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Zum Epilog: ein paar Worte des Herausgebers

Jede Arbeit, die ein anderer ebensogut machen kann, wie ich selbst, überlasse ich gerne dem anderen. Dennoch: das einleitende Essay über Oskar Panizza hätte ich gern selbst geschrieben. Und ich werde es noch auch einmal tun, wenn es – hoffentlich bald – mir gelingen wird, die »Gesammelten Werke« des unglückseligen Dichters herauszugeben.

Immerhin: in diesem Falle schien es mir nötig, zurückzustehen; ist doch das Dokument eines, der mit dem Dichter in naher persönlicher Verbindung war, im letzten Grunde immer wichtiger als die Meinungen und Anschauungen eines Dritten. Hannes Ruch (Professor H. R. Weinhöppel), der ausgezeichnete Komponist, der durch zwanzig gute Jahre mit allen führenden Geistern Münchens in engster Fühlung stand, schien mir besonders geeignet, die Persönlichkeit Panizzas dem Leser näher zu bringen; so ließ ich ihm das Wort.

Es ist meine Pflicht, an dieser Stelle meinen Dank denen auszusprechen, die mir die Herausgabe dieses Buches ermöglichten: der betagten Mutter des Dichters und seinen Vormündern. Es ist sehr wohl verständlich und menschlich nur zu begreiflich, daß ihnen die Erlaubnis, die sie mir gaben, hart genug ankam, brachte doch, wie kaum einem anderen deutschen Dichter, Oskar Panizza seine Kunst statt Ruhm und Reichtum nur – Elend, Krankheit, Gefängnis und eine Sintflut gemeiner Beschimpfungen. Paul Verlaine hätte in seine » Poètes maudits« Panizza mit mehr Recht einreihen können wie einen der anderen: kein Dichter seinerzeit trug das »Kainsmal des Verfluchten« so flammend auf der Stirn wie er! – Um so anerkennenswerter ist es, wenn die Familie auf meine immer erneuten Bitten und Vorstellungen hin sich nach langem Schwanken doch endlich entschloß, die Herausgabe zu gestatten und mir so die Möglichkeit zu geben, Oskar Panizza der Vergessenheit zu entreißen. Und, wie ich glaube, mir die Herausgabe des Gesamtwerkes des Grafen Villiers de I'Isle-Adam – an die kein französischer Verleger sich bisher wagte – zu einigem Verdienste anrechnen zu dürfen, so glaube ich das in noch höherem Maße bei dem Dichter des genialen »Liebeskonzil« – der ein Deutscher ist.

Tiefer und gründlicher noch als Oskar Wilde versuchte die Mitwelt Panizza zu »ignorieren«. Der englische Oskar stand vor seinem Sturze auf glänzender Höhe, war der Mittelpunkt des geistigen Lebens Londons, war überall in der ganzen gebildeten Welt bekannt – so erregte sein Prozeß das Interesse der Welt. Oskar Panizza war unbekannt, als er vor die bayerischen Geschworenen trat, dazu galt der Prozeß nicht dem Menschen, sondern dem Dichter: eben sein »Liebeskonzil« war Gegenstand der Anklage. So kam es, daß dieser skandalöse Prozeß, der dem Dichter wegen »Vergehens wider die Religion« ein Jahr Gefängnis und sofortige Verhaftung eintrug, im Ausland überhaupt keinen, in Deutschland nur einen geringen Widerhall fand. Ein paar protestierende Aufsätze liberaler Blätter, viele unflätige Beschimpfungen der klerikalen Presse – – das war alles! Und das merkwürdige dabei: das corpus delictum, das »Liebeskonzil«, war den meisten der Artikelschreiber auf der einen wie auf der anderen Seite völlig unbekannt: sie urteilten nur »aus dem Prinzip heraus«.

Beschlagnahme des Buches, Verhaftung des Autors, dann Exil, dann Krankheit, endlich Irrenhaus – – ist es da ein Wunder, daß Panizzas Lebenswerk der Vergessenheit anheimfiel? Der Name des noch Lebenden ist der Allgemeinheit verloren, und nur die Antiquare freuen sich über die absonderlich hohen Preise, die einige wenige Kenner für die schwer zu beschaffenden Bücher des Dichters bezahlen. Seine Freunde wollten oder konnten nichts tun, und die nachwachsende Generation kannte ihn nicht mehr.

Bild: Paul Haase

Daß aber seine »Geschichten« – es sind zwei Bände: » Visionen« und » Dämmerungsstücke«, beide vor » Liebeskonzil« geschrieben – bei ihrem Erscheinen so gar keinen Erfolg hatten, hat wohl zwei Gründe. Einmal ging Panizza so völlig seine eigenen Wege, daß er bei der »Schule«, mit der er befreundet war, kaum Anerkennung finden konnte. Er stand durchaus für sich allein und die Mit-ihm-Kämpfenden mußten ihn letzten Grundes ablehnen, mochten sie auch persönlich noch so eng mit ihm befreundet sein. Einmal trat – in einem Aufsatze der Gesellschaft – der liebenswürdige O. J. Bierbaum für ihn ein. Er gibt sich da alle große Mühe, dem Freunde gerecht zu werden – – und es ist geradezu erstaunlich, zu sehen, wie völlig ihm das mißlingt! Nicht in einem kleinen Punkte vermag er das Geniale in der Art Panizzas zu entdecken, geschweige denn, es zu verstehen und zu würdigen.

Dann aber ist da noch ein anderes Moment – ein recht peinliches! Es nutzt nichts darum herum zu reden – und Oskar Panizza erscheint mir groß genug, selbst seine schlimmsten Mängel schonungslos zu zeigen. Also: seit Luther hat nie ein deutscher Dichter seine Sprache so mißhandelt, wie Panizza! Seine Sprachbehandlung ist so jämmerlich, so niederschmetternd schlecht, daß man oft seinen eigenen Augen nicht traut! Hier – und nur hier – ist er »Anhänger der Schule«, ist er der alte Naturalist! Er schreibt, wie er spricht – – und er spricht abscheulich! Salopper wie Panizza hat nie ein anderer gearbeitet, dazu hat er nie Korrektur gelesen, hat alles so stehen lassen, wie es die Feder schrieb. Nimmt man hinzu, daß der Setzer noch das Seinige an häßlichen Entstellungen hinzutat, so mag man sich einen Begriff von dem Tohuwabohu machen, das da manchmal entstand. Sätze von drei Seiten sind nichts Ungewöhnliches, dazu wechselt Objekt und Subjekt wie Kraut und Rüben. Die abenteuerlichsten Fremdwörter übersteigen sich und sie sind zum Überfluß noch häufig falsch geschrieben. Die Interpunktion ist oft ganz sinnwidrig, die Tempora sind stets falsch angewandt, die Grammatik ist in der schlimmsten Weise mißhandelt. Für einen Freudianer mögen diese Panizza-Ausgaben eine Fundgrube sein: es ist gewiß leicht, an Einzelheiten festzustellen, wie schon hier zeitweise irgend etwas im Gehirn aussetzte. So will Panizza für »nachdenken« – »sinnieren« sagen; er schreibt aber nicht »sinnieren«, sondern »simulieren« und bildet dann den Satz: »Er simulierte Tag und Nacht nach!« – und das ist kein Druckfehler, es kommt öfter so vor! Oder er schreibt: »Ein gelbkittener Mann« und es bedarf schon einiger Überlegung, um herauszufinden, daß er einen »quittengelben Mann« meint.

Ich darf wohl sagen, daß einige Liebe zu dem Dichter dazu gehörte, hier zu reinigen. Seite für Seite, ja Zeile für Zeile mußte durchgefeilt werden, um wenigstens die gröbsten Schnitzer herauszubringen. Dennoch habe ich an keiner kleinsten Stelle irgendwie »verbessert«, meine Änderungen sind stets nur solche, die jeder gute Setzer – wenn es einen gäbe! – von sich aus machen mußte; sie sind also alle rein äußerlich. Und es scheint mir, daß jetzt erst der eigentliche »Stil« Panizzas in seiner oft lapidaren Wucht, seiner breiten holzschnittartigen Kraft voll herausgekommen ist.

Merkwürdig, daß der andere deutsche Schriftsteller, der Panizzas Zeitgenosse war und der in seinem Vaterlande – genau so wenig vergessen zu werden brauchte, weil er eben nie bekannt war, daß Robert Reitzel in diesem Punkte ein so völliger Antipode von Panizza war. Reitzel, der »arme Teufel«, der in Detroit lebte und Anarchist war (man bekreuze sich!), der in Deutschland aus dem Zuchthause nicht herausgekommen wäre, von allen Amerikadeutschen aber vergöttert wurde – war »nur« ein Journalist – – Panizza war ein Dichter. Und der Dichter Panizza mißhandelte seine Sprache, während der Journalist Reitzel – übrigens einer der wenigen, die ihn verstanden – mit hohem Stolz von sich sagen konnte: »Ich habe der deutschen Sprache in fremdem Lande einen goldenen Tempel errichtet.« – Nur: er konnte froh sein, daß dieser »goldene Tempel« – sein Blatt: »Der arme Teufel« – in Amerika stand: bei uns in Deutschland wäre es ihm von Grund aus zerstört worden! Wir haben das Mittelalter trotz aller Zeppeline und Flugmaschinen noch lange nicht überwunden! Bei uns konnte noch 1895 – und kann es heute noch – ein genialer Dichter wegen »Vergehens wider die Religion, verübt durch die Presse« zu einem Jahre Gefängnis verurteilt werden – und muß noch froh sein über die »Milde« dieses Urteils! Die Herren Geschworenen selbst hätten ihn sehr gern schärfer mitgenommen, erklärte doch einer dieser ehrenwerten Männer während der Münchener Verhandlung: »wenn der Hund in Niederbayern verhandelt würde – der käm' nicht lebendig vom Platz!«

Freilich schrieb zur selben Zeit Detlev von Liliencron an den Dichter: »Kolossal! Nochmals: Geradezu kolossal!« Liliencron, der anerkannteste Dichter seiner Tage, der aber nebenbei preußischer Hauptmann war und sicher ein guter Deutscher und braver Staatsbürger. Ein Mann von uraltem Adel und von streng konservativer Gesinnung: das Gegenteil von einem Umstürzler! Der fand dasselbe Werk »geradezu kolossal«, für das sein niederbayerischer Richter den armen Autor wie einen Hund totzuschlagen wünschte! – Gibt es einen grimmigeren Witz in der deutschen Literaturgeschichte?

Montevideo (Uruguay), Mai 1914
Hanns Heinz Ewers


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