicher, als er nie gelebt hatte. Er sah die vier hoffnungsvollen Kinder seiner Lieblinge unter seinen Augen aufwachsen, und schob mit den beiden erstgebornen Kegel, wenn sie ihn mit ihren Eltern besuchten. Selbst sein letzter Wunsch ward ihm gewährt; er starb in Adelberts und Ernestinens Armen. Nach seinem Tode verließ Adelbert den Kriegsdienst, um ganz für seine Gattinn und seine Kinder zu leben. Jetzt erscheinen diese, von zehn blühenden Enkeln 187 begleitet, bei den patriarchalischen Festen, womit jede merkwürdige Epoche der Familie gefeiert wird. An einem solchen Feste sagte neulich Ernestine zu ihrem Gatten, indem sie seine Silberlocke anlächelte; wohl uns, mein Adelbert! unser Frühling war schön, aber noch schöner ist unser Winter. 188

 


 


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