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Drittes Kapitel.
Die Crême der Societät.

Wenn es in der Stadt Hannover selbst möglich war, daß der alte Adel eine Kaste für sich bildete, die sich streng abgesondert hielt, selbst vom zweiten Range, der aus dem neuen Adel und der obern bürgerlichen Dienerschaft, die mit dem Titel: Hof- oder Kanzleirath, und Geheimer Secretär und dergleichen versehen war, so war das in der Provinz nicht durchzuführen. Einen gewöhnlichen Landjunker, selbst wenn er Landrath war, und nicht etwa außerdem gute Verbindungen bei Hofe hatte, rechnete man eigentlich nicht einmal zum ersten Range. Der Oberhauptmann von Schlump gehörte freilich zum alten Adel, in Beziehung auf seine Frau aber war ein Makel vorhanden; die Mutter derselben war eine Bürgerliche gewesen. Allein er konnte doch nicht für sich eine Gesellschaft bilden, und selbst mit den beiden Burgmännern sich nicht wohl von seinem Collegen und der übrigen Gesellschaft in Heustedt absondern. Man hatte angefangen, einen Herrenclub zu bilden, zu dem man alle kurfürstlichen Diener, den Bürgermeister, den Leibmedicus, selbst die Advocaten und einige Kaufleute heranzog. Dieser Herrenclub bestand aber nur im Winter, man kam im Saale des Rathskellers zusammen, um dort Karten zu spielen, und alle 14 Tage mindestens ein gutes Souper einzunehmen. Der Herrenclub veranstaltete dann auch im Sommer Pickenicks, im Winter Bälle und Tanzkränzchen.

Was die Damen anlangt, so waren die drei von Adel selbstverständlich die Spitzen der Gesellschaft, die, da es keiner gelungen war, sich die ausschließliche Führerschaft anzumaßen, eine Trias bildeten, aber eine durchaus feindselige.

Die Oberhauptmännin von Schlump glaubte, daß ihr der äußern Stellung nach das Principal gebühre, ihr Mann bekleidete die höchste Charge in Heustedt, sie hätte die Mutter der Landräthin und Baronin sein können, denn ihre unverheirathete Tochter Adele war schon sechsundzwanzig Jahre alt. Allein ihre Mutter war bürgerlicher Abkunft, ein Umstand, der merkwürdigerweise von den Bürgerlichen selbst zuerst und am meisten hervorgesucht und in das gehörige Licht gestellt war. Sie hatte aber ihren Anhang, alle Frauen und Töchter der Beamten hielten zu ihr, bildeten ihre Clienten, vertraten, wenn sie abwesend war, ihr Principat.

Die Landräthin von Vogelsang, eine fünfundzwanzigjährige üppige Gestalt, war ebenso wenig herrschsüchtig wie ihr Mann, es wäre ihr nie eingefallen, mit der Oberhauptmännin oder der Baronin von Bardenfleth um die Führerschaft der Gesellschaft zu streiten, aber auch um sie hatte sich beinahe wider ihren Willen eine besondere Clientel gebildet, und diese war es, die beständig darauf drang, daß sich die Landräthin geltend machte, und die dies für sie that, ja häufig vielmehr Prätensionen machte, als es die Landräthin für gut fand.

Die Baronin von Bardenfleth, erst zweiundzwanzig Jahre alt, sehr hübsch, klug und gewandt, Intriguantin, wollte als Erste glänzen, es sollte alles nach ihrem Kopfe gehen, sie wollte bestimmen, ob und wann Pickenick oder Ball sein solle, sie wollte auf dem Balle und in der Gesellschaft am schönsten angezogen sein, sie verlangte, daß ihr Geist von allen anerkannt und bewundert werde. Sie hatte namentlich einen förmlichen Haß auf die Landräthin geworfen, weil deren Mann dem ihrigen jüngst bei der Landrathswahl vorgezogen war, weil dieselbe reicher war als sie, einen alten Familienschmuck von Diamanten besaß, Kleider von Atlas und Mantillen von flandrischen Spitzen haben konnte, soviel sie nur wünschte, während es ein großes Kunststück war, ihrem Manne ein solches Kleid und eine Mantille abzulocken, vor allem aber, weil ihr Mann sich nicht schämte, wie sie unter vier Augen sagte: dem dummen dicken Weibe, der Landräthin, die Cour zu machen. Auch sie hatte ihren Anhang, namentlich unter der Jugend und bei den unverheiratheten Männern, mit denen sie die zu veranstaltenden Festlichkeiten gern vorher besprach.

Jede dieser Damen hatte nicht nur ihren besondern Anhang in Heustedt, sondern unter diesem eine besondere Leibadvocatin, welche die Streitigkeiten der Patronin mit ihren Kolleginnen ausfocht, hübsche kleine Geschichtchen, die diesen zum Nachtheil gereichen konnten, ersann oder mindestens unter die Leute brachte, den Ruhm ihrer Patronin predigte und sie gegen alle Angriffe und Klatschereien vertheidigte. Daß sich diese drei Advocatinnen gegenseitig noch mehr haßten, als ihre Patroninnen das thaten, war selbstverständlich.

Nun hatte der Himmel oder der Zufall aber vor drei Jahren die Besitzerin des neuen Schlosses nach Heustedt geführt, und seit der Zeit war diese, wenn sie gegenwärtig, die absolute Herrscherin im Orte, ohne deren Willen nichts geschah.

Die Gräfin stammte von mütterlicher Seite aus dem Geschlechte der Meisenburg, sie war Urenkelin der sogenannten bösen Gräfin Platen, der das Gerücht die Ermordung des Grafen von Königsmark schuld gab. Es hatte dieses Geschlecht in drei Generationen sich Ernst August, seinem Sohne wie seinem Enkel in Liebe zugeneigt, und die Gräfin selbst war fest davon überzeugt, daß königliches Blut in ihren Adern, wenigstens von der Mutter her, flösse, obgleich Horace Walpole, der scharfe Beobachter, in seinen Memoiren dies sehr bezweifelte.

Georg II. hatte aber ihre Mutter an seinen hannoverischen Premierminister Grafen von Alvensleben verheirathet und die Mutter als Staatsdame der Prinzessin von Wales beigegeben, nachdem der Prinz selbst 1751 gestorben war.

Melusine, das einzige Kind dieser Ehe, war in Carltonhouse erzogen worden und die Gespielin und Freundin der Prinzessin Mathilde gewesen. Sie hatte hier nicht an ihrer Mutter, die eine ziemlich untergeordnete Rolle spielte, wohl aber an der herrschsüchtigen Prinzessin Auguste ein Vorbild, das nur zu sehr sich ihr einprägte. Als sie siebzehn Jahre alt war, starb die Mutter, und der Vater gab die Tochter, um die er sich bis dahin wenig bekümmert und die er kaum zu lieben schien, unter den Schutz der spätern Herzogin von Kingston, damals noch Miß Elisabeth Chudleigh, einer großen Koketten. Die junge Dame wurde 1767 bei Hofe vorgestellt und ließ nichts unversucht, die Aufmerksamkeit Georg's III. auf sich zu lenken. Dies gelang ihr weniger, aber sie zog die Aufmerksamkeit der Prinzessin von Wales, der königlichen Mutter, auf sich, welche ihrem Lord Bute sagte: »Der hessische Aff muß in Hannover verheirathet werden.« Lord Bute war aber nicht mehr Minister, er konnte nur indirect auf Lord Chatham wirken, der auf das hannoverische Meiergut des Königs mit Verachtung hinsah.

Erst Ende 1768 war Georg zu bewegen, einen jüngern Collegen an die Stelle des Grafen von Alvensleben zu berufen, diesem selbst seinen Dienst in Hannover anzuweisen. Melusine war eine schöne und reiche Erbin, einer der Collegen ihres Vaters, der Oberstallmeister Graf von Wildhausen, Geheimrath, im Besitz zwar von großen, aber verschuldeten Gütern, wurde zu ihrem Gemahl ausersehen.

Im Sommer 1769 nahm sie von den väterlichen Gütern in Heustedt Besitz, die ihr bis dahin unbekannt waren. Sie trat auf als Königin, und alle sanken zu ihren Füßen nieder als Sklaven. Sie hätte kaum zu befehlen gebraucht, aber sie befahl, wo die kleinste Bitte, die leiseste Andeutung genügt hätte, ihre Wünsche zu erfüllen. Sie befahl kraft der Herrschaft, die sie über ihren Vater, den Geheimrath hatte. Der Oberhauptmann wie der Freiherr von Vogelsang und der Baron von Bardenfleth wurden von ihr wie Hofdienerschaft von einer Königin behandelt, von ihr, der damals noch nicht Zwanzigjährigen.

Aber die Excellenz Geheimrath starb plötzlich, und nun war es Melusine selbst, die ihre Heirath mit dem Grafen von Wildhausen betrieb, der sie bis dahin ausgewichen war. Sie erlangte noch als Braut vollkommene Herrschaft über diesen, und gegen Geldopfer, die sie seinem Steckenpferde brachte, unbedingte Freiheit, als Gattin zu thun und zu lassen, was sie wollte. Graf von Wildhausen, obgleich Vorgesetzter eines so vorzüglichen Marstalls, wie es damals wenige in Deutschland gab, hatte die Marotte, ein eigenes Gestüt für Vollblut haben zu wollen. Er hatte ganz ungeheuere Summen aufgewendet, um in England Hengste und Stuten kaufen zu lassen, und sein Hauptgut an der Elbe in ein großes Gestüt verwandelt. Alle Einkünfte des großen Guts wurden von diesem Gestüte verzehrt, Hypotheken auf Hypotheken gehäuft, um dasselbe zur Blüte zu bringen. Der Graf selbst verstand sehr wenig von der Sache, und seine Stall- und Gestütmeister betrogen ihn. Die Braut bezahlte die Schulden des Grafen, und er verlegte sein Gestüt von der Elbe auf ihr Gut nach der Weser, indem sie die Unterhaltungskosten desselben übernahm.

Dann ward große Hochzeit gefeiert in Heustedt. Alles was außer den bürgerlichen Offizieren zu den Hoffesten in Hannover (die auch in Abwesenheit des Kurfürsten an seinem Geburtstage oder bei sonstigen oft herbeigeführten Veranlassungen abgehalten wurden) Zutritt hatte, ward eingeladen und fürstlich bewirthet. Melusine verwirrte mit ihrer Schönheit nicht nur die Köpfe der Kammer- und Hofjunker, der Pagen und Offiziere, sondern selbst der alten Excellenzen, die das Geheimrathscollegium bildeten. Sie wußte den Sitz in demselben, den ihr Mann nur nominell einnahm, in der That einzunehmen und auszufüllen. Es geschah nichts mehr ohne ihren Willen. Die Correspondenz mit London mußte durch ihre Hand gehen, und mit dem durch die »Junius-Briefe« berüchtigten Herzog von Grafton, Premier nach Pitt dem Aeltern, unterhielt sie eine Privatcorrespondenz, die nicht selten das widerrieth, was officiell vorgeschlagen war. Diese Allmacht besiegte denn in Heustedt jedes Herz, das sich bisher noch nicht gebeugt hatte. Der Titel Excellenz hatte damals noch etwas Mystisches, die Gemüther unwillkürlich mit Dunst und Nebel Umgebendes, zur Dienstbarkeit geneigt Machendes.

Es wurde nun das gräflich Wildhausen'sche Wappen neben dem Alvensleben'schen auf den Thorweg zum Schlosse gesetzt, sonst blieb alles beim alten; die Gräfin war Herrin, von ihr gingen die kleinsten wie die größten Befehle aus, nur in Beziehung auf das Gestüt galt der Wille des Grafen.

Seit der Verheiratung im Jahre 1770 hatte sich die Gräfin verschiedentlich wochen-, ja monatelang, niemals natürlich ohne einen größern oder kleinern Schwarm von begleitenden Cavalieren, in Heustedt aufgehalten. Sie hielt dann nach der Art, wie sie es in London gesehen, ein förmliches Lever. Nach ihrer Ankunft versammelten sich alle, die auf die Gnade einer Einladung zum Diner, Souper oder einen Ball und sonstige Festlichkeiten rechneten, am Morgen gegen zwölf Uhr in einem Vorzimmer. Der Oberhauptmann nebst Gattin, die beiden Burgmänner mit Gemahlinnen, wie der Oberforstmeister von Teufel kamen erst, wenn die übrigen Aufwartenden schon versammelt waren, und wurden nach ihrer Ankunft ohne Aufenthalt in das Empfangszimmer der Excellenz geführt, wo diese sie zum Sitzen nöthigte und einige gnädige Worte mit ihnen wechselte, wobei sie höchstens den Herrn von Teufel als ihresgleichen behandelte und sich einen Scherz mit ihm erlaubte.

Alle verließen zu gleicher Zeit den Empfangssalon, dann riß der Kammerdiener die Flügelthüren des Vorzimmers auf und meldete die Namen der Harrenden womöglich nach Stand und Rang, die Namen des Herrn Superintendenten und des Pastors, des Leibmedicus, des Amts- und Kornschreibers, des Amtsschreibers, des Supernumerar-Amtsschreibers, des Forstschreibers, des Bürgermeisters, des Gerichtshalters, des Amtsadvocaten bis herunter zu dem Rector, Apotheker und Forsteleven. Die Bürgerfrauen wurden für einen andern Tag befohlen. Die Gräfin stand dann auf, empfing die Verbeugungen und Anreden, gab dann und wann eine gnädige Antwort oder knüpfte ein kurzes Gespräch an, während dessen sich die im Vorzimmer Befindlichen nach dem eingebildeten Range ordneten, wobei es oft nicht ohne Stöße und Püffe abging.

Diejenigen, welche bei der Gräfin vorbeigegangen waren, ordneten sich dann im Halbkreise. Nachdem auch der letzte passirt war, pflegte die Gräfin entweder eine kurze allgemeine Ansprache zu halten, oder sie lud einzelne oder sämmtliche Anwesende auf den Nachmittag oder den andern Tag zum Diner.

Die Einladungen an die Adelichen wurden schon am Morgen vor dem Empfange abgeschickt, sie bildeten gleichsam das Zwangsmittel, bei diesem Lever zu erscheinen.

Der Graf Wildhausen erschien nie gleichzeitig mit der Gräfin, er besuchte sein Gestüt viel öfter, aber nur auf kürzere Zeit, und pflegte dann nur adeliche Herren zu Tisch und zum Spiel zu sich zu laden.

Es ist leicht zu erachten, daß unsere vorhin geschilderte Trias nicht sehr davon erbaut war, daß der Gräfin ohne Anstrengung das zugefallen, wonach eine jede von ihnen gerungen, die unbedingte Herrschaft. Hatten sie sich doch selbst vor ihr beugen, sie als Herrscherin anerkennen müssen. Es kochte vor Neid und Eifersucht selbst in der sonst harmlosen Brust der Landräthin, wie vielmehr in dem seit lange nur von Gift und Galle lebenden Herzen der Oberhauptmännin; die Baronin beneidete Grafentitel, Schönheit, Reichthümer, das Heer der Anbeter. Die Feindschaft und Nebenbuhlerschaft war vergessen, vereint waren alle drei gegen den mächtigen Feind, der jetzt gegen Heustedt anrückte. Die vertrautesten der drei Clientengenossenschaften waren denn heute geladen, um den Einzug der Feindin in die Festung zu beobachten und womöglich einen gemeinsamen Feldzugsplan gegen dieselbe zu schmieden. Die hohen silbernen Kaffeekannen und die sehr kleinen chinesischen Tassen waren in Bewegung gesetzt, allein das Gespräch wollte nicht in Fluß kommen; die Damen waren mit Entrelacs und Réseau-Arbeit beschäftigt oder spielten nur mit dem Fächer.

Die Amtsschreiberin Motz, der Leibadvocat der Oberhauptmännin (sie hatte sich dazu aufgedrängt, denn diese bedurfte eigentlich niemals eines Fürsprechers), konnte es nicht lassen, mit einigen Stichelreden die allgemeine Unterhaltung, die sich um die hohen Kornpreise drehte, zu würzen. »Es sind heute schon wieder zehn Schiffe mit Ostseegetreide die Weser hinaufgefahren. Ja das muß man sagen, die lalenbergische Landschaft sorgt doch für die Unterthanen, während gewisse andere Landschaften nur Leben und Bewegung zeigen, wenn es eine Sinecure oder eine Justizrathsstelle zu vergeben heißt, oder darum zu petitioniren, daß die Herren Ritter rothe Röcke und blaue Hosen mit Goldstreifen als Uniform anziehen dürfen.« Der Hieb saß, er traf die Landräthin wie die Baronin, deren Männer ja beide in der Provinziallandschaft als Ritter saßen. Es war das dasselbe unbrauchbare Korn, von dem hier geredet wurde, das später zu dem berühmt gewordenen Processe mit den Branntweinbrennern Veranlassung gab.

Fräulein Emilie Bardeleben, die Schwester des Advocaten, die Tochter eines wirklichen Korn- und Amtsschreibers, der zum Amtmann ernannt werden sollte, als er starb, welche das Unverehelichtsein vorgezogen hatte, weil, wie sie sagte, alle Männer treulos wären, und die dafür die mütterliche, zärtliche Freundin der Landräthin geworden, spitzte ihr Schwert, d. h. ihre Zunge zu einem Ausfalle: »Aber gnädige Frau Oberhauptmännin«, sagte sie, die eigentliche Sprecherin nicht beachtend, so dünn und spitz wie Glas, »mein Bruder meint, die kalenbergische Landschaft soll ihre Nase von Dingen lassen, die sie nicht verstehe, dieselbe habe sich in Bremen weidlich über das Ohr hauen lassen, habe lauter faules, vom Wurm angefressenes Zeug gekauft, das nicht einmal zum Branntweinbrennen gut sei. Der bremer Mäkler hatte an unsern Branntweinbrenner Peter eine Probe geschickt, dieser hat den Roggen aber nicht brauchen können, obgleich er den Himten sechs Grote billiger haben sollte als die Landschaft, die nun auch noch den Transport bis und von Hameln zu tragen hat.« – »Und dann«, fiel die Baronin Bardenfleth ein, indem sie Demoiselle Puvogel, der Schwester des Superintendenten, welche für sie das Wort ergreifen wollte, zuvorkam, »gnädige Frau, unsere Unterthanen sind denn doch wol glücklicher gestellt als die kalenberger, welche die Kriegsschulden des Siebenjährigen Kriegs durch eine Kopfsteuer abzahlen und tragen müssen; bei uns klagt man höchstens über das Sportuliren, und das geht die Landschaft nichts an.«

Es war so auf dem besten Wege, daß aus einem Friedens- und Versöhnungsfeste ein Zank und Kampf unter dem Dreiblatte geworden wäre, als Mama »dem Kinde«, ihrer Adele, einen Wink gab. Diese legte das Nähwerk, an dem sie arbeitete, zur Seite und kam mit einem Papier aus dem Nebenzimmer, dessen bezeichnete Seite sie sorgsam verdeckt hielt.

»Meine Damen«, begann Adele, das Kind, »ich weiß nicht, ob Sie schon von der merkwürdigen Entdeckung gehört haben, die der Forsteleve Oskar Baumgarten in diesen Tagen gemacht hat.« Alle verneinten und baten, zu erzählen. Adele erzählte nun ausführlich, mit etwas aufgetragenen Farben, wann und wie Oskar den Tempel im geheimen Park gefunden, und ließ zum Schluß die Handzeichnung herumgehen.

»Ich erinnere mich«, begann nun ein unverehelichtes Fräulein von Spitznas, die einen kleinen Höcker im Rücken trug und bei der Landräthin, einer Verwandten, das Gnadenbrot aß – »mit Erlaubniß«, unterbrach die Oberhauptmännin die Erzählerin, » Kind, Adele, Kind, geh' doch in die Küche und sage der Köchin, daß sie neuen Kaffee besorgt, und auch den Kuchen herausschickt« – dann, als Adele sich entfernt, sagte sie, ihren Blick auf Fräulein von Spitznas richtend, – »meine Damen, sie ist noch ein Kind, ein pures unschuldiges Kind, doch Sie verstehen mich?« – Adele mußte sich sehr beeilt haben, denn sie trat in die Stube zurück, als Fräulein von Spitznas wieder anhob: »Ich erinnere mich aus meiner Jugend, ich glaube, es war im Jahre 1740, als der König Georg II. von England hier war und in Verden das Regiment Dragoner, bei dem mein seliger Vater stand, musterte. Damals lebte der Großvater der Gräfin noch, der Vater war in England. Dieser Großvater der Gräfin, ein sehr alter, aber immer noch lustiger Mann, hatte Se. Majestät den König wie die Gräfin Yarmouth zum Diner und Ball eingeladen, wie auch die Generale, adelichen Offiziere und den ganzen alten Adel der Umgegend Heustedts.

»Majestät speisten mit der Gräfin Yarmouth und einigen Hofleuten an einer besondern Tafel. Kaffee ward im Freien eingenommen. Gegen Abend, kurz bevor der Ball beginnen sollte, bat der Graf Alvensleben sich vom Könige und der Gräfin Yarmouth die Gnade aus, ihnen seinen chinesischen Tempel zeigen zu dürfen. Man ging ohne weitere Begleitung, der Graf kehrte bald zurück. Der König weilte wol eine Stunde, wenigstens ward uns jungen Leuten die Zeit sehr lang, da der Anfang des Balles bis zur Zurückkunft der höchsten Herrschaften verschoben war. Endlich kam der König zurück. Mein Vater hatte mich gerade dem alten Grafen, denn wir wohnten damals in Verden, vorgestellt, und wir traten zur Seite, als Majestät auf den Grafen zutrat, ihm zwei Schlüssel, einen größern und einen kleinern zurückgab, und, wie ich deutlich vernahm, sagte: ›Ein sehr vorzüglich eingerichtetes chinesisches Zimmerchen, Herr Graf! macht Ihrem Geschmack alle Ehre, nicht wahr, meine Liebe?‹ sich an die Gräfin wendend. Diese erröthete über und über. Der König achtete das nicht, sondern sagte lächelnd: ›Wenn ich wieder nach Deutschland komme, werde ich Ihnen, schon des Tempelchens wegen, ein Nachtquartier abzwingen müssen.‹

»›Ew. Majestät würden mich zum glücklichsten Dero Unterthanen machen‹, erwiderte der Graf, sich tief verbeugend. Darauf eröffnete der König den Ball. Es ist merkwürdig, ich habe an diese alte Geschichte viele, viele Jahre nicht gedacht, und jetzt steht sie vor mir, als wäre sie eben passirt. Die Gräfin Yarmouth war übrigens eine Cousine der Gräfin.«

»Aber, meine Gnädige, sollten Sie da nicht irren?« unterbrach Fräulein Bardeleben, die sich etwas darauf zugute that, den Staatskalender, wie er damals hieß, im Kopfe zu haben – »Sie verwechseln das wol? Die Gräfin Kielmannsegge-Darlington, der sogenannte Elefant, war die Großtante der Gräfin.«

»Meine Liebe«, fuhr Fräulein von Spitznas auf, » Sie werden mich doch nicht unsere Adelsgeschlechter kennen lehren? Die Generalin Weick, verwitwete Frau von dem Bussche, welche mit Georg I. liirt war, war eine geborene von Meisenburg und eine rechte Schwester der bösen Gräfin Platen. Ihre Tochter, die des Generals Weick wie man sagte, verheirathete sich mit dem General von Wendt. Aus dieser Ehe stammte Amalie Sophie, die sich an den Oberhauptmann Adolf Gottlob von Wallmoden verheirathete und später zur Gräfin Yarmouth in England erhoben wurde.«

»Jedoch«, fiel Fräulein Bardeleben ein, indeß die Oberhauptmännin unterbrach sie. »Meine Damen«, sagte sie mit Würde, »es lohnt sich nicht der Mühe um diese Maitressenfamilie. Lassen wir das.« Aller Blicke spendeten Beifall.

»Sie treffen, gnädige Frau«, sagte die Amts- und Kornschreiberin Motz, »den Nagel doch immer auf den Kopf, und ich erlaube mir hinzuzufügen, daß der Apfel nie weit vom Stamme fällt.«

Es kam jetzt die Jungfrau mit frischem Kaffee und Kuchen, und die Eßwerkzeuge wurden von neuem in Bewegung gesetzt unter lobenden Ausrufungen über den vortrefflichen Topfkuchen, zu dem sich verschiedene Damen das Recept ausbaten, obgleich alle Topfkuchen in Heustedt nach einem und demselben Recept zubereitet wurden. Während dieser Pause verfehlten diejenigen, welche das Glück hatten, den Fenstern am nächsten zu sitzen, nicht, aus diesen öfters hinaus über die hohe Brücke hinwegzusehen.

Es geschah das natürlich nur, um zu sehen, ob das Wetter sich hielt, oder aus sonst einem Vorwande.

»Was mag denn das für eine Extrapost gewesen sein, die heute Morgen hier durchfuhr?« fragte die Hauswirthin.

»Da kann ich dienen«, erwiderte die Frau Gerichtshalterin. »Mein Mann war bei dem Posthalter, um nachzufragen. Es war der Hof- und Leibmedicus der Königin Mathilde von Dänemark, die sich nach Hannover geflüchtet hat.«

»Was ist es eigentlich mit dieser?« fragte die Landräthin unbefangen. » Mein Mann erzählt mir nie etwas Neues, was er auf dem Rathskeller gehört, ich erfahre es alles erst, wenn es schon veraltet ist.«

»Man hat den Minister des Königs, Leibarzt Dr. Struensee, eines Liebesverständnisses mit der Königin Mathilde beschuldigt; die Königin-Witwe, Juliane, und Graf Rantzau haben ihn auf Specialbefehl des Königs, der etwas geistesschwach sein soll, verhaften lassen und ihm den Proceß gemacht. Ebenso ist sein Anhänger, Graf Brandt, verhaftet, weil er den blödsinnigen König, mit dem er sich wrangte, in die Hand gebissen hat, und als Hochverräter enthauptet. Die Witwe Juliane und ihr Sohn Friedrich führen seitdem die Regentschaft. Georg III. hat seine Schwester Ende vorigen Monats nach Hannover abholen lassen«, erzählte die Oberhauptmännin.

»Aber Mama«, sagte das Kind Adele, »die Sache ist ja in der Zeitung, die Papa hält, ausführlich zu lesen, soll ich die holen und vorlesen?«

Alle Damen baten darum. Adele kam mit einem schmuzig-gelben Zeitungsblatt in Quart. Ein Adler ruhte über einem Medaillon mit den Worten: »Mit Königlicher Freiheit.« An der Erde lag ein Packet mit Waaren, darunter ein sehr langer Mercuriusstab, der wie eine Hellebarte zugespitzt und mit Lorberzweigen und Blüten umgeben war. Es waren das: »Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrtensachen, Nr. 55, Donnerstag, den 7. Mai 1772.« Adele las: »Kopenhagen, den 28. April: Nachdem am Sonnabend Vormittag von der Inquisitionscommission über Johann Friedrich Struensee und Enevold Brandt das Urtheil gesprochen war, so wurde selbiges dem außerordentlich versammelten Staatsrathe (worin jedoch der König nicht zugegen war) vorgelegt. Des Nachmittags ward der Staatsrath abermals versammelt; und als Se. Majestät von Charlottenlund, wohin Sie, um das Mittagsmahl einzunehmen, gegen drei Uhr von hier weggefahren waren, um sieben Uhr wieder zurückkamen, verfügten Sie Sich in den Staatsrath, bestätigten daselbst das gefällte Urtheil, und erhoben Sich hierauf in die Italienische Oper. Den beiden Gefangenen wurde um zwölf Uhr des Mittags durch ihre Advocaten ihr Schicksal bekannt gemacht. ›Ich habe Ihnen eine sehr unangenehme Nachricht zu bringen‹, sagte der Procurator Uldall zu Struensee. ›Sie kommt mir nicht unerwartet‹, erwiderte dieser; nahm ihm hierauf das Urtheil aus der Hand, las es mit vieler Gelassenheit und ohne eine Miene zu verändern, ganz durch und gab es ihm wieder zurück. Er erkundigte sich nach dem über Brandt gefällten Urtheile und erfuhr, daß es mit dem seinigen ganz gleichlautend sei. Dies schien ihn mehr zu bewegen als sein eigenes Schicksal.«

Die Gesellschaft hatte schon beim Anfange der Vorlesung mehr auf ein aus der Entfernung sich nahendes Geräusch als auf das Lesen gehört; als sich jetzt Pferdegetrappel und Wagengeräusch vernehmen ließ, mußte das weitere Lesen unterbrochen werden. Alle eilten an die Fenster.

Zwei Vorreiter in rothen dick mit Gold besetzten Jacken sprengten im Galop über die hohe Brücke. Eine offene Chaise von sechs Schimmeln gezogen folgte, in ihr saß die Gräfin von Wildhausen im Hintersitz in blauatlassener Robe, einen weißseidenen Shawl über den schönen Schultern; im Vordersitz des Wagens saßen zwei Cavaliere, ein Hofjunker und ein anderer in Offiziertracht, welche die Gräfin auf dem langweiligen schlechten Wege von Hannover durch Médisancen über Hofpersönlichkeiten unterhalten hatten.

In einem zweiten Wagen saßen Kammerfrau, Kammerjungfer und eine Hebamme.

Ein dritter Wagen vom Umfange eines Omnibus hatte Kammerdiener und Jäger als Insassen. Nach einer Stunde kam noch ein Rüstwagen mit Extrapostpferden nachgeschleppt; die ersten drei Wagen waren mit Pferden aus dem königlich-kurfürstlichen Marstalle bespannt. Man konnte an diesem Beispiele wieder sehen, wie böswillig selbst diese Thiere von den Böswilligen, die es ja jederzeit gab, verleumdet wurden. Man sagte damals in Hannover von ihnen mit Horaz, sie wären fruges consumere nati, und doch wußte die Gräfin, wie andere Excellenzen, sie wohl zu benutzen.

Wollten wir alles Schlechte, was über die Angekommenen in der Damengesellschaft bis zum Herumreichen der Torte gesprochen wurde, niederschreiben, wir würden kein Ende finden mit diesem Kapitel.


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