Marie von Olfers
Frost in Blüthen
Marie von Olfers

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In meiner Mutter Hütte laß mich weinen,
Ja bringt die alten Thränen mit zurück.
       

Mit vieler Müh' hatte sich Dorothee von Ort zu Ort geschleppt – es gab gute Leute am Weg, sonst wäre sie wohl verkommen wie viele Ihresgleichen. Die Angst, in der sie lebte, daß er sie verfolgen möchte, hätte sie sich sparen können.

Noch denselben Tag schiffte er sich ein und als die alte Erde hinter ihm lag, fühlte er sich entsündigt und befreit. 194 – Wieder versprach er sich, ein Andrer zu werden, vergessend, daß er, wie der Apfel den Wurm, das Verderben in sich trug.

Dorothee dagegen ging mit schwerem Herzen – als wäre ihr junges Leben nur noch eine Last bis zum Tode.

Er hatte recht, was war ihre Liebe werth, gebrochen war sie, wo sie halten sollte, wie ein morscher Faden. Mit Treue hatte sie noch Niemand angehangen – nur dem Hund. –

Langsam zog sie fort durch die Wüste ihr fremder Menschen, alle so in Eil' – alle so gehetzt – sich stoßend, sich drängend, alle, als hätten sie ganz Besonderes vor, alle doch zu demselben Endziel, dem Tod.

Wer denkt aber daran – jeder hat sein gelobtes Land, welches er noch hier zu erreichen gedenkt.

Dorothee auch – die Heimath war das Paradies, nach dem sie aussah in all' ihren Kümmernissen.

Sie hat einen unerschütterlichen Glauben an die Barmherzigkeit, die sie im Vaterhaus erfahren wird.

Endlich taucht der Kirchthurm empor – auf der Höh', umgeben von Linden – darunter das wohlbekannte Haus.

Sie versteckte sich bis es finster war – denn vor den Leuten scheute sie sich. Vom Gebüsch aus sah sie, gleich Sternen, Licht auf Licht an den Fenstern erscheinen, Mutter, Vater, die Geschwister sah sie in Gedanken sich entgegen kommen.

Endlich machte sie sich auf, ging grad' auf die Thür zu und klopfte.

Eine fremde Hand öffnete sogleich.

195 Dorothee frug nach den Eltern – da wurde die Magd beredt und erzählte in den kräftigsten Ausdrücken die Geschichte, wie sie im Volksmund war; daß sie es der Tochter erzählte, wußte sie nicht; Dorothee hatte sich auf die steinerne Bank gesetzt – kalt und steinern hörte sie die Stimme erzählen, als käme sie von fern her – Kraft, es ganz zu fassen, hatte sie nicht, ihr war nur als sei jetzt alles aus für immer.

»Sie sind in die Vorstadt gezogen,« schloß die Beredte, »hier wohnen andere Leute. Ein Vetter von ihm hat es gekauft, man sagt aus Mitleid.

»Es ist doch hübsch, wenn man reiche Verwandte hat, ja sie sagen sogar, der Herr käme wieder als Pächter, sie wollten es noch einmal mit ihm versuchen von wegen seiner Tüchtigkeit als Landwirth. –

»Fragt einmal wieder nach – für jetzt tretet ein und wärmt Euch, Ihr seht aus als bedürftet Ihr's.«

»Nein – nein! ich dank' Euch,« antwortete Dorothee hastig, –»da hinein – ich könnt' es nicht. –«

»Nun so laßt's bleiben,« antwortete die Magd beleidigt, und warf schallend die Thür in das Schloß. Dorothee blieb sitzen, wo sie saß, ihr Bündelchen reichte wol nicht mehr weit, aber auch hier wollte sie fort – fort, weit fort. – So bitter kalt es war, der Frost von außen war nichts gegen den, der ihre Seele traf. Alles aus und sie noch so jung! Jetzt fühlte sie erst, wie sie von der Hoffnung gelebt hatte. – Schuld am Elend der Eltern. – Bis jetzt hatte sie noch nicht gewußt, was es heißt Schuld am Leiden geliebter 196 Menschen zu sein – bittrer war's, weit bittrer als der eigene Kummer.

Müde, mit schweren Schritten erhob sie sich, um weiter zu gehn. Da sah sie einen Mann auf das Haus zukommen – es war Mondschein – sie erkannte ihn auf der Stelle, den kräftigen Wuchs – das krause Haar – er war's – ihr Vater war's, mit einem Schrei, der weithin durch die Nacht klang, lag sie in seinen Armen, weinend wie ein Kind, sich bald entschuldigend, bald anklagend, sich dicht in seine Umarmung drängend wie die Taube in das Nest, die der Geier verfolgt.

Sie setzten sich auf die Bank, sie erzählten sich alles zwei-, dreimal, sich einander tröstend und dann zog er sie hinein in das Haus.

Der Pachtcontract war unterzeichnet – das Vogelnest war wieder ihre Heimath. Mit Energie, mit Klugheit konnte es ihre Heimath bleiben.

Andreas frische Natur brach wieder durch, schüttelte sich die Vergangenheit ab, als zähle sie nicht.

Das Glück lag wieder vor seinen Füßen, er brauchte nur zuzugreifen, und nun kam noch sein Kind, seine Dorothee nach Haus.

Er hielt sie in den Armen mit Wonne.

»Es wird eine neue Zeit und das Alte wird vergessen sein. Du bist jung und schön wie damals,« sagte er, ihr, das volle braune Haar streichend, »noch ein Weilchen, und Du blühst wie zuvor. Aber lächeln mußt Du wieder, ich sah es so gern. Hast Du nicht alles noch, um von Neuem glücklich zu werden?«

197 »Alles,« wiederholte die Tochter und heiße Thränen rannen über ihr kindliches Gesicht – »nur das Herz nicht mehr, so jung ich ausseh', Vater ich bin alt geworden.«

»Sag das nicht,« rief er, »es ist mir ein Vorwurf. –

»Glücklich muß ich Euch alle wieder sehn.

»Morgen in acht Tagen hole ich die Mutter. –

»Ja das Nest soll wieder voll werden und wir alle wieder jung und vergnügt. Ich will eine fröhliche Zukunft schaffen, in der die traurige Zeit auslöschen soll wie ein Traum.«

Der erste warme Tag brach an – einer, an dem man sich wundert, daß die Bäume noch so schwarz da stehn, nicht alles sich hervordrängt an die Sonne.

Andreas hob den Kopf und war fröhlich – der Frühling war in seiner Seele. – Sein Lachen von früher erklang und die weißen Zähne erglänzten wie damals, wenn ein Spaß ihm über die Lippen ging.

»O, ich will es ihnen schon gut machen,« rief er sich glücklich zu. »Sibille wird mir verzeihen, wird in dem Glück der Kinder, in meiner Sorge für sie, ihr's und meines wiederfinden.«

Die Augen leuchtend vor Freude trat er bei Dorothee ein.

»Endlich«, sagte er, »ist es so weit – die Stunden sind mir zuletzt zu Jahren geworden – – mache alles zurecht – Blumen an die Fenster – alles soll bekränzt sein wie damals als wir einzogen. Stell' ja recht viel Blüthen hin, Du weißt, sie liebt es, damals war's wie ein Strauß.«

198 »Damals«, sagte Dorothee, »war es Sommer, jetzt blühn so viel Blumen nicht – höchstens ein paar Schneeglöckchen.«

»So nimm Grün, nur daß alles recht festlich und fröhlich aussieht – um Mittag oder gegen Abend kommen wir. Sie sollen auch keinen Tag länger in der elenden Vorstadt bleiben. So lang' ich nicht helfen konnte, traute ich mich nicht hin. – Oft ging ich vorbei, es gab mir immer einen Stich in das Herz, mit leeren Händen durfte ich nicht wieder vor die Mutter treten. – Ich frug oft nach ihnen, aber wer weiß vom Andern in so großer Stadt – fremd leben sie neben einander, verloren in dieser Häuser Wüste – einmal sah ich den David, aber mir fehlte das Herz ihn anzureden, das war traurige Zeit.

,.Aber nun ist sie vorüber.«

 


 

Wer nicht gelitten hat, was weiß er.        

Frei und sonnig lag der Weg vor Andreas. Frei und sonnig, wie seine Zukunft. Blieb ihm Leben und Gesundheit, brauchte selbst Sibille keine Besorgniß zu haben.

Als er durch die jammervoll ärmlichen Gassen fuhr – er hatte ein Wägelchen mit für sie und die Kinder – sank ihm das Herz nicht. – Im Gegentheil, er jubelte, daß er sie da heraus nähme, er, ihr Beschützer, der sie wieder versorgen könne im behaglichen Vogelnest.

Sibillen's scharfe Worte hatte er längst verzieh'n, 199 vergessen; was verzeiht man einer Mutter nicht, wenn es die eigenen Kinder angeht.

Sie trat wieder vor ihn, die Geliebte seiner Jugend, sein warmes Herz brannte darauf, mit ihr Frieden zu machen.

In der Näh' war ein Wirthshaus, da stellte er das Wägelchen ein und ging zu Fuß weiter bis an das Haus, bei dem er so oft vorbeigeschlichen war, wie ein Verbrecher. Zum ersten Mal überschritt er den düstern, schmutzigen Hof. – Sein Bübchen spielte, mit bloßen Füßen am Brunnen in den schwarzen Fluthen herumpantschend.

Er nahm es auf, schmutzig wie es war, hob es hoch in die Höh' unter dem Jauchzen seines Herzens – küßte es und rief es bei Namen.

»Still!« flüsterte das Kind – »der Jonathan schläft – daß wir nur den Jonathan nicht wecken. – Er ist so viel krank gewesen und die Mutter wird sehr bös', wenn man Lärm macht.«

»Wir wollen ihm ein besseres Bett machen, als das da droben in der Kammer,« sagte der Vater leise, »darauf soll er sanfter schlafen.«

»Ja!« flüsterte das Kind mit weiser Miene, »das sagen die Leute auch, sie wollen ihm ein besseres Bett machen, da soll er ruhig schlafen und nicht so stöhnen und wimmern.«

Wie ein Stich ging dem Vater die Wahrheit durch die Seele, hastig setzte er das Kind hin und stürzte die Stiege hinan, die zu der jämmerlichen Bodenkammer führte. – Er riß die Thür auf. – –

200 Sein Kind lag da und schlief, aber er konnte ihm kein besseres Bett machen, als dies elende Strohlager in dieser dumpfen geschlossenen Luft, umgeben von der ganzen Widrigkeit eines bettelhaften Daseins.

Sibille sah sich nicht um. – Andreas mußte herantreten. In ihren Augen malte sich ihre Seele, die ihn verstieß, als sie ihn erblickte.

Wenn sie es gekonnt, sie hätte ihn fortgedrängt von dem Bette.

Er rang die Hände und schluchzte wie ein Kind.

»Du hast es immer besser,« sagte sie, »Du kannst noch weinen, ich bin längst darüber hinaus. Was willst Du hier? Was bringt Dich her?«

»Sibille!« rief er, »ich wollte gut machen, was ich an Euch verbrochen habe!«

»Gut machen! Hier ist nichts gut zu machen, wolltest Du mich etwa um Verzeihung bitten, daß Du mir den Sohn getödtet hast?«

»Es war mein Kind wie Dein's,« antwortete er, »hast Du kein Mitleid?«

»Nein!« erwiderte sie, »ich habe Alles für ihn ausgegeben, in den schweren Wochen, in denen er litt. Für Dich hab' ich nur Verwünschungen. Warum zeigst Du Dich mir grad' in dem Augenblicke, wo meine Seele sinnlos ist vor Schmerz, wo ich Dir Sachen sagen könnte, die selbst Du nicht vergessen würdest.«

»Sibille!« rief er, »ich kam ihn zu retten, kam voll Hoffnung!«

201 »Hoffnung!« wiederholte sie, »dies Wort thut mir weh' und paßt nicht für uns beide.«

Er erzählte ihr wie die Sachen standen, da schrie sie laut auf und warf sich über den Todten.

»Wir sollen es wieder gut haben,« rief sie, »und Du kannst es nicht theilen – Dich soll ich hier zurücklassen – Deine Müh' und Drangsal vergessen und es mir wohl sein lassen ohne Dich.«

»Denk' an Deine anderen Kinder,« bat Andreas. –

»Daran brauchst Du mich nicht zu erinnern,« antwortete sie scharf. »Ich kenne meine Pflicht, aber als Glück sollst Du mir, was Du bringst, nicht verkaufen – es schmeckt bitter wie Wermuth. Hättest Du dies Kind geliebt, verloren, wie ich, Du würdest den Widerwillen verstehen, den mir Deine Freuden machen. Ich gehe mit Dir, aber mein Herz bleibt bei ihm und alle Lust leg' ich ihm wie einen Kranz in das Grab. Jeder gute Bissen, den ich esse, wird mich erinnern, daß es ihm gefehlt, jedes weiche Kissen an das, was er entbehrt hat.«

Die Leute kamen, um den Jüngling in die Erde zu legen, geschäftsmäßig, wie man Arme begräbt.

Sie ließ es ruhig geschehen, machte kein Geschrei, keine Noth. – Wortlos. stumm gingen die Eltern hinter der Leiche her. Keine Annäherung – jeder einsam in seinem Schmerz.

Den Vater übermannte es, als sich das Grab an wüster Stelle schloß.

»Wir holen ihn zurück in das Vogelnest, sobald es 202 unser ist. Geben ihm unsern Lieblingsplatz bei den Linden. Das erste freie Geld soll dafür sein.«

»Es holt ihn Keiner zurück,« antwortete sie trostlos, »er ist verloren – mir kannst Du nichts wiedergeben von dem, was Du mir genommen hast.«

Am Abend fuhren sie fort. Gabriel und David jubelten, als sie das Wägelchen sahn.

Sibille hielt den Kleinen im Arm und verwies es ihnen hart. Spät in der Nacht kamen sie an.

Andreas hatte nicht gewagt, Dorotheens Namen zu nennen. Er ließ Alles gehen wie es ging.

Die Tochter war oft in der Hausthür gewesen, um die Straße hinunterzusehen, das Herz klopfte ihr laut.

Die Sonne ging darüber unter und kein tröstendes Mondlicht erhellte das tiefe Dunkel, in dem sie endlich die Mutter begrüßte.

Erkannt wurde sie gleich, schmerzlich nannte Sibille ihren Namen, aber sie wendete sich ab und als Dorothee die Arme nach dem Brüderchen ausstreckte, drückte es die Mutter fest an sich und trug's allein in das Haus.

Von der Magd nahm sie Dienste an, nicht von der Tochter, nirgends ließ sie sie heran und Dorothee erkannte, daß sie der Mutter eine Fremde geworden war.

Sibille ordnete Alles, wie sie es sonst gethan, saß oben am Tisch; nur als der Jubel über das gute Essen und körperliche Wohlbefinden zu laut wurde zwischen David und Gabriel, schalt sie heftig und ging hinauf.

Erschreckt sah der kleine Bursch' ihr nach.

»Die Mutter ist jetzt immer bös,« sagte er, »seit der 203 Jonathan todt ist, hat sie Niemand lieb, nicht wahr, Gabriel?«

Der Schwachsinnige nickte.

»Du bist mir viel lieber,« fuhr er fort, sich dem Vater anschmiegend, »Du schiltst nicht immer.«

Dorothee ging dennoch hinauf zur Mutter – die Thür war verschlossen und so oft sie auch leise angstvoll klopfte, Niemand machte auf.

Andreas fand sie, wie sie auf den Stufen saß und weinte.

»Laß das,« sagte er, »wir beide können nichts von ihr erwarten, sie lohnt nach Verdienst. Ich weiß keinen Weg mehr zu ihr. Komm, wir wollen zusammen halten, uns scheidet nichts. Zwischen uns ist Alles vergeben und vergessen.«

Sibille hörte sie miteinander die Treppe hinuntergehen und machte nicht auf.

Einsam fühlte sie sich, wie auf ödem Fels, dürr, wie der gebrochene Stamm, dem kein Frühling die Blätter wieder bringt.

An dem Bettchen des Kleinen saß sie die ganze Nacht. Trostlos, zornig, bös im Herzen; wissend, daß es schlecht von ihr war.

»Was habe ich gethan,« rief sie in Einem fort, »daß ich verloren gehen soll, Andreas hat dies elende Gefühl nicht, er, der an Allem Schuld ist und ich – ich –«

Es kam kein Schlaf in ihre Augen und keine Ruhe in ihr Gemüth.

Als die Sonne in die reinliche, wohlbekannte Stube 204 schien, jeden Winkel, jede Erinnerung belebend, wurde ihr immer bedrängter.

Sie trat hinaus in den Garten – der Vater spielte mit dem David, geräuschvoll, lustig, wie es seine Art war – um sie her wirkte die Natur an ihrem Frühlingskleid. –

Das Kind jauchzte dem Vater zu, flog in seine Arme. – Dorothee kam heraus mit Gabriel, Alle vereinigten sich, einander zärtlich begrüßend. Andreas sammelte sie Alle dicht um sich – auf seinem frischen Gesicht lag eine Freude, ein Glück, das sie nicht theilen konnte – dem sie gram war. Einsam stand sie von fern im Schatten der Thür.

»Es wird immer schlimmer mit mir,« sagte sie sich, »mein Herz immer elender – ich kann keine Freude in Verbindung mit ihm genießen, nicht einmal die mit den Kindern. Ich hasse sein Lächeln – o! mir wäre besser, ich läge beim Jonathan.«

Im Vogelnest blühte zum zweiten Male Alles wieder auf, schneller als zuvor. Ein Jahr noch und sie waren gerettet. Andreas trug den Kopf wieder hoch. –

Auf alle erdenkliche Weise suchte er die Fröhlichkeit wieder zu wecken im Haus, tobte mit dem Jungen durch die Räume, brachte bald diese, bald jene Lustbarkeit auf. Die Trauerkleider konnte er nicht sehen. Beschenkte Dorothee mit bunten Bändern, die sie nicht trug und die Sibille ein Dorn im Auge waren. Sprach nie von der Vergangenheit, immer nur von der fröhlichen Zukunft, die ihm so sicher schien, als daß es nach der Nacht Tag würde.

Dorothee redete er täglich zu. –

»Laß Dich trennen,. nimm einen andern Mann, warum 205 sollst Du wegen eines Schurken Dein schönes Leben vertrauern. Es giebt mehr Gute als Schlechte in der Welt. Klammre Dich nicht nach Frauenart an das Vergangene, die, um das Unwiederbringliche zu beklagen, Gegenwart und Zukunft verlieren. So lang man lebt, ist noch Zeit glücklich zu werden.«

Aber die schöne Tochter hing den Kopf.

»Noch außen sieht es so aus,« antwortete sie, »als ließe sich Manches schlicht machen und doch, was in der Seele zerstört ist, baut nichts wieder auf. Ob Du mir auch die Last abnähmst, die ich mir selbst auferlegt, was hülfe mir's, im Herzen muß ich sie weiter tragen, bis an den Tag, wo sie mir Gott abnimmt.«

Es war ihm wider den Strich, wenn sie so sprach und er hoffte immer noch, mit seiner frischen Lustigkeit ihre Trübsal zu überwinden.

Er konnte es nicht – etwas anders konnte es – ihr Brüderchen. Das war jetzt schon ein vernehmliches Bürschchen, voller Wünsche und Ansprüche.

Am liebsten hätte er Einen ganz für sich verbraucht.

War Dorothee gewiß, daß die Magd allein war, öffnete sie leise das Kinderzimmer und schlich hinein, als wär's das Paradies. Sie leistete dem Brüderchen die kleinen Dienste, die sie ihrem Kind geleistet, wusch es, kleidete es an, gab ihm die Suppe, tröstete es in seinen Kümmernissen; machte ihm den Hof wie der schönste Liebhaber, ihr Herz lebte daran auf.

Wer ein Kind pflegt, muß lächeln können, hier lernte sie es wieder. Vor der Mutter wagte sie sich nicht heran, 206 eingedenk ihrer strengen Art und wie sie sich fortgewandt. Es war kein Zusammenhang zwischen ihnen. Die Magd machte sich gerne eine Freistunde und Sibille hatte oft in der Stadt zu thun, so kam's, daß sie das Kind nach Herzenslust warten konnte.

Heut' war Sibille wieder hineingefahren, vor Abend wurde sie nicht zurückerwartet.

Scherzend ging Dorothee mit ihrem erbeuteten Schatz im Zimmer auf und ab – das Kind krähte und jauchzte, fuhr ihr durch das Haar im tollen Uebermuth.

Nichts ist so ansteckend, als Lachen von Lippen, über die noch keine ernsthafte Klage gegangen.

Dorothee lachte und recht von Herzen.

Aber Sibille war schneller als sie dachte in der Stadt fertig geworden. Ueberraschend trat sie ein.

Sie blieb von Weitem stehen, dem Jubel zusehend. Der Kleine erblickte sie zuerst und rief nach ihr.

Dorothee erschrak, erröthend schlug sie die Augen nieder.

»Alles immer heimlich,« sagte die Mutter, »wenn ich fort bin, im Einverständniß mit der Magd.«

»Ich fürchtete mich,« stammelte die Tochter, »ich glaubte, Du würdest ihn mir nicht anvertrauen.«

»Und da nimmst Du ihn lieber hinter dem Rücken,« antwortete sie streng und griff nach dem Buben – der aber klammerte sich fest an die Schwester, einen wilden, kleinen Liebesschrei ausstoßend, der Dorothee mit Entzücken durchdrang.

»Recht so,« sagte bitter Sibille, »stiehl mir auch dies 207 Herz noch, für mich muß ja nichts bleiben, da seid ihr alle verbündet.«

»Mutter!« schluchzte die unglückliche junge Frau, »beneide mir das bischen Liebe nicht, ich verdurste darnach, ich sterbe – Du kannst es mir nicht geben, aber er. Seit ich ihn pflege weiß ich, daß ich noch zu retten bin, daß ich leben, noch lieben kann, heißer, treuer als zuvor. Ich hatte auch ein Kleines, Mutter – ich hab's verloren – es starb mir nicht Einmal – als ich es in das Grab legte; Nein! jedes Mal, wenn ich mein Herz kalt dafür werden fühlte, weil es auch sein Kind war, weil es mich an die Fessel mahnte, die mich wund drückte wie das Eisen den Verbrecher. Hab' ich das Brüderchen, mein' ich, mein's wär's – mein Armes, über das Grab hinaus lieb' ich's, pflege ich's in ihm. Laß mich das Kind haben, Mutter, es ist schrecklich, sich schuldig zu fühlen, o, was gäb' ich darum, unschuldig zu leiden wie Du.«

»Mich brauchst Du nicht zu beneiden,« fuhr Sibille auf, »schlimmer kann's nicht mit Dir sein wie mit mir. Die magst Du beneiden, die Unrecht thun und fühlen es nicht, die Andere Thränen vergießen lassen und fröhlich sind, die ihr Haus vernichten und denken, es richt't sich auf wie ein Kartenhaus. Ein Glück, daß Dein Kind starb, ich hätt' es nicht mögen unter uns aufwachsen sehen, wie ein giftiger Keim.«

Dorothee trat von der Mutter zurück – ihr war, als recke das arme kleine Ding aus seinem verlassenen Grabe die Aermchen auf nach ihrer schützenden Liebe, die ihm heiß aus ihrem Herzen entgegen strömte.

208 Sie gab Sibille den Knaben.

»Nein! nein!« rief sie abwehrend, »es war kein Glück!« und eine Fluth von Thränen, dem Elenden nachgeweint, brach aus ihren Augen. »Es war kein Glück – mein Unglück war's, an einem Kind kommt die Mutter immer wieder zurecht, wenn sie's liebt und ich liebe es, ich fühl's gerad' heut, ich liebe es, wenn auch in Schmerzen. Wo sein Tod als Glück erscheint, ist keine Heimath für mich – fort will ich noch heut', wer weiß wohin, fort, hier ertrag' ich's nicht.«

Bei dem Schrei des Herzens fühlte Sibille wie eine Antwort das Ihre durchzucken – ein Lebenszeichen, wo vorher Alles todt und steinern war.

Eine Mutter kann von ihrem Kinde nicht lassen. Hastig zog sie die Beiden, Dorothee und das Bübchen in ihren Arm.

»Verzeih'!« rief sie, »ich wollte, es lebte, denn es hat mir die Tochter wiedergeschenkt. Arme Mutter – komme wann Du willst, der Junge soll Dein sein. Ganz Deiner Pflege anvertraut, Du bist noch jung, Du kannst noch gesund werden. Nimm's! solltest Du mir selbst seine Liebe stehlen, das ist's nicht, eine Mutter giebt ja Alles hin, wenn es nur die Kinder haben, aber für mich war's anders – Euch hat er zu Grunde gerichtet – Euch verdorben. Je mehr ich meine Kinder liebe, je mehr hasse ich ihn. Mir ist nicht zu helfen,« schloß sie muthlos, »ich bin wie die Kranken mit doppeltem Leiden, was für das Eine gut, ist für das Andere schlecht. – Geht, freut Euch miteinander. – Nicht einmal Euer Lachen kann ich vertragen, es ist gut, daß das 209 Kind eine fröhlichere Wartung bekommt. Ich wollt', ich hätte beim Jonathan bleiben dürfen, je heller es hier um mich wird, je dunkler wird es in mir.

 


 

Das Leben ist der Güter Höchstes nicht.        

Wie eine goldene Verheißung brach der Erntemonat an, ringsum die Erde beladen mit Schätzen. – Reichthum so weit das Auge sah. Vor Sonnenaufgang war Andreas hinaus auf die Felder, in rastloser Thätigkeit trieb er sein Werk. Keine andere Natur hätte solche Anspannung ausgehalten. Kopfschüttelnd sahen es die Nachbarn und priesen seine Riesenkräfte.

Aber Andreas war fröhlich und guter Dinge.

»Es ist mein Element,« sagte er, »und mir ist so wohl darin, wie dem Fisch in Wasser.«

Heut' waren die Felder in der Nähe des Hauses an der Reihe. Vor der Thür saßen Mutter und Tochter und schauten zu. Dorothee hatte das Bübchen auf dem Schooß. Es schmiegte sich an sie und sie küßte es mit Inbrunst. Aus ihrem Gesichte leuchtete wieder der frische Ausdruck, der ihr eigen war, und den Andreas umsonst versucht hatte zu wecken.

Der kleinste Funke genügt, um die Flamme anzufachen, die alles erwärmt und durchglüht.

Mit verzehrender Sehnsucht sah es Sibille; ihre Seele unstät voll streitender Gefühle. Sie konnte kein 210 versöhnendes Gefühl finden, keinen Strahl von der Liebe, die, göttlichen Ursprungs, nicht rechtet um den Werth, nicht die Fehler zählt, sondern alles umfaßt, wie des Himmels Sonnenschein, leuchtend – hoch – und doch das Irdische verklärend.

»Nichts fehlt dem Andreas,« sagte sie sich, »nicht einmal meine Verzeihung! ich könnte sie ihm hinwerfen, er nähme sie kaum auf; er hat Recht, hierfür giebt es keine Verzeihung, Worte wären's – leere Worte. Der, der das Messer im Herzen hat, kann nichts anders thun als sterben, und damit ist ein End' daran. Ich aber will ihn anklagen da droben – aufstehen will ich wider ihn am jüngsten Tag, mit meiner verlorenen, mit meiner vergällten Seele und rufen: er that's!« –

Von der Stelle, auf der sie saßen, sah man hinaus auf das Feld. Die Leute arbeiteten wie ein Volk geschäftiger Ameisen. Unter ihnen ragte wie ein Feldherr des Andreas kräftige, schöne Gestalt hervor.

Die Erntewagen thürmten sich mit wuchtiger Bürde.

Einer nach dem Andern schwankte fort, begleitet von dem fröhlichen Peitschenknallen der Burschen.

Es war drückend heiß. Weiße geballte Wölkchen stiegen am Horizont auf, jetzt noch leicht und silbern, aber der Landmann sah sie mißtrauisch an und ahnte die Blitze, die sie in sich trugen.

Man sah die heiße Luft zittern über den Halmen.

Andreas war zu Pferd, er wollte noch auf ein entlegenes Vorwerk.

211 Die beiden Frauen sahen hin auf das Feld, jede in ihren eignen Gedanken.

Plötzlich entstand eine Verwirrung drüben – die Menschen liefen zu einem Knäuel zusammen, alle Arbeit ward unterbrochen.

Das Erste, was aus der Ferne sichtbar wurde, war Andreas' Rappe, ohne seinen Herrn.

Wie ein Pfeil war Dorothee drüben. – Sibille stand wie an den Boden gefesselt – ihr kleiner Sohn kam in Hast zu ihr gestürzt. Der Vater war vom Pferd gesunken, die Leute meinten, es sei ein Sonnenstich.

Jetzt theilte sich das Gedränge, sie brachten ihn langsam nach Haus und setzten ihn auf die Bank. – Er war wie benommen – verstört sah er um sich.

»Wasser,« sagte er, »Wasser, es ist nichts – es kann nichts sein. Mir hat im Leben nichts gefehlt.«

Sibille brachte ein Glas. – Als sie es ihm an die Lippen hielt, wurde er bleich und stieß es barsch fort.

»Mir ist schon besser,« sagte er schnell. »Was steht ihr alle und gafft mich an – die Hitze war zu groß – – es hat nichts auf sich, sag' ich euch. Laßt mich nur einen Augenblick – gleich bin ich wieder dabei. Die Erbsen müssen herein, es steht ein Gewitter am Himmel, sie sind schon überreif – ohne mich arbeitet ihr wie die Schnecken. Geht!« sagte er herrisch, als die Leute ihn noch immer mitleidig umstanden. »Geht an die Arbeit; glaubt ihr, wir haben Zeit zu feiern und zu faulenzen? Laß mich, Dorothee, Du verstehst das nicht – ich muß wieder hin – nichts geht ohne mich.«

212 Er raffte sich empor, gewaltsam, athmete schwer und stand da, kräftig wie ein Eichbaum.

»Siehst Du,« sagte er mit einem Versuch zum Lächeln, »man muß nur nicht klein beigeben, dann zwingt man die Natur. – Ich und jetzt krank werden! – das geht nicht. – Bringt mir das Pferd.«

Sie führten es ihm vor – halfen ihm hinauf; aber statt die Zügel zu halten, erbleichte er von Neuem und sank rücküber.

Bewußtlos brachten sie ihn hinein. Er erwachte nur, um irre zu reden. Das Fieber stieg von Minute zu Minute, es gab ihm übermächtige Gewalt.

Durchaus wollte er auf das Feld. – Nur mit Anstrengung war er von den Knechten zu halten.

Weithin hörte man ihn befehlen und schreien.

Endlich kam er zu sich, aber die Unruhe steigerte sich und er bestürmte den herbeigerufenen Arzt mit Fragen über seinen Zustand. Wie lang er wol krank sein würde – er hätte keine Zeit dazu, er müsse ihn schnell gesund machen.

Die Antwort war immer: Für's Erste müsse er ruhig sein.

Gewaltig suchte er sich zu beherrschen, aber so still er auch lag, die Gedanken gingen durch seine Seele, wie die wilde Jagd.

Er lag zur Wand gekehrt, dennoch merkte er, als Sibille eintrat.

»Du willst wol wieder mit mir abrechnen,« sagte er. »Geh', noch ist nicht Zeit, in ein paar Tagen bin ich 213 wieder gesund. Schick' mir Dorothee, Dein Anblick nimmt mir die Ruh.« –

Er setzte sich auf, als die Tochter kam.

»Ich bin ganz kräftig,« fing er an. – »Nicht wahr, so stirbt man nicht. – Was hat Dir der Arzt gesagt? ich will nicht sterben. Die Seele, sagt man, kann dem Körper zu Hülfe kommen – ich will nicht sterben, ich kann ja nicht fort von Euch, jetzt in diesem Augenblicke, wo Alles wie ein verworrener Knoten ist, zu dem ich einzig die Lösung weiß. Dieser Körper,« fuhr er fort und versuchte zu scherzen, »sieht doch nicht aus, wie ein geknicktes Rohr?«

»Wer denkt an den Tod!« fiel Dorothee beruhigend ein.

»Ich!« antwortete er schnell, »ich, weil ich ihn fürchte, weil er vor mir steht wie ein höhnendes Gespenst, das mir sagt, du hast verspielt, du hast die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Unwiderbringlich ist Alles verloren. – Die Ohnmacht war schrecklich – ein Vorbote. Wenn ich die Augen schließe, fürchte ich, das Leben könne mir gestohlen werden.«

»Du bist es, der Dich tödtet,« sagte Dorothee. »Ruhe wollte der Arzt – Schlaf.«

»Schlaf – Ruhe!« wiederholte er. »Schlaf! wie soll ich meine Seele zur Ruhe bringen? sie ängstet sich hin und her. Ich bin ihrer so wenig mächtig, als ich in der Gewalt habe, aufzustehen und an die Arbeit zu gehen. Wie weit sind sie mit der Ernte? Ihr dachtet, ich hörte es nicht, als das Gewitter losbrach – ich hörte Alles – ich 214 sehe nur zu klar. Wenn Du wüßtest, was zu Grunde gehen kann in diesen Tagen!«

Dorothee mußte die Leute an sein Bett rufen, mit Anstrengung sammelte er seine Sinne, um die kommende Arbeit anzuordnen. Er war von denen, die Alles selbst thun, die ganze Wirthschaft dreht sich um sie, und fehlen sie, bricht sie zusammen.

»Laß nur die Mutter nicht zu mir,« bat er Dorothee, »ich kann ihren Blick nicht ertragen – ich will nichts von ihr, wenn Du nicht kommst, schicke den Knecht.«

Sie küßte die heiße Hand und blieb fortan bei ihm.

Oft in der dunklen Nacht, wenn sie die Sterne droben strahlen sah, schienen es ihr die Augen der Mutter – klar und erbarmungslos, rein wie vom Himmel und fern wie er.

Bei der anstrengenden Pflege verging sie wie ein Schatten; Sibille sah es. –

In der Dämmerung tauschte sie den Platz mit ihr, hoffend, er würde es nicht bemerken; aber er erkannte sie schon am Schritt – über sein Gesicht ging eine erdfahle Farbe.

»Geh,« sagte er, »was ängstigst Du mich? bin ich nicht elend genug? Willst Du mir noch Vorwürfe machen? Ich sterbe, es ist wahr, der Arzt hat es mir gesagt, ich soll meine Sachen in Ordnung bringen. Als ob ich das könnte. Ich hab' Dich nicht gerufen! Glaubst Du, daß ich Deinen Anblick jetzt besser ertragen kann, als Du den meinen damals?«

215 »Ich kam wegen Dorothee,« – sagte Sibille – »sie vergeht.« –

Er ließ sich sein Kind kommen, man mußte die Vorhänge zurückschlagen – lang sah er sie an, bis sich seine Augen mit schweren Tropfen füllten.

»Sibille, Du hast wieder recht,« sagte er, »ich tödte mein Kind. – Geh' schlafen« fuhr er, Dorothee streichelnd, fort, »ich kann ja auch allein sein.«

Von da ab litt er sie nicht mehr, aber auch Niemand anders, bis ihm wieder die Sinne vergingen. Nun nahm Sibille den Platz an seinem Bett ein. –

Der Arzt hatte gemeint, es könne noch bis zum nächsten Tage währen. Zu thun gab es nichts. – Eifersüchtig drängte Sibille Alle hinaus – allein wollte sie mit ihm sein – allein, um die große Rechnung zu machen vor dem Tode.

Da lag er, hilflos, wimmernd wie ein Bild des Jammers. Gott hatte ihn vor ihr niedergeschlagen, wie man einen Feind sich zu Füßen stürzen sieht, getroffen im Gefecht.

Was war's, das sie so anders mächtig bewegte, als sie ihm in das veränderte Antlitz sah, über das ab und zu die Schatten des Todes strichen.

Thränen, von denen sie selbst nicht wußte, rannen über ihre Wangen – etwas wie heiße Liebesgluth strömte mit langentbehrter Wärme durch ihr Herz. Die Fenster waren weit geöffnet – draußen lag eine dunkle, duftige Sommernacht, auf deren schwarzem Grund sich hie und da ein funkelnder Stern zeigte. Tiefe Stille ringsum – aber 216 plötzlich erhob sich in den Büschen tönend die Stimme der Nachtigall, sie sang ihr ewiges Liebeslied.

Andreas phantasirte. »Laßt mich,« sagte er, »wißt Ihr, daß ich noch mehr Kinder habe, die verderben könnten – rührt mich nicht an, ich bin ein Mörder, fragt sie nur, sie wird es Euch sagen. –«

Und dann ging er zurück in die Brautzeit – lächelte, sagte: – »sie hat mir nie getraut, sie hatte am End' doch Recht.«

Dazwischen flehte er herzzerbrechend um ihre Verzeihung.

»Mache mir keine Verwürfe, wußt' ich, daß ich so bald sterben würde. Was hilft's, daß Du mir sagst, ich könne nichts mehr thun.«

»Schweig,« bat er wieder, als hätte sie geredet, »laß mich nur in Ruhe sterben, es ist schon schwer genug. Du kannst mir nicht verzeihen – ich weiß es, ich frage auch nicht danach, es giebt Dinge, die verzeiht und vergißt man hier auf Erden nicht, man müßte sich denn das Herz aus der Brust reißen.«

So fuhr er fort und draußen schlug die Nachtigall. Sibille hörte mit bebendem Herzen Beides.

Für diese klägliche Gestalt tauchte ein Gefühl in ihr auf, zärtlich, heiß wie das, das sie damals als Braut in seine Arme drängte. –

»Andreas,« rief sie ein über das andere Mal leise, wenn sie ihm den Todesschweiß von der Stirn wischte; »Andreas, ich liebe Dich!« – aber er verstand sie nicht. Ein Jammer ergriff sie um ihn, der Alles verlöschte, was er gethan hatte, eine Klarheit kam über sie, die ihr das 217 Räthsel löste, wie einer hier mit dem andern leben soll. Mitleid, göttlicher Liebe ähnlich, erfüllte ihre Seele.

Sie sollte aufstehen, ihn anklagen! Sie sollte diesem gequälten Herzen noch einen Stoß geben!

Dicht drängte sie sich an ihn – ihn liebkosend – die Angsttropfen standen auf seiner Stirn – als ob er sie erkenne, ging ein Ausdruck des Schreckens über sein Gesicht. Wenn er von ihr ginge, ohne sie zu verstehen, wenn sie ihm nicht mehr sagen dürfte, wovon sie erfüllt war, wenn sie ihn von nun an immer im Geist müsse sterben sehen, ohne ihm Trost zu geben? Sie fühlte, daß der Haß, die Vergeltung schrecklich sind in unserer Hand, immer wenden sie sich zurück und die Ungerechtigkeit steht neben ihnen.

Wie eine Krankheit waren die bösen Gefühle von ihr abgefallen; wenn er sie nicht hörte, würden sie wiederkehren in schlimmerer Gestalt.

Immer wieder rief sie in der Angst ihrer Seele – »Andreas, ich will wieder an meine Stelle treten, wo ich hingehöre, dicht an Deinem Herzen, nicht als Deine Anklägerin. Wie hätte der Himmel mich dazu bestellt als Deine Gehülfin, die mit Dir trägt. Ich dachte, ich thäte den Kindern Abbruch dabei, aber im Gegentheil, erst heut' hab' ich mein Herz für sie wieder.

»Wir haben, Gott sei Dank, nicht die Rechnung zu machen, wie haben durch Alles hindurch bei einander zu bleiben. Höre mich! sieh' mich an. – Verzeihe! Du hast Recht, es giebt Dinge, die kann man nicht verzeihen – braucht es auch nicht, man überläßt es Einem, der's kann.«

Er kam zu sich, während sie sprach, ob er Alles 218 verstand, wer sagt's, wer weiß, wie nah oder wie fern uns der Sterbende ist; aber er sah sie an, ließ sie gewähren und suchte die Hand zu küssen, die ihm wohl that.

»Im Elend!« flüsterte er, »ich laß Euch im Elend!«

»Nein,« rief sie, »so elend wie ich war, kann ich nie wieder werden, so wie ich Dich verloren hatte, kann ich Dich selbst durch den Tod nicht verlieren. Nichts trennt uns mehr, Andreas.«

Er legte den Kopf beruhigt an ihre Brust. –

»O, meine armen Kinder!« seufzte er, »ich kann nichts mehr für sie thun – Du Alles allein.«

»Nicht ich,« antwortete sie, »Du in mir – wir beide; ohne den heutigen Tag hätt' ich es nicht gekonnt – Dein schweres Leiden hat es errungen.«

Er sprach nicht mehr, der Kampf begann, der aller irdischen Sorgen entrückt. Sie stand ihm bei durch die ganze Nacht. Gegen Morgen wurde er ruhiger, früh ließ sie die Kinder herein und die Leute, die ihn liebten – er sah sich nach Jedem um, selbst das Kleine hob Sibille an seine Lippen, da zog er mit letzter Kraft die Mutter zu sich nieder und küßte sie – damit schied er.

Sie legten ihn zur Ruh' oben unter den Linden neben den Jonathan. An einem fruchtbaren Sommermorgen legten sie ihn in die Erde. Die Saaten, die er gesäet, warteten noch der Ernte, jubilirend stiegen aus ihnen die Lerchen gen Himmel, da war er schon gefallen in der großen Ernte, bei der Keiner weiß, wann er dazu reif ist.

Sibille versuchte die Pacht zu halten. – Gute Jahre, brave Leute halfen ihr.

219 »Es ist, als ob der gnädige Herr dabei wäre,« sagten sie. »So ist es auch,« pflegte sie zu antworten, »sonst brächt' ich's nicht fertig.«

Als die Kinder alle groß waren, stand die Familie in vollem Glück. – Wohlhabend, gut angesehn; es gab ernste und fröhliche junge Frauen im Haus, die Dorothee oft zuredeten wie der Vater. Florian war todt; aber sie hörte nicht darauf, immer hatte sie das Kleinste im Arm und da es ihr nicht daran fehlte, sah man sie nie anders als fröhlichen Muths. Heut empfing David das Gut aus den Händen der Mutter. »Nicht als ob Du jetzt hier den Herrn spielen solltest, sondern weil ich Dich werth halte, es Dir als Last aufzulegen, die Du für die Andern trägst, weil du stärker, kräftiger, weil Du geschickt dazu bist.«

So lang Sibille lebte, selbst als uraltes Mütterchen, stieg sie täglich hinauf zu den Linden. Man sah dort weit in das Thal, fruchtbar dehnte sich das Land aus – unten spielten und jauchzten die Kinder.

Sie aber hielt ein Zwiegespräch mit dem da droben, ging die Zeit zurück, Andreas entschuldigend, die Stunden verlöschend, wo ihre Seelen geschieden waren. Wie anders urtheilt man, wenn man das Ende weiß. Blind gehen wir dahin und es kann uns das Leben oft mehr scheiden als der Tod.

 


 


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