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Drittes Kapitel
Bornu

Als endlich der letzte Mann und das letzte Stück Gepäck Fräulein Tinnes expediert war, begann ich lebhaft meine Abreise nach Bornu herbeizusehnen.

Mit dem Winter trat auch die, allerdings sehr seltene, Gefahr des Regnens ein. Die Salzerde schmilzt vorkommenden Falls leicht, und es ist ein unbehagliches Gefühl, nicht zu wissen, ob man dem Erdbau noch einige Stunden Vertrauen schenken darf, oder ob es vorzuziehen ist, sich in den Regen hinauszubegeben. Der Weihnachtsabend kam heran; mit ihm aber auch der Regen. Die Zigarre war angezündet; das Glas Grog stand vor mir. Ob der Regen wohl aufhören, das Haus zusammenhalten würde? Unruhig hörte ich hier und da schwere Tropfen auf Erdboden und Bett fallen. Das Tempo derselben wurde schneller, und besorgt rollte ich meine Lagerstatt zusammen. Da bröckelten Stückchen Erde vom kunstlosen Plafond auf meine Papiere und Bücher, bald lagen in einer Ecke des Zimmers die Palmenholzbalken skelettiert da, und der Regen drang ungehindert ein. Durfte ich schließlich einen stürzenden Balken als Beweis abwarten, daß das Haus hinwegschmelzen und zerbröckeln würde, wie ganz Temenhint einem plötzlichen Regen erlegen war? Resigniert packte ich meine Habe in Kisten und Koffer, wie zur Abreise; der Grog war kalt geworden, und die Erinnerung an die Heimat und fernen Lieben konnte gegen die Anforderungen der Gegenwart nicht aufkommen.

Solche Kleinigkeiten konnten natürlich nur Eindruck machen inmitten des müßigen Stillebens von Murzuq. Es war hohe Zeit, daß ich endlich Gelegenheit fand, weiterzureisen und meine durch Krankheit und Eintönigkeit gedrückten Lebensgeister wieder aufzurütteln. Leider gab es noch immer keine Aussicht auf eine baldige Handelskarawane.

Endlich im Anfange des neuen Jahres lief die Nachricht ein, daß 'Ali Riza Pascha die Absicht habe, ebenfalls eine Gesandtschaft an den König von Bornu zu schicken.

Die Reisegesellschaft einer solchen Gesandtschaft konnte mir keineswegs angenehm sein. Es war vorauszusehen, daß der türkische Muschir seinen Sendboten mit allem Glanze eines wirklichen Gesandten des Großherrn ausstatten, und daß derselbe mich sowohl durch äußeres Auftreten als durch seinen muselmanischen Charakter überall und bei jeder Gelegenheit in den Schatten stellen würde. Doch wie dem auch sein mochte: wenn keine Karawane von Kaufleuten bis zur Verwirklichung der tripolitanischen Gesandtschaft zustande gekommen war, mußte ich froh sein, auf diese Weise überhaupt nach Bornu zu gelangen.

In den letzten Tagen des Februar traf Mohammed Bu 'Aischa ein, ein kräftiger, hochgewachsener, lebhafter Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren, welcher der Gutmütigkeit zwar nicht zu entbehren schien, aus dessen Augen aber vor allem List und Klugheit leuchtete.

Von einem Versuche seinerseits, die gemeinschaftliche Reise mit mir zu umgehen, war nicht die Rede; er schien meine Gesellschaft bis Bornu vielmehr als selbstverständlich anzusehen.

Ich vollendete meine Reisevorbereitungen, entschloß mich zum Ankauf eines Pferdes, das nach der Versicherung aller unumgänglich notwendig sei, um einigermaßen anständig in Bornu aufzutreten, und erwartete mit Sehnsucht den Moment der Abreise. Bu 'Aischa besaß ungefähr zwanzig Kamele, obwohl die Geschenke, deren Überbringer er war, außer zwei Pferden nur aus einem Säbel und einem Koran bestanden, und hatte ein so großes Gefolge, daß ich voraussah, ich würde mich mit meinen neun Kamelen und fünf Leuten unterwegs allen seinen Anordnungen zu fügen haben.

Dieser Entfaltung von Macht und Glanz gegenüber freute ich mich, als außer den Kaufleuten, welche die Reise mitzumachen beabsichtigten, aber weder durch Zahl noch durch Ansehen ein Gegengewicht gegen Bu 'Aischa zu bilden verhießen, eine große Gesellschaft marokkanischer Gaukler unsere Karawane zu vergrößern versprach. Im Süden Marokkos, von Agadir bis zur Saqia el-Hamra, blüht dieses, sonst in der Welt des Islam nicht besser als bei uns angesehene Gewerbe außerordentlich, ist den Bewohnern ganzer Ortschaften eigentümlich und erbt in den Familien fort. Uber alle Länder des Islam verbreiten sich diese Akrobaten in oft ansehnlichen Banden, und nicht selten hat man sogar Gelegenheit, sie in den Städten Europas ihre Turnkünste und Kraftstücke produzieren zu sehen. Wie Marokko überhaupt das Land mystischer Sekten, fanatischer Religionsgesellschaften und geheimnisvoller Heiliger ist, so umgeben sich auch diese Leute mit einem mystisch-religiösen Nimbus und vereinigen gewöhnlich ihre Kunstreisen mit der Pilgerfahrt nach Mekka.

Die Marokkaner, um welche es sich im vorliegenden Falle handelt, stammten aus dem Lande Sus. Wie fast alljährlich hatten sich dort Männer, Jünglinge und Knaben aus der Gegend zur Pilgerfahrt gesammelt und der Hadsch Salih war wieder zum Chef – Scheich – der Gesellschaft ernannt worden.

Daß von den armen Einwohnern Murzuqs keine erheblichen Einnahmen zu erwarten waren, begreift sich. Hadsch Salih mußte sich damit begnügen, in und vor den Häusern der Honoratioren Vorstellungen zu geben, und derer, welche in der Lage und geneigt waren, anständig zu bezahlen, waren nicht viele. Um mir einen Anhang zu verschaffen, der mich unter Umständen unabhängig von Bu 'Aischa und seinem Gefolge machen konnte, suchte ich mir diese Leute, von denen die Erwachsenen außerordentlich geschickt mit ihren vortrefflichen marokkanischen Steinschloßgewehren umzugehen wußten, geneigt zu machen, schenkte ihnen, als sie vor meinem Hause ebenfalls eine Vorstellung gaben, zehn Mariatheresientaler und schoß ihnen die nötige Summe zum Ankaufe eines dritten Kamels, dessen sie unumgänglich bedurften, unter der Bedingung vor, daß sie mit mir und nach meinem Wunsche reisen würden. Mir blieb von meiner ursprünglichen Dienerschaft nur Bui Mohammed, Sa'ad und Giuseppe, von denen die beiden letzteren nie Wüstenreisen gemacht hatten, und ich mußte daran denken, ihre Zahl wieder zu vervollständigen. Ich mietete mir also für den bevorstehenden Weg nach Bornu einen Fezzaner, namens Ben Zekta. Außerdem überwies mir der Hadsch Brahim seinen Haussklaven Barka, den er mit zwei Kamellasten Waren nach Bornu schickte, zur Hilfeleistung.

Meine Kamele hatte ich auf neun gebracht, gute Haussa- Wasserschläuche und fezzanische Gepäcksäcke gekauft, und Reis, Mohammes und Datteln als Mundvorrat angeschafft.

Als Tag des Aufbruchs war der 18. April bestimmt worden. Wir versammelten uns in den vor dem Osttore der Stadt

gelegenen Gärten, und die vornehmsten Einwohner ließen es sich nicht nehmen, uns dort Lebewohl zu sagen und unsere Reise durch das übliche Fatiha einzusegnen. Ein Jahr war gerade verflossen, seit ich, von Norden kommend, durch dasselbe Tor eingezogen war, und wenn ich auch fast die Hälfte dieser Zeit auf der denkwürdigen Exkursion nach Tibesti abwesend gewesen war, so hatte ich doch lange genug in der Stadt selbst gelebt, um unter den Einwohnern manche liebenswürdige Bekannte und selbst warme Freunde erworben zu haben. Man war mir im ganzen mit viel Wohlwollen begegnet; niemals hatte ich von religiösem Fanatismus gelitten, und nur der eitle und falsche Hamed Bei war nicht mein Freund geworden. Nach Kräften hatte ich mich bemüht, durch Ausübung der ärztlichen Kunst meine Dankbarkeit für diese Aufnahme zu beweisen, und so waren Bande geknüpft worden, deren Lösung mich mit aufrichtigem Bedauern erfüllte.

Wir zogen über den Sand der nächsten Umgebung der Stadt mit seinem spärlichen Dattelpalmenbestande und über den kalkigen Boden der Hammada von Murzuq gen Südosten. Wir hielten uns östlicher als auf dem Zuge nach Tibesti und schlugen um Sonnenuntergang in der Nähe des Dörfchens Hadsch Hadschil unser Nachtlager auf. Ich fühlte mich wie von einer unendlichen Last, einem drückenden Alp befreit, seit das einförmige Murzuq hinter mir lag, und war in der gehobenen Stimmung, welche ein neues Ziel dem Reisenden stets verleiht. Wenn ich daran dachte, wie ich vor einem halben Jahre zerlumpt, halbverhungert und mit einem auf Kredit gekauften Esel als einzigem Besitztum auf dieser Straße in umgekehrter Richtung einhergezogen war, und jetzt, hoch zu Rosse, meine Augen auf neun vortreffliche Kamele und eine Leibgarde von 25 Marokkanern richtete, so konnte ich wohl mit freudiger Hoffnung in die Zukunft blicken und mit Zuversicht an die Erfüllung meiner nächsten Aufgabe gehen.

Bu 'Aischa vertrieb mir die lange Zeit des Marsches in recht interessanter Weise durch seine Erzählungen aus der Geschichte Fezzans, deren Dokumente leider unter der Herrschaft der Aulad Soliman verlorengegangen zu sein scheinen. Er war ein belesener, schriftgewandter und kluger Mann, der vieles über die Vergangenheit seines Vaterlandes gehört und selbst reiche Gelegenheit gehabt hatte, Beobachtungen zu sammeln. Es war erklärlich, daß er die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart über Gebühr lobte, doch tatsächlich läßt sich der allmähliche Rückschritt von Tripolis und Fezzan nicht leugnen. Mochten seine Zahlen übertrieben sein, wenn er erzählte, daß Jusef Pascha im Anfange dieses Jahrhunderts noch mit 40&nbsp;000 Mann zu kriegerischen Unternehmungen ausziehen konnte; daß die Städte und Dörfer in der Nähe der Mittelmeerküste auf den zehnten Teil ihres Kontingents an Reitern und Kriegern gegen früher reduziert seien: für Fezzan, das er als Regierungssekretär 'Abd el-Dschlils genau gekannt haben mußte und dessen Einwohner er jetzt zur Steuer eingeschätzt hatte, konnte er die bedenkliche Bevölkerungsabnahme mit Zahlen beweisen. Die Reste der arabischen Kastelle übrigens, welche im südlichen Fezzan dem Reisenden aufstoßen, wie die Schlösser – Kasr pl. Qusur – Mestuta, Dekkir, Serendibe, Kimba, Uled 'Ammi, Kidde usw. legen das lebendigste Zeugnis größeren Wohlstandes, zahlreicher Bevölkerung und höherer Tatkraft in früheren Zeiten ab.

Wir gaben uns bei der allseitigen Ermüdung ohne großes Bedauern über den Wassermangel, der uns am Abkochen hinderte, der Nachtruhe hin.

Am frühen Morgen des folgenden Tages fand uns Bu 'Aischa zum Aufbruch bereit. Da wir auf Tiere und Wasser warten mußten, ließen wir ihn vorausziehen, nahmen ein kleines Frühstück ein und folgten erst nach einigen Stunden. Wir folgten dem flachen Ekema-Tale, erreichten Qatrun nach etwa fünfstündigem Marsche und lagerten auf der Nordwestseite der Stadt, wo Bu 'Aischa bereits sein Lager aufgeschlagen hatte. Da wir voraussichtlich hier einige Tage in der Erwartung unserer Reisegefährten zu verbringen hatten, so hatte Bu 'Aischa nicht allein seine beiden großen einfachen, kegelförmigen Zelte aufgeschlagen, neben denen das meinige, das außer meinem Gepäck kaum zwei Personen zu beherbergen imstande war, sich schon äußerst armselig ausnahm, sondern prunkte mit dem prächtigen Paschazelte, mit dem ihn der tripolitanische Generalgouverneur ausgestattet hatte. Schon hier fühlte ich klar, daß es für mich unmöglich sein würde, in äußerem Auftreten mit meinem Gefährten zu konkurrieren. Bu 'Aischa hatte außerdem die natürliche Vorliebe der Araber für Prachtentfaltung.

Ich war froh, daß wir einige Tage in Qatrun bleiben mußten, denn mein kürzlich gekauftes Pferd begann mir schon im Beginne der Reise durch verschiedene Krankheitserscheinungen ernstliche Sorge zu machen. Der erfahrene Bu 'Aischa wurde konsultiert und belehrte mich, daß sein Zustand eine Folge allzu reichlicher Getreidenahrung sei, die auf der Reise stets vermindert werden müsse.

Während ich bisher die Ordnung, Mannszucht und Einigkeit unter den Marokkanern bewundert hatte, zeigten sich schon in Qatrun Spuren von Spaltungen in ihrem Kreise, die im Laufe der Reise sehr tief gehen und auch mich vielfach berühren sollten. Zwei junge Männer der Gesellschaft kamen zu mir mit der Erklärung, daß sie ihre Gefährten zu verlassen beabsichtigten, um nach Tripolis zurückzukehren und auf der Nordküste den Weg nach Mekka fortzusetzen, und mit der Bitte, von ihrem Scheich die Auslieferung einer ihnen gehörigen Fahne zu erwirken. Während ich mich vergeblich über die Gründe ihres Entschlusses ins klare zu setzen suchte, erschien der Hadsch Salih selbst in unserer Mitte. Er hielt die eindringlichste Rede, halb arabisch und halb berberisch, mit einer Beredsamkeit, welche mir gänzliches Schweigen auferlegte, bat sie flehentlich, zu ihm zurückzukehren, küßte sie wiederholt aufs Haupt und fesselte sich die Hände auf den Rücken. Ehrfurchtsvoll lösten jene die Bande, erhoben keinerlei Klage gegen ihn und waren ebensowenig zur Darlegung ihrer Gründe, als zur Änderung ihres Entschlusses zu bewegen. Selbst Bui Mohammed suchte sie mit einer Redefertigkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, zur Versöhnlichkeit zu bewegen, führte rührende Beispiele an, wie die heterogensten Elemente in einer Karawane durch ihren gemeinschaftlichen Zweck und die Nachgiebigkeit der einzelnen zusammengehalten würden, und lenkte ihren Blick auf die Kamele, die in größter Einigkeit zusammenreisten, und von denen nie eines allein gehen würde. Alles war vergebens.

Trotz dieses Zerwürfnisses gaben uns die Marokkaner am Abende desselben Tages eine höchst pittoreske Vorstellung zum besten. – Fünfzehn von ihnen, dem Alter und der Größe nach geordnet, in schneeweißen Kleidern, von denen die roten Gürtel und Bandeliere mit den glänzend geputzten, metallenen Dolchscheiden sich bei dem aufleuchtenden Feuer der ringsum unterhaltenen Holzbrände phantastisch abhoben, vollführten einen eigentümlichen Tanz zum Klange zweier Tamburins und einer Flöte und begleiteten denselben mit melancholischen Gesangsweisen und rhythmischem Händeklatschen. Ein Vortänzer gab die Tanzbewegungen an, die, erst langsam und feierlich, im weiteren Verlaufe von Minute zu Minute rapider und leidenschaftlicher wurden. Zwei fast gleichaltrige Knaben im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren, durchaus gleich gekleidet, mit Talismanen und Amuletten behängt, den Kopf mit weiß- und rotseidenen Tüchern umwunden, mädchenhaften Aussehens mit ihren langen, weißen Gewändern und den frischen Farben ihrer erregten Gesichter, lösten sich dann aus der Reihe der Tanzenden im Zustande höchster Erregung. Ein leises Zittern durchschauerte anfangs ihren zarten Körper, schien dann tiefer und tiefer ihr ganzes Wesen zu durchdringen, und zuletzt schwebten sie mit fast unsichtbaren Bewegungen der Füße auf dem Boden des Tanzplatzes hin und her, bis sie geisterhaft im Dunkel der Nacht verschwanden und nicht wieder zum Vorschein kamen. Der eigentümliche Kontrast zwischen den Physiognomien der Beteiligten, den ernsten und rauhen Zügen der meisten Männer neben den zarten Milch- und Blutgesichtern der Knaben in ihren hellen Kleidern, dem finster und geheimnisvoll blickenden, bronzefarbigen Moqaddem neben seinem Neffen und Vertrauten, einem blonden Jünglinge von fast deutschen Zügen, erschien durch die wechselnde Beleuchtung der lodernden Feuer noch phantastischer. Alles machte einen märchenhaften, zauberischen Eindruck, der mich bis tief in die Nacht hinein den Schlaf vergessen ließ.

Wir hatten am 29. April Qatrun verlassen wollen, wurden aber durch einen Wechselfieberanfall des Hadsch 'Abd er-Rahman an unserm Vorhaben gehindert. Ich benutzte diesen Aufschub, um mir noch ein zweites Zelt zum Schutze meines Gepäckes anzuschaffen, kaufte entsprechend meiner Armut ein altes und schlechtes für zwanzig Taler und mußte, charakteristisch genug für meine pekuniäre Ausrüstung, schon im Beginne der Reise eine so kleine Summe mit einer Anweisung auf Tripolis bezahlen. Bu 'Aischa aber nahm die Gelegenheit wahr, eine viel wichtigere Akquisition zu machen; er suchte und fand im Laufe des Tages eine passende Frau und verheiratete sich gegen Abend mit der den Landessitten entsprechenden Leichtigkeit, unter Assistenz zweier Murabidija als Zeugen und unter dem heiligenden Beten des Fatiha.

Im Beginne einer langen Wüstenreise findet eine größere Karawane stets große Schwierigkeiten, sich von den letzten Stationen bewohnter Gegenden loszureißen. Dem einen fehlt noch ein Lasttier, dem andern ein Teil seines Mundvorrates, und ein dritter hat noch ein unaufschiebbares Geschäft vor der Abreise abzuwickeln. So gelangten wir auch am 30. April nur bis Bachi.

Der Weg dorhin führte uns am ersten Tage durch die mir von früher bekannte sandige Gegend in achtstündigem Marsche nach Qasrauwa, wo, wie gewöhnlich, niemand hauste.

Noch trennten uns sieben Marschstunden von Tedscherri, welche wir am 2. Mai zurücklegten. Wir hielten uns auf dem westlichen Rande der Talniederung, zogen an dem »Schloß der wüsten Ebene« – Kasr Tuge Fraoma – vorüber und erreichten den nördlichen Dattelhain der Stadt.

Die spärliche Bevölkerung der Stadt, die bald vor uns auftauchte, hatte sich augenscheinlich Mühe gegeben, uns so festlich als möglich einzuholen. Zwei Trommeln, deren zersprungenen Fellen leider nur unvollkommene Töne entlockt werden konnten, leiteten den Zug ein, der größtenteils aus Frauen und Mädchen bestand. Ihre Art, uns zu begrüßen, gehörte schon südlicheren Gegenden an. Fast alle trugen Palmenblätter, Laubbüschel oder andere Gegenstände in der Hand, die sie, sich selbst in anmutigen, halb tanzenden Bewegungen hin und her wiegend, graziös schwangen.

So zogen wir unter dem Flintengeknall unserer Leute, den dumpfen Tönen der Pauke und dem Freudentriller der Frauen auf die Südseite der Stadt, wo wir unser Lager aufschlugen.

Von Tedscherri aus stand uns die erwähnte vegetationslose Strecke bis zum Bir el-Ahmar bevor. Für diese mußte ein Reisevorrat von Datteln und Kamelfutter mitgenommen werden, während der Gersteproviant für die Pferde sogar bis Kawar reichen mußte. Die Marokkaner suchten ihren Dattelproviant durch öffentliche Kunstleistungen zu erwerben, doch die Einnahme war eine so ungenügende, daß ich mich veranlaßt sah, ihren Vorrat zu vervollständigen. Der Hadsch Salih zeigte sich sehr dankbar, war meinen Leuten behilflich, wo er immer konnte, und erfreute mich von Zeit zu Zeit durch ein in heißer Asche gebackenes Gerstenbrot oder durch ein marokkanisches Fleischgericht, wenn etwa das Fleisch einer Ziege zur Verteilung gekommen war.

Einige Tage vor unserer Abreise trafen unsere letzten Reisegefährten ein, die Kaufleute Hadsch Zellawi und Bossarmi, beide von Tedaursprung, doch wohnhaft in Qatrun.

Sobald wir in südwestlicher Richtung das Gebirge östlich gelassen hatten, wendete sich der Weg mehr nach Süden und führte zwei Stunden nach unserm Aufbruche über eine unbedeutende Hügelreihe in die weite »rote Ebene«.

Wenn ich an die qualvollen Märsche während meiner Tibestireise dachte, so war ich herzlich zufrieden mit der etwas bequemen Fortbewegungsmethode, welcher wir uns hingaben, und an der ich oder vielmehr meine Leute zum Teil die Schuld trugen. Ich konnte machen, was ich wollte, meine Leute waren stets im Rückstände, brachen als die letzten vom Lagerplatze auf und kamen zu spät auf demselben an, oder die übrigen mußten bei hereingebrochener Nacht ihnen zuliebe lagern. Bui Mohammed war eben etwas langsam und bedächtig, und seine Gehilfen verstanden nicht viel mehr von Kamelen und ihrer Belastung als ich selbst.

Allmählich treten die Erhebungen zurück, während der Horizont von ihnen begrenzt bleibt, die Gegend wird freier, und nach langem Marsche stiegen wir gegen die Oase Jat hinab, deren dunkle Baumlinie wir erst in ihrer nächsten Nähe erblickten, da, wie alltäglich, ein heftiger Ostwind die Atmosphäre verschleierte. Wir fanden in der Oase keine Teda, welche sonst ein historisch begründetes Recht haben, von den Reisenden einen Durchgangszoll zu erheben, und lagerten an ihren zahlreichen Brunnenlöchern, welche Wasser in der Tiefe von nur einem Meter haben.

Da die folgende Station Jeggeba zwei ansehnliche Tagemärsche von Jat entfernt ist, so brachen wir, um womöglich die Pferde nur einmal aus den Wasserschläuchen tränken zu müssen, erst in der zweiten Tageshälfte auf.

Die Oase Jeggeba ist viel kleiner als die von Jat, etwa fünf Kilometer lang und zwei Kilometer breit, ist gerichtet wie diese, zeichnet sich ebenfalls durch viel Dumwuchs und Futtergräser aus, und ihre Brunnen enthalten schon in der geringen Tiefe von einem halben bis einem Meter ein sehr wohlschmeckendes Wasser.

Wir hätten am nächsten Tage sehr gut Kawar erreichen können, doch dann würden wir die Oase zu später Abendstunde unangemeldet und ohne festliches Gepränge betreten haben, was Bu 'Aischa wenig zusagte.

Wir waren langsam, das heißt mit häufiger Unterbrechung durch Rasttage, gereist, so daß wir der Erholung nicht sehr bedürftig waren. Nur die marokkanischen Knaben hatten mehr leisten müssen, als ihnen bei ihrem zarten Alter hätte zugemutet werden sollen und als selbst in den Verhältnissen lag. Ihr Moqaddem unterwarf sie einem so sparsamen Verbrauche von Trinkwasser, wie selbst kein Erwachsener der übrigen Karawane sich zumutete, und schmälerte ihnen die Ruhe auf den Lagerplätzen, indem er sie am meisten zu den Brunnenarbeiten und andern Leistungen heranzog. Infolge seiner Strenge und Härte trat eine tiefe Mißstimmung in seiner Gesellschaft mehr und mehr zutage; die Ordnung, Manneszucht und scheinbare Einigkeit beruhten bei den Kindern nur auf Furcht und bei den Erwachsenen auf ihrem ungewöhnlich ausgebildeten Gefühle der Zusammengehörigkeit. Der Knabe, welcher schon einmal bewußtlos zusammengebrochen und noch immer krank war, ritt zwar jetzt auf einem ihrer Kamele, bekam aber dafür desto mehr Schläge und um so weniger Wasser, denn wenn der Hadsch Salih auf Vorstellungen unsererseits über die Wasserentziehung im allgemeinen erwiderte, daß die Knaben sich an Entbehrungen gewöhnen müßten, so behauptete er im besonderen, daß derjenige, welcher der Bequemlichkeit des Reitens fröhne, überhaupt nicht berechtigt sei, Durst zu haben. Als auf dem Wege von Jeggeba nach Kawar das Kamel, auf dem der Knabe ritt, aus irgendeinem Grunde einmal niederknien mußte, und dieser aus Unachtsamkeit vornüber auf den Boden stürzte, so daß das Blut ihm aus der Nase strömte, hielt sein Chef diese Strafe durchaus nicht für genügend, sondern bearbeitete ihn in rohster Weise mit Fußtritten. Solche Szenen mehrten sich und gefährdeten unser kameradschaftliches Verhältnis ernstlich.

Jetzt erreichten wir das breite Tal von Kawar, das in der Gestalt eines sich nach Süden verlierenden Palmenwaldes vor uns lag. Während wir die Sammlung der Karawane erwarteten, legte Bu 'Aischa seine Festkleidung an, schmückte sich mit einem goldgestickten Gewehrgehänge von Samt und einem ähnlichen Gürtel mit Pulver- und Kugeltasche, hing einen Säbel mit kostbarem Griff um, der an einem dicken, aus roter Seide geflochtenen Bandelier hing, und hüllte Haupt und Schultern in einen Haik aus dem Dscherid, so daß ich mir ganz zerlumpt neben ihm vorkam, und mein Ansehen bei der Karawane und den Kawarleuten große Gefahr lief.

Sobald die Karawane sich gesammelt hatte, ließen wir unsere Pauke erschallen, die Reiter hielten sich zusammen, und die Fußgänger umschwärmten sie, ihre Gewehre schwingend und nach Herzenslust Pulver verknallend. Langsam und mit Würde vorrückend, stießen wir bald auf die spärlichen Einwohner des Dorfes, welche von zwei Reitern zu Kamel in schwarzer Sudan-Tobe und mit schwarzem Kopf- und Gesichtsschal angeführt wurden. Sobald wir diesen sichtbar geworden waren, setzten sie ihre Tiere in eine Art Galopp und erhöhten durch die unermüdliche Bearbeitung der Kamelflanken mit ihren Beinen den grotesken Anblick, den dies Tier bei dem ihm ungewohnten Laufen ohnehin schon gewährt. Ihre Gefährten rasselten dazu mit den Speeren und schlugen die Wurfeisen aneinander.

Die meisten waren dunkelfarbig, zeigten aber vorwaltend die scharf geschnittenen Tubuphysiognomien. Der weibliche Teil der Bevölkerung war entschieden der anmutigere. Die nervigen, männlichen Bewegungen der Frauen Tus kamen hier in gemilderter Form zum Ausdruck; das Negerblut, welches die Bewohner von Kawar durchdringt, fügte zur ursprünglichen Sehnigkeit und Geschmeidigkeit eine gewisse Weichheit und Anmut.

Unter unaufhörlichen Äußerungen einer festlichen Stimmung langsam vorrückend, erreichten wir nach einer kleinen Stunde das Dorf Anai, das mitten im Tale, am Fuße einer kurzen Reihe von Sandsteinfelsen liegt. Wir hatten ursprünglich nicht die Absicht gehabt, uns daselbst aufzuhalten, doch die Bewohner duldeten nicht, daß wir ihre Gastfreundschaft, deren wesentlichster Teil, das Mahl, bereits hergerichtet war, verschmähten. Der Genuß desselben – es bestand aus dem gewöhnlichen steifen Duchnbrei mit Meluchiasoße – wurde mir verannehmlicht durch die Zukost von kleinen grauen Feldtauben, an denen Kawar sehr reich ist, und von denen meine Leute viele erlegten. Die meisten Hütten waren nach Art derjenigen der Teda in Fezzan aus Palmblättern geflochten, doch in ihren Wandungen häufig durch dichte, aus Haifa- oder Dumpalmengestrüpp geflochtene Matten verstärkt; andere waren aus unbehauenen und unverbundenen Steinen nach der Tibestisitte, doch in viereckiger Form, aufgeführt.

Vom zweiten Dorfe Kawars, welches den Namen Anikumma führt, trennte uns nur die Entfernung einer kleinen Stunde, die am nächsten Morgen zurückgelegt wurde. Auch an ihm zogen wir nicht vorüber, denn Bu 'Aischa schien entschlossen, den Aufenthalt in der Oase so gut als möglich auszubeuten, die Huldigungen und die Gastmähler aller Dörfer entgegenzunehmen und überall nach der Gelegenheit möglichst wohlfeilen Kamelerwerbs, dessen er noch benötigt war, zu spähen. Die festliche Einholung hatte denselben Charakter, wie zu Anai, wurde jedoch noch feierlicher durch die Mitwirkung dreier Pauken und einer Trommel, auf deren Besitz die Einwohner stolz waren.

Schon zu Anai hatte ich erfahren, daß einige meiner Tibestibekannten in der Nähe seien, und je weniger der Groll gegen die Gesamtheit der Teda Tus aus meinem Herzen gewichen war, mit desto größerer Genugtuung erfüllte es mich, jenen hier im vollen Gefühle der Sicherheit und Unabhängigkeit entgegentreten zu können. In der Tat erschienen schon an diesem Tage gegen Abend der Sohn Temidomis und mein Retter Arami, teils, um uns zu begrüßen, teils und hauptsächlich, um Bu 'Aischa um seine Vermittlung bei den Aulad Soliman Kanems zur Auslieferung gefangener und geraubter Landsleute anzugehen, und um Briefe von ihm zu erbitten, mit denen sie nach Murzuq zu gehen beabsichtigten, um Frieden mit den gekränkten Fezzanern zu schließen. Sobald Arami diese Angelegenheiten mit unserm Scheich el-Qafila geordnet hatte und das Abenddunkel hereingebrochen war, kam er im Vertrauen auf die Dienste, welche er mir in seiner Heimat geleistet hatte, um in einer gegen früher allerdings gemilderten Form einige Geschenke von mir zu erpressen. Doch der Haß meiner Leute gegen ganz Tibesti und gegen alle Tubu war noch so tief und lebhaft, daß sie ihn, dem wir bei aller seiner Habsucht doch immerhin unsere Rettung verdankten, mit ausgesuchter Grobheit behandelten. Ich versuchte zwar, sie zur Ruhe und Vernunft zu bringen und versöhnliche Gespräche mit meinem Gaste anzuknüpfen, doch, da ich nicht in der Lage war, ihm Geschenke zu machen, so verließ er mich im Zorn und mit der Drohung, daß man, wenn es mich noch einmal gelüsten sollte, nach Tibesti zu kommen, summarischer mit mir verfahren werde. Ich gestehe, daß ich damals wirklich sehr wenig Neigung hatte, die Wahrhaftigkeit seiner Bemerkung auf die Probe zu stellen.

Um nach Dirki, der Residenz des Kawarherrschers Dunnoma, welche im westlichen Teile der Oase liegt, zu gelangen, marschierten wir in Südwestrichtung auf den von Eldschi erblickten See zu, hielten uns einige Zeit auf seinem südöstlichen Ufer und durchschritten dann einen dichten, schlecht gepflegten Palmenhain und endlich einen lichten Wald, in dem die Sajalakazie und der Sanat vorwalten. Bevor wir nach zwei kleinen Stunden die Hauptstadt erreichten, stießen wir auf die Einwohner, welche, angeführt von ihrem jugendlichen Dardai, uns einen der Bedeutung des Ortes entsprechend glänzenden Empfang bereitete.

Der junge Fürst und seine höchsten Würdenträger waren zu Pferde – im ganzen erblickten wir vier Reiter –, führten Spiele nach der Sitte der Araber auf und ließen dazu die kleine Anzahl ihrer Feuerwaffen knallen. Andere saßen auf Rennkamelen – Mahari pl. Mahari – und zeichneten sich in nicht geringem Grade durch ihre Reiterkünste aus. Besonders ein Mann, der, aufrecht in dem hoch auf dem Höcker befindlichen konkaven Reitsattel stehend, das Tier zu rasendem Laufe antrieb, ohne durch die ungleichmäßigen und stoßenden Bewegungen desselben das Gleichgewicht zu verlieren, rief durch seine vollendete Leistung unsere ungeteilte Bewunderung hervor.

Die Begrüßung vonseiten der Frauen war enthusiastischer und leidenschaftlicher, als in den zuvor berührten Ortschaften, und ihre Huldigungen, welche sie zwischen Bu 'Aischa und ihrem Häuptlinge teilten, schienen kein Ende zu nehmen. Allen rieselte der Schweiß von der Stirn infolge der Anstrengung und einer Hitze, die fast noch unerträglicher war als an den vorhergegangenen Tagen und das Quecksilber des Thermometers im dichten Baumschatten über 45° hinauftrieb.

Unter Anführung der uns einholenden Menge zogen wir an einem zweiten, kleinen und fast trockenen, Salzsee vorüber, der ein reineres Produkt liefert als der zuvor berührte und auf der Ostseite der Stadt liegt, und schlugen auf der Südseite dieser in einem lichten Palmenhain unser Lager auf. Gegen Mittag hatte die grenzenlose Hitze die neugierigen Bewohner der Stadt in ihre kühlen Behausungen getrieben und uns unter die schattigen Bäume zerstreut. Als sich dieselbe etwas gemildert hatte, unternahm ich eine Besichtigung der Stadt, welche die älteste und bedeutendste Kawars ist. Die Häuser sind sämtlich aus salzhaltiger Erde aufgeführt, ganz wie in den Städten Bornus in Straßen geordnet, und Reste der einstigen Erdmauer umgeben die Stadt. In der Ausdehnung übertrifft diese Qatrun, doch war sie infolge der häufigen Überfälle während der letzten Jahre ebenso entvölkert wie die übrigen Ortschaften der Oase.

Mit lebhafter Neugier trat ich am 7. Juni den Weg nach Bilma an, dem Bezirk jener unerschöpflichen Salzgruben, welche einen großen Teil der großen Wüste, fast ganz Bornu und die Haussastaaten mit ihrem kostbaren Inhalte versorgen. Diese veranlaßten einst die alten Kanemkönige zur Besetzung Kawars, lassen jetzt die Tuarik eifersüchtig über ihren Einfluß auf die Oase wachen und sollten eigentlich die türkische Regierung bewegen, in Kawar einen militärischen Posten zu errichten, dadurch die Straße nach Bornu zu beherrschen und sicher zu machen und die Ausfuhr des wichtigsten Wüstenproduktes in die salzarmen Länder des Sudan zu regeln. Wir fielen darauf in die Südrichtung der verflossenen Marschtage zurück, erreichten nach drei weiteren Stunden die Hauptortschaft für die Salzgewinnung, Kalala, und lagerten kurz darauf auf der Südseite von Garu, der eigentlichen Bilma-Stadt.

Schon fast eine Stunde, bevor wir die erstgenannte der beiden Ortschaften erreicht hatten, kamen uns etwa zwanzig Männer entgegen, unter denen drei auf Stuten ritten, welche eine große Aufregung unter unsern Pferden hervorbrachten. Wie die Pferde für einen gewissen Wohlstand sprachen, so auch ihre Kleider, unter denen die indigogefärbten Toben der Haussa-Staaten vorwalteten. Der physische Charakter dieser Leute schien ein vorwaltend sudanischer zu sein; man sah kaum noch Tubu-Gesichter unter ihnen.

Garu ist mit Dirki die einzige Stadt der Oase, d. h. sie ist mit Mauern versehen, die freilich kaum noch diesen Namen verdienen, und hat eine Ausdehnung, welche die Annahme einer Bewohnerschaft von etwa 2000 Seelen rechtfertigen würde. Bilma ist stets das erste Ziel aller räuberischen Überfälle. Dort sucht man salzholende Tuarik ihrer Kamele zu berauben, und dort finden die Räuber, wenn auch die Hoffnung auf fremde Kamele getäuscht wird, noch den meisten Besitz bei den Einwohnern.

Da die Gastmahlzeiten außerordentlich reichliche und für die bescheidenen Verhältnisse Kawars glänzende waren, so fanden viele Glieder unserer Karawane gern einen Vorwand in dem üppigen Aqulwuchs der Gegend, um mehrere Tage in Garu zu bleiben, obgleich wir mit der Zeit wahrlich Erholung von den gehabten Anstrengungen und Stärkung zu der noch bevorstehenden Reise in reichem Maße gehabt hatten.

Außer Salz und Datteln untergeordneter Qualität hat Kawar jetzt keine nennenswerten Bodenprodukte, obwohl sein leicht bearbeitbarer, nicht unfruchtbarer Boden und der Wasserreichtum desselben alles zur Ernährung der Einwohner Nötige in hinreichendem Maße liefern würde. Doch der Getreidebau ist durch die Tuarik, wie schon erwähnt, gehindert, und das Ländchen durch seine Bilma-Gruben und seine günstige Lage zwischen Bornu, Fezzan, Ahir und Ghat mehr auf den Handel angewiesen als auf Ackerbau. So sind die Einwohner denn auch beständig unterwegs nach den beiden Endpunkten der Straße, in deren Mitte sie wohnen, vermitteln einen Handel von Sudan-Produkten, die ihnen die Bornu-Karawanen zuführen, nach Ghat und unterhalten einen regen Verkehr mit Agades.

Am 10. Juni setzten wir entsprechend unserer Absicht die Reise fort, Bu 'Aischa zufrieden mit dem ehrenvollen Empfange, der ihm geworden war und noch befriedigter von den Reisevorräten, mit denen ihn die dankbaren Bewohner überhäuft hatten, wir übrigen froh, endlich vorwärtszukommen.

Wir feierten zu Zau Kurra das Geburtstagsfest des Propheten – Milad – durch einen Rasttag, an dem ein starker Südwind, der alles mit dicker Sandlage überzog und die Zelte zerriß, uns zu absoluter Ruhe verurteilte und keine lebhafte Äußerung einer festlichen Stimmung zuließ.

Obgleich auch der folgende Tag unter der Herrschaft dieses Windes stand, brachen wir kurz nach Mittag auf und bestanden noch einen siebenstündigen rastlosen und harten Kampf mit den in ununterbrochener Folge sich uns entgegenstellenden Dünenketten. Das war die Wüste, wie sie typisch in der Vorstellung der meisten Europäer lebt, aber glücklicherweise nur in einzelnen Gegenden erscheint und dann freilich bei Mensch und Tier die Anspannung aller Kräfte in Anspruch nimmt. Mühsam erklimmt man die Kette, um von der Höhe derselben aus eine unabsehbare Reihe von Hindernissen gleicher Art zu überblicken. Prüfend sucht man den leichtesten Übergang in der Hoffnung, daß der Sand, wie es hier und da der Fall ist, tragfähig sein möge. Doch tief sinkt das Kamel ein, und wenn es sich mühsam auf die Höhe der Kante gearbeitet hat, ist vielleicht der jenseitige Abfall so jäh, daß das ungeschickte Tier der Schwere seines Körpers und seiner Last keinen Widerstand zu leisten vermag und entweder selbst stürzt oder doch die Ladung in den Sand wirft. Oft genug muß das Tier entlastet werden, um die Schwierigkeit überwinden zu können, und der Mensch hat zu aller Mühe und Hitze noch die Gepäckstücke der Ladung einzeln an den Fuß der Düne zu schleppen.

Die Dünen wurden höher und schwieriger am Nachmittage des 13. und am Vormittage des 14. Juni und die von unserer Südrichtung abweichenden Zickzackbewegungen dadurch immer ausgiebiger und zeitraubender.

Der Abend entschädigte reichlich für die Qual des Tages. Dann schweigt der Sandwind; der unverhüllte Himmel erscheint klar und tiefdunkel und besät sich mit Gestirnen, deren Glanz wir in ähnlichem Grade bei uns nur in seltenen Winternächten zu bewundern Gelegenheit haben. Eine tiefe Ruhe lagert sich über den Schauplatz der mühseligen Tagesarbeit, des tosenden Windes und des wirbelnden Flugsandes. In wunderbarer Schärfe und Klarheit zeichnen sich die Konturen der mannigfach gestalteten Sandberge auf dem klaren Grunde der Atmosphäre; phantastisch überragt dazwischen ein dunkler Felsen die hellen Hügel; eine lichte Färbung am fernen Horizont verkündet den Aufgang des Mondes, der bald als silberne, glänzende Kugel durch den Äther schwebt, so leicht und heiter, daß man jeden Augenblick meint, er müsse eine schnellere, hüpfende Bewegung annehmen. Scharfe Lichter und Schatten bringen dann eine geheimnisvolle Mannigfaltigkeit in die vielgestaltigen Dünen, viel reicher und schöner, als das Licht des Tages es vermochte.

Das ist auch die beste Zeit zum Reisen, und wenn die Nacht nicht des nordischen Menschen Freund ist, so ist sie durch Mondenschein oder klaren Sternenhimmel, durch Kühle und Windstille der beste des Wüstenreisenden.

Wenn der Übergang von der vollständigen Wüste zur krautreichen, doch baumlosen Steppe sich ganz allmählich vollzogen hatte, so änderte sich nun, wo wir die Nordgrenze der regelmäßigen Sommerregen überschritten, der landschaftliche Charakter plötzlicher und wesentlicher.

Die spärlichen Baumgruppen der Steppe haben hier einem fortlaufenden, lichten Walde Platz gemacht, in dem zwar die stachligen Akazien noch vorwalten, doch neben diesen treten auch bisher nicht gesehene, stolzere, schatten- und laubreichere Bäume auf.

Welch malerische Gruppen, welcher Reichtum der Färbung, welche Mannigfaltigkeit der Formen! Mit inniger Lust weilt das Auge des Wüstenwanderers auf diesen Schöpfungen der Natur, deren Genuß ihm durch den Gegensatz zu der toten Welt, die hinter ihm liegt, ins Unendliche vervielfältigt wird.

Wir betraten diese Gegend unter den günstigsten Verhältnissen. Die beginnende Regenzeit und die Nähe des Tsad-Sees schmückten die Gegend mit ihren schönsten Reizen.

Inmitten dieser herrlichen Natur fühlten wir uns selbst neubelebt, von fröhlicher Hoffnung erfüllt und marschierten am 25. Juni ohne das Gefühl der Ermüdung morgens sieben und nachmittags acht Stunden bis in die Nacht hinein durch eine fortlaufende Reihe anmutiger, kesselförmiger, flacher Täler, an deren Reizen wir uns nicht satt sehen konnten.

Wir näherten uns dem Tsad-See in südlicher Richtung; der Wald ward lichter, und nach zwei Stunden waren wir in nächster Nähe unseres Zieles angekommen. Erwartungsvoll suchten unsere Blicke die Waldung zu durchdringen und den berühmten See oder das erste Negerdorf zu entdecken. Da zeigten sich wenigstens die ersten Zeichen naher Ansiedlungen in weidenden Haustieren, prächtigen Rindern, welche uns ihre Anwesenheit durch gemütliches Brüllen, wie ich es schon seit Jahren nicht gehört hatte, verrieten, noch ehe sie uns selbst zu Gesicht kamen.

In den Anblick dieses Bildes versunken, verharrten wir eine geraume Zeit auf der Sandhöhe, ohne daß, zur großen Enttäuschung meines ehrsüchtigen Reisegefährten Bu 'Aischa, jemand gekommen wäre, uns festlich zu begrüßen und einzuholen. Nachdem wir vergeblich erwartet hatten, daß unser Anblick die etwa vorbereiteten Festlichkeiten zur Betätigung bringen würde, mußten wir uns endlich entschließen, in die Ebene hinabzusteigen und unser Lager aufzuschlagen. Erst als dies geschehen war, erschien der Chef des nördlichsten Bornu-Distrikts, begrüßte uns im Namen des Scheich 'Omar, schilderte, wie dieser seit lange erwartungsvoll unserer harre, fragte nach den Neuigkeiten aus Fezzan und Tripolis, sprach über die politischen Ereignisse der Sudan-Länder, die zu erwartende Ernte und die Getreidepreise, und zog sich dann zurück, um die übliche Gastmahlzeit vorzubereiten.

Ich nahm diese Mußezeit wahr, um neugierig der nächstgelegenen Stelle des Sees zuzueilen, von der zwar der harmlose Elefant verschwunden war, wo sich aber zwanzig bis dreißig andere Dickhäuter, die in der Landessprache Ngurutu genannten Flußpferde, fröhlich im Wasser tummelten. Neugierig und unbekannt mit der Mordlust und Zerstörungskraft zivilisierter Menschen kamen sie furchtlos in die unmittelbare Nähe des Ufers, und ich hütete mich wohl, ihre heiteren Spiele zu stören. Metallische Geräusche gefielen ihnen augenscheinlich sehr, und selbst wenn alle sich zurückgezogen zu haben schienen, konnte man sicher sein, sie durch die Behandlung eines kupfernen Kessels als Trommel von allen Seiten zu musikalischem Genüsse herbeischwimmen zu sehen. Giuseppe hatte leider nicht dasselbe harmlose Vergnügen an ihren Spielen, sondern sendete einem derselben eine Kugel in den mächtigen, aufgesperrten Rachen. Zum Tode getroffen zog sich das arme Tier in das ferne Schilf des Wassers zurück, und die heitere Gesellschaft verschwand.

Die Bewohner Ngigmis, welche dem Kanembu-Stamme der Tomaghera angehören, zögerten nicht, ihre Neugierde zu befriedigen. Besonders die Frauen kamen und gingen mit großer Regsamkeit und hatten bald einen lebhaften Markt in unserm Lager geschaffen. Sie boten Hühner, Zwiebeln, getrocknete Fische, Milch, sowohl frische als säuerliche und eingedickte, Erdnüsse, schlechte Wassermelonen, Tabak, flüssige Butter, Baumwollensamen, Sudanpfeffer, Indigo und dergleichen feil, zu Preisen, welche nach unsern Begriffen zwar beispiellos billig, doch nach dortigen Verhältnissen ziemlich teuer waren. In Erwartung der Mahlzeiten und Gastgeschenke an Rindern und Schafen von Seiten des Kazelma begnügten sich die Glieder der Karawane damit, ihrem Fleischbedürfnisse durch den Ankauf von Hühnern Rechnung zu tragen, von denen das Stück ein halbes Dutzend Glasperlen oder drei bis vier Nürnberger Stopfnadeln kostete.

Die Männer waren von dunkler Hautfarbe verschiedener Intensität, die meist etwas ins Rötliche spielte, schlank und wohl gewachsen, und erinnerten mich durch ihre oft recht wohlgebildeten Gesichter vielfach an die Tubu-Physiognomien, wie auch ihr Stammname Tomaghera eine gewisse Verwandtschaft zwischen Kanembu und Tubu ahnen ließ. Die Frauen waren, soweit sie den Kanembu angehörten, schlank, doch von runderen Formen und weicheren Gesichtszügen als die Vertreterinnen des schönen Geschlechts in Tibesti, und ihre Hautfarbe hatte ebenfalls einen rötlichen Schimmer. Sie hatten die beiden oft erwähnten Schals um Schultern und Hüften geschlagen, und trugen das Haar auf der Höhe des Kopfes in dünne, kurze Flechten geordnet, während die Schläfen und der größere Teil des Hinterhauptes sauber rasiert waren.

Schon in erster Morgenfrühe des folgenden Tages erschienen die Ortsvorsteher Ngigmis, recht höfliche und bescheidene Leute, um ihre Aufwartung zu machen. Bald darauf entledigte sich der Kazelma seiner Bewirtungspflicht, und zwar gegen mich durch Ubersendung einer Schlachtkuh und einer auf einige Tage zureichenden Menge Grünfutters für das Pferd.

Schon tags zuvor hatten sich nach morgendlichem Südwestwinde gegen Abend im Osten und Südosten dichte Regenwolken angesammelt, welche sich aber schließlich doch wieder zerstreut hatten. Am folgenden Tage wiederholte sich derselbe schwache Südwestwind während der ersten Tageshälfte und dieselbe drohende Anhäufung von Gewitterwolken im Osten am Nachmittage; plötzlich erhob sich ein heftiger Sturm, der trotz der Aufbietung aller unserer Kräfte mein Zelt zu Boden warf und von einem Regen tropischer Kraft und Fülle gefolgt war, der uns in einen überaus kläglichen Zustand versetzte.

Obgleich die Nacht, welche dem Unwetter folgte, im allerhöchsten Grade unerquicklich gewesen war, und der Regen unser Gepäck gründlich durchnäßt hatte, so war doch der Wunsch, sobald als möglich Kuka zu erreichen, allzu lebhaft in uns, als daß wir nicht am folgenden Tage die Reise hätten fortsetzen sollen.

Der 1. Juli führte uns in fünfstündigem Marsche und südsüdöstlicher Richtung durch den allmählich lichter werdenden Wald, in dem außer Akazien und Seifenbäumen der Siwak-Busch noch immer eine Hauptrolle spielt, und zum Teil auf dem niedrigen Dünenzuge, der hier und da wieder hervortritt, nach Barua. Die Residenz des Kazelma ist am Fuße der Dünen, zum Teil auf mächtigen Schutthaufen, von deren Höhe man selbst da, wo sie die Ortschaft überragen, den See nicht erblicken kann, erbaut.

Gegen Abend stattete ich dem Kazelma einen Besuch in seiner Wohnung ab, erfreute mich an dem lebhaften Treiben auf den kleinen Plätzen und in den regellosen Straßen der Stadt und empfing wieder die besten Eindrücke von der Bevölkerung durch die wohlwollenden, naive Verwunderung bekundenden Begrüßungen der Erwachsenen und das zutrauliche Benehmen der kleinen, nackten Kinder. Die Einwohner sind ebenfalls zum größeren Teile Kanembu und haben, wie die von Ngigmi, eine große Furcht vor den Uberfällen der Tuarik, denen sie sogar eine Art von Tribut, der hauptsächlich aus Fischen besteht, bezahlen, um einigermaßen Frieden und Sicherheit zu haben.

Am übernächsten Morgen früh wurde das Reitpferd Bu 'Aischas, das ich seiner Ausdauer und seiner gleichmäßigen, gestreckten Gangart wegen oft bewundert hatte, tot gefunden, ohne daß eine andere Ursache des Todes hätte gefunden werden können, als übermäßiger Getreidegenuß am vorhergehenden Tage. Während wir noch beschäftigt waren, den unangenehmen Zufall zu diskutieren, kam ein kleiner Trupp arabischer Reiter, um uns teils im Namen des Scheich 'Omar, teils aus persönlicher Höflichkeit zu begrüßen. Der offizielle Bote des Scheich war Mohammed et-Titiwi. Er stand in hoher Gunst beim Scheich und war der anerkannte Vertreter aller nordischen Fremden, welche nur durch ihn mit dem Könige verkehren konnten.

In dem Briefe, den ich von Ngigmi aus an den Scheich 'Omar gerichtet hatte, war die Bitte ausgesprochen, mir das »Christenhaus«, in dem schon Barth und Overweg und später auch Rohlfs gewohnt hatten, zum Aufenthalte herrichten zu lassen. Ich war sehr unangenehm berührt, auf meine Nachfrage vom Titiwi zu hören, daß jenes Haus in sehr baufälligem Zustande und nicht geeignet sei, mich aufzunehmen; noch mehr aber, daß man bei der allgemeinen Aufregung über die bevorstehende Ankunft eines Gesandten des Emir el-Mumenin nicht daran gedacht hatte, eine solche herrichten zu lassen.

Mit den Grüßen des Scheich überbrachte sein Bote ein Bewillkommnungsgeschenk in Gestalt eines Körbchens frischer Guro-Nüsse, welche als ein Zeichen besonderen Wohlwollens gelten, und eines mit den landesüblichen Süßigkeiten Nakia und Dendokalia gefüllten Ledersäckchens. Die letzteren werden aus Reis- und Getreidemehl, mit Butter, Honig und Gewürzen bereitet und gewöhnlich zu größeren und kleineren Kugeln geformt, die sich durch die aufbewahrungsfähige Butter, das Gewürz und die äußere Kruste, welche sich bildet und den Luftzutritt behindert, lange halten. Das uns übersendete Gebäck schien von sehr respektablem Alter zu sein, denn es war allmählich ganz ausgetrocknet und von kleinen, holzwurmähnlichen Insekten nach allen Richtungen zerfressen.

Unser Weg führte in Südrichtung, zuweilen mit östlicher Abweichung, durch lichte Waldung, die hier und da von Ackerfeldern und unbedeutenden Dörfchen unterbrochen war. Mehrmals stießen wir gegen Morgen auf Tierhürden – Beri – mit Dorneinfriedigungen und ansehnlichen Rinderherden, und der Titiwi versäumte nicht, jedesmal von den Hirten einen Morgentrunk frischer Milch für uns zu requirieren.

Einige Stunden brachten uns am nächsten Morgen nach Dauergo, einem elenden, auf einem Hügel gelegenen Dörfchen, wo wir bereits einige Leute aus Kuka in der Erwartung unserer Ankunft vorfanden.

Der Titiwi hatte die Aufmerksamkeit gehabt, mir leihweise ein anständiges Zelt zu schicken, um mir die Schande des meinigen, das klein, alt und zerrissen war, zu ersparen, und ich legte, entsprechend den allgemeinen Vorbereitungen, meine beste Kleidung an, welche die eines tripolitanischen oder fezzanischen Städtebewohners war. So erschien ich, der Christ, sonderbarerweise in einer Tracht von Muselmanen, während Bu 'Aischa, der an diesem feierlichen Tage als Sendbote des Großsultans die europäische Uniform eines türkischen Zivilbeamten trug, seiner Kleidung nach für einen Christen hätte genommen werden können. Mein Reisegefährte war natürlich der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.

Ich erhielt zwar die Besuche dieser Herren in zweiter Linie ebenfalls, trat aber doch im ganzen sehr in den Hintergrund. Ansehen und politische Macht in den mohammedanischen Mittelmeerländern verleiht den Europäern im Innern Nordafrikas, soweit die Verbindung mit der Küste reicht, noch ein gewisses Ansehen, welches der innerlichen Verachtung, mit der dieselben als Christen betrachtet werden, einigermaßen das Gleichgewicht hält. Neben dem Vertreter des allmächtigen Stambul konnte dasselbe mir nicht zugute kommen, und selbst die Seltenheit der Erscheinung eines Europäers, welche meinen Vorgängern das Interesse von Herrscher und Volk gesichert hatte, vermochte nicht, die allgemeine Aufmerksamkeit in erwünschter Weise auf mich zu lenken.

Nur ein Besuch war ausschließlich für mich bestimmt. Im Laufe des Vormittags stieg ein höchst drolliges Individuum, einem Nußknacker in der kurzen, gedrungenen Gestalt und dem großen Munde nicht unähnlich, vor meinem Zelte vom Pferde, gefolgt von einem Sklaven, der durch seinen scharlachroten, europäischen Tuchleibrock in Verbindung mit der weiten blauen Sudanhose und der Hemdlosigkeit einen noch lächerlicheren Eindruck machte. Der erstere nannte sich Dunkas und führte sich mit erstaunlichem Wortschwall als »Christensklav« bei mir ein, der einst dem bekannten Doktor Eduard Vogel angehört habe. Er sei mit diesem als Knabe nach Jakoba und Adamawa gereist und, als derselbe später seinen Weg nach Wadai genommen habe, im Hause des schon aus Barths Reisen bekannten Lamino zurückgelassen worden. Dunkas nahm zwar den Mund sehr voll, schien aber übrigens ein höchst gutmütiger, junger Mensch zu sein, der seinem unglücklichen christlichen Herrn das wärmste Andenken bewahrte.

Abends erschien ein langer Zug von Sklaven aus dem Haushalte des Scheich, welche die übliche Mahlzeit herbeitrugen, wohl fünfzig oder sechzig Schüsseln, von denen zehn vor meinem Zelte niedergesetzt wurden, während Bu 'Aischa die übrigen verteilte.

Der nächste Tag war für uns ein Tag voller Aufregung, denn an ihm sollte unser festlicher Einzug in die Hauptstadt stattfinden. Bald stießen wir auf die angesehensten Araber und Fremden der Stadt, unter denen der eigentliche Chef der nordischen Araber ein Uled Solimani von altem Schrot und Korn war. Er hatte das wilde Räuberleben der jetzigen Generation seiner Stammesgenossen schon lange mit der friedlichen Existenz in der Hauptstadt Kuka vertauscht, wo er Scheich el-'Arb und Kokena oder Mitglied des Großen Rates war. Wie er sich mit dem gottlosen Treiben seines Stammes nicht hatte befreunden können, so hatte er sich aber leider auch nicht in das Leben der hauptstädtischen und höfischen Intrigen zu finden gewußt und war in Einfluß und Vermögen von schlauen Strebern, wie dem Titiwi und andern, weit überholt worden.

Der Titiwi brachte die Nachricht, daß der Scheich seinen ältesten Sohn und mutmaßlichen Thronfolger Aba Bu Bekr mit glänzender Suite zu unserer festlichen Einholung beordert habe. Bald kamen wir in Sicht der dichten Menge der Eingeborenen, deren Mittelpunkt der Prinz auf einem Sandhügel einnahm, und vermochten allmählich die Einzelheiten des bunten, farbenreichen und lebensvollen Bildes zu erkennen.

Auf dem freigehaltenen Raume vor dem Prinzen hielt sich flintenbewaffnetes Fußvolk, das durch die denkbar sonderbarste Uniformierung den Charakter einer regelmäßigen Truppe gewinnen sollte und doch nur in der groteskesten Weise von der landesüblich gekleideten Menge abstach. Die Leute steckten in engen Jacken und Beinkleidern europäischen Schnittes und verschiedenster Farbe, welche entweder fertig von der Nordküste gekommen waren oder die Leistung eines nach Bornu verschlagenen nordischen Schneiders zweifelhafter Kunstfertigkeit bildeten. Vielleicht hatten ursprünglich die einzelnen Farben verschiedene Abteilungen der bewaffneten Macht kennzeichnen sollen; jetzt waren aus dem Vorrate die einzelnen Kleidungsstücke den Individuen je nach Bedürfnis zugeteilt worden, und so trug der eine eine rote Jacke und gelbe Beinkleider, ein anderer eine gelbe Jacke und grüne Beinkleider, während ein dritter halb blau und halb rot gekleidet war und einem vierten vielleicht nur eine farbige Jacke zu dem weißen Beinkleid von landesüblichem Schnitt zuteil geworden war. Dazu waren die meisten Uniformstücke zu klein ausgefallen, so daß das Beinkleid entweder nicht die Jacke erreichte oder schon weit oberhalb der Fußknöchel endigte oder daß die Kürze der Ärmel den weit über sie hinausragenden Armen den Anschein affenartiger Länge verlieh. Die Leute waren übrigens bestrebt, durch reichlichen Pulververbrauch ihrem Stande Ehre zu machen und die Feierlichkeit des Augenblicks zu erhöhen, und wurden darin höchstens von unsern Leuten übertroffen.

In der nächsten Umgebung des Prinzen hielten sich reichgekleidete Würdenträger in verschiedenfarbigen, goldgestickten Tuchburnussen und ebensolchen seide- oder goldgestickten, weiten Beinkleidern, im roten Tarbusch mit oder ohne Turban, mit verhülltem oder offenem Gesicht, auf edlen Pferden mit arabischen Sätteln und Bügeln.

Auf diese Herren folgten Panzerreiter, teils solche, welche ein maschiges Metallhemd und einen metallenen Helm mit vorspringenden Visierstangen, zuweilen auch Armschienen trugen, teils und vornehmlich solche, welche in weniger kriegerisch aussehende, unbehilfliche Wattepanzer gekleidet waren. Diese letzteren bestehen in so umfangreichen, wattierten und gesteppten Röcken, daß der Körper vollständig in ihnen verschwindet, und sind so dick und fest durchnäht, daß der Inhaber jeder freien Bewegung beraubt ist. Dazu gehört eine ähnliche Kopfbedeckung, und womöglich werden auch die Pferde in gleicher Weise ausgerüstet. Schwere Watteumhüllungen umgeben den Hals und den Körper der Tiere bis auf die Füße, und ihr Gesicht wird durch eine drei bis vier Zoll breite, leicht gepolsterte Messingplatte geschützt, welche einen stumpfen Winkel bildet, um der Haut des Tieres nicht aufzuliegen. Um diese Rüstung und den schweren Reiter zu tragen, müssen die stärksten Pferde ausgesucht werden, denn für einen solchen Krieger beruht in kritischen Lagen das Heil in der Kraft und Schnelligkeit seines Pferdes; er selbst wird ohne dasselbe durch seine Unbehilflichkeit durchaus unfähig zum Angriff wie zur Verteidigung. Im Kampfe muß womöglich jeder in dieser Weise Gepanzerte einen Fußgänger zur Seite haben, der beim Falle oder Tode des Pferdes den Reiter so schnell als möglich von seiner hinderlichen Hülle zu befreien sucht. In diesen Panzerreitern, welche als Waffen die Lanze und meist ein kurzes, breites Schwert führen, beruht die Hauptreitermacht des Landes, und jeder Würdenträger sucht aus seinen berittenen Sklaven so viele als möglich mit Wattepanzern zu versehen.

Als wir uns dem Prinzen auf etwa zwanzig Schritte genähert hatten, wurden wir angewiesen, vom Pferde zu steigen, um den Vertreter des Herrschers zu begrüßen. Während wir auf ihn zugingen, vollführte eine Musikbande mit dumpfdröhnenden Paukenschlägen, regellosem Trommelwirbel, schrillen Pfeifen, schnarrenden Antilopenhörnern, in tiefem Baß ertönenden, langen Posaunen aus Holz oder Metall und kreischenden Dudelsäcken ein sinnverwirrendes und ohrenzerreißendes Getöse. Aba Bu Bekr war von fast schwarzer Hautfarbe, wenig edlen Zügen, spärlichem Bart um Kinn und Wangen, hatte eine ansehnliche Gestalt und schien in der zweiten Hälfte der Dreißiger zu stehen. Nachdem er uns freundlich in arabischer Sprache und mit Händedruck willkommen im Lande seines Vaters geheißen, sich nach der zurückgelegten Reise und nach unserer Gesundheit kurz erkundigt hatte, stiegen wir wieder zu Pferde, und der Zug setzte sich in Bewegung unter dem Getöse der Musik, dem Geheul der Menge und unaufhörlichem Pulvergeknall.

Soweit das Auge reichte, wimmelte die Ebene von Neugierigen; niemand schien in der Hauptstadt zurückgeblieben zu sein. Diese suchte mein Auge, über die einförmige Ebene schweifend, anfangs vergeblich.

Als das frühere Kuka zu Ende der vierziger Jahre durch den König Mohammed Scherif von Wadai zerstört worden war, hat es Scheich 'Omar in Gestalt zweier Städte wieder aufgebaut, von denen er mit seinen Beamten und Sklaven vorwaltend die östliche bewohnt, während die westliche vorzugsweise dem Volke und den Fremden zum Aufenthalte dient.

Wir betraten den weiten Zwischenraum, der die Schwesterstädte trennt und in seinem nördlichen Teile wenig bebaut ist, während der südliche ein fast ebenso dichtes Häusergewirr enthält, als die Städte selbst, und hielten bald darauf unsern Einzug in die östliche oder Königsstadt durch das westliche Tor ihrer Umschließungsmauer, während die Kamele mit den nötigen Dienern in die uns bestimmten Quartiere der Weststadt geschickt wurden.

Von dem Tore führte ein gerader Weg, der in seiner Breite mehr einem Platze als einer Straße ähnlich sah, nach Osten gerade auf den Palast des Scheich zu.

Vor der Königswohnung, die sich durch ihre Ausdehnung, ein oberes Stockwerk und einige turmähnliche Aufsätze vor den übrigen Häusern auszeichnet, stellten wir uns auf, und Flintenknallen und Getöse erreichten hier ihren höchsten Grad. Scheich 'Omar, der hinter schießschartenähnlichen Fensteröffnungen des oberen Stockes fremde Ankömmlinge und Festaufzüge zu betrachten pflegt, blieb uns unsichtbar.

Nach einiger Zeit betrat Aba Bu Bekr das Innere des väterlichen Palastes, bald folgte ihm der Titiwi, und endlich wurde auch Bu 'Aischa gerufen, der nach kurzer Zeit, mit einem scharlachroten, goldgestickten Tuchburnus behängt, wieder heraustrat. Wenn ich auch eine gewisse Zurücksetzung neben meinem Reisegefährten erwartet hatte, so fühlte ich es doch als eine Schädigung des europäischen Ansehens, daß ich nicht ebenfalls sofort zur Begrüßungsaudienz geladen wurde. Der gutmütige Bu Alaq, Mustafa Tufairi und andere taten ihr Möglichstes, mich zu beruhigen, doch ich zog mich grollend in die mir bestimmte Wohnung der Weststadt zurück, begleitet vom Titiwi, der sich in Entschuldigungen und Bitten um Verzeihung erschöpfte, ohne daß ich in der Laune war, darauf zu antworten.

Der Titiwi kehrte indessen eiligst zum Scheich zurück, setzte denselben von meiner Stimmung in Kenntnis, und kaum hatte ich meine Rast beendigt und etwas Toilette gemacht, als auch schon ein Bote aus dem Palaste kam, mich zur Audienz zu laden.

Mein Hausherr und Gastfreund Ahmed Ben Brahim holte mich zu derselben ab und machte mir damit gleichzeitig seinen Bewillkommnungsbesuch.

Während ich andere Personen, welche bei Hofe zu tun hatten, ihrem Range entsprechend in größerer oder geringerer Entfernung von des Königs Wohnung absitzen sah, gestattete uns die hohe Stellung meines Wirtes und meine eigene Bedeutung, hart an der Eingangstür derselben vom Pferde zu steigen.

Wir überschritten einen länglichen Hof und gelangten durch ein Durchgangs- und Wartezimmer in einen unbedachten Raum, in welchem aus Siggedi und einer dicken Lage ungeflochtenen Sukkostrohs eine gegen Sonne und Regen in gleicher Weise schützende Halle für Wartende errichtet war.

Von hier aus wurde unsere Ankunft dem Könige gemeldet, und bald darauf betraten wir durch einen andern Vorhof, in dem sich einige Eunuchen und Sklaven aufhielten, das eigentliche Rats- und Audienzgebäude. Dieses enthielt einen Raum, der nicht von außergewöhnlicher Größe war und durch eine doppelte Reihe mächtiger, viereckiger, sich nach oben etwas verjüngender Säulen, auf denen einheimische Kunst einige lineare Verzierungen angebracht hatte, noch kleiner erschien. Ohne Tür und Zwischenwand gelangten wir in einen Ausbau dieses Saales, von dem man einen Teil des letzteren übersehen konnte und der zu meinem Empfange bestimmt war. Sein Fußboden war mit Teppichen belegt und seine grauen Tonwände mit bunten Stoffen der verschiedensten Muster ausgeschlagen. Eine hübsche, eiserne Bettstelle europäischer Fabrikation und ein roh gezimmerter hölzerner Lehnstuhl bildeten mit einer Bank, welche durch eine Matratze, Teppiche und Kissen zu einem Diwan hergerichtet war, das Mobiliar des kleinen Raumes.

Auf der Bank saß mit untergeschlagenen Beinen der Scheich 'Omar Ibn el-Hadsch Mohammed el-Amin el-Kanemi. Er trug einen einfachen Tuchburnus über weißen Bornu-Gewändern und einen kunstvoll geschlungenen, weißen Turban von ansehnlicher Größe, der jedoch bei weitem nicht die kolossalen Dimensionen hatte, welche nach Denhams Beschreibung früher am Bornu-Hofe für vornehme Herren von der Sitte gefordert wurden. Vor ihm auf dem Diwan lag sein Königsschwert, neben ihm auf einem Kissen ein mit Silber ausgelegter Karabiner, und am Boden vor ihm standen gelbe, nach tunisischer oder tripolitanischer Sitte gearbeitete Pantoffeln. Seine Füße waren mit weißen Strümpfen bekleidet, und eine Tour des Turbans hatte er nach der Sitte seiner Vorfahren als Litam über Mund und Nase geführt. Seine ganze Erscheinung war die eines wohlhabenden Fezzaners, erinnerte durch die Einfachheit der Kleidungsstücke in Farbe und Verzierung an seinen religiösen Charakter und zeichnete sich durch die höchste Sauberkeit aus. Er schien ein Mann mittlerer Größe, von runden Formen zu sein, war von durchaus schwarzer Hautfarbe, vollem Gesichte und, als er die verhüllende Turbantour entfernte, von überaus freundlichem Ausdruck seines intelligenten Gesichtes. Dabei zeigten die einzelnen Teile desselben nichts von den Mißverhältnissen, mit denen man sich die Neger vorzustellen liebt, und Nase, Mund und Backenknochen waren, wenn nicht edel und hübsch, so doch ziemlich regelmäßig geformt und angeordnet. Sein fast faltenloses Antlitz gab ihm den Anschein eines starken Fünfzigers; doch sein spärlicher, weißer Bart und sein fast zahnloser Mund mit den schrumpfenden Kiefern und der undeutlichen Sprache ließen ihn älter erscheinen. Er stotterte in seiner freundlichen Weise vielmals: »Willkommen!« und »Lob sei Gott!«, erkundigte sich nach der zurückgelegten Reise, nach den Verhältnissen in Fezzan, Tripolis und Konstantinopel, fragte nach meinem Lande und Könige und erzählte von Heinrich Barths und Gerhard Rohlfs Besuchen in Bornu und seiner Freundschaft für dieselben.

Um meine Stellung zu klären und mein Ansehen zu wahren, benützte ich diese Gelegenheit, ihm zu schildern, mit welcher Freude ich dem Auftrage meines Herrn und Königs nachgekommen sei, zu ihm, dem mächtigsten Sudan-Fürsten, zu reisen, der meinen Landsleuten stets eine wahrhaft königliche Freundschaft und die edelmütigste Unterstützung gewährt habe, und wie ich leider durch den mir zuteil gewordenen Empfang arg enttäuscht worden sei. Ich könne die am Vormittage erfahrene Vernachlässigung nicht auf meine Person beziehen, welche keinerlei Ansprüche erhebe, sondern müsse dieselbe in Anbetracht des Zweckes meiner Sendung als einen Mangel an Aufmerksamkeit gegen meinen König, den mächtigen Herrn von Norddeutschland, empfinden.

Der verlegene alte Herr erwiderte, daß durch ein Mißverständnis mein Brief von Ngigmi erst vor einigen Stunden in seine Hände gelangt sei, er also Zweck und Charakter meiner Reise nicht gekannt habe, daß er aber trotzdem für den begangenen Fehler um Verzeihung bitte und wohl versichern könne, daß ihm nichts ferner liege, als Gäste und besonders Sendboten meines Landes beleidigen zu wollen, dessen Söhne und Vertreter er seit Jahren kennen und schätzen gelernt habe.

Schon am Tage darauf sollte die feierliche Überreichung der Geschenke König Wilhelms stattfinden. Ich hätte gern die offizielle Übergabe derselben noch um einen Tag hinausgeschoben, um die einzelnen Gegenstände, welche ich seit meiner Abreise von Tripolis ihrer sorgfältigen Verpackung wegen nicht mehr untersucht hatte, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Doch die Neugierde des Scheich duldete keinen Aufschub; ich fand nur gerade Zeit genug, die Kisten zu öffnen und mich durch einen oberflächlichen Blick von dem intakten Zustande ihres Inhalts zu überzeugen. Nur die Zündnadelgewehre nahm ich heraus, um sie einzuölen und um Giuseppe Valpreda, der bei der Übergabe ihren Gebrauch erläutern sollte, in ihrer Handhabung zu üben. Das unförmliche Gehäuse, welches den Glanzpunkt der ganzen Sendung, den Thronsessel, barg, wagte ich überhaupt nicht zu öffnen, um seinen Transport in den Königspalast nicht zu erschweren, und war also der Befürchtung nicht überhoben, daß die Motten, welche in Fezzan während meiner Reise nach Tibesti eine vollständige Vernichtung meiner wollenen Kleidungsstücke angerichtet hatten, dieses wichtige Geschenk geschädigt haben möchten. In Verlegenheit setzte mich der Zustand des Harmoniums, das wir in Tripolis den von Berlin gekommenen Geschenken hinzugefügt hatten und das infolgedessen weniger gut verpackt gewesen war. Dasselbe hatte durch den langen Transport und die trockene Wüstenluft so gelitten, daß man ihm nur ganz vereinzelte, heisere Töne zu entlocken vermochte. Wenn ich auch nicht zu befürchten hatte, daß die künstlerischen Anforderungen Scheich 'Omars sehr hochgehende sein würden, so zweifelte ich doch sehr, ob Giuseppes Geschicklichkeit hinreichen würde, das Instrument für die königlichen Ohren auch nur leidlich funktionsfähig wieder herzustellen. Ein weiteres Bedenken bezog sich auf die lebensgroßen Bildnisse des Königs, der Königin und des Kronprinzen, welche mit den Anschauungen des Islam einigermaßen in Widerspruch standen, und besonders auf eine Stutzuhr, deren Hauptzierde, eine wenig bekleidete allegorische Figur, unzweifelhaft in den Augen strenggläubiger Mohammedaner für eine sündhafte Darstellung gelten mußte.

Mit einer gewissen Aufregung folgte ich der Auspackung des Thronsessels und hatte die große Freude, ihn in seiner ganzen ursprünglichen Pracht und Herrlichkeit seinem jahrelangen Gefängnisse entsteigen zu sehen. Seine vortreffliche Polsterung in Sitz und Lehne, der schöne Überzug aus rotem Samt, die reiche Vergoldung der kunstvoll geschwungenen Füße und Armlehnen gewannen die vollste Bewunderung des Fürsten. Demnächst wurden die königlichen Bildnisse herausgenommen, und ich konnte mit großer Genugtuung wahrnehmen, daß, trotzdem meine Besorgnis nicht ungerechtfertigt gewesen war, in dem feinfühlenden Fürsten Stolz und Rührung über die religiösen Bedenken die Oberhand gewannen. Als ich ihm auseinandersetzte, wie mein König, unserer heimatlichen Sitte folgend, auf diese Weise die infolge der großen Entfernung unmögliche persönliche Bekanntschaft habe ersetzen wollen, half er mir in liebenswürdigster Weise über meine Sorge vor allzu strenger Auffassung hinweg, indem er sagte: ich selbst wisse wohl, daß der Islam nur diejenige Nachbildung menschlicher Formen verurteile, welche einen Schatten zu werfen imstande, also als Statuen oder Reliefbildungen dargestellt seien, daß aber das auf flachem Papier oder ebener Leinwand erzeugte Gemälde nicht in den Bereich der Sünde gehöre. Damit war freilich der allegorischen Figur der Stutzuhr das Urteil gesprochen.

Nächst dem Thron erregten die Zündnadelgewehre die größte Freude und Bewunderung des hohen Herrn. Unzählige Male mußten wir ihm die Handgriffe zur Öffnung und Schließung der Kammer, die Zündnadel selbst und die Patronen zeigen und erklären. Obgleich der Königspalast eine verhältnismäßig reiche Sammlung der verschiedensten Gewehrsysteme enthielt, so gab es doch noch kein preußisches Zündnadelgewehr in derselben. – Das Harmonium hatte, wie schon erwähnt, seine Funktionen gänzlich eingestellt, weniger zu meinem Bedauern, der ich ihm bei meiner geringen musikalischen Begabung doch keine Harmonien hätte entlocken können, als zu dem des braven Scheich, der natürlich voraussetzte, daß jeder die in seinem Vaterlande gebräuchlichen musikalischen Instrumente zu spielen verstehe. Ich vertröstete ihn auf die Kunstfertigkeit Giuseppes und nahm es wieder mit in meine Wohnung.

Er sprach mir seinen Dank aus für die große Menge Rosenessenz, die ihm, wenn auch nicht zu persönlichem Gebrauche, so doch für die Frauen und Töchter seines ausgedehnten Haushaltes von wirklichem Werte sein mußte, und erfreute sich dann ausschließlich des kunstvoll geschriebenen königlichen Begleitschreibens, das ich ihm mit der beigefügten arabischen Übersetzung in zierlicher Kapsel überreichte. Wohl ein halbes Dutzend Male mußte ich dasselbe in deutscher Sprache vorlesen, wobei ich durch kraftvolle Betonung und deklamatorischen Vortrag zu ersetzen suchte, was dem Hörer an Verständnis abging.

Sobald ich die Königswohnung verlassen hatte, durchdrang das Gerücht vom Reichtume der Christengeschenke die Stadt, und dies hob zwar einerseits mein Ansehen, weckte aber andererseits Hoffnungen bei den Würdenträgern, welche zu befriedigen ich durchaus nicht in der Lage war. Ich erkannte erst später, daß es geraten gewesen wäre, die für den Herrscher bestimmten Geschenke zum Besten seiner obersten Ratgeber etwas zu vermindern, da diese speziell in Bornu bei der Gutmütigkeit und Schwäche ihres Herrn die wichtigste Rolle spielen.

Nach der Erledigung meines offiziellen Zweckes machte ich meine Besuche bei denjenigen Würdenträgern, für die ich Empfehlungsbriefe hatte und welche mir als die bedeutendsten Männer des Staates bezeichnet worden waren.

Ich begab mich zum berühmten Lamino, der nach dem Urteile aller bei weitem der mächtigste unter allen Würdenträgern und selbst mehr ein Beschützer als ein Anhänger des Kronprinzen Aba Bu Bekr war.

Schon vor seiner weitläufigen Behausung, die an einem geräumigen Platze in der Oststadt lag, konnte ich aus der Menge reichgeschirrter Pferde, die vor der Tür auf ihre Herren warteten, aus den vielen den Zugang bewachenden Sklaven, aus der Zahl der bescheideneren Beamten und Klienten und aus der großen Schar von Bettlern, welche die Tür belagerten, auf seine Macht und Bedeutung schließen. Der Platz vor dem Hause war nicht gerade sauber gehalten, sondern wurde durch große Abfallgruben verunziert, deren kotige Umgebung zu meiner Überraschung von verschiedenen halbgezähmten Schweinen durchwühlt wurde.

Durch seinen Obereunuchen Mesa'ud – der mächtige Mann gestattete sich den für Bornu-Untertanen ungewöhnlichen Luxus von Verschnittenen –, welcher sich einer bei diesen Unglücklichen so häufigen großen Fettleibigkeit erfreute, wurde ich angemeldet und eingeführt. Nachdem wir uns durch die wartende Menge gedrängt hatten, betraten wir das weite, offene Audienzzimmer.

Dort saß der einflußreiche Mann, kahlköpfig, dickleibig und etwas schmutzig, von seinen Vertrauten umgeben, auf einem Antilopenfelle, ließ mir ebenfalls ein solches hinbreiten und empfing mich mit dem freundlichsten Lächeln. Er hatte eine rötlich-graue Hautfarbe, trug seinen mächtigen Kopf auf einem wahren Büffelnacken, erfreute sich eines in jener Gegend ungewöhnlich vollen, weißen Bartes und hatte Gliedmaßen, welche an die Dickhäuter seines Vaterlandes erinnerten. Diese physischen Eigentümlichkeiten traten um so mehr hervor, als er in der Nachmittagskühle mit entblößtem Oberkörper, dessen Muskulatur und Fettbedeckung mit der breiten, weißbehaarten Brust einen bemerkenswerten Anblick boten, dasaß, wie er es liebte, wenn er hauptsächlich Vertraute empfing.

Große Körbe mit Ketten standen in seiner nächsten Umgebung, da er eine Art Polizeiminister war, wie schon zur Zeit Barths, der ihn in der Tätigkeit eines solchen sehr hart beurteilt. Diesem Reisenden zufolge war Lamino der gewalttätigste, grausamste, herzloseste Schurke, der nicht aus überlegter, gerechter Strenge, sondern einfach aus innerem Gefallen an Grausamkeiten aller Art eine Herrschaft des Schreckens über seine Untergebenen und über alle, die in seinen Machtbereich kamen, ausübte. Freilich war er in seiner Jugend ein gewalttätiger, gesetzloser Mann gewesen. Jetzt aber war in der Hauptstadt alles Bewunderung für diesen so reichen, so mächtigen, so freigebigen und so gutmütigen Mann; er war sicher die populärste Persönlichkeit in Bornu. Wenn er gegen die Kriminalverbrecher der Hauptstadt, über welche er mit unbeschränkter Machtvollkommenheit abzuurteilen hatte – nur die Verhängung der Todesstrafe zu Kuka war alleiniges Vorrecht des Scheich –, eine oft grausame Strenge entfaltete, so muß man bedenken, daß die Schwäche des Staatsoberhauptes und der ungerechte, bestechliche Sinn der Prinzen und Würdenträger die Zahl der Übeltäter zu einer bedenklich großen machten, und daß infolgedessen große Strenge, vorausgesetzt, daß sie mit Gerechtigkeit gepaart war, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein tief gefühltes Bedürfnis war. Wenn er oft allzu schnell mit dem Urteil bei der Hand war, so darf man nicht vergessen, daß ihn die Erfahrungen der eigenen Vergangenheit und seine große Kenntnis der Personen und Zustände mehr als irgendeinen andern befähigten, ohne strenge Beweise, nach moralischer Überzeugung zu urteilen, und daß endlich seine Art, zu entscheiden, dem Charakter des halbzivilisierten Landes und der oberflächlichen Einwohner durchaus entsprach. So wie er war, war er gefürchtet von den Übeltätern, gehaßt von den Hofintriganten, geachtet von den Leuten, welche nicht in die Öffentlichkeit traten, geschätzt vom Könige, vergöttert von seinen Sklaven und gesegnet von den Armen.

Seine Lieblingsbeschäftigung war offenbar nicht das Aburteilen der Verbrecher, sondern die sorgfältige Überwachung seiner Küche. Unaufhörlich wurden ihm Speisen zur Besichtigung und Prüfung zugetragen und blieben entweder zu seinem eigenen Gebrauche oder kamen in Stadt und Haushalt zur Verteilung. Seine kulinarische Tätigkeit nahm einen guten Teil des Tages in Anspruch. Er kostete jedes Gericht, das gebracht wurde, und hatte die verschiedensten Zutaten in seinem Handbereich, mit denen er eigenhändig den Lieblingsschüsseln die letzte Würze gab.

Inmitten dieser heterogenen Tätigkeit vergaß er keineswegs seine Geschäfte, sondern, indem er eifrig seine Speisen umrührte und würzte, erteilte er gleichzeitig Audienzen, fertigte Bittsteller ab, hörte Verklagte an, nahm Berichte entgegen und gab Verhaltungsbefehle.

Ich empfing einen sehr bedeutenden Eindruck von diesem Manne, der nach dem Urteile aller, die ich über ihn hatte sprechen hören, insoweit den Herrscher selbst an Macht übertraf, als er der einzige war, der denselben aus seinen häufigen Verlegenheiten und seinen in gutmütiger Schwäche eingegangenen Verbindlichkeiten retten konnte und gegen dessen Rat und Meinung jener nichts zu tun wagte. Fehlte dem Scheich etwas, so war Lamino der Mann, es zu schaffen; setzte jenen eine verwickelte politische Schwierigkeit betreffs seiner Vasallen oder Nachbarkönige in Verlegenheit: dieser nahm sie auf seine Schultern und wußte sie stets mit Klugheit und Entschiedenheit zu entwirren.

Höchst befriedigt von meiner Bekanntschaft mit diesem Manne, der mir für meine künftigen Reiseunternehmungen wichtiger erscheinen mußte, als der Scheich selbst, suchte ich denjenigen auf.

Ich entfernte mich bald, um meinem Hauswirte die formelle Aufwartung zu machen.

Ahmed Ben Brahim el-Wadawi, dessen physische Erscheinung zu beschreiben ich schon Gelegenheit hatte, stand in so hoher Gunst beim Scheich, daß sein Einfluß demjenigen Laminos und des Kronprinzen bisweilen mit Erfolg Konkurrenz zu machen vermochte.

Ich fand den gefürchteten, aber wenig geachteten Mann im Hofe seines Hauses die Abendkühle genießen. Er lag auf Teppichen und Kissen, den fetten Körper mit feinen Gewändern beladen, und war von Sklavinnen umgeben, deren einige seine unförmlichen Beine kneteten, während andere ihm mit Fächern Kühlung zuwehten und alle durch laszive Gespräche seinem Geschmacke huldigten. Die Unterhaltung wurde durch meine Erscheinung noch besonders pikant, da meine Ehelosigkeit der heiteren Gesellschaft manchen Stoff zu Neckereien und schwer zu beantwortenden Fragen bot. Da bald darauf Schüssel auf Schüssel neben sein Lager gesetzt wurde, entsprach ich seinem sichtlichen Wunsche, die Abendmahlzeit allein zu genießen – denn er machte keine Miene, mich, wie es der Anstand auch in Bornu erfordert, zur Teilnahme an derselben aufzufordern –, und beschloß meine offiziellen Visiten mit einem Besuche bei dem Titiwi, der ebenfalls die Weststadt bewohnte.

Vor dem Hause des »Konsuls der Araber«, wie ihn Schmeichler wohl nannten, verbreiterte sich die Straße zu einem kleinen Platze, auf dem mehr als zwanzig Personen ihr Abendgebet verrichteten. Nach Vollendung desselben machten sich alle an die Abendmahlzeit, welche in einer mindestens für dreißig Personen hinreichenden Schüsselzahl bereits aufgetragen war. Ich glaubte anfangs, daß es sich um ein besonderes Festmahl – 'Azuma arab. – handle, wurde jedoch bald belehrt, daß der kluge Titiwi tagtäglich offene Tafel hielt. Wenn derselbe den Kaufleuten von Tripolis, Fezzan und Dschalo in ihren kaufmännischen Geschäften wenig Hilfe und Beistand gewährte und die öffentliche Stimme ihn sogar beschuldigte, mit den gewissenlosen Einwohnern an ihrem Ruine zu arbeiten und sie mit berechnender Schlauheit auszusaugen, so suchte er wenigstens einen Teil der öffentlichen Meinung durch eine ungewöhnlich generöse Gastfreundschaft wieder zu erobern, und seine Landsleute ließen diese Gelegenheit, gut und billig zu schmausen, nicht ungenützt vorübergehen.

In meiner Wohnung war indessen von jedem der Herren, denen ich meine Aufwartung gemacht hatte, das übliche Gastgeschenk eines Schafbockes eingelaufen, so daß ich bald einen meiner Höfe mit diesen Tieren beleben konnte.

Allerdings lasteten erhebliche Unkosten auf diesem Genüsse der Freigebigkeit des Scheich, denn Bornu ist das gelobte Land der Trinkgeldspekulanten.

Nachdem ich in dieser Weise meine Stellung bei Hofe und in der »Gesellschaft« begründet hatte, konnte ich daran denken, mich mit der übrigen Umgebung, der Stadt und ihrem mannigfaltigen Leben genauer bekannt zu machen, und ritt zu diesem Endzwecke – kein einigermaßen auf äußere Würde haltender Mann macht auch nur den kleinsten Weg zu Fuß – täglich aus.

Die Zeichen der verfallenden Macht Bornus kamen in größerer Nähe zum Ausdruck. Es waren die halbunterworfenen, tributzahlenden Heidenstämme aus den Westgrenzen des Reiches und ehrgeizige Fürsten regelmäßiger Vasallenstaaten, welche zuerst zum Bewußtsein der zunehmenden Schwäche des Lehnsherrn gelangten und sich dieselbe nutzbar zu machen versuchten. Der früher so sichere Weg nach Kano wurde seit einiger Zeit unaufhörlich und in frechster Weise von den südlich davon wohnenden Bedde beunruhigt.

Noch bedrohlicher war das gewalttätige Betragen des Vasallenfürsten Tanemon von Zinder, der im Nordwesten des Reiches ein unabhängiges Reich aufrichten zu wollen schien. Er hatte damit begonnen, einen der treusten und beliebtesten Vasallen des Scheich, den Herrn von Munio, den sogenannten Munioma, zu erschlagen und das Gebiet desselben dem seinigen einzuverleiben.

Während ich allmählich einen Einblick in die geschilderten Verhältnisse gewann, wartete ich ruhig ab, ob der Scheich 'Omar den geplanten Kriegszug zur Ausführung bringen würde, um ihn in diesem Falle zu begleiten, oder ob die Verhältnisse mir gestatten würden, einen Besuch bei den Budduma und Kuri auf den Inseln des Tsade zu machen.

Die Regenzeit – Ningeli – des Jahres 1870, in deren Beginn wir das Bornu-Gebiet betreten hatten, war indessen mit allen ihren Unannehmlichkeiten zu Ende gegangen.

Lange Wochen hindurch blieben die tiefer gelegenen Gegenden der Stadt und Umgegend in Seen verwandelt, und als die stehenden Gewässer abzunehmen begannen, machten sich die traurigen Folgen des sonst so segensreichen Elementes auf die Menschen geltend. Bald gab es in allen Häusern der Stadt Kranke, und von der Mitte des September an machte sich eine bedenkliche Sterblichkeit geltend, welche bald die Proportionen einer mörderischen Epidemie annahm. Anfangs herrschten die Wechselfieber unter ihren verschiedenen Formen und ergriffen vor allen die Nordländer. Wenige wurden verschont; manche unterlagen; viele entgingen nur mit genauer Not dem Verderben und trugen die Spuren der zerstörenden Kraft der Sumpffieber noch lange auf ihren fahlen, blutleeren Gesichtern. Auch die vermeintliche Immunität der Neger gegen diese Krankheit erwies sich als eine sehr unvollkommene; zu Dutzenden lagen in vielen Häusern die Sklaven am Fieber danieder, und ihre Herren litten nicht weniger als sie.

Aus dem Hause meines Hausherrn wurden während weniger Wochen sechs Personen zu Grabe getragen, und fast tagtäglich und allnächtlich vernahm man das Geheul der Klageweiber in der nächsten Umgebung.

Gleichzeitig verheerte die Lungenseuche den Rindviehbestand des Landes, und einer andern Krankheit fielen ungewöhnlich viel Pferde zum Opfer.

Als ich bei der schnellen Abnahme meines Arzneischatzes dem Scheich in öffentlicher Ratssitzung eines Tages einen kleinen Vorrat der üblichsten und einfachsten Medikamente mit schriftlicher Gebrauchsanweisung überreichte, entstand unter den versammelten Kokenawa ein Murren, das sich zu lauten Warnungen steigerte. Zwar erhob der anwesende Prinz Aba Bu Bekr seine Stimme und sagte mißbilligend zu der Versammlung: »Wißt ihr denn nicht, daß die Christen ihre Feindschaft gegen den Islam nie durch Verrat betätigen, sondern daß dies höchstens die Juden tun?«, doch ich bezweifle sehr, daß seine Worte überzeugend wirkten, und daß der Scheich, trotz der eigenen guten Meinung von den Christen, jemals Gebrauch von meinem Geschenke gemacht hat.

Während der ganzen Zeit unterhielt ich einen regen Verkehr mit meinen Bekannten unter den Fremden und Eingeborenen, assistierte nach der Tagesarbeit der offenen Tafel des Titiwi oder rauchte plaudernd ein Pfeifchen Tabak vor der Tür des Scherif el-Medeni. Mein Nachbar 'Ali Malija verheiratete damals eine seiner Töchter an Aba Kanembu, den sechsten Sohn des Scheich 'Omar, und ich nahm die Gelegenheit wahr, Zeuge des größten Teils der Feierlichkeiten zu sein, welche eine Bornu-Hochzeit in den höheren Kreisen begleiten.

Ein Hochzeitsfest erfordert für seinen ganzen Verlauf ungefähr eine Woche Zeit. Wirbt jemand um ein Mädchen bei dem Vater derselben, so vergewissert sich dieser, wenn der in Aussicht stehende Schwiegersohn ihm befreundet oder ein angesehener Mann ist, vor der Erteilung seiner Zustimmung durch eine alte Frau unter seinen Verwandten oder intimen Freunden des jungfräulichen Zustandes seiner Tochter. Wird bei dieser Gelegenheit eine unliebsame Entdeckung gemacht, so verweigert der Vater das Jawort und sucht sich einen armen und abhängigen Heiratskandidaten, der nur allzu froh ist, ein Mädchen aus guter Familie mit reicher Mitgift zu bekommen. Solche Fälle kommen oft genug vor, da die Mädchen in Kuka eine grenzenlose Freiheit genießen, abends zum Tanz gehen, wohin und solange sie wollen und sogar die Nacht außerhalb des elterlichen Hauses verbringen, ohne daß der Vater dies erfährt.

Ist der Vater in der Lage gewesen, seine Zustimmung zu erteilen – das Mädchen wird, wie in fast allen mohammedanischen Ländern, um seine Wünsche nicht gefragt –, und steht die Hochzeit nahe bevor, so übersendet der Bräutigam dem künftigen Schwiegervater den sogenannten »Preis des Mädchens«, der sich natürlich ganz nach den Vermögensverhältnissen beider richtet und in Geld, Sklaven, Pferden u. dgl. besteht. Sobald der Tag der Hochzeit bestimmt ist, schickt der Bräutigam Reis, Honig und Butter in das schwiegerelterliche Haus zur massenhaften Bereitung des Festgebäckes in der Form der Nakia.

Am folgenden zweiten Tage der Feierlichkeiten pflegt der Vater der Braut, wenn er in guten Verhältnissen ist, seinen Schwiegersohn mit einem Pferde, einem Sklaven, einigen Gewändern und womöglich einem Burnus, einem Tarbusch, einem Tuchbeinkleid und einem Teppich auszustatten und als Ausgabegeld für die erste Zeit des jungen Haushalts etwa ein halbes Tausend Gabag oder eine ähnliche Summe in Kauri-Muscheln zu hinterlegen. Mit einbrechender Nacht erscheinen dann Abgesandte des Bräutigams mit einem Pferde und einem Burnus, um die Braut abzuholen. Diese sitzt in festlichem Gewände und bräutlichem Schmucke auf einer Matte, erhebt und setzt sich siebenmal, wird von den anwesenden Verwandten und Bekannten umkreist, und unter Berührung ihres Hauptes mit dem Koran gibt ihr ein feierliches Fatiha die hochzeitliche Weihe. Erst dann wird sie unter scheinbarem Widerstreben ihrerseits in den Burnus gehüllt, auf das Pferd gehoben und von Frauen und Mädchen unter Gesang in das Haus des demnächstigen Gatten geleitet. Hier verbringt sie die Nacht unter Musik und Tanz inmitten ihrer weiblichen, Begleitung, die sich an einem Gerichte aus Duchn-Mehl, Gewürzen und Honig – Bellolo – gütlich tut.

Am dritten Tage folgt der eigentliche Hochzeitsschmaus. In der ersten Morgenfrühe führt die ganze Sippschaft der Braut große Vorräte von Mehl auf Kamelen und Eseln herbei, der Bräutigam schlachtet einige Rinder und liefert Butter, Honig, Salz und Holz zur Bereitung des Mahles. Die Gefährtinnen der Braut, denen diese Arbeit obliegt, fragen zunächst den Bräutigam nach der Zahl der herzustellenden Schüsseln, die bei wohlsituierten Leuten nicht selten mehr als 100 beträgt.

Auch die auf diesen Haupttag der Nika folgende Nacht verbringt das junge Mädchen noch inmitten ihrer Brautjungfern. Erst am vierten Tage entledigt sich der junge Hausherr allmählich der überflüssigen Frauenzimmer, sowohl derer, welche als Kochkünstlerinnen fungierten, als auch derjenigen, welche die Braut wuschen, frisierten und schmückten oder auch nur als Ehrenwächterinnen dienten, indem er sie beschenkt und von den letztgenannten nur zwei Matronen zurückbehält, denen die Pflicht obliegt, ihre Schutzbefohlene für die nun folgende Brautnacht einzukleiden. Sie legen ihr ein sauberes, weißes Gewand an und überlassen dann das Paar sich selbst, das Brautgemach bewachend. Noch während der Nacht entreißen dieselben der jungen Frau ihr Gewand und tragen es in erster Morgenfrühe triumphierend zum Brautvater, der sich dann oft noch vom selbstbewußten Schwiegersohn ein Extrageschenk erpressen läßt, zuweilen aber auch den darauf abzielenden Besuch desselben ablehnt.

Am fünften Tage endlich wird der Hausrat, mit dem die Braut aus dem elterlichen Hause ausgestattet wird, in das neu begründete Haus übergeführt.

Im Laufe des November verringerte sich die allgemeine Sterblichkeit; die mörderische Krankheit hatte ihr Ende erreicht. Als ich einst einen Spazierritt um die Stadt machte, legten mir die zahllosen frischen Gräber der nahen Friedhöfe, die man mit Dornen und mit Scheuchen gegen Hyänen und Hunde bedeckt hatte, Zeugnis von der Zahl der Opfer ab, welche die Regenzeit gefordert hatte.

Mit dem Ende des Fastenmonats näherten wir uns dem Schluß des Jahres 1870, und dieser Abschnitt brachte mir die schnelle Vergänglichkeit der Zeit wieder zum Bewußtsein. Ich war außerdem des beständigen Stillebens müde und fühlte das Bedürfnis, zu neuen Unternehmungen auszuziehen. Gleichzeitig kam der geplante Kriegszug des Scheichs in den Westen des Reiches in Wegfall, denn unmittelbar nach dem Ramadan schickte Fürst Tanemon von Zinder einen Gesandten mit freilich sehr magerem Tribut, aber mit desto unterwürfigerer Botschaft an seinen Lehnsherrn und mit ansehnlichen Geschenken an seine Freunde unter den Höflingen. Damit verschwand das Schreckgespenst eines Kriegszuges, und alles war Freude und Heiterkeit am Hofe von Kuka.

Ich war also auf die Ausführung meines Besuches der Tsade-Inseln hingewiesen. Schon seit längerer Zeit hatte ich aus einer verständigen Kanembu-Frau, welche lange Zeit auf den Budduma-Inseln verheiratet gewesen war, mehr Nachrichten über den Tsade-Archipel und seine Bewohner herausgelockt, als sie selbst wohl für möglich gehalten hatte; jetzt schickte Lamino an den Kaschella Kimme, einen der wenigen Budduma-Häuptlinge, die sich der Bornu-Regierung ergeben gezeigt hatten, den Befehl, sobald als möglich zur Hauptstadt zu kommen. Mit ihm sollte ich den See nach Süden bis zu seinem südöstlichen Teile umkreisen, mich über die Sitze der Asala-Araber nach Karka, den Inseln der Kuri, begeben und von dort mit Hilfe des herrschenden Ostwindes über die Inseln der Budduma und das offene Wasser des Sees nach Kuka zurückkehren.

Durch welche Ereignisse auch dieser Reiseplan zerfiel, und wie ich noch einmal für eine lange Zeit in die Sahara zurückgeführt wurde, werde ich im folgenden Teile meines Reiseberichtes erzählen.


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