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9. Kapitel

Das Stift St. Blasien im Schwarzwald

Der Fürstabt – Gelehrte Männer im Stift – Gebäude und Kirche des Stiftes – Der Klostergarten – Archiv und Bibliothek – Klostereinrichtungen und Regierung im Kloster – Von St. Blasien nach Schaffhausen

Soviel Merkwürdigkeiten das Stift auch enthält, und obgleich schon allein die Kirche, die schönste in Deutschland, einen viel weiteren Umweg verdiente, als ich machte, so war doch in St. Blasien für mich die größte Merkwürdigkeit der gelehrte Fürstabt Martin Gerbert.

Er wurde zu Horb am Neckar im Jahre 1720 aus dem adligen Geschlecht Gerbert von Hornau geboren. Von frühester Jugend an war er in St. Blasien, wo er im Jahre 1737 die Klostergelübde ablegte, 1744 Priester und darauf Professor wurde. Als Professor schrieb er verschiedene theologische Kompendien und wurde darauf Bibliothekar. In den Jahren 1760 bis 1762 machte er seine Reisen durch Deutschland, Italien und Frankreich, wovon er eine kurze Beschreibung herausgab. Im Jahre 1764 wurde er, nach dem Tode des Abts Meinrad, von seiner gesamten Kongregation zum Abt von St. Blasien gewählt. Er war ein Mann von weitläufiger historischer Gelehrsamkeit. Er endigte die von den Kapitularen zu St. Blasien angefangene Beschreibung der Gräber und Grabmale der Fürsten des Hauses Österreich. Bei dieser Gelegenheit untersuchte er auch die Gruften im Münster zu Basel und im ehemaligen Kloster Königsfeld in der Schweiz, wo verschiedene Personen aus dem österreichischen Hause begraben liegen, und brachte es dahin, daß sie nach St. Blasien überführt wurden, wo ihnen in der prächtigen neuen Kirche ein besonderes Grabgewölbe gebaut worden ist. Er beschrieb diese baselschen und königsfeldschen Leichen und Gebeine und was bei deren Überführung vorging in einem besonderen Buch, welches, wie alle seine Bücher, von viel historischer Gelehrsamkeit erfüllt ist.

Indes würden ihm seine bis dahin herausgegebenen Werke doch nicht den ehrenvollen Platz unter den deutschen Gelehrten erworben haben, wenn er nicht die in ihrer Art einzigen Arbeiten zur Erläuterung der Musik des Mittelalters unternommen hätte: Werke, die mit unglaublichem Eifer zusammengetragen sind und einen bis dahin dunklen Teil der Musikgeschichte erläutern. Diese historischen Werke hatten mich auf einen Mann von so seltener Gelehrsamkeit aufmerksam gemacht, so daß ich wünschte, ihn persönlich kennenzulernen. Die Schriftsteller über die Musik im Mittelalter, welche er hernach herausgab, sind ein noch größerer Gewinn für das richtige Verständnis der alten Musik. Und sie sind um soviel schätzbarer, da der sogenannte Codex Villingianus, worin der größte Teil dieser alten Abhandlungen über die Musik verzeichnet war, und welche diesem gelehrten Fürstabt die erste Veranlassung zur Untersuchung der Musik des Mittelalters gab, in dem großen Brand ein Raub der Flammen geworden war.

So nützlich dieser edle Mann als Gelehrter tätig war, so sehr war er es auch als Abt seines Stifts und als Regent und Landesherr. Man ist erstaunt, daß er bei so weitläufigen gelehrten Arbeiten, welche allein einen ganzen Mann zu erfordern scheinen, dennoch auch diese großen Pflichten mit soviel Fleiß und zugleich mit so großem Verstande und Wohlwollen erfüllte. Er ist um so ruhmwürdiger, da ihm gleich in den ersten Jahren seiner Regierung durch den unglücklichen Brand und zugleich durch die allgemeine Hungersnot diese edlen Pflichten sehr bitter gemacht wurden.

Sobald er die Regierung angetreten hatte, war seine erste Sorge der so dringend nötige Bau gebahnter Chausseen durch sein Gebiet. Er führte dieses Werk, das seine Vorfahren so lange verschoben hatten, wie schon oben erwähnt, in Jahresfrist aus. Darauf gab ihm die unvermutete Feuersbrunst, welche Stift und Kirche zerstörte, Gelegenheit, seinen Eifer bei deren Wiederaufbau zu zeigen, und besonders die Kirche ist ein Beispiel seines richtigen Sinnes für das Edle in der Baukunst. Durch diesen Bau hatte er auch Gelegenheit, in den schrecklichen Hungersjahren 1771 und 1772 den Armen Beschäftigung zu verschaffen. Er sagte mir selbst, er hätte geglaubt, kein besseres Almosen geben zu können als genug Arbeit. Nachdem der Bau des Stifts und der Kirche abgeschlossen war, errichtete er 1784 ein Landeshospital und ein damit verbundenes Arbeitshaus sowohl in Bondorf als im Stifte St. Blasien. Auch den Schulen in seinem Gebiete widmete er seine Aufmerksamkeit und erließ die Anordnung, daß sie im Frühjahr und im Herbst durch eine Deputation gelehrter Kapitularen aus dem Stifte visitiert werden. Noch manche andere nützliche Einrichtungen sind ihm zu danken, und er ward allgemein geliebt und verehrt.


Sobald wir angekommen waren, ließen wir uns beim Fürstabt melden, wurden gleich vorgelassen und von ihm mit ausnehmender Güte empfangen. Die Allgemeine Deutsche Bibliothek war in der Büchersammlung des Stifts, und so war ihm auch mein Name bekannt.

Dieser edle Mann hatte etwas auszeichnend Wahres und Herzliches, etwas Bescheidenes und doch Würdiges, etwas Heiteres und Zuvorkommendes und doch dabei sehr Anständiges in seinem Gesicht und in seinem ganzen Wesen. Wenn man eine halbe Stunde bei ihm gewesen war, glaubte man, ihn zeitlebens gekannt zu haben. Er empfing uns nicht wie ein Reichsfürst, nicht wie der Abt eines Stifts, sondern wie ein freundlicher und unbefangener Gelehrter, der sich Fremden gern mitteilt.

Er war so äußerst gefällig, daß er uns den größten Teil des Vormittags selbst herumführte. Es war am 25. Juli, dem Tage unserer Anwesenheit, gerade der Festtag des Apostels Jakobus. Ich hatte gar nicht daran gedacht, sonst würde ich versucht haben, es einzurichten, daß die Zeit meiner Anwesenheit auf einen für die geistlichen Bewohner des Stifts weniger unbequemen Tag gefallen wäre. Aber der gütige Fürstabt ließ sich dadurch nicht irren. Sobald er hörte, daß unser Aufenthalt nur ganz kurz sein könne, schlug er gleich vor, in die Kirche zu gehen, um sie zu besichtigen. Da ich, während des Hingehens, im Gespräche von ungefähr merken ließ, daß ich ein Liebhaber der Musik und besonders der Kirchenmusik sei, so hieß er uns eilen, weil eben die Musik für das Hochamt begonnen habe. Er wies uns selbst in eine Kapelle neben dem Orgelchor, worin, bis zur Vollendung des Baues der Kirche, die Messe gelesen ward. Wir hörten also den größten Teil einer Messe von Domenico Scarlatti, wozu auch die schöne Orgel, die letzte von Silbermann in Straßburg, welche er in seinem siebzigsten Jahre anfertigte, ertönte. Ich mußte dabei an den schönen silbernen Ton der Orgel in der Frauenkirche zu Dresden denken. Die Musik der Messe machte mir viel Vergnügen. Ich hatte seit kurzem in manchen katholischen Kirchen Musik zu Messen gehört, die aus Flicken italienischer komischer Opern zusammengesetzt worden waren. Obgleich weder die Spieler noch die Sänger eben vorzüglich waren, so tat doch der ernste und so feierliche wie simple Gesang dieser alten Musik eine dem feierlichen Zwecke angemessene Wirkung.

Der Fürstabt war so gütig, während der musikalischen Messe in einer Nebenkapelle zu verweilen, da er, bei schon begonnenem Gottesdienst, nicht selbst mit uns hineingehen konnte. Darauf zeigte er uns die Kirche in allen ihren Teilen. Er stieg mit uns auf die Gerüste, wovon jene noch größtenteils erfüllt war, bis auf das kunstvolle Hängewerk, wodurch die Kuppel getragen wird. Während dieses Herumgehens unterbrach er die Anmerkungen über den Bau und die Beschaffenheit der Kirche sehr oft durch verschiedene gelehrte Gespräche und Fragen.

Bei der Mittagstafel, wo einige gelehrte Kapitularen mit einigen weltlichen Beamten des Stifts zugegen waren, führte der Fürstabt interessante gelehrte Gespräche, erzählte mancherlei von seinen Reisen nach Paris, Rom, Neapel und Wien. Seine Tafel war nicht fürstlich prächtig, aber es war alles wohlzubereitet und anständig angerichtet. Bei manchem Gericht sagte er mit Wohlgefallen, daß es aus seinem Lande sei, und setzte hinzu, er habe nicht gern etwas auf seiner Tafel, was nicht im Lande erzeugt worden sei.


Nach dem Beispiel dieses edlen Abts hat sich auch sein Konvent gebildet. Alle sind gelehrte Leute, und an allen, die wir sahen, bemerkten wir das heitere, unbefangene, gefällige, herzliche Wesen ihres Oberhaupts. Unter ihnen bin ich den meisten Dank schuldig dem P. Moritz Ribbele, damals Archivar des Stifts, der jetzt des Fürstabts würdiger Nachfolger ist. Er war so gütig, uns, nebst mehreren Merkwürdigkeiten, das Archiv und dessen vortreffliche Einrichtung zu zeigen, eine Gefälligkeit, die durch seine gelehrten Anmerkungen zugleich lehrreich war. Er selbst hat außer sehr gründlicher historischer und diplomatischer Gelehrsamkeit, wie man sie bei einem Manne schon vermuten kann, dem ein selbst so gelehrter Abt das Archiv eines solchen Stifts anvertraute, noch verschiedene andere gelehrte Kenntnisse. Er besaß damals eine beträchtliche Sammlung alter Kupferstiche und beabsichtigte, aus dem Archiv viele Urkunden zur württembergischen Geschichte mit Erläuterungen herauszugeben.

Außerdem lernte ich noch den P. Oberrechner Franz Kreutter kennen, einen guten Mathematiker und Historiker und einen sehr geschickten und tätigen Mann; den P. Hofkaplan Roman Kuen, den P. Johann Baptista Weiß, welche beide uns die Bibliothek sowie das Naturalien- und Münzkabinett zeigten. Ich bedauerte, daß der gelehrte Bibliothekar, der P. Aemilian Ussermann, nicht anwesend war, desgleichen Herr von Lempenbach, der Kanzler des Stifts, dem man viele gute Einrichtungen zu danken haben soll.


Die Gebäude des Stifts sind hoch, weitläufig und modern. Sie sind etwa in 13 bis 14 Jahren erbaut worden und verblüffen, wenn man sie in der Einöde eines engen Tals erblickt. Man könnte sich vorstellen, sie seien von der Hand einer Fee hierher versetzt. Wenn ein Reisender sich von ungefähr in dieser wilden Berggegend verirrte und, dem gebahnten Wege nachgehend, sie plötzlich erblickte, ohne zu ahnen, was es wäre, würde er nicht wissen, ob er seinen Augen trauen sollte. Ich will von dem Eindruck, welchen das Ganze und die einzelnen Teile auf mich machten, freimütig und unparteiisch Rechenschaft geben.

Die Kirche in der Mitte der Hauptfassade zieht zuerst die Aufmerksamkeit auf sich. Der P. Oberrechner Franz Kreutter hat die Ausführung des ganzen Baues dirigiert und dazu verschiedene sinnreiche Maschinen und Vorrichtungen angebracht. Dahin gehört z.B., daß aus einem hohen Sandberg, der etwa 3000 Fuß vom Stifte entlegen ist, ein tiefer Kanal gegraben, mit Brettern ausgeschält und hernach die Alb hineingeleitet worden war, um den zum Bauen nötigen Sand in die Nähe herunter zu schwemmen.

Das Äußere der Kirche ist ganz in dorischer Ordnung, also sehr ernst. Ein ionisches oder korinthisches Gebäude könnte gefälliger und prächtiger gewesen sein, aber zu der wilden Gegend, zu der stillen Einsamkeit ist der Ernst der dorischen Ordnung angemessener.

Die Halle vor der Kirche fällt gut in die Augen und wird von vier frei stehenden dorischen Säulen getragen. Über dem Gebälk der dorischen Säulen findet man eine Balustrade und in der Mitte derselben eine Erhöhung, worin sich die Uhr befindet. Darüber erhebt sich die Kuppel, die sehr hoch ist.

Ich möchte den Baumeister allenfalls entschuldigen, daß er für die Kirche von St. Blasien eine kreisförmige Kuppel wählte. Dies ist dem mehr ernsthaften als angenehmen Stil des ganzen Gebäudes einigermaßen angemessen. Der Eindruck, den die Ansicht dieser Kirche im ganzen auf mich machte, ist noch sehr lebendig und deutlich. Damals schien mir die Kuppel nicht zu niedrig oder zu gedrückt. Das Ganze machte in der gehörigen Entfernung einen sehr vorteilhaften Eindruck.

Die beiden kleinen Nebentüren der Kirche könnte man eher für Kellertüren halten. Der Eingang durch sie ist kein würdiger Eintritt in ein so prächtiges und edles Gebäude. Es fällt sofort auf, wie leicht es gewesen wäre, die Säulenstellung so einzurichten, daß der Zwischenraum zwischen zwei Säulen gerade auf eine Tür träfe, welches doch gewiß simpler und edler wäre.


Der Garten ist nicht sehr groß und liegt seitlich neben der Klausur, auf dem rechten Flügel des Gebäudes. Es gibt dort eine Grotte, und weil die Bäume im Garten wenig Schatten gewähren können, weil das rauhe Klima die Vegetation hindert, geht um denselben ein bequemer bedeckter Gang. Ich wunderte mich, in diesem Garten soviel Nadelbäume zu sehen. Es ward mir aber ganz natürlich erklärt: Frühling und Sommer dauern dort nicht viel länger als vier Monate, und man mag doch immer gern etwas Grünes sehen.

Der Fürstabt zeigte mir ein Zimmer (soviel ich mich erinnere, war es innerhalb der Klausur), worin er sich aufzuhalten pflegte, um die Meditationen oder die achttägigen geistlichen Exerzitien abzuwarten. Dort war eine Uhr so angebracht, daß die Zahlen, welche die Stunde anzeigen, nicht, wie sonst gewöhnlich, im Kreis angeordnet sind, sondern an der Wand, etwa einen Fuß hoch von der Decke, in der Entfernung von ungefähr acht Zoll, nebeneinander in einer geraden Linie stehen. Auf dieser Linie bewegte sich ein etwa zehn Zoll hohes Gerippe, den Tod darstellend, langsam fort und zeigte mit der Sense auf die abgelaufene Stunde.

Ich will hier nur ein paar Worte über das Bild des Todes sagen, den man unter uns noch immer als ein Skelett abbildet. Die Ägypter bildeten den Tod als ein Gerippe ab und ließen ein solches daher auch bei den Mahlzeiten den Gästen vorzeigen. Sie wollten sagen: »Mit diesem Leben ist alles aus, genieß die Freuden dieses Gastmahls, da du noch lebst; denn wenn du ein Totengerippe sein wirst, kannst du nicht mehr genießen!« In einem Volk, in dem diese Meinung gilt, ist ein Skelett ein schickliches Bild des Todes; denn es fehlen demselben alle organischen Kräfte und aller sinnlicher Genuß. Die meisten Griechen stellten sich daher den Tod als Bruder des Schlafes vor, als einen schönen Genius mit übereinandergeschlagenen Beinen und umgestürzter Fackel. Sie wollten dadurch allerdings, der zarten Empfindung gemäß, welche in diesem schönen Land herrschte, das Schreckliche des Todes mildern.

Damals trat kein gräßliches Gerippe
Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuß
Nahm das letzte Leben von der Lippe.
Still und traurig senkt' ein Genius
Seine Fackel. Schöne, lichte Bilder
Scherzten auch um die Notwendigkeit,
Und das ernste Schicksal blickte milder
Durch den Schleier sanfter Menschlichkeit.

Aber es lag auch in diesem Bild die Idee, wo nicht von Unsterblichkeit, doch von Wiederauferstehung. Die Fackel kann wieder angezündet werden, die verschränkten Beine werden gelöst und tragen wieder den Körper. Die Allegorie ist treffend und mildert das Schreckliche an der Vorstellung des Todes.

Es ist daher ganz widersinnig, daß die Christen, welche Unsterblichkeit zur ersten Bedingung ihrer Religion machen, den Tod im Bilde eines Gerippes darstellen. Der Tod ist uns ja ein Übergang in ein besseres Leben, wohin kein Skelett kommt; er soll ja auch nicht schrecklich sein. Warum nun den Tod in einem schrecklichen Bild darstellen? Und vollends gibt man dem Gerippe eine Sense! Dies heißt zwei Bilder verbinden, die nicht zusammen bestehen können. Ein Gerippe kann nicht mähen, sondern ist ein Bild der Hinfälligkeit. Insofern man sich das Hinfällige des menschlichen Lebens als eine Blume vorstellt, über die in der schönsten Blüte die Sense hinfährt, oder das Ende dieses Lebens als ein Ährenfeld, das gemäht wird, wenn es reif ist, muß man sich freilich einen Schnitter hinzudenken; aber nicht ein Gerippe, sondern einen starken rüstigen Mann. Die Allegorie der Alten, welche sich die Parzen bildeten, die den Faden des Lebens spannen und abschnitten, war richtig und konsequent gedacht; aber nicht so ein Gerippe, das mähen soll. Will man den Tod im Bild eines Skeletts oder Knochenkopfs vorstellen, so sollte allezeit ein Schmetterling darüber schweben, als frohes Sinnbild des Aufschwingens zu einem Leben in anderer und besserer Gestalt. –

Der jetzige Herr Fürstabt, damaliger Archivar, war so gütig, mich ins Archiv zu führen und mir Laien mit großer Nachsicht mehrere Merkwürdigkeiten desselben zu zeigen. Das Archiv, wovon durch den unglücklichen Brand nichts verlorengegangen ist, steht in zwei gewölbten Zimmern im Erdgeschoß. Man hat die größte Sorgfalt für seine Sicherheit aufgewandt, nicht nur für die Verwahrung überhaupt, sondern auch auf die Rettung im Falle einer abermaligen Feuersbrunst. Die Einrichtung ist musterhaft und verdient nachgeahmt zu werden. Alle Diplome liegen in verschlossenen, mit Eisen beschlagenen Kisten, etwa vier Fuß lang und zwei breit. Vier oder fünf Kisten stehen übereinander, und zwischen jeder liegt ein Stück Holz, damit die Luft durchstreiche. Besonders aber ist es eine sehr gute Vorsicht, daß in jedem Zimmer des Archivs die eisernen Gitter vor einem Fenster so eingerichtet sind, daß, wenn inwendig ein paar Federn gedrückt werden, die ganzen Gitter herausfallen, so daß man alsdann aus den geöffneten Fenstern die Kisten gleich in den Hof hinauswerfen und wegschaffen kann, ohne daß sie durch die Gebäude getragen werden müssen. Die Anzahl der Kisten beträgt ungefähr 400, zu allen Schlössern paßt ein einziger Schlüssel. Sie werden von der Seite geöffnet und enthalten vier Schubladen, worin die Urkunden ausgebreitet liegen; oben befindet sich in jeder ein Verzeichnis dessen, was darin verwahrt wird. Daß dieses Archiv an merkwürdigen Urkunden reich ist, kann man sich leicht vorstellen. Das älteste Diplom ist der Bestätigungsbrief des Klosters von Kaiser Otto II .

Die Bibliothek befindet sich in einem großen Saal, an den verschiedene kleinere Räume anstoßen. Es sind in der Feuersbrunst sehr viel Manuskripte und Bücher verlorengegangen, obwohl der damalige Bibliothekar unter Einsatz seines Lebens sehr viele Bücher und beinahe die ganze Münzsammlung rettete. Von der neuen deutschen Literatur war freilich wenig oder nichts vorhanden; doch besaß man Gellerts Schriften. Die Kupferstichsammlung, sowohl von alten historischen Blättern als auch von Bildnissen, war nicht unbeträchtlich.

Die Münzsammlung wird für sehr bedeutend gehalten; weil ich aber von Münzen gar keine Kenntnisse habe, so sah ich sie nur im Vorbeigehen an. –

Wäre meine Zeit nicht gar so sehr beschränkt gewesen, so würde ich mich gern in St. Blasien mehrere Tage, ja mehrere Wochen aufgehalten haben, wozu die hiesige uneingeschränkte Gastfreiheit und die Leutseligkeit des Fürstabtes Gelegenheit gegeben hätte. Eine Klostereinrichtung ist für einen Protestanten etwas ganz Neues, und so ist ihm alles daran bemerkenswert. Außerdem ist es jedem, welcher gern Menschen in allen Lagen kennenlernen mag, sehr wichtig, auch das Klosterleben näher zu sehen. Überdies ist an diesem Stifte ganz vieles außerordentlich. Die Lage des Stifts selbst ist so, daß man wohl sehr wenige ansehnliche Gebäude in einer solchen wüsten Einöde antrifft und am wenigsten ein Benediktinerstift.

Hier haben sich die Schüler des heiligen Benedikts in einem Tal, und zwar in einem wilden, unwirtlichen Tal, angesiedelt. Und in diesem wilden Tal wohnt nicht nur etwa bloß eine Gesellschaft religiöser Männer, welche sich der Beschaulichkeit und den asketischen Übungen ergeben haben. Es gibt an diesem einsamen, von anderen menschlichen Wohnungen ganz abgelegenen Fleck auch einen Fürstenhof. Er ist nicht nur der erste geistliche Vasall einer beträchtlichen Provinz der großen österreichischen Monarchie, sondern auch der Landesherr einer nicht unbeträchtlichen Reichsgrafschaft.

Wenn ein Reisebeschreiber von einem Ländchen in Asien oder Afrika erzählte, daß der regierende Landesherr nie in dem Lande selbst wohne, welches er regiert, sondern in einem benachbarten Lande, wo er nicht Regent, sondern abhängig ist; ferner, daß die Residenz des außer Landes wohnenden Landesherrn in so unwegsamen Gebirgen liege, daß er selbst erst einen Weg dahin habe bahnen müssen, weil man sonst nicht zu ihm kommen könnte; daß er aber nicht eher zum Landesherrn gewählt werden könne, bis er sehr lange vorher das Gelübde getan, immer in dieser Einöde zu leben; daß er selbst sich nie verheiraten dürfe, dennoch aber für die Bevölkerung seines Landes ernstlich sorge; daß er in dieser Einöde, als ein Armer, in einer Stiftung ernährt werde, aber doch die Pflicht habe, zu sorgen, daß seine Untertanen gute Nahrung hätten; daß er sein Land zwar unumschränkt regiere, aber dennoch gebunden sei, seinen Oberen blinden Gehorsam zu leisten: – würde man das alles nicht sehr fremd und romantisch, ja beinahe unwahrscheinlich finden? Und doch existiert mitten in Deutschland eine solche Regierung und ein solcher Regent.

Das Mönchswesen verdient auch, näher gekannt zu werden. Ich bin kein Freund davon und auch nicht von der katholischen Hierarchie; das habe ich bei mehreren Gelegenheiten allzu deutlich geäußert, um es hier zu leugnen. Doch verlangt meine Gesinnung auch, dasjenige, was in der Welt einmal besteht, als bestehend anzunehmen und es sodann unparteiisch von allen Seiten zu betrachten. Dies habe ich auch beim Mönchstum nie unterlassen. Nicht nur fand ich unter Mönchen viele gelehrte, wackere, rechtschaffene, freundschaftliche Leute, wozu ich meine Bekanntschaften in St. Blasien vorzüglich rechne, sondern ich sehe auch sehr wohl ein, daß das Mönchsleben für jemand, der die Ruhe und besonders das Studieren liebt, viel Anziehendes haben kann. Ein Abt, der ein so großer Gelehrter, ein wahrer Menschenfreund und ein angenehmer Gesellschafter war, gelehrte Kapitularen, eine schöne Bibliothek, ein herrliches Gebäude ohne Prunk, voll bequemer Wohnungen, ein feiner und herzlicher Umgang, eine romantische Gegend, Ruhe und Muße: Es scheint hier alles vereinigt zu sein, was ein Gelehrter nur verlangen kann.

Das Stift St. Blasien ist noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten, nämlich als eine Pflanzschule aller Geistlichen im Lande. So, wie der Landesherr nämlich selbst nur aus diesem Stifte gewählt wird, so werden auch alle Pfarreien, sowohl in dem eigentlichen zu St. Blasien gehörigen Gebiete als auch in der Grafschaft Bondorf, mit Mitgliedern dieses Stifts besetzt. Der Fürstenabt macht es sich also zu einer wichtigen Aufgabe, junge Geistliche zu dieser Bestimmung auch zweckmäßig erziehen zu lassen.


Der gütige Fürstabt setzte alles daran, um uns zu einem längeren Aufenthalte in seinem Stifte zu bewegen, welches unseren eigenen Wünschen so sehr entsprochen hätte, da wir selbst Mühe hatten, uns von diesem interessanten Orte und von so vortrefflichen Leuten zu trennen. Da wir ihm aber den ganzen Plan unserer weiten Reise auseinandersetzten und welche kurze Zeit uns dazu noch vergönnt war, da mir meine Geschäfte notwendig machten, schon am dritten Oktober wegen der Messe in der Nähe von Leipzig zu sein, so drang er nicht weiter in uns und willigte ein, daß wir noch denselben Abend abfahren sollten. Dankbar und gerührt nahmen wir Abschied von diesem verehrungswürdigen Fürsten und von den würdigen Männern in seinem Stifte; es war uns immer, als könnten wir uns von ihnen nicht trennen. Er entließ uns mit so gütigen Äußerungen, als hätten wir ihm durch unseren Besuch einen Dienst getan, da doch der Vorteil, St. Blasien und die würdigen Männer, die es einschließt, kennengelernt zu haben, ganz auf unserer Seite war.

Wir verließen St. Blasien abends um sieben Uhr, und der Fürst hatte die Gewogenheit, uns mit seinen Pferden bis nach der drei Meilen entlegenen Poststation Oberlauchringen fahren zu lassen. Der Weg ging einige Zeit lang auf der von ihm gebahnten Straße; daraufhin fuhren wir durch den Fluß Alb, in eine höchst romantische Gegend. In dem eine halbe Meile entlegenen Dorfe Höchenschwand sahen wir gesunde, fröhliche, Bauern welche, weil es Feiertag war, in ihren roten festlichen Jacken vor den Häusern standen und durch ihr Ansehen und Betragen zeigten, daß unter dem Krummstabe des Fürsten Martin gut wohnen sei. Wir sahen bei diesem Dorfe fruchtbare Felder voll Getreide, welches aber noch nicht reif war, da in diesem rauhen Klima alles viel später wächst und reift. Etwas weiter geht der Weg von einem ziemlich hohen Berge herab in ein steiniges Tal, wo das Getreide noch schlechter stand. Das Land schien zum Teil nicht bloß brachzuliegen, sondern gar nicht kultiviert zu sein. Wir kamen bald darauf in einen angenehmen Tannenwald, dessen grüne Finsternis, da der Mond eben aufging, wir zum Anlaß nahmen, über den heutigen so angenehm vollbrachten Tag und einen gelehrten Fürsten, einen Tempel von edler griechischer Baukunst nachzudenken und uns über diese interessanten Gegenstände zu unterhalten, die wir in einem einsamen, von der übrigen Welt abgesonderten Tale des Schwarzwaldes gefunden hatten.

Bald aber bekamen wir unmittelbare Gelegenheit zu ganz anderen Empfindungen. Der kleine Wald war zu Ende. Wir kamen wieder über freies Feld, und nun mußten die Pferde an einem rechts sich erhebenden, ziemlich dicht mit Tannen bewachsenen Berge hinaufklettern. Wir erreichten mit Mühe dessen Rücken und mußten hernach einen steinigen Weg schnell bergab fahren. Der Wald ward immer dichter, der Weg immer enger, rechts erhob sich der Felsen senkrecht, links war ein jäher Abgrund voll hoher Tannen, jenseits wieder hohe Berge. Der Schein des Mondes, der tief hinter den Bergen stand, gab zwischen den dichten dunklen Bäumen und hoch aufgetürmten Felsen gerade nur so viel mattes Licht, um das Grausenvolle der Lage bemerken zu können. Endlich, da wir bis gegen Mitternacht auf wildestem Wege gefahren waren, wurde das Tal so eng, daß die Bäume auf den jenseits des Abgrundes sich erhebenden Bergen mit denen auf unserer Seite in den Wipfeln beinahe zusammenschlugen. Der jäh hinabführende Weg war kaum zwei Fuß breiter als der Wagen. Dicht daneben stürzte tief im Tal ein Bach wild über große Steine weg und vermehrte durch sein Rauschen das Schauderhafte eines solchen Weges; ja, als ob diese Mitternachtsszene noch nicht grauenvoll genug wäre, erhob sich plötzlich ein starker Wind heulend durch die Wipfel der Tannen. Zwar waren die Hinterräder blockiert, aber nichtsdestoweniger schlug der leichte Wagen auf dem steinigen, sehr jäh hinuntergehenden engen Pfade hin und her; die vier Pferde konnten kaum treten, fuhren beständig ineinander, bäumten sich und schnaubten scheu vor der Dunkelheit, dem wilden Rauschen des Bachs und dem Heulen des Windes. Mit einem Mal machte das Sattelpferd einen falschen Tritt zum Rand des Abgrundes hin. Wir konnten in der Dunkelheit gerade noch soviel sehen, daß der Kutscher quer über das Handpferd und zwischen beide Pferde fiel und daß beide Vorderpferde sich hoch aufbäumten. Ich habe nie einen schrecklicheren Augenblick erlebt und bin nie in so großer Gefahr gewesen wie damals, so daß mich noch schaudert, wenn ich daran denke. Die vier mutigen starken Hengste vor dem leichten Wagen waren ohnehin durch die Dunkelheit, das Geräusch des Wassers, das Heulen des Windes und den elenden, tief hinabgehenden Weg ganz scheu geworden und wollten sich kaum lenken lassen. Aus dem Wagen zu springen wäre unmöglich gewesen, denn links war der Weg bis zum Abgrund nicht zwei Fuß breit, und rechts erhob sich der Felsen senkrecht, kaum einen Fuß von der Wagenachse. Wenn die Pferde auch ohne den Kutscher im Wege geblieben wären, hätte der Wagen in dem jäh abfallenden Wege auf sie stürzen müssen. Bäumte sich eins der Pferde links nur ein wenig zu weit, so mußte es mit dem Wagen und uns unwiederbringlich in den Abgrund stürzen. Zum Glück war der Kutscher fest im rechten Steigbügel und schwang sich, obgleich ihn der rechte Fuß sehr schmerzte, wieder schnell in den Sattel, so daß er die Pferde wieder regierte. Nun wollten wir keinen Augenblick weiter auf diesem entsetzlichen Weg im Wagen bleiben. Auf unser wiederholtes Zurufen mußte der Kutscher endlich ein paar Minuten anhalten. Es war wirklich kaum so viel Platz, um den rechten Schlag des Wagens so weit zu öffnen, daß wir aussteigen konnten, und so nahe wir uns auch an den Felsen drängten, so rollte doch der Wagen so dicht vor uns vorbei, daß die Hinterachse unsere Kleider besudelte. Es war fürchterlich, im Dunkeln mehr zu hören als zu sehen, wie der Wagen vor uns den tiefen Weg herunter mehr fiel als rollte; aber wir waren froh, daß wenigstens unser Leben in Sicherheit war.

So gingen wir hinter dem Wagen her, bis wir das Dorf Neggischwyl passiert hatten, woraufhin wir eine Zeitlang in einer Ebene fuhren. Nun aber verkündete uns der Kutscher, wir hätten jenseits des Dorfs Weil oder Wihl eine Steige herunter zu passieren, die noch weit schlimmer sei als der Weg, wo wir beinahe in den Abgrund gestürzt seien. Wir weckten in Weil mit Mühe jemand auf und erhielten endlich einen Wegführer und ein Licht. Der Weg fing bald wieder an so schlimm zu werden, daß wir, durch die vorherige Gefahr eingeschüchtert, ausstiegen und wohl eine Viertelmeile lang sehr beschwerlich zu Fuß gingen, immer bergab, auf kleinen spitzen und ungleichen Steinen; aber dieser Weg war nichts gegen die eigentliche Steige. Sie ging beinahe ganz senkrecht herab, und obgleich wir beständig auf den lose liegenden Steinen glitten und anstießen, so daß wir uns oft kaum halten konnten, so waren wir doch sehr froh, nicht im Wagen zu sitzen. Dieser sehr beschwerliche Weg war indes halb zu Ende. Wir verabschiedeten nun unseren Führer und setzten uns in den Wagen. Wir fuhren über ein Flüßchen, die Schwarzach, und durch das Städtchen Thüngen, passierten nun zum letztenmal die Wutach und langten gegen zwei Uhr in dem schwarzenbergischen Dorf Oberlauchringen an, wo eine kaiserliche Poststation ist.

Dort bekamen wir Postpferde und schliefen, von den Mühseligkeiten der Nacht ermüdet, während der Weiterreise. Als wir nach ein paar Stunden erwachten, hatte sich die uns umgebende Natur so unbeschreiblich geändert, daß wir kaum unseren Augen trauen wollten. Wir erblickten Felder, auf welchen das Getreide nicht nur schon geschnitten, sondern auch eingefahren war, Obstgärten und weinbepflanzte Hügel; alles Zeichen, in welch ein milderes Klima wir seit wenigen Stunden gekommen waren. Die Anmut der Landschaft vermehrt sich, je näher man nach Schaffhausen kommt, einer Stadt, die man nebst der umliegenden Gegend von einer mäßigen Anhöhe gut übersehen kann. Man fährt ziemlich steil hinunter auf die Vorstadt zu. Rechts rollen die meergrünen Wellen des majestätischen Rheins und brechen sich an einigen in der Mitte dieses Flusses befindlichen Felsen, so daß an mehreren Orten beständig weißschäumige Strudel in der grünen Flut daherbrausen; links erheben sich Weinberge.

Wir kamen früh um sieben Uhr in Schaffhausen an und quartierten uns in der Krone ein. Oberlauchringen ist von Schaffhausen drei Meilen entfernt; die gleiche Strecke rechnet man von St. Blasien nach Oberlauchringen.


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