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Dritter Aufzug

(Die Scene stellt den Dachbodenraum eines kleinen Hauses dar und ist so abgeteilt, daß man rechts ein kleines Mansardenzimmer sieht, von dem eine niedere Thüre auf einen Vorraum führt. Eine schmale, leiterartige Treppe mündet so auf den Vorraum, daß die Kommenden mühsam, wie aus einer Versenkung emporsteigen. Schiefe Wände. Links ein Dachfenster; Sparrenwerk, Kisten, Gerumpel und alter Hausrat liegen umher. Wäscheleinen sind kreuz und quer gespannt. Neben der Thüre steht ein Korb mit ausgewaschener Wäsche. In der Kammer an der Wand unter einer Dachlucke ein Bett und ein Kinderbett. Neben der Thüre eine Kommode, in der Mitte des Zimmers steht ein eiserner Ofen, der zugleich Herd ist und lange, weitgeführte Rohre hat. Nähmaschine, ein kleiner Tisch mit einigen Tellern und Tassen, ein Petroleumlämpchen, ein angeschnittener Laib Brot. Zu Füßen des Bettes ein kleiner Koffer. Das Bett ist ohne Überdecke, man sieht reinliche, farbig überzogene Kissen. Federbett. In der Mitte des Zimmers nahe beim Ofen sitzt Susanne abgemagert in einem alten ledernen Lehnstuhl, das Gesicht nach der Thüre gerichtet. Schwester Clara glättet das Bett und geht ordnend im Zimmer auf und nieder. Katharina steht am Herd. Eine Nachbarin mit einem Kind auf dem Arm, einem zweiten an den Rockfalten tritt ein. Martha spielt in der Zimmerecke).

Nachbarin (geschwätzig).

Sehn Sie, Frau Nachbarin, wie Sie sich gegen die Schwester Clara gewehrt haben, und jetzt sitzen Sie da wie eine Prinzessin und können viel besser schnaufen. Ich sag's ja immer, der liebe Gott ist gut. Man meint g'rad, er hätt' die alte Posingern nur zu sich genommen, damit Sie jetzt in ihrem Sessel sitzen können und die Kathrin Sie pflegen kann. Gel' ja?!

Schwester Clara

(drängt die Frau sanft zur Thüre hinaus).

Still, still, Frau Nachbarin. Frau Susanne muß jetzt absolute Ruhe haben und schlafen, sonst kommt der Anfall wieder.

Susanne (leise).

Ich danke Ihnen, Schwester Clara.

Schwester Clara.

Bleiben Sie nur ruhig, Frau Susanne. Heute Abend komme ich wieder und da sehen wir, ob Sie die Nacht besser im Bett oder im Lehnstuhl verbringen.

(Tritt hinter den Lehnstuhl und winkt Katharina, um ihr, ohne daß die Kranke es sieht, einige Eier und eine Flasche Milch aus ihrer Tasche zu geben. Susanne lehnt mit geschlossenen Augen erschöpft im Lehnstuhl. Schwester Clara schickt sich zum Fortgehen an.)

Katharina (im Flüsterton).

Schwester Clara, es steht wohl sehr schlimm um sie? (Die Schwester nickt beistimmend.) Ich wußte ja, daß sie die Haft nicht um viele Tage überleben kann. Drei Monate ohne Licht und Luft – und das Kind nicht sehen und die Schande und die Ungerechtigkeit. (Ballt die Faust.)

Schwester Clara.

Still, still. Von Ungerechtigkeit in Ihrem Sinne dürfen Sie nicht sprechen. Es ist ja erklärlich und menschlich wie Frau Susanne dazu kam im Sinne der bürgerlichen Ordnung ein Unrecht zu begehen. Aber Aufruhr predigen ist nun einmal ein Unrecht, das gestraft werden muß, damit nicht alles Gute in der Welt zerstört werde.

Katharina (lauter).

Ist die Schwachen unterdrücken und ausnutzen kein Unrecht?

Schwester Clara.

Still, still, um Gotteswillen. Kein Wort mehr, das die Kranke aufregen könnte.

Katharina

(mit gedämpfter Stimme).

Schwester, sagen Sie mir's aufrichtig, ich kann ertragen, was ich muß, wie lange kann's noch dauern?

Schwester Clara.

Vielleicht Tage, – vielleicht nur noch Stunden. Abends komme ich wieder.

Katharina.

Darf ich es wagen, jetzt meine Arbeit abzuliefern? Wir brauchen Geld und ich mag heute nicht später ausgehen. Es läuft mir abends schon ein paarmal so ein Modeaffe nach, und ich bin heute noch weniger als sonst aufgelegt, sein dummes Gerede anzuhören.

Schwester Clara.

Die Kranke wird vermutlich in der nächsten Stunde nichts brauchen. Sie schläft vor Mattigkeit. Adieu.

(Man sieht sie den Vorraum überschreiten und vorsichtig die Treppe hinabgehen.)

Katharina

(schlingt ein Tuch um den Kopf und nimmt ein großes Paket in den Arm.)

Martha, ich geh' abliefern. Pass' auf, wenn die Mutter etwas braucht.

(Geht leise zur Thüre hinaus, sieht den Korb Wäsche stehen.) Jetzt hat Schwester Clara auch noch gewaschen! (Legt das Paket weg und hängt die Wäsche so zum Trocknen auf, daß sie einen kleinen Winkel am Fenster unsichtbar abschließt.)

Susanne (ruft im Zimmer leise).

Martha. (Das Kind kommt zur Mutter.) Wirst Du immer brav sein, Martha, auch wenn die Mutter nicht da ist?

Martha.

Ich leids nicht, daß Dich der Schutzmann wieder mitnimmt.

(Schmiegt sich an die Mutter.)

Susanne.

Du bist schon ein ganz vernünftiges Kind, Martha, versprich mir, daß Du niemals Unrecht thust – aber auch niemals Unrecht leidest.

Martha.

Ich will immer brav sein, Mutter.

Susanne lehnt sich zurück, das Kind bleibt zu ihren Füßen sitzen.

Während Katharina noch mit der Wäsche beschäftigt ist, erscheint Weidmann stolpernd in einem dunklen Wettermantel auf der Treppe.

Katharina

(erschrickt leicht, verliert aber ihre Ruhe nicht).

Ei was führt Sie denn hierher?

Weidmann.

Es ist verteufelt schwer, zu Ihnen zu gelangen, Katharinchen. Na, ich hoffe, Sie anerkennen das und begrüßen mich so wie...

Katharina.

Von mir aus hätten Sie unten bleiben können. Ich kann mir auch gar nicht denken, was Sie hier wollen. Da drin liegt eine schwerkranke Frau und ich habe keine Zeit für Sie. (Nimmt das Paket auf und will die Treppe hinuntergehen.)

Weidmann

(vertritt ihr mit zudringlicher Gebärde den Weg).

Nein, Katharinchen! So haben wir nicht gewettet. Nun ich thatsächlich mit Lebensgefahr hier heraufgeklettert bin, will ich auch meinen wohlverdienten Lohn.

Katharina.

Wenn Sie nicht gleich loslassen, kriegen Sie auch, was Ihnen gehört.

Weidmann (sie loslassend).

Warum so borstig, Katrinchen? Kann ichs vielleicht mit Deinem rußigen Schatz nicht aufnehmen?

Katharina.

Ich hab' keinen Schatz und ich will auch keinen.

Weidmann.

Ich bin auch nicht mit leeren Händen gekommen. (Greift in die Tasche.) Hier, ein goldenes Herzchen für mein goldenes Herzchen.

Katharina.

Dummes Geschwätz! Lassen Sie mich gehen.

Weidmann (ungeduldig zudringlich).

So hören Sie doch nur, Katharina. Ich kam hierher, den weiten Weg, die Hühnertreppe, nur um Sie persönlich für heute Abend einzuladen. Kann ich Ihnen besser beweisen, wie lieb ich Sie habe, als durch solche – solche thatsächlich – Opfer.

( Katharina sieht Weidmann höhnisch lachend an.)

Weidmann.

Heute Abend kommst Du zu mir auf mein Junggesellenstübchen, das kennt niemand, und da sitzen wir beisammen und plaudern, und Du kochst mir Thee, wie eine feine Dame, und da sitzen wir beisammen und plaudern – und (man hört auf der Treppe sprechen) mir scheint, es kommt jemand!

Katharina (gleichgiltig).

Kann schon sein. Ich wüßte zwar nicht wer.

Scholl (von unten).

Auf dieser Treppe kann uns Deine humane Anwandlung teuer zu stehen kommen.

Alice

(erscheint, langsam sich in die Höhe tastend).

Ich gehe voraus, Martin, damit die Frau über den Besuch nicht erschrickt. Mich hat sie ja schon gesehen.

Weidmann

(erschrickt, da er Alice sieht).

Martins Frau! (Er versteckt sich schnell hinter der Wäsche im Fensterwinkel.)

Katharina bleibt stehen. Alice sieht sie nicht. Scholl taucht auch auf mit einer brennenden Cigarre in der Hand.

Alice.

Martin, Du wirst doch im Zimmer einer Schwerkranken nicht rauchen wollen.

Scholl.

Es ist zwar ein feines Kraut mit Leibbinde, das ich mir extra zum Übertäuben angezündet habe, aber da Du es wünschest, Lieschen, will ich einen Platz suchen, wo ich es deponieren kann, ohne daß die Baracke Feuer fängt.

( Alice tritt leise in das Zimmer. Da die Kranke mit geschlossenen Augen dasitzt, bleibt sie an der Thüre stehen. Martha legt mit altkluger Gebärde den Finger an den Mund.) ( Scholl sieht sich nach einem Platz um, um die Cigarre abzulegen, bemerkt Katharina.)

Katharina.

Legen Sie die Cigarre nur in die Dachrinne vors Fenster, da kann nichts passieren. (Sie deutet nach der Ecke, in der Weidmann mit aufgeschlagenem Mantelkragen steckt.)

Scholl

(tritt hinter die Wäsche).

Alex, Du hier?

Weidmann.

Ich könnte Dich im selben Tone fragen (vorwurfsvoll) und noch dazu mit Deiner Frau in so einem Hause!

Katharina.

An dem Haus und seinen Leuten ist nichts uneben, als was sie hereinbringen.

Scholl.

Das ist wohl Deine berühmte Katharina, scheint aber noch ganz ungezähmt.

Weidmann (überstürzt sprechend).

Meine Katharina? Ja, das heißt nein. Ich bitte Dich nur um eines, Martin, sage Deiner Frau nicht, daß ich hier war! Meine Ehre könnte in ihren Augen leiden, und Du weißt, wie viel mir an ihrem Urteil liegt. Ein andermal erzähle ich Dir wieso ich hierher kam. Jetzt muß ich aber ins Geschäft, habe meinem Vater das Ehrenwort gegeben. – (Tastet sich möglichst rasch die Treppe hinunter.)

Katharina (ruft ihm nach).

Feiger Schuft! –

Scholl.

Hier wohnt doch die arme Frau, die die Unterstützung des Hilfsvereins zurückwies?

Katharina.

Ja.

Scholl.

Haben Sie für sie an den Verein geschrieben?

Katharina.

Nein.

( Scholl tritt nicht geräuschlos in das Zimmer, Katharina folgt ihm auf dem Fuße.)

Susanne

(aus dem Schlummer auffahrend, starrt Scholl einen Augenblick an.) Martin, Martin, kommst Du endlich – Deinem Kinde sein Recht zu bringen! (Sinkt leblos zurück.)

Alice.

Martin, um Gotteswillen, kennst Du diese Frau – das Kind??!

Scholl (verwirrt).

Ich – ich kenne sie – ich kannte sie einst. Alice geh', geh', erwarte mich unten – ich komme gleich – ich will nur...

Alice

(beugt sich über die Sterbende).

Frau Helfrich, hören Sie mich! Ich wußte nichts von dem Entsetzlichen, das Sie erlitten haben. Aber glauben Sie mir, ich schwöre es Ihnen bei dem Leben meines Kindes, daß ich Ihr Kind zu mir nehmen will...

Katharina

(tritt entschieden heran).

Nein, das werden Sie nicht. Der Susanne Helfrich ihr Kind ist mein Erbteil, ich werde es erziehen zur Feindin seiner Feinde. (Wirft sich mit dem Kinde Susannen zu Füßen.) Susanne, arme Susanne! ( Alice sieht regungslos und blickt starr vor sich hin.)

Scholl

(in einem Gemisch von Scham und Zorn, will sie am Arm fassen).

Laß uns gehen, Alice. Ich will sehen, was ich thun kann. Später – morgen –

Alice

(schüttelt seine Berührung ab).

Ich soll mit Dir gehen, Martin. Und Du meinst, nach allem, was ich jetzt erfahren habe, kann zwischen uns alles bleiben, wie es war? Nein. Ich gehe mit Dir, aber nur so weit die Pflicht als Mutter unseres Kindes es gebietet, und um meine Tochter vor meinem Schicksal zu bewahren. Dein Weib bin ich nicht mehr – das ist mein Frauenrecht. (Sie weist Scholl gebieterisch zurück und geht allein zur Thüre.)

(Der Vorhang fällt.)


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