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Vierzehntes Kapitel.

Frau Baradier war gegen fünf Uhr nach Hause gekommen und hatte sich eben mit einem Buch in ihr kleines Wohnzimmer gesetzt, wo Amalie und Genoveva fröhlich plaudernd an ihren Stickereien arbeiteten, als der Diener die Meldung machte: »Gnädige Frau, es ist ein Priester da, der gnädige Frau zu sprechen wünscht,«

Als Vorstandsdame verschiedener Wohlthätigkeitsanstalten, ihrer Stellung gemäß wie aus persönlicher Neigung im Dienst der Nächstenliebe thätig, wurde Frau Baradier fortwährend in Anspruch genommen, wobei sie keinen Unterschied zwischen geistlichen und weltlichen Bittstellern machte, alle wurden mit gleichem Wohlwollen empfangen. Sie nahm also auch den Besuch dieses Priesters ohne Überraschung und in geneigter Stimmung an, bat den Eintretenden Platz zu nehmen und ihr sein Anliegen vorzutragen. Der erste Blick hatte sie ein vornehmes, geistig bedeutendes Gesicht mit einem ernsten, feinen Mund erkennen lassen, der Gesamteindruck war der eines weltgewandten Priesters, und seine Anrede bestätigte diesen Eindruck.

»Gnädige Frau, ich darf mich Ihnen vorstellen?« begann er. »Abbé von Escayrac ... ich bin Sekretär der Heilanstalt von Issy, wo Unbemittelten chirurgische Hilfe zu teil wird und die unter dem hohen Schutz des heiligen Bischofs von Andropolis steht.«

»Dem Superior der Absolutionisten, wenn ich mich nicht täusche?«

»Ganz richtig, gnädige Frau!«

»Und womit vermag ich Ihrem frommen Werk zu dienen?«

»Ach, gnädige Frau, Sie können uns große Dienste leisten, in erster Linie aber ...«

Der Abbé brach ab, um mit gedämpfter Stimme fortzufahren: »Ich habe Ihnen nämlich Mitteilungen von besonderer Art und Wichtigkeit zu machen, und würde, wenn gnädige Frau gestatten, gern unter vier Augen ...«

»Ganz wie Sie wünschen, Herr Abbé.«

Die beiden jungen Mädchen waren wohlerzogen genug, um sich auf einen bloßen Wink der Mutter mit ehrerbietiger Verbeugung vor dem Priester zurückzuziehen.

»Jetzt bitte ich, offen zu sprechen, Herr Abbé.«

»Ich weiß, wie sehr Sie von wahrhaft christlichem Eifer beseelt sind, gnädige Frau,« hob der Priester an, »und auf die Gewißheit, daß jedes apostolische Werk auf Ihre ernstliche Unterstützung rechnen darf, gründet sich mein heutiger Bittgang. Wir weihen, wie Sie wissen, unsere ganze Kraft dem Dienst der Unglücklichen; der Krankheit, dem Elend, ja selbst dem Laster widmen wir unsere ausschließliche Aufmerksamkeit und Teilnahme ... für uns ist der Verbrecher ein Bruder, den wir aufzurichten versuchen, gerade wie wir uns bemühen, dem Kranken Hilfe zu leisten. Viel Unglück, viel Schuld wird uns auf diese Weise kund ... wir sind die Vertrauten körperlicher wie seelischer Gebrechen, und allen leihen wir unseren Beistand. Sehr häufig werden wir auch zu Vermittlern zwischen solchen, die strafen können, und solchen, die um Schonung flehen, und wir verschließen unser Ohr keinem Reuigen, sondern suchen seine Zerknirschung für unseren heiligen Glauben nutzbar zu machen,«

Der Abbé sprach mit ernster Salbung und einschmeichelnder Stimme, bemüht, Hindernisse wegzuräumen, sich zwischen Schwierigkeiten durchzuwinden, sich den Boden für seine Saat zuzubereiten und die Seele der Frau seiner Sache zu erobern, um in ihr einen Bundesgenossen gegen den Gatten zu gewinnen. Er ging vorsichtig zu Werk, ohne vorläufig seinen Zweck zu enthüllen, und Frau Baradier, die über diese hochtrabende Einleitung etwas erstaunt war, fragte sich mit dem praktischen Sinn der Lothringerin, was dieser junge und anziehende Religionslehrer wohl mit ihr im Sinn haben möge, und da sie gern klar sah, fragte sie: »Sie dürfen versichert sein, daß ich und die Meinigen von vorne herein Ihrem Werk sehr geneigt sind ... ist es eine finanzielle Unterstützung, die Sie brauchen?«

»Unsere Väter werden Ihnen Dank wissen für alles, was Sie ihnen zuwenden wollen, gnädige Frau! Sie haben in Damaskus eine sehr nützliche, aber sehr kostspielige Anstalt, die ich Ihrer Großmut besonders empfehlen möchte, doch nicht dieser Zweck führt mich her. Wir haben in letzter Zeit in Var eine Anstalt gegründet, die wir, dem Beispiel mächtiger und verehrungswürdiger Brüderschaften folgend, mit einem industriellen Betrieb zu verbinden gedenken, und haben sehr hilfreiche und wertvolle Mitarbeiter gefunden, die uns darin unterstützen. ... Voll Dankbarkeit für solche, die uns wohlthun, ergreifen wir gern jede Gelegenheit, ihnen unsererseits Dienste zu leisten, und auf diese Weise bin ich ohne mein Verdienst dazu ausersehen worden, Ihnen versöhnende Worte eines Mannes zu übermitteln, der seit langen Jahren mit Ihrer Familie in Feindschaft lebt, aber den ernsten Vorsatz hat, sein Leben in Eintracht und Frieden zu beschließen.« Frau Baradier hatte während des letzten Teiles dieser Rede große Beunruhigung verraten. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr entschieden nicht zusagte, und sie war eine kluge Frau, die genau wußte, was sie wollte. Sie unterbrach also die salbungsvolle Beredsamkeit mit der unumwundenen Frage: »Darf ich bitten, mir zu sagen, um wen es sich handelt, Herr Abbé? Ich glaube, daß der Name des Mannes mir die Sache unendlich deutlicher machen wird.«

Mit dem Ausdruck eines christlichen Märtyrers in der Arena lächelte der junge Priester und erwiderte: »Ich bin ein Diener der christlichen Barmherzigkeit, der Milde und Vergebung, gnädige Frau ... es handelt sich um Herrn Lichtenbach.«

»Das habe ich vermutet.«

»Muß ich befürchten, daß seine Persönlichkeit jedes Einverständnis selbst zu Gunsten des Glaubens unmöglich macht?«

»Darüber steht mir die Entscheidung nicht zu, Herr Abbé, und ich darf keinen Augenblick vergessen, daß in diesem Haus nur zwei Männer, mein Gatte und mein Bruder, auf eine derartige Frage Bescheid zu geben in der Lage sind. Gestatten Sie, daß ich sie von Ihrem Auftrag unterrichte und herbitte ...«

»Ich bin Ihrem Willen preisgegeben, gnädige Frau!«

»Nein, Herr Abbé, so dürfen Sie nicht sprechen. Wie auch die Antwort ausfallen möge, Sie dürfen überzeugt sein, daß wir alle den versöhnenden Schritt, den Sie übernommen haben, zu schätzen wissen ... wir werden ganz gewiß den Auftraggeber und den Abgesandten gebührend unterscheiden.«

Und den Priester mit einer halben Kniebeugung grüßend, ging sie hinaus. Der Abbé blieb nachdenklich auf seinem Platz sitzen, ohne daß sein Gesichtsausdruck irgend welche innere Unruhe verraten hätte. Er vollzog einen Auftrag, der seinem Orden zweifach Nutzen bringen konnte; ihn berührte dabei nichts, was außerhalb seines priesterlichen Amtes gelegen hätte. Er wußte, was Elias wert war, aber der Geist des Evangeliums verbot ihm ja, die Rettung auch des verächtlichsten Menschen zu versäumen. Hatte Christus nicht den Kuß eines Judas geduldet? Mußte das Oberhaupt der Kirche nicht den verlorensten Bettlern die Füße waschen? Und was er that, geschah ja zum Nutzen der Kirche.

Die Thüre ging wieder auf. Graff erschien allein und begrüßte den jungen Priester.

»Meine Schwester, Frau Baradier, hat mich von Ihrer Anwesenheit unterrichtet, Herr Abbé. Mein Schwager Baradier ist augenblicklich sehr beschäftigt ... die Abrechnung des Fünfzehnten ... er bittet, ihn entschuldigen zu wollen und hat mir unbedingte Vollmacht erteilt. Darf ich bitten, mir zu erklären ...«

»Hat Ihnen Frau Baradier nicht gesagt, was mich herführt?«

»Nur ganz flüchtig. Sie kommen in Lichtenbachs Auftrag? Das ist für uns kaum überraschend, denn er gehört nicht zu den heldenhaften Schelmen. So lange er der Stärkere war, hat er uns mit Füßen getreten, jetzt, wo er der Unterliegende ist, möchte er dem Spiel ein Ende machen. Bitte, was will er eigentlich?«

Der Abbé lächelte.

»Es verhandelt sich angenehm mit Ihnen, Herr Graff! Man weiß gleich, woran man ist.«

»Nun, wenn Sie das wissen, so gehen Sie drauf los!«

»Mein Herr, der Zufall will, daß Ihr Haus und das Haus Lichtenbach sich ins Gehege kommen gelegentlich der Verwertung eines Patents ...«

»Zufall nennen Sie das? Sehr gut! Ins Gehege kommen ist richtig, denn um sich das Patent zu verschaffen, worauf Sie sich beziehen, hat man ein Haus in die Luft gesprengt – das Haus unseres Freundes – eine Fabrik in Brand gesteckt – unsere Fabrik – zwei Menschen ermordet und verschiedenen nach dem Leben getrachtet, das kann man entschieden als ›ins Gehege kommen‹ bezeichnen, Herr Abbé!«

Der Priester kreuzte die Hände mit einem Ausdruck des Entsetzens.

»Mein Herr, von den Vorgängen, die Sie da anführen, hatte ich keine Ahnung, und wenn Sie es nicht wären, der sich in dieser Weise äußert, würde ich an eine Geistesstörung denken. ... Es ist ja unmöglich, daß die, in deren Auftrag ich hier stehe, derartige verabscheuungswürdige Handlungen begangen haben.«

»Verstehen wir uns recht,« fiel ihm Graff lebhaft ins Wort. »Ich klage Lichtenbach durchaus nicht an, persönlich Blut vergossen zu haben. Dessen ist er aus verschiedenen Gründen unfähig, worunter der triftigste der ist, daß er den Mut nicht hätte! Aber das Patent, wovon Sie sprechen, ist von unseren Gegnern thatsächlich durch die genannten Mittel »erworben« worden, und man hat Sie, Herr Abbé, mißbraucht, indem man Sie für die Vertretung einer schlechten Sache gewann. Sie haben es aber bei uns mit Menschen zu thun, die eine viel zu hohe Achtung vor der Religion haben, als daß Sie eine Verantwortlichkeit dafür zu fürchten hätten. Sie können sich rückhaltlos aussprechen, denn was hier geredet wird, bleibt unter uns. Und schließlich, wer weiß? Vielleicht hat diese Unterredung doch einen Wert!«

»Das bezweifle ich gar nicht,« sagte der Abbé, der im Innersten erregt war, mit Wärme. »Es ist mir eine große Genugthuung, über die Interessen, die man mir anvertraut hat, mit einem so besonnenen und wohlwollenden Mann zu verkehren. Gelobt sei Gott dafür! Wenn es möglich ist, wollen wir eine Beschwichtigung der erregten Gemüter herbeiführen! Wenn Sie wüßten, welche Gefahren ich voraussehe! Und auf mein Gewissen kann ich Ihnen sagen, daß Lichtenbach für das Ihrer Aussage nach Vorgefallene nicht in dem Maß verantwortlich ist, als Sie voraussetzen. Er ist nicht ganz sein eigener Herr und hat mit Mächten zu rechnen, die ihre Waffen nicht ablegen werden und die, wie ich sehr fürchte, auch die verworfensten Mittel nicht scheuen, um über Sie zu triumphieren.«

»Wir fürchten nichts!«

»Es gibt vergiftete Waffen, die auch den Unverwundbarsten niederstrecken, ein Nadelstich genügt! Die Mittel, deren sich die Meute bedienen wird, die Ihnen auf den Fersen ist, sollten Sie doch fürchten ... ich spreche freimütig, in aufrichtiger Gesinnung. Was geschehen ist, war mir gänzlich unbekannt, aber mit Entsetzen haben mich die Möglichkeiten für die Zukunft erfüllt, die man mir zeigte ...«

»Wer hat sie Ihnen gezeigt? Lichtenbach?«

»Er war selbst darüber erschrocken ... er bat mich demütig, Sie aufzusuchen weil ich der einzige sei, dessen Charakter ihm Bürgschaft leiste für hinreichende Verschwiegenheit und Takt. Ich kann Ihnen bezeugen und beweisen, daß Sie in ihm fortan keinen Feind mehr haben ...«

»Er führt Sie hinters Licht, Herr Abbé, Sie sind von ihm getäuscht. Weil er daniederliegt, zieht er die Krallen ein. Wir kennen ihn sehr genau! Aber schließlich ... Barmherzigkeit für jede Sünde ... sagen Sie mir, was er haben will.«

»Einen Vergleich. Er bietet Ihnen die Verschmelzung beider Patente zum Zweck einheitlicher Verwertung an. Das Dalgettysche ist älter als das Trémontsche; man wird darauf verzichten, das Recht dieser Reihenfolge geltend zu machen. Die beiden einander so ähnlichen Erfindungen sollen als gleichwertig betrachtet werden.«

»Wirklich rührend gut von Lichtenbach!« rief Graff. »Lassen Sie sich sagen, wie die Sache thatsächlich steht, Herr Abbé. Eines dieser Patente ist eine ernste Errungenschaft, das andere eine Posse, die eine Erfindung ist echt, die andere eine Fälschung. Das Trémontsche ist das Ergebnis von Wissen und Arbeit, das Dalgettysche von Betrug und Diebstahl ...«

»Aber mein verehrter Herr,« rief der Abbé beunruhigt, »das Gesetz wird anders entscheiden! Thatsachen kann man nicht aus dem Weg räumen, und Dalgettys Erfindung wurde beim Patentamt durch eine englische Gesellschaft früher angemeldet, als die Trémontsche.«

»Was uns gar nicht anficht, weil die Dalgettysche nichts taugt. Das wissen die Herren, die Sie herschicken, sehr genau, ohne diese Gewißheit würde man Sie nicht bemüht haben. Wir haben sie in der Hand, sage ich Ihnen, sie können nichts machen. Ihr Pulver ist das Geld nicht wert, das sie für das Patent ausgegeben haben, und darum wollen sie's mit dem unserigen ›verschmelzen‹. In der Aktiengeschichte führt Lichtenbach seit Monaten Krieg gegen uns und wir gegen ihn, nun sind wir, wie er sehr genau weiß, Sieger.«

»Er bietet Ihnen an, die Baissebewegung einzustellen.«

»Weil er sie nicht mehr fortsetzen kann.«

»Er bietet Ihnen an, die Hälfte der Aktien, die Sie in Händen haben, gegen bar zurückzukaufen.«

»Das glaube ich gern! Sie werden demnächst um zweihundert steigen!«

»Er ist ferner bereit, Ihnen ein Unterpfand seiner von nun an unveränderlichen und ehrlichen Bundesgenossenschaft zu geben.«

»Sieh mal an! Und was für ein Unterpfand?«

»Wenn Sie eins seiner Angehörigen in Ihre Familie aufnähmen, wenn durch eine solche Verbindung eine Interessengemeinschaft entstünde, hätten Sie auch dann keine Bürgschaft dafür, daß er ehrlich und ernstlich abgerüstet hat?«

Graff wurde bleich, aber er beherrschte sich, um den Plan des Gegners im vollen Umfang ergründen zu können. »Und um wen handelt es sich auf seiten Lichtenbachs?«

»Um seine Tochter Marianne.«

»Und auf der unsrigen?«

»Um Ihren Neffen, Herrn Marcel Baradier.«

»Jawohl. Man würde die jungen Leute verheiraten und Baradier, Graff und Lichtenbach würden fortan eine Familie bilden ...«

»Ich weiß nicht, ob Sie Fräulein Lichtenbach kennen. Es ist ein sehr liebenswürdiges Mädchen, in den allerchristlichsten Gesinnungen aufgewachsen, ein Mädchen, das Ihrem Neffen zuverlässige Aussicht auf häusliches Glück bieten würde. Für uns wäre es eine wahre Freude, zur Versöhnung alter Gegner beizutragen, die jene Streitigkeiten, die sie bisher trennen, sicher leicht vergessen könnten angesichts dieses jungen Glücks. Statt der Feindseligkeiten Zusammenwirken, Eintracht, keine Drohungen, keine Gefahren mehr, ein gemeinsames Gedeihen und Wohlergehen! O mein verehrter Herr, sprechen Sie das erlösende Wort, überwinden Sie Ihren Stolz, geben Sie allen ein Beispiel christlicher Milde und Nächstenliebe!«

Graff hatte die salbungsvollen Ermahnungen des Priesters schweigend angehört. Seine gesenkte Stirn, die halb geschlossenen Augen verleiteten den Abbé zu der Annahme, daß er einen tiefen, sieghaften Eindruck auf den Mann ihm gegenüber mache. Als er geendet hatte, herrschte eine Weile Schweigen, dann hob Graff den Kopf, und der andere sah in ein finsteres Gesicht mit traurigen Augen und eine feste, strenge Stimme entgegnete ihm! »Herr Abbé, auf dem Friedhof in Metz ruht manch ein Graff, der sich im Grab umdrehen würde, wenn einer seiner Nachkommen sich so tief erniedrigte, die Tochter eines Lichtenbach zu heiraten.«

»Mein Herr!« rief der Abbé peinlich überrascht.

»Sie wissen offenbar gar nicht, wer und was wir sind, und auch nicht, wer und was Lichtenbach ist, sonst konnten Sie uns diese Verbindung nicht vorschlagen. Zwischen Lothringen und Paris ist nicht ein Kilometer Boden, der nicht durch die Schuld dieses Elenden mit französischem Blut getränkt worden wäre! Als Spion, der den Feind zum Sieg geführt, der seine Truppen ernährt hat, während die unserigen Hungers starben, hat er sich während des Kriegs bereichert, vom Verrat ist er fett geworden! Seine eigenen französischen Brüder hat er verschachert, die Juden, die in unseren Reihen kämpften und sich tapfer schlugen, dieser doppelte Judas! Und als er die Silberlinge des Verräters eingeheimst hatte, ist er Christ geworden, um eine andere Religion durch seinen ekelhaften Apostatenfanatismus zu beschmutzen. Das ist Lichtenbach, Herr Abbé! Soll ich Ihnen jetzt auch sagen, was Baradier & Graff sind?«

»O das weiß ich! Ich weiß es, mein verehrter Herr! Es herrscht nur eine Stimme über die Rechtlichkeit und Vaterlandsliebe dieses Hauses! Aber großer Gott ... so viel Groll, solche Gereiztheit! Ist es Ihr Ernst, daß ich meinem Auftraggeber solche Botschaft bringen soll?«

»Sagen Sie ihm, daß es ein freches Schurkenstück war, einen Mann wie Sie mit einer solchen Aufgabe zu betrauen. Machen Sie ihm begreiflich, daß unsere Verachtung für ihn seinem Haß gegen uns nicht nachsteht. Bezeugen Sei ihm, daß wir ihn in keiner Weise fürchten. Mag er uns verleumden, wir werden ihm antworten; wenn er einen Prozeß führen will, werden wir uns stellen, wenn er unser Leben bedroht, werden wir es zu verteidigen wissen ... wehe ihm, wenn er's wagt!«

»Mein Herr, mein Herr!« rief der Abbé beschwörend, »Sie erfüllen mich mit Bangen! Überlegen Sie sich die Sache! Der Zorn ist ein übler Ratgeber.«

»Herr Abbé, ich bin vollkommen ruhig. Sie kennen mich nicht, sonst wüßten Sie, daß ich nie heftig werde. Wenn ich's würde, wäre es furchtbar, aber dazu gehörte viel!«

»Und so soll ich von Ihnen scheiden? Bedenken Sie, daß ich Sie den schlimmsten Gefahren ausgesetzt weiß ...«

»Ich danke Ihnen für die Warnung: wir werden auf unserer Hut sein.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Nein, Herr Abbé. Nie ist ein Priester über unsere Schwelle getreten, ohne für seine Person und für seine guten Werke ein Zeugnis unserer Verehrung und unserer demütigen Frömmigkeit mit fortzunehmen.«

Graff zog mit diesen Worten sein Checkbuch aus der Tasche, beschrieb ein Blatt und reichte es seinem Besucher.

»Für Ihre Armen, Herr Abbé.«

»O, das ist ja eine fürstliche Freigebigkeit.«

»Haben Sie meiner Schwester nicht gesagt, daß Sie ein Haus in Damaskus hätten? Sie lehren dort ohne Zweifel mit unserer Sprache auch Liebe zu unserem Lande. ... Wir sind Lothringer, das heißt mit anderen Worten Verbannte, und haben darum ein besonderes Herz für alles, was Frankreichs Ruhm und Größe fördert.«

Der Abbé verneigte sich ehrerbietig.

»Ich werde Ihrer im Gebet gedenken, und zwar recht von Herzen.«

»Dafür bin ich dankbar, Herr Abbé,« versetzte Graff lächelnd. »Schließen Sie namentlich Lichtenbach in Ihre Fürbitte ein.«

Damit geleitete er den Abbé von Escayrac bis an die Treppe.

Am Abend des nämlichen Tages stieg Lichtenbach gegen neun Uhr am Anfang des Boulevards Maillot aus seinem Wagen. Die Nacht war mondhell; silbern schimmernd ragten die Bäume des Boulogner Wäldchens zum klaren Himmel auf. Der Bankier schritt rasch aus, denn er fühlte sich in dieser einem nächtlichen Überfall günstigen Straße außerhalb des Weichbilds der Stadt nicht sehr behaglich. Nach ein paar hundert Schritten machte er vor dem epheuumsponnenen Eingang einer Villa Halt und klingelte. Kurze Zeit verging, dann drehte sich die kleine Pforte geräuschlos in den Angeln und ein weibliches Wesen blickte vorsichtig heraus. Es war Milona. Als sie den Bankier erkannt hatte, trat sie stumm zur Seite und ließ ihn in den Garten treten, in dessen Hintergrund das Haus lag.

»Die Frau Baronin zu Hause?« fragte Elias.

»Sie erwartet Sie,« versetzte die Dalmatinerin in ihrem dumpfen Kehlton.

»Gut. Sind die Herren schon hier?«

»Seit einer Stunde.«

Sie gingen einem Blumenbeet entlang, das köstliche Düfte in die stille Nacht hauchte. Dann kam man an eine Terrasse, deren Stufen Lichtenbach, der Dienerin folgend, erstieg. Sie gelangten in ein dunkles Vorzimmer, wo Milona dem Bankier Hut und Überzieher abnahm. Dann öffnete sie eine Thüre, und Elias trat jählings aus der Finsternis in den strahlenden Lichtglanz eines Wohnraumes, dessen Läden, Fenster und Vorhänge hermetisch geschlossen waren. Grog trinkend, saßen Hans und Agostini bei einer Partie Pikett, während Sophia halb ausgestreckt in phantastischem weißen Hausgewand auf einem Diwan ruhte. Die beiden Männer drehten kaum den Kopf bei Lichtenbachs Eintritt, die Baronin aber erhob sich halbwegs, nickte ihm anmutig zu und sagte: »Setzen Sie sich zu mir. Die Partie geht bald zu Ende. Wie sind Sie denn hergekommen? Ich habe keinen Wagen gehört...«

»Ich bin am Maillotthor ausgestiegen.«

»So vorsichtig? Mißtrauen Sie Ihrem Kutscher?«

»Ich mißtraue jedermann,«

»Und wenn nun irgend ein Nachtvogel Ihnen den Schädel eingeschlagen hätte, um Sie über die Gefahren einsamer Spaziergänge in dieser Einöde zu belehren?«

»So würde ich mich in seiner Sprache mit ihm unterhalten haben,« versetzte Elias, die Rockklappe zurückschlagend und einen Revolver vorweisend.

»Ach, Sie gehen nicht ohne Dolmetscher aus!«

»Mich für zwanzig Franken umbringen lassen, wäre mir denn doch zu dumm.«

Das Gespräch erlitt eine Unterbrechung durch Cesare, der mit einem wilden Fluch die Karten hinwarf, daß sie über den Tisch flatterten. Hans lachte lautlos in sich hinein, während er auf einem Blatt Papier eine Rechnung zusammenstellte.

»Siebenhundert Franken, mein Kleiner ... Sie verlieren vierzehnhundert Points.«

»Man könnte wirklich an den bösen Blick glauben,« sagte der schöne Italiener zähneknirschend. »Seit dieser Marcel Baradier mich angesehen hat, kann ich keine Karte anrühren, was für ein Spiel es auch sei, ohne zu verlieren.« Mit einem heimtückischen Blick zu Sophia hinüber setzte er hinzu: »Nun, das wird ja ein Ende nehmen!«

»Haltet Frieden, Kinder!« sagte Hans nachdrücklich. »Viel Lärm um nichts! Jetzt reden Sie, Kassenpapa! War Ihr Jesuit bei unseren Leuten?«

»Ja.«

»Und?«

»Sie weisen unser Anerbieten rundweg ab.«

»Was weisen sie ab? Erklären Sie sich deutlicher! Ihre Tochter oder das Geschäft?«

Dem Bankier stieg das Blut ins Gesicht; unter den halbgeschlossenen Lidern funkelten seine Augen, seine Stimme aber verriet weder Zorn noch Sorge.

»Sie weisen die Verbindung mit mir und Ihre Mitarbeiterschaft zurück, kurzum alles,«

»Donnerwetter!« brummte Hans. »Sind die verrückt?«

»O nein, die sind sehr vernünftig. Sie wissen genau, daß sie alles haben und ihr nichts habt, und beweisen euch das, indem sie euch zum Kuckuck jagen.«

»Sie nehmen das sehr gelassen auf,« rief der Graf. »Sonst war Ergebung weniger Ihre Sache.«

»Mich mit Windmühlen herumzuschlagen, ist nicht mein Geschmack. Ihr habt mich in eine abgeschmackte, gefahrvolle Geschichte verwickelt, und ich drehe ihr den Rücken, das ist alles.«

»Aber nicht ohne Haare zu lassen.«

»Wie Sie sagen, aber so wenige als möglich. Ich habe schon eine Schwenkung ausgeführt und spiele bereits in der Kontermine.«

»Alter Halunke! Schließlich verdienen Sie noch, während wir alles verlieren!« schrie Agostini blaß vor Wut.

»Wenn dem so wäre, so würde es nur beweisen, daß ich klüger bin als Leute, die nur auszugeben verstehen.«

Hans lachte und hielt Agostini, der zornig aufspringen wollte, auf seinem Stuhl zurück.

»Der Kassenpapa hat ganz recht, Kleiner, und hat Ihnen hübsch heimgeleuchtet. Wir wollen's aber nicht machen wie die Gäule, die miteinander raufen, wenn ihre Krippe leer ist. Betrachten wir uns die Lage der Dinge genau und überlegen wir, was sich noch daraus machen läßt, hören wir vor allen, was die Schönheit dazu sagt. Bis jetzt hat sie sich noch nicht vernehmen lassen und doch hat sie sicher eine Meinung, Möge sie sich zuerst äußern ... die Damen haben den Vortritt. Auf Ihre Gesundheit, Sophia!«

Die Baronin schien erst wach werden zu müssen; sie blinzelte, als ob sie Traumgesichte verwischen müßte, zog die Brauen in die Höhe und sagte wegwerfend: »Ich pflege mich in ungeschickt eingefädelte Unternehmungen nicht zu verbeißen, denn ich weiß etwas Besseres zu thun, als Flickarbeit zu machen. Ihr wißt, was ich euch seit dem Abend von Vanves erklärt habe. Auf der Geschichte ruht ein Unstern, laßt sie stecken! Jetzt habt ihr wenigstens die Hälfte des Gewollten erreicht, das Schießpulver haben wir. Folgt also Lichtenbachs Beispiel, rennt eurem Gelde nicht nach, sondern schneidet euch den Arm ab und fangt etwas anderes an.«

»Schneidet euch den Arm ab!« rief Hans. »Das ist gut sagen! Ich habe sowieso nur einen, der meinige ist abgeschnitten, hol's der Teufel! Wenn Sie einen Arm hatten dahinten lassen müssen, würden Sie das weniger leicht nehmen, Sophia! Ich werde eine Sache, die mich so viel gekostet hat, nicht stecken lassen! Mein Arm muß mir bezahlt werden, und den andern schneide ich mir gewiß nicht ab!«

»Nun, und was ist denn Ihr Plan?« fragte Sophia ungeduldig.

»O, der ist sehr einfach! Sie, meine Schöne, werden gütigst Ihre Beziehungen zu dem kleinen Marcel wieder anknüpfen ... er hat Ihre Gunst noch zu wenig gekostet, um nicht gern wieder anzubeißen. Man weiß ja, daß diese Speise den Appetit reizt. Dann bitten Sie den jungen Mann eines Abends hierher. Er kennt das Geheimnis der Herstellung des Sprengstoffs ... entweder teilt er es Ihnen gutwillig mit oder ich entreiße es ihm mit Gewalt.«

Eine Stille trat ein; Lichtenbach bewegte unruhig die Hände, Agostini grinste in wilder Schadenfreude, nur Sophia schien völlig unberührt von allen Gefühlen zu bleiben.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte Hans wohlgelaunt. »Ein vielversprechendes Programm, leicht vorzubereiten, einfach auszuführen ... hm, Sophia?«

»So leicht und so einfach wie der Streich von Vanves,« sagte Sophia kühl. »Diesmal aber bin ich vorbereitet und kann ihn verhindern. Sie werden uns kein zweites Mal durch zwecklose Roheiten bloßstellen, ich habe es satt, an Leute gekettet zu sein, die wie der Auswurf von Grenelle und Vaugirard wirtschaften. Mir ist die Gewalt verhaßt, besonders wenn sie nicht zum Ziel führt. Was mir gelungen ist, gelang immer durch List und ich werde meine Methode nicht ändern.«

»Ja, und wer hindert Sie denn, durch List zu wirken? Locken Sie das Geheimnis, das wir haben müssen, heraus; wie Sie es fertig bringen, ist uns einerlei.«

»Ich werde in dieser Sache überhaupt nichts mehr thun!«

»Nimm dich in acht! Mich täuschest du nicht!« rief Agostini leidenschaftlich. »Ich weiß sehr genau, weshalb du dich weigerst, den jungen Baradier wieder ins Netz zu locken ... weil du Angst um ihn hast, das ist das Ganze!«

»Und wenn dem so wäre?«

»So verrechnest du dich! Denn ich gebe dir vor diesen Zeugen mein Wort, daß, wenn du nicht vorwärts machst, wie Hans will, ich binnen acht Tagen Händel mit dem Muttersöhnchen vom Zaun brechen und ihn dir spießen werde, wie ein Huhn.«

»Das kannst du halten, wie du willst,« sagte Sophia gleichmütig. »Ich beschäftige mich gar nicht mehr mit Herrn Baradier, ich habe nicht im Sinn, ihn je wiederzusehen. Du riskierst also zwecklos einen Degenstich, den er ebenso gut dir beibringen kann, wie du ihm, und zwar nur weil du dich nicht entschließen kannst, einen verfahrenen Karren stecken zu lassen. Ich sage euch aber, mir müssen es thun, denn wir setzen uns für nichts und wieder nichts der Gefahr aus, daß uns schließlich die Polizei auf den Hals kommt, und ihr wißt, wie unwillkommen diplomatische Verwickelungen unseren Freunden sind. Befassen wir uns mit der Angelegenheit der englischen Armeeversorgung, dabei ist mit geringer Gefahr viel zu verdienen. Genaue Angaben, die einen Nachweis des Betrugs bei den Lieferungen ermöglichen, werden uns hier für lange Zeit wieder in Ansehen bringen. Laßt die Pulvergeschichte fallen, glaubt mir, es ist aus und vorbei damit!«

Hans schwieg, scheinbar nachdenklich. Dann sagte er mit gutgespielter Gutmütigkeit: »Alles in allem haben Sie vielleicht recht, und jedenfalls vermögen wir ohne Sie rein nichts. Da Sie sich weigern, uns behilflich zu sein, bleibt uns gar nichts übrig, als Ihren Rat zu befolgen und den Fang fahren zu lassen.«

Lichtenbach atmete erleichtert auf, verlieh aber seiner Befriedigung keinen Ausdruck, Es schwante ihm, daß Hans' Nachgiebigkeit eine Finte sein könnte, und um die Gedanken dieses unheimlichen Partners zu ergründen, hielt er es für ratsam, seine eigenen zu verbergen.

»Abgemacht! Sprechen wir nicht mehr darüber! Ich werde schon wieder hereinbringen, was mich der Spaß gekostet hat. Aber schade ist's, daß wir den Kunstgriff der Herstellung nicht herausbringen konnten, es hätte sich ein schönes Stück Geld verdienen lassen dabei. Nun, Schwamm drüber!«

Hans preßte die Lippen zusammen und gab keine Antwort auf diesen Stoßseufzer.

Agostini wandte sich mit verbindlicher Miene an Lichtenbach. »Und meine Heirat, was soll aus der werden?«

»Was aus der ganzen Geschichte geworden ist,« versetzte der Bankier barsch. »Ist das eine nichts, ist's mit dem anderen auch aus. Sie haben jetzt kein Beibringen mehr, mein schöner Herr ... mit dem Trémontschen Pulver hätte ich Sie in den Kauf genommen, für Ihre schönen Augen allein bedanke ich mich!«

»So behandeln Sie mich! Das sollen Sie bereuen!«

»Vergessen Sie nicht, daß ich Sie jeden Tag für immer über die französische Grenze schaffen lassen kann!«

»Dieses verdammte Pulver hat wirklich eine unglaubliche Sprengkraft!« warf Hans beschwichtigend hin. »Es wirft Zwietracht unter uns und würde uns, wenn die Sache andauerte, noch ganz auseinandersprengen. Lassen wir sie ruhen! Da die Schönheit nicht mehr Hand in Hand gehen will mit der Kraft, müssen wir dem Pulver entsagen. Punktum.«

»Brechen wir auf,« sagte Lichtenbach, »Es ist schon spät.«

»Wir werden Sie bis an den Schlagbaum begleiten, Kassenpapa, damit man Ihnen nichts zu leid thut. Die Gegend ist bei Nacht etwas unsicher. ... Guten Abend, Sophia, ich komme dieser Tage wieder.«

»Gute Nacht.«

Sie streckte ihm lässig die weiße Hand hin, die Hans mit der eisernen, stets durch einen Handschuh verdeckten Faust schüttelte.

»Du behältst mich nicht, Sophia?« fragte Agostini lächelnd; er würde gern Frieden geschlossen haben mit der nützlichen Freundin.

»Nein, mein Verehrtester,« sagte die Baronin entschieden, »Du gehst mir zu sehr auf die Nerven ... gute Nacht,«

Sie klingelte und Milona erschien.

»Leuchte den Herren, Milo«

Schweigend gingen die drei hinaus und folgte einer nach dem anderen dem Laternchen, womit die Dalmatinerin den gewundenen Gartenweg bis zur Ausgangspforte beleuchtete. Sie machte das Thor auf und verschwand. Die drei Männer gingen längs des Grabens, der das Gehölz von Boulogne einfaßt, den Boulevard Maillot entlang. Sie schwiegen, als ob jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt wäre, bis Hans plötzlich stehen blieb und mit gedämpfter Stimme sagte: »Sophia glaubt uns in die Tasche stecken zu können, es wird aber anders kommen, als sie sich einbildet. Ich habe ihr nur zum Schein nachgegeben, um sie irre zu führen. Wenn ihr mir beipflichtet, soll folgendes geschehen: Cesare schreibt mit verstellter Handschrift an den jungen Baradier und ladet ihn auf einen Abend gegen zehn Uhr in Sophias Villa ein. Ich werde mit sicheren Leuten zur Stelle sein und übernehme es, ihn in den Taubenschlag zu führen. Ist er einmal da, so muß Sophia ans Werk gehen, ob es ihr paßt oder nicht. Derselbe Plan, den ich ihr vorlegte, und den sie von sich gewiesen hat, nur daß ich ihre Erlaubnis zur Ausführung nicht mehr einhole ...«

»Aber wenn Baradier nicht käme?« warf Cesare ein.

»Nun, dann käme er eben nicht. Aber glauben Sie, der Sie die Baronin doch kennen, daß man ihre Aufforderung zu einer Schäferstunde so leicht ausschlägt? Er wird herbeifliegen, sage ich Ihnen, wie die Motte zum Licht, und haben wir ihn einmal ...«

»Was werden Sie dann thun?« fragte Lichtenbach mit unsicherer Stimme.

»Das ist unsere Sache, aber Sie können sich darauf verlassen, daß wir dem hübschen Burschen die Zunge lösen werden.«

»Mit Gewalt?«

»Mit unwiderstehlicher Überredungskunst!«

»Und wenn er Sie nachher der Polizei anzeigt?«

»Vorausgesetzt, daß er vorher mitteilsam ist, kann er nachher schwatzen, was er mag!«

Lichtenbach schauderte. Er hatte jetzt die Gewißheit, daß Hans zu einem weiteren Mord entschlossen war, und zwar sowohl um das Geheimnis zu erlangen, als um seine Verstümmelung zu rächen.

»Wie Sie wissen, habe ich nichts mehr mit der Sache zu thun,« sagte er. »Ich ziehe mich vollkommen davon zurück und lehne jeden Anteil an Ihren ferneren Handlungen aufs entschiedenste ab. Nicht einmal das Ergebnis Ihres neuen Planes will ich kennen lernen ... mir ist's, als ob Sie der Wahnsinn gepackt hätte ...«

»Glauben Sie denn, daß wir je auf andere Unterstützung von Ihnen gerechnet hatten, als auf Vorschüsse?« fragte Cesare höhnisch. »Sie waren unsere Henne mit den goldenen Eiern; wenn sie nicht mehr legt, mag sie zum Teufel gehen!«

»Wollen Sie doch uns gegenüber nicht den Schlaukopf spielen, Lichtenbach,« sagte Hans. »Sie wissen sehr wohl, was das Patent Dalgetty wert ist, wenn unser Plan gelingt, und da Sie dann nicht auf Ihren Anteil am Gewinn verzichten werden, so ist Ihr angebliches Auskneifen nichts als eine abermalige Heuchelei! Sie weisen die Verantwortlichkeit von sich, aber Sie behalten sich vor, den Nutzen zu teilen ... nun, alter Kamerad, man wird nicht knausern!«

Sie waren bei Lichtenbachs Wagen angelangt, der immer noch an derselben Stelle hielt, und Graf Cesare riß mit verbindlicher Miene den Schlag auf.

»Nichts für ungut, hoher Herr, und angenehme Träume!«

Angenehme Gedanken hatte Lichtenbach vorläufig nicht. Während sein Wagen die Straße der Großen Armee entlang rollte, überlegte er: »In meiner Lage ist einfach alles gefährlich. Lasse ich Hans den Streich ausführen, so kann ich fürchterlich bloßgestellt werden, denn die Baradiers werden keinen Augenblick zögern, mich der Urheberschaft dieser That anzuklagen. Wenn ich den Mut fasse, Hans in den Arm zu fallen, so wird er mich anzeigen, das ist das mindeste, was ich von ihm zu erwarten habe. Verflucht sei der Tag, an dem ich mich mit diesen Leuten einließ! Aber wie hätte ich voraussehen sollen, daß sie zu so gefährlichen Mitteln greifen würden? Die Baronin hat mir das nie zu verstehen gegeben; sie war ja auch selbst dagegen! Ich bin unentrinnbar verwickelt in die Geschichte! Wenn ich die Baronin warnte? Aber dann bin ich wieder Hans gegenüber bloßgestellt, denn der wird sofort wittern, wer ihn verraten hat, und den Baradiers gegenüber deckt mich das auch nicht. ... Wie, wenn ich diesen eine Warnung zukommen ließe? Wenn ich ihnen den Dienst leistete, sie heimlich auf die Gefahr aufmerksam zu machen, worin ihr Erbe schwebt, da wären sie mir doch wirklich zur Dankbarkeit verpflichtet ... keinesfalls sind sie die Leute, mich zu verraten ... darin könnte vielleicht die Rettung liegen. Aber Hans und Agostini sind immer noch da ... welche Verantwortlichkeit ihnen gegenüber! Und sie sind zu allem fähig! Mein Gott, mein Gott, in was für ein Wespennest habe ich gestochen!«

Er erreichte sein Haus, hatte aber das Problem noch nicht gelöst, wie man die Freunde von gestern verraten kann, ohne sich Feinde für morgen zu schaffen, und wie man mit Anstand die Karten hinlegen kann, wenn die Partie schlecht steht. –

Mittlerweile war der Untersuchungsrichter Mayeur nicht unthätig gewesen. Auf Baudoins, durch den Oberst Vallenot vervollständigte Fingerzeige gestützt, hatte er das Möglichste gethan, denn es lag dem Mann der Erfolge ja alles daran, seinen Ruf der Unfehlbarkeit in den Augen seiner Vorgesetzten zurückzuerobern, und er setzte all seinen Ehrgeiz ein, diesen verwickelten Fall aufzuklären. Andere Untersuchungen hatte er inzwischen einfach beiseite gelegt; mochten die in Untersuchungshaft Befindlichen vor Angst und Unruhe vergehen, für ihn war nichts wichtig, als was die Baronin, Hans oder Agostini anging. Seit acht Tagen war er im Besitz ausführlicher Mitteilungen über die Person des Grafen Cesare. Er war wirklich aus vornehmer, berühmter Familie, hatte aber aus dem italienischen Heer verschwinden müssen, nachdem er in einem Ehrenhandel seinen Gegner sozusagen ermordet hatte. Ein kleiner Unfall, eine Pistole, die losgegangen war, ehe das Zeichen gegeben wurde! Die Zeugen aber hatten die Sache schief genommen, und Cesare hatte sich durch einige höchst überflüssige Herausforderungen das Vaterland verschlossen und lebte seither im Ausland. Ohne andere Hilfsquellen zu besitzen als seine hübsche Erscheinung, gab er im Jahr mindestes seine zweihunderttausend Franken aus. Was Hans betraf, der blieb rätselhaft und unauffindbar. Agostinis Wohnung konnte nachgewiesen werden, wo Hans hauste, war dagegen keinem Menschen bekannt. Man glaubte in einer anarchistischen Versammlung einen Mann bemerkt zu haben, auf den die Personalbeschreibung des Banditen gepaßt hätte, nur hatte jener eine ganz andere Aussprache, galt für einen Russen und bereitete ein Attentat auf den jungen König von Spanien vor. Beim Verlassen der Versammlung, in der übrigens jeder zweite Mann ein Polizeispitzel gewesen war, von einem Agenten verfolgt, hatte er sich plötzlich umgedreht und den unbequemen Begleiter mit einem Faustschlag bewußtlos niedergestreckt, dann war er verschwunden.

Auf Agostinis Spur war die Baronin in ihrer Villa am Boulevard Maillot leicht aufzufinden gewesen. Das Haus wurde vollständig eingerichtet vermietet und sie führte darin unter dem Namen einer Frau von Frilas ein sehr zurückgezogenes Leben. Ein geschickter Agent, den Mayeux zum Baron Grodsko nach Nizza geschickt hatte, war mit sehr vollständigem Bericht über dessen Gemahlin zurückgekehrt. Die Lippen des Gatten waren übergeströmt von Haß und Verachtung für die Abenteurerin, und nachdem er getrunken hatte, war Grodsko auch bereit gewesen, alles zu erzählen, was er von ihrem Leben wußte, was aber wohl nur die Hälfte der Wahrheit war. Sogar in Rührung war er verfallen, als er dem Agenten, seinem Freund vom Spieltisch, von ihr sprach.

»Sehen Sie, dieses Weib hätte den Tod hundertfach verdient! Sie machen sich keinen Begriff davon, wessen sie fähig ist Nachdem ihr mein Vermögen durch Schenkung gesichert war, machte sie verschiedene Versuche, mich umzubringen, um früher in seinen Besitz zu kommen, erst als ich auf den Einfall kam, ihr weiszumachen, ich sei dem Bankerott nah, war ich wieder meines Lebens sicher. Nun sie keinen Vorteil mehr darin sieht, mich aus der Welt zu schaffen, kann ich wenigstens hoffen, am Leben zu bleiben! Und dabei kein verführerischeres Weib unter Gottes Sonne; einen Heiligen könnte sie auf schlechte Wege bringen, wenn sie wollte! Ich glaube nicht, daß irgend ein Mann ihr widerstehen würde! In Österreich hat ihr der Untersuchungsrichter selbst die Kerkerthüren aufgeschlossen, während sie für eine Unterschlagungsgeschichte lebenslängliches Zuchthaus verdient hätte! Ein Engel und ein Scheusal in einer Person! Sie haben gehört, was ich von ihr sagte, wissen, wie ich über sie denke, und dabei würde ich, ich, der so zu Ihnen spricht, nicht den Mut haben, mich der Gefahr ihrer Gegenwart auszusetzen ... ich möchte nicht dafür einstehen, daß sie es nicht fertig brächte, mich noch einmal zu einer großen Dummheit zu verleiten! Hüten Sie sich vor ihr ... sie ist das gefährlichste Geschöpf, das auf Erden wandelt! Sie fragen, ob sie nacheinander den Namen einer Frau Ferranti, einer Gräfin Schlosser, einer Frau Gibson geführt habe. Davon weiß ich nichts, aber ich halte es für wahrscheinlich. Wenn mit diesen ehrlosen Mitteln eine Teufelei auszuführen war, hat sie es sicher gethan, denn sie schreckt vor nichts zurück und ist erfinderisch, wie nur je ein Verbrecher.«

Mit diesen schriftlichen Aufzeichnungen des Agenten hatte sich Mayeux aufs Kriegsministerium begeben, um sie dem Oberst Vallenot mitzuteilen und von ihm zu hören, was er persönlich ermittelt habe. Man hatte ihn aber gleich zum Minister selbst geführt, wo er durch allerlei ergänzende Einzelheiten die Bestätigung dessen erhielt, was ihm sein Vertrauensmann geschrieben hatte. Je schärfer man die Darsteller dieses Intriguenstücks beleuchtete, desto mehr erkannte man die Tragweite und Bedeutung des Falls. Man hatte es hier ohne Zweifel mit einer internationalen Spionenbande zu thun, die seit mindestens zehn Jahren im Sold ausländischer Regierungen arbeitete und diese der Reihe nach ausbeutete, indem sie auch ihre Auftraggeber untereinander verriet.

Es war möglich, daß die einflußreichsten Minister ganz Europas nach und nach von diesen gewandten Spitzbuben geprellt worden waren, und es war mit Sicherheit anzunehmen, daß ein Verfahren gegen Leute, die im Besitz wichtiger Geheimnisse, mit Urkunden ausgerüstet und durch genaue Kenntnis gewisser Unsauberkeiten der Regierungen gewappnet sein mußten, seltsame Dinge ans Licht bringen würde. Man hatte an höchster Stelle darüber berichtet und war sofort auf diplomatische Bedenklichkeiten gestoßen. Die Beziehungen zu allen europäischen Mächten seien ja die besten, ja es habe den Anschein, als ob sie sich immer freundschaftlicher gestalteten. Handelsverträge würden vorbereitet, die Ausstellung, die von allen Mächten als eine Zeit des Waffenstillstandes anerkannt sei, müsse die Angehörigen aller Völker einander näherbringen, da frage es sich denn doch, ob es angezeigt wäre, den Schleier über Vorgänge zu lüften, die an sich höchst beklagenswert, durch Veröffentlichung aber noch viel beklagenswerter würden. Das müsse reiflich bedacht werden.

Reiflich bedenken, wenn es einem auf die Nägel brennt! Wenn die Schuldigen bei der geringsten falschen Bewegung Lunte riechen und verschwinden können! Mayeur wurde ganz blaß vor Wut über die ihm auferlegte Beschränkung und der geradsinnige, derbe Soldat, der an der Spitze des Ministeriums stand, fluchte darüber in seinen Bart hinein, aber wie sich dem Zwang so wichtiger politischen Rücksichten entziehen?

»Es steht jetzt zweifellos fest, Excellenz,« sagte Vallenot, der zuerst den Mut fand, ein offenes Wort zu sprechen, »daß wir die ›Lichtscheue‹ wie unsere Agenten sie getauft haben, erreichen können, dieselbe Frau, von der ich Ihnen schon vor Monaten beim Beginn der Untersuchung sprach, dieselbe Person, die in den Fällen Cominges, Fontenailles und anderen eine so verhängnisvolle Rolle spielte. Wir brauchen nur die Hand auszustrecken, so haben wir die Übelthäterin, und wir sollen sie uns abermals entschlüpfen lassen? Halten Excellenz das für menschenmöglich?«

»Diese verdammten Federfuchser, diese Formelkrämer mit ihrer Politik, die legen den Radschuh ein!« brummte der Vorgesetzte. »Wenn's auf mich ankäme, würde es wahrlich zum Klappen kommen! Aber diese Parlamentarier, diese Advokaten, diese Rechthaber, die sind mir unheimlich! Nur unter meinen Offizieren fühle ich mich sicher, bin ich wieder ich selbst! Was sagen denn Sie, Herr Richter?«

»Ich, Excellenz, ich bin bereit, den Haftbefehl auszustellen und zu unterzeichnen und ihn selbst der Staatsanwaltschaft vorzulegen ...«

»Bei der er dann verschimmeln kann! Wissen Sie, was das Richtige wäre, Vallenot? Eine geschickt vorbereitete Razzia auf das Haus am Boulevard Maillot ... die Banditen würden sich zur Wehr setzen und man könnte unseren Schutzleuten doch nicht zumuten, sich die Hälse umdrehen zu lassen wie die Krammetsvögel! In dem Getümmel könnte man alles niedermetzeln, das Weib zuerst, denn sie ist nicht anders anzusehen, als wie eine tolle Hündin!«

Mayeur lächelte.

»Ein wenig zu militärisch gedacht, Excellenz! Um einen Sturm auf das Haus kann sich's nicht wohl handeln, sondern um ein ordnungsmäßiges polizeiliches Vorgehen. Die Justiz kann sich so durchgreifender Mittel nicht wohl bedienen...«

»Dann thun Sie, was Sie mögen, und fragen Sie mich nicht um Rat! Aber eines kann ich Ihnen voraussagen – mit allen Trümpfen in der Hand werden Sie das Spiel verlieren.«

In diesem Augenblick ging die Thüre auf und der Kanzleidiener brachte dem Oberst eine Besuchskarte, die Vallenot sofort dem Minister hinstreckte.

»Marcel Baradier!« rief dieser. »Der kommt ja wie gerufen, soll gleich eintreten.«

Der junge Mann erschien, verbeugte sich vor dem Minister, der ihm die Hand drückte, nickte den anderen Herren zu und begann ohne Einleitung: »Excellenz, ich habe mich verpflichtet, Sie von allem, was mir zustoßen sollte, in Kenntnis zu erhalten, und komme nun, mein Wort einzulösen. Es ist mir sehr angenehm, den Herrn Untersuchungsrichter hier zu treffen.«

»Nun denn, was haben Sie uns mitzuteilen?«

»Diesen Brief habe ich heute früh erhalten, Excellenz.«

Er legte ein Briefblatt auf den Tisch, das der Minister aufmerksam betrachtete.

»Kein Monogramm, landläufige Größe, gewöhnliches Papier, sichtlich verstellte Handschrift, keine Unterschrift ...« sagte er vor sich hin. »Und nun den Inhalt: ›Wenn Sie den Wunsch haben, die bewußte Dame wiederzusehen, die Sie immer noch liebt, so kommen Sie heute abend um zehn Uhr auf den Sternplatz an die Ecke der Hochestraße. Dort wird ein Wagen stehen; der Kutscher bedarf keiner Anweisung. Steigen Sie ein, und er wird Sie an den Ort bringen, wo Sie erwartet werden ...‹ Ausgenommen, daß Ihnen die Augen nicht verbunden werden sollen, ist es das uralte Rezept! Was haben Sie beschlossen?«

»Hinzugehen.«

»So, so! Und ohne Befürchtungen?«

»Das ist wieder etwas anderes, Excellenz, aber mit oder ohne Befürchtungen, ich werde hingehen. Ich will des Rätsels Lösung erlangen, und dort werde ich sie finden.«

»Gestatten Sie mir den Einwurf,« sagte der Untersuchungsrichter, »daß dieser Vorsatz über die Maßen unvorsichtig ist! Die Aussicht, daß Sie in eine Falle gelockt werden, steht wie neunundneunzig gegen hundert. Ich weiß, wessen die Leute fähig sind, denen Sie sich anvertrauen wollen, und kann Ihnen nur aufs entschiedenste von der Ausführung Ihrer Absicht abraten. Wir haben seit Beginn dieses höllischen Prozesses schon Unglücksfälle genug zu beklagen gehabt, vermehren Sie die Zahl der Opfer nicht, indem Sie sich um ein unsicheres Ergebnis einer sicheren Gefahr aussetzen!«

»Wenn sie es ist, die mich ruft, habe ich nichts zu fürchten.«

»Donnerwetter! Sie sind Ihrer Sache aber sicher!« rief der Minister.

»Exzellenz,« versetzte Marcel ruhig, »ich bestreite das Urteil nicht, das Sie sich auf Grund Ihrer Nachfragen über diese Frau gebildet haben mögen, ebensowenig kann ich aber den Klang der Aufrichtigkeit in ihren Worten vergessen. Eine Lügnerin gegen die anderen, ist sie mir gegenüber wahrhaftig gewesen; mag sie die ganze Welt verraten haben, was ich nicht bestreiten will, mir ist sie treu ergeben ...«

»Man höre!« rief der Minister. »Er ist felsenfest überzeugt von dem, was er sagt! Alle Achtung vor dieser Komödiantin, die bringt jedem bei, daß sie's mit ihm ehrlich meine! Jeder glaubt ihr! Aber zum Henker, mein junger Freund, haben Sie mir denn nicht selbst erzählt, daß sie schamlos Komödie mit Ihnen gespielt habe, daß sie Ihnen Äußerungen über die Aufbewahrung Ihrer wichtigsten Papiere im Laboratorium entlockt und, während Sie in ihren Armen ruhten, ihren Spießgesellen davon unterrichtet habe, so daß er Sie mit aller Gemütsruhe berauben konnte? Die Geschichte ist doch nicht in meinem Kopf gewachsen. Sie, Sie selbst haben sie mir haarklein erzählt! Kindisch bin ich ja doch noch nicht geworden ... aber Sie, Sie sind von einer Vertrauensseligkeit, die an Narrheit grenzt!«

»Excellenz, ich kann Ihnen nichts entgegenhalten, Sie haben ja recht. Aber trotz alledem verpfände ich mein Wort dafür, daß ich mich auf sie verlassen kann und daß, wenn sie es ist, die mich ruft, jede Gefahr für mich ausgeschlossen ist.«

»Aber wenn die anderen Sie rufen? Wenn Sie in einen Hinterhalt gelockt werden? Wenn die Strolche, die das schöne Weib umgeben, Ihnen eine Falle gestellt haben? Wollen Sie sich dann in ihren schönen Augen spiegeln wie eine Lerche, und die Kumpane ziehen indes hinter Ihnen die Schlinge zu?«

»Mit dieser Möglichkeit nehme ich's auf.«

»Schneidig! Im Grund gefällt mir diese Verwegenheit!« rief der Minister, mit der flachen Hand auf die Tischplatte schlagend. »Ein prächtiger Junge, sag ich Ihnen, Vallenot! Der Teufel hole mich, aber in seinem Alter wäre ich um kein Haar vorsichtiger gewesen! Lassen wir's also dabei, Sie gehen hin! Unser gutes Recht aber ist's, Vorsichtsmaßregeln zu treffen, daß Sie im Notfall Schutz und Hilfe finden!«

»Ach, Excellenz, ich bitte, sich gar nicht mit mir zu beschäftigen. Jede Einmischung würde alles verderben! Wenn ich zu einem Stelldichein gehe, brauche ich doch keine Schutzmannschaft, wenn es aber ein Hinterhalt ist, so können Sie sich darauf verlassen, daß die Fallensteller umsichtig genug sind, um die geringste von Ihren Vorsichtsmaßregeln zu merken. Sie würden somit die Gefahren für mich nur vermehren und dabei hätte ich von Ihrem Beistand nicht den geringsten Vorteil, Am meisten Aussicht, mit heiler Haut davon zu kommen, habe ich, wenn ich allein oder mit einem vertrauten Diener hingehe, aber Polizei kann ich nicht gebrauchen. Daß ich Waffen trage, ist selbstverständlich, und sehr leichtes Spiel würde man sicher nicht haben mit mir.«

»Sie wissen, wo die Dame wohnt?« fragte der Richter neugierig.

»Nein, wie Sie sehen, ist in dem Brief keine Adresse angegeben.«

Mayeur verständigte den Minister und Vallenot durch einen Blick, daß sie schweigen sollten, und sagte dann in ruhig überlegendem Ton: »Ich kann mich Ihren Gründen nicht ganz verschließen, Herr Baradier. Es war meine Pflicht, Sie zur Vorsicht zu ermahnen, aber ich kann Sie natürlich nicht zwingen, meine Ratschläge zu beachten. Sie sind entschlossen, dieser Einladung zu folgen, thun Sie es also und fürchten Sie nicht, daß ich irgend welche Schritte thun werde, wodurch, wie Sie richtig sagen, die Gefahr nur vergrößert würde. Da man aber immer den praktischen Zweck seiner Handlungen ins Auge fassen sollte, erlaube ich mir die Frage, ob Sie dem Ruf dieser unheimlichen Person folgen, um sich wirklich Aufklärung zu verschaffen, oder weil das Liebesabenteuer Sie reizt.«

»Mein Herr,« versetzte Marcel mit tiefem Ernst, »der General Trémont war mein väterlicher Freund, und noch ist sein Tod nicht gerächt. Man hat unsere Spinnerei in Brand gesteckt, wobei mein Onkel, der Direktor und ich selbst nahezu ums Leben gekommen wären. Einen wackeren Mann, der uns behilflich war, die Schuldigen zu suchen, hat man ermordet; er mußte seine Pflichttreue mit dem Leben büßen. Über all diese Thaten will ich mir mit Gefahr meines Lebens Klarheit verschaffen, und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß, sobald ich Gewißheit habe, die Schuldigen ihrer Strafe nicht entgehen sollen, sei es, daß ich sie den Gerichten ausliefere, sei es, daß ich das Urteil selbst vollziehe. Ich und jene, wir sind Gegner auf Tod und Leben, wer Sieger bleiben wird, muß sich zeigen.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr, und kann Ihr Wagnis nur mit den besten Wünschen begleiten.«

Marcel schüttelte den Herren die Hand und empfahl sich. Im Hinausgehen hörte er den Minister sagen: »Ein Baradier von echtem Schrot und Korn! Da steckt Rasse drin! Aber gewagt ist die Geschichte, mir ist gar nicht wohl dabei,«

Sobald sich die Thüre hinter Marcel geschlossen hatte, kam Leben in den kühlen, gemessenen Untersuchungsrichter.

»Nun, Excellenz!« rief er erregt, »Nun hätten wir sie ja, die von Ihnen ersehnte Gelegenheit, das Räubernest mit einem Schlag auszunehmen! Sie werden doch so wenig als ich im unklaren darüber sein, daß man Herrn Baradier nur in dieses Haus lockt, um in irgend einer Weise Gewalt gegen ihn auszuüben? Wie sagten Sie doch vorhin? ›Die Banditen würden sich zur Wehr setzen und dann könnte man sie niedermetzeln.‹ Ohne gerade so weit zu gehen, rechne ich jetzt auf eine Möglichkeit einer Überraschung, die unser Verfahren wesentlich erleichtern und beschleunigen wird.«

»Aber Sie haben dem jungen Baradier doch versprochen, sich nicht einzumischen?« wandte der Oberst ein.

»Das werde ich auch nicht thun. Ich lasse ihn nach Belieben handeln, man wird ihm nicht folgen, die Leute, die er aufsuchen will, sollen nicht beobachtet werden, damit sie ihre volle Sicherheit und folglich auch ihre ganze Frechheit behalten. Aber mich gar nicht für diesen Vorgang zu interessieren, wäre geradezu albern! Ritterlichkeit Verbrechern gegenüber mag der junge Baradier ausüben, ich nicht! Das Stelldichein ist auf zehn Uhr verabredet, bis dahin rühre ich mich nicht von der Stelle. Dann ist es auch Nacht ... Sie kennen doch das Boulevard Maillot? Die Straße grenzt unmittelbar an den Graben des Boulogner Wäldchens, der ein ausgezeichnetes Versteck für meine Schutzleute bildet, die von der Parkseite herkommen können, ohne daß man sie ihre Posten beziehen sieht. Ich habe einen Polizeiwachtmeister zur Verfügung, der ebenso verständig als kühn ist. Dem erteile ich genaue Vorschrift. Er legt sich mit seinen Leuten auf die Lauer und wartet ab, was sich ereignen wird. Handelt es sich, wie Herr Baradier annimmt, wirklich nur um ein Liebesabenteuer, nun, so haben die Leute eben eine Nacht in frischer Luft zugebracht! Verläuft die Sache aber anders, kommt er wirklich in Gefahr, so haben Sie ja aus seinem eigenen Munde gehört, daß er sich zur Wehr setzen wird. Zweifellos trägt er einen Revolver bei sich, und beim ersten Schutz stürmen meine Leute das Haus und bemächtigen sich der Insassen. Setzt man sich zur Wehr, so wenden sie Gewalt an, und die Sache muß ihren Lauf haben, ob es den Herren Diplomaten paßt oder nicht!«

»Vor allen Dingen, lassen Sie Marcel nichts geschehen,« rief Vallenot. »Und daß Ihre Leute sich die Frau nicht entschlüpfen lassen!«

»Was sagen Excellenz zu meinem Plan?«

Der Minister sah den Untersuchungsrichter, dann seinen Oberst an und versetzte mit seiner offiziellsten Miene: »Sie werden mich doch nicht um Rat fragen? Alle diese juristischen Erwägungen entziehen sich ja meiner Beurteilung, ich habe Ihnen nichts vorzuschreiben. Wir haben uns einfach über den Fall unterhalten, mein lieber Herr Mayeur ... was Sie thun oder unterlassen werden, ist Ihre Sache.«

»Ich verstehe,« sagte der Beamte, mit spöttischem Lächeln nach seinem Hut greifend. »Solang der Handstreich nicht ausgeführt ist, will niemand daran beteiligt sein, ist er gelungen, so werde ich der einzige sein, der nichts damit zu schaffen hatte! Aber darauf kommt es ja nicht an, ich erfülle meine Pflicht und zwar ohne Zögern. Ihr Diener, Excellenz.«


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