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Die psychologische Voraussetzung der starken antisemitischen Welle, die heute durch Deutschland geht, ist mir klar. Diese Welle ist eigentlich nur eine Gegenwelle, eine geistige Reaktion. Die Macht der Juden in Presse, Theater und Wirtschaft war ihr Ausgangspunkt im Frieden. Zu ihrem Anwachsen im Kriege trug das Schieber- und Kriegsgewinnlertum bei, zu dem auch die Juden kein geringes Kontingent stellten, sowie die starke Verjudung der Kriegsgesellschaften, seit der Revolution schließlich der starke Anteil der Juden an der Regierung und vor allem der Umstand, daß Juden vielfach als Führer der deutschen und russischen Revolution aufgetreten sind, und zwar desto zahlreicher, je radikaler ihre Richtung war, schließlich auch die maßlose Ungeschicklichkeit in der Zusammensetzung des berühmten Untersuchungsausschusses, vor dessen Forum ein Hindenburg von dem von den Bolschewisten subventionierten Dr. Cohn verhört wurde. Das alles hat eine begreifliche und immer steigende Erbitterung erzeugt und den alten Gegensatz gewaltig verschärft. Man fragt sich mit Recht, ob die 615 000 deutschen Juden und eine Reihe zugewanderter Ostjuden die berufenen Führer eines Volkes von 60 Millionen sind, spricht von jüdischem Joch und möchte die Juden am liebsten des Landes verweisen oder doch auf den Stand zurückschrauben, auf dem sie sich vor der französischen Revolution von 1789 befanden, als ließe sich das Rad des Weltgeschehens zurückdrehen!

Und zwar geht dieser Antisemitismus im ganzen nicht von den politischen Führern aus; er wird nicht »von oben« in die Massen hineingetragen, sondern er dringt elementar aus den Massen der Wähler, besonders aus dem kleinen Mittelstand, empor und erzwingt sich die Anerkennung der Führer, wollen diese ihre Gefolgschaft nicht verlieren. Einige Ausnahmen, wie die »Wahrheit«, deren Spezialismus die Brandmarkung jüdischer Schädlinge ist, besagen nichts dagegen; setzt doch auch dies Wochenblatt den Schallboden einer antisemitischen Volksstimmung voraus. Die Meinung der Führer oder der politischen Intelligenz der D. N. V. P. aber ist zum mindesten geteilt. Es gibt manche, die den Antisemitismus ganz oder teilweise verwerfen, da sie die Fehler in der Problemstellung und die üblen Folgen erkennen, auch die Augen nicht vor den tatsächlichen Verhältnissen verschließen. Meine Ansicht steht also nicht vereinzelt da, wie etwa die bolschewistischen Extratouren des Professors Dr. Elzbacher, die überall Ablehnung gefunden haben. Somit ist auch diese Schrift keine ausgefallene Extratour, sondern sie deckt sich mit den Anschauungen einer intelligenten Minderheit.

Die geteilte Meinung über den Antisemitismus drückt sich auch in der unsicheren Formulierung der Judenfrage im Programm der D. N. V. P. aus. Der Radauantisemitismus wird selbstredend verworfen. Sogar die Zugehörigkeit von Juden zur Partei wird grundsätzlich anerkannt. Anderseits aber muß sich die Partei doch sagen, daß die Heftigkeit ihrer antisemitischen Propaganda die Juden, und gerade solche, die sich selbst achten, also die Charaktere und nicht die Überläufer, aus ihren Reihen austreiben muß. Dieser Programmpunkt ist also nicht mehr wert als manche Programmpunkte aller Parteien, d. h. eine Verlegenheitsgeste, ein theoretisches Kompromiß ohne praktische Bedeutung.

Nun versetze man sich aber einmal in das Denken eines einfachen Parteimitgliedes, das größere Zusammenhänge nicht zu überschauen vermag, und sehe ganz von der geteilten Meinung der Intelligenz ab. Der einfache Parteimann sieht alle die Vordergründe, die ich oben als Ursachen der antisemitischen Reaktionswelle nannte. Er sieht »die Juden« in Deutschland »herrschen«, sieht zugleich den Ring des »internationalen Judentums« von außen um Deutschland geschlossen, so fest wie den Ring der Entente. In Rußland herrscht der stark jüdische Bolschewismus der Trotzki-Bronstein und Genossen. In den westlichen Demokratien bilden die jüdisch durchsetzten Freimaurerlogen Herde der deutschfeindlichen Propaganda. Der jüdische Zeitungskönig Lord Northcliffe hat uns die Presse der ganzen Welt auf den Hals gehetzt. Der Exponent der italienischen Kriegstreiber ist der geniale jüdische Hanswurst d'Annunzio-Rappaport usw. In diesem Ring des Hasses stand allein Deutschland, stand die Hohenzollernmonarchie wie ein Fels von Erz, bis sie von der Revolution, insbesondere von der auf die Lehren des Juden Karl Marx eingeschworenen Sozialdemokratie, gestürzt wurde. Jetzt kämpft Deutschland seinen Todeskampf gegen das »internationale Judentum«, und es ist Pflicht jedes Deutschen, in diesem Kampfe nicht zu verzagen, sondern mannhaft auszuharren.

Ich habe diese menschlich begreifliche Denkweise einmal in ihrer vollen Konsequenz aufgerollt. Sie hat einen berechtigten Tatsachenkern und ist vielfach von reinem Idealismus getragen, aber voller Denkfehler und Übertreibungen. So einfach ist das Problem nicht, wie es in dieser Verkürzung erscheint!

Zunächst ist das »internationale Judentum« keine homogene, einheitlich organisierte Masse, sondern in ihm sind die inneren Spaltungen ebenso gewaltig wie in den Völkern, die sich einer nationalen Staatsverfassung erfreuen und bei denen die Juden als »Gastvolk« wohnen, um einen antisemitischen Ausdruck zu gebrauchen. Ein Abgrund klafft zwischen dem wirtschaftlich und kulturell niedrigstehenden Ostjudentum, das sich im Bolschewismus für seine Jahrhunderte lange, furchtbare Unterdrückung blutig rächt, und dem wirtschaftlich und kulturell hochgekommenen Judentum der westlichen Demokratien, das sich mit den verschiedensten Völkern amalgamiert hat und teils ganz in ihnen aufgegangen ist. Von einer einheitlichen jüdischen »Entente« zur Vernichtung Deutschlands kann also nicht die Rede sein, so wenig wie von einem Bund zwischen Feuer und Wasser.

In Deutschland selbst, dem Land der Mitte, haben wir beide Spielarten nebeneinander, gleichfalls durch einen Abgrund getrennt, der von verschiedenen Zwischenstufen, aber nicht Bindegliedern, ausgefüllt ist. Hier das besitzende, alteingesessene, teils amalgamierte, kulturell hochstehende und im Wesensgrund staatserhaltende Judentum, besonders in den westlichen Provinzen (Rheinland, Westfalen) und in Süddeutschland, dort die kommunistischen und »unabhängigen« Hetzer, die Besitz und Bildung in Grund und Boden ruinieren wollen, genau wie in Rußland, einerlei, ob sie in jüdischen oder »arischen« Händen sind. Glaubt man wirklich, daß die Oppenheim, Bleichröder und Mendelssohn irgend etwas gemein haben mit einem Dr. Cohn und Genossen? Gewiß gibt es Ausnahmen, wie den Millionär Dr. Rosenfeld, die sich aus Führereitelkeit auf die Seite der Unabhängigen geschlagen haben, oder politische Schauspieler wie Maximilian Harden, der früher in Bismarcks Kürassierstiefeln auftrat und sich jetzt die Falten eines alten Unabhängigen angeschminkt hat. Aber das ändert nichts an der allgemeinen Tatsache, daß sich der jüdische Besitz seine Konfiskation und Wegsteuerung ebenso verbittet wie der »arische«. Gerade aus den Kreisen des »Berliner Tageblatts« sind die heftigsten Proteste gegen die wirtschaftsmordende sozialistische Finanzpolitik des Reichsdilettanten Erzberger erschollen, und nur aus der völligen Charakterlosigkeit dieser Partei ist es zu erklären, daß sie dem »Willen zu Macht« die eigenen Lebensinteressen auf dem Altar des alleinseligmachenden Sozialismus opfert. Juden sind somit bei uns in allen politischen Lagern einschl. der Deutschen Volkspartei zu finden und vertreten deren Interessen. Sie wären auch in den Reihen der D. N. V. P. zu finden, wenn man sie dort nicht de facto, wenn auch nicht de jure ausschlösse.

Nun kommen aber die ganz Feinen und sagen: Diese Tatsachen stimmen zwar, aber sie sind nur Vordergrund. Hinter dem anscheinend zerklüfteten Judentum steht der allgemeine jüdische Gedanke als »triumphierender Dämon des Verfalls«, um mit Richard Wagner zu reden. Das Judentum will die Welt verderben und unterjochen, und dazu wendet es, je nach den Umständen, verschiedene Methoden an, die alle auf das gleiche hinauslaufen. Sein Wahlspruch lautet: »Getrennt marschieren und vereinigt schlagen.« Während das besitzende Judentum die Macht von oben her an sich reißt und Mittelgruppen den Nationalgeist zersetzen, unterhöhlen die bolschewistischen Juden die Staaten von unten her. Auch wissen die Juden aller Richtungen von jedem Umsturz zu profitieren und ihre Macht zu erhöhen. Liegt hier also auch kein abgekartetes Spiel vor, so doch eine instinktive Zielsicherheit, ein vielleicht unbewußtes, aber tatsächliches Sich-in-die-Hände-Arbeiten, und das Ergebnis ist auf jeden Fall das gleiche. – Ich muß gestehen, daß ich diesen mystischen Unsinn nicht mitmachen kann. Träfe diese Behauptung zu, so müßten ja auch die deutschen Besitzenden mit den deutschen Umstürzlern insgeheim unter einer Decke stecken, und diese müßten jenen die Hasen in die Küche treiben. Und dann: sieht es wirklich so aus, als ob die starken Nationalstaaten der Entente nur »jüdische« Heloten wären, die im Grunde mit den russischen Bolschewisten übereinstimmen? Oder dienen nicht vielmehr die dortigen Juden den nationalen Interessen? Diese Mystik, die man tatsächlich gedruckt lesen kann, ist also nichts weiter als »Mystik«!

An zweiter Linie ist die antisemitische Reaktion durch das Kriegsgewinnler- und Schiebertum bedingt. Aber Hand aufs Herz: wenn wir nach diesem Kriterium gehen wollten, wieviel Angehörige unseres armen, heruntergekommenen Volkes beständen dann nicht aus »Juden«? Ich wage die Zahl nicht einmal auszudenken. Nicht indem man »die Juden« für diese neue deutsche (und auch in anderen Ländern vorhandene) Spezies verantwortlich macht, wird man sie bekämpfen, sondern indem man ihr die Maske vom Gesicht reißt, mag darunter ein Jude, ein A.- und S.-Rat, ein ungetreuer Beamter oder sonst wer hervorkommen.

Eine merkwürdige, falsche, aber weitverbreitete Vorstellung hängt mit dieser Idee zusammen, nämlich daß alle Juden »reich« wären. Ungefähr wie sich der »Arbeiter« das Zerrbild des »Kapitalisten« geschaffen hat, einerlei ob er 5000 oder 100 000 M. Einnahmen hat, wenn er nur nicht an der Maschine oder am Pfluge mit der Hand »arbeitet«, ist auch »der Jude« nach der naiven Volksvorstellung »reich«. Ja, die Vorstellungen »Kapitalist« und »Jude« fallen vielfach zusammen, und die epitheta ornantia des »satten Bourgeois« und des »Blutsaugers« werden abwechselnd auf »den Juden« und »den Kapitalisten« angewandt. Wie unsinnig diese Anschauung ist, bedarf kaum des Beweises. Das Judentum hat sein Proletariat so gut wie seine Aristokratie; Meyrinck hat dies in seinem »Grünen Gesicht« hübsch dargestellt. Wer es nicht glaubt, gehe nach Berlin N. Hält man das aber einem Antisemiten vor, so ist er doch nicht entwaffnet. Er erklärt dann, wenn auch nicht alle Juden zu Gelde gekommen seien, so hätten sie doch bei ihrem »jüdischen Erwerbssinn« die Fähigkeit dazu, und was dem Vater nicht gelänge, gelänge dem Sohn. Diese Behauptung würde also wieder zur »kapitalistischen« Vorstellung zurückführen. Nach ihr müßte jeder Jude ein tatsächlicher oder virtueller »Kapitalist« im Sinne der Lehre von Karl Marx sein (der doch auch ein Jude war!), und es müßte ein Tag kommen, an dem alle Juden dies »Ideal« erreicht hätten! Durch Sachkenntnis ist diese Behauptung nicht getrübt. Der »jüdische Erwerbssinn« ist freilich oft recht ausgebildet, aber nicht nur unter Juden. Anderseits weiß jeder Kenner, daß es auch unter den Juden zahlreiche unpraktische und bettelarme Idealisten gibt, die Nachkommen der alten Talmudgelehrten, die in ihren Ideen leben und für sie hungern, oder die als Schriftsteller im Dachstübchen hausen, so gut wie ein typischer »deutscher Dichter«. Ich selbst habe solche armen Literaten, wie Ludwig Jacobowski, Leo Berg, Samuel Lublinski, gekannt; ihre Zahl ließe sich beliebig vermehren. Hiermit ist zugleich auch die Antwort auf die Anklage des »jüdischen Materialismus« erteilt, die gewöhnlich zugleich mit der des jüdischen »Kapitalismus« auftritt. Kapitalismus und Materialismus sind die Folgen des neueren Wirtschaftsprozesses; sie erstrecken sich auf Juden und Nichtjuden, der Materialismus sogar in furchterweckendem Umfang.

Nun zu den Kriegsgesellschaften! Sie erfreuen sich nirgends großer Beliebtheit, selbst bei der Sozialdemokratie nicht, der wir die ganze übertriebene Zwangswirtschaft zu danken haben. Früher legte man diese gern dem »fluchwürdigen« alten Regime zur Last, insbesondere den »Junkern«, die doch wahrhaftig nichts dafür können. Heute sollen es auf einmal »die Juden« sein, die die Schuld daran tragen! Nirgends aber sind diese »Durcheinanderwirtschaftsämter« so grimmig verspottet worden wie im jüdischen »Berliner Tageblatt«. Die »jüdische Solidarität« hätte das doch verbieten müssen! Warum tat sie es nicht? Weil sie in diesem Sinne gar nicht besteht! Daß Juden in diesen Kriegsgesellschaften reichlich vertreten sind, kann freilich niemand leugnen. Das Judentum ist seiner ganzen Vergangenheit nach auf den Handel eingestellt, es ist also nicht erstaunlich, daß es in diesen Kriegsgesellschaften stärker vertreten ist als z. B. die Landwirtschaft. Man mußte die Leute doch schließlich aus den Berufsständen wählen, die mit der Sache vertraut waren. Daß dann die Vettern- und Protektionswirtschaft ein übriges tat, soll keineswegs geleugnet werden, aber wir sehen sie heute auch in der nichtjüdischen Sozialdemokratie blühen, die ihre »Genossen« an die Staatskrippe bringt, solange noch etwas darin ist. Und im alten Regime, besonders aber im Kriege, soll sie auch anderswo und auf anderen Gebieten geblüht haben, wenn auch nicht mit solcher zynischen Offenheit! Sie ist also eine üble menschliche Schwäche, der nicht allein »die Juden« verfallen.

Mit alledem will ich den Kriegsgesellschaften keineswegs das Wort reden. Das Beste, was sie tun könnten, wäre, daß sie baldmöglichst in der Versenkung verschwinden. Ungerecht aber ist es, sie allein den Juden aufzubürden. Der Fehler lag in dem ganzen staatssozialistischen System, das sich der hilflose Bethmann Hollweg von der Sozialdemokratie aufdrängen ließ. Es hatte sogar seine gewisse Berechtigung; nur in seiner Überspannung war es verkehrt.

Zudem sind die Kriegsgesellschaften nicht zu beneiden! Das Odium der Drückebergerei, berechtigt oder unberechtigt, liegt auf ihnen, – allerdings besonders auf den Juden. Auch hier ist ein tatsächlicher Kern über Gebühr aufgetrieben. Juden sind vielfach mit organischen Leiden behaftet, die unser jüngeres, zahlreicheres und darum weniger durch Inzucht geschwächtes Volk nicht besitzt. Diese Leute wurden in den Kriegsgesellschaften, in Bureaus, in der Etappe usw. jedenfalls besser verwertet als an der Front, wo sie nur die Lazarette bevölkert hätten, während sie hier dem Staate wenigstens durch ihre Intelligenz und Arbeitskraft nützten. Das gleiche gilt von einer Anzahl von Juden, die auf dem zweitausendjährigen Leidensweg ihres Volkes die soldatischen Instinkte ihrer alttestamentlichen Vorfahren völlig verloren haben. Gewiß sind auch Drückeberger darunter gewesen, wie unter den »Ariern«, aber es ist ungerecht, diese Anklage ohne Beweismittel zu verallgemeinern, und die Beweisführung ist nahezu unmöglich. Bleibt also nur der infamierende Verdacht, der leider das Stigma unseres ganzen zusammengebrochenen Volkes ist. Nicht mit Unrecht betonen jüdische Organe dagegen, daß auch die Juden ihren Blutzoll entrichtet, Auszeichnungen vorm Feinde erworben und ihr Blut für Deutschlands Siege vergossen haben. Diese Braven verdienen den Dank des Vaterlandes; gerade eine rechtsstehende Partei muß sie ehren und achten. Über die Prozentzahl jüdischer Gefallener, Verwundeter und Ausgezeichneter gibt es bisher keine zuverlässige Statistik, zumal das Kriterium der Religion, das sicherste, nicht stichhaltig ist. Wer die teils recht heftigen Zeitungspolemiken über dies Thema verfolgt hat, sieht nur zwei Parteien, die sich mit Zahlen bekämpfen, wobei – wie in allen solchen Fehden – jede »ihre« Zahlen ins Feld führt, die jüdische größere, die gegnerische kleinere. Die absoluten Zahlen können bei dem geringen Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung naturgemäß nur gering sein. Wie ich nachträglich sehe, hat Otto Armin im Deutschen Verlag in München soeben ein Buch veröffentlicht: »Die Juden im Heere. Eine statistische Untersuchung nach amtlichen Quellen.« Autor, Verlag und das Leitwort aus dem Talmud: »Wenn du in den Krieg ziehst, so ziehe nicht zuerst, sondern zuletzt, damit du zuerst heimkehren kannst«, kennzeichnen die »völkische« Angriffstendenz. Nach dieser Statistik, die ich nicht anzweifle, standen Anfang 1917 beim Feldheer 27 515, bei der Etappe 4752, beim Besatzungsheer 30 005 Juden. Von den weiteren 16 000 ausgemusterten Juden waren über 7000 auf Reklamation zurückgestellt. Danach standen etwa 10 v. H. Juden im Heeresdienst, gegen fast 20 v. H. der Deutschen. Das gleiche Verhältnis 1:2 wird demgemäß bei den jüdischen Kriegsfreiwilligen und den jüdischen Gefallenen festgestellt. Da diese Statistik auf dem einzigen, einigermaßen stichhaltigen Kriterium der israelitischen Religion beruht, fehlen in ihr naturgemäß die zahlreichen getauften Juden der höheren Stände, die als Offiziere, Beamte oder Kriegsfreiwillige hinausgezogen sind. Vom Rassestandpunkt aus dürfte sich also das Verhältnis zugunsten der Juden verschieben; wie weit, ist nicht auszumachen. Wie dem aber auch sei, ich habe oben bereits gesagt, daß der Jude heute oft nicht mehr die körperliche und seelische Kriegstüchtigkeit seiner alttestamentlichen Vorfahren besitzt. Dazu kommt noch die antisemitische Stimmung in den Offizierkorps und die Hänselei der Juden durch die Mannschaften, die die Kriegsbegeisterung der Juden jedenfalls nicht erhöht haben. Unsere braven Feldgrauen wußten zudem mit Gewehr und Handgranate meist besser umzugehen als mit der Feder, aber die Tätigkeit im Bureau und an den Fernsprechern, zum Teil in den Unterständen, war doch auch sehr nötig. Zweifellos ist hier manch fingerfertiger und rasch auffassender Jude nützlicher verwendet worden als im Schützengraben, wo er vielleicht keine gute Figur abgegeben hätte und als »Fremdkörper« verulkt worden wäre! Überdies haben die Juden sich diese Stellen doch nicht ausgesucht, sondern sie sind von ihren nichtjüdischen Vorgesetzten dazu kommandiert worden; die Verantwortung liegt also bei diesen. Sie haben die Leute so ausgesucht, wie sie am besten zu brauchen waren, und das war das Rechte. Die Statistik in Ehren, aber sie gibt doch nur Tatsachen und forscht ihren Gründen nicht nach, und aus diesen Tatsachen läßt sich je nach der politischen Einstellung des Lesers sehr Verschiedenes ableiten. Ich finde nicht, daß sie die Juden – unter Berücksichtigung obengenannter Umstände – sehr belastet!

Jedenfalls steht fest, daß die Juden auch heute noch brave Soldaten und gute Offiziere gestellt haben, so gut wie in ihrer alten Heldenzeit. Selbst vor dem Weltkrieg gab es solche; einige, wie General v. Moßner und ein bekannter Generalstäbler, der im Krieg einen hohen Posten im Orient innehatte, sind sogar zu führenden Stellungen gelangt. Daß es nicht mehr waren, liegt einmal an der antisemitischen Einstellung unserer Offizierkorps und anderseits daran, daß der Handelsstand bei uns traditionell einen geringeren Bruchteil für die Offizierlaufbahn gestellt hat als Landwirtschaft und Beamtentum. Noch unter Friedrich dem Großen war bekanntlich das höhere Bürgertum vom Militärdienst befreit, um sich ganz der Wirtschaft und der Beamtenlaufbahn zu widmen, während der Offizierstand sich – Husaren und Artillerie ausgenommen – aus dem Landadel rekrutierte. Solche Traditionen pflegen sich fortzuerben, auch wenn die Struktur des Volkskörpers sich geändert hat. In Bayern und Österreich-Ungarn, wo diese Tradition nicht bestand, gab es vielfach jüdische Offiziere, ob zum Vorteil oder Nachteil des Heeres, bleibt eine offene Frage. Jedenfalls geht daraus hervor, daß die jüdische Bevölkerung sich nicht vom Offiziersdienst gedrückt hat, wo ihr diese Laufbahn offenstand.

Eine andere patriotische Leistung des deutschen Judentums während des Krieges wird schließlich meist ganz übersehen: ich meine die Geldspenden. Ich denke dabei nicht mal an die Kriegsanleihen, zu denen das jüdische Kapital sehr erheblich beigetragen hat. Man könnte zwar mit Herrn Scheidemann einwenden, daß es keine patriotische Leistung sei, sein Kapital mündelsicher zu 5 % anzulegen. Oder man könnte sagen, daß die jüdische Bevölkerung »die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit« hatte, wenigstens auf diese Weise zur Kriegführung beizutragen, da sie in der Front so wenig zahlreich vertreten gewesen sei. Immerhin: wenn die Erfolge der Kriegsanleihen von unserer Presse aller Richtungen so oft als nationale Taten gepriesen wurden, so gebührt auch den Juden ein ganz erheblicher Anteil an ihnen. Aber ich versteife mich, wie gesagt, nicht auf sie. Was ich meine, sind die riesigen Spenden für alle möglichen Kriegswohlfahrtszwecke, deren Listen man z. B. im »Berliner Tageblatt« spaltenweise lesen konnte, und in denen Juden oft in sehr großzügiger Weise figurierten. Wenn aber den Juden, wie die Antisemiten behaupten, das Geld über alles geht, so haben sie sich von ihrem Liebsten getrennt, und zwar oft herzhafter als andere, die es ebensogut gekonnt hätten. Diese Spenden verdienen die nationale Anerkennung also im gleichen Maße wie der Blutzoll, den die Juden entrichtet haben. Mit Recht fragen sie sich heute: Soll das alles vergessen sein und nur unser Schuldkonto bestehen bleiben?

Das führt mich zu dem Vorwurf, die Juden hätten sich sehr stark an der Revolution beteiligt. Dieser Vorwurf ist leider der stichhaltigste. Die Juden rechtfertigen sich gewöhnlich damit, sie seien im alten Regime über Gebühr zurückgesetzt worden, und es sei daher menschlich begreiflich, daß sie sich von einem politischen Umschwung vielfach eine Verbesserung ihrer Lage erhofften und sich daher der revolutionären Bewegung anschlossen, ja, sie zum Teil führten. In dieser Entschuldigung mischt sich Wahres mit Falschem. Es trifft zu, daß die jüdische Bevölkerung vom höheren Staatsdienst meist ausgeschlossen war. Dafür hatte sie als Gegenwert ihre starke Vertretung im Parlament, in der Presse, im Anwalts- und Ärztestand, in der Börse, in der Industrie, in Handel und Gewerbe. Viele Großbanken, Großreedereien (Ballin) und riesige Industriekonzerne (A. E. G.) lagen in jüdischen Händen. Auch in der Schwerindustrie, in der das Judentum äußerlich nicht in die Erscheinung trat, wurde die Finanzierung meist von Juden besorgt. Mit dieser Macht, die natürlich ihren Einfluß auf die Regierung geltend machen konnte und geltend gemacht hat, konnte der deutsch-jüdische Staatsbürger eigentlich recht zufrieden sein und brauchte keine zerrüttende Umwälzung zu fördern, um auch in die höheren Staatsstellen einzudringen, zumal die Abschließung doch nicht hermetisch war. Ebenso wie wir jüdische Offiziere hatten, haben auch Männer, wie Simson und Dernburg, hohe Staatsämter erreicht, und ihre Zahl hätte in dem bereits vor der Revolution eingeführten parlamentarischen System sicher erheblich zugenommen. Der Vorwurf, die Revolution trotzdem gefördert zu haben, bleibt also bestehen. Nur darf man auch hier das Judentum nicht als homogene Masse ansehen und in corpore verantwortlich machen. Leute wie Ballin oder Rathenau sind von der Revolution zweifellos ebenso unangenehm überrascht worden wie Nichtjuden. Von solchen Männern anzunehmen, sie hätten einen Umsturz gefördert, von dem sie ebenso schwer getroffen wurden wie der nichtjüdische Besitz, ist ein Unding. Der jüdische Radikalismus aber ist von diesen Gruppen, wie wir schon sahen, ebenso durch einen Abgrund getrennt wie der nichtjüdische. Was dazwischen steht, die teils jüdische Demokratie des »Berliner Tageblatts« und der »Frankfurter Zeitung«, die sich früher monarchisch gab und jetzt republikanischer ist als die Sozialdemokratie, hat der Revolution allerdings durch ihre zersetzende Wirkung, von der sie kein Gott freispricht, vorgearbeitet und sich von ihr Machtvorteile versprochen, die sie für den Augenblick tatsächlich erreicht hat, aber, wie wir schon sahen, mit der Preisgabe ihrer Lebensinteressen bezahlen mußte. Dies Geschäft war recht unklug und kurzsichtig; die Partei ist schon halb hereingefallen und wird bei den nächsten Wahlen ganz hereinfallen. Überdies wären viele ihrer Anhänger mit dem parlamentarischen System unter der Monarchie ganz zufrieden gewesen. Manche haben weder gehofft noch geglaubt, daß es »so weit kommen« würde; sie sind selbst vor den Geistern erschrocken, die sie gerufen haben. Ihre republikanische Gesinnung ist darum auch nicht immer so waschecht, wie die lautesten Schreier behaupten; mancher sehnt im stillen Kämmerlein das »fluchwürdige Regime der Hohenzollern« zurück, und an Angriffen gegen das jetzige Regierungssystem hat es seitens dieser »Regierungspartei«, wie wir schon sahen, wahrlich nicht gefehlt! Man wird sie, genau wie das Zentrum, als Opportunisten ansprechen dürfen, die ihr Mäntelchen nach dem Winde drehen und, je nach der Konjunktur und der Zweckmäßigkeit, Monarchisten oder Republikaner sind ...

Aus der Tatsache, daß an der letzten deutschen und russischen Revolution zahlreiche Juden beteiligt waren, hat man nun den Schluß gezogen, »die Juden« hätten die Revolution »gemacht«, und daraus ein Argument für den Antisemitismus gewonnen. Das ist indes eine starke Übertreibung und eines jener billigen Schlagworte, mit denen man sich über ein dunkles Problem hinweghilft. Es ist bis heute strittig, wieweit Revolutionen überhaupt »gemacht« werden und wieweit sie nur das Schlußglied in einer Entwicklungsreihe sind. Zweifellos geht keine Revolution oder Gegenrevolution automatisch vonstatten, denn sie wird von Menschen gemacht. Ist die Zeit reif, so wird bei den letzten Schritten künstlich nachgeholfen, die Geburt beschleunigt. In unserem Falle aber haben Herr Scheidemann und Prinz Max von Baden gewiß ebenso dazu beigetragen wie »die Juden«, und die Revolution hätte sich auch ohne deren Beihilfe vollzogen. An der englischen Revolution von 1642, den französischen von 1789 und 1830 waren gewiß keine Juden in irgendwie einflußreicher Rolle beteiligt. Trotzdem sind diese Revolutionen ausgebrochen und haben ihren gesetzmäßigen Verlauf genommen, von der gemäßigten zur radikalen Richtung, dann zur Diktatur und zur Restauration. Ich spreche deswegen zwar weder die Kryptorevolutionäre gewisser demokratischer Blätter, noch die sozialistischen oder bolschewistischen Juden von ihrer Mitschuld oder Führerschaft frei; denn wohin käme man, wenn man gerade hier jede menschliche Verantwortung aufhöbe? Aber ich habe bereits gezeigt und werde es noch eingehender beweisen, daß viele Juden dies Treiben ebenso verurteilen wie die »Arier«. Man lasse daher jene Behauptung fallen und öffne dem nichtrevolutionären Judentum die Tür. Dann werden sich die Geister reinlich scheiden und die Demokratie, wenn auch nicht der Radikalismus, werden manchen jüdischen Mitläufer verlieren.

Anders liegt die Frage, wieweit die Juden zur Vorbereitung der Revolution beigetragen haben, d. h. welchen geistigen Einfluß sie seit einer Reihe von Jahren auf das deutsche oder russische Volk im Sinne des Umsturzes ausgeübt haben. Auch hier pflegt der Antisemitismus alle Juden in einen Topf zu werfen und zu behaupten, sie seien die Hauptträger aller subversiven Tendenzen gewesen. Wieweit und aus welchen Gründen dies zutrifft, ist soeben von einem strengnationalen und christlichen Mann, Dr. Fritz Gerlich, in seinem tiefschürfenden Werke »Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich« München (Bruckmann), 1920, S. 227 f. kurz, aber treffend präzisiert worden. Es gibt wohl kaum eine vernichtendere Verurteilung der Marxistischen Irrlehre als dies Buch, das jedem national Denkenden aufs wärmste empfohlen sei. Diese Verurteilung ist um so vernichtender, als sie rein sachlich und ideengeschichtlich ist und sich turmhoch über allem Parteigezänk hält. Die wichtigsten Sätze daraus, die sich mit dem Verhältnis des Judentums zum Kommunismus befassen, möchte ich darum hier kurz wiedergeben:

 

»Manche unserer Zeitgenossen sehen allerdings die zerstörende Wirkung des Marxismus nicht als Folge des Systems, sondern als eine solche der Beteiligung der Juden an seiner Leitung an. So unhaltbar diese Ausfassung auch ist, wir müssen ihr hier doch ein paar Worte widmen, denn die Hetze gegen unsere jüdischen Mitbürger droht zu einer öffentlichen Gefahr zu werden und die Elemente der Zerreißung von Volk und Staat noch zu verstärken.

Es ist tatsächlich nicht zu bestreiten, daß in der marxistischen und überhaupt in der internationalistischen Bewegung das Judentum eine starke Vertretung durch leitende Persönlichkeiten gefunden hat. Sehen wir uns diese jüdischen Kreise einmal näher an. Die rein pathologischen und verbrecherischen Elemente scheiden dabei aus ... Für uns kommen nur die Marxisten aus Überlegung und Überzeugung in Frage. Hier zeigt sich nun, daß die Juden unter ihnen im religiösen Sinne zumeist keine Juden mehr sind Vgl. die folgende Erklärung des »Zentralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« gegen den Bolschewismus (S. 21).. Das gläubige Judentum bei uns und in Rußland ist in der Regel ein abgesagter Feind des Bolschewismus. Für die deutschen Juden, die ihren Glauben verloren haben, ist die Sachlage nun die, daß sie in der Lebensidee des deutschen Volkstums ihren Halt suchen. Das aber ist der philosophische Chiliasmus Chiliasmus ist die religiöse Lehre der Schwärmersekten vom Tausendjährigen Reich (daher der Titel des Buches). Der Verfasser widmet einen großen Teil seiner Untersuchungen dem philosophischen Chiliasmus in Deutschland, insbesondere der Entwicklungslehre Lessings und Herders, der Geschichtsphilosophie Kants, Fichtes und Hegels mit ihren »allgemein-menschlichen«, d. h. übernationalen oder einfach internationalen Tendenzen, die dem deutschen Volkscharakter – leider! – so entgegenkommen, ja nur aus ihm erklärbar sind und ihrerseits wieder verstärkend auf ihn einwirken. Der letzte – hoffentlich letzte! – und vielleicht krasseste Fall dieser Art war der »Fall Nietzsche«. Gerlichs Analyse ist von bahnbrechender Neuheit; die Historiker der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte werden künftig nicht an ihr vorübergehen können.. Und dessen letzter Vertreter ist wiederum der Marxismus. Das Judentum weist überall die Eigentümlichkeit auf, sich der stärksten geistigen Richtung jedes Volkstums anzuschließen, in dessen Mitte es lebt, vorausgesetzt, daß ihm Anteil am Gemeinschaftsleben gewährt wird. Unter Völkern mit stark entwickeltem Nationalismus ist der Jude deshalb auch nationalistisch gerichtet, wie die Verhältnisse in England, Frankreich, Italien zeigen. Das stark nationalistische Rußland aber bestätigt als Ausnahme nur die Regel, denn dort war der Jude vom Gemeinschaftsleben ausgeschlossen. In Deutschland aber ist die die Volksmassen bestimmende Lebensidee nicht der Nationalismus, sondern der internationalistisch gerichtete philosophische Chiliasmus. Ich vermag es daher nur als natürlich anzusehen, daß im deutschen Judentum – auch im nichtmarxistisch gesinnten – sich eine so starke Neigung zum Internationalismus zeigt. Sie ist Anpassung an die stärkste Dominante des Milieus ...

Unter nationalistisch gesinnten Völkern leitet die Anziehungskraft des geistigen Milieus auch die Ostjuden vielfach ... der eigenen völkischen Lebensidee zu. In Deutschland aber unterstützt dies geistige Milieu, z. B. das Schrifttum unserer Klassiker, vielfach den Übergang zum philosophischen Chiliasmus, zumal die Juden sich so stark mit Literatur beschäftigen.

Der Gedanke des Marxismus, die Freiheit und Gleichheit aller Menschen durch Umsturz aller bestehenden Verhältnisse herbeizuführen, so daß alle Menschen gleichgeachtete Brüder sind, besitzt aber für das Judentum auch noch aus einem anderen Grunde starke Anziehungskraft. Das östliche Judentum lebte unter den drückendsten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen im Ghetto ... Die gläubigen Juden fanden demgegenüber in ihrer Religion Trost und Stütze. Wie aber steht es um die nicht mehr Glaubenden unter den Ostjuden? Muß nicht auf sie eine Lehre bezaubernd wirken, die ihnen Erlösung von dieser Verfolgung, Verachtung und Rechtlosigkeit in Aussicht stellt? ... Die alte Messiashoffnung des religiösen Judentums mag wohl auch noch bei ihrem Übergang zur marxistischen Erlösungsreligion nachwirken. Und das deutsche Judentum lebt doch auch noch in einer Art Ghetto. Es ist allerdings kein tatsächliches und rechtliches mehr, wohl aber ein moralisches, das auf den kultivierten Westjuden wohl nicht weniger drückt und auch in ihm eine Erlösungssehnsucht wach erhält ... Deshalb scheint es mir nicht nötig, nach unlauteren Motiven für die Beteiligung so vieler Juden an der marxistisch-kommunistischen Bewegung zu suchen.«

 

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt der wertvolle Aufsatz »Der Anteil der Juden am Bolschewismus« von Elias Hurwicz in der rechtsstehenden »Deutschen Rundschau« vom Dezember 1919. Er zitiert u. a. ein Wort Trotzkis an den jüdischen Kadettenführer Winaver, der ihm Vorhaltungen im Interesse der russischen Juden machte. Trotzki antwortete: »Gehen Sie zu Ihren Juden und sagen Sie ihnen, daß ich kein Jude bin und mit Juden nichts zu tun habe.« In den Blättern der Rechten finden sich zwar neuerdings Listen der bolschewistischen Führer mit jüdischen Namen, sogar eine jüdische Selbstreklame auf Grund dieser Tatsache: die Folgerungen daraus kann man sich denken. In anderen Blättern aber liest man von furchtbaren Judenverfolgungen, Austreibungen und Pogromen, denen namentlich wohlhabende russische Juden und Zionisten (also jüdische Nationalisten) zum Opfer fallen. Und zwar beteiligen sich daran nicht nur Denikinsche Kosaken, die für den Anteil von Juden am Bolschewismus hierdurch Vergeltung üben, sondern auch die von Juden regierten Bolschewisten. Bestände die vielgerühmte »jüdische Solidarität«, so wäre dies füglich unmöglich. Die Tatsache aber zeigt wiederum, daß die bolschewistischen Juden, um mit Trotzki zu reden, keine Juden mehr sind, sondern im allrussischen Bolschewismus aufgegangen sind und daher gegen ihre eigenen Stammesgenossen wüten oder doch diesem Wüten keinen Einhalt tun.

Aus dem Obigen ergibt sich, daß man die Beteiligung eines Bruchteils der jüdischen Bevölkerung am Kommunismus nicht dadurch bekämpft, daß man »die Juden« als solche dafür verantwortlich macht und gegen sie hetzt, sondern daß man die Irrlehre des Marxismus bekämpft und den eigenen völkischen Nationalismus stärkt, zugleich aber mit der moralischen Ghettostellung der Juden aufräumt und ihnen Gelegenheit gibt, sich – wie in den Ententeländern – national zu betätigen. Starker Nationalismus ohne antisemitischen Einschlag – das ist des Rätsels Lösung und auch die Tendenz dieser Schrift. Was dagegen der Antisemitismus am Judentum bekämpft, ist großenteils das Werk seiner eigenen Hände.

Einen schlagenden Beweis für die obigen Darlegungen liefert ein Brief des »Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens«, der am 22. November 1919 im »Bund«, dem Organ des »Bürgerrats Groß-Berlin«, erschien, aber in der Tagespresse fast durchweg totgeschwiegen wurde. Er sei darum hier wiedergegeben:

 

»Auf Ihre gefl. Anfrage beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß der Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der mehr als 200 000 deutsche Juden vertritt In Deutschland leben etwa 615 000 konfessionelle Juden jedes Alters und Geschlechts., grundsätzlich auf dem Standpunkt steht, daß seine Mitglieder national-deutsch orientiert sind.

In den über 25 Jahren seines Bestehens hat der Zentralverein im besten Sinne des Wortes nationale Politik getrieben, indem er entsprechend der Vorschrift des § 1 seiner Satzungen seine Mitglieder in der unbeirrten Pflege deutscher Gesinnung bestärkte.

Ein ausdrückliches Abrücken von dem Bolschewismus erscheint ihm ebenso unwürdig, als wenn man vom Volksverein für das katholische Deutschland oder vom evangelischen Bund ein Abrücken von dieser Bewegung verlangen würde. Der Zentralverein hat oft genug erklärt, daß sich die jüdischen Deutschen jede Vermengung mit bolschewistischen Elementen verbitten, gleichwohl ob sie Juden oder Nichtjuden sind.

Die jüdische Lehre verwirft staatsfeindliche Bestrebungen auf das schärfste. Das jüdische Leben hat einen eher konservativen als umstürzlerischen Aufbau, wie jeder weiß, der nur den geringsten Einblick in jüdische Familien gehabt hat.

Wenn im letzten Jahre eine Anzahl russischer und deutscher Juden ( größtenteils überspannte Literaten) sich in der Bewegung hervorgetan haben, so kann das Judentum um so weniger dafür, als die betreffenden Herren meist längst aus dem Judentum ausgetreten sind.

(gez.) Dr. Holländer.«

 

Man kann noch weitergehen und sagen, daß ein solcher Verein nicht nur den Bolschewismus, sondern auch die Haltung gewisser demokratischer Zeitungen wie des »Berliner Tageblatts« verurteilt, die für Außenstehende als typische »Judenblätter« erscheinen, es in Wahrheit aber weder ihrer Tendenz noch ihren Mitarbeitern nach sind. Sieht man nämlich genauer zu, so findet man, daß die Michaelis, Vorst, Dombrowski, Gaedke, Persius u. a. Mitarbeiter des »Berliner Tageblatts« keine Juden sind, geschweige denn die Moraht, v. Ardenne, Graf Monts und Montgelas, Fürst Lichnowsky usw., während in anderen, vorwiegend von Juden geleiteten demokratischen Zeitungen eine weit nationalere Haltung Der Wahrheit zu Ehren ist indes zu betonen, daß auch das »Berliner Tageblatt« und verwandte Organe gegen die Unterzeichnung des Versailler Schmachfriedens und die Auslieferung Deutscher an die Entente energisch Front gemacht haben, und daß die diesen Blättern nahestehenden Minister zurückgetreten sind, well sie diesen Frieden nicht unterzeichnen wollten. und ein anständiger sachlicher Ton zu beobachten sind. »Die Juden« für eine Anzahl jüdischer Schädlinge verantwortlich zu machen, die von ihren Stammesgenossen selbst abgeschüttelt werden, wäre also ebenso ungerecht, als wollte man den deutschen Adel für ein paar schwarze Schafe verantwortlich machen, deren Sünden meist in demokratischen Blättern mit epischer Breite erzählt werden. Wie die Adligen sich in diesem Falle das Geschrei verbitten: »Natürlich wieder ein Adliger!«, kann sich auch der deutsch denkende Jude verbitten, daß ihm aus dem »Berliner Tageblatt« und ähnlichen Erscheinungen ein Strick gedreht wird.

Alles in allem ist das deutsche Judentum also kein politisch organisierter »Staat im Staate« wie das Zentrum, sondern seine Mehrheit ist nur in einer großen, religiös betonten Organisation zusammengeschlossen. Im übrigen ist es das getreue Spiegelbild unseres stark zerklüfteten deutschen Volkes. Es ist daher ein schwerer Fehler, wenn die D. N. V. P. die Juden, die durch Anschauung oder wirtschaftliche Umstände zu ihr gehören, de facto ausschließt und ins gegnerische Lager treibt, d. h. die Position ihrer Gegner stärkt und die eigene schwächt.

Politik wird mit dem Kopfe und nicht mit Gefühlen gemacht. Leider aber schwören wir seit Bethmann Hollweg die »Sentimentalitäten« immer wieder ab und handeln doch nach ihnen. Bismarck begann 1848 als stramm antisemitischer Junker; als gereifter Staatsmann lehnte er den Antisemitismus ab. Das macht: er war Realpolitiker. Man wende mir nicht ein, die Zahl der nach rechts orientierten Juden sei verschwindend gering. Das ist einfach nicht wahr! Wir haben sehr viele »Novembersozialisten« gehabt, aber auch zahlreiche Novemberkonservative, und ihre Zahl ist beständig im Wachsen. Der Vorgang vollzieht sich rein gesetzmäßig, »mechanisch«. Bekommt ein ganzes Volk das Übergewicht nach links, so hängen sich einsichtige Leute als Gegengewicht nach rechts. Wer durch die Revolution die Früchte seiner Arbeit vernichtet sieht, wird notgedrungen »Reaktionär«, wie das schöne Schimpfwort lautet. Wer die Kette von Torheiten und falschen Maßregeln sieht, aus der das jetzige Regime besteht, der geht, auch wenn er nichts zu verlieren und zu gewinnen hat, in die Opposition, weil er sich von der Gegenpartei eine bessere Zukunft für Deutschland verspricht. Überdies gibt es auch unter den Juden Leute genug, denen die Revolution nicht erst die Augen zu öffnen brauchte, da sie schon vor ihr rechts orientiert waren, aber bei den Parteien der Rechten verschlossene Türen fanden. Wo man sie schon früher hereinließ, ist man gut damit gefahren. Hat die konservative Partei denn ganz vergessen, daß der Jude Stahl zum Theoretiker ihrer Weltanschauung wurde – zur selben Zeit, als der Jude Karl Marx sein großzügiges Zerstörungswerk begann? Und war Eduard v. Simson, der zweimal, 1849 und 1871, die deutsche Kaiserkrone im Koffer trug, etwa kein national denkender Mann?

Er war freilich nicht konservativ, aber Nationaldenkende sind doch auch in anderen Parteien zu finden als in der konservativen oder der D. N. V. P., ebenso wie man Antisemiten nicht nur bei diesen Parteien findet. Ein Bekannter von mir, Bismarckverehrer und Antisemit (obwohl Bismarck selbst, wie gesagt, kein Antisemit war), schenkte mir einmal das Bismarckbuch von Emil Ludwig. Er war sehr gekränkt, als ich ihm sagte, der Verfasser sei Korrespondent demokratischer Zeitungen und hieße eigentlich Cohn. Wäre er nicht in seinen »Prinzipien« verrannt gewesen, er hätte sich über den national denkenden Juden freuen, ihn als Gesinnungsgenossen begrüßen müssen! Einer, der die schärfsten Worte des Hasses gegen England gefunden hat, der Dichter des bekannten »Haßgesanges«, ist ein österreichischer Jude Lissauer. Derselbe hat eine schwungvolle Gedichtsammlung über die deutschen Freiheitskriege veröffentlicht. Der österreichische Jude hat also deutsche Kriegspoesie gedichtet, genau wie der italienische Jude d'Annunzio-Rappaport italienische Haßgesänge gedichtet hat! Und ich glaube, es war sogar viel ehrlicher gemeint, denn d'Annunzios Patriotismus hat einen starken metallischen Beigeschmack, wie in Italien jedes Kind weiß. Trotzdem hat man diesen Mann in Italien zur Aufstachelung der nationalen Leidenschaften wirksam benutzt. Und sein Verhalten in der Fiumefrage kann auch dem Gegner imponieren. Wollte Gott, wir hätten für Danzig unseren d'Annunzio gehabt! Man hat aber nichts davon gehört, daß man z. B. Herrn Lissauer eine großzügige nationale Propaganda anvertraut hätte. Unsere Auslandspropaganda im Kriege überließ man – Herrn Erzberger, und sie war danach! Die Engländer waren klüger: sie nahmen sich den jüdischen Zeitungskönig Northcliffe und machten ihn sogar zum Lord. Diese Lordschaft hat sich bezahlt gemacht!

Es wird auf der Welt stets zwei Sorten von Menschen geben: solche, die etwas aus Überzeugung tun, und solche, die ihren Vorteil dabei suchen. Eine Regierung oder eine Partei, die sich ihrerseits auf ihren Vorteil versteht, bedient sich beider und behandelt jeden seiner Art gemäß. Versteht sie sich aber nicht darauf, so läßt sie sich die einen entgehen und stößt die anderen vor den Kopf. So machte es unsere alte Regierung oft, so macht es leider auch die neue Rechtspartei mit den Juden. Den aus Gesinnung Rechtsstehenden hätte sie die Türen weit öffnen müssen; dazu freilich mußte sie den Antisemitismus preisgeben. Den anderen hätte sie Vorteile bieten müssen. Es ist mir stets unbegreiflich erschienen, daß die Konservativen einen Maximilian Harden, einst den Mann Bismarcks, ja fast den einzigen, der nach seinem Sturze keck sein Panier ergriff, dauernd als Isidor Wittkowski anpöbelten, statt ihn ganz zu sich herüberzuziehen. Einen so ehrgeizigen, geschickten und unterrichteten Mann durfte man nicht in die Opposition treiben. Bismarck selbst ist der beste Beweis dafür, wie man die Menschen brauchen soll: er hat mit Harden jene berühmte Flasche Steinberger Kabinett getrunken! Selbst die spätere Schwenkung Hardens zum Sozialismus entsprach ganz der Tendenz Stöckers, dem so etwas wie eine evangelische Arbeiterbewegung, ein Gegenstück zur Zentrumspolitik, vorschwebte. Auch hier war also der Boden der Verständigung gegeben. Statt dessen stieß man ihn so lange vor den Kopf, bis er sich für die Neigungen des Fürsten Eulenburg zu interessieren begann und damit dem Regime Wilhelms II. einen der tödlichsten Stöße versetzte. Ich gehe noch weiter: niemand hat die »Annoncenplantage« des Herrn Mosse und seinen ganzen Freisinn blutiger und wirksamer verhöhnt als der einstige Mosseschüler Harden. Ein solcher Mann wäre, rechtzeitig gewonnen, der beste Vorkämpfer gegen die Tendenzen des »Berliner Tageblatts« geworden. Jetzt ist er glücklich bei den Unabhängigen gelandet!

Man möge an diesem Beispiel herumdeuteln wie man will. Ich gebe es nur als Beispiel. Ich will damit nur sagen: die besten Bekämpfer des Judentums, das jeder national fühlende Mann haßt, werden – die Juden selbst sein. Sie kennen ihresgleichen und deren Tricks und wissen mit gleicher Münze herauszugeben. Erst im letzten Sommer hat Herr Bernhard von der »Vossischen Zeitung« alle Register des Antisemitismus gegen das »Berliner Tageblatt« aufgezogen, natürlich ohne ein Wort von Judentum fallen zu lassen. Würde die D. N. V. P. das Schlagwort des Antisemitismus preisgeben und den Juden, die zu ihr kommen wollen, gastlich die Tür öffnen, sie fände in ihnen wertvolle Bundesgenossen. Die Menge würde vielleicht nicht so groß sein, dafür aber würde sie die Intelligenzen und die wirtschaftlich Einflußreichsten gewinnen – Qualität statt Quantität! Statt des falschen Schlagwortes »Antisemitismus« aber hätte die Parole dann zu lauten: »Gegen alle Schädlinge des Deutschtums!« Diese Schädlinge sitzen nämlich nicht nur unter den Juden, sondern in der kranken Masse unseres ganzen Volkes.

»Aber«, werden die Antisemiten einwenden, »dieser ›Fremdkörper‹ ist uns unwillkommen, selbst wenn wir politische Vorteile davon hätten. Die Juden sind uns wesensfremd: 1. dem Glauben, 2. der Kultur, 3. dem Empfinden und 4. der Rasse nach. Wenn sie sich erst mal politisch in den Rechtsparteien eingenistet haben, die ihnen bisher verschlossen waren, gibt es keinen Damm mehr gegen sie, und sie werden unser Volk ganz zerstören. Sie sind überhaupt nur zerstörend, nicht aufbauend, reproduktiv, nicht produktiv, Zwischenhändler, nicht Werteschaffer.« Solche Meinungen, die wieder Wahres und Falsches durcheinandermischen, das Erzeugnis unklaren Denkens und ungenügender Kenntnisse, sind in national denkenden Kreisen sehr verbreitet. Ihre Entwirrung und teilweise Widerlegung erfordert darum ein gründliches Eingehen auf das jüdische Problem; denn bisher haben wir uns nur bei der Dialektik, den Vordergründen, den Augenblicksfragen aufgehalten. Werfen wir daher einen Blick auf die jüdische Vergangenheit, so wird uns manches klarer werden.

Palästina, die Heimat der Juden, liegt als Bindeglied zwischen Ägypten und dem Zweistromland, den beiden damaligen Mittelpunkten der Kultur und der Weltmacht. In dieser Lage mit ihrem Klima und in seiner Abstammung ist das Schicksal und die Eigenart des jüdischen Volkes beschlossen. Vor aller geschichtlichen Entwicklung und sie bedingend steht die Geographie. »Jeder Engländer ist eine Insel«, sagt Novalis. Wer die deutsche Geschichte und Kultur im geringsten verstehen will, muß sich vergegenwärtigen, daß Deutschland im Herzen Europas ohne natürliche Grenzen zwischen dem halbasiatischen Russentum und den Völkern liegt, die auf dem Boden des römischen Weltreiches entstanden. Solche Zusammenhänge sind seit Taines Milieutheorie bekannt, aber sie werden praktisch nie genügend gewürdigt. So liegt auch in Palästina der Schlüssel für das Volk Israel. Stammverwandt mit den Semiten des Zweistromlandes und selbst aus Südbabylonien stammend, dann von der hamitischen ägyptischen Kultur beeinflußt, von den Ägyptern, wie später von den Babyloniern, unterjocht, aber wieder freigegeben und sich das »Land der Verheißung« mit Feuer und Schwert erobernd, gelangte das jüdische Volk aus dem Nomadenleben und aus fremder Dienstbarkeit zu kurzer politischer und kultureller Blüte, um sich bald darauf politisch zu spalten, die zehn Stämme des Nordreichs unwiederbringlich an die Assyrer zu verlieren und fortan zum ohnmächtigen Kleinstaat und zum Spielball übermächtiger Nachbarn herabzusinken, bis schließlich die Römer diesem Winkelstaat ein schreckliches Ende bereiteten. Zwischen jenen Großstaaten eingekeilt, wie ein Korn zwischen zwei Mühlsteinen, und doch nie ganz von ihnen zermalmt, fremder Art sich störrisch fügend, aber sich selbst treu bleibend, politisch unbegabt, aber trotzdem als Volk nie ganz untergegangen und durch seine geographische Lage zur Vermittlung zwischen zwei mächtigen Wirtschaftszentren bestimmt, hat das jüdische Volk sich zum Handels- und Vermittlervolke par excellence entwickelt, und dieser Rolle ist es seither treu geblieben, ja sie allein bot die Möglichkeit, nach der politischen Vernichtung als Volk weiterzubestehen. In neuerer Zeit wurde dieser Hang noch dadurch verstärkt, daß die Gesetzgebung der Länder, in denen die Juden als »Gastvolk« lebten, sie vom Landbesitz ausschloß, in Rußland bis auf die jüngste Gegenwart. So kommt es, daß der Jude, auch wo er heute Ackerbau treiben könnte, meist den Handelsstand vorzieht.

Aber in der geographischen Bedingtheit erschöpft sich der jüdische Volkscharakter nicht. Gerade der Vergleich mit den nördlichen Nachbarn der Juden, den Phöniziern, macht den Unterschied klar. Auch sie waren ein semitisches Handelsvolk, sogar von viel älterer Kultur. Als die Juden die Vermittlerrolle zwischen Ägypten und dem Zweistromland übernahmen, hatten ihre Nachbarn von Tyrus und Sidon längst die Vermittlung zwischen den orientalischen Kulturen und den Ländern um das Mittelmeerbecken mit weit größerer, einseitigerer Intensität übernommen. Ihre kühnen Seefahrer schoben ihre Kolonien über die Inseln des Mittelmeeres bis an die Küsten Nordafrikas und Spaniens vor; sie drangen sogar über die Säulen des Herkules hinaus bis zu den Zinninseln Britanniens. Blieben also die Juden auf den Binnenhandel beschränkt, so wurden die Phönizier ein Kolonisten- und Seefahrervolk par excellence, wie die heutigen Engländer. Ihre Kultur aber war fast rein rezeptiv und reproduktiv. Schon die ältesten phönizischen Metallarbeiten zeigen einen hethitisch-assyrischen Mischstil, das Kennzeichen ihrer künstlerischen Unproduktivität. Auch die Funde in Karthago haben gezeigt, daß sein Stil kein Eigengewächs, sondern ein Gemisch ägyptischen und hellenischen Stils war. Die produktiven Leistungen der Phönizier waren rein technischer Art. Ihre Gabe an das Abendland war die Erfindung der Buchstabenschrift und des Glasblasens, wie später das semitische Arabertum uns die arabischen Zahlen und das Erbe der antiken Technik übermachte. Mit der Zerstörung von Tyrus durch Alexander den Großen und dem Emporblühen Alexandrias geriet der phönizische Handel in Verfall. Durch die Zerstörung Karthagos wurde ihre mächtigste Kolonie, das frische Reis am alten Stamme, vernichtet, und sie verschwanden als Volk aus der Geschichte.

Wie ganz anders die Juden! Kulturell jünger und daher von Tyrus und Sidon abhängig (dessen Erzbildner noch die Metallarbeiten am Tempel Salomos ausführten), zeigen sich die Juden doch schon unter Salomo, kaum im Vollbesitz Palästinas, auf gleicher Höhe wie die hohen Kulturen, zwischen denen sie lebten. Die Eroberer fanden freilich schon altes Kulturland vor, wie später die Araber. Durch Aufschließung des Staatsarchivs von Tell-el-Amarna S. Lindl, »Cyrus«, München, 1903, S. 31 ff., das den politischen Schriftverkehr der Pharaonen Amenophis III. und IV. 1427 bis 1392 und 1392 bis 1374 v. Chr. enthält, kennen wir eine Reihe von Städtenamen, die bis vor kurzem als rein israelitisch betrachtet wurden, aber schon vor der Eroberung Palästinas durch die Juden (nach 1400 v. Chr.) bestanden. Von allgemein bekannten, teils phönizischen Orten, wie Beirut, Sidon, Akko, Gezer und Gaza abgesehen, ist hier besonders das Vorhandensein von Uru-Salim (Jerusalem) von Belang. Der dortige ägyptische Statthalter richtet sogar flehentliche Briefe an den Pharao (Amenophis IV.), ihm Hilfe gegen den Ansturm der Hebräer zu senden. »Es schicke der König Soldaten, oder der König besitzt kein Gebiet mehr. Die Chabiri verwüsten alles Gebiet des Königs.« Es ist die älteste Erwähnung des Hebräernamens in einer Geschichtsurkunde. Die Juden hatten damals bereits ihren siegreichen Einmarsch in Palästina begonnen und breiteten sich im Lande aus. Diese kostbaren Funde, im Verein mit der Bibel und der Überlieferung des Flavius Josephus, beweisen wieder einmal, genau wie die Ausgrabungen in Babylon, die große geschichtliche Zuverlässigkeit und chronologische Genauigkeit des alten Testaments. Auch über die zur Zeit Ramses' II. 1327 bis 1258. aus Kreta eingefallenen Philister, von denen der Name Palästina stammt, belehren uns ägyptische Quellen in Übereinstimmung mit der Bibel. Wie wahrheitsgetreu deren Schilderungen sind, zeigt sich z. B. an dem Zweikampf zwischen Goliath und David. Dieser Goliath, der die Juden herausfordert, benimmt sich genau wie ein homerischer Held! David erlegte nicht nur den Goliath, sondern unterwarf auch das ganze Land der Philister, und dank seiner kriegerischen Tüchtigkeit konnte sein Sohn Salomo sich den Aufgaben der Kultur widmen. Der Bau seines Tempels, seines Palastes und der Festung Millo sind aus der Bibel bekannt. Die Ausgrabungen in Palästina haben aber gezeigt, daß er auch eine großartige Wasserleitung anlegte, mit Stauteichen und Quellhäusern in den Bergen, die über Berg und Tal (also das Gesetz des Wasserdrucks kennend) nach Jerusalem herabführte. Sie ist neuerdings wiederhergestellt – die älteste aller noch bestehenden Wasserleitungen S. Neuburger, »Technik des Altertums«, Leipzig 1919, S. 417 ff.. Technisch ebenso belangreich ist die Tatsache, daß der Salomonische Tempel – nach ägyptischen Vorbildern – Blitzableiter besaß, was bei einem Holzbau doppelt nötig war. Die »Spieße« auf dem Tempeldach waren durch Ketten verbunden und standen ihrerseits in Verbindung mit den zwei hohen ehernen Säulen und ihren lilienartigen Aufsätzen (»Knäufen«); die Erdleitung erfolgte durch Wasserbecken S. Neuburger, »Technik des Altertums«, Leipzig 1919, S. 351 f., nach I. Kön. 7; 13, 17 u. II. Chron. 3; 15, 17..

Über den Glanz und die Pracht des damaligen Jerusalem gibt die Bibel Aufschluß. Was aber dem modernen Menschen nicht minder als Kulturmaßstab erscheint, ist der Umstand, daß die Stadt schon vor Davids Zeit eine sehr ausgebildete Kanalisation besaß. Man leitete sogar das gebrauchte Wasser und den Unrat der Kloaken getrennt ab, um das Eindringen übler Düfte in die Wohnräume und besonders in das Heiligtum des Tempels zu verhüten – ein selbst im Altertum seltenes Zeugnis für Reinlichkeitssinn. Ja, die Abwässer wurden sodann in Klärteiche geleitet und die Sinkstoffe zur Düngung der Felder benutzt, eine moderne Rieselfeldanlage vor 3000 Jahren! Ebd., S. 442 f. Welch ein Gegensatz zwischen jenem Jerusalem und dem Schmutz und Elend östlicher Judenstädte, die wir im letzten Kriege am eigenen Leibe erfahren haben! Der gleiche Gegensatz wie zwischen dem wilden Heroismus und Nationalismus jener alten Zeiten und der sprichwörtlichen (wenn auch keineswegs immer zutreffenden) Ängstlichkeit, dem Pazifismus und Internationalismus eines alten, durch jahrtausendelange Unterdrückung geschwächten Volkes!

Allein mit dieser materiellen Kultur, die wir heute richtiger als Zivilisation bezeichnen, erschöpfte sich die jüdische Kultur nicht, wie etwa die benachbarte phönizische. Die Juden besaßen auch eine hohe religiös-sittliche Kultur. Sie sind die Schöpfer eines Buches, wie es in der Weltgeschichte nur einmal vorkommt – des Alten Testaments. Welche Literatur hätte etwas Vergleichbares mit diesem Buch eines ganzen Volkes, das Kosmogonie mit blutiger Helden- und Staatsgeschichte, hohe monotheistische Gottesbegriffe und Sittenlehren mit gewaltigen Bußpredigten und erhabenen Psalmendichtungen, weltschmerzliche schopenhauerische Philosophie mit glühenden Liebesliedern vereint! Mag die Bibel- und Babelforschung mit vollem Recht die Parallelen zwischen altjüdischer und stammesverwandter babylonischer Gottes- und Sittenauffassung herausstreichen, ja die Schöpfungs- und Sintflutsage als babylonische Entlehnungen nachweisen: die kulturbildende Macht dieses einzigen Buches bleibt doch unangefochten! Noch mehr aber der jüdische Gottesbegriff. Der Monotheismus ist zwar kein jüdisches Privileg, wie Halbgebildete meinen. Er hat sich in Ägypten zur Zeit des Ketzerkönigs Amenophis IV., in Indien und in der antiken Welt aus der philosophischen Spekulation entwickelt, aber nirgends vermochte er den Polytheismus der Volksreligionen zu verdrängen. Nur im jüdischen Volke hat er sich in stetem Ringen mit der Umwelt und trotz aller Rückfälle in den »Götzendienst« als Volksreligion durchgesetzt, sich als rein geistiger bildloser Kult inmitten der heidnischen Sinnenwelt behauptet (wie später der semitische Islam und der bilderfeindliche Kalvinismus sich gegen die Bilderverehrung ihrer Umwelt durchsetzten). Auch dieser Fall ist einzig in der Geschichte. Er erklärt, wie dies unterdrückte Winkelvolk sich selbst dann noch behauptete, als es politisch vernichtet war. Als »auserwähltes Volk« Gottes, mit einem geistigen Hochmut und Starrsinn sondergleichen, hat es die größten und festgegründetsten Kulturen überdauert und sich von uralten Zeiten her bis auf diesen Tag behauptet. Und es scheint noch nicht zum Untergange bestimmt. Es bietet das in der Geschichte unerhörte Beispiel, daß ein Volk in alle Winde zerstreut, jeder politischen Gestaltung bar, unterdrückt und geknechtet, sich in der Fremde erhalten hat, ohne unterzugehen oder aufgesogen zu werden. Im Gegenteil: es hat in dieser Zerstreuung seine Rassenmerkmale eher verschärft und eine Dauer bewiesen, die keine noch so festgefügte politische Organisation verbürgt hätte. Die Erziehung zum Handelsvolk war die wirtschaftliche Unterlage dieser Dauerhaftigkeit, aber sie allein hätte nicht genügt, wie das Beispiel der Phönizier zeigt. Erst das geistig-religiöse Band machte sie zum Ereignis. Ja selbst in der neueren Zeit, als sich dies Band lockerte und teilweise zerriß, als zahlreiche Juden einen anderen Glauben annahmen oder dem modernen Götzendienst des Goldenen Kalbes verfielen, wirkte die einigende Kraft dieses Glaubens nach, eben weil er ein Volksglaube, der Ausdruck eines Rassenbewußtseins war.

Sind die Griechen und Italiener das künstlerische, die Römer und Engländer das politische, die Deutschen das musikalische und wissenschaftliche Genie unter den Völkern – alles cum grano salis verstanden –, so sind die Juden zweifellos das religiöse und moralische Genie der Weltgeschichte. Gewiß ist das Christentum über die jüdische Gottes- und Sittenauffassung weit hinausgelangt, indem es aus einer harten Diesseitsreligion einen mystischen Jenseitsglauben machte und starke Elemente der abendländischen Philosophie aufnahm, vor allem aber, indem es den Glauben eines »auserwählten Volkes« zum Glauben aller Völker erweiterte und damit das letzte und stärkste jüdische Band zerriß, neben den jüdischen Rasse- und Handelsinternationalismus den Internationalismus des Glaubens stellte. Aber selbst diese Weltreligion konnte nur auf dem Boden der jüdischen Volksreligion erwachsen. Man hat darüber gestritten, ob Christus ein »Arier« gewesen oder von indischer oder platonischer Philosophie beeinflußt worden sei: so schroff schien der Gegensatz zwischen jener selbstgenügsamen und hochmütigen Volksreligion, jener Religion des Hasses gegen Andersgläubige und der Religion der Liebe, die alle Menschen erlösen will. Hier schien keine neue Entwicklungsstufe erreicht, sondern etwas Wesensverschiedenes entstanden. Und doch konnte, nach Nietzsches Wort, die Blüte der Liebe nur aus dem Baume des Hasses wachsen, die Religion der Völker nur aus einer Volksreligion, die christliche Dreieinigkeit nur aus dem jüdischen Monotheismus, selbst das Papsttum als höchste Gewalt nur aus dem souveränen Hohepriestertum entstehen.

Ja gerade der Internationalismus des Christentums ist jüdisches Erbteil. Der Jude Paulus begriff es aus seinem Rasseninstinkt zuerst, daß die Lehren der neuen jüdischen Sekte sich mit der antiken Philosophie und dem römischen Weltmachtsgedanken verschwistern ließen, um der Welt einen neuen religiösen Inhalt zu geben. Aus dem Zusammenbruch der Vielgötterei des römischen Weltreichs, in dem sich alle möglichen Religionen ein Stelldichein gaben, erhob sich ein neues Gottesreich, das auf Leben und Tod mit dem Römerreich kämpfte und schließlich den römischen Weltmachtsgedanken unterwarf. So erfüllte sich der alte Traum des Judentums, daß alle Völker einst Jehova gehorchen würden, aber nicht im jüdisch-völkischen, sondern im allgemein-menschlichen Sinne. Der Streit aber, ob Christus ein »Arier« gewesen oder von östlicher oder westlicher Philosophie berührt worden wäre, wird damit zur gelehrten Spielerei mit oft durchsichtiger Tendenz.

Die Entwicklung vom Judentum zum Christentum hat vielmehr ihre Parallele in der indischen Religionsentwicklung vom Brahmanismus zum Buddhismus. Der dialektische Gegensatz der These und Antithese, der ein geistiges Entwicklungsgesetz ist, wirkte sich auch hier aus; die Antithese aber ist, als Gegenschlag, stets von der These abhängig. Der innere Zusammenhang beider Religionen ergibt sich schon aus der Grundtatsache, daß das Auftreten Christi die vielhundertjährige jüdische Messiasidee zur Voraussetzung hat. Vor allem aber begriffen diesen Zusammenhang die Christen selbst, indem sie das Alte und Neue Testament zu ihrer Bibel vereinigten und in beiden die Grundlage ihres Glaubens sahen. Die Juden aber sagten, die Christen hätten ihnen ihren Gott gestohlen.

Vollends, wenn man die Nachtseiten der Religion, nicht ihre reine Lehre, sondern ihre menschlich-allzumenschliche Übung betrachtet, sind Judentum und Christentum untrennbar verbunden. Ich meine: durch die Unduldsamkeit und den Fanatismus. Unter den arischen Religionen ist dergleichen höchstens bei den Persern zu finden, die unter Kambyses und Xerxes gegen die griechische und ägyptische Religion und deren Kultgebäude wüteten. Aber die Perser mögen von ihrer semitischen Umwelt abgefärbt haben. Kein anderes arisches Volk hat das andere um seiner Religion willen bekriegt und ausgerottet. Auch die Römer ließen den unterworfenen Völkern ihren Glauben. Die Christenverfolgungen sprechen nicht dagegen: sie waren lediglich eine Abwehr der Kampfansage des Christentums, das die heidnischen Religionen, ja die ganze antike Kultur verneinte. Der Fanatismus ist also ein semitisches Gewächs.

Wie die alten Juden die »falschen Götter« der von ihnen unterworfenen Völker ausrotteten, wie sie den Heiland aus religiösem Eifer in den Tod trieben, wie Paulus, als er noch Saulus hieß, die neue Sekte verfolgte, so hat auch das Christentum, als es zur Macht kam, die heidnischen Religionen, ja die ganze antike Kultur mit wahrhaft bolschewistischer Zerstörungswut ausgerottet. Dieser wilde Haß bricht schon aus der Apokalypse hervor, die nichts als eine mystische Brandrede gegen das kaiserliche Rom ist. Ebenso hat der semitische Islam die fremden Religionen verfolgt, haben später die Mönche und Priester unter Ludwig dem Frommen gegen unsere germanische Vorzeit gewütet, haben die christlichen Völker ihre Kreuzzüge mit dem Ruf: »Gott will es!« unternommen, haben die mohammedanischen Türken gegen die »Ungläubigen« gewütet, hat die Kirche unter furchtbaren Greueln die Reformation unterdrückt. Und selbst diese ist nicht frei von Fanatismus gewesen. Die Kalvinisten und Lutheraner verfolgten sich gegenseitig so wild, wie die Kirche sie. Auch an Calvin klebt das Blut Servets, an den Lutheranern das Blut des Kanzlers Krell. Und alle sich gegenseitig bekämpfenden Bekenntnisse waren sich einig in der Ausrottung der Atheisten; alle haben, nach Mosis' Vorschrift, die Zauberer und Hexen zu Hunderttausenden verbrannt; »denn sie sind dem Herrn ein Greuel«. Ja selbst manche Atheisten haben ihre Religionsfeindschaft noch von dem Fanatismus der Christen erborgt.

So bestätigt sich gerade hierin das Wort Nietzsches, daß die Blüte der christlichen Liebe aus dem Baume des jüdischen Hasses gewachsen ist. Wenn heute die Juden am eifrigsten nach Toleranz rufen, weil sie selbst toleriert werden wollen, so vergessen sie, daß es semitischer Geist war, der mit dem Glauben das Schwert in die Welt trug. Toleranz ist weder jüdisch noch christlich, sondern der Ausdruck des modernen Kulturbewußtseins, zum Teil auch die Abkühlung des religiösen Gefühls überhaupt. Sie hat deshalb ihre Anhänger in den verschiedensten Lagern, bei Gläubigen wie bei Atheisten, bei Ariern wie bei Juden. Sie hat ihre Wurzeln in der Aufklärung, deren berechtigter Kern es war, den entsetzlichen Glaubensverfolgungen ein Ende zu setzen. Aber seicht, wie sie war, hat sie oft die ewigen Grundlagen des Glaubens mit seinen menschlichen Mißbräuchen verwechselt und das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem sie an Stelle des Christentums einen dürren Vernunftglauben oder den nackten Atheismus setzte. Soweit sie aber nur gegenseitige Duldung der religiösen Ansichten predigte, wie in Lessings »Nathan dem Weisen«, hat sie ohne Zweifel segensreich gewirkt.

Es ist mir stets unbegreiflich erschienen, wie gerade der Antisemitismus seine zahlreichsten Anhänger in einer christlich betonten Partei haben kann. Ein konsequenter Antisemit müßte mit dem Judentum doch nicht nur das Alte, sondern auch das Neue Testament verwerfen, wie es der antisemitische Philosoph Eugen Dühring auch tatsächlich getan hat. Aus der gleichen Perspektive heraus empfand der Moralist Nietzsche den »christlichen Junker« als »unreinlichen« Begriff. Ich versteige mich nicht zu solchen Hyperbeln, aber ich schüttle doch den Kopf, wenn ich in einem rechtsstehenden Blatt eine Sonntagspredigt vom »Volk Israel« und »seinem Gott Jehova« (in dialektisch übertragenem Sinne) lese und auf der nächsten Spalte einen antisemitischen Erguß. Wie kann man auf das Alte und Neue Testament schwören und zugleich das »Volk des Buches« bekämpfen? Eine Judenverfolgung aus religiösen Gründen, wie im Mittelalter, ist letzten Endes psychologisch erklärbar, und zwar, wie oben gezeigt wurde, just aus der semitischen Unduldsamkeit heraus, aber ein Rassenantisemitismus auf christlicher Grundlage ist barer Widersinn, und der Antisemitismus verstrickt sich hier in die unlösbarsten Widersprüche. Die Ausflucht, daß Christus ein »Arier« gewesen sei, ist doch nur eine dunkle Hypothese der Halbwissenschaft, der die Angaben der Bibel aufs bestimmteste widersprechen, und seine Apostel, vor allem Paulus, waren waschechte Juden.

Für das Judentum selbst entsprang aus der oben skizzierten Entwicklung eine Tragik sondergleichen, die sich vielleicht am erschütterndsten in den mittelalterlichen Steinbildern der Synagoge und der Kirche am Straßburger Münster ausdrückt. Die neue höhere Glaubensform, die sich aus der jüdischen Religion entwickelte und die Welt eroberte, verlangte von den Juden gerade die Aufgabe dessen, was sie als Volk zusammenhielt. Der in Jahrhunderten der Bedrückung ersehnte und verheißene Messias war gekommen, aber nicht, um das »auserwählte Volk« als Volk zu erlösen und die Zeiten Salomos zurückzuführen, sondern um über dies Volk hinweg, ja gegen es, die Menschheit zu erlösen, nicht im irdischen Sinne des Alten Testaments, sondern im mystischen Jenseitssinne. Sein eigener Messias hatte es nach seiner Ansicht im Stich gelassen und anderen das Heil gebracht, das von den Juden kam. So wurde das »Volk Gottes« zu Parias aller christlichen Völker oder mußte einem Glauben beitreten, den es als Abfall von seinem »wahren Glauben« betrachtete, mußte an sich selbst den Fanatismus der Unduldsamkeit verspüren, den es jenem Glauben vererbt hatte. Welches Maß von Enttäuschung, Demütigung, Verbitterung und Ingrimm dadurch über die Juden gekommen ist, läßt sich für den Nichtjuden kaum ausdenken. Auch dieser Leidensweg steht in der Geschichte einzig da. Wenn das Glück nach der Schopenhauerschen Formel in Leidlosigkeit besteht, so hätte das jüdische Volk durch Titus zu seinem eigenen Glück, und vielleicht auch zum Glück der übrigen Völker, ganz vernichtet werden müssen. Mit welcher tragischen Reinheit stünde es dann in der Geschichte da! Es hätte kurz vor seiner Vernichtung ahnungsvoll seine letzten Kräfte zusammengefaßt, um eine höhere Stufe religiös-sittlicher Vollkommenheit in der Lehre Christi zu erreichen, sich über sich selbst hinauszuheben und so das Höchste seiner Seele unsterblich gemacht, es den anderen Völkern für ewige Zeiten vererbt, während es selbst unterging. Es wäre wie eine Agave gewesen, die aus ihrem zähen, unschönen Blätterkranz die aufgespeicherte Kraft ihres ganzen Daseins in einem gewaltigen Blütenbaum emportreibt, um dann, nachdem sein Same in alle Winde verstreut ist, abzusterben. Das wäre etwas Unvergleichliches gewesen.

Statt dessen hat es grollend weitergelebt, religiös erstarrend und verdorrend, sich in talmudische Spitzfindigkeiten verlierend, gehaßt und bedrückt wie kein zweites Volk und schließlich doch teils dem Christentum verfallend, oder in die Abgötterei des Goldenen Kalbes zurücksinkend, der die zehn Stämme des jüdischen Nordreiches vor ihrem Untergang verfielen. Seine eigene Tochterreligion hat ihm den tödlichsten Stoß versetzt, denn nichts schmerzt mehr, als eine Wunde von der Hand des eigenen Kindes, und doch: trotz dieser unheilbaren Wunde, trotz seiner Zerstreuung in alle Welt, trotz aller Verfolgungen und Bedrückungen hat es unbeirrt weitergelebt. Ja, seine Lebenskraft scheint unerschöpflich, und die Macht, die es seit 1789 von neuem erlangt hat, und die heute immer noch wächst, drängt dem verwunderten Betrachter die Frage auf, ob das Judentum seine Aufgabe auf Erden erfüllt hat, oder ob es noch zu neuen Dingen berufen ist, ob dies jähe Sich-Aufrecken seit dem 18. Jahrhundert das letzte Aufflackern seiner Kräfte ist, oder ob Juda das Ferment zu neuen Gestaltungen des Weltgeschehens sein wird, ob der »Ewige Jude« nach Nietzsches Wunsch endlich zur Ruhe in seiner zweitausendjährigen Wanderschaft, zum Aufgehen im Christentum und in anderen Völkern gelangen wird, oder ob der Zionismus den Grundstein zu einem neuen jüdischen Reiche legen wird, das von Jerusalem aus die Welt beherrschen wird, wie einst Latium sie von Rom aus regierte.

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Doch das sind Fragen, die erst die Zukunft lösen wird. Sehen wir einstweilen zu, in welcher Form und wie weit das Aufgehen dieses Volkes, das sein eigener Gott »halsstarrig« schalt, im Christentum und in anderen Völkern bisher möglich war. Daraus ergeben sich immerhin einige Schlüsse auf die Zukunft.

Im religiös betonten Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein suchte man das Problem religiös zu lösen, wenn sich unter diesem religiösen Deckmantel auch oft ein wirtschaftlicher und Rassenkampf abspielte. Ein »bekehrter« Jude hörte aber auf, Jude zu sein. Er wurde mit allen Rechten in die Volksgemeinschaft aufgenommen, genau wie ein Heide. Ihm klebte fortan kein Makel mehr an, selbst wenn er lediglich weltlicher Vorteile wegen den Glauben wechselte. So verfuhr der Deutschorden mit den heidnischen Preußen und Litauern, so die spanische Inquisition mit den Juden und Mauren. Dies Verfahren war trotz seiner anscheinenden Grausamkeit noch das menschlichere, denn es hatte doch schließlich ein Ende und beschleunigte die Amalgamierung. Es war freilich oft eine »Auslese nach unten«. Die Juden, die lieber Bedrückung und Tod ertrugen als nachzugeben und äußere Vorteile einzuheimsen, die Märtyrer ihres Glaubens, also die stärksten Charaktere, blieben Juden, ja ihre Rasseneigentümlichkeiten und ihr Glaube wurden dadurch nur gestärkt. Das Martyrium trägt stets eine Gloriole, mag es christlich oder jüdisch sein.

Erst der neueren Zeit war es vorbehalten, den Rassestandpunkt voranzustellen. Man drängte die Juden zwar nach wie vor, sich taufen zu lassen, aber man sah sie darum nicht als vollwertig an, ja man verachtete sie, weil sie, oft um äußerer Vorteile willen, ihren Glauben wechselten. »Jude bleibt Jude« hieß jetzt die Losung. Dies Verfahren ist zweifellos das grausamere, denn es hat kein Ende; es führt keine Versöhnung und Amalgamierung herbei, sondern nur neue Verbitterung. Manche Juden bereuten ihren Übertritt und schämten sich vor sich selbst. Ja, die Solidarität des Rassengefühls wurde dadurch künstlich verstärkt, mit ihr der Widerstand und der Haß. Daß die Antisemiten dann über das Werk ihrer eigenen Hände jammern, gehört zu den schreiendsten Anomalien des aus Anomalien bestehenden jüdischen Problems. Machten sie sich doch einmal klar, daß dies Verfahren eine Zwickmühle ist, aus der es keinen Ausweg gibt!

Des modernen Kulturmenschen allein würdig ist der dritte Weg. Man überlasse es den Juden selbst, nach welcher Fasson sie selig werden wollen, und zwinge sie nicht durch moralischen Druck zum Übertritt, um sie nachher doch nicht als voll anzusehen. Tritt ein Jude aus Überzeugung über, so soll man sich freuen und ihm das Aufgehen im Christentum erleichtern; nie aber soll man ihm eine Komödie zumuten. Dem frommen Israeliten aber beweise man die gleiche Achtung wie dem frommen Christen. Ja, gerade der Rechtsstehende, dem die Religion noch kein Ammenmärchen ist, hat allen Grund, auch anderer Religion zu achten. Scheidet aber der religiöse Gegensatz, der die Geister immer am meisten fanatisiert, ganz aus, so ist schon der Anfang der Verständigung da. Im übrigen überlasse man es den Missionen der verschiedenen Bekenntnisse, Proselyten zu machen. Das ist reine Religionssache und hat mit moralischem Druck nichts zu tun. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn recht viele Juden freiwillig zu einem christlichen Bekenntnis überträten. Der Übergang ist von den jüdischen Urchristen vollzogen worden: warum soll er heute schwerer sein? Im Gegenteil: das Christentum hat seitdem die Welt erobert und die mannigfachsten Religionen überwunden, – und durchaus nicht immer mit Feuer und Schwert. Die Christianisierung der verschiedensten Völker hat sich durch ohnmächtige Missionare vollzogen und vollzieht sich noch heute so in der heidnischen Welt, fast allein durch die Macht des Gotteswortes. Diese Propaganda muß auch den Juden gegenüber rein geistig bleiben, denn Religion ist Herzenssache; und sie darf unter keinen Umständen ein antisemitisches Nachspiel haben. Gerade vom Missionsstandpunkt aus ist der Rasseantisemitismus das Verwerflichste und Törichteste, was es gibt.

Im übrigen gehe man den Weg, den uns Richard Wagner gezeigt hat. Er war zwar ein leidenschaftlicher Antisemit, aber er verlangte vom Juden keine konfessionelle Bekehrung; dazu war sein eigenes Christentum viel zu frei, viel zu persönlich, ja unkonfessionell. Er verlangte vom Juden nur die Aufgabe seiner schlimmen »Instinkte«, wie er es nennt. Er forderte ihn auf, »gemeinsam mit uns Mensch zu werden«. Das ist auch alles, was ich fordere: ein allgemein menschliches Sich-Angleichen, ein Abtun unangenehmer und verhaßter Eigenheiten, ein Sich-Anpassen an die Umwelt, in der wir leben. Voraussetzung dafür aber ist naturgemäß die Preisgabe jedes Antisemitismus, der diesen Prozeß immer wieder vereitelt, obwohl gerade der Jude sonst so anpassungsfähig ist! Menschlichkeit und Takt einerseits, guter Wille anderseits, und auf beiden Seiten wird die Erkenntnis aufgehen, daß ein modus vivendi gefunden werden kann, gefunden werden muß. Das ist des Rätsels ganze Lösung – wahrlich ein Ei des Kolumbus!

Mag der Jude seine Religion behalten, wenn er sich nur zum Deutschtum bekennt, wie die 200 000 »deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens«. Mag er auch Pietät gegen seine große und leidvolle Vergangenheit bewahren; wir tasten sie nicht an, denn der Christ hat selbst Anteil an ihr. Nur verlangen wir mit dem gleichen Recht, daß er auch unsere große Vergangenheit nicht antastet, daß er Anwürfe gegen unser Preußentum, gegen unsere großen Hohenzollern, wie der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm I., Friedrich der Große und Wilhelm I., unterläßt! Sollte aber mein Wunsch in Erfüllung gehen – natürlich nicht von heute auf morgen –, sollte der Antisemitismus verschwinden und sollten trotzdem gewisse Blätter in ihren Anwürfen fortfahren, so werden sie sich die allgemeine Verachtung von »Ariern« und Juden zuziehen, und jeder hat dann das Recht, diesen Bruch des Burgfriedens gebührend zu brandmarken. Die Juden sind nach dem antisemitischen Ausdruck ein »Gastvolk«: das Gastrecht aber verpflichtet den Wirt wie den Gast. Benimmt der Wirt sich ruppig, so wird es auch der Gast tun. Benimmt er sich gastfrei, so ist es Ehrensache des Gastes, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er wird sich dann bald so wohl fühlen, daß er vergißt, ein Gast zu sein, daß er bleiben will und aus einem Gaste zum Volksgenossen wird.

Als der Große Kurfürst 20 000 Hugenotten in sein vom Dreißigjährigen Kriege verheertes und entvölkertes Land einlud, tat er ihnen die Tore weit auf, ja er gab den neuen Gästen Privilegien aller Art, die die Alteingesessenen verstimmten. Und doch war es das Richtige. Brachten sie als Gegengabe doch den Gewerbefleiß und die Intelligenz ihrer hochentwickelten Länder in das zurückgekommene Brandenburg mit. Sie belebten Kunst, Wissenschaft, Handel und Industrie; selbst die Gefahr der Verwelschung, die sie mit sich brachten, ging vorüber. Sie amalgamierten sich, gaben ihre Privilegien nach und nach auf und wurden gute Brandenburger allewege. Behandeln wir die Juden mutatis mutandis ebenso, wenn auch ohne Privilegien, sondern auf dem Boden voller Gleichberechtigung, so werden wir auch mit ihnen gut fahren.

Die große wirtschaftliche Leistung des Judentums, das der Zahl nach ebenso schwach ist, wie es damals die Hugenotten waren, schafft auch der gesinnungstüchtigste Antisemitismus nicht aus der Welt, ganz abgesehen von anderen Gebieten, wie Kunst und Wissenschaft, von denen später die Rede sein wird. Gewiß sind hier auch Schädlinge vorhanden – aber wollten wir nicht alle Schädlinge bekämpfen, einerlei, welchen Stammes oder Glaubens sie sind? Ungeheuerlich aber ist die Behauptung mancher Antisemiten, daß alle Juden Schnorrer und Roßtäuscher seien. Glaubt irgendein Mensch mit gesundem Verstande, die Geschäftspraktiken eines Hauses Bleichröder oder des »Deutschen Theaters« in Berlin – um nur zwei beliebige Beispiele herauszugreifen – wären die eines Schnorrers und Roßtäuschers? Hier herrscht das gleiche fair play wie in jedem anständigen Geschäft, und die Schnorrer und Schieber werden an die Luft gesetzt! Will man etwa behaupten, daß nur Schädlinge solche Leistungen vollbracht haben, und nicht auch jüdischer Unternehmergeist, Intelligenz und Arbeitskraft? Waren der Schöpfer der A. E. G. und Herr Ballin Schädlinge, nun, so wünsche ich mir für Deutschlands Wiederaufbau recht viele solcher »Schädlinge«! Wir können sie ebensogut brauchen wie England und Amerika, ja noch besser, denn der Deutsche ist oft langsam und schwerfällig und kann solchen Einschuß recht gut gebrauchen. Erklären sich auch manche jüdische Erfolge aus skrupellosen Machenschaften und unbedenklicher Geschäftsmoral, so soll es doch auch »Arier« geben, die es an Raffsucht mit ihnen aufnehmen, heutzutage sogar sehr viele!

Aber die Erfolge der Juden beruhen auch sehr oft und viel häufiger auf ihrem entwickelten Handelsinstinkt, den ihnen die Vergangenheit anerzogen hat und ohne den sie längst untergegangen wären, jener geschäftlichen Findigkeit und Anpassungsfähigkeit, die Sombart als »Versatilität« bezeichnet hat. Der Jude ist ein geborener Mittelsmann, ein Ausspäher von Gelegenheiten, und wo er mit ehrlichen Mitteln verfährt, ist ihm der Erfolg nicht nur zu gönnen, sondern im wirtschaftlichen Interesse zu begrüßen. Wir sind doch keine marxistischen Narren, die die Wirtschaft sabotieren wollen, damit nur ja kein Mensch »reich« wird! Sondern wir wissen, daß der Erwerbssinn die Triebfeder unserer komplizierten Wirtschaftsmaschine ist. Wenn wir die Triebfeder zerstören, bleibt die Maschine stehen. Ist es den Antisemiten wirklich lieber, daß kein Jude »reich« wird, als daß tausend Hände keine Arbeit finden? Oder wollen sie eine Kontingentierung der Juden einführen und nur einem bestimmten Prozentsatz das Reichwerden gestatten? Nein! wir können die Juden in unserer Wirtschaft nicht entbehren; darum gönne man ihnen ihre Erfolge, solange sie ehrlich verdient sind.

Das Wüten gegen den »jüdischen Geschäftsgeist« kommt mir nicht selten vor wie das Zetern einer unterlegenen Firma gegen den »bösen«, siegreichen Konkurrenten. Es ist nicht immer reiner Idealismus, der dies Geschrei erhebt, sondern häufig auch der Ärger des schlechteren Geschäftsmannes. Es gibt ein sehr feines Wort: »Der Antisemitismus wäre eine schöne Sache, wenn ein tüchtiger Jude ihn organisierte.« Das trifft den Kern der Sache! Der Jude ist ein guter Organisator, besonders im Wirtschaftsleben. Er weiß mit geringen Mitteln große Erfolge zu erzielen. Solche Begabungen aber können wir gerade jetzt brauchen. Man wird mir vielleicht das Durcheinanderwirtschaften der zahlreichen, aus dem Boden gestampften oder besser pilzartig aufgeschossenen Kriegsgesellschaften einwenden. Aber gerade in ihnen vermißt man die wirklich leitenden jüdischen Kreise, und diese haben sich über ihre Ausschaltung selbst am bittersten beschwert. Sie haben zusehen müssen, wie unsere ahnungslose Bureaukratie sich häufig von kleinen jüdischen Schiebern und Handlangern einseifen ließ, die sie selbst leicht durchschaut hätten, statt den Rat und die Hilfe der wirklichen Kenner in Anspruch zu nehmen. Es ist aber nicht nur dies Gebiet, auf dem unsere Kriegsorganisationen vielfach versagt haben. Die besten Köpfe steckten, dem Schema F zuliebe, oft genug im Schützengraben oder in Subalternstellungen, weil ihr »militärischer Rang« der eines Gefreiten oder Landsturmmannes war, und die »höhere Dummheit« hatte die Leitung. Ja, man betraute sie oft mit Sachen, die nicht in ihr Fach schlugen, und derweil verdarb daheim ein D.U.-Mann, ihr Lückenbüßer, alles. Übrigens ist es in anderen Ländern nicht besser gewesen; die Bureaukratie, ob zivil oder militärisch, ist überall der Todfeind der Talente. Nach alledem glaube ich, daß man gegen die jüdischen »Schädlinge« auch die tatsächlichen jüdischen Leistungen aufrechnen muß und daß der Saldo sehr zugunsten der letzteren ausfällt.

So weit wird ein gemäßigter Antisemit, der nicht dem (jüdischen!) Marxismus verfallen ist, vielleicht zur Not mitgehen. Worüber er aber nicht hinwegkommt, ist das Dominieren der Juden in Presse, Theater und Literatur. Woher kommt diese Vormachtstellung? Einmal ohne Zweifel daher, daß der jüdische Betätigungsdrang, von den Staatsämtern meist ausgeschlossen, sich mit Vorliebe auf die freien Berufe geworfen hat, während umgekehrt die Kreise, aus denen sich Heer und Beamtenschaft rekrutieren, sowie der Landwirt in der »siebenten Großmacht«, der Presse, gewöhnlich eine Quantité négligeable gesehen haben, bis der Krieg ihnen furchtbar die Augen öffnete. Es ist kein Zweifel, daß unsere deutsche Intelligenz sich vor allem den Staatsämtern oder der reinen Wissenschaft zugewandt hat, während ihr die Presse als etwas Unvornehmes oder als Tummelplatz von Dilettanten erschien, eine Einrichtung, die vielleicht sein mußte, der man aber in großem Bogen auswich. Daß auch rechtsstehende Kreise in diesem Beruf etwas leisten können, zeigt die Scherlsche Presse; es bedurfte eben nur der Organisation und des guten Willens. Wenn aber die nationalen Kreise hier so oft versagten, kann man es da den Juden als Schuld anrechnen, wenn sie in die offene Lücke eindrangen und einen Platz einnahmen, der ihnen gar nicht streitig gemacht wurde? Wodurch haben die demokratischen jüdischen Blätter und die von Juden geleiteten Theater denn ihre Erfolge errungen? Großenteils durch Findigkeit, geschickte Aufmachung und Reklame, nicht durch bärbeißigen Ernst und trockene Sachlichkeit. Statt über diese Methoden zu zetern, sollten wir sie lieber nachahmen, soweit sie sich in anständigen Grenzen bewegen, d. h. sie teilweise verbessern. Man scheint jetzt sogar dahinterzukommen, »wie es gemacht wird«, und mit gleichen Waffen zu kämpfen. Und was mindestens ebenso wichtig ist: die Intelligenzen beginnen der Rechtspresse zuzuströmen. Hier bin ich ausnahmsweise einmal versucht, an einen »Segen« der Revolution zu glauben. Alle die durch den Krieg vertieften Charaktere, die früher im Staats- oder Heeresdienst ihr Genüge fanden, wenden sich notgedrungen anderen praktischen oder geistigen Berufen zu und halten die Presse nicht mehr unter ihrer Würde. Und da diese Presse jetzt selbst Intelligenzen sucht, so finden sie leicht Aufnahme. Dieser Prozeß ist erst im Anfang; nach einigen Jahren wird es mit Sicherheit schon ganz anders aussehen. Niemand freut sich mehr darüber als ich; denn ich habe diese Mängel nicht erst seit der Revolution erkannt, sondern 20 Jahre darunter gelitten. Und ich stehe nicht vereinzelt da. Statt über die verjudete Presse zu zetern, leiste man also selbst Gleichwertiges oder Besseres, dann hört das Gejammer von selber auf. Wettstreit, nicht Antisemitismus, Steigerung der Leistung, nicht Abseitsstehen – das ist des Rätsels Lösung.

Der Jude ist ein Gift, sagt der Antisemit. Habeat sibi. Auch Gifte sind nur relative Begriffe. Wenn ich – als alter Kavallerist – ein Pferd habe, das schlecht im Futter und ruppig im Fell ist, gebe ich ihm eine Dosis Arsenik, nicht um es vollends umzubringen, sondern um es wieder hochzubringen. Der Jude ist solch ein Gift. In großen Dosen mag es töten, in kleinen wirkt es anregend und kräftesteigernd, Kräfte herausfordernd. Wie wenig Juden aber haben wir in Deutschland: ich habe ihre Ziffer bereits genannt! Man schlucke dies Gift also herzhaft, statt darüber zu zetern, und die eigene Konstitution wird den Vorteil spüren. Es gibt freilich Leute, die »die Juden« nur in Verbindung mit einem Totenkopf sehen. Nach ihnen ist unser Volk so schwach und bestimmbar, daß es dem jüdischen Einfluß wehrlos unterliegen muß, wenn ihm nicht ein Damm entgegengesetzt wird. Merkwürdig nur, daß diese Befürchtung gerade aus stark national betonten Kreisen kommt! Ist man denn gerade hier des eigenen Volkstums so wenig sicher, und kann man sich nur durch möglichst hermetische Abschließung vor »Vergiftung« schützen? Man übertrage dies Bild einmal auf das Privatleben. Ein Mensch fürchtet dem Einfluß eines anderen zu unterliegen, wenn er nur in Berührung mit ihm kommt. Darum verkapselt er sich vor ihm und macht ihn überall schlecht, um jeden Verkehr zu vereiteln. Der andere bleibt natürlich nicht im Rückstand. Wäre es nicht männlicher und würdiger, ihm offen entgegenzutreten und zu sagen: »Ich bin so und du so. Ich habe meine Ansichten und du die deinen. Bilde dir nicht ein, du zwängest sie mir auf. Deswegen aber können wir miteinander verkehren und brauchen uns nicht gegenseitig schlecht zu machen.« Beruht nicht ein großer Teil des menschlichen Verkehrs auf diesem Miteinander-Auskommen? Und wollen wir es nicht auch hier versuchen?

Wenn man das zweischneidige jüdische Problem in der Art aufrollt, wie es hier versucht wurde, dringt man tiefer hinein als durch Parteipolemik und Vordergrundsbetrachtungen. Es verliert so vor allem seine Schärfe und Bitterkeit, und auf diesem Niveau läßt sich beiderseits ruhig reden. Kein Mensch kann sich dem Pathos verschließen, das in der großen und leidvollen jüdischen Geschichte liegt. Selbst der Dünkel des »auserwählten Volkes«, der die anderen Völker so verletzt, wird aus ihr menschlich begreiflich. Es gehört zu den vielen Anomalien dieses Problems, daß die Juden sich selbst als »Aristokraten« fühlen, aber allen anderen den Aristokratismus verleiden wollen. Wer selbst für eine Aristokratie der Geburt und der Leistung eintritt wie ich, wird es ihnen immer wieder vorhalten, daß sie für sich selbst nichts beanspruchen dürfen, was sie anderen verwehren wollen. Das ist nicht »Demokratie«, sondern das Grundgesetz der Billigkeit. Deswegen aber braucht man nicht in die antisemitische Kerbe zu hauen, vielmehr betone man, daß einem jeder Antisemitismus fernliege und daß man nur den Grundsatz suum cuique befolge. Stößt man dann auf Widerstand, so überliefere man den unbelehrbaren Narren dem Gespött.

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Ich glaube im obigen nichts gesagt zu haben, was die objektive Wissenschaft und unparteiisches Urteil nicht bestätigen können. Für die Gegenwart ergibt sich folgende Schlußfolgerung, mit der ich zu den obigen vier antisemitischen Einwendungen (S. 26) zurückkomme.

1. Der Internationalismus des Judentums ist vorhanden, und es ist eitle Spiegelfechterei, ihn zu bestreiten, wie es gewisse jüdisch-demokratische Zeitungen tun. Er beruht auf der geschichtlichen Vergangenheit, dem Rasseninstinkt, dem religiösen Gemeinschaftsgefühl und der internationalen Handelstendenz des Vermittlervolkes. Er ist aber niemals ein abgekartetes System oder gar eine festgefügte internationale Organisation mit bestimmten politischen oder anderen materiellen Zielen. Selbst religiös-sittlich beruht er nur auf geistlichen Schriften (Bibel, Talmud), nicht aber auf einer festgefügten Hierarchie, wie die römisch- oder griechisch-katholische Kirche. Man kann daher von einer schwarzen Internationale sprechen, aber nicht von einer israelitischen Internationale, am wenigsten bei den teils christlichen, teils atheistischen Westjuden. Die goldene Internationale des Händlertums und der Bankwelt aber, die der Antisemit nun ausspielen wird, rekrutiert sich neben den Juden, die als Handelsvolk par excellence allerdings stark daran beteiligt sind, aus den verschiedensten Völkern. Sie ist also kein spezifisch jüdisches Eigengewächs, sondern das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung zum Kapitalismus. Sie beruht auf der Gleichheit wirtschaftlicher Interessen und nicht auf einem Rasseinstinkt. Sie ist, wie wir gesehen haben, von anderen internationalen, gleichfalls wirtschaftlichen Bewegungen, wie dem Sozialismus oder Kommunismus, zu dem die Juden gleichfalls ein starkes Kontingent stellen, durch Abgründe getrennt. Der Rasseninternationalismus der Juden aber ist nur eine Tendenz ohne gleichbleibenden Inhalt, eine abstrakte Schwerkraft ohne obligate Beziehungen. Er ist nur ein anderer Ausdruck für die Tatsache der Zerstreuung des Judentums über die Welt, das Gefühl einer uralten Stammeszugehörigkeit, am ersten vergleichbar dem Internationalismus der Wissenschaft, der gleichfalls nur ein lockeres Gefüge und eine abstrakte Tendenz hat.

In sich ist dies Volk ebenso zerklüftet wie alle Völker der Erde. Es ist an den verschiedensten nationalen Richtungen, vom völkischen Nationalismus eines Northcliffe und d'Annunzio bis zum Bolschewismus eines Trotzki und dem Antinationalismus unserer »Unabhängigen« und Spartakisten, beteiligt, wobei besonders betont sei, daß Internationalismus und Antinationalismus keineswegs Wechselbegriffe sind; denn im russischen Bolschewismus liegt, ebenso wie im »weltbürgerlichen« Jakobinertum von 1792, ein starkes nationalistisches Element, das sich nur mit der internationalen Propaganda für die eigenen innerpolitischen Anschauungen verbündet, während der Internationalismus meist national indifferent ist und sich nur selten bis zum Antinationalismus steigert.

Der jüdische Internationalismus ist also nur ein mehr oder minder dunkles Rassegefühl, das bereits vorhandene Berührungspunkte potenzieren kann, also z. B. den Bolschewismus oder den Kapitalismus oder eine Zwischenstufe. Diese Solidarität als solche ist aber weit geringer als z. B. die der internationalen Sozialdemokratie oder die des Katholizismus. Die der Sozialdemokratie beruht auf gleichen Lebensbedingungen und wirtschaftlichen Nöten, während das Gefühl der jüdischen Rassegemeinschaft durch zahlreiche entgegenstehende Momente geschwächt wird. Wenn aber schon die Solidarität des »internationalen Proletariats« zum Schmerz aller, die bei uns darauf gebaut haben, gerade jetzt, wo sie die Probe ablegen sollte, sich als Seifenblase erwiesen hat, so kann man hinsichtlich der jüdischen Rassesolidarität erst recht sagen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein! Zwischen dem Arbeiter von Marseille und Hamburg oder zwischen einem frommen Katholiken in Rom und Köln bestehen zweifellos stärkere Bande der Gemeinschaft als zwischen Sir Francis Oppenheimer und Herrn Trotzki! Zwischen ihnen gibt es überhaupt kein Band mehr.

Wie wir oben gesehen haben, lehnen 200 000 religiös organisierte deutsche Juden den Bolschewismus völlig ab. Ebenso bedanken sich unsere meisten Juden vor einer Invasion des Ostjudentums, die nur geeignet wäre, ihre eigene wirtschaftliche und politische Stellung zu untergraben. Sie wären, wenn der Antisemitismus fällt, fast ausnahmslos für eine Grenzsperre gegen das Ostjudentum zu haben So stellte sich z. B. selbst das »Berliner Tageblatt« (18. 2. 19) durchaus auf den Standpunkt des Berliner Polizeipräsidenten Ernst, der in einer Eingabe an das Ministerium des Innern Abhilfe für die unerträglichen Zustände im Berliner Scheunenviertel forderte, wo eine große Zahl ostjüdischer Händler, Schieber und Verbrecher ihr Unwesen treiben. Nicht das deutsche Judentum, das diese Zustände ablehnt, ist für sie verantwortlich, sondern die Regierung, die sie duldet. – Ähnlich steht es mit dem Einspruch des preußischen Kultusministers Haenisch gegen den Senatsbeschluß der Berliner Universität gegen den Deserteurprofessor Nicolai-Lövinstein, der vor kurzem soviel Staub aufwirbelte. Dieser Mann, der aus Dänemark, wohin er desertiert war, eine wilde Agitation gegen Deutschland unternahm, dessen Broschüren feindliche Flieger als moralische Sprengbomben in den härtesten Kampftagen über den deutschen Linien abwarfen, wurde vom Senat der Berliner Universität einstimmig (darunter auch von Männern wie Harnack, Herckner, Cohn usw.) des Lehramts für unwürdig erklärt. Der unwürdige Nachfolger Wilhelms v. Humboldt aber nahm Partei für die »Lehrfreiheit« dieses Landesverräters und drohte, sie mit Gewalt zu schützen – in diesem Fall freilich unter Beifall des »Berliner Tageblatts«., eine Maßnahme, die die gefürchtete »Solidarität des internationalen Judentums« in recht eigenem Lichte erscheinen läßt. Sie trüge sogar ein ganz – antisemitisches Gepräge, erhielte sie nicht ein schwaches Gegengewicht in dem bisher meist ohnmächtigen Bestreben der Westjuden, ihren bedrängten Stammes- oder Glaubensbrüdern in Polen und Rußland, d. h. in ihren Wohnländern, ein erträglicheres Dasein zu bereiten oder ihnen in Amerika eine neue Heimat zu schaffen. Das ist also tatsächlich das einzige, was von dieser schreckensvollen Solidarität übrigbleibt.

Hinzu kommt, abgesehen von allen wirtschaftlichen und kulturellen Spaltungen, daß sich die Westjuden, besonders in den Ententestaaten, mit den verschiedenen Volksgeistern stark amalgamiert haben. Vergleicht man z. B. einen spanischen oder portugiesischen Juden mit einem englischen oder gar einem Ostjuden, so erkennt man leicht, daß die verschiedene Entwicklung hier solche Unterschiede hervorgerufen hat, daß man fast von verschiedenen Rassen sprechen kann. Die drei würden sich wahrscheinlich nicht mal verständigen können, da die Westjuden nicht mehr hebräisch sprechen. Die Rassenzusammengehörigkeit wird hier fast nur noch als ein romantischer Traum der Vorzeit empfunden. Das alttestamentliche Judentum liegt den Westjuden meist so fern, wie – Gott sei's geklagt – uns Deutschen unsere altgermanische Vorzeit, zu der wir uns nur an der Hand der Wissenschaft zurücktasten.

So ist m. E. auch die ganze zionistische Bewegung nur Romantik, d. h. eine Bewegung ohne ernstliche Zukunft, ähnlich wie die altdeutschelnden Tendenzen der älteren Burschenschaftsbewegung. Bei den deutschen und westlichen Juden wird sie jedenfalls keine ernstliche Werbekraft haben. Nicht nur kein Westjude, sondern überhaupt kein vernünftiger Mensch wird, wenn es ihm nicht sehr schlecht geht, seinen jetzigen Wohnsitz mit der Kalkwüste Judäas vertauschen, um dort nach Art der Patriarchen zu hausen. Die aber, denen es sehr schlecht geht, werden viel eher versuchen, in Ländern unterzukommen, wo sie keine antisemitischen Schranken finden und wo ein kräftiges Wirtschaftsleben pulsiert, das jede Arbeit zu Ehren bringt, also besonders in England und Amerika. Nur für das religiös stark betonte Ostjudentum mag der Zionismus eine gewisse Werbekraft besitzen, und darüber sollten wir uns freuen, denn er wirkt wie die Ostsperre entlastend, verdient also wie diese alle Förderung. Der Antisemit müßte ihn am meisten begrüßen, ja selbst Propaganda dafür machen, denn er wünscht ja vom Druck der Juden befreit zu sein!

Betrachtet man schließlich den Internationalismus von höherer Warte, so zeigt sich, daß er neben schweren Fehlern auch seine Tugenden hat. Gerade Deutschland, das Land der Mitte, hat stets internationalen Tendenzen gehuldigt, wie es das obengenannte vorzügliche Buch von Fritz Gerlich an unseren größten Geistern aufweist. Daraus ist teils eine traurige Ausländerei entstanden, wie im Fall Nietzsche und in vielen anderen, und das Nationalgefühl ist vielfach verkümmert. Um diesen Preis aber hat sich der Deutsche in Kunst, Literatur und Kultur überhaupt einen weiten europäischen Horizont geschaffen, eine weltliterarische Bildung, Vielseitigkeit und Aufnahmefähigkeit angeeignet, die ein Ruhmestitel des deutschen Geistes geworden ist, letzten Endes also doch wieder befruchtend auf den nationalen Gedanken gewirkt hat. Ja, das geistige Deutschland war lange genug der einzige Ersatz für das fehlende oder absterbende politische Deutschland, und aus diesem geistigen Deutschland ist dann großenteils das politische neu herausgewachsen, wie jeder Kenner der Bewegung von 1806 bis 1870 weiß. Ihren leuchtendsten Ausdruck hat diese europäische Richtung in Goethe gefunden. Wie hoch steht seine Bildung z. B. über der engherzigen französischen Kultur, die sich mit chinesischen Mauern umgibt und an ihrer eigenen Inzucht schließlich zugrunde gehen wird. Ein »Sterben in Schönheit« hat es mir gegenüber einmal der französisch schreibende Vlame Verhaeren genannt, der vor dem Kriege ein großer Verehrer der deutschen Universalität war und erst durch den Krieg zum Deutschenfeind wurde. Diese Universalität aber läßt sich sehr wohl mit starkem, deutschem Empfinden paaren, wie es bei Goethe der Fall war, der, wenn auch politisch gleichgültig, sein Bestes aus den Tiefen des deutschen Gemüts gehoben, ja, uns unsere heutige Sprache geschenkt hat. Der Internationalismus zeigt sich also auch hier als abstrakte Tendenz ohne obligate Beziehungen; er ist die zentrifugale Tendenz des menschlichen Geistes, im Gegensatz zur zentripetalen des Nationalismus. Nun aber weiß jedermann, daß jeder Planet nur durch beide Tendenzen, die zentrifugale und die zentripetale, in der Schwebe gehalten wird. Überwöge die eine, er stürzte in den Raum und zerschellte an einem anderen Weltkörper oder zerschmölze in einer anderen Sonne. Überwöge die andere, er zerschmölze am Mutterherzen seiner eigenen Sonne. Nicht anders in der Kulturwelt. Die zentrifugale Tendenz des Internationalismus bildet das nötige Gegengewicht gegen einen allzu engherzigen Nationalismus. Ist das Judentum stark an ihm beteiligt, so ist das an sich weder gut noch böse, sondern einfach ein Faktor kultureller Mechanik, der sich mit dem Nationalismus ausbalanzieren muß. Zu fordern ist allerdings, daß er nicht ins Deutschfeindliche ausartet, und diese Forderung werden wir stets mit allen Mitteln verfechten, außer mit antisemitischen, die nur das Gegenteil erreichen. Ist aber ein Jude im Ausland eingebürgert und vertritt er dann dessen Interessen, so kann man ihm das nicht mehr verübeln als einem nichtjüdischen Ausländer, d. h. er ist vollkommen in seinem Rechte.

2. Die Geschichte zeigt, daß das Judentum trotz seiner Anlage zum Mittlervolk keineswegs bloß rezeptiv und reproduktiv ist wie die Phönizier. Es hat in alter Zeit eine hohe materielle Zivilisation gezeitigt und darüber hinaus eine geistige, sittlich-religiöse Kultur, die bis zur Entstehung des Christentums einzig dastand. Und das Christentum selbst ist ohne den Nährboden des Judentums nicht zu denken. Alle christlichen Völker haben das Alte Testament zum eisernen Bestand ihres eigenen Glaubens gemacht und finden in vielen seiner Lehren noch heute ihre Erbauung, wenn sie auch manches Menschlich-Allzumenschliche darin ablehnen S. Fr. Delitzsch, »Babel und Bibel, Ein Rückblick und Ausblick«, Stuttgart 1904.. Das Judentum ist also unserer deutschen Religion durchaus nicht so wesensfremd, wie die Antisemiten behaupten, vielmehr beruht ein guter Teil unserer christlichen Gesittung auf dem alten Judentum. Selbst wer der christlichen Religion lau gegenübersteht, unterliegt ihrer zweitausendjährigen Wirkung auf die Sitten und Anschauungen. Auch der Atheist wird vielfach ein reines Gefühl der Menschenliebe hegen und jedenfalls die antike Sklavenwirtschaft verwerfen. Selbst die religionsfeindliche Sozialdemokratie weist immerfort auf die christliche Ethik hin, ja ihre eigenen Bestrebungen sind ohne diese gar nicht zu verstehen. Und die babylonisch-jüdische Sabbatheiligung (Sabbat == Ruhetag) ist selbst von ihr nicht aus der Welt geschafft worden.

Daß aber das neuere Judentum lediglich unproduktiv oder gar nur zerstörend sei, kann nur der völlig Ungebildete behaupten. Ich nenne nur: Philosophen wie Spinoza, der auf Goethe so tief gewirkt hat, oder wie Moses Mendelssohn, den Freund Lessings, einen Musiker wie Felix Mendelssohn, einen deutschen Liederdichter wie Heine, nach Bismarcks Wort den stärksten nach Goethe (über den elenden Politiker Heine rede ich noch), einen Staatsrechtslehrer wie F. J. Stahl, den Theoretiker der konservativen Weltanschauung, einen Gelehrten wie den Marburger Kantforscher Cohen, einen Physiker und Mathematiker wie den Berliner Professor Dr. Einstein, der die Grundlagen des Kepler und Newton erschüttert hat und uns eben ein neues Weltsystem zu schenken scheint, – wenn auch bisher kein Lehrstuhl an der Berliner Universität für diesen »Fremdkörper« frei war und »nur« die Berliner Akademie der Wissenschaften ihn zu den Ihrigen erkoren hat –, schließlich einen Chemiker wie den kürzlich mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Chemiker Geheimrat Haber, den Erfinder der Giftgase des Weltkrieges, der es als Jude nur bis zum Vizefeldwebel gebracht hatte, wegen seiner Verdienste um die deutsche Kriegstechnik aber doch schließlich mit einem Schlage zum Hauptmann befördert wurde In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß der Erfinder der kriegsentscheidenden Tanks ein englisch-jüdischer Oberst Stern war, und daß Lord Reading (Isaacs) als Diplomat den Eintritt Amerikas in die Reihen der Ententemächte bewerkstelligt hat. Die Antisemiten werden hieraus und aus dem Wirken von d'Annunzio und Lord Northcliffe nun freilich den Schluß ziehen, daß »die Juden« die schlimmsten Feinde Deutschlands seien. Sie übersehen dabei nur, daß diese Juden sich als Nationalisten ihrer Heimatländer bewährt haben, und vergessen die deutsche Gegenrechnung (Huber, Lissauer u.a.m.). Jeder dieser Männer hat eben nur im Interesse seines Landes gehandelt wie jeder gute Staatsbürger. Unsere Gegenliste könnte sogar viel größer sein, wenn wir unsere Juden anders behandelt hätten.. Alle diese Männer, deren Zahl sich leicht vermehren ließe, waren oder sind im höchsten Grade produktiv und gehören (mit Ausnahme Spinozas) der deutschen Kulturgeschichte so gut an wie ein »Arier«. Wollte man sie daraus streichen, so wäre es ein herber Verlust und teils eine unersetzliche Lücke. Von medizinischen und juristischen wissenschaftlichen Begabungen will ich ganz schweigen, ebenso von den wirtschaftlichen, die auf der Hand liegen. Da wir keine Marxisten sind, glauben wir ja nicht an den Unsinn, daß der Schöpfer und Leiter eines Wirtschaftskörpers sein unproduktiver »Ausbeuter« sei, vielmehr sein höchstproduktiver Kopf. Aus allen diesen Beispielen ergibt sich auch, daß die Juden keine »Fremdlinge« unserer Kultur sind, sondern ihre wirksamen Mitarbeiter.

3. Mit der Frage der Kulturleistungen hängt die der Anpassung zusammen. Die Antisemiten sagen, die Juden wollten oder könnten sich nicht assimilieren, sie blieben unserem Empfinden fremd und seien darum unter allen Umständen schädlich. Darauf ist folgendes zu erwidern. An gutem Willen fehlt es oft nicht. Ein beliebiges Beispiel ist Ludwig Jacobowski, dessen Volksliedersammlung »Aus deutscher Seele« auch in den Blättern der Rechten warme Anerkennung fand. Wohl aber fehlt es an gutem Willen und an Entgegenkommen auf der Gegenseite. Ein erschütterndes Beispiel dafür ging kürzlich durch die Presse, der Fall Späth. Der »B. Z. am Mittag« (15. 12. 1919) entnehme ich, daß Maximilian Späth, ein Münchener Jude, Mitglied des Studentenvereins »Frohe Garde« war, sogar Ehrenmitglied, weil er sich um seinen Verein besondere Verdienste erworben hatte. Er war 1914 als Kriegsfreiwilliger ausgezogen und wegen tapferen Verhaltens mehrfach ausgezeichnet worden. Plötzlich faßte der Verein den Beschluß, keine Juden mehr aufzunehmen, ja die jüdischen Mitglieder auszuschließen. Maximilian Späth ging in das Nebenzimmer und erschoß sich.

Dies Opfer des Antisemitismus hinterließ ein erschütterndes Testament, aus dem ich die folgenden Absätze wiedergebe:

 

»Als Deutschem von Geburt, Denkart, Gefühl und Erziehung ist es mir in die Seele hinein schmerzlich geworden, zu sehen, welch unheilvolle Entwicklung das geistige Werden meiner Volksgenossen genommen hat und noch weiter nimmt. Ich zweifle daran, in absehbarer Zeit selbst noch Zeuge und Mitwirkender der nationalen Wiedergeburt sein zu dürfen. Gewissenlosigkeit, Verblendung, Selbstsucht, Haß und Rache verdunkeln das klare Vorstellungsvermögen meiner Mitbürger und machen es unmöglich, gemeinsam den geraden Weg, der zu neuem Aufblühen der deutschen Nation führt, zu begehen.

Da es zur Zeit für mich keine Möglichkeit gibt, auf dem kavaliermäßigen Wege mit der Waffe in der Hand meine niedergetretene, vor allen Freunden bloßgestellte Ehre zu reinigen, da militärischerseits die Ehrengerichte nicht mehr existieren, akademische Korporationen mir als Juden nicht Waffenschutz gewähren, kurzweg mir das Recht der Satisfaktion nicht zugebilligt wird, wird jeder anständige Mensch es für begreiflich finden und mich nicht für irrsinnig erklären, wenn ich den einzigen Weg nehme, der mir offen steht. Zum Verbrecher will ich nicht werden, niedriger Rachsucht will ich nicht nachgeben. So bleibt für mich nur das eine: durch meinen Tod anerkannt zu wissen, daß ein Deutscher jüdischer Geburt, der sein ganzes Leben nur den hohen Idealen besten Menschen- und Volkstums nachgestrebt zu haben glaubt, trotz aller seiner Laster und Fehler, auch ein Mensch von Ehre und Anstand sein kann.

Es ist mein glühendster Wunsch, den ich mit ins Grab nehmen will, daß Deutschland und sein armes verblendetes Volk eines Tages frei von allen Binden, die ihm jetzt die Sehkraft seiner Augen verhüllen, aufs neue und für immer zu Macht und Blüte gelangen mögen, besser an Art wie die vergangene, unvergänglich an Dauer und Wert.«

gez. Maximilian Späth.

 

Ich weiß nicht, ob die obigen Tatsachen stimmen; eine Widerlegung habe ich nicht gelesen. Ich halte sie aber den ganzen Zeitverhältnissen nach für höchst wahrscheinlich. Der Fall dürfte sogar häufig vorkommen, wenn auch ohne diesen tragischen Abschluß. Der deutsche Jude hat also die Untaten der bolschewistischen Ostjuden aus der Zeit der Räteregierung, für die er nichts kann, mit seinem Leben bezahlt. Als national denkender Mann stehe ich nicht an, an seinem Grabe zu trauern. Dieser Vorfall beleuchtet so recht den Wahnsinn des Antisemitismus! Ein Mann, den man sich hätte warmhalten müssen, dessen Schlages man gar nicht genug finden könnte, wird aus einem verrannten »Prinzip« in den Tod getrieben – und der Antisemitismus ist um einen jüdischen »Schädling« ärmer! Sollte nicht doch der »Frohen Garde« das Gewissen schlagen? Sollte es nicht allen Antisemiten schlagen, wenn sie solche Früchte ihres Tuns sehen? Ich will hier keine hohen Töne anschlagen; ich lasse die nackte Tatsache für sich sprechen. Ich frage nur: Ist man sich nicht bewußt, welch maßlose Verbitterung aus solchen Vorfällen entstehen muß und welche Propaganda sie gegen den Antisemitismus machen?

Wenn gerade der Antisemitismus den Amalgamierungsprozeß der Juden immer wieder aufhält, so sollte er doch am wenigsten davon reden, die Juden wollten sich nicht amalgamieren! Aber der Antisemit pflegt um Antworten nicht verlegen zu sein. Selbst wenn man ihm den guten Willen im Einzelfall nachweist, entgegnet er: »Die Juden können sich nicht amalgamieren; sie bleiben doch Juden.« Das ist wieder eine jener allgemeinen Redensarten, in denen sich Wahres mit Falschem mischt. Die Aufsaugungsfähigkeit hängt zunächst nicht nur von den Juden, sondern auch vor allem von den verschiedenen Volksgeistern ab, in die der Jude aufgehen soll. In dieser Hinsicht bietet nicht nur der jüdische, sondern besonders der deutsche Charakter mancherlei Schwierigkeiten. Die billige Sentimentalität und eichkätzchenhafte, bisweilen skurrile Munterkeit des französischen »Geistes«, die Neigung zu Witzigkeit, Pose und Theater, die ihn kennzeichnet, die gesellige Oberflächlichkeit, Schwatzlust und Redegewandtheit des Romanen überhaupt, sein ausgeprägter »Herdeninstinkt« liegt dem Juden ohne Zweifel mehr als der bärbeißige Ernst, die Eigenbrödelei und ungeschickte Innerlichkeit des Deutschen, besonders des Norddeutschen. Die Gerissenheit des Italieners ist sogar noch viel ausgebildeter als die des Juden. »Ein Genueser betrügt drei Juden«, heißt ein italienisches Sprichwort. (Was sagen die Antisemiten dazu?) Auch das unhistorische, sentimentale »Allmenschentum« des Russen, das sich doch so gut mit dem »Altrussentum« verträgt, liegt dem aus seiner Ghettostellung so begreiflichen unhistorischen, dialektischen Wesen des Juden, besonders des Ostjuden, so nahe und erklärt den starken jüdischen Einschlag in den Bolschewismus. Auch die Geschmeidigkeit des Slawen liegt dem Juden näher als die deutsche Steifheit, der kaltberechnende Geschäftssinn des Engländers näher als die deutsche Gemütlichkeit. (Welche Gegensätze birgt doch unser Volkscharakter!) Es sind zweifellos nicht immer die besten Eigenschaften der Völker, die dem »Gastvolk« die Einfühlung erleichtern.

Aber der Jude hat zweifellos auch deutsche Eigenschaften. Er besitzt starken Familiensinn (übrigens auch der Italiener), und gar der religiös Erzogene hat oft strengere sittliche Anschauungen bezüglich des vierten Gebots als viele Deutsche. Ja, der fromme Israelit kann auch sonst manchem deutschen Christen als Vorbild von Gläubigkeit und Bekenntnistreue dienen. Der Jude ist ferner sparsam und fleißig; freilich artet sein Fleiß oft zu der »jüdischen Betriebsamkeit« aus, die der Fluch unseres ganzen übersteigerten Wirtschaftslebens ist. Er hat Liebe für Musik, Kunst und Philosophie, ja er ist oft ein Spintisierer wie der Deutsche. Er hat schließlich einen tiefen Sinn für die geschichtliche Größe seiner eigenen Vergangenheit. Auch hierin könnte ihn mancher Deutsche sich eher zum Vorbild nehmen als umgekehrt. Wir können vom Juden allerdings nicht verlangen, daß er die gleiche Begeisterung wie wir für unsere nationale Vergangenheit aufbringt. Diese Begeisterung könnte nie ganz echt sein, denn im Untergrund seines Bewußtseins schlummert der bittere Gedanke, daß der Jude früher bei uns – wie in ganz Europa – durch Ausnahmegesetze davon abgeschlossen war Ein Jude mit Geschichtskenntnis wird freilich auch hierin billiger urteilen. Mirabeau, der Friedrich den Großen in seinem letzten Lebensjahr – drei Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution – besuchte, schreibt am 17. 4. 1786 über diesen Besuch: »Sagen Sie Dohm, wir hätten sehr hübsch über die Juden und über die Toleranz gesprochen. Ich rate den Fanatikern, sich nicht daran zu stoßen.« (S. meine deutsche Ausgabe: »Gespräche Friedrichs des Großen«, Berlin, 1919, S. 306 f.)
Mirabeau selbst verfaßte 1787 eine Schrift: »Über Moses Mendelssohn, die politische Verbesserung der Juden und besonders die Bewegung zur Judenemanzipation in England im Jahre 1753.« Zwei Jahre danach wurde dies Programm verwirklicht. Der erwähnte Chr. Fr. Dohm (1751 bis 1820) war preußischer Archivar. Er schrieb 1786 eine Abhandlung »Zur Verbesserung der Juden«. Hätte Friedrich der Große länger gelebt, so hätte der große Reformer wohl auch hier noch Wandel geschaffen. So wurde sein Reformwerk erst nach 1806 weitergeführt, auch die Judenemanzipation in Preußen begonnen.
. Immerhin hat ein Mann wie Fritz Stahl, der sympathischste Mitarbeiter des »Berliner Tageblatts«, ein hübsches Buch über das alte Potsdam, die Pflanzstätte preußischer Größe, geschrieben und Vorträge über Alt-Berlin gehalten, die auch in der rechtsstehenden Presse warme Anerkennung fanden. Wie schlecht paßt das ins antisemitische Schema! Zudem gibt es in Deutschland doch noch andere Menschen als Preußen. Wir nehmen es keinem Sachsen, Hessen, Bayern usw. übel, wenn er seine eigene Vergangenheit ehrt, können es darum auch dem Juden nicht verübeln – wie gesagt, unter der Bedingung, daß er die unsere unangetastet läßt.

Woran aber jeder Jude unterschiedlos teilnehmen kann und gern teilnimmt, das ist das geistige Leben Deutschlands. Er nimmt sogar nicht nur mit Worten daran teil, sondern mit der Tat. Ich frage mich manchmal, wohin viele deutsche Künstler, Dichter und Schriftsteller wohl gekommen wären, wenn wir im Bürgertum kein geistig hochinteressiertes und kaufkräftiges Judentum hätten. Gerade unsere rechtsstehenden Kreise, der Beamte, der Offizier, der Landwirt, haben, wie in anderem Zusammenhang schon gestreift wurde, für das deutsche Geistesleben nicht immer den offenen Sinn und die offene Hand gehabt, die erwünscht gewesen wären. Das politische und das geistige Deutschland sind, dank unserem geschichtlichen Werdegang, oft zwei geschiedene Welten gewesen – zum beiderseitigen Schaden. Die preußische Kultur des alten Fritz war noch ganz französiert, der große König hatte für die Geburtswehen des neuen deutschen Geistes nur Geringschätzung, und erst auf seine alten Tage, am Schluß seiner Streitschrift »über die deutsche Literatur«, ahnte und prophezeite er einen geistigen Aufschwung, als dieser bereits zum Ereignis geworden war.

»Er spricht's und ahnet nicht, daß diese Morgenröte
Den Horizont schon küßt, daß schon der junge Goethe
Mit seiner Rechten fast den vollen Kranz berührt,
Er, der das scheue Kind, noch rot von süßem Schrecken,
Die deutsche Poesie, aus welschen Taxushecken
Zum freien Dichterwalde führt.« Geibel, »Sanssouci«.

Das wurde freilich anders seit 1806, besonders aber, seit der gekrönte Romantiker Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg. Wäre es nach ihm gegangen, selbst Heine wäre trotz seiner infamen Anwürfe gegen das Königshaus, trotz der Beschmutzung seiner preußischen Heimat zurückberufen worden, weil er ein Dichter von Gottes Gnaden war. Im ganzen aber kann man sagen, daß die deutsche Kultur sich nur in den großen Volksbewegungen und Erhebungen, wie 1813, 1870 und 1914, mit dem politischen Deutschland wirklich zusammenfand, in der Einsicht, daß nur ein gutes deutsches Schwert und eine feste Politik die deutsche Kultur schirmen können, ja daß beide auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden seien. In den großen Zwischenräumen aber kehrte jeder zu seinem Leisten zurück, und der Riß bestand fort. Meist war es daher das deutsche Bürgertum, und in ihm die deutschen Juden, die sich der deutschen Kunst und Wissenschaft annahmen. Wer immer die zersetzenden, deutschfeindlichen Tendenzen des Judentums schilt, sollte doch auch einmal diese Seite des Problems betrachten! Wäre der deutsche Dichter, Künstler und Schriftsteller auf die staatserhaltenden, rechtsstehenden Kreise angewiesen gewesen, er hätte glatt verhungern können!

Am traurigsten freilich erging es den stark national oder germanisch betonten Dichtern und Künstlern, denn sie fanden weder rechts noch links einen Rückhalt, besonders wenn sie sich, wie es meist geschah, den Weg nach links durch Antisemitismus verbauten. Den umgekehrten Weg ging ein Stockpreuße wie Th. Fontane, der bei der »Kreuzzeitung« begann und – notgedrungen – bei der »Vossischen Zeitung« endete. Bekannt ist sein Gedicht an seinem siebzigsten Geburtstag, das er aber zartfühlend in seine Gedichtsammlung nicht aufnahm. Er sagt darin, er hätte erwartet, daß die Arnim und Kröcher und die anderen Vertreter des preußischen Adels, dessen Lied er gesungen, als Gratulanten erscheinen würden, es wäre aber nur der – alttestamentliche Adel erschienen. Mit dem bitteren: »Kommen Sie, Cohn,« schließt das Gedicht. Sein Fall war nicht der einzige. In den demokratischen Blättern des alten Regimes war der »Renommierbaron« eine ständige Erscheinung, weit häufiger als der »Konzessionsschulze« in den adligen Regimentern. Es war eine notgedrungene Abwanderung unserer Intelligenz nach links. Aber wie gesagt, ist das zum Glück jetzt anders geworden, denn man hat die Versäumnis eingesehen, und es wird hoffentlich noch ganz anders werden!

Überdies braucht in der Rüge dieses schon verschwindenden Mißstandes nicht immer ein Vorwurf zu liegen! Weiß doch jeder, daß gerade unsere rechtsstehenden Kreise nicht die begütertsten sind und daß z. B. der deutsche Landwirt heute seinen ganzen Mann einsetzen muß, will er nicht bankrott werden. Für geistige Interessen oder gar Mäzenatentum bleibt da wenig Geld, Zeit und Stimmung übrig. Insbesondere kann der deutsche Adel die Rolle, die er früher im geistigen und künstlerischen Leben der Nation spielte, nicht mehr aufrechterhalten, seit seine Vorrechte abgeschafft sind und er oft einen härteren Daseinskampf zu führen hat als das Bürgertum. Wie sich diese Tatsache aber auch erklären möge, sie bleibt bestehen.

Da ich hier kein Loblied auf die Juden singe, sondern nur nach Wahrheit trachte, will ich nicht verschweigen, daß der jüdisch geleitete Kunst- und Literaturbetrieb auch seine Schattenseiten hat. Unsere Ausländerei fand hier oft nur zu willige Förderer und Helfer, denen erst die nationale Erregung des Weltkrieges das Handwerk gelegt hat. Gegen solche Strebungen kann natürlich nicht genug Front gemacht werden, und wenn die rechtsstehende Presse dies tut, so ist's nicht nur ihr gutes Recht, sondern ihre heilige Pflicht. Nur verquicke sie diesen Kampf nicht mit dem Schlagwort des Antisemitismus, sondern greife die Schädlinge an, weil sie Schädlinge sind, nicht als Juden. In diesem Sinne habe ich kürzlich 27. 10. 19. in der »Kreuzzeitung« das Problem »Heine und das Deutschtum« durchleuchtet und bei schärfster sachlicher Verurteilung des Politikers Heine dem deutschen Liederdichter alle schuldige Ehre erwiesen. Ich habe zum Schluß ausdrücklich betont, daß mir jeder Antisemitismus fernläge, und zum Beweise dessen habe ich Stahls konservative Weltanschauung und Börnes Wirken für deutsche Interessen herangezogen. Übrigens findet man auch unter »Ariern« solche Doppelnaturen wie Heine. So z. B. Friedrich Nietzsche, der in vielem grunddeutsch war, aber durch einseitiges Ausgehen vom humanistischen Standpunkt und persönliche Verbitterung über seine Verkanntheit sich zu wilden Schmähungen gegen sein Vaterland hinreißen ließ, statt Schäden, die er zu sehen glaubte, durch gütigen oder strengen Zuspruch zu bessern.

Aber dem Antisemiten wird das, was ich an dem jüdisch geleiteten Literatur- und Theaterbetrieb rüge, noch lange nicht weitgehend genug erscheinen. Er wird nicht nur einzelne Schäden verallgemeinern, sondern überhaupt sagen: »Der Jude hat als solcher nur Sinn für den Marktwert geistiger Erzeugnisse und Kulturwerte. Sie sind für ihn eine Ware wie alles andere. Im Grunde steht er ihnen völlig gleichgültig gegenüber, und somit ist er ein Kulturschädling.« Dieser Einwand läuft auf das gleiche hinaus wie der schon widerlegte Einwand, die Juden seien durchweg unproduktiv und bloße Makler. Aber selbst wenn dies zuträfe, so stimmt doch die Schlußfolgerung keineswegs. Wer mit geistigen und künstlerischen Werten Handel treibt, der muß von der Sache selbst etwas verstehen, oder er wird schlechte Geschäfte machen, genau wie ein Pferdejude ohne Pferdeverstand. Die dauernde Beschäftigung mit Kunst- oder Schriftwerken und Theaterstücken erzeugt also wenigstens eine künstlerisch-literarische Routine und einen sicheren Geschmack, und es entwickelt sich daraus nicht selten wahre Liebe und tiefes Verständnis, wie es unsere großen jüdischen Mäzene und Kunstsammler zeigen. Jedenfalls aber ist diese Routine immer noch mehr wert als die Unbildung mancher, die mit ihrer Schulbildung jede geistige oder künstlerische Betätigung abschließen, mögen sie im übrigen noch so stramm national sein. Ja gerade eine gewisse Abart der Antisemiten zeigt einen erschreckenden Tiefstand geistiger Bildung. Zudem tritt der Jude, wie schon gezeigt wurde, doch nicht bloß als Händler mit geistigen Werten auf, sondern auch als Konsument und als Produzent, als Künstler (Liebermann), Schriftsteller, Mäzen und Kunstsammler.

Statt also auch hier künstlich einen Abgrund aufzureißen, der nicht besteht, sollte man sich lieber freuen, daß das Buch, das Feuilleton, die Zeitschrift, das Theater, Stätten sind, wo sich die Geister wieder versöhnen oder zusammenfinden, wo die Amalgamierung leicht ist und sich sozusagen von selbst vollzieht. Auch die Wissenschaft steht gottlob »unter dem Strich«. Ich weiß nicht, welche Politik Herr Einstein betreibt, aber soviel ist gewiß, daß seine wissenschaftlichen Leistungen ein deutscher Ruhmestitel sind, mag er zehnmal »Jude« sein. Auch der Genuß eines Heineschen Gedichts (wohl gar in der Vertonung von Mendelssohn, also ein potenziertes Greuel!) wird mir nur leicht getrübt durch den Gedanken an Heines politische und menschliche Minderwertigkeit. Ich halte sie dem Dichter zugute, denn ich weiß, daß die Natur nichts gratis gibt, sondern ihren harten Tribut fordert. Indem sie alle Kraft in die hypertrophische Blüte eines Talents treibt, saugt sie den ganzen übrigen Menschen aus, und der beste Dichter ist darum oft ein minderwertiger Mensch oder ein politischer Narr. Ich komme ja auch bei Richard Wagner leicht über die tollen Sprünge von 1848 hinweg, wenn mich seine Musik in Entzücken versetzt. Wollte man überhaupt die Rasse zum Kriterium eines Kunstwerkes oder einer geistigen Leistung machen, so dürfte man folgerecht auch keine ausländischen Erzeugnisse der Kunst oder Wissenschaft bewundern, auch die genialsten nicht. Diese Albernheit überlassen wir lieber den Ententevölkern und warten ruhig ab, wie lange sie damit auskommen werden. Der Geist hat keine politischen und völkischen Grenzen oder er verarmt in ihnen.

4. Nun zum Rassestandpunkt. Auch hier liegt das Problem nicht so einfach, wie es die Rassefanatiker behaupten und naiver Sinn es glaubt. Überall in Europa liegt als Unterschicht über der arischen Das Wort »arisch« stammt eigentlich aus der Sprachwissenschaft, wird aber neuerdings als Korrelat von indogermanisch gebraucht, weil die arischen Sprachen meist von indogermanischen Völkern gesprochen werden. Ein sicheres Merkmal ist dies jedoch nicht, sonst müßte man z. B. alle, z. T. nicht einmal indogermanischen Völker, deren Sprachen sich aus dem Lateinischen entwickelt haben, als »Latiner« bezeichnen. Die Schweizer und Tiroler »Ladiner« gehören z. B. der vorindogermanischen Urbevölkerung an. Siedlung eine Urbevölkerung, deren Reste sich in den Basken, Iberern, Rhätiern (Ladinern) und Illyriern bis heute erhalten haben; dazu kommt dann noch die Einwanderung der nichtarischen Etrusker. Eine Darstellung des Rassenproblems in Europa würde, noch so kurz gefaßt, den Raum dieser Schrift übersteigen. Beschränken wir uns daher auf Deutschland. Hier liegt jene Unterschicht in den Alpenländern. Auf sie folgt vom 5. Jahrhundert v. Chr. die mächtige gallische Welle längs der Donauländer (das gallische Bojerreich in Böhmen) mit ihren Seitenwellen (480 Zerstörung Roms durch die Gallier). Sie hat sich erst in Kleinasien (Galatien) verlaufen. Auf die germanische Siedlung setzte sich dann im Dekumatland die mehrhundertjährige römische Kolonisation. Das Chaos der Völkerwanderung wurde von den Hunnen überbraust; später stießen die Avaren bis tief nach Mitteldeutschland vor. In die alten Germanensitze östlich der Elbe waren inzwischen die Slawen gedrungen, in Ostpreußen die Litauer. Um das Jahr 1000 begann die langsame Rückeroberung des Landes östlich der Elbe, eine germanische Kolonisation auf slawischer (wendischer, polnischer) oder litauischer Grundlage. Diese biegsame Unterschicht und die Notwendigkeit festen Zusammenschlusses auf Kolonialboden, d. h. in Feindesland, gab dem Ostelbiertum die staatsbildende Kraft, die in reiner deutschen Gebieten bei der zentrifugalen Eigenbrödelei des Volkscharakters fehlte. Der Dreißigjährige Krieg rottete leider gerade in Brandenburg-Preußen einen großen Teil der alten Bevölkerung aus, und das vieljährige Hausen aller möglichen Völker auf deutschem Boden führte überall zu einer furchtbaren Rasseverschlechterung. Die großen Hohenzollernfürsten, die Preußen wieder aufrichteten, aber auch andere protestantische Fürsten, fingen zur Wiederbevölkerung des Landes ein großzügiges Kolonisationswerk an. Sie nahmen die mannigfachsten Völker auf, in Preußen insbesondere französische Hugenotten, Niederländer, Wallonen, Tschechen, vor allem Deutsche aller Gaue, die mit der alten deutsch-slawischen Mischbevölkerung zu einem neuen Volke, einer »geistigen Rasse« von größter Aufnahmefähigkeit und Unternehmungslust verschmolzen, lauter Menschen, die schwerer Gefahr entronnen waren, um auf dem Schutt verbrannter und verfallener Dörfer und Städte neue Häuser zu bauen und Brachfelder urbar zu machen, die den Schwung der Arbeit, den zähen Fleiß mitbrachten, der bis zu dieser »segensreichen« Revolution das Kennzeichen des Preußentums blieb. Am Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen bestand fast ein Drittel der Bevölkerung Preußens aus Kolonisten und deren Nachkommen Vgl. meine Artikelreihe »Das Siedlungswerk der Hohenzollern« in der »Kreuzzeitung« vom 19., 20., 21., 26., 31. I., 2. und 3. II. 1919, sowie Beheim-Schwarzbach »Hohenzollernsche Colonisationen«, Leipzig 1874.. Aus solchen Rassenkreuzungen sind Männer wie Th. Fontane erwachsen.

Von Rassenreinheit kann also weder in Deutschland, noch gar in seinem politischen Rückgrat, Preußen, irgendwie die Rede sein. Und doch rekrutieren sich gerade die Rassefanatiker des Antisemitismus vornehmlich aus den staatlich betonten Kreisen Preußens! Erkläre mir, Graf Örindur Eine teilweise Erklärung, die den berechtigten Kern herausschält, gebe ich weiter unten (S. 64 f.) bei Erörterung des Ostjudenproblems. ... Insbesondere weist unser Adel zahlreiche, oft ruhmvolle französische oder polnische Namen Die wendischen Adelsnamen kommen hier jedoch fast nie in Betracht. Sie sind Orts-, d. h. Besitznamen. auf; ja er ist durch Heiraten neuerdings vielfach – verjudet. Man mag dies vom Rassestandpunkt beklagen oder es vom Kulturstandpunkt Nietzsches begrüßen, der durch Kreuzung des rückenstarken Junkertums mit dem jüdischen Intellektualismus einen höheren Menschentyp zu züchten hoffte. Jedenfalls wiederholt sich der Vorgang immer wieder. Man erlasse es mir, Namen zu nennen, denn das würde nur wieder zu Schnüffeleien im Stil des »Semi-Gotha« führen und dürfte den Beteiligten peinlich sein. Ich meine nur: wer im Glashause sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.

Ein besonders krasser Fall solcher antisemitischen Schnüffelei verdient hier übrigens niedriger gehängt zu werden. Der antisemitische Kyffhäuserverlag (Franz Ehlers Nachf.) in München veröffentlicht soeben ein Buch » Semi-Imperator« in der Aufmachung des »Semi-Gotha«. Die Lektüre ist allen monarchischen Antisemiten zu empfehlen. In diesem Machwerk wird – unterstützt durch (offenbar gefälschte) Photographien und eine Ahnentafel – der »Nachweis« geführt, daß Kaiser Wilhelm II. (durch seinen Koburger Großvater, Prinzgemahl Albert) – Jude ist. Demgemäß wird er roh beschimpft. Also weg mit den Hohenzollern! »Der Gedanke an eine Wiedereinsetzung Wilhelms II. oder eines judaisierten Hohenzollern muß endgültig fallen. Der ehrliche deutsche (!) Sozialismus steht selbst uns Monarchisten viel näher als jedwede jüdisch stylisierte Dynastie.« »Die Methode der Tollheit« nennt das »Berliner Tageblatt« diesen anti-hohenzollernschen Antisemitismus neuester Prägung. Es hat recht! Sollte den Deutsch-Nationalen, den »Triariern Seiner Majestät«, nicht doch vor diesen antisemitischen »Bundesgenossen« grauen? Mir wenigstens ist ein konservativer Jude lieber als diese Rassefanatiker und Schnüffler, die lieber mit dem »ehrlichen deutschen Sozialismus« (des Juden Marx!) gehen als mit den »judaisierten Hohenzollern«!

Um aber auf den preußischen Staat zurückzukommen, so wurde er nicht durch sein Deutschtum zusammengehalten, sondern durch seinen kolonisatorischen Gedanken und das monarchische Staatsprinzip. Erst seit 1806 begann er sich dem nationaldeutschen Gedanken zu nähern; die Ehe zwischen beiden schloß Bismarcks Reichsgründung. Daß diese Ehe nicht immer harmonisch war, haben wir oben S. 57. bei der Betrachtung des politischen und des geistigen Deutschlands gesehen. Ein paar »Fremdkörper« mehr können uns also nicht umbringen, zumal wenn die obige Ehe harmonischer wird.

Ähnlich liegen die Verhältnisse in ganz Europa; am buntesten ist das Völkergemisch in Italien Ligurier, Illyrier, Etrusker, Italiker, Griechen, Gallier, Karthager, Goten, Longobarden, Araber, Normannen, Deutsche aller Zeitalter, Spanier, Franzosen und – Juden. (Sizilien einbegriffen.) und den Balkanstaaten. Trotzdem hat auch Italien sich zu einem »Nationalstaat« zusammengefunden, auf Grund gleicher Sprache, Religion, Sitte, geographischer und wirtschaftlicher Zusammengehörigkeit, die weit mehr staatenbildend wirken als der Rassegedanke. Sonst müßte ja auch die germanische Welt, einschließlich Hollands, Dänemarks und Skandinaviens, eine staatliche Einheit bilden! Bei diesen Gegebenheiten sehe ich also nicht ein, warum das Deutsche Reich seine Juden nicht ebensogut »verdauen« kann wie die Ententeländer, vorausgesetzt, daß die Ostsperre tatkräftig durchgeführt wird. Das größte Hindernis für die Amalgamierung unserer Juden liegt ja tatsächlich darin, daß die Ostjuden mit ihren schlimmen Instinkten, die ihnen ihre furchtbaren Lebensverhältnisse beigebracht haben, eben durch diese Verhältnisse automatisch über die deutsche Grenze gepreßt werden oder sich über Österreich (Galizien!) einschmuggeln. Dadurch ist Deutschland und besonders Preußen vor die dornenvolle Aufgabe gestellt worden, den Amalgamierungsprozeß stets von neuem zu beginnen. Die »europäisierten« Juden wanderten dann auch noch häufig nach Westen, ja außer Landes, und wir genossen somit nicht einmal die Früchte unserer Arbeit. Hinzu kommt, daß der Deutsche wenig Werbekraft für seine Kultur besitzt, wie das Beispiel der Polen zeigt, deren Behandlung sich stets in Extremen bewegt und daher nie zu einem Ergebnis geführt hat. Die tatsächliche »Verdauung«, die uns zugemutet wurde, war also eine ununterbrochene und ewig gestörte. Das hält selbst der beste Magen nicht aus! Hierauf beschränkt sich aber der berechtigte Kern unseres, besonders des preußischen Antisemitismus. Wie man sieht, ist das Übel nicht unheilbar, besonders seit die russische Revolution die Ostjuden befreit hat. Gerade unsere Antisemiten müßten konsequenterweise die heftigsten Feinde des polnischen, ungarischen und russischen Antisemitismus sein, denn ihm verdanken wir ja den starken Druck der Ostjuden auf unsere Grenzen. Sie müßten sich leidenschaftlich dafür einsetzen, daß die Ostjuden die gleichen Lebensbedingungen und Rechte erlangen wie die Völker, bei denen sie wohnen, und sie müßten schließlich Hand in Hand mit den deutschen Juden dafür sorgen, daß die Ostsperre streng gehandhabt wird, damit wir endlich zu einer »Verdauung« unserer eigenen Juden gelangen Ans Unglaubliche grenzt in dieser Hinsicht die Sentimentalität und Blindheit der Revolutionsregierung und ihrer Nachfolgerin. In einer Unterredung mit einem Berichterstatter des »Berliner Tageblatts« vom 12. 3. 20 äußerte der Kultusminister Haenisch angesichts der von ihm zugegebenen »Überflutung mit vorwiegend jüdischen Studierenden aus Osteuropa«: »Aus allgemeinen humanitären und auch aus politischen Gründen habe er angeordnet, daß bei der Zulassung dieser Ostjuden mit der denkbar größten Milde und Weitherzigkeit verfahren werde. Auf der andern Seite sei aber nicht zu verkennen, daß der Unmut der deutschen Studierenden über die Fortnahme zahlreicher Plätze in den Instituten, Kliniken und Hörsälen durch die Ostjuden immerhin (!) verständlich (!) sei. Ebenso ihre Besorgnis vor der späteren Konkurrenz dieser meist sehr anspruchslosen und strebsamen jungen Leute im Wirtschaftskampf. Auch hier gelte es, Geduld zu haben, den deutschen Studierenden immer wieder die tieferen Gründe der Zulassung gerade dieser Ausländer zum Studium klarzumachen und an ihr nationales Ehrgefühl (!) zu appellieren, das sie abhalten müsse, den deutschen Namen durch Exzesse gegen ihre andersrassigen Kommilitonen zu besudeln« ... Mit anderen Worten: der preußische Kultusminister schützt an den preußischen Universitäten eine ihm selbst bedenklich scheinende ostjüdische Konkurrenz, die den deutschen Studierenden ihre berechtigten Plätze und (bei der herrschenden Wohnungsnot) sogar die Wohngelegenheit streitig macht, und wenn sie dagegen aufbegehren, nennt er das »antisemitische Ausschreitung« und appelliert an ihr »nationales Ehrgefühl« – zugunsten der Ostjuden! Ein Kommentar ist überflüssig.. Das alles aber ist nur möglich, wenn der Antisemitismus loyal abgeschafft wird.

Wie wir bereits gezeigt haben, stärkt der Antisemitismus nur die Position seiner Gegner und verschärft die polemische Hetze. Er hält viel darauf, eine bloße Abwehrbewegung zu sein, aber gerade das ist seine Schwäche. Er müßte selbst zum Angriff übergehen, wollte er Positives erreichen, aber das ist erst recht unmöglich, denn ein offensiver Antisemitismus müßte sich das praktische Ziel stecken, die Juden auszurotten, sie unter Ausnahmegesetze zu stellen oder zu vertreiben und alle Juden nicht nur gesellschaftlich, sondern vor allem wirtschaftlich zu boykottieren. Für Pogrome dürfte nur der Radauantisemitismus zu haben sein. Für Ausnahmegesetze gegen die deutschen Juden aber oder für ihre Ausweisung dürfte sich in Deutschland nie mehr eine Mehrheit finden. Die gesellschaftliche Boykottierung schließlich ist ohne die wirtschaftliche unwirksam, und diese ist unmöglich. Wie sollte sich das wirtschaftliche Leben der Antisemiten wohl gestalten, wenn man in kein Geschäft, kein Theater gehen, keine Ware oder Zeitung kaufen könnte, bevor man festgestellt hat, ob nicht »jüdisches Geld« daran beteiligt ist? Zudem sind nicht alle Firmen so abgestempelt wie das »Berliner Tageblatt«. Viele Juden nehmen »Schutzfarben« an und erscheinen unter nichtjüdisch klingenden Namen. Bliebe also nur ein riesiger »Semi-Gotha« für alle Zweige des öffentlichen Lebens, der die Bibel und der Leitstern jedes aufrechten Antisemiten sein müßte. Ich glaube freilich, diese Methode der Verkehrserschwerung würden wenige mitmachen, zumal wir schon Verkehrserschwerungen genug haben. Die vernünftigen Menschen würden also bei dem bisherigen Brauch bleiben. Wenn ich einen Prozeß zu führen, ein Pferd zu kaufen habe, gehe ich zu dem Mann, der mir den Prozeß gewinnen, das beste Pferd besorgen kann, nicht zu dem, der die schönste Seele oder die reinste arische Abkunft hat. Ich suche die Leistung, nicht den Menschen. Somit ist dieser Weg ungangbar.

Nach welchen Kriterien soll man ferner feststellen, ob jemand ein Jude ist? Ahnenprobe? Glaube? Alles versagt. Nur die Schnüffelei würde groteske Formen annehmen. Schließlich bliebe den rein völkisch Gesinnten nichts anderes als das »verjudete« Deutschland zu verlassen, denn auch auf dem Lande stellt sich der Korn- und Pferdejude usw. ein, und man muß mit ihm handeln. Leider aber ist es im Ausland nicht anders, und so bliebe den konsequenten Antisemiten nichts übrig, als in ein wildes Land oder auf eine einsame Insel auszuwandern und dort ein neues reineres Deutschland zu gründen. Die Schnüffeleien würden aber selbst dort kein Ende haben, und jedenfalls dürfte diese Kolonie nicht sehr zahlreich werden. Der allgemeinen Lächerlichkeit aber wäre sie sicher.

Man muß das Problem nur bis zu seinen letzten Konsequenzen treiben, um seine Unmöglichkeit einzusehen! Aber der Antisemitismus bleibt auch ohnedies eine Sackgasse, aus der man am besten resolut umkehrt. Ist dies geschehen, und die deutschen Juden wissen, daß ihnen niemand mehr auf die Füße tritt, daß man ihnen die gleiche Bewegungsfreiheit gibt wie den anderen Volksgenossen, so werden sie aufatmen und sich desto leichter anpassen. Es wird sogar etwas Merkwürdiges geschehen. Bisher konnte man mit einem Juden nie vom – Judentum sprechen. Das gab verlegene Gesichter, und sofort erwachte das Mißtrauen: »Jetzt hält er dich für minderwertig.« Die Kampfstellung war da, auch ohne Grund. Man mußte also gewissermaßen so tun, als sähe man nicht, daß er Jude ist – ungefähr wie man den Buckel eines Buckligen nicht sehen darf – und es seinem Takt überlassen, den Bann zu brechen. Dann aber geschah es bisweilen, daß der noch eben so Mißtrauische über manche seiner Stammesgenossen sehr scharfe Urteile fällte, die einem, hätte man sie selbst geäußert, seine tödliche Feindschaft eingetragen hätten. Man trennte sich schließlich in dem Gefühl, daß eine dünne Scheidewand zwischen Mensch und Mensch gefallen sei, und lernte sich gegenseitig achten. Die Antisemitismus ist diese Scheidewand. Wenn er fällt, wird man etwas so Natürliches, wie mit einem Juden Über »Juden« zu reden, ungestraft tun können, so gut wie man mit einem Spreewälder, einem Masuren, einem Litauer über seine Abkunft redet? Der Jude wird es dann auch nicht aus Korpsgeist ablehnen, mit uns gemeinsam jüdische Schädlinge zu bekämpfen. Er wird nicht einmal böse werden, wenn man ihn taktvoll auf Unarten aufmerksam macht, die aus mangelhafter Anpassung herrühren. Er wird sich ebenso eifrig bemühen, sie abzutun, wie er sie bisher aus Trotz beibehielt. Das neueste Beispiel eines nichtantisemitischen Antisemitismus hat kürzlich die D. V. P. geliefert. Sie hat den Antisemitismus verworfen. Trotzdem aber hat sie kürzlich eine parteiamtliche Erklärung gegen den Unfug der Zusammensetzung des berühmten Untersuchungsausschusses veröffentlicht, in dem fast mehr Juden als Nichtjuden sitzen. Ich bin überzeugt, daß dieser Protest weit wirksamer ist als mit antisemitischer Begleitmusik.

Wenn die D. N. V. P. glaubt, jüdische Auswüchse und Übergriffe durch Antisemitismus abwehren zu können, so täuscht sie sich bitter: sie verstärkt dadurch nur die jüdische Solidarität, ja sie ruft sie künstlich hervor. Sitzen aber in ihren Reihen Juden – und nicht nur als Mitglieder zweiter Klasse! – so können diese ihren Rassegenossen selbst auf die Finger klopfen, wenn sie das Parteiinteresse oder das Gesamtinteresse verletzen. Das rechtsstehende Judentum wird sogar im eigenen Interesse dafür sorgen, daß solche es selbst kompromittierende Übergriffe nicht stattfinden, und ihnen nötigenfalls vorbeugen. Es kommt hinzu, daß mit dem Antisemitismus ein Sprengpunkt zwischen den bürgerlichen Parteien fortfällt. Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß das Bürgertum sich in seiner Mehrheit wenigstens in Lebensfragen zusammenschließt. So ist es bei den nächsten Kommunalwahlen einfach ein Gebot der Selbsterhaltung, daß die bürgerlichen Parteien Hand in Hand gehen. Und das kann nur geschehen, sobald der Antisemitismus abgeschafft ist.

Mehr noch: ich hoffe, wie jeder, der einer Partei nicht nur äußerlich angehört, daß die meine über kurz oder lang zur Macht kommt. Eine Rechtspartei aber, die in Deutschland mitregieren will, kann nicht alle Juden wegbeißen und vor den Kopf stoßen, oder sie wird nicht lange regieren. Sie braucht alle Kräfte zum Aufbau. Selbst gegenwärtig, als »Partei der Zukunft«, wie sie sich nicht mit Unrecht nennt, kann sie nicht dauernd vom Antisemitismus leben. Wir brauchen die jüdische Intelligenz überall, in der Politik so gut wie in der Wirtschaft. Wanderte unser jüdisches Kapital aus, wie die Rothschild und Oppenheim es bereits getan haben, so könnten wir das gleiche erleben wie die Spanier zur Zeit der Inquisition oder die Franzosen – mutatis mutandis – bei der Widerrufung des Edikts von Nantes: einen katastrophalen Rückgang unserer Wirtschaft! Die Antisemiten würden sich dann schmunzelnd die Hände reiben, und wir könnten in tadellos weißer »arischer« Weste verhungern. Noch mehr aber schmunzeln würden die Engländer und Amerikaner, denen wir einen so großen Gefallen tun. Sie würden die Juden mit offenen Armen aufnehmen, wie einst der Große Kurfürst die Hugenotten und die Engländer die spanischen Juden aufnahmen, die zur wirtschaftlichen Blüte ihrer Länder soviel beitrugen.

Man wird mir vielleicht einwenden, eine große Partei könnte sich selbst kein solches Desaveu geben. Wirklich? Haben nicht alle Parteien ihre Standpunkte in Einzelheiten geändert? Haben nicht auch die Rechtsstehenden in der Kanalfrage, der Wahlrechtsfrage und in anderen Dingen umgelernt, umlernen müssen? Warum nicht in dieser Sache? Das Einsehen eines Irrtums ehrt den ihn Einsehenden, – besonders wenn es rechtzeitig geschieht, wenn die Einsicht nicht die Folge bitterer Erfahrung, sondern kluger Voraussicht ist. Zudem ist die D. N. V. P. eine neue Partei. Sie hat zwar wertvolles konservatives Erbgut übernommen, aber sie hat auch neue, verheißungsvolle Kräfte und Anschauungen erworben, Gerade die Abkehr vom Antisemitismus würde das törichte Gerede der Gegner Lügen strafen, die D. N. V. P. sei nur eine zeitgemäße neue Aufmachung der alten »Junkerpartei«.

Aber wir dürfen den Blick in die Zukunft nicht nur auf die innerpolitischen Verhältnisse richten. Der Deutsche neigt ja leider überhaupt zur Kirchturmspolitik. Nachdem wir während des Weltkrieges einmal weltpolitische Metaphysik getrieben haben, ist der Rückschlag jetzt eine um so engere innerpolitische Einstellung. Aber davon ist die D. N. V. P. ja am wenigsten betroffen; sie kann um so klarer in die Zukunft sehen. Zwei Dinge sind es, die in der äußeren Politik der Zukunft gegen den Antisemitismus am meisten ins Gewicht fallen. Zunächst können wir uns ohne die Hilfe Amerikas nicht wieder hocharbeiten. Ich will nicht auf die politische Begründung eingehen, weshalb gerade Amerika am meisten geneigt und imstande sein dürfte, Deutschland wieder aufzuhelfen, besonders wenn eine rechtsstehende Mehrheit die Ruhe und Ordnung verbürgt, die die jetzige Mehrheit nicht geben kann. Einem künftigen antisemitisch orientierten Deutschland aber wird Wallstreet nicht einen Cent geben. Zweitens ist das Judentum in Amerika nicht nur in der Hochfinanz, sondern auch in der Politik vertreten. Man hat doch kürzlich gelesen, daß als Nachfolger des Obersten House, des Vertrauten Wilsons, ein Herr Baruch ausersehen ist. Dieser Mann aber ist nicht einzig in seiner Art. Auch hier also kann uns der Antisemitismus nichts nutzen, sondern nur schaden. Wie weit die jüdische Solidarität geht und welcher Art sie ist, glaube ich bei dem Beispiel der Ostjuden S. 47 f. gezeigt zu haben; ich brauche es hier also nicht zu wiederholen. Genug: wir dürfen gerade Amerika nicht durch Antisemitismus verprellen.


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