Marie von Olfers
Frost in Blüthen
Marie von Olfers

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Es soll mein echtes
Ich sich offenbaren.
       

Bedenklich stand es um Florian – deshalb hatte er der schönen Dorothee Liebesfragen nicht beantworten können, wie sie es verdienten, obgleich er es im Herzen that.

Erst mußte diese Krise, wie er es nannte, überstanden sein. Gedrängt von Gläubigern, wußte er, daß eigentlich nichts mehr sein war in Haus und Hof. Ein Vermögen, mit dem auf alle Weise gespielt wird, auf das man nicht Acht hat, verrinnt wie Sand. Schon mehr als einmal hatte er an solchem Abgrund gestanden und war darüber hinweggekommen mit einem kühnen Sprung, wie über den Bach im Wald. Es würde wieder gelingen, meinte er.

War er nicht ein Glückskind, dem Alles gelang?

Mit vornehmer Lässigkeit hatte er Geld verthan, als wär's Staub, ohne selbst viel davon zu haben; Schmeichler und Bedürftige folgten ihm wie Fliegen dem Honig.

Gewohnt viel auszugeben, hielt er Dinge für nothwendig, die es nur reichen Leuten sind.

Hatte er selbst nichts mehr, borgte er es von Andern; ein Art Communismus, bei dem er nie zu kurz kam. Den Reichen borgt man leicht, und für reich galt er lange noch, als er es nicht mehr war.

134 Endlich tauchte Mißtrauen auf; – ist es erst da, wächst es unaufhaltsam, wie der Schatten am Abend.

»Mein Sohn,« hatte seine alte Mutter gesagt, »hüte Dich vor Geldverlegenheiten, Du weißt nicht, zu welchen Nichtswürdigkeiten sie den Menschen bringen können.« Aber die alte Mutter war längst todt, und diesmal gelobte er, wie noch nie, sich zu ändern, wenn er glücklich durchkäme.

Vor seinen Sinn trat ihm ein liebliches Bild, sein hübsches Haus voll Gedeihen – Dorothee seine Frau und er ein besserer Mensch.

So schlimm als heut, hatte es noch nie gestanden, das sah er ein. Unruhig ging er im Zimmer auf und ab, überlegend. –

Tausend Gedanken durchkreuzten seine Seele, gute und böse, aber die guten schienen alle einfältig, denn sie halfen ihm nicht.

Einen Ausweg wußte er wohl, – Anfangs wies er ihn mit Empörung zurück. Die Versuchung ließ nicht ab von ihm und jedes Mal, wenn sie wieder kam, hatte sie eine Entschuldigung mehr mit sich und war weniger schwarz.

Es würde dem Andreas, dessen Credit vortrefflich war, nur einen Federstrich kosten. Bekannt als einer der besten Landwirthe der Gegend, pünktlich in Geldsachen, erschien Florian sich gerettet, wenn der für ihn eintrat.

Daß er ihn in ein Hazardspiel hineinzog, in Schwindeleien, wenn man es beim rechten Namen nannte, sagte er sich nicht. Andreas hatte ja auch offene Augen; und er würde ihm das Geld bald wiedergeben können. Wie oft hatte er in besseren Zeiten solche Wechsel für Freunde 135 unterschrieben, – oft Freund und Geld verloren, vergaß er hinzuzufügen.

Hinzugehen hatte er doch nicht den Muth. So verging Woche auf Woche, er sank immer tiefer, zuletzt schien ihm nur ein Ausgang noch möglich, den konnte er ja aber immer noch haben.

Die Trinkgesellschaft kam jetzt selten im Vogelnest, aber desto mehr im Wirthshaus zusammen.

»Es ist besser,« sagte Andreas, »da kannst Du ruhig schlafen, Mütterchen.«

»Glaube das nicht,« rief sie, »weit schlimmer ist's; wenn Du weg bist, wachsen meine Befürchtungen wie Gespenster. – Geh' nicht von Haus.«

»Man kann es den Frauen nie recht machen, irgendwo muß man doch lustig sein können.«

»Kannst Du es nicht mehr im Haus? Schlimm, wenn das Wirthshaus behaglicher ist.«

»Ach was!« antwortete er, »das Wirthshaus, das ist solch' ein Stichwort von Euch. Da denkt ihr immer an verlorene, liederliche Leute, mit denen wirst Du mich soliden Ehemann doch nicht vermengen.«

An einem stürmischen Regentage saßen die Männer zusammen in der Wirthsstube. Dieselben wie damals im Vogelnest, nur Florian fehlte, auch wurde statt Bier Grogk getrunken. Sie waren in aufgeregtem Gespräche, im Streit über Florian, dessen Geldverhältnisse jetzt Jedem offenkundig dalagen und den Tagesskandal bildeten.

Alle bedauerten den jungen Mann, er war, wie gesagt, allgemein Liebling gewesen. Fröhlich, freigebig, bei jedem 136 lustigen Streich der Erste; solch' ein tragisches Ende hatte keiner vorausgesehen. Reichthum scheint den Meisten unerschöpflich und geht doch so leicht zu Ende.

Wo aber in Geldsachen für einen Schuldenmacher Hülfe geschafft werden soll, da ist kein Verständiger zu Haus. Jeder zog zurück. Dieser hatte Hagelschaden, jener baute; der hatte kein Geld, der andere borgte grundsätzlich nie. Keiner fand sich, so sehr sie ihn bejammerten, der dem Ertrinkenden auch nur einen Finger gereicht hätte.

Andreas großmüthige Natur empörte sich darüber; umsonst redete er ihnen zu, bewies, daß wenn sie nur alle zusammenträten, die Sache noch zu machen sei. Sie hatten taube Ohren.

»Hilf ihm doch selbst,« antwortete der Chor, »Du bist ja so gut im Stande, legst Schätze zurück, wie man sagt, giltst für seinen besten Freund.«

»Wär's wie Ihr sagt, stände ich wahrhaftig nicht vor Euch und bettelte,« rief Andreas, »aber daß ein Landwirth, wie ich, kein Geld zurücklegen kann für's Erste, wißt Ihr selbst am Besten.«

»Das ist wol richtig,« bemerkte einer, »Baares fehlt immer auf dem Land, das wächst leider auf keinem Feld, – aber Dein Name – Deine Unterschrift, die ist so gut wie Geld.«

»Ja!« rief ein Anderer, »vor fünf Jahren hab' ich für ihn gut gesagt, jetzt kommst Du an die Reihe.«

»Erst nachdem er für Dich eingestanden,« schrie Andreas dazwischen, erhitzt von Wein und Zorn. »Muß man 137 Dich daran erinnern, es war als Dir Haus und Hof abbrannte. Du bist nicht in Schaden gekommen seinethalb.«

»Das wol nicht,« entgegnete der Angegriffene. »Noch ein Mal thu ich's deshalb doch nicht, es ist immer ein Wagniß. Wenn Jemand in Geldnoth ist, weiß man nie, wie er wieder herauskommt.«

»Hätte ich nicht Frau und Kinder,« fuhr Andreas auf, »ich fragte nach Eurer engherzigen Vernunft nichts, ginge hin und böte mich ihm an.«

»Eben, es hat jeder etwas,« sagte ein Anderer. »Du verkriechst Dich nun dahinter. Wenn's nicht gefährlich wäre, fände sich schon Jemand.«

Die Rede ging Andreas an die Ehre. »Ich hab' mich nie verkrochen,« erwiderte er, »wer weiß, ich thu es trotz Allem.«

»So thätst Du eine Dummheit,« riefen Alle.

Das Blut stieg Andreas in den Kopf. »Sagt das noch einmal,« schrie er außer sich, »und es ist aus mit uns. Was ich thu, davon habe ich Niemand Rechenschaft zu geben, habe auch nicht Euren Rath verlangt. Ihr halft das Geld verthun, für Euch mag's verständig sein, Euch zurückzuziehen, da der Kuchen gefressen ist, ohne die Zeche zu bezahlen, mir paßt es nicht. Ich habe die Freundschaft anders verstanden.«

Sie suchten ihn umsonst zurückzuhalten, setzten ihm klar die Sache vor, er hörte auf nichts mehr in seiner Gereiztheit, ließ sein Pferd satteln und stürzte auf und davon.

»Da geht Einer,« sagte der dicke Amtmann, »der einen 138 unsinnigen Streich machen wird und sich dabei gewaltig hoch vorkommt.«

»Es ist ihm ganz recht,« antwortete ein Anderer, »aus anderer Leute Beutel erzeigt man keine Wohlthaten, laß ihn die Zeche allein bezahlen.«

Andreas ritt während dessen aufgeregt seiner Wege. An der Stelle, wo der eine Weg zum Vogelnest, der andere zum Florian führte, stockte er einmal, gab dann aber dem Pferde die Sporen, daß es aufbäumte und ritt querwaldein auf das Haus des Freundes zu. Die Hunde schlugen an als er in das Thor ritt. Ein schläfriger Knecht nahm ihm das Pferd ab. Im Stübchen, wo sie oft fröhlich gescherzt und getrunken, sah er Licht.

»Der Herr schläft noch nicht?« fragte er.

»O nein,« sagte der Knecht, »unser Herr muß krank sein, hat keinen Schlaf und keinen Appetit, läuft auch die ganze Nacht ohne Ruhe herum. Die alte Trude sagt's, die schläft unter ihm. Es ist recht gut, daß einmal Jemand nach ihm sieht; kommt, ich fürchte, er hat nichts Gutes vor. Sonst gab es doch hier genug Besuch.«

Florian erkannte Andreas Stimme. Er erschrak wie Jemand, an den die Entscheidung des Lebens tritt und den die Kraft verläßt das Rechte zu thun. Schon in der Begrüßung fühlte er die erregte Stimme des Freundes und woher er kam; durfte er es benutzen? – Warum nicht? War es nicht Schicksal – Glück –, was ihn zu ihm führte?

Andreas fing mit einem Scherz an, nahm die Pistole 139 vom Tisch und sagte: »Ehe man mit solchen Freunden spricht, redet man doch erst mit anderen.«

»Es wollte mich keiner mehr hören,« antwortete Florian, »dieser allein blieb mir treu.«

»Und ich?« – fragte Andreas, den hübschen jugendlichen Kopf aufrichtend, als wär's sein Sohn.

»Du müßtest ein Tollkopf sein, wie ich es gewesen bin,« antwortete er, »um mir zu helfen; Du siehst, wohin es führt. Warum bist Du gekommen, Andreas, ich war schon fertig mit dem Zeug, was man Leben heißt; jetzt aber klammert sich das elende Dasein an neue Hoffnungen, jetzt kann ich nicht mehr sterben, alles in mir lehnt sich dagegen auf, hilf mir Andreas, rette mich noch das eine Mal.«

»Das will ich auch,« antwortete der, und Alles, was noch von Bedenken in seiner Seele gelegen, verschwand vor der Verlockung, dem Armen zu helfen. »Das will ich, mögen knauserige Seelen darüber noch so sehr die Nase rümpfen und schiefe Mäuler ziehen.«

Darauf suchte Florian all' seine Papiere zusammen, und nicht lange, so waren sie ganz versunken in Berechnungen und Vergleichen.

Am Ende fragte ihn Andreas, dem die Sache doch etwas bedenklich ward, auf das Gewissen, ob es auch Alles sei, ob er auch nichts verheimlicht habe.

Florian verschwur sich hoch und theuer, und so unterschrieb Andreas einen Wechsel für ihn. Das Geld war gedeckt durch ein großes Stück Wald, dessen Bäume nur brauchten schlimmsten Falls geschlagen zu werden.

140 Als es anfing zu dämmern stieg Andreas auf und ritt heimwärts, zufrieden mit sich und seiner That.

Florian sah ihn den Weg zum Vogelnest einschlagen; es gab ihm einen Stich in das Herz, wenn er an Dorothee dachte.

Sollte er ihm nach? – noch war Zeit – ihm Alles bekennen, oder sollte er hinauf in seine Kammer und seiner elenden Existenz ein Ende machen? Nach Art solcher Schuldenmacher, die nie mit Offenheit sagen wie weit es ist, hatte er Andreas, trotz allen Schwüren, nicht die volle Wahrheit gesagt. Hie und da verschont, verschwiegen; der Wald, der als Pfand galt, war längst verpfändet; er hatte Andreas verführt, sein Wort an eine verlorene Sache zu wagen.

So stand er zweifelnd bis die Dunkelheit einer frischen Sonne wich, die strahlend emporstieg, heiter wie eine fröhliche Zukunft, und er so jung, so gemacht zum Genuß, sollte fort von dieser Welt. Sein leichter Sinn gewann die Oberhand. Warum sollte das Glück, das ihm eben noch den Retter gesandt, ihm nicht hold sein. Hoffentlich könne er das Geld ersetzen ehe der Betrug herauskäme, dann hätte die ganze Sache Andreas nur einen Federstrich gekostet, und das wäre er als Freund ihm doch werth. 141

 


 

Hast du die Sorge nie gekannt?        

Ernüchtert wachte Andreas auf. – Sibille war schon aus dem Bett. Sie hatte wenig geschlafen.

Erst so lang auf ihn gewartet mit dem Abendbrod, er ließ es jedesmal unsicher, ob er käme, und sie hoffte, wünschte es; dann wartete sie im Bett, bei jedem Gehn der Thüre meinend, er müsse es sein.

Ermattet und erschöpft lag sie und schlief, als er wirklich kam. Er war sehr leise, denn er wollte nicht gern noch mit ihr reden.

Nur ein paar Stunden schlief sie, dann lag sie wieder wach neben ihm, dachte nach, ordnete, was sie ihm Alles sagen mußte, denn sie mußte mit ihm reden, eine Gardinenpredigt nennen es die Leute, aber oft leidet der Prediger mehr dabei als der Sünder.

Es wurde endlich Morgen. – Andreas schlief, und schlief ruhig und sanft wie ein unschuldiges Kind.

Sie wagte ihn nicht zu wecken. – Still stand sie auf, setzte sich an das Fenster und nahm die Arbeit.

Vor ihren Augen ging wie beim Florian die Sonne glänzend auf, aber von ihrer Seele wollten die Nebel nicht weichen. – Seitdem sie über das trunkene Kind geweint, waren so bittere Stunden an ihr vorübergegangen, daß die Thränen von damals ihr selbst kindisch vorkamen.

Tag für Tag sah sie den Knaben körperlich und geistig in sein Verderben gehen, als ob man einen ertrinken sieht, den man nicht halten kann.

Krank, elend drückte er sich herum, zurückgeblieben im 142 Wachsthum, mit blödem Aug' und zitternden Händen. Sie war den Herzenskummer gewohnt, wie man zuletzt den Schmerz gewohnt wird, der einen nie verläßt.

Der Mutter war Gabriel entwachsen. Frauenwort respectirte er lange nicht mehr. Er hatte eine barsche Art mit ihr, die er für männlich hielt und die sie verletzte.

Andreas sah es nicht oder wollte es nicht sehn, wie es mit dem Sohn stand. Unannehmlichkeiten waren ihm von je in den Tod verhaßt. So lang als möglich leugnete er eine Krankheit ab.

»Was thut's, wenn er einmal blaß aussieht?« sagte er, »Dein Jonathan lebt wie ein alter Herr und thut's auch. Trinken muß jeder junge Mensch lernen.«

»Sonst hat er auch nichts gelernt,« antwortete Sibille, »und was hat's ihm eingebracht? Es bleibt ein Laster; wer dem Bösen den kleinen Finger giebt, den hat er bald bei der Hand.«

»Daran seid Ihr Frauen schuld,« antwortete heftig Andreas, »warum habt Ihr ihm im Paradies den kleinen Finger gegeben? Nun sind wir einmal Alle in der fatalen Lage.«

Hinaus in die Waldschenke schlich der junge Mann sehr oft, kam mit liederlichen Burschen dort zusammen; davon wußte der Vater nichts.

Dort war er noch der Feine, unter solchen der Gute, Edle, Kluge, dort paßte sein rohes Wesen, das zu Haus überall anstieß.

143 Sibille erfuhr es. »Laß ihn nur austoben,« antwortete Andreas. »Junger Wein muß gähren.

»Die nobelsten Geister sind meist durch solche wilde Zeit gegangen, grad die Ausgezeichnetsten.«

»Wer steht uns dafür, daß er von diesen nobeln, seltnen, kräftigen Geistern einer ist,« rief Sibille, »mir sieht er nicht danach aus – kräftig genug, die widrige Art abzuschütteln, wenn's an der Zeit ist. – Begabt mit Flügeln, um sich aufzuschwingen aus diesem unwürdigen Elend, das den meisten anklebt wie Pech – Tausende bleiben darin stecken. – Du sagst es selbst – es ist ein Hazardspiel.«

»Das ganze Leben ist ein Hazardspiel, und der Glückliche gewinnt,« sagte Andreas leichthin.

»Der Glückliche nicht,« fiel sie ein, »der Gute, der zum Frieden kommt.«

»Frieden giebt es hier nicht, sondern Krieg,« entgegnete er. »Weibische Männer würdest Du erziehen, die die Frauen nachher selbst in der Ecke stehen lassen und nach den Kecken greifen, die wer weiß wo mit ihrer Seele gesteckt haben. Du hast es doch auch gethan, oder hast Du mich aus Versehen genommen, hast du gedacht, ich wär' einer von den Zahmen?«

»Gott verhüte, daß ich mich in Dir getäuscht habe,« sagte sie besorgt, »daß ich zu unrecht geglaubt, Du könnest Dein Haus leiten. Wir sind ganz in Deiner Hand, ich fühl's immer deutlicher. – Das ganze Glück der Kinder, unser Schicksal hier und dort ruht auf Dir. – Ich habe 144 nichts in der Gewalt behalten. – Alles hab' ich Dir anvertraut.« –

»Nun also,« schloß er dann lustig, »beruhige Dich doch, ich stehe für Euch Alle, ich bin der Lenker, Du hast gar keine Verantwortung, wenn die Kutsche umfällt.«

Sie hatte gestern wieder viel Schlimmes von Gabriel gehört, aber das war's nicht, wovon sie dem Mann sagen wollte; das hätte sich im Allgemeinen noch so ziemlich gemacht mit Tröstungen von seiner Seite, die er willig gab.

Sie wollte um Geld bitten. – Diese schlimme Frage der Frau, die kein Eigenes hat, diese Bettelei unter Eheleuten, die manchem stolzen Herzen bitterer dünkt und ihm schwerer scheint, als dem Bettler gleich die Hand auszustrecken auf der Straße.

Die Kinder wurden groß und noch immer sollte dasselbe Geld ausreichen. Nach außen freigebig, ließ er sich in der Familie Stück für Stück entreißen und sprach immer von Einschränkung.

Es war, als hätt' er bei seiner Eintheilung den Etat für sie vergessen, und nun kam es ihm immer als etwas Außergewöhnliches, Ueberraschendes, daß die Hemden zerrissen, Kleider, Stiefel, wer weiß was alles nicht ewig war. Von Grund aus mußten Neuerungen gemacht werden, Jeder brauchte etwas, wozu das Geld nicht da war.

Ein schlimmer Tag für solche Fragen. –

Als Andreas ernüchtert die Welt ansah, erschien ihm die gestrige Nacht wie ein wüster Traum.

Was er gethan hatte stand drohend gegen ihn auf, 145 als hätte er nicht das Recht dazu gehabt. Er sagte nichts davon. Dagegen gab es eins jener traurigen Gespräche zwischen Eheleuten, die das Herz vergiften, die böse Keime legen, aus denen schädliche Pflanzen wachsen, – die das niedrigste Elend an das Tageslicht ziehen, das besser thäte, nie aus den innersten Falten hervorzukommen, weil es sich schämen muß seiner Existenz.

Zum ersten Mal ging Sibille mit dem Gefühl der Bitterkeit von Andreas.

Vor ihrem Geist stiegen all' die Lumpen und Scherben auf, der ganze Verfall, den sie mit ihren müden Händen halten sollte. Sie, die Schwache. –

Traurig, gedrückt setzte sie sich, um noch einmal zusammenzuflicken, was nicht mehr halten wollte; die ganze Welt nahm für sie eine abgetragene Gestalt an.

Als sie jung war – als sie seine Braut war, hätte er ihr mögen die Hände unterlegen, und jetzt, wo sie Jahre lang treu neben ihm gestanden in angestrengtester Sorge und Arbeit, waren ein paar Groschen zu viel, deren es täglich bedurfte, um die Last leichter zu machen, unter der sie zusammenbrach.

Ihre gerechte Seele empörte sich über das Mißverhältniß in den Ausgaben, bald Verschwendung, Prahlerei, dann wieder kein ganzes Betttuch. –

Großmuth nach außen, in der Wirthschaft Knauserei, Streit um die größte Kleinigkeit.

Andreas machte das schlechte Gewissen heut rauher als gewöhnlich.

Seine Unterschrift, die er dem Florian so leichtsinnig 146 gegeben, tanzte vor seinen Augen. Er Geld geben heut – jetzt! – es war unmöglich! – er vergaß, daß die Frau nicht wußte, was er wußte, und versagte ihr all' ihre Forderungen als unmäßig.

Im Zorn ging er fort. Das Getreide, prächtig im Wachsthum, hob seinen Muth etwas.

Je weiter der Tag kam, je mehr klärte sich seine Stirn auf. Wenn er das Gedeihen ringsum betrachtete, wurde ihm leichter, das war ja alles Geld – sein Geld. Es that ihm leid, daß er Sibille so angefahren.

Eine der duftigsten Blüthen brach er ab und ging heim. Sie saß wieder und arbeitete. Der Ausdruck körperlicher und geistiger Ermattung in ihrem Gesicht fiel ihm jetzt doch auf.

Wie ein scheuer Liebender legte er die Blume ihr in den Schooß.

»Sibille,« rief er, »laß nicht Kleinigkeiten zwischen uns kommen, kaufe, was Du brauchst, ich schaffe das Geld. Haben die Kinder je gehungert? oder sind schlechter gekleidet gewesen, als es für ihren Stand paßt? So wird es weiter gehen, und Du brauchst Dir keine Sorge zu machen, weil noch eins dazu kommt. Welche Freude war sonst in solchem Fall, und wie hast Du getrauert mit mir, als uns klein Lieschen starb. Unsere Lage hat sich wahrhaftig nicht verschlechtert im Haus.«

Sie schwieg, denn sie wußte, es war ihr Verdienst, erkauft durch tausenderlei Mühe, durch Nächte voll Arbeit, durch erfinderische Gedanken, die ihre Seele erschöpften.

147 Wenn sie an die kommende Zeit dachte, brach ihr der Muth, und sie kam um Geld bitten.

»Ihr Frauen nehmt alles zu schwer,« tröstete er weiter, »es ist eine Noth um eine kleine Wirthschaft, als gäbe es den Staat zu regieren. Ihr plagt uns zu viel, das giebt böses Blut. Laß es doch gehen, wie es geht, das ist oft die beste Manier. – Laß mir die Sorge um Euch, mir gehört sie, mir kommt sie zu.«

Sie lehnte sich an ihn, wie in alter Zeit, und dachte: wie himmlisch wär's, könnte ich mich und die Kinder ihm ganz anvertrauen; was hindert mich immer daran? Mir würde sein wie im Elternhaus.

Was sollte werden in der langen Zeit, in der sie ihr Haus nicht versorgen konnte. Dorothee – die war nicht zu brauchen im Haushalt, – weit eher der Jonathan, aber der durfte doch nicht so weibisch sein und die Schlüssel nehmen.

»Andreas,« sprach sie, aus den Träumen erwachend, mit dem feierlichen Ernst, der oft auf ihr lag, »für eine Weile werde ich ja unfähig. Muß Dir Alles überlassen, versprich mir« – –

»Ich verspreche, was Du willst, mein Herz!« sagte er leichthin.

»Wenn Du nur darauf hältst, daß der Gabriel Nachts zu Haus ist.«

»Einem Menschen von sechzehn Jahren kann man nicht nachlaufen,« gab er zu Antwort; »das macht uns beide lächerlich, in der Sache muß man auf Zeit und Vernunft rechnen. Wir können nicht viel mehr thun.«

148 Jetzt konnte man nichts mehr thun, aber früher.

Er fuhr fort ihr Muth einzusprechen, meinte leichthin, Gott würde für sie Alle sorgen.

Sie sog soviel Trost daraus, als eine Biene aus der letzten Blüthe Honig, eh' der Winter kommt.

 


 

Es hat kein Lichtgedanken
Mir Trost gebracht um Mitternacht.
       

Finstrer war noch keine Nacht gewesen, nirgends ein Leuchten, wie Nebel fiel der Regen herunter.

Gabriel saß in der Waldschenke und spielte.

Das Glück war gegen ihn – oder vielmehr, die mit ihm spielten, verstanden es, das Glück auf ihrer Seite zu behalten. Jakob strich lachend eins nach dem andern ein.

»Auf Credit,« sagte er jetzt, »Dein Vater bezahlt, der ist reich und Du wirst doch wol klug genug sein, Dir von dem vielen Geld, das er heut für den Rappen bekam, etwas zu verschaffen. Väter halten immer die Söhne zu knapp, ich würde mir das nicht gefallen lassen.«

Stumm und ingrimmig spielte Gabriel weiter. Seine stumpfen Sinne faßten nur halb seine Lage. Immer verlor er.

Der Wirth warnte, ihm war nicht wohl bei der Sache.

»Hört auf, Junker Gabriel,« sagte er, »ich bekomme sonst Händel mit dem Herrn. Die Polizei hat mich so 149 auf dem Zug. Feinde, Brodneider wollen mir das Gewerbe legen. Hört auf, Jakob! ich duld' es nicht länger.«

»Es ist auch genug für heut,« meinte der, stand auf, und als Gabriel auffahren wollte, sagte er: »Erst bezahl', was Du schuldig bist, eh' spiel ich nicht weiter.«

Mißmuthig schlich der Jüngling durch den Wald, der mit seinen nassen Zweigen ihn bald hier, bald da wie eine kalte Hand über das Gesicht fuhr.

Dann und wann sah er sich scheu um – glaubte Jemand zu hören, der ihm folgte – er sah Niemand, aber wie er am Garten war, tauchte Jakob's verwilderte Gestalt auf.

»Was willst Du hier?« fuhr Gabriel auf, um seine Angst zu verbergen, allein in der Dunkelheit war ihm Jakob nicht geheuer.

»Mich bezahlt machen,« antwortete der, »ich könnte lange warten, wollt' ich Geduld haben bis Du mir das Geld brächtest.«

»Den Hund werd' ich auf Dich hetzen!« rief der Jüngling.

»Der Hund ist todt, vergiftet!« antwortete der unheimliche Geselle, »ich mache nicht lang Federlesens, was mir in den Weg kommt, räume ich fort. Mach' – eil' Dich – gieb den Schlüssel gutwillig – ich werde mir das Geld selber holen. Spar' Dir unnützes Gelärm. Du hast auch keinen Grund laut werden zu lassen, mit wem Du lebst.«

Trotzdem versuchte Gabriel zu schreien – mit ihm zu ringen, alles, was noch von Kraft in seinem elenden 150 Körper und Geist war, zusammenraffend in der Noth des Augenblicks.

Aber Stimme und Hand versagte. Mit einem Schlag über den Kopf, der ihm die Sinne benahm, warf ihn Jakob zu Boden, seine Schwäche verspottend.

»Dummer Junge,« sagte er, »glaubst Du, Du brauchst nur zu rufen, und ich werde ruhig vom Taubenschlag abziehen, weil es Dir nicht paßt, daß der Fuchs da ist.«

Er zog ihn in das Gebüsch, nahm ihm den Schlüssel aus der Tasche, schloß auf und schlich lautlos in's Haus.

Aus der Diebslaterne fielen dann und wann Strahlen, wie ein scheuer Blitz.

Er hoffte Alles würde schlafen. Wo das Geld lag, hatte er erfahren. Schlösser öffnen war ihm leicht. Andreas war nicht im Vogelnest, von Männern Niemand als Jonathan und ein Knecht, der im Hinterhaus schlief.

Es ging auch ganz gut, schon hatte er, was er wollte. Plötzlich aber stand er seiner Mutter gegenüber, die mit Licht kam, um etwas zu holen für den Kleinen, der unruhig war.

Sofort erkannte sie ihn, obgleich der helle Schein, zitternd durch ihre unruhige Hand, nur ein einzig Mal aufflackerte und erlosch.

»Ich wollte Euch dies ersparen, Mutter!« sagte der Taugenichts, »und Euch im warmen Nest ungestört lassen; nun führt der Teufel Euch daher. Gabriel war ein besserer Weg zu ihrem Haus, als Ihr, verrathen werdet Ihr mich nicht?«

151 Sie zitterte in einem fort, daß ihr die Zähne aufeinander schlugen.

»Ich konnte nicht anders,« fuhr er barsch fort. »Man holt's, wo man's kriegt. Mir geht es nicht wie Euch, der es zufließt. Werdet Ihr mich etwa anzeigen?«

Sie schwieg immer.

»Was geht es Euch an? Bleibt ruhig, wo Ihr seid. Sind sie nicht selbst Schuld, daß ich in ihr Haus kam? Ihr Sohn hat das Loch gemacht, durch das ich hineinkroch.«

Aber sie schüttelte trostlos den Kopf.

»Nein! Nein!« sagte sie, »nach dieser Nacht, nachdem ich Dich hier so gesehen, Jakob, kann ich kein Stück Brod mehr mit ihnen essen, nichts mehr von ihnen annehmen, es ist aus damit, aus wieder mit dem sorglosen Leben, und ich bin doch so alt, um immer wieder anzufangen.«

Sie setzte sich auf die Treppe und weinte bitterlich.

»Fort muß ich wieder – fort! mein Brod zusammen betteln, wenn ich es nicht stehlen will – verhetzt – verstoßen.«

Der Bursch' stand neben ihr.

»Warum habt Ihr Euch eingedrängt, wo Ihr nicht hingehört, zu den Rechtschaffenen? Da haben wir nichts mehr zu suchen. Ich habe jetzt Geld für uns beide – zu mir gehört Ihr, Mutter – geht mit mir. – Es giebt jetzt wieder ein Stück lustiges Leben und gute Tage.«

»Deine Wege geh' ich nicht mehr« – fuhr sie auf – »es packt mich ein Abscheu vor solchem Glück, vor solchem Verdienst. – Stell' Dich nicht mehr mit mir zusammen, 152 ich habe nie etwas veruntreut. Du allein bist Schuld an der Schande, die ich trage.«

»Nun, wie Ihr wollt,« sagte er, »Güter muß man Niemand aufzwängen, macht was Ihr wollt, nur verrathet mich nicht, bis ich ein Stück Weg's fort bin. Es wäre eine niederträchtige That für eine Mutter, schlimmer als ich je eine begangen.«

»Nein! nein!« sagte sie, ihn fortdrängend, »ich bin ja das Lügen gewohnt; ich werde Dich nicht in's Zuchthaus bringen. Geh' – geh' – eile, mach' Dich fort!«

Die Alte saß noch eine Weile stumm – wie gelähmt – dann stand sie auf – zündete das Licht wieder an, band ihre Sachen aus der Truhe in ein Bündelchen und ging zum Haus hinaus.

Vor der Thür – stieß sie auf den todten Hund.

»Es soll kein Unheil weiter durch mich geschehen,« murmelte sie, indem sie hastig vorwärts schritt. »Ja, wir sind wie eine ansteckende Krankheit, und der Böse soll nicht wohnen neben dem Guten. Warum wollt' ich glücklich sein? Hab' ich mich nicht selbst auf die Seite gestellt zum Jakob – da ist nachher kein Wählen und kein Unterschied mehr.«

Sie verkroch sich im Wald. – In der Schenke wollte sie der Wirth nicht aufnehmen.

»Macht, daß Ihr fortkommt!« sagte er, »nach Euch und Eurem saubern Sohn wird man das Haus umdrehn. Ich weiß schon darum. – Geht, bringt mich nicht in's Unglück. Warum haltet Ihr Euch nicht zu ihm, er hat jetzt Geld genug für mehr als zwei.«

Zitternd vor Kälte und Nässe suchte sie einen anderen 153 Schlupfwinkel, – eine verfallene Hütte. »Ich will ja Niemandes Unglück mehr,« sagte sie, »ich wünsche mir nur ein Glück, den Tod.«

Im Vogelnest war Zerstörung. Gabriel wurde gefunden – besinnungslos, verletzt – es bedurfte kaum so viel, um den Schwachen vollständig niederzuwerfen. Die Sprache hatte er verloren und wie es schien auch die Sinne – was er stammelte, verstand keiner. Sibille saß an seinem Bett – stumm – thränenlos vor Jammer und Elend. Abends kam Andreas, – er entdeckte erst, wie viel am Gelde fehlte. – »Hättest Du doch das Gesindel nicht in das Haus genommen!« rief Sibille, »warst Du stark genug, es Dir vom Leibe zu halten? Warum unterfingst Du Dich, das Böse zu überwinden, als wärst Du der liebe Gott? Wo ist das Gute, das Du ihm entgegengesetzt hast? Du hast Dein Kind zu Grunde gerichtet!«

»Nimm doch nicht alles so scharf,« antwortete er, »es ist mir unangenehm genug, daß das Geld fehlt. Der Junge wird schon wieder zurechtkommen. – Er wird sich fortan von schlechter Kameradschaft entfernt halten, da er sieht, wohin es führt. Ich kann mir die Geschichte schon zusammenreimen, die Alte steckt natürlich darunter, ebenso gut als der Sohn. So etwas hält zusammen wie die Kletten. Sie soll jetzt keinen barmherzigen Herrn an mir finden. Auch das Wirthshaus muß fort.«

Eifrig verfolgte er die Alte mit dem Sohn, – der ganze Wald wurde abgesucht.

Am zweiten Tage fand man die Frau, halb 154 verhungert, erfroren. – Geld hatte sie nicht, nur ihr Bündelchen und ein Stück Brod, das ihr der Wirth gegeben.

Sie leistete keinen Widerstand. Als sie vor Andreas geschleppt wurde, wiederholte sie immerfort: »Ich bin Schuld, – straft mich, – es wäre mir am liebsten, der Herr schlüg' mich gleich todt!«

Wo das Geld wär', wollte sie nicht wissen, leugnete auch, den Sohn gesehn zu haben.

Es glaubte ihr keiner, aber man fand auch keine Schuld.

Gabriel konnte kein Zeugniß abgeben. Der Schrecken der Nacht war offenbar in seinen Fieberträumen, aber zum Ausdruck kam er nicht.

Andreas blieb dabei: der Junge kommt schon wieder zurecht, – aber es hatte nicht den Anschein.

Dem Wirth der Waldschenke war nichts zu beweisen. Andreas betrieb ihre Auflösung mit Hast, drang darauf Tag für Tag, aber sie hatte sich jetzt festgewachsen wie ein bösartiger Schwamm.

Jakobe hielt man eine Zeitlang gefangen und entließ sie dann, um sie nicht länger zu füttern. Mühsam zog sie von dannen. Einer schenkte ihr noch etwas auf den Weg. Instinctiv, wie das Thier Schutz sucht, nahm sie den Waldpfad, der ihr oft ein Schirm gewesen.

Wieder war's Nacht – kein Stern – kein Licht. – Schwerfällig kroch sie entlang, – ihr altes Leiden am Bein hatte sich wieder gemeldet, eins, wofür es keine Heilung gab, wie der Arzt sagte.

Sie kam bis zur Waldschenke – die Fensterchen 155 waren hell. Gewohnt zu betteln und abgewiesen zu werden, klopfte sie doch wieder an.

Der Wirth kam selbst heraus.

»Was! Mutter Jakobe seid Ihr's?« rief er – »kommt herein. Mein Himmel, wie schlecht Ihr ausseht! – kommt, setzt Euch, – die Sachen haben sich ganz zu Euren Gunsten gewandt. – Kommt herein! Ruht Eure elende Knochen aus.«

Er nöthigte sie herein, brachte Brod und Bier und setzte sich ihr gegenüber.

»Mutter Jakobe!« rief er wieder, »freut Euch. Ihr seid den Fluch Eures Lebens los. Könnt den Kopf wieder heben und sagen, daß Ihr ehrlich seid. Ich selbst hatte Angst vor dem wilden Patron, so einer steckt einem gleich den rothen Hahn auf das Dach. Es hat ihm nicht viel gefrommt, daß er Euer Herrschaft das Geld nahm. Unrecht Gut gedeiht nicht. Händel bekam er drum gleich im Nachbarsdorf, wo sie spielten und tranken. Jeder findet seinen Meister; – ich sage Euch, eine Mordschlägerei, mancher bekam etwas ab, aber ihn, – ihn schlugen sie todt. Dem Himmel sei Dank, daß die Geschichte nicht bei mir vor sich ging, sondern im rothen Löwen. Es giebt nur Unannehmlichkeiten mit der Polizei, und mir hängt man etwas an, wo man kann.«

Wie einen Hagelschauer ließ die Alte den Wortschwall über sich ergehn.

»Todt!« – seufzte sie – »todt! – ihn schlugen sie todt!« – Sie stand auf, nahm ihr Bündel und wollte nach der Thür.

156 »Er ist keiner Klage werth,« sagte der Wirth, »Jeder ist froh, das er überseits ist und ihr müßt es am meisten sein. Habt nichts als Kummer von ihm gehabt. Ihr könnt jetzt ein achtbares Leben führen und die schwere Zeit vergessen.«

»Meint Ihr?« – fragte sie – »vergessen – ihn sollt ich vergessen und fröhlich sein, – das nennt ihr ein achtbares Leben?«

»Seid vernünftig,« redete ihr der Mann zu – »setzt Euch, ruht Euch aus, – Ihr kommt Morgen noch zeitig genug.«

»Immer zu spät,« seufzte sie und schlich fort.

Das Dorf war weit, oft versagten ihr die Glieder; mit dem Morgengrauen kam sie an.

Die Wirthsstube des rothen Löwen war gedrängt voll. Neugierig, sich stoßend, schwatzend versuchten die Leute den Unglücklichen zu sehn.

Als die alte Frau die Schwelle betrat – wich der Schwarm stumm zurück. – Jeder wußte, es war ihr Sohn.

Sie ging, nichts um sich achtend, als wäre sie allein, scharf auf das Bett zu – hob das Tuch auf, das des Todten Antlitz deckte und legte es, zusammenschaudernd, wieder darauf.

Er war sehr entstellt.

»Sie erkennt ihn nicht,« flüsterte die Menge.

»Ich erkenne ihn doch,« erwiderte sie scharf – »eine Mutter wird doch ihren Sohn kennen!« Damit kauerte sie sich zu ihm hin.

Einige traten an sie heran, mit demselben Trost wie 157 der Wirth, boten ihr Wohnung. Mit Jakobs Tod wich die Scheu von ihr, aber sie schüttelte den Kopf und wandte ihr Gesicht der Leiche zu.

Nach und nach verstummte Jeder, – es wurde leer im Zimmer, – Einer nach dem Andern hinaus, – Jakobe blieb allein zurück.

Zur Nacht bot man ihr ein Lager, sie wollte keins. Als man am nächsten Morgen kam, um nach ihr zu sehen, war sie verschwunden.

Ein Knecht fand die alte Frau. Er fand sie, als er Heu auf den Boden brachte, erhängt an einem Querbalken des Dach's.

 


 

Und als das Kind geboren war,
Sie mußten der Mutter es zeigen;
Da ward ihr Auge voll Thränen klar,
Es strahlte so wonnig, so eigen.
       

An einem Septembertage, der sich noch mit allen Reizen des Sommers schmückte, öffnete ein kleines Menschenkind die unschuldigen Augen mit Weinen. Der Vater, dem es in den Arm gelegt wurde, empfing es mit Seufzen. Man brauchte keinen solchen kleinen Schnabel mehr im Vogelnest. – – Nur der Mutter Herz ging beim Anblick des Kindes doch in Wonne auf. – Erst als sie den Empfang mit dem ihres Erstgeborenen verglich, kehrte sie sich nach der Wand und weinte.

Jammer ergriff sie, um sich, um das Kind, um sie Alle. Harter Winter erwartete das arme Kleine. Hagelschlag hatte 158 die unversicherte Ernte zerstört, es handelt sich um einen Tag, aber wie früher das Glück, verfolgt jetzt das Unglück Andreas. Gelder wurden gekündigt, eine Seuche kam in das Vieh – Verlust zeugte wieder Verlust. Florian ließ nichts von sich hören – er war wie verschollen in der Gegend, umsonst fragte Andreas nach ihm.

Gabriel war wieder auf – besser, sagten die Leute, er wär' gestorben – schwachsinnig wie er war, mit schwerer Zunge, ein Hemmniß und ein Druck für alle. Andreas wich ihm förmlich aus, und der Bursch flüchtete zur Mutter.

Dorothee lebte in ihren Träumen – in ihrer Welt. – Wie die Sonnenwende der Sonne, kehrte sie sich ihrer Liebe zu. Daß sie die Mutter versäumte, was sie alles dem Hause hätte sein müssen und sein können – davon wußte sie nichts.

Sibille schalt mit ihr – zwang sie zu Manchem, aber ihre junge Seele machte sich immer wieder los, um, wie sie glaubte, höherem Ruf zu folgen. Nicht einmal ihres Bruders Zustand berührte sie tief. Ihr Kummer schien ihr der größte – kein Schmerz dem Schmerz gleich, ungeliebt zu lieben.

Sie wußte, Florian war unglücklich. Wild romantische Pläne flogen durch ihren Kopf, wie in den Märchen und Geschichten standen.

Keine Erniedrigung würde sie scheuen, keine Schande, keine Noth. – Sie sprach die Worte vor sich aus und wußte nicht, daß sie keines in seiner schweren Bedeutung kannte und verstand.

Durch Nacht und Nebel wäre sie zu ihm hinüber 159 gelaufen, wo sein kleines Licht, wie ein Stern ihr leuchtete. Sie sehnte sich danach wie nach dem Himmel.

Jetzt war sie wenigstens viel allein, unbeachtet, die Mutter konnte Abends nicht kommen, sie zu Bett schicken, wenn sie am Fenster saß und nach ihrem Stern aussah, immer wieder von Neuem hoffend, der Geliebte würde kommen.

Sie träumte den Traum wachend alle Abend – immer mit dem Ende, daß er sie an sein Herz drücke in unendlicher Seligkeit.

Mitternacht kam heran – sie saß und wachte, Grips saß ihr zur Seite – das Lämpchen flackerte. – Regungslos, wie ein Steinbild saß sie da, aber ihre Phantasie arbeitete unaufhörlich an ihren Luftschlössern.

Dann und wann faltete sie die Hände wie zum Gebet – aber es war nur ein Schrei um ihn, um seinen Besitz. – Ein Sterben ihrer Seele, ja wirklicher Tod schien es ihr, würde es versagt.

Plötzlich, als habe ein Engel sie gehört, wohl ihr böser Engel, öffnete sich die Thür und der Ersehnte – tausendmal Erwartete stand vor ihr. Grips fuhr auf. – Dorothee drückte ihn nieder. – Bebend erhob sie sich, keines Lauts mächtig. Florian liebte sie. – Endlich hörte sie es.

Kein Gedanke, daß es Unrecht sei, ihr auf diese Weise zu nahen, kam ihr.

Wie ein Strom von Sonnenlicht, brachen seine Worte auf sie ein, wie zu Jemand, der lang' in der Dämmerung auf den Tag gehofft hat.

Sie hätte aufjauchzen mögen. Der ganzen Welt hätte 160 sie es zuschreien wollen, und mit wilden Thränen der Freude warf sie sich in seine Arme. Sie kannte keine Zurückhaltung, nichts von Form, von mädchenhafter Scheu; der Regung ihres Herzens folgend, fragte sie sich nie, was daraus würde.

Hatte sie doch als Kind oft so den Freund des Vaters geliebkost und es bitter empfunden, als eine fremde Zeit für sie eintrat.

Er brachte sie erst wieder zur Besinnung.

»Dorothee,« sagte er, »ich kam von Dir Abschied nehmen, mein Gefühl riß mich fort. Mein Schicksal kannst Du nicht theilen, ich bin ein Verlorener, Verachteter, nichts gehört mir mehr, als die Schande. – Noth und Armuth sind meine Gefährten – all' meine Freunde habe sich von mir zurückgezogen. – Deinem Vater darf ich nicht mehr vor die Augen kommen.«

Sie aber schlang die Arme von Neuem um ihn.

»Was thuts,« sagte sie, »ich liebe Dich wie Du da bist, Dein Unglück, Dein Elend ist auch mein's, ich gehe mit Dir wohin es sei.«

»Nein! nein!« rief er, »es wäre mir ein zu schändlicher Verrath –, ich darf Dich nicht lieben.«

»Darfst Du nicht,« erwiederte sie lächelnd – »ich aber darf. – Ich kann nicht anders,« fuhr sie leidenschaftlich fort, »ich muß Dich lieben und wenn alles dawider wäre. Ich gehöre Dir,« sagte sie schmeichelnd – »Niemand sonst – Niemand! Du hast mich Allen weggenommen. Laß mich nun auch bei Dir bleiben, wo mir wohl ist, allein wohl ist. –

161 »Liebtest Du mich nur wie ich Dich liebe –, kenntest diese Sehnsucht, bei der einem ist, als könne man nicht leben, nicht sterben.«

Auf den Lippen hatte er das Bekenntniß, wie es um ihn und Andreas stand, aber er war so feig wie immer, wo es Muth der Seele galt.

Da er geliebt wurde, erschien er sich wieder liebenswerth. Konnte sie ihm nicht Schutz und Hülfe gegen den Vater werden?

Wol strich der Gedanke, es sei ein Schurkenstreich, ihm durch die Seele – einer wie damals mit dem Andreas, aber es ist nur der erste, dem man widersteht. Das Gefühl schlecht zu sein, macht meist nur schlechter.

Natürlich hatte der Wechsel, der den Freund zu Grunde gerichtet, ihn nicht retten können, er wollte es nur damals nicht sehen.

Unendlich schwer ist's, sich von einer Niederträchtigkeit erheben, schwerer als vom Verbrechen.

Wie er dazu kam, ein Schurke zu werden, er, der so sicher vor so etwas zu sein glaubte, er der Reiche, Wohlerzogene, wußte er nicht. Daß er es war, wußte er jetzt, und aller Jammer einer bessern Natur konnte ihm nicht mehr von dem Schandfleck helfen.

Oft that er sich selbst erschrecklich leid; nannte es Schicksal und hoffte auf ein Wunder, das ihn entsühnen sollte. Hier war es vielleicht; an dieser reinen Liebe konnte er am Ende auch noch rein werden.

»Dorothee!« rief er, »bist ein Kind und weißt 162 nicht, welchem Leben Du entgegengehst, Du, die noch keinen Tag der Entbehrung gekannt hat.«

»Keinen Tag der Entbehrung!« wiederholte sie wild, »und ich habe Dich entbehrt! – Lange Nächte lag ich, Dein gedenkend, mich verzehrend. – Es ist genug Elend! laß mich jetzt glücklich sein!«

»Glücklich mit mir!« rief er, »das Wort klingt wie Spott! Und doch, Du hast am Ende Recht.«

»Siehst Du,« antwortete sie eifrig, »dies ist unser Reichthum, wollen wir uns freiwillig arm machen?«

»Tolles Kind,« flüsterte er, »reich an Elend wirst Du durch mich. – Du hast es nicht anders gewollt. Wenn Du in später Zeit an diesen Augenblick zurückdenkst, miß mir die Schuld nicht zu.«

 


 

Die gehört mein Herz; ich klage Dich an,
Was hast Du mit ihm gethan!
       

Wie ein düstres Gerücht tauchte am Morgen die Nachricht im Vogelnest auf, Dorothee sei fort! – man fand ihr Bett unberührt, Grips verschwunden. Zugeschlossen wurde das Haus selten, so wunderte man sich erst nicht, daß es offen war.

Es konnte der Tod der Mutter sein. –

Sie schrie laut auf als sie es hörte, ganz gegen ihre Gewohnheit, im größten Schmerz still zu sein.

Es litt sie nicht im Bett, – sie stand mühsam auf, schleppte sich in die Stube der Tochter und war dort wie eine Verzweifelte.

163 »Sie ist fort – fort mit dem Florian« – dabei blieb sie.

»Das ist unmöglich – ganz unmöglich,« antwortete Andreas, »ich weiß es. – Der kann jetzt keine Frau gebrauchen und sie am wenigsten. Du siehst immer noch schwärzer als es ist, und es ist doch schon schlimm genug.«

Aber ihre Angst steckte ihn an – er zitterte, daß die Hände kaum seiner Hast folgen konnten.

Auf seinen Ruf war bald der Hof bedeckt mit Leuten zu Pferde, zu Fuß, Jedem gab er die Richtung an. Er selbst auf seinem schnellsten Pferd.

Mit der That trat die Hoffnung wieder belebend an ihn heran, in der Bewegung wurde ihm besser.

Es ist nicht möglich – nicht möglich, klang es wie Trost in seiner Seele. – Wer weiß, welchen kindischen Streich das tolle Mädchen wieder vor hat.

Sibille sah Niemand. Sie verkroch sich wie ein auf den Tod verwundetes Thier.

Um Mittag hörte sie ihr Kleines weinen.

Das weckte sie wieder, sie wußte, es rief nach ihr. Mechanisch ging sie ihm Nahrung – Hülfe bringen. Sie fand Jonathan bei ihm, umsonst bemüht, das Schreien zu beschwichtigen. Der Magd hatte er es abgenommen und ging, es auf den Armen wiegend, in der Stube umher. Es schien dem Kinde zu gefallen, ab und zu schwieg's doch.

Sibille brach in Schluchzen aus, als sie die Beiden sah.

»Ach, Jonathan,« sagte sie, den Kleinen nehmend, »ich werde auch schlecht, werde auch pflichtvergessen, denke an nichts mehr als an mich und meinen Kummer, – es ist ansteckend.«

164 Erst nach langen Tagen kam Andreas zurück.

Jetzt wußte er, wie es stand; Leute aus dem Nachbardorf hatten die Beiden gesehen.

Sibille wartete auf ihn, – ihr Herz war voll von dem, was sie ihm sagen wollte.

Wenn sie an Dorothee dachte, überlief es sie heiß – Schaamröthe stieg in ihre Wangen. Keine Strafe schien ihr zu hart für sie und ihn.

Des Morgens, eh' das Tageslicht anbrach, kam er zurück. Stumm warf er sich auf das Bett – muthlos, elend –, aber die Frau ließ ihm keine Ruh.

»Kennst Du jetzt Deinen Freund?« begann sie. »Hat es Deiner Kinder Untergang bedurft, um Dir die Augen zu öffnen? Wie ein Blinder bist Du dahin gegangen, bis Du uns Alle an den Abgrund brachtest. Du hast die Keime gelegt. – Hier ist die Saat.«

»Die Saat!« fuhr er auf – »als ob Du wüßtest, was ich geerntet habe? Du bist noch glücklich, Du kennst das Elend nur halb.«

»Sprich!« rief sie hart, »keine Heimlichkeiten mehr. Ich will Alles hören, ich habe ein Recht darauf.«

Ohne alle Schonung, mit einer Genugthuung, daß sie den Stachel, den er trug, mitfühlen müsse, sagte er ihr von dem Wechsel.

»Ich habe für ihn gut gesagt,« schloß er, »wir sind zusammen geschmiedet durch mehr als ein Band, zusammen gehen wir unter, denn er, zieht mich nach. Thor, der ich war. – Mein Herzblatt nahm er, als Dank für die Wohlthat. – Haus, Hof – meinen guten Namen 165 hinterdrein. Wechsel auf Wechsel muß ich schreiben, nur um mich über Wasser zu halten. Die Gläubiger sind hinter mir, wie hinter ihm. Alles verloren durch ihn.« – –

»Durch Dich!« rief Sibille, seine Hand von des Kindes Kopf drängend, er hatte sie darauf gelegt, sich an seine Frau lehnend. »Durch Dich sind wir ruinirt – Du bist schlimmer als ein Feind für uns gewesen – ja noch weit schlimmer,« rief sie schluchzend – »ein Verräther – denn ich traute Dir, – ich liebte Dich. – Meine Liebe stellte Dich zum Hüter der Kinder. Sie hat mich gehindert, klar zu sehen, wo die Gefahr war. In Dir war sie – im Vater war sie, der der Schutz der Familie sein soll. Im Mann lag sie, vor dem die Frau verstummen muß. Ihr Urtheil gilt ja für nichts – er ist der Führer – der Leiter. Jetzt erkenn' ich Dich – ein Schwächling war'st Du – ausgelöscht ist, was ich hoch stellte in meinem Herzen. Was ich am Altar gelobt, nehme ich zurück; ich soll Dir folgen fortan? – scheiden will ich meine Wege von den Deinen, selbst richten, was recht ist. Mögen wir auch beisammen bleiben oder uns trennen, nur nach meinem Sinn werde ich fortan handeln. Schuld bist Du an Allem.

»Wer lehrte Gabriel den Trunk und gab ihn dann verloren, ohne auch nur die Hand zu rühren?

»Hätte ohne Dich Dorothee den Menschen, dem Du jetzt unsere Zukunft geopfert, so nahe gesehen und lieben gelernt? Sollte sie den Freund des Vaters nicht verehren? Verachten hättest Du ihn müssen, ich stehe Dir dafür, dann hätte sie ihn nie geliebt. Es heißt, wir Frauen 166 verstehen nichts von Männergeschäften, geheim wird die Sache gehalten, bis es uns plötzlich in die Augen fährt, wie ein Blitz, an dem das tapferste Auge erblindet. Angezeigt wird es ihnen erst, wenn das Haus zusammenstürzt. Ein Kind hätt' Dir sagen können, was Du thust, aber eben, wir verstehen nichts von Eurem Leben, was uns zur Sünde gereicht, gereicht Euch zum Ruhm, was uns schwarz, ist Euch weiß. O, hätt' ich Dir mißtraut, wo mein Gewissen sich regte, hätte mit Dir gerechtet, wie zwei, die sich feind sind. Nur was vor Gott recht ist, – ist überhaupt recht.«

Er hatte den Strom ihres Zorns über sich ergehen lassen wie ein Fels, der sich nicht um die Wellen kümmert. Das Gefühl, ihr nicht helfen zu können, lähmte ihn.

»Was ich that,« fuhr er endlich auf, »hab' ich aus gutem Herzen gethan.«

»Aus gutem Herzen?« rief sie, »aus Rechthaberei, aus Großthuerei, aus dem vielen Wein, den Ihr getrunken hattet.«

»Ich rechte jetzt nicht mit Deinen Worten,« sagte er, »ich weiß, Du bist außer Dir; – habe ich gefehlt, so habe ich es nicht aus Mangel an Liebe für Euch gethan.«

»So ist Liebe,« rief sie wieder, »das schlimmste Gift auf Erden. Ich liebe Dich und das verdirbt uns Leib und Seel' – ich will nichts mehr davon für mich und die Kinder.« –

»Versündige Dich nicht schlimmer als ich – Dein Kleines im Arm, wagst Du so etwas auszusprechen?«

Die unglückliche Frau beugte den Kopf über ihr Kind.

167 »Eben,« sagte sie, »auch mich hast Du auf dem Gewissen. War ich geboren zum Hassen? Wie eine böse, giftige Natter frißt es mir am Herzen. Du hast noch am Ende das Gefühl einer edlen That. – Ich aber bin wie Eine, die beraubt wird und nur zu schwach ist, das Ihre festzuhalten. – Groll, Neid, Empörung erfüllt mich ganz. – Schlecht und elend hast Du mich gemacht. Was Du fortgabst war nicht Dein.« –

»Was ich dem Florian gab war mein,« sagte er zornig.

»Und Deine Kinder?«

»Sie haben nichts von den Eltern zu fordern; wer kann dafür stehen, daß man den Seinen ein Vermögen hinterläßt?«

»Wenn Du sie liebst,« rief sie, »haben sie Alles von Dir zu fordern. Alles, was Du erringen kannst, ist ihr, Alles was Du vergeudest, hast Du von ihrem Vermögen vergeudet. – Nicht als wär's bloß um das Geld, daß sie da zu kurz kämen, – Du hast sie verkürzt an Deiner Liebe, Du hast ihnen genommen, was nach Gottes Ordnung das Ihre war.«

»Fasse Hoffnung,« sagte er, »ich kann noch viel arbeiten.«

»Arbeiten,« wiederholte sie, – »ich weiß, was das solchen, die in Schulden stecken, nutzt. Wem gehört, was Du jetzt erwirbst? uns etwa? – Fremden Leuten gehört es, denen Du schuldig bist, – Deinen Gläubigern, wenn Du nicht davon laufen willst wie der Florian. Du schweigst – hab' ich nicht Recht? – Wird es nicht bei uns gehen, 168 wie bei den Müllersleuten drüben, die mit List und Betrug die Bissen Brod den Gläubigern abstahlen – bald hier, bald da ein erobertes Stück versteckten. – Wie die Frau kroch – log und schmeichelte. – Zuletzt bettelte sie; sie war unschuldig wie ich. – Jetzt soll ich das Alles wol auch so machen? Da hättest Du Dir eine Andere aussuchen müssen. Ich lerne es nie, Andreas, – ich bitten! – jetzt, wo mir das Herz wie ein Stein ist!«

»Fasse Muth,« sagte er noch einmal, »es kann ja wieder besser werden – eine gute Ernte ändert oft viel.«

Aber die gute Ernte kam nicht; – drohend und sicher kam der Untergang heran, wie die Welle, die das Boot überstürzt. – Die Welt ist groß, Viele gehen darin unter, man sah sich kaum nach ihm um.

Getrunken und gespaßt wurde schon lang' nicht mehr im Vogelnest.

Andreas' gesunkener Muth gab ihm den Rest. –

Umsonst suchte er Florian durch die Gerichte zu entdecken, es war ein hoffnungsloses Unternehmen, eine Rache, die zu theuer kam.

Er sah den verpfändeten Wald von Anderen, mit besseren Ansprüchen ausgerüstet, wegschlagen.

Bei jedem Baum, den die Axt traf, traf es ihm das Herz. Auf Umwegen bekam die Mutter einen Brief von Dorothee; sie bat um Verzeihung.

Im Zorn zerriß der Vater das Blatt, ein Fluch war auf seinen Lippen, der sich in einen tiefen Seufzer verwandelte, als er bedachte, daß Dorothee's Geschick dicht mit dem des Elenden verknüpft war.

169 Dorothee schrieb, daß sie im fremden Land getraut wären.

 


 

Es schließt die Nacht sich zu – das Licht verglimmt.        

Wie bei den Müllersleuten ging es im Vogelnest. Erniedrigend zog das Unglück ein.

Schon lange gab es keinen Lohn mehr für die Leute, nur Vertröstungen, gute Worte – nur eben Bettelei. Der Kinder wegen brachte es Sibille doch fertig, aber Andreas' Sündenrechnung wuchs daran von Tage zu Tage.

Er war wie ausgetauscht – gedrückt ging er umher –, unthätig, – furchtsam, – der Glaube an sich selbst erschüttert zugleich mit dem Glauben an den Freund. Verstecken mußte er sich –, sich herauslügen, wenn er überhaupt im Vogelnest bleiben wollte.

»Ich bin ein Verlorener! Sibille,« sagte er, »besser ich mache ein Ende diesem hohlen Scheinwesen und erkläre den Bankerott.«

»Ja weit besser,« entgegnete sie, ».Du mußt fort, ich lüge Dich nicht heraus und ohnedem ging' es doch so nicht weiter.«

Als sie klein war, hatte ihre Mutter gesagt: »wer lügt kommt nicht in den Himmel.« An dem Kinderglauben hielt sie fest, und es erhob sich wie eine Scheidewand zwischen ihm und ihrer reinen, strengen Seele.

»Ich helfe Dir darin nicht,« – wiederholte sie.

»Hülfe begehr' ich auch nicht von Dir,« entgegnete er, 170 »und daß Du Dich meinethalben erniedrigst. – So etwas verträgt nur die Liebe – Du hast keine mehr für mich – Du giebst mir noch einen Stoß, wo Du mich halten könntest – Du scheidest Dich in Deiner harten Tugend von mir.«

»Gott sei's geklagt, daß es so ist,« rief sie, »bin ich Schuld daran?«

Er schwieg und ging von ihr – der Bankerott wurde erklärt. Nachts schlich er sich fort an den Scheunen entlang wie ein Dieb und verschwand im Wald.

Sie hatte es verlangt der Kinder wegen, damit sie nicht sähen, welche Rolle er dabei spiele.

Am Fenster stand sie – stumm, ohne Thränen, und sah ihm nach. – Kein Gefühl des Mitleids regte sich für ihn.

Nicht acht Tage waren sie mehr im Vogelnest, da setzte man sie als Bettler vor die Thür.

Es war ein kalter, lichter Tag, an dem die Armen fortzogen; ein heller, scharfer Herbsttag, wo man der Natur feind wird; Dach und Fach begehrenswerth erscheint, jedes warme Kleid doppelt lieb und theuer.

Schlimm ist's, gegen den Winter sein Haus verlassen, ein verlorener Wanderer in der Wüste der Welt.

Sibille fühlte nicht allein für sich die Kälte – sie litt in der Seele der Kinder tausend Mal mehr. Alle noch in den dünnen Sommerkleidern, die, wer weiß wann, durch wärmere ersetzt werden könnten. Das Kleinste drückte sie fest an sich und ihre Gedanken gingen weit zurück bis zum Tag, wo sie einzogen. Sie fuhren auf einem Bauernwagen, 171 den aus Mitleid Einer im Dorf gestellt hatte. Einiges, was ihr gehörte von der Ausstattung her, hatte man ihr gelassen. Oftmals angegriffen, verdächtigt, als beginge sie einen Diebstahl. Zwei Kinder hatte sie verloren, schlimmer, als durch den Tod, zwei blühende Zweige voller Verheißung: Gabriel und Dorothee – Gabriel saß zwar neben ihr, jetzt wieder an ihre Schürze gehängt, aber sein Anblick war genug, das Herz einer Mutter in Galle zu verwandeln gegen den, der ihm den ersten Trunk gegeben hatte.

Wol zum zwanzigsten Mal wiederholte sie dem Jonathan: »Nicht wahr, wir werden für die Kleinen sorgen, arbeiten und gute Menschen aus ihnen machen?«

»Ja!« antwortete der Jüngling immer, »das wollen wir.«

Es bedurfte seiner ganzen Kraft, wenn er das sagte. Er sollte die schwere Arbeit eines Andern auf sich nehmen in den Jahren, wo das eigene Schicksal Einen ruft und fordert. – Wie kam er zu der Last? Freiwillig mußte er sie auf sich nehmen. Die Studentenjahre sollten eben für ihn anfangen, diese fröhliche, vielgepriesene Zeit der Jugend.

Ein glänzendes Examen bezeichnete ihn als Einen, der bestimmt war obenan zu stehen in der Welt der Gedanken, und nun sollte er hinuntersteigen in diese trostlose Wirklichkeit.

Wie ein leuchtender Stern war seine hohe Bestimmung vor ihm aufgegangen und – untergesunken und erloschen. Er hatte sie selbst in seinem Herzen verlöscht, um nicht irre zu werden an seiner Pflicht.

Arbeit – Erwerb – das war jetzt sein Loos.

172 Gezweifelt hatte er nicht. – Keinen Blick durfte er von Mutter und Geschwistern verwenden, ihnen gehörte sein Leben; er hätte geglaubt etwas zu veruntreuen, wenn er anders handelte.

Stunden würde er geben, wie so Viele, mühsam von Tag zu Tag kriechen. Als sein Schicksal nahm er es an.

In einer elenden Dachkammer der Vorstadt bekamen sie Wohnung durch die Güte eines Verwandten.

Für einen anderen Stand geboren und erzogen, fühlten sie Vieles als Schmach, was doch keine war.

Mühselig erwarb Jonathan Stunden – die Zeit, die ihm so kostbar war, wurde kaum bezahlt, verschwendet an faule Kinder, die Nachhülfe brauchten. Wer gleich Geld bedarf, bekommt es am schwersten, jeder sieht ihn als Bettler an, der ihm zur Last fallen könnte und hält ihn fern.

Sibille arbeitete ihrerseits Tags und oftmals auch Nachts, ohne je zu ermüden, sie hielt Alles aus, ertrug Alles.

Nach dem David konnte sie kaum sehen, auch nur soviel als dringend nothwendig nach dem Kleinen. Der Junge trieb sich herum zwischen Gassenjungen, brachte schlechte Ausdrücke nach Haus, die ihr von Neuem den Stachel in das Herz drückten. Barfuß lief er umher, nicht besser gekleidet, als die Schlechtesten. Täglich nährte sich ihr Groll gegen Andreas durch tausend erniedrigende Qualen. In der engen Kammer stieß sich das Elend so nah aufeinander. Helfen konnte er nicht –, wenn es heraus kam, daß er Geld verdiente, wurde sofort Beschlag darauf gelegt.

Der Schwachsinnige aß und trank und war guter 173 Dinge; Jonathan dagegen nahm sichtlich ab. Nie sehr kräftig, trat seine Körperschwäche deutlicher hervor.

Sie hatten ihn ja immer ausgelacht wegen seiner zarten, mädchenhaften Gesichtsfarbe. Jetzt war sie ganz durchsichtig, und dunkle Ringe um die Augen ließen die Mutter ihn nur mit Angst betrachten.

Müd', elend, überhetzt kam er nach Haus.

Oft wenn sie ihm etwas zu Gute thun wollte, war er nicht mehr im Stande es zu genießen.

So arbeiteten sie sich durch den Winter – wer das leben nannte – von einem Tag zum andern, als bringe der nächste Morgen das Ende.

Bis zum Frühjahr ging es, aber dann brach das junge Leben zusammen. Ruhe, Freude, Reichthum hätten ihn vielleicht noch retten können – in dieser elenden Kammer, mit Sorgen belastet, für die sein Herz noch zu jung war, aus der Bahn gerissen, die ihm natürlich gewesen – mußte er untergehen. Jugend braucht nothwendiger Glück, als das Alter, es ist ihre Lebenslust – die Knospe braucht Sonne.

Stumpfe Verzweiflung faßte Sybille. – Eine Zeitlang war's, als hielte sie das fliehende Leben durch ihre Liebe – er wollte ja gern bei ihr bleiben, er wollte nicht sterben.

Sie sparte es sich am Nothwendigsten ab – längst hatte er alles, was von warmer Decke ihr war.

Einmal sogar hatte sie es vom Gabriel nehmen wollen. Böse Gedanken, unnatürliche Wünsche für eine Mutter, gingen ihr durch die Seele, wenn sie den Schwachsinnigen neben dem Bett des Bruders sah. Mißgünstig sah sie, wie 174 es ihm schmeckte, wie er gedieh, und büßte das elende Gefühl dann in bitteren Thränen.

»Es ist keine Gerechtigkeit weder hier noch im Himmel!« rief sie oft in den schweren Nächten, die sie durchwachte – »Unschuldige leiden. Das Leben wird einem vergiftet und dann gesagt: Wie? Du haßst und sollst lieben? Du bist rachsüchtig, voll Neid, Zorn und sollst sanftmüthig sein? Er ist Schuld, er hat uns vernichtet an Leib und Seele, strafe ihn oder mich, wenn ich auch nur durch ihn sündigte – nur nicht den Knaben, nur nicht dies Kind meines Herzens! der einzige Gute von uns, rein, unschuldig, pflichttreu.«

Aber Gott hörte sie nicht. – Hin und her wurde ihre Seele bewegt zwischen Furcht und Hoffnung drei volle Wochen.

All' ihre Kinder hätte sie gegeben für dies Eine. Es war, als verließe sie mit ihm ihr guter Engel und mit diesem Stern verlösche das letzte Licht in ihrem dunklen Leben.

 


 

  Ihrer Flamme Liebesgluth,
Stirbt sie wie ein irdisch Gut!
       

Auf einem reizenden Stückchen Erde ließ sich Florian mit seiner schönen jungen Frau nieder. Von Armuth hatte sie nichts gemerkt, im Gegentheil, er kam nie mit leeren Händen, putzte sie heraus, freute sich, wenn die Leute stehen blieben und ihr wegen ihrer Holdseligkeit nachsahen.

Seine Goldgrube war eine gefährliche; aber bis jetzt hatte ihn das Glück hierbei doch wieder als Schooßkind 175 angenommen, und machte es Miene untreu zu werden, so half er etwas nach.

Sie nahm die Schätze hin, unerfahren, wie ein Kind, in Geldsachen. Er hätte ihr können die Krondiamanten bringen, es wäre ihr nicht weiter aufgefallen. Das Wort Armuth blieb ein Klang für sie. Hieß der Zustand so, in dem sie jetzt lebten, war's sehr angenehm. Ueberkam sie dann und wann Reue wegen der Eltern – die That, die sie mit dem Geliebten vereinigte, wünschte sie nie ungeschehen.

Er war's, nach dem sich ihr ganzes Leben richtete. Dies eine Gefühl ihr Compaß. Es wuchs täglich wie ein Fieber, voller Unruhe und Angst.

War er fort, stand sie und sah, ob er wieder kam. Nicht eine Stunde mochte sie ohne ihn sein und mußte es doch oft, denn er nahm sie nicht mit, wenn er sich an zweideutigen Orten seinen zweifelhaften Unterhalt verschaffte.

Kam er zurück, fand er sie oft in Thränen.

»Man sollte meinen, Du wärst unglücklich,« sagte er.

»Wenn Du fort bist, bin ich es auch,« antwortete sie, »immer hab' ich das Gefühl, Du könntest mir verloren gehen. Sicher bin ich nur, weiß ich Dich fest in meiner Nähe.«

»So wenig Vertrauen hast Du zu mir?« fragte Florian, »und bist mir doch gefolgt in die weite Welt, fort von den Eltern, von Allen, die Dir lieb waren.«

»Nicht aus Vertrauen,« antwortete sie, »sondern wie Einer in's Wasser springt, dessen Kleider brennen. Es 176 war keine andere Hülfe für mich. – Meine Liebe,« schloß sie lächelnd, »ist kein Engel, wie Du vielleicht glaubtest –, ein Dämon – ein bitterböser, eifersüchtiger Dämon.«

»Sag' das nicht,« rief er, »sie soll unser Schutzengel sein.«

Grips war noch bei ihnen; er war Dorothee gefolgt. Kein Steinwurf, kein Drohen, keine Schläge hatten ihn zurückscheuchen können.

»Laß ihn,« bat Dorothee, »ich verstehe ihn, er macht's mit mir, wie ich's mit Dir; es ist doch das Beste an Mensch und Thier. Wir wollen sehen,« fügte sie lächelnd hinzu, »wer treuer ist, ich oder der Hund.«

Sie hatte schon ein paar Mal nach Haus geschrieben, seitdem sie im Ausland getraut war, hoffend, man würde ihr verzeihen, aber die Ihrigen antworteten nicht.

»Schreibe ihnen noch einmal,« sagte Florian, den die Angst vor Andreas nicht ruhen ließ, »sie müssen doch endlich Vernunft annehmen; Du bleibst ihr Kind und zu der schweren Stunde, die Dir bevorsteht, können Dir die Eltern nicht ihren Segen vorenthalten. Es wird ja alles wieder gut werden, schreib' ihnen, daß ich bald im Stande sein werde, all' meinen Verpflichtungen nachzukommen. Uns're größte Schuld – ist uns're Liebe,« wollte er sagen, aber er stockte und sagte, »selbst die größte Schuld kann ja verziehen werden.«

Folgsam setzte sich Dorothee und nahm wieder die Feder, aber als er nach einer Stunde zurückkam, war das Blatt noch weiß.

177 Das Antlitz, das sie zu ihm emporhob, glühend und gebadet von Thränen.

»Ich kann von der Mutter nichts mehr bitten,« sagte sie, »ich gehöre Niemand als Dir – Keiner kann mich lieb haben als Du allein, gegen Alle bin ich schlecht gewesen, nur um mit Dir zu sein. Zerrissen hab' ich alle Bande – oft fürcht' ich, es kommt eine grausame Vergeltung über uns, daß wir dem Leben diese Seligkeit abgestohlen haben.«

Er strich ihr die Haare aus der Stirn. »Wenn Du nicht irre an mir wirst, was könnte kommen?«

Sie lächelte unter Thränen –: »An Dir irre,« wiederholte sie, »das müßte wunderbar zugehen, ebenso gut könnte ich an mir selbst irre werden.«

Als die Erde in vollem Schmuck stand, wurde ihnen ein Kind geboren.

Die junge Mutter lag in einem Gartenhäuschen, umgeben von blühenden Büschen und Bäumen. Es war eine Seligkeit, die noch leuchtender an ihrem Himmel aufging als die erste.

Florian selbst war ergriffen, seine Hand zitterte, als er sie auf das kleine Ding legte und fühlte, daß es mit einem Makel gezeichnet war durch ihn. Um den Preis seines Lebens, seines gegenwärtigen Glücks, hätte er seine Ehre wiederkaufen mögen, aber die kauft sich nicht zurück.

Dorothee wurde ganz kindisch mit dem Kind, es gab eine Lust ohne Ende. Grips war immer dabei, man konnte bald die Drei im Gärtchen von Weitem hören, wie das Bübchen fröhlich krähte, das Hündchen bellte und die Mutter jauchzte.

178 Fast vergaß sie den Florian über das Kind.

»Aber weißt Du,« sagte sie, »es ist ja ein Endchen von Dir, als hätt' ich Dich noch einmal so recht fest im Arm, daß Du mir nicht entrinnen kannst. Er sieht auch gerade aus wie Du, alle Leute sagen's, keine Spur hat er von mir, der blonde blauäugige Schlingel.«

Bei den Wirthsleuten war sie ein rechter Liebling, Jeder that ihr zu Gefallen, was er konnte.

Alle wußten, was Florian trieb und daß er ein Spieler von Profession war; wie es so oft geht, sie allein nicht. »Das arme Frauchen,« sagte die dicke Wirthin zu ihrem dicken Gemahl, »ein schlechtes Ende wird's nehmen mit all' der Herrlichkeit. Der blanke junge Herr ist ein toller Bursche, ein Abgefeimter, sagt unser Franz. Bald Geld wie Heu, bald borgt er sich vom Kutscher das Chausseegeld – er soll's noch wiederhaben.«

»Was geht's uns an,« antwortete der Mann, der sich aus seiner dicken Ruhe nicht gern aufstören ließ, »wir können uns die Gäste nicht auswählen. – Hat er Geld, so bleibt er, hat er keins, zieht er ab – danach meß' ich die Tugend der Leute.«

Aber die dicke Frau fuhr fort Dorothee zu beklagen und mit Neugier und Interesse ihr Schicksal zu verfolgen. Die junge Frau sprach gern ein Wörtchen, erzählte ihr selbst, wo sie her wäre. Von der Heimath sprechen blieb süß, wem konnte es hier schaden. So erfuhr die Wirthin Abkunft, Gegend, sogar Manches über die schlimme Heirath.

»Solch' einen Schwiegersohn,« sagte sie zu ihrem 179 dicken Gemahl, »den hätte ich mir auch grade gewünscht, kein Wunder, daß die Eltern nichts mehr mit ihm zu thun haben wollen. Nun, ich werde wohl noch Alles herausbekommen.«

Florian ließ Dorothee viel allein. – Diese Einsamkeit vertrug sie nicht, ihr Gemüth war mittheilend, sie brauchte Jemand, um sich stündlich mit ihm ihres Kindes zu freuen – Frauengeschwätz brauchte sie. Sie hatte keine Welt der Gedanken, die sie schützte und abzog, in der Gegenwart mußte sie leben.

Es kamen viel Reisende durch den Ort, endlich auch eine alte Dame, deren Pflegerin in der Nähe von Dorotheens Heimath zu Hause war.

Natürlich wußte sie alles auf das Genaueste; Scandal fliegt umher wie Distelsamen.

Die beiden Frauen setzten sich zusammen, um beim Kaffee die Sache wie einen guten Bissen zu verzehren. Dorothee durfte nichts davon abbekommen. Dazu wäre es zu schlimm, hatte die Landsmännin gesagt.

Die beiden Klatschschwestern vergaßen nur, daß unter dem niedern Fenster in der Jasminlaube der jungen Frau Lieblingsplätzchen war. Dort saß sie wie oft, das Bübchen schlafend im Schooß. Als sie ihren Namen hörte, hätte sie aufstehen können, aber das Kind schlief so gut und weshalb auch. Bald hörte sie angestrengt zu, ja sie hob den Kopf und lauschte gespannt, um nur keinen Tropfen von dem Gift zu verlieren, das in ihre Ohren drang. Dort hörte sie die ganze Geschichte Florian's mit ihrem Vater. Wie der Vater in jener Nacht zu ihm kam, 180 Alles – Wort für Wort, als hätten die Wände Ohren gehabt – der verpfändete Wald – dann aber hörte sie nichts mehr.

»Es ist Geschwätz! eitel Geschwätz,« wiederholte sie angstvoll, »warum hör' ich darauf?« und dann kamen ihr all' die Worte, die er damals zu ihr gesagt, in die Gedanken – ehrlos! – dies hatte sie sich nicht darunter gedacht.

Sie würde ihn selbst fragen noch denselben Abend, Abends, wo sie immer noch so selig miteinander hin und wieder gingen, zwischen den duftenden Büschen. – Sollte das Alles aus sein?

Sie wartete bis Alles still war, dann schlich sie hinein und legte das Kind in die Wiege.

Sie küßte es nicht – betete auch nicht darüber, wie sie sonst that, sondern saß da, schlug die Hände ineinander, sie ringend, daß der Ring sie verwundete, den ihr Florian am Tage der Trauung angesteckt. Ihr Blick fiel darauf, es war eine kleine Schlange mit funkelnden Augen. Dem wunden Gemüth wird Alles zur Bedeutung.

Sie ließ es ganz dunkel werden und zündete kein Licht an.

Er kam wie immer, stürmisch zärtlich auf sie zu. Sie fiel ihm schluchzend um den Hals und küßte ihn ohne Ende.

»Ich habe Böses von Dir gedacht, verzeih' mir's,« rief sie, »es war wie ein schrecklicher Traum.«

Sie zog ihn an das Fenster. – Der Mond schien 181 hell herein. – Dort – ihn nicht aus dem Auge verlierend – erzählte sie ihm die ganze Geschichte.

Mit beiden Händen hielt sie ihn, ihm fest in das Gesicht starrend.

Sie sah, wie er bleich wurde unter ihren Worten, oder war es das fahle Mondlicht, das ihn streifte?

»Florian!« – schrie sie fast – »ist dem so?«

Er wand sich von ihr los.

»Was,« rief er, »ist es dahin gekommen, daß Du mich nach dem Geschwätz alter Weiber beurtheilst, die mit ihren bösen Zungen jeden Ruf vernichten können!«

Sie fiel wieder in das Weinen – » Verzeih' mir's,« schluchzte sie, »sage mir, daß dem nicht so ist – ich will es nur von Dir hören.«

»Ich habe Dir selbst gesagt, daß mein Name dort in der Gegend gelitten hat.«

»Ich weiß,« rief sie, »man braucht nur wenig gethan zu haben, um einen Flecken darauf zu bekommen. Mannes Ehre ist fast noch zarter als die unsre, danach frage ich nicht – nur nach dem Einen, nur daß Du dies gethan hast, dies mit dem Vater, und ihm dann noch sein Kind genommen.«

Er versuchte es in Scherz zu ziehen. – »Nachgelaufen bist Du mir,« sagte er, sie schmeichelnd umfassend. »Laß die Vergangenheit ruhn, wir haben beide darin gefehlt.«

Sie gab sich ihm doch nicht. – »Sag' mir, daß Du das Eine nicht thatst – Alles andere kann ich vergessen.«

Er verschwur sich nun wie damals beim Andreas, weil ihm der Muth fehlte zur Wahrheit.

182 Sie glaubte ihm. Sie wollte es ja so gern glauben, trocknete ihre Thränen und versuchte zu lächeln; sie war noch solch ein Kind, kaum siebenzehn Jahr.

Er ging mit ihr durch die Gartengänge, sie sahen nach den Sternen wie immer, aber die Rosen dufteten ihm nicht mehr süß.

»Man wird es nicht los,« sagte er sich, »es ist Alles nur übertüncht bis es wieder ausbricht.«

 


 

Mein Aug' ist trüb,
Mein Mund ist stumm.
       

Von dem Tage an war's, als läge etwas Unfaßbares, Trennendes zwischen Beiden. Das Geheimniß ging bei ihnen um, wie ein Gespenst. Er sah es immer – sie nur dann und wann wie ein Schatten, der sich über ihr helles Glück warf. Seine Laune wurde ungleich – bald war er leidenschaftlich – bald kalt – immer mißtrauisch, als liebte sie ihn nicht genug.

Er traute seinem Glück nicht mehr und es verließ ihn – wie hier so auch am Spieltisch.

Das Geld wurde knapp im Haus. – Die Gläubiger waren wieder hinter ihm.

Der Wirth wollte sie nicht länger behalten.

Dorothee fiel aus all' ihren Himmeln, als ihr nun wirklich klar wurde, was ruinirt heißt. –

Ihre Sachen wurden verkauft, sie behielt nur das 183 Nothdürftigste, weil die Wirthin es ihr aus gutem Herzen ließ.

Trotz allem faßte sie sich brav. – »Es thut alles Nichts,« sagte sie zu Florian, »ich gehe mit Dir wohin es sei, Du wirst sehen, ich bin tapfer.«

Ihre Abreise glich einer Flucht. Müde, hungrig kamen sie mit dem schreienden Kind endlich in einem schlecht aussehenden Hause unter.

Feuchte, modrige Kammern, voll von schmutzigem Geräth empfingen sie.

»Es sieht aus wie ein Grab,« klagte Dorothee.

»Ich habe Dir kein Glück und keinen Reichthum vorgespiegelt,« antwortete er herb.

»So lang wir beisammen sind,« sagte sie begütigend, »wird es mir zuletzt überall gefallen – das freundliche Gartenhäuschen wäre mir nichts ohne Dich.«

Sie gewöhnte sich doch nicht so leicht. Das Kind wurde ihr krank, die Leute waren unfreundlich, die Wohnung ungesund.

Obgleich sie beisammen waren, gab es bittere Stunden.

Verstimmt, mißtrauisch bewachte Florian die Abnahme von Dorotheens Zärtlichkeit, die hervorgerufen war durch sein verändertes Benehmen.

Trotzdem liebte sie ihn noch. – Liebe verträgt viel Mißhandlung, so lang sie den der Liebe werth hält, der sie quält, aber ihm wurde es unbequem, immer mit der Maske zu gehen. Warum sollte er sich vor seiner Frau verstecken? die zarte Blüthe des Gefühls war doch schon verweht durch den kalten Wind der Noth.

184 »Ich will mich nicht mehr krümmen und winden, mich entschuldigen und ausweichen, mag sie wissen, wem sie gefolgt ist,« sagte er zu sich.

Dorothee saß am Bett des Kindes, als er mit diesem Vorsatz, von Wein und Spiel erhitzt, nach Hause kam.

»Es ist sehr krank!« sagte sie in Angst – »Wollen wir nicht den Arzt aus der Stadt holen?«

»Aerzte aus der Stadt sind für reiche Leute – wir werden uns wohl mit dem Bader begnügen müssen. Wenn das Kind stirbt – nun so ist's desto besser für uns und das Wurm.«

Sie fuhr auf wie Jemand, dem man das Herz trifft.

»Florian!« rief sie, ihn fassend, ihn schüttelnd – »Das sprachst Du nicht – komm zu Dir.«

»Ich sprach's und ich mein's,« wiederholte er mit schwerer Zunge. »Es thut gut, wenn es sich aus dem Elend fortmacht und wir haben eine Last weniger.«

»Dann,« rief sie, ihn anstarrend wie Einen, den man in neuem erschreckendem Licht sieht, – »dann hast Du auch gethan, wessen sie Dich beschuldigen!«

Rauh schüttelte er sie ab.

»Und wenn es wäre,« sagte er, »habe ich Dir geheuchelt, ich wäre tugendhaft? Habe ich es Dir nicht gesagt? – Hast Du nicht mit Deinem Gefühl geprahlt, das stark genug wäre, dies alles zu überwinden? So lang' es gut ging, warst Du dabei, jetzt wo Hunger und Kummer vor der Thür sind, ziehst Du zurück.«

Sie sah ihn starr an, immer noch hoffend, es könne 185 noch anders sein und sie aus diesem grausen Traum erwachen.

»Es ist wahr,« wiederholte er, »Du bist die Frau eines Ehrlosen – sprich' es nur aus, Du verachtest mich.«

Aber sie legte sich schluchzend ihm in die Arme.

»Ich will es nicht!« rief sie, »ich will versuchen, Dir durch Alles hindurch treu zu sein, wie ich es versprach. Mit meiner Liebe verlör' ich ja Alles auf der Welt.«

Es rührte ihn doch und er erwiederte die Liebkosung. Erst wich sie zurück – dann aber drängte sie sich von Neuem an ihn.

Trübe Tage folgten. – Dorothee hatte einen Reichthum warmen, verzeihenden Gefühls, immer wieder rang sie um ihre Liebe – ihr einziges Gut, das, wofür sie Alles gegeben hatte; aber unaufhaltsam erfüllte sie das schlimmste Gefühl, das ein Herz erfüllen kann, das Gefühl des Widerwillens. Es wuchs, wie damals ihre Liebe, täglich fieberhaft. – Seine Nähe, seine Berührung, seine Liebkosung, alles nur mit Mühe, mit Widerwillen ertragend – als wehre sich Etwas körperlich dagegen in ihr. Wie sie sich damals nach seiner Gegenwart gesehnt, sehnte sie sich von ihm fort zu sein. Sie suchte sich aus Pflichtgefühl, aus Nothwendigkeit eine neue Zuneigung zu schaffen, aber der erste Anlaß zerstörte sie wieder. Dazwischen stand die Gemeinheit der That – ein Tod aller Liebe. Ohnmächtig wehrte sie sich gegen die Verachtung, die gleich einer Krankheit ihre Seele gewann.

Florian wußte, wie sie empfand; im Herzensverkehr giebt es kein Verstecken für die Zusammenlebenden, Jeder 186 weiß genau wie er daran ist, wenn er es sich offen eingestehen will. Ihre Verachtung erniedrigte ihn, er bot ihr keine Liebkosungen mehr, desto mehr bittere Vorwürfe, einen Groll, der rachsüchtig ihr das schwere Leben noch schwerer machte, wo er konnte. Vom Kinde erwartete sie ihre Erlösung, wie damals er von ihr. Da sollten all' die bösen Regungen, die ihre Seele zerstörten, schweigen; aber was sie sonst an ihm entzückte, die Aehnlichkeit mit Florian, ängstigte, schreckte sie jetzt, entfremdete ihr Herz.

»So schnell kann Liebe nicht vergehen,« wiederholte sie immer – »die Liebe zum Kind kann einer Mutter doch nichts nehmen.«

War sie auch verwandelt? Sie konnte nicht mehr froh durch den Anblick werden. Hatte sie es im Arm, dachte sie an den Vater und dann graute ihr vor ihr selbst, als hätte sie kein menschliches Herz, weil sie ihr Kind nicht lieben konnte wie zuvor, weil es auch sein Kind war.

Das arme Ding verging wie ein Schatten, der Mutter Milch wurde ihm Gift – nirgends die fromme Liebe, die dem Kinde zukommt, bald Leidenschaft, sie drückte es an sich als wolle sie es ersticken, bald Eiseskälte, die es von sich stieß.

Es siechte eine Zeit und dann starb es.

Verzweiflung – Reue, als habe sie es getödtet, ergriff sie. Man mußte es ihr wegnehmen mit Gewalt, immer noch glaubte sie ihm Leben einhauchen zu können; trug's umher dicht an ihrem Herzen – sprach zärtlich mit ihm – küßte es – hüllte es in warme Decken. Ein 187 Fieber, indem sie von Nichts mehr wußte, folgte. Mitleidige fremde Hände nahmen sich ihrer an.

Florian ließ sich so wenig als möglich sehen.

Weit elender als sie gekommen, zogen sie aus der Gegend fort, aneinander geschmiedet wie zwei Galeerensclaven, von Ort zu Ort, immer sich verbergend, immer wieder entdeckt und auf der Flucht – ruhelos – friedenlos. Gemeine Reden umtönten ihr Ohr, wo mit den krassesten Namen benannt wurde, was in der feinen Welt oft umhergeht, bedeckt von artiger Sitte und guter Manier.

Wer es nicht erlebt hat, was es heißt ohne guten Namen sein, weiß nicht, welchen Schatz er darin besitzt. Welchen Schutz und wie abhängig wir sind von unserer Stellung, der anständigen Stellung gebildeter, ehrlicher Leute; von selbst giebt es eine Haltung, die dem Elenden fehlt, der umringt vom Verbrechen, ohne Schranke der Sitte, jeder Versuchung leichter erliegt und die Sünde begeht, deren Verdacht ohnedem auf ihm ruht.

Grips war noch immer dabei, Dorothee ließ nicht von ihm. Er war doch ein lebendes Wesen, das sie lieben konnte, ohne sich Zwang anzuthun, ihrer warmen Natur folgend, die begehrte zu lieben, wie man begehrt zu leben.

Der Vater hatte sein Geld an Florian weggeworfen, sie sich selbst – Zukunft – Vergangenheit – alles getrübt durch ihn, nicht einmal an ihr Kind konnte sie mit reinem Schmerz, der das Herz veredelt, denken.

Erniedrigter fühlte sie sich, als die Sündige im Arm des Geliebten.

An einem elenden Heerdfeuer saßen beide heut, dicht 188 aneinander gedrängt, – das nasse rauchende Holz gab wenig Gluth, – es war bitter kalt, – der Schnee lag hochgehäuft an den blinden Fenstern. Sturm erschütterte das jammervolle Obdach.

Auch der Hund drängte sich zur Flamme.

Schon zwei Mal hatte ihn der Mann mit dem Fuß fortgestoßen, immer kam das Thier wieder.

»Dorothee,« sagte Florian, »wir beide zusammen, das geht nicht weiter, keiner kann auf diese Art zu etwas kommen, und ein Glück wirst Du unser Zusammensein jetzt wohl auch nicht mehr nennen. Einer ist dem Andern ein Stachel und ein Dorn. Ich hätte Dich können heimlich verlassen, wie Du damals die Eltern, aber das wollte ich nicht. Wir wollen so gut als möglich auseinander gehen.«

Sie erhob ein kindisches Weinen der Verzweiflung.

»Was soll ich allein anfangen, Florian? Hier, wo Keiner meine Sprache versteht, – ich, die nicht arbeiten kann, – nichts verdienen, – die ich noch so schwach bin von der Krankheit her. Erbarm' Dich, was soll aus mir werden? Am Weg muß ich erfrieren wie die alte Bettlerin, die sie gestern hierher brachten. Bring' mich wenigstens der Heimath näher.«

Ungeduldig antwortete er ihr.

»Was schad' ich Dir,« bat sie weiter, – »laß mich Dir nur so nachkriechen, – ich brauche so wenig Nahrung – bald vielleicht nichts mehr.«

»Geh' zu den Eltern,« sagte er, »die müssen Dich wieder aufnehmen.«

»Wäre es nur näher,« seufzte sie, »gewiß, die würden 189 mich aufnehmen. – Bringe mich auf den Weg, verstoße mich nicht!«

»Ich Dich auf den Weg bringen?« wiederholte er scharf. »Du weißt doch am besten, warum ich mich nicht im Lande sehen lassen darf.«

»Dann laß mich bei Dir bleiben,« bat sie wieder.

Aber er wollte ein Ende machen – er konnte diese jammervolle, anklagende Gestalt nicht länger neben sich sehen. Er wollte wieder in die Höhe, wollte frei sein von dieser drückenden Fessel.

Sie ließ aber nicht ab mit Flehen, umklammerte ihn wie ihre letzte Rettung. Muth, um noch irgend ein Schicksal, in dem sie handeln mußte, auf sich zu nehmen, war nicht mehr in ihr.

Er schüttelte sie unwirsch ab; je mehr er Unrecht hatte, je zorniger wurde er.

»Du mußt mich behalten,« rief sie endlich, »darf man ja kaum ein Thier so von sich jagen.«

Da hob er zum ersten Male die Hand gegen sie auf. Kaum aber hatte er sie berührt, fuhr Grips auf ihn los wie ein Rasender. Seine Augen funkelten, wüthend vor Zorn faßte er das Kleid des Mannes, es hin und her zerrend mit scharfem Zahn.

Ergrimmt sah sich Florian nach einer Waffe um; die eiserne Schaufel stand am Heerd, er nahm sie und schlug auf den Wüthenden. Das kleine Thier winselte – es hatte längst abgelassen, aber er schlug darauf los, bis es todt war.

Der letzte Schlag ging haarscharf bei seiner Frau 190 Schläfe vorüber, die sich, für den Hund bittend, dazwischen geworfen.

Sie hob das Thier auf, – es war kein Leben mehr in ihm, – sein Blut rann auf ihr Kleid.

Leichenblaß war sie geworden und zitterte am ganzen Körper.

»Komm her,« sagte er, »wir wollen Frieden machen. – Sieh mich nicht an als ob ich ein Mörder wäre, weil ich die unnütze Bestie erschlagen habe, gut daß sie todt ist, was soll sie uns das Brot vor dem Munde wegfressen.«

Dorothee rückte aber immer weiter von ihm weg.

Sie wusch dem Thier die Wunde.

»Es ist crepirt,« wiederholte er, »mach' Dich nicht lächerlich.«

»Florian!« rief sie empört, sich aufrichtend, ihre Wangen flammten und eine edle Schönheit breitete sich über ihre Gestalt. »Du hast kein Herz, weder für Mensch noch Thier. Schlechter bist Du als das Geringste von ihnen. Ich kannte Dich nur noch nicht ganz. Wenn Du von mir gehst, wird es mir jetzt sein wie eine Befreiung – – wir haben nichts mehr gemein und meine Liebe –«

»Deine Liebe,« unterbrach er sie, »sei still davon; Deine Liebe war nichts werth, wie meine auch. Die Liebe zu den Eltern, Geschwistern – Du hast sie abgeschüttelt, wie man ein altes Kleid auszieht. Dein Kind! Du hast Dich von ihm abgewendet. – Die Liebe zu mir – wird nicht besser sein – hohle Worte waren es, rühme Dich ihrer nicht.«

Sie verstummte.

»Komm' her!« sagte er wieder, »heut gefällst Du mir, 191 wie Du zornig dastehst gefällst Du mir, ich kann nur das ewige Winseln nicht vertragen. Sei ein gutes Kind, plage mich nicht mehr mit Tugendskrupeln, das ist nichts für uns. Ich will Dich behalten, nehme Dich mit in die neue Welt, da häuten wir uns wie die Schlangen und fangen das Leben von einem anderen Zipfel an – ein neues Glück –«

»Glück!« unterbrach sie ihn und das Blut stieg immer feuriger in ihre Wangen, »ich kenne kein's mehr mit Dir zusammen. Ich war zu feig von Dir zu gehen, Du hast mir Muth gemacht. Lieber am Wege verhungern, als mit Dir aus goldener Schüssel essen.«

Er hielt sie beim Kleid.

»Das ist eine herzhafte Rede,« sagte er, »aber wieder Worte, nichts als Worte – der Hunger ist bitterer als Du denkst, wie die Liebe nicht so süß war. Wie schön Du noch bist, das hätt' ich kaum gedacht, wahrhaftig, Du erscheinst mir wieder begehrenswerth. Ich habe meinen Sinn geändert, wie Du. Du bleibst, Dorothee! Mir gehörst Du und so sehr ich Dir mißfalle, ich bin Dein Mann und habe Gewalt über Dich. Auseinander können wir immer noch, wenn es mir paßt. Du bist noch eine wunderhübsche Hexe und Deine braunen Augen sind bezaubernd, wenn sie funkeln. Wer weiß, wozu die noch alles gut sind. Verständest Du Deinen Vortheil, Du hättest Dich lange mit mir gezankt, statt herumzuschleichen wie ein blasser Schatten, ein ewiger Vorwurf, den ich nicht ertragen will.«

»Laß mich!« sagte sie erschrocken, seinen Blicken ausweichend und suchte mit dem Hunde im Arm die Thür zu erreichen.

192 »Halt!« rief er wieder – »was soll das? Du thust, was ich befehle, damit Holla. Meinst Du, ich kann nicht commandiren, wie die andern Männer ihren Weibern? Du hast zu folgen. Setz' Dich! laß die Komödie. Was zitterst Du wie Espenlaub! ich will dir ja nichts Böses thun; im Gegentheil, wir wollen gut mit einander sein. Weil ich den Hund erschlug,« fuhr er fort, »fürchtest Du Dich, sei nicht kindisch. Du hast recht, Du gehörst Niemand als mir, und ich war ein Thor Dich fortzuschicken.«

Er zog sie zu sich nieder auf die Bank – sie mußte sich seine Zärtlichkeit gefallen lassen.

Das Hündchen lag blutend zu ihren Füßen.

Kein Wort wagte sie mehr, kaum die Wimper zu heben. Bei der Magd bestellte er für seine letzte Baarschaft einen kräftigen Trunk.

Auch ihr hielt er ihn an die Lippen, der scharfe Geruch widerte sie an. Mit dem Arm hielt er sie fest umschlungen. Es war noch kein Jahr, daß sie selig in seiner Umarmung gelegen hatte und jetzt –

Fort wollte sie – in dem einen Gedanken lebte ihr Geist – fort von ihm – um jeden Preis. Aber der Arm hielt sie wie eine Fessel, denn er war eingeschlafen über den Trunk. Immer wieder überlegte sie, ob der Schlaf fest genug sei – ob die Thür sich leise öffne – ob es möglich sei zu entfliehn.

Merkte er's, würde er sie todtschlagen wie den kleinen Hund. Er schlief fort und fort. –

So saß sie frierend – zitternd – das Feuer am Heerd erlosch. – Der Mond ging auf – der Mond ging 193 unter. – Die Dämmerung kroch nebelhaft herauf. – Der Morgenstern kam. – Bald würde die Sonne erscheinen, dann wäre alles aus, dann müsse sie bleiben, müsse mit ihm über das Meer als seine Frau.

Ein lichter Strahl, der wie ein goldener Pfeil durch die dunkle Kammer schoß, schreckte sie – er erwacht – er regt sich, – nein! er schläft fort – ändert die Lage – hebt den Arm und sie ist frei.

Schritt für Schritt – das Herz steht ihr still vor Angst – schleicht sie zur Thür hinaus. – Fort! so schnell sie die Füße tragen – ganz gleich wohin – nur fort – fort von ihm, in die weite Welt.

Als Florian erwachte und sah, daß sie geflohen war, lächelte er.

»Es ist besser so,« meinte er, »man ist doch freier ohne Frau und wer ganz neu werden will, muß nichts Altes mit hinübernehmen.«

 


 


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