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»Der« Christkindl

Freilich sagt man »das Christkindl«. Aber wer diese Geschichte liest, der weiß dann, dass auch der Christkindl richtig ist, denn die Volkssprache kümmert sich nicht viel um die strengen Regeln der Grammatik, sondern sucht und findet bei allen Gelegenheiten Namen und Bezeichnungen, die so zutreffend, eindeutig und umgreifend sind, dass sie oft eine ganze Geschichte enthalten, wie diese:

Der Christbaum ist noch gar nicht so alt. Wenigstens bei uns im böhmisch-bayrischen Wald weiß man erst sechzig bis siebzig Jahre etwas von ihm. Man sagt da auch heute noch »'s Christkindl legt ein«, was daran erinnert, dass den Kindern früher die Weihnachtsgaben in Teller, Schüsseln oder Körbeln gelegt wurden.

Also zu der Zeit, wo das Christkindl noch »eingelegt« hat, da ist einmal am letzten Schultag vor Weihnachten der Pfarrer von Hammern vor den Kindern gestanden und hat gesagt: »Liebe Kinder! Wenn ihr jetzt zu den Feiertagen in die Kirche gehet, so werdet ihr das Jesukindlein in der Krippe liegen sehen. Das Kindlein musste liegen auf Heu und Stroh und so armselig war es, dass es nicht einmal ein Bettlein hatte, ja kaum ein paar Windeln. Das Ärmste von euch hat seine warme Zudeck und braucht nicht zu frieren, wenn es draußen stürmt und schneit. Seht! Und da müsst ihr immer daran denken, dass unser Heiland schon als Kind für uns gelitten hat. Darum betet in diesen Tagen fleißig zum Jesukinde und bleibet auch ihr alle brave Kinder, bis wir uns nach den Feiertagen wieder hier sehen. Und nun gehet mit Gott nach Hause.«

Dem Riedererbuben, dem Aloisi, hat das vom Christkindl so gepackt, dass er den ganzen Heimweg daran denken hat müssen, wie das Jesukind in der Krippe gefroren hat. Und wie ihm beim Waten durch den kniehohen Schnee die Zehen, Finger und Ohren eiskalt und steif geworden sind, hat es ihm vor lauter Mitgefühl die Tränen in die Augen getrieben.

»Warum habn sie's denn nicht zudeckt, das Christkindl?« hat er daheim die Mutter allweil gefragt. Aber die hat ihm auch nichts anderes darauf sagen können wie: »Weißt, Aloisi, die hl. Maria, seine Mutter und der hl. Josef haben halt nichts gehabt zum zudecken.« Das hat dem Buben nicht eingeleuchtet. »Hätt denn der hl. Josef seinen Rock nicht ausziehn können?« hat er spekuliert.

Am hl. Abend hat das Christkindl dem Aloisi hübsch was eingelegt und dann hat er auch zum ersten Mal mit in die Nachtmetten dürfen. Richtig ist in der Kirche auf dem rechten Seitenaltar in einem geschnitzten Krippel das Christkindl gelegen. Dem Aloisl ist vor lauter Schauen das Göschl offen geblieben, so schön ist das Jesukindl dagelegen. Aber weil es halt gar nichts Warmes angehabt hat und grad nur mit einer Windel zugedeckt gewesen ist, da hat es den Buben so erbarmt, dass er mit dem Augenauswischen und Schneuzen gar nicht fertig geworden ist. Am liebsten hätt' er geschrien: »So deckt's es doch zu!« Freilich hätten das die Großen – überhaupt der Herr Pfarrer oder der Schullehrer – selbst wissen können, dass man ein kleines Kind nicht so frieren lassen darf.

»Am End muss das so sein«, hat sich der Aloisi getröstet, »damit das Christkindl für uns leiden kann, wie der Herr Pfarrer in der Schule gesagt hat.« Aber halt gar so frieren lassen! Wenn Sommer gewesen wäre – aber jetzt mitten im Winter!

Dass das Jesukindl in der Krippe nur eine Puppe gewesen ist, daran hat der Aloisi in seinem weichen Herzen nicht mehr gedacht.

Wie der Bub dann mit seinem Vater von der Kirche heimkommen ist und ihnen die Mutter eine Schüssel Mettenwürste hingestellt hat, ist dem Aloisi vor Heißhunger das Mitleid mit dem Jesukind vergangen und er hat sich so angepampft, dass er nimmer »Pfaff« hat sagen können. Erst wie er ins Bett gescham wurde und die Mutter die kalte Zudeck über ihn gezogen hat, ist ihm das Christkindl wieder eingefallen. »So viel hat's mir eing'legt, so brav ist's gewesen, das Christkindl!« hat der Bub sinniert, »und jetzt muss es schier nackt in der kalten Kirche liegen.«

Der Vater und die Mutter haben in der Kammer geschlafen und so haben sie nicht gehört, wie der Aloisl gegen Früh im Stüblbett hinten zum umwälzen und stöhnen angefangen und im Schlaf vom Christkindl geredt hat, dass sie's doch um Gotteswillen zudecken sollen.

Dass Kinder im Schlaf reden, das ist nichts Seltsames – überhaupt wenn sich eins so trommelrund voll isst, wie selmal der Aloisi mit den Mettenwürsten. Aber das geschieht nicht alle Tage, dass der Mesner, wenn er in der Früh in die Kirche Gebetläuten geht, in der Krippe kein Christkindl mehr findet, wie damals in Hammera. Wenn der alte Jogi auch gleich den Pfarrer aufgeweckt und gemeldet hat: »Gelobt sei Jesus Christus! 's Christkindl habn s' uns g'stohlen«, so hat ihm der Pfarrer doch keinen anderen Trost geben können wie, dass er ihn angeschrien hat: »Allweil trag ich dir's auf, Mesner, du sollst die Kirche über Nacht absperren. Aber du folgst ja nicht. Ich sag's ja! Jetzt stehln s' uns 's Christkindl. So eine Schande!«

Alles Suchen hat nichts genutzt. Das Christkindl ist weg gewesen.

Diesen Christtag hat der Pfarrer seine Frühmesspredigt so angefangen: »Liebe Pfarrkinder! Wie wir heute in der Nacht nach der Mette auseinandergingen, ist, wie Ihr alle gesehen habt, das Jesukindl noch friedlich und lächelnd im Kripplein gelegen. Heute früh, als der Mesner in die Kirche zum Gebetläuten kam, war es von ruchloser, frevlerischer Hand entwendet. Ich habe angesichts dieser teuflischen Tat nur den einen Wunsch, Gott gebe es, dass der Dieb nicht eines meiner Pfarrkinder ist, sondern vielleicht ein Zigeuner oder sonst so ein herumstreifender Unchrist.«

Die Leute haben diesen Christtag die weiteren Worte der Festpredigt kaum mehr gehört und was sie während der Messe miteinander getuschelt haben, das ist dann nach der Kirche im Wirtshaus und am Heimweg von aufgeregten Gruppen laut besprochen worden und der Diebstahl hat bei jung und alt seine Verdammnis gefunden.

Die Riedererleut sind auch – wie jeden Sonntag – in der Frühmesse gewesen und wie sie heimkommen sind, ist die Riederin gleich ins Stübl gegangen, den Aloisi aufwecken, dass er ins Hochamt zurecht kommt und weil sie ihm vom gestohlenen Christkindl erzählen hat wollen. Aber der Bub hat geglüht vor Fieber und wie ihn die Mutter gerüttelt hat, hat er phantasiert: »Gelt, da ist's warm bei mir, gelt, da ist's warm bei mir.«

Die Riederin hat vor Angst um den Buben ihren Mann gerufen. Dem sind gleich die vielen Mettenwürste eingefallen, die der Aloisi in der Nacht gegessen hat, und er hat ihn aufgedeckt!

Da ist neben dem Aloisi das verschwundene Christkindl aus der Kirche gelegen!

Der Riederer ist erst käsweiß geworden und hat um sich gegriffen, ob er wacht oder träumt. Dann hat er den Aloisi vor Zorn aufgerissen, geschüttelt und geschupft: »Mistbub! – Du! – Du! – wo hast du das Christkindl her?! Du! – Du!« – Aber der Aloisi ist nicht zu sich gekommen und hat nur allweil gefiebert: »Nicht aufdecken. Es muss ja schön warm haben.«

Ist dem Riederer nichts anderes übrig geblieben, als den Buben wieder ins Bett zu legen und das Christkindl, sorgsam unterm Mantel versteckt, in den Pfarrhof zu tragen. Na, der Pfarrer hat da freilich große Augen gemacht, wie der Riederer, der angesehenste Bauer im Dorf, mit dem gestohlenen Christkindl angerückt ist und gestottert hat: »Herr Pfarrer – wie's zu mein Buben ins Bett kommen ist – weiß ich nicht. Das werden wir erst hören – bis er zu sich kommt. Derweil fiebert er noch. Ich bitt Euch nur um das eine, verraten S' nichts von der Geschichte. Ich könnt ja nimmer unter die Leut gehen.«

So ist beim Hochamt das Christkindl schon wieder auf seinem Platz im Krippl gelegen und es hat sich herumgesprochen, dass der reuige Dieb das gestohlene Gut von selber zurückgebracht hat. Wer's aber gewesen ist, hat niemand gewusst.

Derweil hat die alte Schmiedin den Aloisi in die Kur genommen und hat ihm ein Trankel gekocht, das ihm, bevor 's noch Mittag gewesen ist, die Mettenwürst wieder ausgetrieben hat. Daraufhin ist der Bub ruhiger geworden und wie nach dem Essen der Herr Pfarrer selbst nachschauen kommen ist, da ist er wieder hell im Köpfl worden, hat zum Flennen angefangen und hat gebeichtet: »Der Herr Pfarrer hat uns in der Schul erzählt, dass das Jesukindl so viel – für uns – hat frieren müssen – und da hat's mich so erbarmt und wie ich's dann in der kalten Kirche – hab liegen sehen – hat 's mich noch mehr erbarmt – und dann hat mir – geträumt – ich bin aufgestanden – es ist noch finster gewesen – und bin in die Kirche hinunter gegangen und – hab das Christkindl heimtragen und – zu mir gelegt, dass es warm hat.«

»Bist du nicht doch am End wirklich aufgestanden und hast dir das Christkindl geholt?« hat der Pfarrer gefragt, der den Zusammenhang schon geahnt hat.

»Ich weiß 's nicht«, grübelte der Aloisi, »aber ich mein, mir hat's – träumt.« Als sie dann darauf gekommen sind, dass dem Aloisi sein Gewandei nicht beim Ofen gelegen ist, wie sonst, sondern auf der Bank beim Fenster, da hat es nimmer anders sein können, wie dass der Bub im Fieber aufgestanden ist, sich angezogen hat und das Christkindl geholt hat. Hintennach ist auch dem Knecht eingefallen, dass er in aller Früh die Haustür gehen hat gehört.

Der Pfarrer hat jetzt nicht etwa eine Strafpredigt losgelassen, sondern ganz im Gegenteil den Aloisi seinen »lieben, dummen Buben« genannt. Und wie er fortgegangen ist, da hat er sich auf der Grad draußen verstohlen eine Träne aus den Augen gewischt.

Der Aloisi ist am andern Tag schon wieder pumperlgesund gewesen – aber die Dienstboten müssen die Geschichte mit dem Christkindl doch weitererzählt haben, weil ihn die Dorfkinder vor der Kirche gleich mit: »Ui, der Christkindldieb!« empfangen haben. Zum Glück ist der Pfarrer dazu gekommen und hat den Kindern ein für allemal verboten, den Aloisl so zu schimpfen. Ja der Pfarrer hat über den Riederer-Buben sogar eine schöne Predigt gehalten und darauf hingewiesen, dass der Heiland auch diesen Buben gemeint, wenn er gesagt hat: »Lasset die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich«, denn wenn der Aloisl in seinem kindlichen Unverstand und noch dazu im Fieber das Christkindl heimgetragen hat, nur um es in sein warmes Bett zu legen – also nur aus Mitleid und nicht aus Habsucht – so ist das keine Sünde, sondern ein gutes Werk vor Gott dem Herrn.

Das Schimpfwort »Christkindldieb« hat der Pfarrer damit ausgelöscht. Aber dass die Hammerer von nun an, wenn sie vom Aloisl redeten, »der Christkindl« gesagt haben, das ist nicht mehr zu ändern gewesen. Der Aloisi ist sein Leben lang »der Christkindl« geblieben, ja der Name ist sogar auf den Hof übergegangen, wo es noch heute »beim Christkindl« heißt.


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