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Zweites Kapitel.
Bardei

Am 5. August konnten wir aufbrechen. Unsere Karawane bestand außer mir und meinen Leuten aus Arami mit einem Diener oder Klienten, Kolokomi und seinem älteren Bruder, Gordoi und Birsa, dem Begleiter oder Diener Bu Zeids und dem Boten, den mir der letztere von Bardai mit einem Briefe gesandt hatte.

In trockener Jahreszeit muß man sich mit Wasservorrat für den ganzen Weg versehen; jetzt mußten die stattgehabten, wenn auch unbedeutenden Regen zahlreiche Wasserbecken in den Felsen gefüllt haben. In dem ersteren beschlossen wir den Aufenthalt, den die Wassereinnahme erforderte, gleich auf die Mittagsrast auszudehnen, und setzten erst am Nachmittag unsern Weg fort. Dieser wendet sich, stetig ansteigend, allmählich nordnordöstlich, nordöstlich und endlich ostnordöstlich. Auch hier liegt der Gegend eine Schicht jenes leichten porösen Gesteins von gelblicher, grauer oder rötlicher Färbung auf, das mir aufgefallen war, als wir von Norden kommend uns dem Tarso am meisten genähert hatten. Durchbrochen und bedeckt ist dasselbe von Sandsteinfelsen, Granit- und Basaltblöcken, zwischen deren Ketten und Gruppen durch wir im Laufe des Nachmittags die zahlreichen unbedeutenden Ursprungsflußbetten des Dommado überschritten, welche, tief in den Boden geschnitten, alle eine mehr oder weniger südwestliche Richtung haben. Mit dem Anstieg werden die felsigen Durchbrüche und Ausläufer seltener; breite flache Bergrücken treten an ihre Stelle, in der Oberfläche von einer starken Schicht jenes leichten Gesteins gebildet, dessen sanfte, fast weiche Oberfläche den Fuß von dem harten Felsboden und seinen scharfkantigen Steinen ausruhen läßt. Das Ganze ist nackt und kahl und wie verbrannt; nur die Wasserbettchen bringen unansehnliche Sajalakazien und spärlichen Graswuchs hervor. Nach fünfstündigem Nachmittagsmarsche nächtigten wir am Rande eines der Ursprünge des Dommado, der dort von Ost nach West verläuft und sich durch seine Größe vor den übrigen auszeichnet.

Als unsere Wegrichtung am Sonnenuntergang eine mehr ostnordöstliche geworden war, erblickten wir den scharfkantigen Emi Bomo, der sich in der ungefähren Entfernung eines halben Tagemarsches auf dem breitgewölbten Bergrücken, den wir zu übersteigen im Begriffe waren, erhob. Der König der Berge Tibestis, der Emi Tusidde, erschien bei den ungünstigen atmosphärischen Verhältnissen um dieselbe Zeit als eine undeutlich konturierte Masse.

Bald darauf standen wir am südöstlichen Rande der mir oft erwähnten Natrongrube, die sich zu Füßen des Tusidde ausdehnt. Der Anblick war großartiger, als ich geahnt hatte. Staunend und bewundernd stand ich am Rande eines riesigen Kraters, der uns vom Tusidde-Kegel trennte.

Ich war hier wieder in der Lage, meine Erwartungen übertroffen zu sehen. Wie gern hätte ich hier einige Ruhetage gehabt, wäre den Tusidde hinauf- und den Krater hinabgestiegen, hätte von der höchsten Höhe, soweit meine Augen und mein Fernglas reichten, das ganze weite Panorama Tibestis umfaßt und mich in der Tiefe an den Wirkungen der zerstörenden und schaffenden Naturkräfte geweidet! Unwillkürlich setzte ich mich auf den Rand des Abgrundes und versank in träumerische Bewunderung, bis mich meine schmerzenden Füße zur traurigen Wirklichkeit zurückriefen.

Meine große Ermüdung infolge des beschwerlichen Marsches und die dadurch erzeugte geringere Widerstandsfähigkeit schien meinem Protektor die erwünschte Gelegenheit zu bieten, neue Angriffe auf mein Eigentum zu machen. Es war seine Aufgabe, schon vor unserer Ankunft in Bardai soviel aus mir herauszupressen als möglich, und in der Erfüllung derselben war sein hauptsächlichstes Werkzeug Birsa. An diesem Tage entrangen sie mir 30 Dra' Cham aus Bu Zeids Vorrat.

An der Stelle des Gazellenflusses, wo wir nächtigten, sollten böse Geister hausen, und da diese dort zu Lande einen besonderen Widerwillen gegen Pulvergeruch haben, so ließen es sich meine Begleiter nicht nehmen, solange Flintenschüsse abzufeuern, bis sie die Luft gründlich gereinigt glaubten. Sie setzten diese Prozedur solange fort, und die Schüsse widerhallten so mächtig von allen Seiten, daß mein durch Übermüdung, Hunger und gerechtfertigte Besorgnis vor der nächsten Zukunft krankhaft gereiztes Gehirn mich hierin ein Signal für die Helfershelfer meiner verräterischen Genossen wittern ließ. Eingezwängt zwischen den hohen Uferfelsen, in dem dadurch frühzeitig in Nacht gehüllten Tale, arbeitete meine Phantasie um so beängstigter. Trotz der Müdigkeit verscheuchten mir die häßlichen Bilder derselben nur zu oft den Schlaf; aufgeschreckt sprang ich empor; die gespenstischen Schatten der Felsen mit ihren sonderbaren Konturen, welche das Mondlicht auf den hellen Grund des Flußbettes warf, verwirrten mein Auge; schrill schallte das Kläffen des Klippschliefers rings von den Felsen und ließ mich angestrengt auf die Annäherung von Menschen und Hunden horchen. Es war eine böse Nacht, die prophetische Vorläuferin eines böseren Tages.

An diesem mußten wir Bardai erreichen; und es war hohe Zeit, denn unsere Datteln waren auf der Höhe des Tarso bereits zu Ende gegangen. Von dort hatte Arami seinen Begleiter vorausgeschickt, um Tafertemi und Bu Zeid heimlich von unserer bevorstehenden Ankunft in Kenntnis zu setzen, und um die Übersendung von Datteln bis zu einem bestimmten Punkte unseres Weges zu vermitteln.

Im E. Gonoa wurde unser Auge durch eine lebendige Quelle erfrischt, die in der Mitte seines Bettes unter mächtigen Felsblöcken hervorquillt, und in ihrer nächsten Umgebung eine Vegetation hervorgerufen hat, die unserm entwöhnten Auge als ein Bild der Üppigkeit erschien. In ihrer Nähe lagerten wir, ich wenigstens mit schwerem Herzen und bangem Vorgefühle, das durch Aramis und Birsas Betragen nur noch vermehrt wurde.

Arami, unterstützt von seinem gehorsamen Neffen, hatte während des verflossenen Tages ein mißachtendes, fast drohendes Benehmen an den Tag gelegt und den unglücklichen Mohammed als meinen Vermittler unaufhörlich mit Bitten und Drohungen geplagt, um ihn zum Verrate der Schätze zu bringen, die ich nach seiner Überzeugung notwendig noch verbergen mußte. Jetzt war vielleicht der letzte Tag gekommen, an dem er allein von mir Nutzen ziehen konnte, denn schon am folgenden war ich dem Könige und den übrigen Edelleuten preisgegeben; er suchte ihn also zu benutzen. Im guten Vertrauen auf meine Armut brachte ich es dahin, daß beide noch einmal eine gründliche Untersuchung meiner Gepäckstücke vornahmen, und aus dieser mußte ihnen wenigstens die Überzeugung erwachsen, daß keine Stoffe, auf die sich die Habgier der Tubu vorzüglich erstreckt, mehr vorhanden waren. Den Verdacht verborgenen Geldes konnte ich ihnen freilich nicht nehmen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte Aramis scharfes Auge noch einen weißen, tunisischen Burnus, den ich zu eigenem Gebrauche besaß und vorsichtigerweise in meine letzte wollene Decke gewickelt hatte, da man mir diese als einen unumgänglich notwendigen Gegenstand zu belassen geneigt schien. Arami ruhte natürlich nicht eher, als bis der erstere in seiner Gewalt war.

Bald nach der gewaltsamen Verminderung meiner Garderobe erschien ein Jüngling mit einem dattelbeladenen Esel in unserer Mitte und erwies sich als Mohammed, Sohn Akremi Temidomis, des mütterlichen Onkels unseres Murabid Bu Zeid.

Wir fielen mit Heißhunger über die Datteln her und nahmen anfangs die Nachricht, daß Tafertemi seit einigen Tagen im nahegelegenen Dorfe Sui sei, doch im Laufe des Tages zurückerwartet werde, mit ziemlicher Gleichgültigkeit auf. Doch als der erste Hunger gestillt war, wurden wir stutzig bei dieser etwas verdächtigen Kombination, und konnten uns über ihren bedenklichen Charakter nicht täuschen, als der junge Mann weiterhin mitteilte, daß sein Vetter Bu Zeid ebenfalls in einer benachbarten Ortschaft sei. Wir beschlossen, jedenfalls unsern Rastplatz zu einer vorgerückten Stunde zu verlassen, so daß wir erst nach Einbruch der Dunkelheit in der Hauptortschaft Bardais ankommen mußten.

Unser Weg erhielt eine ostnordöstliche Richtung, führte durch eine unregelmäßig und hoch gehügelte Gegend und ging allmählich in eine östliche Richtung über, welche uns in einer guten halben Stunde an den Eingang des Tales von Bardai brachte, da, wo von Süden her ein flaches Flußtal in ihn mündet. Hier hielten wir an, während der Sohn Temidomis vorausging, um Tafertemi und Bu Zeid von unserer Ankunft in Kenntnis zu setzen.

Leider kehrte nach kurzer Zeit der Jüngling allein zurück, mit der wenig tröstlichen Antwort, daß beide von ihrem Ausflüge noch nicht zurückgekehrt seien, daß aber die Gattin des ersteren mich einlade, in ihrer Wohnung abzusteigen. Schweigend vernahmen wir die unerfreuliche Botschaft. Meine Tubugefährten verrichteten in der Erwartung einer höheren Eingebung ihr Abendgebet, und nach Vollendung der feierlichen Handlung setzten wir uns zögernd wieder in Bewegung.

Wir hatten das breite Tal in nordöstlicher Richtung schräg zu durchschneiden und unglücklicherweise den ganzen von eigentlichen Bardaileuten bewohnten Teil zu durchziehen, als plötzlich ein dumpfes Brausen, ein verdächtiges Geräusch an unser Ohr drang, das von zahlreichen schreienden und tobenden menschlichen Stimmen herzurühren schien.

Atemlos hielten wir an und lauschten ratlos. Wenn ich anfangs noch nicht glauben wollte, daß dies die Einwohner Bardais seien, welche sich beim Gerüchte unserer Ankunft zusammengerottet hatten und uns blutig zu begrüßen kamen, so dauerten meine Zweifel doch nicht lange. Das Getöse kam näher und näher; die Männer brüllten – wahrscheinlich waren sie unter dem Einflüsse des Laqbi, wie fast jeder redliche Einwohner von Bardai am Abend –, klirrten und rasselten mit den Waffen; die Weiber kreischten und ließen das übliche Zungenschlaggeräusch hören; die Kinder schrien. Schon unterschied man die einzelnen Stimmen, hörte ihre Verwünschungen gegen die Christen und ihre blutdürstigen Vorsätze. Mit einer Art verzweifelter, resignierter Ironie verdolmetschte mir Bui Mohammed die unerbaulichen Bedeutungen ihres Geschreies. In seiner Kenntnis von Land und Leuten zweifelte er keinen Augenblick daran, daß unser letztes Stündlein gekommen sei, doch kein Wort eines eigentlichen Vorwurfs gegen mich kam über seine Lippen; nur die Bitterkeit, die Ironie, die im Tone seiner Worte lag, schien mir zu sagen: »Da sind sie, meine früheren Aussagen zu bewahrheiten; du hast es gewollt, da du die Ratschläge der Vernünftigen zurückwiesest!« Kampfbereit hielt der Alte sein Gewehr in der Hand, und auch in diesem Augenblicke konnte ich nicht umhin, die Tiefe der feindlichen Gefühle zu konstatieren, welche der sonst in seinen Urteilen über Menschen so milde Mann gegen alles, was Tubu hieß, nährte. Giuseppe betrug sich wie ein Mann; Sa'ad erging sich, wie bei der Verdurstungsszene, in wortreichen Vorwürfen gegen mich, während 'Ali Bu Bekr kaum die Kraft hatte, die Worte auszustoßen: »Verflucht sei das Geld, um dessentwillen ich hierherkam!« Entsetzt, doch ergeben in die eiserne Notwendigkeit, richtete ich meine Augen auf die dunkle, sich heranwälzende Masse, deren einzelne Schatten man schon unterscheiden konnte.

Eine zaudernde Unschlüssigkeit hatte sich meiner andern Begleiter und Beschützer bemächtigt. Sie hatten sich von uns zurückgezogen und bildeten in einiger Entfernung eine überlegende und ratschlagende Gruppe. Alles hing von der Haltung Aramis ab, in dessen Innern widerstreitende Gefühle kämpften. Die edleren Regungen, Wortfestigkeit, Pflichten der Gastfreundschaft und Mitleid, wenn sie überhaupt in ihm lebten, würden uns kaum gerettet haben; aber sein Stolz, die relative Abhängigkeit des Ländchens von Fezzan und die politischen Verhältnisse innerhalb ihres Gemeinwesens sprachen für uns. Es war eine lockende Gelegenheit, sein Ansehen im eigenen Lande zu erproben und mir und durch mich Fezzan und der Fremde seine Macht zu beweisen.

Arami erhob sich; sein Entschluß war gefaßt und damit der der übrigen. »Mit Gottes Hilfe wird dir kein Unheil widerfahren«, sagte er, »denn ich habe dir meinen Schutz zugesagt«. Stolz ging er der andringenden Menge entgegen, die offenbar erwartet hatte, uns von unsern Begleitern verlassen zu finden. Es war die höchste Zeit; schon schleuderten die Wütigsten oder Betrunkensten ihre Wurfspeere, doch ungeschickt und zögernd, da wir nicht allein waren, wenn wir auch abgesondert standen. Zum Teil schlug Arami die Waffen in der Hand der Angreifer nieder, und niemand wurde verletzt. Kolokomi, Gordoi, Birsa folgten seinem entschlossenen Beispiel, und nun ging es an ein lebhaftes Parlamentieren.

In diesem günstigen Augenblicke kamen die ferner wohnenden Anhänger und Freunde Aramis, sämtlich Bewohner der westlichen Täler, zu denen das Gerücht unserer Ankunft etwas später gedrungen war. Sie waren größtenteils im Zustande vorgeschrittener alkoholischer Begeisterung und vermehrten die Partei meiner Freunde in sehr nutzbringender und erfreulicher Weise. Während die meisten mit Arami zurückblieben, um die ihnen so angenehme Gelegenheit zu Zank und Streit auszubeuten, führten andere uns und unsere Kamele unbemerkt von der Menge, die von den wortreichen Unterhandlungen ausschließlich in Anspruch genommen war, in die Gegend der Ortschaft, welche von ihnen bewohnt wurde, zum Hause Aramis. Meine neuen Freunde und Beschützer suchten mich durch möglichst wüstes Geschrei und wildes Schwingen ihrer Waffen zu ermutigen, bedrohten jeden mit dem Tode, der mir ein Haar krümmen würde und enthüllten mit einer Freimütigkeit, welche der Alkohol erzeugte, das traurige Niveau ihrer Zivilisation. Während einige sich der Mordtaten rühmten, welche sie schon begangen hatten, gingen andere so weit, zu behaupten, daß derjenige, welcher noch keinen Menschen getötet habe, überhaupt kein Mann sei. Eine wüste Bande und ein unerquicklicher Schutz!

Unbelästigt begaben wir uns zwischen Gärten, Hütten und Baumgruppen hindurch nach der Wohnung Aramis, welche auf der nordöstlichen Seite des Tales lag.

Als wir das eigentliche Dorf hinter uns gelassen hatten, stießen wir auf unsern Murabid Bu Zeid, der, seine Flinte im Arm, auf meine ironische Verwunderung, ihn schon von seinem Ausfluge zurückzusehen, der ihn zu so günstiger Stunde von Bardai entfernt habe, ziemlich verlegen versicherte, soeben aus einem Nachbardorfe, wohin ihn die dringendsten Geschäfte gerufen hätten, zurückgekommen zu sein. Es war augenscheinlich, daß er, in nur zu genauer Kenntnis der Stimmung der Einwohner, seine Anwesenheit verleugnet hatte. Noch durfte ich meinen Gefühlen über sein perfides Benehmen keinen Ausdruck verleihen, denn ich war bei der sehr zweifelhaften nächsten Zukunft seiner Unterstützung noch allzusehr bedürftig. Ebenso wurde es mir schnell klar, daß Tafertemi sich in seiner Wohnung verborgen gehalten hatte, um nicht meine Ermordung durch seine autoritätliche Gegenwart gewissermaßen zu sanktionieren.

Arami hatte uns indessen wieder eingeholt und wies uns unsern Lagerplatz vor der Tür seiner Wohnung an, während seine Schwester Fatima, eine Witwe oder geschiedene Frau, die ihrem Bruder in Bardai die Wirtschaft führte – die Frau desselben wirtschaftete in Gabon –, die Dijafa (Gastmahl) bereitete. Diese bestand zwar in dem dort seltenen, also kostbaren 'Aisch, doch war derselbe über die Maßen trocken, und da keine Soße zu ihm gereicht wurde, gänzlich geschmacklos. Bei unserm grenzenlosen Hunger verhinderte uns aber weder seine schlechte Qualität noch unsere bedrohliche Lage, ihm die größte Ehre zu erweisen, und ihn bis auf das letzte Krümchen zu verzehren. Arami und Birsa hielten Wache bei uns – Kolokomi und Gordoi hatten sich zu ihren respektiven Frauen zurückgezogen –, und so verbrachten wir die erste Nacht in Bardai, voll Dankbarkeit, aus der unmittelbarsten Lebensgefahr errettet zu sein, doch nicht ohne Furcht vor dem folgenden Tage.

Mit Tagesanbruch schlugen wir das Zelt auf, um uns beide Christen einigermaßen den Blicken der aufgeregten Menge zu entziehen, und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Mit Sonnenaufgang erschienen die Freunde Aramis und diejenigen Tubu Reschade, die für mich Partei zu nehmen gesonnen waren, und wenn sie auch, ernüchtert, nicht mehr so maßlose blutdürstige Freundschaftsversicherungen ihrem Munde entströmen ließen als am vorhergehenden Abende, so waren sie doch immer noch lebhaft genug in ihren Beteuerungen. Ach, sie kannten das Vakuum in den beiden voluminösen Kisten, deren ungewohnter Anblick ihnen reiche Schätze zu verheißen schien, noch nicht!

Die Angesehensten der Versammlung waren augenscheinlich Arami und der Onkel Bu Zeids mütterlicherseits, Akremi Temidomi, derselbe, dessen Sohn uns bis zum E. Gonoa tagszuvor Datteln entgegengebracht hatte.

Lanze, Speere und Wurfeisen aufrecht in der Hand haltend und auf den Boden stemmend, hockten sie vor meinem Zelte, lebhaft schwatzend und von Zeit zu Zeit mit hörbarem Zischen den grünen mit Tabakssaft vermischten Speichel vor sich auf den Boden schleudernd, um eine Vorberatung über ihre Haltung dem Oberhaupt und den Leuten von Bardai gegenüber sowie über das Schicksal der Christen abzuhalten.

Von den Leuten Bardais, also von der mir feindlichen Partei, war niemand erschienen. Diejenigen, welche Verbindungen mit ihnen unterhielten, brachten aber die Nachricht, daß sie entsprechend ihrem feindseligen Gebaren des vorhergehenden Abends ihr Recht aufrecht hielten, keinen gemeinschädlichen Fremden in ihrem Tale zu dulden. Sie behaupteten, daß sie keineswegs Tafertemi zugestimmt hätten, mich zum Besuche Bardais einzuladen, und verlangten, daß ich, wenn ich hinlängliches Eigentum bei mir führte, ausgeplündert und meinem Schicksale überlassen, wenn ich aber nichts mehr für sie hätte, zu meiner Bestrafung, zur Abschreckung für Fremde und zu ihrer eigenen, religiösen Erbauung umgebracht werden solle.

Tafertemi war ein alter Mann, und die Regierung von Fezzan würde ihn sicherlich nicht meiner Ermordung wegen in seinen heimatlichen Bergen beunruhigt haben. Doch für Bu Zeid würde mein gewaltsames Ende ein bedenkliches Ereignis gewesen sein, und hätte sich dasselbe gar in seiner Gegenwart vollzogen, so hätte er sich nicht wieder vor seinem speziellen Chef, dem Hadsch Dschaber, und dem Hadsch Brahim Ben Alua sehen lassen dürfen.

Als Arami nach Hause kam und mir über die vergeblichen Bemühungen, seinen hohen Verwandten zu versöhnen, berichtete, stellte er mir anheim, ob ich weiter in seinem Schutze verbleiben, oder zu jenem übersiedeln wolle. Der letztere Gedanke ließ mich schaudern; weder das, was ich über die Häuptlingswürde in Tibesti und die damit verbundene geringe Macht im allgemeinen, noch das, was ich über die Persönlichkeit Tafertemis im besonderen erfahren hatte, ließ mir den Gedanken auch nur erträglich erscheinen.

Endlich, fast 14 Tage nach unserer Ankunft in Bardai, kam Arami sehr befriedigt von einer seiner Diskussionen mit Tafertemi zurück und meldete, daß er glaube, die friedliche Lösung sei nahe; der Dardai habe versprochen, den ersten Schritt der Annäherung zu tun und mich am nächsten Morgen zu besuchen. Noch zweifelte ich an dieser lang ersehnten Wendung, als gegen Abend das erste Zeichen friedlicher Kenntnisnahme von meiner Person seitens des alten Häuptlings eintraf: ein mächtiger Dattelzweig, der die Gastmahlzeit, welche seine Vermögensverhältnisse ihm nicht gestatteten, in der konvenablen Form des üblichen Mehlbreis zu liefern, darstellen sollte. Am nächsten Morgen erhob ich mich früher als gewöhnlich von meinem kummervollen Lager, um bei den matinalen Gewohnheiten der Tubu rechtzeitig bei der Hand zu sein; die ratsberechtigten Tubu Reschade und Bardaier versammelten sich vollzähliger als gewöhnlich, und gegen Sonnenaufgang sah man das greise Staatsoberhaupt, begleitet von seinem einzigen Beamten, dem sogenannten Dolmetscher, herankommen. Man mußte gestehen, daß die äußere Erscheinung Tafertemis durchaus nichts Königliches an sich hatte. Ein kleiner, vom Alter gekrümmter Greis, mager, mit hastigen Bewegungen, das mit einem bescheidenen Barte gezierte, kleine, verkniffene, faltige, mäßig dunkle Antlitz scheu bald hierhin, bald dorthin wendend, war er in eine blaue Tobe aus Bornu gekleidet, die durch Schmutz und defekte Stellen ein ansehnliches Alter verriet, trug einen abgeblaßten fadenscheinigen Tarbusch mit einem schmierigen, ursprünglich weißen Turban, dessen Lithamtour lose auf die Brust herabhing, und unterstützte seine in Sandalen gekleideten Füße durch einen dicken Stab, der ihn selbst an Länge übertraf, und den er in der Mitte gefaßt hielt. Sein Dolmetscher war ein zerlumptes, dunkelfarbiges, noch weniger Vertrauen erweckendes Individuum. Ich ging ihm mit Bui Mohammed, meinem wirklichen Dolmetscher, zur Begrüßung entgegen, sprach meine Freude aus, ihn endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wonach ich mich so lange gesehnt habe, und meine Hoffnung, daß sich nun alles für mich zum Besseren wenden werde. Seine Krankheit, von der ich hoffe, daß er vollständig genesen sei – Gott möge seine Tage verlängern! –, habe die Schuld getragen, daß ich in seinem Lande mehr gelitten habe, als sich mit den Pflichten der Gastfreundschaft vertrage. Ich sei von einer der seinigen befreundeten Regierung geschickt an ihn, einen mächtigen, weisen und gerechten König, der durch ein Menschenalter die Geschicke seines Landes gelenkt habe und darum weit und breit bekannt sei, und habe doch seit meiner Ankunft nur Gefahr, Kränkung aller Art und Hunger erlitten. Ich hoffe, daß er, der die Macht habe, mich jetzt friedlich auf den Weg nach Fezzan bringen werde, denn meinem ursprünglichen Zwecke, die mächtigen Berge seines Landes und alle Flußtäler zu sehen, habe ich entsagt, seit mir klar geworden sei, daß die Einwohner meinen Besuch nicht mit günstigen Augen ansähen. Als Bui Mohammed, der dem alten Häuptling persönlich bekannt war, ihm meine wohlgesetzte Rede vortrug, machte diese augenscheinlich nicht den geringsten Eindruck auf das verstockte Gemüt des zielbewußten alten Herrn. »Bevor wir weiter sprechen, beantworte mir eine Frage; wer hat bei deiner Ankunft in Tibesti dein Besitztum so verringert, daß du sozusagen mit nichts hierher nach Bardai gekommen bist? Ich muß dies wissen, denn ich bin für Sicherheit und Gerechtigkeit in meinem Lande verantwortlich.« Auf meine Antwort, daß ich nur seinen ersten Edelleuten im E. Zuar, die mir vom Hadsch Dschaber selbst als berechtigt genannt seien, ihr Recht des Flußtals gegeben habe, bemerkte er, daß dies durchaus unwahrscheinlich sei, denn ich sei mit vier beladenen Kamelen ins Land gekommen. Ich setzte ihm auseinander, daß eines derselben den Mundvorrat, der allerdings von den hungrigen Einwohnern seines Landes auf nichts reduziert sei, getragen habe, eines die Geschenke und die Geldwerte, ein anderes meine persönliche Habe und meine Person, und das letzte die Wasserschläuche, das Zelt und dergleichen; aber diese Auskunft befriedigte ihn keineswegs. Er beharrte dabei, daß vier Kamele eine ungeheure Kraft repräsentierten, und daß es wahrscheinlich sei, sie seien wohlbepackt gewesen. Ich möge nur furchtlos und offen gestehen, wer der oder die Räuber gewesen seien, denn er sei die Macht und die Gerechtigkeit. Ich hütete mich wohl, die Geschenke, die ich Arami und den Seinen gegeben hatte, zu erwähnen, und blieb bei meiner Aussage. Als er seinerseits ebenfalls bei seiner Meinung blieb und immer wieder darauf zurückkam, daß vier Kamele viel mehr getragen haben müßten, als ich zu verrechnen imstande sei, so wurde ich ärgerlich und sagte ihm kurz: »Ich begreife nicht, was du willst; habe ich dir nicht einen roten Tuchburnus, eine Indigo-Tobe von Afono (bei Arabern und Negern üblicher Name für Haussa), einen tunisischen Tarbusch mit Turban für dich und deinen Sohn, eine herrliche Futa für deine Frau geschenkt?! Dort ist mein Zelt, das ich nicht einmal verlassen kann, ohne in unwürdiger Weise von Kindern insultiert zu werden, und in ihm alles, was ich besitze; überzeuge dich selbst von seinem Inhalte!«

Die letzten Worte waren das einzige meiner Rede, das ihn anmutete. Der praktische Mann der Tatsachen erhob sich, ohne ein Wort zu sagen, begab sich in mein Zelt und nahm eine Okularinspektion seines Inhaltes vor. Leer gähnten ihm die beiden verräterischen Kisten entgegen, denn ihren Inhalt an einigen Büchern und meteorologischen Instrumenten rechnete er verachtungsvoll für nichts.

Erwartungsvoll hingen aller Augen an der Zeltöffnung. Bald trat der enttäuschte Greis hervor, nahm aber sonderbarerweise keine Notiz von irgend jemand, durchschritt stumm die Versammlung und begann sich zu entfernen. Da erhob sich Arami und hielt hochaufgerichtet, die Lanze auf den Boden gestemmt, eine glänzende Rede. »Wohin gehst du, König?« sagte er etwa; »bist du nicht heute hierhergekommen, damit wir endlich über das Schicksal dieses Mannes entscheiden, der durch dein Zögern hier zurückgehalten wird? Warum lassen wir ihn nicht nach Fezzan ziehen, von wo er gekommen ist? Was wollen wir mit ihm machen? Ihn etwa töten? Soviel ich weiß, haben wir nicht die Gewohnheit, Menschenblut zu trinken, Wasserschläuche aus Menschenhaut zu machen oder Menschenfleisch zu essen! Und sonst hat dieser Fremdling keine Besitztümer, die uns reizen könnten; warum halten wir ihn also zurück? Unsere Brüder und Vettern wohnen in Fezzan; dorthin rufen uns unsere Handelsbeziehungen; wenn wir diesen Christen, der mächtiger ist als die ganze Regierung zu Murzuq, umbringen, so können wir nicht mehr unsere dortigen Märkte beziehen, und für den Tod dieses einen fallen zwanzig der unseren als Opfer. Ist es nicht verständiger, ihn ungeschädigt an seiner Person ziehen zu lassen? Sein Hab und Gut hat er verteilt; seine Eßvorräte haben wir aufgezehrt; den Weg kennt er nicht. Ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Wegkenntnis wird er in der Wüste zugrunde gehen; aber Gott wird ihn getötet haben, nicht wir.«

Es war eine schöne Rede, obwohl ich nicht gerade sagen kann, daß die Bilder, welche sie als die wahrscheinlichen und natürlichen Ziele meiner Feinde entrollte, mir besonders zugelächelt hätten. Doch ich erwartete immerhin einen großen Eindruck auf den König. Leider war der nüchterne Sinn desselben durchaus gefeit gegen derartige drastische Angriffe auf sein Gefühlsleben. Er ging auf keine der oratorischen Fragen ein, die scharf, bestimmt und gedrängt an Verstand und Gefühl der Anwesenden appellierten, sondern, schon außerhalb des Kreises der Versammlung, drehte er sich nur noch einmal um und sprach mit vernichtender Einfachheit: »Ich habe das leere Holz gesehen und gehe nach Hause!« Mit jener mißachtenden Bezeichnung, welche die ganze Größe seiner Enttäuschung entfaltete, belegte er meine armen Kisten.

Dementsprechend ließ sich auch Tafertemi nicht darauf ein, denen, die für mich gesprochen hatten, in sachlicher Erwägung zu erwidern, sondern setzte einfach seinen Weg nach Hause fort.

So verlief die ganze Zusammenkunft, auf die Arami und ich so große Hoffnungen gegründet hatten, resultatlos. Mein Herz wurde damit recht bedrückt und hoffnungslos. Noch glaubte ich zwar nicht, daß man wagen werde, die in Fezzan wohnhaften Tubu Reschade durch meinen gewaltsamen Tod in die größte Lebensgefahr zu bringen; und wenn Giuseppe bisweilen nach stürmischer Ratsversammlung sich nach dem Resultate derselben erkundigte und seinen Zeigefinger mit bezeichnender Gebärde um seine Kehle führend fragte: »Nun, ist es schon soweit?«, so konnte ich immer noch lächelnd erwidern, daß nach meiner Ansicht uns die Geiseln in Fezzan sicher stellten. Doch ich fürchtete, das Interesse der Vornehmen zu verlieren, dem Hunger und Elend preisgegeben zu werden und endlich in die Hände des rohen Volks zu fallen, das sich leicht in der Leidenschaft des Augenblicks zu einer blutigen Tat hinreißen lassen konnte. Jedenfalls war es eine Tatsache, daß wir bei unserm gänzlichen Mangel an Nahrungsmitteln und bei unserer Unkenntnis des Weges nur mit Hilfe angesehener Männer das Tal würden verlassen können, und das Interesse dieser begann zu erkalten.

Das Gerücht meiner mißlungenen Zusammenkunft mit dem Dardai setzte den Strom der Besucher wieder in Fluß, der in den letzten Tagen schwächer geworden war. Die Freunde der ersten Zeit begannen aus dem Stadium der Zurückhaltung in das der Feindseligkeit überzugehen, seit sie eingesehen hatten, daß meine beharrliche Ableugnung aller Schätze auf Wahrheit beruhte. Einer derselben, in dem ich trotz seiner rauhen Sprache und seines barschen Wesens etwas ungewöhnlich Offenes und Ehrliches zu sehen geglaubt hatte, murrte besonders laut. Dieser war mir vom ersten Tage an durch den Umstand aufgefallen, daß er allein von allen die nationale Beschäftigung des Tabakkauens zuweilen durch Rauchen unterbrach. Zu diesem Zwecke ergriff er ein längliches großes Verdauungsprodukt des Kamels, brachte auf dem einen Ende desselben eine Höhlung zur Aufnahme des Tabaks an und dieser diametral gegenüber ein Loch in der krustenartigen Oberfläche und schmauchte nun mit innigem Behagen Tabak und Kamelunrat zusammen. Ob ihm die letzte Zigarre, die mir geblieben war und die ich ihm in der Heiterkeit über die Entdeckung des Kamelmistrauchens verehrte, besser schmeckte als der letztere, war nicht mit Sicherheit zu entscheiden.

Kranke kamen zwar auch von Zeit zu Zeit, und je ängstlicher ich das wenige Besitztum, das noch vorhanden war, für Arami und seine Leute, an die sich meine ganze Hoffnung klammerte, hütete, desto mehr war ich beeifert, mir durch Spendung meines Medikamentenvorrats nach allen Seiten hin Freunde zu erwerben; doch leider bedurfte man im allgemeinen der therapeutischen Eingriffe wenig. Das Klima des Landes ist äußerst gesund.

Neugierde endlich und die Wichtigkeit des Ereignisses, einen christlichen Eindringling im Lande zu wissen, führte nach und nach auch die Einwohner der benachbarten Ortschaften und Täler herbei. Auch Derdekore, der große Sprecher von Zuar, obgleich er ursprünglich nicht hatte nach Bardai gehen wollen, erschien, um in der Angelegenheit seine gewichtige Stimme in die Wagschale zu legen. Glücklicherweise nahm er in seinem Urteil einen höheren Standpunkt ein und stimmte aus der politischen Rücksicht, mit Fezzan in leidlichem Einvernehmen zu bleiben, für meine Entlassung. Doch die meisten Besucher verharrten bei den engherzigsten Anschauungen.

An einem Tage kam ein Maina aus dem Tale Marmar, der natürlich in seiner Ferne keinen Anteil an meinen Geschenken erhalten hatte, um mir, nach einem vergeblichen Versuche, einen Wertgegenstand zu erpressen, ruhig auseinanderzusetzen, daß er dies als eine persönliche Beleidigung ansähe und sich, sobald ich aus den Händen Aramis entlassen sein würde, entsprechend zu rächen wissen werde.

Sobald ein neuer Besucher kam, geriet ich in stille Wut; ich wußte im voraus, daß ich nur Unangenehmes hören würde. In der ganzen Zeit meines gezwungenen Aufenthaltes in Bardai sah ich nur ein einziges Individuum, das aus reinem Mitgefühl mit meiner unerquicklichen Lage, ohne Spekulation auf einen persönlichen Vorteil, für mich einzutreten suchte. Er war aus einer der Ortschaften des Bardaitales und führte sich eines Tages mit einigen Wassermelonen bei mir ein, indem er in rührender Einfachheit auseinandersetzte, daß er in seinem Dorfe von dem Christen gehört habe, der, nachdem er gezwungenerweise sein Besitztum fortgegeben habe, Hunger leiden müsse, gewaltsam zurückgehalten werde und dazu noch seine Feinde von ihren Krankheiten heile, und da habe er gedacht, es müsse demselben doch Vergnügen machen, einige Früchte aus seinem Garten zu haben. Da er ein ziemlich angesehener Mann war, begab er sich sodann zu Tafertemi und sprach dort, wie ich erfuhr, energisch für meine Freilassung. Ich war zwar unmittelbar gerührt über das ungewöhnliche Zeichen von Mitgefühl, konnte aber meine Zweifel an der Aufrichtigkeit desselben nicht unterdrücken und wartete von einem Tage zum andern auf die Entwicklung des egoistischen Motivs, das dem anscheinenden Edelmute zum Grunde läge; doch obwohl er mir einen zweiten, durch dieselbe erquickende Gabe verannehmlichten Besuch abstattete, äußerte er keinen Wunsch, kein Verlangen, und seine isolierte wohltuende Erscheinung ist mir durchaus rein und unverdunkelt in dankbarer Erinnerung geblieben.

Eines Tages kam eine Schwester oder doch nahe Verwandte Tafertemis, um mich wegen eines chronischen Lungenkatarrhs zu konsultieren. Ich belud sie förmlich mit Mitteln aus meinem kleinen therapeutischen Vorrate, schon ihrer hohen Verwandtschaft wegen. Sollte man es glauben, daß die dankbare Dame unmittelbar nach ihrer Entfernung, noch unter meinen Augen, eine Bande von fünfzehn bis zwanzig Knaben zu einem Angriffe auf mein Zelt organisierte und in der Nähe Platz nahm, um sich an diesem Schauspiele zu weiden? Den jugendlichen Tubu, von denen die meisten in den Flegeljahren waren, sagte dieses Spiel natürlich außerordentlich zu. Wir durften uns nicht verteidigen, um durch einen Kampf gegen Kinder nicht unsere Würde zu schädigen; Arami war über Land gegangen, und selbst seine Schwester Fatima augenblicklich abwesend. Das Zelt konnte den Geschossen so großer Jungen unmöglich Widerstand leisten, und ich weiß in der Tat nicht, was daraus geworden sein würde, wenn nicht Bu Zeid und der ältere Bruder Kolokomis zufällig gekommen wären und die jugendliche Bande in die Flucht geschlagen hätten.

So schlichen die Tage unter Sorge und Ärger dahin. Wenn die Sonne des Morgens am klaren Himmel aufstieg über der lieblichen Szenerie des Tales, begann die Tagesqual. Dann kamen halbe Freunde und ganze Feinde, um mich durch die Hirnlosigkeit ihrer Räsonnements zu ärgern, durch schlechte Nachrichten zu entmutigen oder durch grausame Reden zu kränken. Die Hitze im Zelte wurde immer unerträglicher – wir näherten uns dem Ende des Monats August – und der Hunger immer quälender. Die Tagesmahlzeit, welche nicht nur zur Befriedigung des letzteren diente, sondern unter den obwaltenden Verhältnissen den Reiz einer zeitausfüllenden, genußreichen Beschäftigung gewann, obgleich sie nur aus oft recht schlechten Datteln bestand, blieb bald nach dem Besuche des Dardai meistens aus, da das Opfer meinem Beschützer allmählich zu groß erschien. Arami ging seinen Geschäften nach und erschien oft erst abends lange nach Sonnenuntergang mit dem ersehnten Körbchen, und der Hunger verscheuchte sonach häufig den Mittagsschlummer, der mir sonst zuweilen den endlosen Tag gekürzt und mich durch kurze Träume aus der trüben Umgebung in glücklichere Verhältnisse versetzt hatte. Das schmutzige Wasser, das uns zu schöpfen erlaubt war, wenn niemand sich in der Nähe befand, war vielleicht zu Ende gegangen; doch noch war die Umgebung zu belebt, als daß meine Diener, welche als Christensklaven kaum weniger rohen Schmähungen und körperlichen Gewalttätigkeiten ausgesetzt waren, als ich selbst, den Vorrat zu erneuern gewagt hätten, und zu Hitze, Hunger, Kummer und Langeweile kam wohl noch der Durst. Endlich neigte sich die Sonne, und alle unsere Hoffnung konzentrierte sich auf die Nacht. Dann mußte Arami heimkommen, sicherlich brachte er Datteln, vielleicht auch Nachrichten; wollte Gott, daß es günstige wären! Dann konnte ich mein Gefängnis verlassen und in der Abendkühle, wie ein wildes Tier im Käfig, in der nächsten Umgebung des Zeltes hin und her gehen, um meinem Körper einige Bewegung zu verschaffen, und endlich brachte der Schlummer der Nacht Ruhe und Frieden für kurze Stunden. Dies war der traurige Kreislauf unseres Lebens fast einen Monat hindurch. Ach, wie lang erschien mir derselbe!

Ich hatte gehofft, daß die Zeit die Gefühle der Leute von Bardai sänftigen werde; doch ihre Feindschaft blieb dieselbe, und nur ihre Furcht vor mir schwand allmählich und damit ihre Zurückhaltung. Diese Leute verlassen, wie schon erwähnt, mit seltenen Ausnahmen ihr heimatliches Tal nicht, und sehr viele von ihnen hatten niemals ein weißes Gesicht gesehen, denn die Ghazien der Araber beschränken sich auf die westlichen Täler. Nimmt man dazu die ungeheuerlichen Vorstellungen, die sie von den Christen als von einer kaum menschlichen Art von Heiden haben, so begreift man, daß sie während der ersten Tage nach meiner Ankunft irgendeine furchtbare öffentliche Kalamität, etwa ein vernichtendes Naturereignis oder eine verheerende Pest oder ein allgemeines Viehsterben erwarteten. Als von allen Befürchtungen sich keine verwirklichte, Sonne und Mond, Berg und Tal, Tiere und Pflanzen, unbeirrt durch den fremden Eindringling, in gewohnter Weise fortexistierten und auch keine außergewöhnliche Sterblichkeit eintrat, verlor sich die Furcht, und nur die Feindschaft blieb.

Arami selbst war sehr in Anspruch genommen. Mächtiger und angesehener als Tafertemi selbst, wurde er von allen Seiten aufgesucht als Schiedsrichter, Vermittler und Ratgeber. Seine Rastlosigkeit war ein lebendiges Beispiel der Energie und Elastizität, welche diesen armen darbenden Leuten innewohnt. Morgens in aller Frühe ging er zu seinen Datteln, die gerade reif wurden, schnitt einen Teil, trug ihn auf seinen Schultern nach Hause, ordnete die Arbeiten des Tages für seine Schwester und einen Sklaven und arbeitete an seiner Hütte. Dann ging er zu den allgemeinen Ratsversammlungen, die stets reichen Anlaß zu Streitfragen und Diskussionen brachten, bearbeitete das Staatsoberhaupt und die angesehenen Leute zugunsten meiner Entlassung und kam gegen 1 oder 2 Uhr nachmittags nach Hause, wo seiner irgendwelche Leute und Schwierigkeiten harrten, die in der kühlen Mittagsruhe abgefertigt wurden. Nachmittags arbeitete er wieder in seiner Dattelpflanzung, bereitete die tägliche Mahlzeit seines Kameles, das mit gepulverten Dattelkernen erhalten werden mußte, und trug dieselbe auf den unzureichenden Weideplatz in einiger Entfernung vom Dorfe. Dann begab er sich wieder zum Häuptling und den Edlen, sei es wegen meiner Person oder zur Erledigung anderer Angelegenheiten, oder saß bei uns und besserte sich sein Hemd oder Beinkleid aus – das Geschäft des Nähens ist ausschließlich in den Händen der Männer – oder lief rastlos zur Besorgung anderer Geschäfte hin und her und kehrte nicht selten erst um 10 oder 11 Uhr abends heim.

Als Arami eines Tages durch einen heftigen Katarrh gezwungen war, das Haus zu hüten, begab ich mich mit Bui Mohammed zu ihm, um eine ernstliche Besprechung über mein endliches Schicksal mit ihm zu halten. Ich gab ihm einen Rückblick auf seine treuen, doch bisher erfolglosen Anstrengungen, mich aus meiner unangenehmen Lage zu befreien, erinnerte ihn an sein Versprechen, mich mit Gottes Hilfe auf den Weg nach Fezzan zu bringen, schilderte ihm die Unmöglichkeit, lange mit einmaliger Dattelnahrung als Tagesration zu existieren, obgleich ich gern anerkennen wolle, daß er große Opfer zu unserer Ernährung gebracht habe, und zeigte ihm, wie auch die wenigen Freunde, die ich außer ihm habe, mehr und mehr erkalteten, und die Gefahr für mich nahe liege, als besitz- und folglich interesselos gänzlich zu verkommen und von irgendeinem Übeltäter erschlagen zu werden. Ich schloß mit dem Vorschlage, mir für die wenigen von mir reservierten Taler etwas Getreide- und Dattelvorrat zu kaufen und uns zur Flucht zu verhelfen, indem er uns mit seinem und Gordois Kamele bis auf die andere Seite der Berge geleite und dort unserm Schicksale überlasse.

Für diesen Dienst wolle ich ihm gern das geben, was er aus meiner Habe wünschen werde, und sicherlich nicht verfehlen, der Regierung von Fezzan seinen Einfluß und sein Ansehen bei den Teda im Gegensatze zu der Machtlosigkeit und Schwäche Tafertemis in lebhaften Farben zu schildern. Ich könne nur Heil für Tibesti in seiner Person erblicken, die offenbar zum Herrscher über die Tubu Reschade bestimmt sei.

Obgleich Arami sowohl die Richtigkeit der letzteren Bemerkungen anerkannte, als auch durch die verlockende politische Perspektive, welche ich ihm eröffnet hatte, und durch die schmeichelhafte Anerkennung der Bedeutung seiner Person sehr angenehm berührt wurde, so verzweifelte er doch noch nicht genug an seinem schließlichen Einflusse auf den Häuptling und fürchtete eine Vernachlässigung und Verletzung desselben noch zu sehr, um gleich auf meinen Plan einzugehen. Dieser sei das äußerste Mittel, meinte er, und er hoffe noch immer, mich am hellen Tage, vor den Augen aller Welt aus dem Tale zu entlassen.

Um meine Lage noch gefährlicher zu machen, brachten Flüchtlinge die Nachricht von dem entsetzlichen Untergange meiner Gefährtin Alexandrine Tinne durch den schamlosen Verrat der Tuarik. Da wir gleichzeitig nach Murzuq gekommen waren und in stetem Verkehr gestanden hatten, so hielt man die Dame, deren selbständige Reise ohnedem unbegreiflich erschienen wäre, für meine Frau, und meine Feinde suchten die Nachricht von ihrem schrecklichen Ende zu meinem Verderben auszubeuten.

Allnächtlich beriet ich nun mit Arami und suchte ihn um jeden Preis zur Annahme meines Fluchtvorschlages zu bewegen. Doch selbst das Versprechen, ihm meine Kamele auf der andern Seite des Tarso, also das Kostbarste, was ein Flüchtling in der Wüste haben kann, als Lohn für seine Beihilfe zu geben, vermochte nicht, seine Eitelkeit zu beugen, welche sich schämte, im Rate seiner Landsleute nicht einen vollen Sieg errungen zu haben und mich nicht trotz des Widerspruches der meisten und trotz der Haltung Tafertemis offen aus dem Tale Bardai hinausführen zu können.

Glücklicherweise überzeugte ihn ein Ereignis, dessen Zeuge er war, von der Notwendigkeit meiner heimlichen nächtlichen Entfernung. Ein harmloser Bewohner des südlichen Tibesti passierte auf der Durchreise Bardai mit einem wohlbeladenen Kamele. Der Mann war verschleiert, wie die meisten auf der Reise, von niemandem erkannt worden, und im Nu hatte sich das Gerücht verbreitet, einer meiner Leute versuche das Tal zu verlassen und unser Gepäck in Sicherheit zu bringen. Frauen, Kinder und Sklaven rotteten sich alsbald zusammen, beschimpften und bedrohten ihn und gingen dann zu der bei ihnen, wie es schien, nicht ungewöhnlichen Gewalttätigkeit der Steinigung über, als Arami und einige angesehene Männer vorüberkamen, die Sache aufklärten und dem Beleidigten und Gemißhandelten Genugtuung verschafften. Seit dieser Stunde gab Arami die Hoffnung auf, mich in friedlicher Weise offen abreisen zu sehen, und versprach seine Beihilfe zu nächtlicher Entweichung. Gordoi und Birsa wurden eingeweiht, und der Bruder Kolokomis, der den Zufluchtsort des letzteren im Tale des Ifotui kannte, begab sich zu demselben, um ihn auf einen gewissen Punkt unseres Weges zu bestellen, Aramis und Gordois Kamele wurden in die Wohnung des ersteren geschafft, scheinbar zum Zwecke medizinischer Behandlung, damit die Nachbarn sich in der Nacht des Aufbruches nicht wundern würden, wenn die Tiere im Augenblicke der Belastung die gewöhnlichen, blökenden Töne von sich gäben. Indessen kaufte Bu Zeid von seinem Onkel Temidomi für einen Taler Weizen, für dieselbe Summe Datteln und einen Esel, der in den Felsen des Landes sehr nützlich zu werden versprach und vielleicht später für einige Zeit ein Kamel ersetzen konnte. Ich wühlte die wenigen im Zelte vergrabenen Taler aus dem Boden und wurde durch den Hoffnungsstrahl mit neuer Kraft und frischem Mute erfüllt.

In der Nacht vom 2. auf den 3. September sollte die Stunde der Befreiung schlagen. Ich war in einem schwer zu schildernden Zustande der Aufregung. Doch wie gewöhnlich das Packen beim Beginne der Reise langsam vonstatten geht, so war es nahezu 2 Uhr morgens geworden, als wir hätten aufbrechen können. Da erklärte Arami plötzlich, es sei für diese Nacht zu spät, und wir müßten die folgende abwarten. In meiner Hast, dem Schauplatze meiner Leiden den Rücken zu kehren, war ich im höchsten Grade bestürzt über den Aufschub und in meiner Aufregung geneigt, an Verrat zu glauben. Bei der Nähe der Erlösung schien mir jedes Hinausschieben unserer Flucht einen Zusammensturz aller meiner Hoffnungen zu bedeuten. Ich war verzweifelt und schimpfte und tobte in höchst unvernünftiger Weise, deren ich mich nach ruhiger Überlegung aufrichtig schämte. Wieviel kann man in der Herrschaft über sich selbst von vielen unzivilisierten Völkern lernen, denen man sich so sehr überlegen glaubt? Wie hoch über mir standen in dieser Beziehung der alte Qatruner, Arami und seine Verwandten und selbst der Murabid Bu Zeid!

Auch der folgende Tag verging wie die übrigen. Wieder kamen um Mitternacht unsere Begleiter, und eine Stunde später konnten wir aufbrechen. Meine Habe war schon so erheblich zusammengeschmolzen, daß mit Ausnahme der Zeltstange, der Matten und ähnlicher Kleinigkeiten alles mitgenommen werden konnte. Wir umgingen die Ortschaft, wie in der schrecklichen Nacht unserer Ankunft, und erreichten nach einigen Stunden das steinreiche enge E. Oroa, das wir bei der ersten Passage schon am Tage fast unpassierbar gefunden hatten, und dessen Überwindung bei Nacht fast unmöglich erschien. Wir rasteten deshalb an seinem Eingange bis zum Anbruche des Tages. Arami ließ sich unterwegs angelegen sein, mich und die Kamele allmählich des überflüssigen Gepäckes zu seinem und seiner Begleiter Besten zu entledigen, deponierte in einer Felsspalte meine schöne Matratze und überwies seinem Neffen Birsa, als dieser in der Nähe des E. Gonoa Abschied von uns nahm und nach Bardai zurückkehrte, die schlanke messingene Wasserkanne und einen eisernen Kochtopf, den er augenscheinlich für Kupfer gehalten hatte, um dieselben in seiner Wohnung abzuliefern.

Der zweite Marschtag, der uns vom E. Udeno bis fast zur höchsten Höhe des Passes führte, brachte uns eine entsetzliche, fast über das Maß meiner Kräfte hinausgehende Anstrengung. Länger als einen Monat hatte ich eine strenge Hungerkur durchgemacht, und, fast an dieselbe Stelle gebannt, höchstens nach eingebrochener Nacht meinen engen Käfig, den Lagerplatz, durchmessen, um nicht ganz den Gebrauch meiner Glieder zu verlernen. Jetzt mußte ich zehn Stunden ununterbrochen, oft recht steil, aufsteigen und erhielt das erquickende Wasser karg zugemessen, denn ich hatte kaum noch das Recht, mehr zu verlangen, als diejenigen, deren Kamele den Vorrat trugen, die meine Führer und Retter waren und von denen ich gänzlich abhing. Wir nächtigten nahe unserm früheren Lagerplatze und der Wasserscheide unter bitterer Kälte, welche sich bei der spärlichen Nahrung und dem Mangel an hinlänglicher Bedeckung recht fühlbar machte; am folgenden Morgen gegen Sonnenaufgang hatten wir nur eine Temperatur von 6° C.

Gegen Mittag erreichten wir den Krater und folgten seinem südlichen Rande bis dahin, wo der Weg in südwestlicher Richtung nach Tao führt. Hinter einem Felsen trat hier plötzlich Kolokomi hervor, der mit seinem Bruder und einer Kamelstute auf uns gewartet hatte.

Der folgende Tag war noch ermüdender und ließ mich bisweilen an der Zulänglichkeit meiner Kräfte für den noch übrigen Teil unserer schwierigen Aufgabe zweifeln. Während eines Tagemarsches tranken unsere Tubu-Begleiter nur zweimal und dann eine größere Quantität; der Hunger und die Anstrengung der Fußwanderung über das schwierige Terrain hatten keine Macht über sie.

Der nächste Tag sollte uns ganz aus den Bergen hinaus an den Ort führen, wo wir uns von Arami und Gordoi trennen und allein den unsichern Weg nach Fezzan antreten sollten. Ein kurzer Marsch brachte uns über die letzten Hügel hinweg in die Ebene, die nur durch die westlichen, felsigen Ausläufer des überstiegenen Gebirgsstockes unterbrochen war. Dort sollten wir unsere Kamele abwarten, da wir nicht wagen durften, dieselben aus dem E. Arabu, der noch zum Territorium der Leute von Abo gehört, selbst abzuholen.

Es war die höchste Zeit, daß wir ankamen, und ein Glück, daß uns hier eine Ruhe von einigen Tagen aufgezwungen wurde, denn die Kräfte Giuseppes waren erschöpft, seine Plattfüße in einem bedauerlichen Zustande.

Ein weites, natürliches Wasserreservoir versah uns mit dem herrlichsten Getränk; die Felsen lieferten uns die geeigneten Mahlsteine, mit denen Sa'ad und 'Ali Bu Bekr alsbald einen Teil unseres spärlichen Weizenvorrates in Mehl verwandelten; der Sand war weich und der Schatten köstlich. Es wäre ein himmlischer Genuß gewesen, hier zu ruhen, zu essen und zu trinken, wenn unsere Rettung schon eine vollständige gewesen wäre.

Kaum hatten wir gegessen, getrunken und geschlafen, so begannen auch Arami und Gordoi schon, mir das mühsam erkämpfte Dasein zu vergällen und die Gefühle der Dankbarkeit, die ich ihnen trotz ihrer spekulativen Habsucht zollte, zu ersticken. Gordoi rückte zuerst mit seinen Ansprüchen hervor, verlangte den Mietpreis für sein Kamel, dessen Bezahlung wir auf Fezzan zu verschieben übereingekommen waren, und beanspruchte einen Salam, das heißt ebensowohl Begrüßungs- oder Unterwürfigkeitsgeschenk als auch Belohnung. Die messingene Waschschüssel, welche ich ihm anbot, genügte ihm nicht, da Arami die dazu gehörige Wasserkanne schon im Besitz hatte, und es entstand ein Streit, der mir eine traurige Aussicht auf die nächsten Tage eröffnete. Während dieser sollte Bu Zeid nach Arabu gehen und die Kamele und das Gepäck zurückholen.

Meinem Versprechen gemäß überließ ich Arami das letzte meiner Kamele, das übrigens bei seiner sichtlichen Schwäche Fezzan schwerlich erreicht haben würde, und ging an die Unterhandlung über die mietweise Überlassung der von Bu Zeid zu diesem Zwecke herbeigeführten fremden Tiere.

Zum Schlusse hieben meine Quälgeister noch einmal wacker auf unsere ohnehin schon unzureichenden Vorräte ein und versäumten nicht, das gedörrte Fleisch meiner gestorbenen Kamele mit uns zu teilen, um für den Rückweg in ihre Heimat einigen Mundvorrat zu haben. Endlich war alles zur Abreise bereit, und, ohne an die schwierige Aufgabe, die uns bevorstand, zu denken, lechzte ich nur nach dem Augenblicke der Trennung von meinen Tubu-Gefährten, deren Anblick allein mich schon in einem Zustande nervöser Irritation erhielt.

Endlich, als auch die Wasserschläuche gefüllt waren, gingen wir an die Bepackung der Kamele. Da erblickte ich zu meinem Erstaunen und Entsetzen Kolokomi, wie er sich mit seinem schnell und heimlich beladenen Kamele ohne Abschied zu entfernen begann. Keine Rufe hielten ihn zurück, und als ich den alten Mohammed dem Treulosen nachsenden wollte, kam plötzlich dessen lang verhaltener Groll gegen mich, seine halben Landsleute und unsere Reise zum vollen Ausbruch. »Siehst du«, rief er, »wie der letzte, dem verräterischen Charakter seines Stammes entsprechend, uns verläßt!? Geh doch jetzt auf dem Wege, den du so sorgfältig aufgeschrieben hast, nach Fezzan, wenn du es vermagst! Habe ich dir nicht vorher gesagt, wie es kommen würde!? O diese Christen, die nur einen eigensinnigen Kopf und viel Wissen, aber keinen Verstand haben! Bei Gott, wie du die Hauptschuld hast, so hast du auch den Hauptnachteil. Du kannst jetzt wählen, ob du getötet werden« – er machte die ominöse zirkuläre Bewegung mit dem Zeigefinger um den Hals – »oder verhungern willst. Wir andern mit unserer schwarzen Haut kommen wenigstens mit dem Leben davon, denn man wird uns höchstens zu Sklaven machen; nur für dich gibt es kein Entrinnen!«

Ich eilte Kolokomi nach, um ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen, denn ohne ihn war unsere Abreise fast unmöglich. Freilich kannte Bui Mohammed den Weg über Abo, aber abgesehen von der Gefahr, die uns dort drohte, besonders wenn wir ohne Tubu-Begleiter sein würden, genügten unsere Transportmittel nicht für die sieben wasserlosen Tage dieser Strecke. Ohne einen Führer bis zur Bornustraße, die dem alten Mohammed ebenfalls bekannt war, mußten wir auf der Schwelle der Rettung zugrunde gehen.

Kolokomi trieb hastig sein Kamel vorwärts und antwortete kurz, er sähe nicht ein, weshalb er noch bei mir bleiben solle, nachdem ich alle meine Habe an andere verteilt habe, und er immer leer ausgegangen sei. Er habe das Verdienst und die Mühe gehabt und dafür den Haß seiner Landsleute geerntet, diese aber hätten mein Besitztum geteilt. Jetzt, wo ich absolut nichts mehr mein nenne, sei kein Grund vorhanden, mich noch zu begleiten. Der Hinweis auf unsern Kontrakt war wirkungslos; erfolgreicher war jedoch das Versprechen eines Geschenkes nach Erreichung unseres Zieles und besonders die schließliche Drohung, ihn im Notfalle zur Erfüllung seiner Pflicht mit Waffengewalt zwingen zu wollen. Im Grunde war Kolokomi nicht ohne Gutmütigkeit und hatte es wohl hauptsächlich auf eine Erpressung abgesehen. Freilich war er bei dem obwaltenden feindseligen Verhältnisse zwischen Fezzanern und Tubu nicht zu bewegen, seinen Kontrakt bis zu Ende zu erfüllen und uns bis Fezzan zu geleiten, doch gelang es mir gegen das schriftliche Versprechen eines neuen Anzuges, seine Begleitung bis dahin zu gewinnen, wo wir, das Tümmogebirge vor Augen, des Weges sicher sein konnten.

Arami, Gordoi und Kolokomis Bruder waren, jeder in der Richtung seiner Heimat, verschwunden. Ich war wie von einem Alp befreit.

Der Anblick der Berge von Afafi hielt meine Energie mühsam aufrecht. Dieselben schienen so nahe, und in ihnen hoffte ich Ruhe und Schlaf und hoffentlich den unbeschränkten Genuß köstlichen Felsenwassers zu finden. Endlich war der Lolemmo erreicht und in ihm fanden wir glücklicherweise einige wohlgefüllte Wasserreservoirs.

Wie die nächste Umgebung des Meschru-Brunnens durch menschliche Gebeine gekennzeichnet ist, so fanden wir auf der ganzen Strecke von Tümmo bis zu jenem in den Höhlungen der Felsen noch manche skelettierte Opfer des Sklavenhandels. Wo wir rasteten, hatten auch diese Unglücklichen, einst von ihren Herren krank oder hoffnungslos erschöpft zurückgelassen, Schutz gegen die Sonne gesucht und ihr entsetzliches Ende erwartet. Der Eindruck ihrer Reste auf uns war um so lebhafter, als wir nicht mehr einzig und allein in der Betätigung des Selbsterhaltungstriebes aufgingen, der gleichgültig gegen die Leiden anderer macht. Unsere Hoffnung auf Rettung wurde mehr und mehr zur sicheren Überzeugung, und wir konnten dankerfüllt und mitleidsvoll derjenigen gedenken, deren Schicksal uns so lange in unmittelbarer Nähe gedroht hatte, und welche, weniger glücklich als wir, so nahe dem rettenden Ziele ihrem grauenvollen Verhängnis erlegen waren. Mit welcher Verzweiflung, öde und unbegrenzt, wie die des Lebens und Horizontes bare Umgebung, mußten die Armen in den Schutz dieser Felsen gekrochen sein, um, allein mit ihrer kummervollen Erinnerung an Heimat, Familie und verlorenes Glück das Erlöschen ihrer Lebenskräfte zu erwarten!

Die Unterbrechungen unseres Marsches wurden immer häufiger; fast nach jeder Stunde legten wir uns nieder, um einige Kräfte zur folgenden zu sammeln. Zu längerer Nachtruhe war die stattfindende Temperaturerniedrigung zu bedeutend, obgleich wir im Monat September waren. Unsere Kleidung bestand in dürftigen Fetzen, und da wir keine Decken besaßen, so verscheuchte die empfindliche Kälte bei aller Ermüdung den Schlaf.

Trotzdem der Kampf noch leidensvoll genug war, so malte meine Phantasie mir in der sicheren Zuversicht des Sieges doch schon den Aufenthalt in Fezzan mit seinen kulinarischen Genüssen, seiner Sicherheit, seiner ungestörten Nachtruhe und Siesta in den hoffnungsreichsten Farben.

Meist setzten wir unsern Weg fort, sobald die Strahlen der emporsteigenden Sonne uns das Verharren an derselben Stelle unmöglich machten, rasteten um Mittag zwischen den Sandsteinblöcken eines Zeugen, marschierten sogar nachmittags und fühlten uns durch die sichere Aussicht auf nahe Rettung so gekräftigt, daß wir auch während der folgenden Nacht nur kurze Zeit ruhten. Ende September morgens passierten wir die el-Had genannte Bodenabflachung und erblickten auf der Höhe des Vormittags von einem Hügel die dunkle Linie der Rhaba Tedscherris. Wir nahmen noch einen Trunk des Meschru-Wassers und eilten, mit einer letzten Kraftanstrengung die Datteln zu erreichen, welche uns vom nagendsten Hunger befreien sollten.

Die Dattelpflanzung Tedscherris ist gegen Süden und in geringerem Maße auch gegen Norden von einem unterbrochenen Dünengürtel umgeben, dessen Überwindung unserer Kraftlosigkeit noch erhebliche Schwierigkeiten darbot. Um Mittag war auch dies letzte Hindernis beseitigt, und wir stürzten auf den ersten Dattelbaum zu, der uns aufstieß und reife Früchte trug. Wir mußten nach so langer Hungerkur vorsichtig in der Nahrungseinnahme sein, waren es aber trotz der Reserve, die wir uns in dieser Beziehung auferlegten, bei weitem nicht genug, wie uns die Folge lehrte. Wir verharrten in der schattenreichen Pflanzung bei einem ihrer oberflächlichen Brunnen bis gegen Abend und erreichten dann in einigen Stunden das Städtchen, das voller Araber aus dem nördlichen Tripolitanien war, wie stets zur Zeit der begonnenen Dattelernte.

Unsere Ankunft brachte eine große Aufregung in dem kleinen Orte hervor, denn jeder, der die Tubu Reschade kannte, hatte seit lange die Hoffnung aufgegeben, uns je wiederzusehen. Alle empfingen uns mit freudigem Erstaunen und mit ungeheuchelter Bewunderung unserer physischen Leistung.

Unsere Mitteilungen über die feindseligen Pläne der Tubu Reschade gegen Fezzan verbreiteten eine allgemeine Besorgnis, und besonders die fremden Araber beschlossen, sich schon andern Tages zu ihren zahlreicheren Stammesgenossen in Qatrun zurückzuziehen.

Auch wir brachen schon am Abend des folgenden Tages von dem gastlichen Städtchen wieder auf, nachdem ich morgens zum abwechselnden Reiten für die allzu Ermüdeten und zum Tragen des Handgepäcks einen Esel für dreizehn Real Fezzaner Währung auf Kredit gekauft hatte.

Die Freude des Hadsch Dschaber bei dem Empfange der Nachricht von unserer Ankunft war unbeschreiblich gewesen. Der Bote, welcher ihm dieselbe überbracht hatte, begegnete uns auf seiner Rückkehr nach Tedscherri und erzählte, daß der alte Herr, sonst in dem Hange zum Geiz den Murabidija ein so würdiges Vorbild, in seiner Aufregung ihm drei blanke Mariatheresientaler geschenkt habe. Sein ganzes Leben bot kein Beispiel einer ähnlichen Freigebigkeit. Bei unserer Ankunft in Qatrun wurden wir von ihm und seinem brüderlichen Schatten Hamdun mit Broten, Hühnern und Datteln wahrhaft überschüttet, und wenn meine Verdauungsorgane schon den gastfreundlichen Angriffen der Leute Tedscherris nur unzureichenden Widerstand zu leisten vermocht hatten, so wurden sie in Qatrun vollständig besiegt und nicht gerade zum besten des Wiedergewinnes meiner Kräfte funktionsunfähig gemacht. Nicht wenig trug dazu ein fetter Ziegenbock bei, den ich zur Feier der Rettung gekauft hatte.

Wir erreichten am Mittag des folgenden Tages Mestuta, setzten noch nachmittags unsern Marsch fort und hatten die Freude, gegen Abend auf einen Boten des vortrefflichen Hadsch Brahim Ben Alua zu stoßen, der mir mit einem prächtig aufgezäumten Kamel, Vorräten an Reis, Makkaroni, Kaffee, Zucker, Eiern und feinem Backwerk und einem liebenswürdigen Briefe seines Herrn entgegenkam. Selbst türkischen Tabak mit Zigarettenpapier hatte mein ausgezeichneter Freund nicht vergessen, und wo er ein Dutzend wirklicher Zigarren aufgetrieben hatte, ist mir niemals enthüllt worden. Wir lagerten natürlich sofort in dem einladenden Sande, tranken den lang entbehrten Kaffee, ließen uns das kunstvolle Backwerk schmecken, und noch nie glaubte ich Zigarren von solchem Aroma geraucht zu haben. Alles dies diente leider meinen Verdauungsorganen sehr wenig. Ein heftiger Magendarmkatarrh war die Folge, und ich war von Herzen froh, als ich, am 8. Oktober in meiner Häuslichkeit zu Murzuq angekommen, durch Ruhe und zweckmäßige Nahrung meine baldige Genesung erhoffen zu können glaubte.

Die Stadt war noch erfüllt von dem entsetzlichen Ende Fräulein Tinnes, deren Leute alsbald kamen, um sich unter meinen Schutz zu stellen. Ich ließ ihnen diesen um so lieber zuteil werden, als ich nur durch meinen täglichen Verkehr mit ihnen allen in die Lage kommen konnte, die Greueltat und ihren Verlauf, ihre Urheber und die Motive derselben richtig zu beurteilen. Die Regierung selbst war ziemlich im unklaren über die Täter, denn der unfähige Pascha hatte sich wenig angelegen sein lassen, dieselben zu entdecken und zu ergreifen; vielmehr wollte man wissen, daß er eine unverkennbare Freude darüber empfunden habe, daß das traurige Schicksal seiner Schutzbefohlenen ihn von einer Geldschuld befreite, die er bei derselben kontrahiert hatte. Nicht einmal um die Beerdigung der armen Dame hatte er sich bekümmern wollen, und es war der Hadsch Brahim gewesen, der einen besonderen Boten zu dem Zwecke an den Ort der Tat geschickt hatte.

Außer der Pflege meiner Gesundheit lag mir nun die Ordnung der Angelegenheiten meiner ermordeten Reisegefährtin ob.

Zunächst ließ ich mir angelegen sein, eine möglichst genaue Kenntnis von dem ganzen Vorgange zu gewinnen.

Von der Dienerschaft Fräulein Tinnes, welche eine sehr bunt zusammengewürfelte gewesen war, hatten die beiden frühergenannten europäischen Diener das Schicksal ihrer Herrin geteilt.

Nachdem die Dame gleichzeitig mit mir aus Murzuq aufgebrochen war, hatte sie sich ohne Verzug in den Wadi Gharbi begeben und den berühmten Tuarik-Häuptling bereits dort vorgefunden. Derselbe war ohne weiteres geneigt gewesen, die Reisende mit sich nach Ghat zu führen, hatte aber leider die Geschäfte, welche ihn auf das Territorium von Fezzan geführt hatten, früher beendigt, als jene erwartet hatte. Und so übergab er seine Schutzbefohlene dem Murabid Hadsch Ahmed Bu Slah, der im Wadi Gharbi seinen Wohnsitz hatte, doch aus dem Tuariklande stammte, mit dem Auftrage, sie nach Murzuq und darauf nach Ghat zu geleiten. Mit der Versicherung, daß sie in den Händen jenes frommen Mannes gerade so sicher sein werde, als in seinen eigenen, reiste der alte Häuptling ab.

Während nun Fräulein Tinne, in die fezzanische Hauptstadt zurückgekehrt, mit ihrem Geleitsmann die Vorbereitungen zur Abreise betrieb, erhielt sie den Besuch von acht Tuarik aus dem Gefolge Ichnuchens, die ebenfalls zur Besorgung persönlicher Angelegenheiten zurückgeblieben zu sein behaupteten. Dieselben waren keineswegs aufdringlich, machten ihr, als einer distinguierten Fremden, die demnächst ihr Land besuchen werde, einen Anstandsbesuch und stellten sich für den Fall ihrer gleichzeitigen Reise in jeder Hinsicht zu ihrer Verfügung. Unter diesen befand sich der Hadsch esch-Scheich, ein Schwestersohn Ichnuchens, und ein Onkel des in Murzuq gemieteten 'Abd er-Rahman, dessen Mutter eine Tariki-Frau gewesen war.

Fräulein Tinne war hocherfreut über die Aussicht einer solchen Reisegesellschaft, welche alle Bedingungen der Sicherheit in sich zu schließen schien, schenkte den Leuten Ehrengewänder und verabredete mit ihnen eine, wenn auch nicht gemeinschaftliche, so doch gleichzeitige Reise nach Ghat.

Die acht Tuarik verließen in der Tat gleichzeitig mit ihr die Stadt, nächtigten täglich in der Nähe ihres Lagers, brachen mit ihr zu derselben Stunde auf und blieben auf dem Marsche in Sicht.

Es war am 1. August, als man von Aberdschudsch aufzubrechen beabsichtigte. In der Morgenfrühe hatte man begonnen, das Lager abzubrechen; ein Teil der Kamele war bereits beladen; doch noch standen die Zelte der Frauen. Da begannen, wohl verabredetermaßen, zwei der mit ihren Kamelen gemieteten Araber einen Streit über das ihren Tieren aufzulegende Gepäck. Kees Oostmans war in der Nähe der streitenden Araber, mischte sich in ihren Wortwechsel und suchte vermittelnd, schlichtend, zur Ruhe verweisend einzugreifen. Dieser Umstand mußte den Verschwörern als Veranlassung zur Ausführung ihrer schändlichen Pläne dienen. Plötzlich sprang der Tariki Hadsch esch-Scheich mit erhobener Lanze unter die Streitenden und durchbohrte den jungen Holländer mit den Worten: »Warum mischest du dich in den Streit von Muselmanen?« Derselbe stürzte tot zu Boden, und damit war die Szene der Verwirrung, welche den Zweck des verabredeten oder doch künstlich in Szene gesetzten Vorganges bildete, herbeigeführt. Kees' Gefährte, Ary Jacobse, stürzte beim Anblick seines ermordeten Kameraden auf sein Kamel zu, um sein Gewehr zu ergreifen, doch ehe er dasselbe erreichte, streckte ihn ein Schwerthieb des Mörders über den Hinterkopf zu Boden, und ein Lanzenstich vollendete die Tat. Der wüste Tumult rief natürlich Fräulein Tinne aus ihrem Zelte herbei, doch ihre befehlende Stimme verhallte ohnmächtig, und bald befand sich die arme Dame, auf deren Leben es abgesehen war, im dichten Getümmel, umgeben von verräterischen Arabern, von feigen oder mitschuldigen Dienern und gewalttätigen Tuarik.

Ein Araber war es, der zuerst die Hand aufhob gegen das wehrlose Weib, jener 'Otman aus dem Stamme der Bu Sef, der noch heute auf tripolitanischem Gebiete ein freies, wenn auch seit jenem Verbrechen gesetzloses und räuberisches Leben führt. Sein Hieb mit scharfer Waffe über Hals und Schulter streckte sie noch nicht zu Boden; erst nach einem zweiten über den Vorderarm, den ein Sklave des Hadsch esch-Scheich geführt haben soll, und nach dem starken Blutverluste sank die zarte Dame zusammen. Ihr Bewußtsein schwand glücklicherweise bald, doch erst als die Sonne die Mitte ihrer Bahn überschritten hatte, hauchte die Arme das Leben aus.

Im Bewußtsein der Schmach, mit der sie ihre Untat bedeckte – auch in jener Welt der Rechtlosigkeit, des Raubes und Mordes, in der ein Menschenleben von sehr geringem Gewicht ist, gilt es für eine Schande, ein Weib zu töten –, suchten die Mörder sich vor sich selbst und der Welt zu entschuldigen, indem sie ihre verräterische Tat als den Ausfluß ihres religiösen Gefühls, ihres Hasses gegen die Christen darstellten.

Darauf machten sich die Täter an die Befriedigung ihrer Habsucht, welche ohne Zweifel das alleinige Motiv zur Tat gebildet hatte. Wenn schon für den ärmlichst ausgerüsteten europäischen Reisenden eine gewisse Gefahr in seiner Habe liegt, die trotz aller ihrer Bescheidenheit dem armen Wüstenbewohner reich und begehrenswert erscheint, so mußte dies in ganz anderer Weise der Fall sein bei unserer holländischen Reisenden, welcher der Ruf eines märchenhaften Reichtums vorausging.

Die Verteilung des übrigen Inhalts der Kisten und Säcke wurde auf dem Wege der Versteigerung der einzelnen Gegenstände an den Meistbietenden vorgenommen, wobei das zuvor verteilte Geld, Kamele, Waffen und dergleichen als Kaufmittel dienten. Sogar während dieser Zeit war das Schlachtopfer nicht vor den Roheiten ihrer Henker sicher. Noch aus ihren Wunden blutend und leise stöhnend wurde sie ihrer Kleider beraubt, und zwar wurde allgemein 'Abd er-Rahman als Anstifter dieser neuen Schändlichkeit bezeichnet, so daß also die vorherige Mitwissenschaft desselben ebenfalls sehr wahrscheinlich ist.

Gegen 2 Uhr nachmittags hatte Alexandrine Tinne ihr heldenmütiges, glückarmes Leben, das sie aus der glänzenden Welt ihrer Jugend in die Wüsten Afrikas geführt hatte, ausgehaucht. Einst an Königshöfen bewundert in der Entfaltung ihres Geistes und ihrer Schönheit, hatte sie die Wunden eines unbefriedigten Herzens durch überweibliche Anspannung physischer und geistiger Kräfte zu heilen oder zu vergessen gesucht und ihr Wohlwollen an diejenigen verschwendet, welche sie jetzt verraten hatten.

Die Mörder und Räuber kehrten auf den verschiedenen Wegen in ihre Heimat zurück; die lieblose Schar der Diener verließ eiligst den Schreckensort, fast ohne einen Blick auf ihre Wohltäterin zurückzuwerfen, welche, jüngst Besitzerin von Millionen, jetzt ihrer Kleider beraubt und mit klaffenden Wunden, kaum den letzten Atemzug getan hatte. Bald lagerte wieder die heilige Stille der Wüste über dem Schauplatze des blutigen Verbrechens, und nur die Aasgeier bewachten ihre sichere Beute.

Als das Gefolge Fräulein Tinnes mit der Trauernachricht in Murzuq eintraf, war das erste Gefühl des Gouverneurs das der Freude, nun der Rückzahlung einer bei der Verstorbenen kontrahierten Schuld überhoben zu sein. Man begnügte sich, das Ereignis nach Tripolis zu berichten, die Effekten der Verstorbenen in Aufbewahrung zu nehmen und von Ichnuchen zu verlangen, er solle das gefangene Njamnjam-Mädchen Jasmina, die geraubten Sachen und die Mörder nach Murzuq senden. Der Hadsch Ahmed Bu Slah war begreiflicherweise aus Furcht, zur Verantwortung gezogen zu werden, mit seinen Verwandten, den Tuarik, nach Ghat gezogen und kehrte vorläufig nicht an seinen Wohnsitz zurück.


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