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Zehntes Kapitel

Die zwei Monate nach der Ankunft der ersten Gäste, denen viele andre folgten, da die Geladenen serienweise erschienen, machten Edmee den Eindruck eines Traumes. Es war ihr, als habe sie geschlafen, und als wäre inzwischen der ganze Zug dieser neuen Gesichter auf einer für diese Gelegenheit errichteten Bühne vorübergewandelt. War doch das Schloß, in welchem sie erzogen worden, kaum wiederzuerkennen, so sehr hatte es seinen Anblick verändert.

Während sechzig Tagen hatte das Getümmel, der Lärm, die fieberhafte Aufregung kein Ende genommen, und selbst die leblosen Dinge waren davon ergriffen worden. Wie durch Zauberei, fanden sich die Möbel, je nach der Laune der augenblicklichen Bewohner von Croix-Mort, an verschiedene Orte versetzt. So war das Klavier nacheinander in alle vier Ecken des Salons geschleppt worden.

Vom Morgen bis zum Abend war alles auf den Füßen; es wurde geritten und gejagt, man ging spazieren, plauderte, sang und tanzte oft bis zwei Uhr morgens, nachdem man den ganzen Tag über Wald und Flur durchstreift hatte, kurz, man genoß alles, nur Ruhe gönnte man sich nicht. Diese Leute mußten von Eisen sein, um ein derartiges Leben aushalten zu können, und Edmee begriff, daß ihre Mutter in einem Jahre dabei Schönheit, Frische und Gesundheit eingebüßt hatte und aussah, als ob sie davon bis ans Ende ihrer Tage ermüdet sein müsse.

Uebrigens hatte Regine keinen selbstthätigen Anteil mehr an den Belustigungen der fröhlichen Gesellschaft genommen. Sie folgte aus der Ferne im Wagen, wenn die andern ausritten; saß, wenn die andern tanzten, und hörte zu, wenn sie sangen oder plauderten. Denn schließlich waren nicht alle nur glänzende, überflüssige Marionetten. So tauchte in Edmees Gedächtnis aus dem dichten Nebel, in den die Erinnerung an jene Tage ihr gehüllt schien, die Gestalt einer reizenden, brünetten Frau empor, einer vollendeten Künstlerin mit Augen gleich schwarzen Diamanten, die, von dem großen Komponisten Roudaire, dem Schöpfer der » Bohémiens« begleitet, zu singen pflegte. Sie hörte, wie die beiden, von Begeisterung getragen, von einer heiligen Flamme durchglüht, einst das herrliche Duett gesungen hatten:

»Zigeuner wandert kreuz und quer, Wie's im lustigen Blut ihm liegt. Sein feurig Lieben wiegt nicht schwer, Gleicht dem Vogel, der singt und entfliegt,«

Sie vernahm die wundervolle Stimme Roudaires, die mit warmen, leidenschaftlichen Tönen an ihr Ohr drang, während die Triller der Sängerin hell und rein wie Perlen hervorquollen. Sie sah die breite Stirn, den ergrauenden Bart des Musikers und seine Augen, die, wie im Schauen einer Vision, starr an der Decke hafteten.

Da überkamen sie Zweifel. Von den herrlichen Musikklängen entzückt, mußte sie sich die Frage stellen, ob diese Männer und Frauen, welche ihre Kräfte in einem Dasein voll Vergnügungen vergeudeten, nicht eigentlich die wahren Weisen wären, indem sie sich durch ihren Verkehr mit hervorragenden Künstlern köstliche Genüsse verschafften. Ein Augenblick ruhiger Ueberlegung genügte ihr jedoch, um zu begreifen, daß jene bezaubernden Talente nur Wandervögeln gleich sich für wenige Stunden den glänzenden Kreisen beigesellten, um alsbald wieder zur stillen Arbeit zurückzukehren. Ihnen war heitere Zerstreuung, was für die andern Lebenszweck wurde.

Nachdem diese Gäste, die nur auf einen Tag gekommen waren, sich wieder entfernt hatten, und ihr Nimbus, der, solange sie anwesend waren, alle diese Lebemenschen in bewundernde Ruhe gebannt hielt, seine Wirkung verloren, begannen die Reitausflüge in den großen Waldalleen wieder und rote Jagdröcke und blaue Reitkleider belebten deren dunkles Grün. Der Klang des Waldhorns rief zum rally-paper, auf dem Rasen der Kreuzwege wurde der Lunch eingenommen, bei dem der Champagner reichlich floß.

Und frohes, lustiges Lachen erklang allenthalben, das den Frieden der Holztauben in den Baumgipfeln störte. Hin und wieder wurden auch Treibjagden gehalten, bei denen das Gewehrfeuer knatterte, wie bei einem Manöver. Und Billet, in seiner grünen, rot passepoilierten Uniform, eilte mürrisch, zornig, rufend hinter den Treibern her, die ungeschickt wie »eine wahre Viehherde« das Wild durchbrechen ließen, statt es den Gästen des Herrn Barons vor den Schuß zu bringen.

Abends waren zwanzig Personen bei Tisch, die Herren in weißer Krawatte, die Damen dekolletiert. Der große Speisesaal strahlte im Lichterglanze, die Silbergeräte schimmerten, ein Duft von köstlichen Gerichten und feinen Weinen füllte den Raum, und die Diener wandelten schweigend, in ernster Haltung hin und her. Später, um den ermüdenden Tag zu beschließen, kam die Reihe an den Tanz, der die schönen, geschmückten, fröhlichen Tänzerinnen in die Arme ihrer Kavaliere führte, die mit unermüdlichen Beinen walzten und mit verliebten Blicken lächelten. Im kleinen Salon spielten die Ehemänner chinesisches Bézique oder ein andres Spiel und bekämpften sich in aller Ruhe, indes die jungen Leute ihren Frauen Schmeicheleien sagten.

Inmitten dieser Aufregung, dieses Tumultes ging Edmee still einher, war in allem die Stütze ihrer Mutter, benahm sich höchst zurückhaltend, tanzte nicht und wurde von allen zwar höflich, aber mit Gleichgültigkeit behandelt, wie eine Person von untergeordneter Bedeutung. Sie suchte sich dem allgemeinen Taumel zu entziehen, dem ewigen Kommen und Gehen, und ließ den brausenden Strom vorbeiwallen, ohne sich von ihm fortreißen zu lassen. Das Schloß schien ein vornehmes, modernes Hotel geworden zu sein. Jeden dritten oder vierten Tag wechselten die Gesichter, und man konnte hier nacheinander die verschiedensten Accente hören. Eines schönen Novembermorgens schien indes plötzlich die Quelle versiegen zu wollen, es kamen nur noch wenig Gaste, da alle Freunde und Bekannte, alle, mit denen man in irgend welcher Beziehung stand, ihren Besuch nun schon gemacht hatten. Der Glanz und der heitere Lärm der Freudentage war erstorben und Croix-Mort lag still und verödet da, wie ein ausgebrannter Feuerwerkskörper am Tage nach einem Fest.

Die Kälte trat in diesem Jahre frühzeitig ein. Unter den Frösten war bereits alles Laub abgefallen und die Baumwipfel ragten kahl in die Höhe, geschüttelt vom rauhen Nordwinde, der mit schauerlichem Geheul durch ihre dürren Neste fuhr. Die Rasenplätze färbten sich gelb und die Beete verloren ihren Blumenschmuck. Kalte, schneidende Regengüsse stellten sich häufig ein, und in den Kaminen des Schlosses flackerten große Apfelbaumscheite, wie sie für die Feuerung der herrschaftlichen Gemächer üblich waren.

Nach dem überlauten Treiben mußten die plötzliche Stille im Schlosse und der düstere Ernst der Natur einen doppelt schwermütigen Eindruck machen. Ein seltsamer Druck lastete auf Herrn und Frau von Ayères und selbst auf Edmee. Aug' und Ohr gewöhnen sich auf die Dauer an die Bewegung und an das Geräusch, so daß ein jäher Wechsel geradezu verblüffend wirkt. Ein Gefühl der Leere macht sich allenthalben geltend, voll Unruhe sucht man um sich her, es fehlt einem irgend etwas. Die Gewohnheit hatte sich eben, ohne daß man es merkte, eingenistet, und was anfangs unerträglich dünkte, störte am Ende durch seine Abwesenheit. In der weiten Behausung verloren sich die drei Bewohner völlig und sie suchten einander wie die verstreuten Ueberlebenden auf einer wüsten Insel nach einem Schiffbruch.

Frau von Ayères und Edmee fanden jedoch ihr Gleichgewicht rasch wieder. Sie teilten ihre Zeit nützlich ein und fanden in der ungestörten Ruhe lebhafte Befriedigung. Ferdinand aber ging einige Tage umher wie ein Körper ohne Seele. Man hätte ihn mit einem verirrten Hunde vergleichen können, der, die Nase in der Luft, die verlorene Spur seines Herrn wiederzufinden sucht, Sein Herr war das Vergnügen, das sich für lange Zeit entfernt hatte.

Indes schien auch er sich bald in die Einsamkeit zu finden und trachtete sein Leben so einzuteilen, daß jeder Augenblick ausgefüllt wäre. Er äußerte den Wunsch, seine Frau und Edmee an seinen Beschäftigungen teilnehmen zu sehen, und erbat sich dies in solch liebenswürdiger Weise, daß es schwer gewesen wäre, es ihm zu verweigern.

Sein Benehmen gegen Edmee hatte sich merklich verändert. Er erwies ihr die größte Achtung, umgab sie mit feinfühliger Rücksicht und schmeichelhaften Aufmerksamkeiten, als wünsche er sehnlichst, sich bei ihr beliebt zu machen. Wenn das junge Mädchen im Salon weilte, trat er an sie heran, nahm an ihrer Seite Platz, führte ganz allein die Unterhaltung und versäumte keinen Anlaß, ihr eine Artigkeit zu sagen. Alles, was sie that oder sagte, wurde von ihm belobt. Er begegnete ihr mit liebevoller Vertraulichkeit, die etwas Brüderliches und zugleich etwas von einem Liebhaber in sich vereinigte.

Frau von Ayères fand diese Intimität reizend; sie war entzückt über das, was sie die Liebenswürdigkeit ihres Gatten nannte, und schalt Edmee, welche diese Huldigungen mit einer Kälte aufnahm, die nahe an Feindseligkeit grenzte.

»Du bist unvernünftig, mein Kind,« sagte Regine. »Du legst zu wenig Wert auf Ferdinands Bemühungen, sich dein Wohlwollen zu erringen. Deine unfreundliche Haltung ist völlig unberechtigt. Du bist schon alt genug, um zu begreifen, daß man vergessen und sich seiner Vorurteile entschlagen muß. Was hast du gegen Herrn von Ayères? Welchen Vorwurf kannst du ihm jetzt machen? Ist er nicht liebenswürdig?«

Edmee, die sich von ihrer Mutter so hart bedrängt sah, zog die dunklen Augenbrauen zusammen und erwiderte mit strenger Miene: »Er ist es zu sehr, und das mißfällt mir.«

»Du kannst seinen Charakter nicht ändern und darfst nicht fordern, daß ein Mann, dessen Leben die Galanterie ausgefüllt, nun mit einemmal aufhören solle, galant zu sein, um kalt und bedächtig zu werden. Es wäre ihm nicht zu verdenken, wenn er einem kleinen Mädchen, wie du es bist, gar keine Beachtung schenkte; er aber gibt sich alle Mühe, dich zu gewinnen, indes du deinerseits nur darüber nachsinnst, auf welche Weise du ihn zurückstoßen könntest.«

Fräulein von Croix-Mort neigte den Kopf über ihre Arbeit und schwieg. Im Grunde ihrer Seele aber dachte sie, der schöne Ferdinand sei gar zu sehr bestrebt, ihr zu gefallen. In seinem Benehmen lag ein Anflug von Keckheit, die sie in Unruhe versetzte. Um ihrer Mutter jedoch Freude zu machen, wollte sie sich von nun an weniger scheu und unzugänglich zeigen. Sie zog sich des Abends nicht mehr frühzeitig zurück, wie es ihre Gewohnheit gewesen, sondern blieb im Salon und zeichnete mit erstaunlicher Leichtigkeit kleine Skizzen in ihr Album, wie es ihr die augenblickliche Laune ihrer Phantasie eingab.

»Sie besitzen in der That die glücklichsten Anlagen,« bemerkte eines Abends Herr von Ayères, »Sie sollten diesen Winter in Paris bei einem guten Lehrer Unterricht nehmen.«

Edmee errötete ein wenig und erwiderte, ohne den Kopf zu heben: »Dabei ist nur die eine Schwierigkeit, daß ich in Croix-Mort zu bleiben gedenke, wie im letzten Winter.«

Nun erhob sich ein Sturm von Widersprüchen und Ermahnungen. Wie sie daran denken könne, sagte Ferdinand, sich nochmals von den Ihren zu trennen und sich in diese Einöde zu vergraben? Das wäre ja unmöglich. Sie müsse doch die Zukunft ins Auge fassen und dürfe nicht langer in diesem Provinzwinkel vegetieren. Sie würde es sich überlegen und ihren Entschluß aufgeben. Ihr Platz sei an der Seite ihrer Mutter, und was ihn beträfe, so würde es ihm eine Freude sein, sie in die Welt einzuführen, wo sie, reizend wie sie sei, Triumphe feiern würde. Wäre er nicht ihr natürlicher Beschützer?

Bei dem bloßen Gedanken an diese Vertraulichkeit, von der er sprach, fühlte sich Edmee von unüberwindlichem Widerwillen erfaßt. An seiner Seite in einer Wohnung in Paris leben, während ihr das Zusammenleben hier, in den weiten Räumen von Croix-Mort, schon ein zu nahes war – es schien ihr undenkbar.

Er war jetzt unter dem Vorwande, ihr Vernunft zu predigen, ganz nahe an sie herangetreten und hatte ihre Hand ergriffen. Sie wollte sie ihm entziehen, er aber hielt sie fest in der seinen, wahrend er mit halblauter Stimme zu ihr redete und sie seinen Atem an ihrem Ohr fühlte.

Ein plötzliches Unbehagen befiel Edmee. In der Haltung des Barons ihr gegenüber war etwas Verdächtiges, das sie verletzte. Sie wurde sich über ihre Empfindung nicht völlig klar, nur eine unbestimmte Besorgnis drückte sie nieder. Sie erhob sich rasch, um sich loszumachen, sagte ihrer Mutter »Gute Nacht« und zog sich zurück.

Inzwischen hatte Fräulein von Croix-Mort mit ihren Spaziergängen wieder begonnen, um einige Stunden Freiheit zu genießen, und einer ihrer ersten Ausflüge galt dem Pfarrhause, wo sie ihren lieben Abbé besuchte. Der gute Mann hatte sie, die er ein Kind Gottes nannte, mit überströmender Freude willkommen geheißen.

Bei dem weisen, sanften Greise atmete Edmee erleichtert auf, hier konnte sie ohne Hintergedanken weilen, und die dunklen Besorgnisse, die sie so häufig quälten, aus ihrem Geiste verscheuchen. Sie kam nach dem Frühstücke, traf ihren Freund im Begriffe, in seinem Brevier zu lesen, und entriß ihn dieser frommen Beschäftigung. Er setzte sofort seinen breiten Filzhut auf, hob seine Soutane an der Seite ein wenig in die Höhe, um sie vor dem Schmutze der aufgeweichten Straßen zu schützen, und ging mit dem jungen Mädchen ins Freie, plauderte mit ihr, wie ehemals, besuchte die Armen und empfand das Vergnügen wieder, welches ihm durch die fremden Gäste im Herbst so kläglich gestört worden war. Wie hätte man auch den würdigen, schlichten Priester zu den rauschenden Gesellschaften heranziehen können? Wie das Heilige mit dem Profanen verbinden? Der arme, gute Mann, der eine seine Mahlzeit niemals verschmähte, hatte sich diesen unschuldigen Genuß versagen müssen, er hatte aber trotzdem für das Seelenheil aller jener Thoren gebetet und ihnen das Unrecht, welches ihm widerfahren, aus ganzem Herzen verziehen. Jetzt neckte er Edmee wegen ihrer Teilnahme an dem »Hexensabbath«. Das war seine einzige kleine Rache.

»Haben Sie Ihr Seelenheil ernstlich gefährdet, meine liebe Tochter?« fragte er sie.

»Ach, nein, Herr Pfarrer,« antwortete Fräulein von Croix-Mort mit vollster Ruhe. »Alles, was sich im Schlosse zutrug, war wohl leichtfertig, aber keineswegs sträflich.«

»Die Landleute erzählen aber doch, daß die Damen bei den Jagden Herrenkleider trugen ... Ist das möglich?«

»Mit Röcken, Herr Pfarrer, mit etwas kurzen Röcken, der Bequemlichkeit wegen, aber in durchaus schicklicher Weise, ich versichere es Ihnen ...«

»Es ist aber nichtsdestoweniger erwiesen, daß sich hierin ein Mangel an Zurückhaltung, an Sittsamkeit offenbart, der sehr anstößig ist ... Die Frauen dürfen keine Beschäftigung treiben, die den Männern zukommt.«

Edmee lächelte schelmisch, und um ihren alten Freund in Verlegenheit zu bringen, sagte sie: »Und die Jungfrau von Orleans, Herr Pfarrer?«

»O, die Jungfrau von Orleans!« rief der Abbé aus, »die Jungfrau von Orleans! Da galt es das Heil Frankreichs ... Auf Befehl der Heiligen gegen den Feind der Nation Krieg führen, ist das etwa dasselbe, ich frage Sie, wie unschuldige Tiere niedermetzeln?«

»Die aber sehr gut schmecken?«

»Die sehr gut schmecken, ich gebe es zu,« gestand der Pfarrer heiter. »Ach, mein liebes Kind, Sie spotten der Schwachheit meiner sündhaften Natur ... Die Feinschmeckerei ist eine große Sünde ... Eine Todsünde, welche viele Menschen begehen, mit denen, wir wollen es hoffen, der liebe Gott Nachsicht haben wird ...«

So verbrachten der Greis und das junge Mädchen den Nachmittag, plaudernd, disputierend, lachend, während sie von Haus zu Haus gingen, um den Kranken Mut einzuflößen und den Unglücklichen Hilfe zu spenden.

Bei ihrer Heimkehr pflegte sie Billet zu treffen, der mit seiner Spürnase von ihrem Ausgang Wind bekommen hatte und sie am Waldessaum erwartete. Er trat ihr wie zufällig entgegen, und wenn sie ihm sagte, daß sie von einem Spaziergange mit dem Pfarrer zurückkehre, beugte er den Nacken und brummte.

Eines Tages machte er ihr eine förmliche Eifersuchtsscene: »Es fällt Ihnen jetzt gar nicht mehr ein, mit mir die Runde im Walde zu machen. Alle Ihre freundschaftlichen Gefühle bewahren Sie für den ›kleinen Schwarzen‹, der Sie, als Sie noch ein Kind waren, nicht so gehütet und gehätschelt hat, wie ich ...«

»Ach, wie einfältig bist du doch, Billet!« sagte Edmee, indem sie dem alten Diener freundschaftlich auf die gebräunte Wange klopfte. »Du weißt ja, daß ich mit dem Abbé die Armen besuche, und daß unsre gemeinschaftlichen Liebeswerke die Bande sind, welche uns aneinander knüpfen. Ich bin ihm sehr zugethan, das ist wahr, denn er hat mich unterrichtet und war sehr gut gegen mich, als ich noch ein Kind war; aber ich habe ihn nicht lieber als dich, du alter Griesgram!«

»Nun, dann ist's gut!« erwiderte der menschenscheue Alte mit feuchten Augen. »Ach, sehen Sie, Ihr alter Billet würde sich für Sie mit Freuden die Knochen zerschlagen lassen ... Und wenn es jemals irgend einem einfallen sollte, Ihnen etwas anzuhaben, so soll er mich kennen lernen.«

Eine seltsame Herzensbeklemmung beschlich plötzlich Edmee. Sie heftete einen unruhigen Blick auf den alten Hüter und fragte sich, ob er wohl in ihren Gedanken gelesen habe, da er so unmittelbar auf ihre heimlichen Besorgnisse geantwortet.

»Was willst du damit sagen?« fragte Edmee. »Solltest du etwa von jemand wissen, daß er mir ein Leid zufügen will?«

»Lassen Sie es gut sein! Ich bin da, und ich brauche keine Brille, um zu sehen!« erwiderte Billet, ohne sich näher zu erklären.

Er sah sie mit liebevollem Blicke an, wie ein treuer Hund, schob die Flinte über die Schulter und entfernte sich in der Richtung nach seinem Hause.

Diese Ausflüge erregten jedoch das Mißfallen des Herrn von Ayères in hohem Grade. Er sprach sich darüber gegen Regine aus, die hierauf ihrer Tochter den leisen Vorwurf machte, daß sie sich allzu häufig von ihnen trenne, und daß es den Anschein habe, als treibe sie sich nur deshalb im Freien umher, weil sie ihrer Gesellschaft entschlüpfen wolle.

»Ich besuche meinen alten Freund im Pfarrhause, Ist das etwas Schlimmes?«

»Gewiß nicht. Doch wenn du ihn sehen willst, so werden wir ihn am Sonntag wieder, wie früher, zu Tisch laden; ich glaube, daß er für eine solche Aufmerksamkeit empfänglich ist.«

»O, gewiß,« versicherte Edmee, glücklich bei dem Gedanken an die unschuldigen Freuden, welche der seine Tisch im Schlosse dem guten Manne gewähren würde, »Doch meine Spaziergänge mit ihm sind mir ebenso angenehm als nützlich ... Ich bin seit langem wenig gegangen und die Bewegung thut mir gut.«

Diese Bemerkung veranlaßte Ferdinand, Reitübungen in Vorschlag zu bringen, da man ihm erzählt hatte, daß das junge Mädchen einst ohne Sattel die Füllen auf dem Meierhofe geritten habe. Er erklärte, daß es ihm besondres Vergnügen machen würde, die Damen zu begleiten, denn Regine müsse unstreitig mit von der Partie sein. Es wäre jetzt nicht mehr die Rede von tollen Ritten gleich jenen, die einige Wochen zuvor auf den Waldwegen hingestürmt; es gelte bloß eine mäßige, zuträgliche Bewegung.

Frau von Ayères wagte nicht, dieses Anerbieten zurückzuweisen; vielleicht befriedigte es sie auch, an der Seite ihres Gatten jene Waldstrecken wiederzusehen, die beide einst in zärtlichem Beisammensein durchstreift hatten. Sie war noch nicht dahin gelangt, in der plötzlich erwachten Vorliebe Ferdinands für Edmee etwas Beunruhigendes zu erblicken. Es fiel ihr gar nicht ein, zu denken, Ferdinand könne mit der Tochter dasselbe Spiel anfangen, wie einst mit der Mutter. Kein Verdacht stieg in ihr auf, keine Ahnung warnte sie. – Auch dachte sie so wenig an das Böse, daß selbst, wenn man ihre Aufmerksamkeit auf die seltsamen Schliche des Barons gelenkt hatte, man viel eher ihre Entrüstung hervorgerufen, als sie zur Einsicht gebracht hätte.

Was Ferdinand betraf, so war auch er sich keineswegs klar über die Bahn, die er betreten hatte. Er ließ sich, ohne zu überlegen, von einer instinktmäßig empfundenen Anziehungskraft hinreißen. Gedrängt von der eingewurzelten Gewohnheit, sich mit jeder hübschen Frau, die in seinen Bereich gelangte, zu beschäftigen, machte er Edmee den Hof ohne jeden Hintergedanken, einfach, weil sie jung und reizend war, hauptsächlich aber, weil sie ihr möglichstes that, um ihn zurückzustoßen. Es war keine Spur von Berechnung in dem koketten Treiben, in dem er sich gefiel; das mag ihm zur Entschuldigung angerechnet werden. Er folgte dem Hange seiner Natur, und wenn jemand plötzlich ihm gesagt hatte: »Wollen Sie etwa versuchen, das Herz dieses Kindes in Unruhe zu versetzen?« würde er voll Entsetzen Widerspruch gegen eine derartige Verdächtigung erhoben haben.

Ein reines junges Mädchen ist wie von einem geweihten Schleier umhüllt, der sie vor cynischen Gedanken und kühnen Angriffen schützt. Ferdinand hatte die Eroberung Regines kalt beschlossen, sie war eine Zerstreuung für den unbeschäftigten Roué gewesen und eine Spekulation für den ruinierten Lebemann, Edmee gegenüber war er jedoch frei von jedem bösen Vorbedacht.

Er gab sich einem zärtlichen Gefühle hin, das zu zergliedern ihm gar nicht einfiel, und hielt für Freundschaft, was schon Liebe war. In allen Künsten der Verführung geübt, ging er trotzdem bei diesem Anlasse voll Naivität zu Werke. Ohne es gewahr zu werden, verbrannte er sich allmählich selbst an der Flamme, die er stets so geschickt in andern zu entfachen verstand. Diesmal hatte sich das Feuer in seinem eignen Innern entzündet und glühte heimlich fort bis zu dem Tage, wo es durch einen Zufall in schrecklichen, verzehrenden Flammen emporlodern sollte.


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