Johann Nepomuk Nestroy
Der Zerrissene
Johann Nepomuk Nestroy

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Dritter Akt

Dieselbe Stube wie am Ende des vorigen Aktes

Erste Szene

Stifler, Sporner, Wixer, Justitiarius, Krautkopf, Lips (im Hintergrunde)

(Beim Aufrollen des Vorhangs sind alle in derselben Gruppe des Erstaunens wie am Ende des vorigen Aktes.)

Stifler, Sporner, Wixer, Krautkopf Die Kathi –!!

Sporner (zum Justitiarius) Und können wir da nicht prozessieren?

Justitiarius (die Achseln zuckend) Prozessieren wohl –

Wixer Aber g'winnen tät' am End' nur der Advokat dabei.

Justitiarius Der hier geschriebene Widerruf ist vollkommen rechtskräftig.

(Alle verlassen den Tisch.)

Krautkopf Und der Herr Justitiarius is der Mann, der's versteht. Meine Kathi erbt universal.

Stifler (für sich) Das Mädchen is hübsch, jetzt sogar schön wenn es mir gelänge –

Sporner (für sich) Wenn ich sie zu meiner Lady machte –

Wixer (für sich) Wann ich mich ansetz', g'hört d' Kathi und 's ganze Gerstel mein.

Krautkopf (für sich) Schon viele Vettern haben ihre Muhmen geheirat't.

Justitiarius (für sich) Ich Dummkopf mußte gerade vergangenen Winter die dritte Frau nehmen!

Krautkopf Der Kathi muß ich aber vor allem ihr Glück verkünden.

Lips (im Hintergrunde für sich) Jetzt, feines Gehör, lausch' hinter dem groben Vorhang. (Versteckt sich hinter Krautkopfs Bettvorhang.)

Krautkopf (ist zur Seitentüre rechts gegangen und ruft hinein) Kathi –!

Zweite Szene

Kathi; die Vorigen

Kathi (trägt einen Präsentierteller mit Weinflasche und Gläsern, tritt durch die Seitentüre rechts ein) Da bin ich schon, Herr Vetter! (Setzt das Mitgebrachte auf den Tisch.)

(Stifler, Sporner, Wixer und Krautkopf zugleich, indem sie sich scherwenzelnd um Kathi drängen:)

Stifler Reizendes Wesen!

Sporner Schöne Miß!

Wixer Engel von ein' Schatz!

Krautkopf Meine liebe Kathi! –

Kathi (auf den Wein zeigend) Wann's den gnädigen Herrn beliebt –

Stifler Von deiner Hand kredenzt, muß jeder Trank zum süßen Nektar werden.

Kathi Nektar? Da wachst keiner bei uns.

Wixer (ihre Hand ergreifend) Liebes Handerl das! (Hält seine Hand zu der ihrigen.) Was glaubst a so? Stund' gar nit übel z'samm' das Paar Händ'?

Sporner (sich ihr zärtlich nähernd) Mistreß Kitty –!

Wixer (Sporner wegdrängend) Du wirst gleich ein Schupfer bis London krieg'n!

Stifler (zu Kathi) Die elegantesten jungen Leute werden sich bemühn – ich zum Beispiel – man sieht mir's nicht an: ich bin fünfundvierzig! Die Vierzig sind das schönste Alter für den Ehemann.

Krautkopf (zu Kathi, kokettierend) Ich bin noch schöner in die Vierzig, ich bin siebenundvierzig.

Kathi (halb für sich) Ich weiß gar nicht, was die Herrn alle woll'n? Sie schaun mich an mit ganz halbverdrehte Augen –

Justitiarius Sie wünschen samt und sonders die reizende pleno titulo Universalerbin des seligen Herrn von Lips zu eh'lichen.

Kathi (verwundert) Wer is Universalerbin?

Krautkopf Du, meine Kathi, du!

Justitiarius (auf das in Händen haltende Testament zeigend) Unbestreitbare Heres ex asse, hier steht's geschrieben.

Kathi (mit Entzücken) Seine Erbin –?! – Ich – ich bin seine Erbin – Gott, diese Freud' –!!

Krautkopf Ich g'freu' mich mit dir und will mich ewig mit dir g'freun, du mein Augapfel, du!

Kathi (in freudigster Aufregung) Wo ist denn der Steffel? – Ich muß mit 'n Steffel reden!

Stifler, Sporner, Wixer (befremdet) Steffel –!?

Krautkopf (ärgerlich) Zu was mit 'n Steffel? Ich glaub' gar –

Kathi Wo is er? – Ich muß ihm's sagen!

Krautkopf Ich glaub' gar – mir war schon früher so – du, ich wollt' dir's nicht raten, in den Purschen verliebt zu sein.

Stifler, Sporner, Wixer Wo ist der Steffel?

Wixer (die Reitgerte schwingend) Ich hab' ein Hausmittel, ihm die Lieb' z' vertreiben.

Krautkopf Wo steckt denn der Kerl?

Kathi (ängstlich, für sich) Wenn s' über ihn herfallen, erkennen sie ihn, und er is verloren –

Stifler, Sporner, Wixer Den Steffel aufgesucht! (Wollen zur Mitteltüre links ab.)

Kathi (hat eine Idee erfaßt) Halt – halt, meine Herrn!!

Stifler, Sporner, Wixer (umkehrend) Was ist's, Kathi?

Kathi Wer sagt Ihnen denn, daß ich in Steffel verliebt bin?

Stifler Du willst ihm ja so eilig dein Glück verkünden.

Kathi Das hat ganz einen andern Grund! Muß man denn gleich in jeden Steffel verliebt sein, wenn man ihm was zu sagen hat?

Stifler, Sporner, Wixer Also nicht –?

Krautkopf Steffelt sich nix in dein' Herzerl?

Kathi Könnt' mir nicht einfall'n. Is denn was Schöns an ihm?

Stifler Die tölpelhafte Haltung!

Kathi Nicht wahr?

Krautkopf Das Kopfhinunterstecken!

Kathi Keinen aufrichtigen Blick!

Sporner Ein Maul wie ein Bulldogg!

Wixer Mir kommt er auch kralewatschet vor.

Kathi Das hab' ich alles auch bemerkt. Wie können Sie mir so einen Gusto zutrau'n?

Stifler, Sporner Verzeih, holdes Kind!

Wixer (zugleich) Nur kein' Verschmach deßtwegen!

Krautkopf Ich hab' dir Unrecht getan.

Kathi (beiseite) Ich muß alles anwenden, daß sie mir nicht über den armen Herrn kommen. (Laut.) Um Ihnen einen Beweis zu geben, kündig' ich Ihnen allerseits an, daß ich mir noch heut' meinen Zukünftigen wähl'.

Stifler, Sporner, Wixer Scharmant! (Jeder für sich.) Ich bin der Glückliche.

Krautkopf (zu Kathi) Könntest du undankbar sein für alle Wohltaten –?

Kathi (mit Beziehung) Undankbar –? Das soll mir kein Mensch nachsag'n.

Krautkopf (zärtlich) Also hab' ich Hoffnung?

Kathi (für sich) Der geniert mich am wenigsten und muß mir helfen, daß ich die andern los werd'! – (Laut und etwas kokett zu Krautkopf.) Ich will noch nix verraten – aber – 's hat stark den Anschein – man kann nicht wissen, Herr Vetter, was g'schieht. (Läuft zur Mitteltüre ab.)

Krautkopf (sich vor Freude mit beiden Händen am Kopf fassend) Glücklichster aller Krautköpf' –!!

Stifler, Sporner, Wixer (betroffen) Was wär' das? Wär' nicht übel – Kathi! (Eilen ihr nach, zur Mitteltüre ab.)

Justitiarius (für sich) Bin neugierig, ob sie was ausrichten, die pleno titulo Herrn. (Geht den Vorigen nach.)

Dritte Szene

Krautkopf; dann Lips

Krautkopf (allein) Wenn die mir s' umstimmten – ich lass' 's Madl nicht mehr aus 'n Augen. (Will mit großen Schritten zur Mitteltüre abeilen.)

Lips (aus seinem Versteck hervorstürzend, hält Krautkopf am Rockschoß fest) Halt! Nicht von der Stell'!

Krautkopf (erschrocken aufschreiend) Ah! (Steffel erkennend.) Er is's!? Impertinenter Pursch, Er wird gleich was fangen.

Lips (durchaus in heftiger Aufregung) Ich hab' schon was g'fangt, Sie kommen mir nicht mehr aus.

Krautkopf Kecker Knecht

Lips Wahnsinniger Herr!

Krautkopf (sich losmachen wollend) Er untersteht sich, sich zu vergreifen?

Lips Sie unterstehn sich, sich zu vereh'lichen?

Krautkopf Ich sag' Ihm's in guten –

Lips Ich sag' Ihnen's in bösen.

Krautkopf Er wagt es, zu drohen?

Lips Sie wagen es, zu lieben?

Krautkopf Geht das Ihn was an?

Lips Heiraten –? Greis, was ficht dich an?!

Krautkopf Was Greis? Ich bin ein rüstiger Mann in besten Jahren.

Lips (grimmig) Werden wir gleich sehn – gut für dich, wenn du rüstig bist! (Streckt sich die Ärmel auf.)

Krautkopf (ängstlich werdend, für sich) Er is aus Lieb' rasend worden – ich muß andre Saiten aufziehn. – (In freundlichem Tone, indem er die Türe zu gewinnen sucht.) Aber, Steffel –!

Lips (ihm den Weg abschneidend) Wart', Pachter, deine Seel' wird jetzt gleich ihren irdischen Pachthof verlassen.

Krautkopf (immer ängstlicher) Steffel – gewissenloser Steffel, du willst meine Altersschwäche mißbrauchen –?

Lips Aha, jetzt is er auf einmal alt und schwach! Warum, du rüstiges Bräutigamml du in die besten Jahre! Das Jahr ist dein schlechtestes, denn es enthalt't deinen Todestag!

Krautkopf (für sich) Einem Narr'n muß man nachgeben – (laut, in sehr begütigendem Tone) sag' nur, Steffel, was d' willst?

Lips (gebieterisch) Sie werden die Kathi nicht heiraten!

Krautkopf (sehr nachgiebig) Mein'twegen, so heirat't s' ein andrer.

Lips (wie oben) Die andern derfen s' auch nicht heiraten.

Krautkopf Weißt was? Wirf s' hinaus, die andern.

Lips Das is Ihr Geschäft, Sie sind Herr im Haus, drum befehl' ich Ihnen –

Krautkopf Ich sag' den Herrn, du laßt sie hinauswerfen.

Lips Auf meine Verantwortung!

Krautkopf Siehst, ich tu' dir ja alles z'lieb'. (Für sich.) Der soll sich g'freun! (Laut.) Adieu! (Geht zur Mitteltüre ab.)

Lips (barsch) Adieu! (Für sich.) Imponieren muß man dem Bauernvolk –

Krautkopf (den Kopf zur Türe hereinsteckend) Schaffst vielleicht sonst noch was? Derfst es nur sagen!

Lips (sehr barsch) Nein, sonst nix!

Krautkopf (den Hohn durchblicken lassend) Siehst, Stefferl, ich bin ganz zu dein' Willen. (Zieht den Kopf zurück.)

Vierte Szene

Lips (allein)

Lips Ich glaub', der halt't mich für ein' Narr'n –? Egal; weit g'fehlt hat er auf kein' Fall, in meiner Lag' wär's G'scheitbleib'n ein Mirakel. Ich hab' zu viel Malheur mit meine Erben – so red't die Kathi über mich in dem Augenblick, wo ich ihr Allesvermacher bin? Tölpel, kralewatschet, Bulldogg – diese Bemerkungen hat sie auch gemacht, 's is zu arg! Meiner Seel', wenn ich nochmal stirb, so vermach' ich alles dem Taubstummeninstitut, diese Erben können mir doch nix nachreden. Ja, solche Leut' wie die Kathi und meine Erben muß's auch geben; es muß a Unterschied sein unter d' Menschen, das laßt sich die Welt nicht streitig machen; es is ja eine ihrer famosesten Eigenschaften, daß allerhand Leut' herumgehen auf ihr.

Lied

1.
                        Zwei hab'n miteinander gehabt einen Streit
Und hassen sich bitter seit dieser Zeit,
's red't keiner, 's schimpft keiner, doch lest man den Pick
Nach zwanzig Jahr'n noch ganz frisch in die giftigen Blick'! –
Zwei andere, die schimpfen sich Spitzbub', Filou,
Betrüger und Lump, Gott weiß, was noch dazu,
Jetzt zahlt ein Vermittler a Champagnerboutelli,
Beim zweiten Glas lächeln die Todfeind' schon seli,
Beim dritten schluchzt jeder: »Freund, ich hab' g'fehlt!« –
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.
2.
's hat einer von d'Güter sechstausend Guld'n Renten
Und extra ein Pack Metallique noch in Händen,
Er zahlt alls komptant, und doch sagt er zum Schneider:
»Hab'n S' die Güte, bis morgen machen S' mir den Rock weiter!« –
Ein andrer, der grad aus 'n Schuldenarrest kummt,
Macht Spektakl im Gasthaus, daß alles verstummt,
Er wirft jedem Kellner die Teller an 'n Kopf,
Er beutelt den Schusterbub'n jedesmal den Schopf,
Und doch sieht der Wirt und der Schuster kein Geld! –
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.
3.
Ein Herr, der sieb'n Sprachen hat gründlich studiert,
Der Französisch als wie Deutsch sowohl schreibt als parliert,
Der setzt sich hinein ins französische Theater,
Sein Lächeln ist still und sein Beifall ein stader. –
Ein andrer, der, wenn er nit Deutsch zur Not kunnt',
Sich rein müßt' verleg'n drauf, zu bell'n wie a Hund,
Der tut, wie die Leut' über einen französischen Spaß lachen,
Der für ihn spanisch is, gleich einen Mordplärrer machen,
Schreit: »Très-bien!« und: »Charmant!«, Wie von Wohlg'fall'n beseelt! –
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.
4.
's geht einer um neune aus 'n Wirtshaus. »Schau, schau,
Der traut sich nit, daz'bleib'n«, sag'n d' Freund', »wegen der Frau!« –
»Der Frau zulieb' g'schicht's allerdings«, antwortet er,
Trotzdem aber weiß man, er is z' Haus der Herr. –
Ein andrer, der haut mit der Faust auf 'n Tisch:
»Wie die Meine an Mukser macht, kriegt sie glei Fisch,
Ich bin rein Tyrann!« – Jetzt versagt ihm die Stimm',
Im Spiegel hat er's g'sehn, 's steht sein Weib hinter ihm,
Drauf laßt sich beim Ohrwaschel heimführ'n der Held! –
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.
5.
Ein Mädl is fröhlich, ohne sich viel z' genieren,
Sie lacht mit, wenn d' Herren etwas Lustigs disk'rieren,
Unterstund' sich aber wer, sie nur z' nehmen beim Kinn,
Der derf schaun, daß er fortkommt, sonst hat er eine drin. –
A andre schlagt d' Aug'n allweil nieder – o Gott!
Wenn a Mann sie nur anschaut, so wird s' feuerrot,
Sie lacht nit, sie red't nit, sie flüstert nur scheuch,
Doch wie man ihr d' Hand drückt, erwidert sie's gleich
Und sagt verschämt: »Ja«, wenn man sie wohin bestellt! –
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.

Verwandlung

Die Bühne stellt denselben Getreidespeicher vor wie im Anfang des zweiten Aktes. Es ist Abend. Das Mitteltor der Dreschtenne ist geschlossen, ein Rechen lehnt an demselben.

Fünfte Szene

Kathi (allein)

Kathi (kommt mit einer Laterne aus der Seitentüre rechts) Mein gnädiger Herr Göd is nirgends zu finden, und die Stadtherrn verfolgen mich überall. Da, hoff' ich doch, werd' ich Ruh' hab'n vor ihnen. (Indem sie die Laterne auf den Tisch stellt, nach der Türe links sehend.) Ich glaub' gar – (freudig) richtig, er is's –!!


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