Johann Nepomuk Nestroy
Der Zerrissene
Johann Nepomuk Nestroy

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Erster Akt

Die Bühne stellt einen eleganten Gartenpavillon vor. Im Prospekte rechts und links Türen, zwischen beiden in der Mitte des Prospektes eine große Glastüre, welche nach einem Balkon führt. Seite links Glastüre, Seite rechts ein Fenster. Durch die Glastür, welche auf den Balkon führt, hat man die Aussicht in eine pittoresk-gigantische Felsengegend. Rechts und links Tische und Stühle. Hinter der Mitteltüre rechts ein Ruhebett.

Erste Szene

Anton, Christian, Josef (kommen durch die Türe links aus dem Hintergrunde vor)

Anton (zu Christian und Josef, welche jeder drei Champagnerbouteillen tragen) So, tragt sie nur hinein, 's werden nicht die letzten sein! Wenn die einmal ins Trinken kommen –

Josef Is doch ein guter Herr, was der für seine Gäst' alles springen laßt.

Christian Wer sagt denn, daß er nur für die Gäst' g'hört? Er trinkt schon selber auch sein honettes Quantum.

Josef Und is doch immer so übel aufg'legt dabei; unbegreiflich bei dem Wein!

Anton Das versteht ihr nicht! Er hat ein zerrissenes Gemüt, da rinnt der Wein durch und kann nicht in Kopf steigen. Jetzt kümmerts euch nicht um Sachen, die euch nix angehn, und schauts zum Servieren!

Christian (indem er mit Josef abgeht) Ein zerrissenes Gemüt mit dem Geld!

Josef 's is stark!

(Beide in die Türe nach dem Speisesalon Mitte rechts ab.)

Zweite Szene

Anton, dann Gluthammer und> ein Bursche (der einen Teil eines eisernen Geländers trägt)

Anton (nach dem Balkon, Mitte des Hintergrundes, sehend) Wenn s' nacher herauskommen, die ganze G'sellschaft, und der Herr sieht, daß die Altan' noch kein G'länder hat, da krieg' ich wieder d' Schuld.

Gluthammer (tritt durch die Mitteltüre links herein und trägt mit Anstrengung ein eisernes Balkongeländer; ein Bursche, der einen Teil des Geländers trägt, kommt mit und geht, nachdem er es auf den Balkon gestellt hat, sogleich ab) Meiner Seel', so ein eisernes G'länder wägt über sieben Lot.

Anton Na, endlich! Ich hab' schon glaubt, der Herr Gluthammer laßt uns sitzen.

Gluthammer Von unserm Ort bis da herüber is 's über a halbe Stund', wenn man leer geht; jetzt, wenn man so ein G'wicht tragt und a paarmal einkehren muß, da is a halber Tag weg, man weiß nicht, wo er hinkommen is.

Anton ja, das Einkehren, das hat mich auch schon oft in der Arbeit geniert.

Gluthammer Wir werden gleich fertig sein. (Öffnet die Balkontüre, tritt hinaus und stellt das Geländer auf.)

Anton Nicht wahr, das is völlig schauerlich, wenn man über die Altan' ins Wasser hinunterschaute

Gluthammer 's Wasser is halt immer ein schauerlicher Anblick.

Anton Und was 's da draußt für ein' Zug hat!

Gluthammer Mir scheint, von dem Zug hat der Fluß so 's Reißen kriegt, das Ding schießt als wie a Wasserfall!

Anton Ich hätt' eher das Fenster, was da war, zumauern lassen, unser Herr aber laßt's zu einer Tür ausbrechen und eine Altan' baun, wegen der Aussicht! Lauter so verruckte Gusto!

Gluthammer So, jetzt werden wir gleich – (fängt an, tüchtig draufloszuhämmern.)

Anton Aber, Freund, was fallt Ihm denn ein, so einen Lärm zu machen! Da drin is Tafel!

Gluthammer Ja, glaubt denn der Mussi Anton, ein eisernes Geländer pickt man mit Heftpflaster an?

Anton Da darf jetzt durchaus nicht klopft werd'n!

Gluthammer Na, so lassen wir's halt derweil stehen, bis später. (Läßt das unbefestigte Geländer auf dem Balkon stehen und verläßt denselben.)

(Man hört im Speisesalon, Mitte rechts, den Toast ausbringen: »Der Herr vom Hause lebe hoch!«)

Gluthammer Da geht's zu! Ihr müßts einen recht fidelen Herrn haben.

Anton Seine Gäst' sein fidel, aber er – keine Spur! Ich muß jetzt nachschaun, ob s' kein' frischen Champagner brauchen. (Geht in den Speisesalon, Mitte rechts, ab.)

Dritte Szene

Gluthammer; dann Kathi

Gluthammer (allein) Die reichen Leut' haben halt doch ein göttliches Leben. Einen Teil vertrinken s', den andern Teil verschnabulieren s', a paar Teil' verschlafen s', den größten Teil verunterhalten s'! – Schad', ich hätt' zum Reichtum viel Anlag' g'habt; wenn sich so ein Millionär meiner angenommen hätt', hätt' mich ausg'bild't und hätt' mir mit der Zeit 's G'schäft übergeben – aus mir hätt' was werden können.

Kathi (tritt zur Mitte links ein) Da werd' ich den gnädigen Herrn finden, haben s' g'sagt. (Gluthammer bemerkend.) Das is ja – is's möglich!? – Meister Gluthammer –!?

Gluthammer (Kathi betrachtend und seine Ideen sammelnd) Geduld – ich hab' noch nicht den rechten Schlüssel zum Schloß der Erinnerung.

Kathi Ich bin's – die Krautkopfische Kathi!

Gluthammer Richtig – die Kathi! Na, was macht denn mein alter Freund Krautkopf?

Kathi Was wird er machen? Bös is er auf 'n Meister Gluthammer, daß er sich seit anderthalb Jahren nicht bei ihm sehen laßt, und da hat er recht! Pichelsdorf is doch nur vier Stund' weit von der Stadt.

Gluthammer Ich bin ja nicht mehr in der Stadt. Aber wie kommt denn die Jungfer Kathi da her? G'wiß das Pachtgeld vom Freund Krautkopf dem gnädigen Herrn überbringen? Kathi Muß denn ich nur Gäng' für 'n Herrn Vettern machen, kann denn ich nicht meine eig'nen Angelegenheiten haben?

Gluthammer Freilich! Ich kenn' der Jungfer Kathi ihre Angelegenheiten nicht.

Kathi Um eine Zahlung handelt sich's aber doch, das hat der Meister erraten. Der gute gnädige Herr von Lips – er hat mich aus der Tauf' gehoben –

Gluthammer Das kann so schwer nicht g'wesen sein –

Kathi Meine Mutter hat einmal gedient im Haus, wie noch der alte Lips, der Fabrikant, g'lebt hat. Wie dann der junge Herr die vielen Häuser und Landgüter gekauft hat – das Pachtgut vom Vetter Krautkopf war auch dabei – da haben ich und meine Mutter uns gar nicht mehr in seine Nähe getraut als noblen Herrn, aber – (traurig) vor drei Jahren – wie's uns gar so schlecht gangen is, die Weißnähterei wird zu schlecht bezahlt –

Gluthammer Wie überhaupt die weiblichen Arbeiten; wenn man selbst Marchandmode war, kann man das am besten beurteil'n.

Kathi Das wohl, aber ein Schlossermeister wird da nicht viel davon verstehn.

Gluthammer (seufzend) O, ich war auch Marchandmode!

Kathi Hör'n S' auf mit die G'spaß!

Gluthammer Nein, 's is furchtbarer Ernst, ich war Marchandmode, im Verlauf der Begebenheiten wird dir das alles klar werden.

Kathi Da bin ich neugierig drauf.

Gluthammer Erzähl' nur erst deine G'schicht' aus.

Kathi Die is schon so viel als aus. Wie's uns so schlecht gangen is und d' Mutter war krank, da bin ich zu meinem gnädigen Herrn Göden und hab' hundert Gulden z' leihen g'nommen; er hat mir's an der Stell' geben und hat g'lacht, wie ich vom Z'ruckzahlen g'red't hab'! Meiner Frau Mutter hab' ich aber noch auf 'n Tot'nbett versprechen müssen, recht fleißig und sparsam zu sein und auf die Schuld ja nicht zu vergessen; und das hab' ich auch g'halten. Ich bin nach der Frau Mutter ihr'n Tod zum Vetter Krautkopf kommen, da hab' ich gearbeitet und gearbeitet und gespart und gespart, und nach dritthalb Jahren waren die hundert Gulden erübrigt! Jetzt bin ich da, beim Herrn Göden Schulden zahl'n.

Gluthammer Schulden zahl'n –?! An so was denk' ich gar nicht mehr.

Kathi Wie kann der Meister so reden als ordentlicher Handwerksmann und Meister?

Gluthammer Meister? Ich bin ja seit fünf Monaten wieder G'sell' und nur mit Krebsaugen blick' ich auf meine Meisterschaft zuruck.

Kathi (erstaunt und mitleidvoll) Is's möglich!

Gluthammer Wenn man Marchandmode war, is alles möglich.

Kathi Das is aber das Unbegreifliche –

Gluthammer Im Verlauf der Begebenenheiten wird alles klar. Ich hab' mich verliebt – jetzt wird's bald zwei Jahr', in eine Putzerin, in eine reine, schneeblühweißgewasch'ne Seele.

Kathi (mit gutmütiger Ironie) Und aufs Waschen scheint der Herr große Stück' zu halten.

Gluthammer Hab' es noch keinen Samstag unterlassen. Daß ich also weiter sag': sie hat mich ang'red't, ich soll ihr d' Marchandmoderei lernen lassen. Ich hab' sie also gleich in die Lehr' geb'n, und in kurzer Zeit hat sie alles in klein' Finger g'habt – was man nur von einer Mamsell wünschen kann und so war sie Mamsell. Da stirbt die alte Marchandmode, 's Heirat'n is uns von Anfang schon in Kopf g'steckt – so hat sie mir zug'red't, ich soll ihr das G'schäft von der toten Madame kaufen. Um viertausend Gulden war's z' hab'n, d' Hälfte hab' ich gleich bar aus'zahlt, und so war die Meinige Madame, nur 's Heiraten hat noch g'fehlt zur vollständigen Glückseligkeit. Da – (seufzt.)

Kathi Sie wird doch nicht g'storben sein?

Gluthammer Im Verlauf der Begebenheiten wird das alles klar. Die Hochzeit war bestimmt, 's Brautkleid war fertig, mein blauer Frack g'wend't, (mit Schluchzen) die Anginene begelt, d' Gäst' eing'laden – Person à zwei Gulden – (beinahe in Tränen ausbrechend) ohne Wein –

Kathi (tröstend) Na, g'scheit, Herr Gluthammer!

Gluthammer Den Tag vor der Hochzeit geh' ich zu ihr, sie war aber nicht z' Haus.

Kathi War sie eine Freundin vom Spazier'ngehn?

Gluthammer Im Verlauf der Begebenheiten wird das alles klar. Sie is von der Stund' an nicht mehr nach Haus kommen, ich hab' s' g'sucht, ich hab' s' g'meld't, ich hab' s' woll'n austrommeln lassen, aber 's derf nur a Feuerwerk aus'trommelt wer'n in der Stadt – mit ein' Wort, es war alles umsonst, ich war Strohwitiber, bin Strohwitiber geblieben, und das Stroh bring' ich auf der Welt nicht mehr aus 'n Kopf.

Kathi Mein Gott, man muß sich gar viel aus 'n Kopf schlagen.

Gluthammer O, so was bleibt! Und dann die Folgen: 's G'schäft war einmal kauft, zweitausend Gulden war ich drauf schuldig – denk' ich mir, zu was brauch' ich zwei G'werber, es is das g'scheiteste, ich verkauf' eins. Da hab' ich mein Schlosserg'werb' verkauft und bin Marchandmode blieben.

Kathi Das war aber auch ein Gedanken –

Gluthammer Wär' kein schlechter Gedanken g'wesen, aber man war ungerecht gegen mich. Die Kundschaften haben g'sagt, ich hätt' keinen Geschmack, weil ich alles in Schwarz und Hochrot hab' arbeiten lassen. Nach vier Monat' war ich nix als eine zugrund'gegangene Marchandmode, und um meinen Gläubigern aus 'n G'sicht zu kommen, hab' ich müssen auf's Land als Schlosserg'sell gehn. Das is der vollständige Verlauf der Begebenheiten, wie sie sich nacheinander verloffen haben. O, meine Mathilde –!

Kathi Die Person war eine Undankbare, is gar nicht wert, daß sich der Herr Gluthammer kränkt um sie.

Gluthammer Was!? Sie liebt mich! Sie is offenbar mit Gewalt fortgeschleppt worden, wird wo als Gefangene festgehalten und hat keinen andern Gedanken, als nur in meine Arme zurückzukehren.

Kathi Da g'hört sich ein starker Glauben dazu.

Gluthammer O Gott! Wenn ich alles so g'wiß wüßt' –! Wenn ich den Räuber so g'wiß ausfindig z' machen wüßt' – Jungfer Kathi – (nimmt sie bei der Hand) dem ging's schlecht! – (Ihre Hand heftig schüttelnd.) Der wurd' auf schlosserisch in die Arbeit g'nommen –

Kathi Na, na –! Denk' der Herr nur, daß ich kein Rauber bin.

Gluthammer Nehmen Sie's nicht übel, aber wenn ein Schlosser in die Aufwallung kommt –

Vierte Szene

Anton; die Vorigen

Anton (aus der Mitte rechts des Speisesalons kommend; die Türe bleibt offen) Leuteln, machts, daß 's fortkommts, der Herr kommt gleich mit die Gäst' heraus.

Kathi Das is g'scheit, ich kann also da sprechen mit 'n gnädigen Herrn?

Anton Beileib nicht! Das wär' jetzt höchst ungelegen!

Kathi So werd' ich halt draußen warten.

Anton Geh' d' Jungfer in Garten spazieren!

Gluthammer Meine Arbeit mach' ich halt später.

Anton Freilich!

Gluthammer Komm' die Kathi! Die Mathilde is verloren (nimmt sie beim Arm) aber ihn werd' ich finden, den Mathildenschnipfer – (grimmig) und dann werden wir was erleben von einer nagelneuen Zermalmungsmethod'-

Kathi (aufschreiend) Ah, probierte die Methode, wo Ihr wollt, aber nicht an mein' Arm!

Gluthammer Nehmen Sie's nicht übel, aber es gibt Momente, wo der ganze Schlosser in mir erwacht, und da merkt man keine Spur, daß ich jemals Marchandmode g'wesen bin. (Geht mit Kathi durch die Glastüre links ab.)

Anton (nach dem Speisesalon sehend, dessen Türe offen geblieben) Da kommt der Herr – und das G'sicht, was er macht – ich geh'! (Geht ebenfalls durch die Glastüre links ab.)


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