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Die Hacienda

»Marion! Marion! Hörst Du denn nicht? Hast Du wieder einen Roman vor? Sacré! – Mädchen! Marion!«

»Nun ja doch, Papa, ich höre ja! Was gibt es denn?«

»Ich gehe auf eine Stunde in den Wald, will nach dem Vieh und nach den Pferden sehen! Hörst Du, in einer Stunde bin ich wieder zurück, spätestens. Halte mir bis dahin das Frühstück bereit!«

»Ja, ja, Papa!« – Und der nur halb erhobene Kopf senkte sich wieder, und die Augen suchten begierig den unterbrochenen Satz wieder auf.

Es waren Vater und Tochter, die sich die flüchtigen Worte zugerufen. Der Vater, ein Mann in den vierziger Jahren, mit bereits ergrauendem, aber immer noch starkem Haar und Bart, in halb europäischer, halb mexikanischer Kleidung, warf eine kurze Flinte über die Schulter, pfiff einem riesigen Hunde, ergriff dann einen mächtigen Stock mit eiserner Spitze und verschwand hinter einer Wand von üppig wuchernden Gebüschen. Die Tochter fuhr fort zu lesen. Wie sie da saß, auf der einfachen Holzbank, den einen Fuß mit dem zierlichen Seidenschuh heraufgezogen auf die Bank, den Kopf zurückgelehnt auf den einen Arm, während die andere Hand das Buch hielt, mit halbgeschlossenen Augen, glich sie dem Bilde üppigen Nichtstuns und sehnsüchtigen Schmachtens. Ihre vollen roten Lippen waren leicht geöffnet, das glänzende braune Haar ringelte sich in losen Locken bis auf die freien, weichgeformten Schultern und den Ansatz der hohen Brust, der kokett mit seiner schneeigen Wölbung hervortauchte aus dem schwarzen knappen Seidenkleide – die Mantille war herabgefallen auf die Bank und hing nieder bis zur Erde – wahrlich, wer sie so gesehen, würde sie für das Musterbild einer schönen, nichtstuenden Mexikanerin gehalten haben.

Aber auch nur der Fremde. Der Einheimische hätte sofort aus dem Schnitt ihrer Züge, aus der Farbe ihres Haares und ihrer Haut, ja selbst aus dem Anzuge erkannt, daß sie weder eine Spanierin, eine Kreolin, noch eine Mestizin sei. In der Tat war Marion die Tochter französischer Eltern. Ihr Vater hatte sich vor ungefähr acht Jahren hier oben auf den mexikanischen Bergen angesiedelt und eine Hacienda gekauft.

Sie saß unter einem leinwandbedachten, einfachen Balkon, der dicht am Rande einer schmalen Schlucht errichtet war, deren Wände fast tausend Fuß tief in senkrecht aufeinanderstehenden Terrassen abfielen. Welch wundervolles Landschaftsbild! Hier, mehr als zweitausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel, dessen dunkles Blau von einem geübten Auge hier und dort in meilenweiter Entfernung zwischen dem Grün und den Felsen entdeckt werden konnte, vereinten sich alle Reize und Schätze der heißen und der gemäßigten Zone, die das östliche Mexiko zu einem Paradiese machen. Aus der Schlucht (Barranca) wucherte eine unermeßliche Pflanzenwelt herauf, glänzend, saftig, das Auge verwirrend, wie ein Urwald. Von diesen engen Gebirgstälern kann sich bei Deutsche nur dann annähernd eine Vorstellung bilden, wenn er das Bodetal im Harz oder die Drachenschlucht bei Eisenach kennt und sich die Wände dieser Schluchten fast senkrecht und mit der üppigsten tropischen Vegetation bekleidet denkt.

Ungefähr fünfzig Schritt von dem Rande dieser Barranca und von dem Balkon, der gleichsam an diesem Rande schwebte, befand sich die Hacienda des Sennors oder wie er sich noch lieber nennen hörte, Monsieur Lamothe. Einige prächtige Palmen, die sich über Lorbeergebüsch erhoben, entzogen sie von dieser Seite fast ganz dem Blick und hinter dem von Sträuchern möglichst gereinigten ebenen Felsboden, der die Hacienda auf allen Seiten umgab, zeigte sich in urwaldgleicher Ueppigkeit ein fast undurchdringlich scheinender Wald von Palmen, Farbehölzern, Mahagoni- und Pernambukbäumen, zwischen denen einzelne Lichtungen mit ihren Pflanzungen von Baumwolle, Zuckerrohr, Indigo und Kakao erst dann sichtbar wurden, wenn man in den Wald eindrang. Soweit das Auge also blickte, nichts als tiefblauer Himmel, vielfarbiges Grün und blendende Blütenpracht! Ein Fremder würde anbetend und vor Bewunderung auf die Knie gesunken sein. Marion Lamothe aber las einen frivolen französischen Roman. Sie kannte ja dieses Paradies von Jugend auf, sie war hier groß geworden, und die schlüpfrige Schilderung einer Pariser Liebesgeschichte brachte einige Abwechslung in das einförmige Dasein des achtzehnjährigen, nach Liebe, Glanz, Lebenslust und Abwechslung verlangenden Mädchens.

Sie hatte die letzten Blätter flüchtig umgeschlagen, wie jemand, der zu Ende eilt, und ließ nun, während das Buch auf die Mantille herabfiel, den Kopf mit einem lauten Seufzer auf den Arm zurücksinken.

Vor der Hacienda befand sich eine auf Pfählen ruhende Veranda, einfach, wie der Vorbau eines norddeutschen Bauernhauses, und darunter standen einige geflochtene Stühle um einen rohen Tisch. In der Tür, die aus dem Wohngebäude zu der Veranda führte, erschien jetzt eine alte Frau, deren ärmlicher Anzug und dunkle Hautfarbe sie sogleich als eine eingeborene Dienerin kenntlich mochte; sie trug ein kleines Becken mit Kohlen.

In dem Augenblicke aber, als sie die Schwelle der Veranda betrat, stieß sie einen hellen Schrei und ein schrilles » Madre de Dios!« aus. Der Schrei hatte auch Marion Lamothe plötzlich aus der Erschlaffung ihrer träumerischen Schwelgerei geweckt. Sie richtete sich schnell auf und erkannte im nächsten Augenblicke die Ursache des Schreies.

Ein Puma hatte sich in das Haus geschlichen und eine junge Ziege erfaßt. Die funkelnden Augen des Tieres richteten sich auf die Dienerin und die junge Französin, und aus diesem Funkeln leuchtete eine tückische Gier nach edlerem Blute, als dem, das zwischen seinen Zähnen aus der Kehle des geraubten Tieres hervorfloß.

Aber jetzt krachte in unmittelbarer Nähe ein Schuß, der in der Barranca in hundertfachem Donner widerhallte. Dieses Mal stieß Marion einen Schrei des Schreckens aus. Der Puma aber ließ seine Beute fahren und trabte mit großen Schritten in das Gebüsch.

»Gelobt sei die Mutter Gottes!« murmelte die alte Indianerin.

Marion aber hatte sich schnell erhoben und richtete sich ganz auf, als sie den Puma nicht mehr sah. Eine Wolke von Pulverdampf schwebte über und vor einem Gebüsch am Rande der Barranca, aus der jetzt lachend ein junger Mann, die Flinte in der Hand, trat.

»Wie, Don Luis, Sie waren unverschämt genug, uns in dieser Weise zu erschrecken?« rief ihm Marion in spanischer Sprache entgegen, und ihre Augen blitzten, und sie stampfte mit dem kleinen Fuß so heftig auf die Erde, daß niemand die Echtheit ihres Zornes bezweifeln konnte.

Don Luis hörte auf zu lachen und sah sie zuerst verwundert, dann verlegen an. Er war ein echter Amerikaner. Der breitkrempige Sombrero, die dunkle, verbrämte Jacke, das weite, mit einer Anzahl von Knöpfen besetzte Beinkleid, das lose um den Hals geschlungene Seidentuch verkündeten einen Ranchero oder Haciendero, den Besitzer einer Hacienda; in der Schärpe trug er das amerikanische Messer, das Machete. Er war im blühendsten Mannesalter, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, aber der gelbliche Ton des Gesichtes, der blaue, grünliche Ring unter den Augen ließen ihn älter erscheinen. Er war ein schöner Mann, mit großen, brennenden Augen, kühn geschwungener Nase, begehrlichem, trotzigem Munde, und aus seinen Bewegungen sprach nicht nur die Kraft und Behendigkeit eines Mannes, der in den Bergen aufgewachsen ist, sondern auch die Anmut und der natürliche Anstand, die fast immer bei den Spaniern und ihren Nachkommen in fremden Ländern gefunden werden.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Sennora, und lege mich Ihnen untertänigst zu Füßen,« sagte der Mexikaner, noch immer zweifelhaft, ob er sich wirklich zu entschuldigen habe. »Ich denke, ich habe Sie von einem lästigen Gaste befreit.«

»Glauben Sie, wir brauchen Hilfe, um eine solche Katze zu verscheuchen?« rief Marion spöttisch und verächtlich. »Es war unverschämt, uns so zu erschrecken. Litta, die Kohlen! Was stehst Du da, als ob Du angenagelt wärst? Her, alte Hexe!«

Sie hatte bereits eine Zigarette genommen, setzte sich wieder auf die Bank, hielt die Zigarette an die Kohlen, die Litta in dem Metallbecken auf den Tisch gestellt und würdigte Don Luis keines Blickes. Don Luis wechselte einige Worte mit der alten Indianerin, die ihn belehrte, daß der »Caballero«, Monsieur Lamothe, nicht zu Hause sei. Dann nahm er höchst ungeniert auf dem Balkon Platz, sich halb auf den Tisch setzend, auf den er bereits seinen Sombrero geworfen, nahm noch ungenierter eine »Paquita« und dampfte um die Wette mit Marion.

Marion schien ihn gar nicht zu bemerken, das hinderte aber den Mexikaner nicht, das schöne Mädchen um so schärfer anzusehen, wobei seine Blicke immer bewundernder, immer zärtlicher und weicher wurden, bis er endlich die Zigarette fortwarf und plötzlich vor ihm auf die Knie fiel.

»Teuerste Sennora, geliebteste Marion, himmlischstes Mädchen, Stern meiner Augen und Trost meiner Seele, vergib mir, schenke mir nur einen einzigen Deiner süßen Blicke, ohne die ich nicht leben kann, Du weißt es! Angebeteter Engel, zürne mir nicht. Ich hätte mir tausendmal lieber die Kugel durch den Kopf gejagt, als die Sonne meines Lebens auch nur auf einen Augenblick erschreckt –« »Lassen Sie die Kindereien und stehen Sie auf, Sennor!« unterbrach ihn Marion unwillig. »Wenn mein Vater Sie in dieser Stellung sieht, so wirft er Sie die Barranca hinunter!«

»O, der Sennor Caballero ist nicht zu Hause, und ich weiß, daß ich noch eine halbe Stunde mit der Rose von Mexiko plaudern kann,« antwortete Don Luis mit Ton und Miene, durch deren leidenschaftlichen, schwärmerischen Ernst hin und wieder ein schelmischer Klang hindurchblitzte.

»Stehen Sie vor allen Dingen auf!« rief Marion, noch immer verdrießlich.

Don Luis erhob sich, und dem jungen Mädchen scharf in die Augen blickend, beugte er sich zu ihr über und sagte leise:

»Bist Du mir wirklich böse, und was hast Du?«

»Es ist so langweilig hier, alles ist langweilig!« antwortete Marion kurz und warf den Kopf zur Seite. »Immer dasselbe Einerlei, ewig gleich. Ich möchte in Paris sein – ah!«

»Paris?« sagte er gedehnt. »Wie kommen Sie darauf, Sennora? Ist das nicht die Hauptstadt der Franzosen, der Gavachos, der erbärmlichsten Komödianten? Nichts geht über Mexiko – es ist der Stern der Welt. Und gerade wir hier, in der gesegneten Sierra Templada, leben im Paradiese. – Sind wir nicht glücklich hier, Marion?« fügte er leiser hinzu, mit einem glühenden Blicke, der auf ein tiefes Einverständnis deutete.

»Mit Eurem albernen Paradiese!« rief Marion, deren Lippen noch immer in verächtlichem Mißmute verzogen waren. »Ein Tag wie der andere, immer dieselben langweiligen Gesichter! Mein Vater hätte etwas Besseres tun können, als sich in diesem »Paradiese« anzusiedeln, und es sollte mich nicht gereuen, wenn wir daraus vertrieben würden.«

Es zuckte wieder über das Gesicht des Kreolen, Da einzelne der in Mexiko gebräuchlichen Worte sich nicht gut im Deutschen wiedergeben lassen, so mögen einige der am häufigsten vorkommenden Ausdrücke hier Platz finden. Kreolen sind die in Mexiko geborenen Europäer von spanischem Blut. Der Spottname der echten europäischen Spanier, auch fast gleichbedeutend mit Reaktionär, ist Gachupin, der der Franzosen Gavacho (Affe), Mestizen sind die Kinder von Weißen und Indianern, Mulatten die Kinder von Weißen und Negern, Zambos die Kinder von Indianern und Negern. Quarterone sind die Kinder von Weißen und Mulatten, Quinterone sind die Kinder von Weißen und Quarteronen. Kreolen, Mestizen und Indianer bilden die Hauptbevölkerung Mexikos. Die Indianer hießen früher im Gegensatz zu den Weißen »vernünftiges Volk«. Seit der Trennung von Spanien (1862) ist das anders. Uebrigens sind die angesiedelten Indianer, die Nachkommen der alten Azteken, nicht zu verwechseln mit den wilden Indianern im Norden Mexikos. – Haciendero ist der Besitzer eines größeren, Ranchero der Besitzer eines kleineren Gutes (Hacienda und Rancho). Arriero ist ein Maultiertreiber. und er schien heftig erwidern zu wollen. Dann aber bezwang er sich, zerbiß die Paquita zwischen den Zähnen und warf sie weit von sich.

»Ich weiß wohl, was Du hast,« sagte er so leise, daß es wie ein Zischen klang, »Du bist meiner überdrüssig. Der reiche Don Alfonso steckt Dir im Sinn, dieser bleiche, kalte Bursche. Aber wehe Dir, wenn Du mich betrügst! Mein bist Du, und mein sollst Du bleiben!«

Frauen erschrecken vor einem Flintenschuß, aber sie bleiben ruhig vor Blicken, aus denen tausend Dolche sprühen. Don Luis sah wahrlich nicht aus, als ob er mit sich scherzen lasse, und Marion mußte das heiße Blut der Mexikaner kennen. Dennoch zuckte sie nur verächtlich die Achseln und sagte:

»Jedenfalls ist er höflicher als Du!«

»Ein Schleicher, stolz auf seine Millionen und die Knabenweisheit, die er in Europa aufgelesen hat!« flüsterte Don Luis giftig.

»So? Hat er Millionen?« fragte Marion gedehnt und nachlässig.

»Und das weißt Du nicht, Lügnerin?« antwortete er heftig. »Würdest Du Dich sonst um dieses Mondscheingesicht kümmern? Du willst mich verraten – versuche es nur!«

»Törichte Eifersucht!« sagte sie etwas ruhiger, weil sie überlegte, daß sie vorsichtig sein müsse. »Du weißt, daß aus uns kein Paar werden kann. Der Vater gibt es niemals zu. Du seiest ein Bettler, ein Spieler, sagt er, dem kein Vater sein Kind anvertrauen könne. Es gibt ein Unglück, wenn er Dir hier begegnet.«

»Und das weißt Du alles seit heute erst?« rief er mit bitterem Lachen. »Meinst Du, ich kenne die Weibernatur nicht? Du hast mich satt. Nun wohl, wenn ich Dich nicht haben soll, ein anderer soll Dich sicher nicht besitzen! Siehst Du den Orizaba drüben, wie sein Silberkleid durch die dunklen Palmen herüberschimmert? Eher stürzt sein schneebedeckter Gipfel zusammen, als daß ich dulde, daß Du eines anderen Weib wirst! Töte mich vorher, vergifte, erdolche mich – aber so lange ich lebe, wirst Du keines anderen Weib!«

Schmeichelte dieser Ausbruch der Leidenschaft ihrer Eitelkeit, oder hatte sie einen anderen Grund – ein Lächeln zog um ihre Lippen, es traf ihn ein flüchtiger Blick ihrer Augen, eine Fülle von Verheißung und Seligkeit einschließend – und sie sagte halb abgewandt: »Werde wenigstens vernünftiger, du wilder Mensch! Und mach keine Torheiten! Don Alfonso ist mir gleichgültig! – Aber jetzt geh! Der Vater mag Dich nicht leiden, das weißt Du schon lange!«

»Aber er kommt ja noch nicht!« rief Don Luis, dessen Augen wieder vor Glück leuchteten, und der bereit schien, sie in seine Arme zu schließen.

»Er kann jede Minute zurück sein – Maledetto, da ist er schon!« rief Marion.

Sie erhob sich lässig, um ihre unangenehme Ueberraschung nicht merken zu lassen, verbeugte sich sehr zeremoniös gegen Don Luis und flüsterte ihm dabei zu:

»Seien Sie vorsichtig und bleiben Sie nicht zu lange!«

Dann ging sie nach der Hacienda, grüßte aber ebenso zeremoniös nach der Richtung hinüber, aus der ihr Vater kam, denn dieser erschien nicht allein, sondern mit einem Bekannten, mit jenem Don Alfonso, von dem die Rede gewesen war.

Es war dies ein junger Mann von mittlerer Größe. So schlank und zart, wie seine Gestalt, so fein war auch sein Gesicht. Es zeigte eine viel hellere Farbe, als das Gesicht Don Luis, eine europäische Blässe und dabei eine fast weibliche Zartheit und Regelmäßigkeit. Nur die dunklen Augen und das schwarze, kurzgelockte Haar, das von einem Panamahut bedeckt war, erinnerte an eine südliche Abkunft. Er war ganz europäisch gekleidet, in einen grauen Reise- oder Sommeranzug, der, was Stoff und Schnitt anbetraf, dem elegantesten Pariser Magazin Ehre gemacht haben würde und wohl auch aus Paris stammte. Seidene Handschuhe schützten die kleine Hand, und glänzende Stiefel hoben die Zierlichkeit des schmalen Fußes hervor. Er ging im Gespräch neben Monsieur Lamothe, ein Arriero folgte ihm, ein reich aufgeschirrtes Maultier am Zügel führend.

Als er zuerst Marion gewahrte, hatte sein Auge einen scharfen blitzenden Blick hinübergeworfen. Jetzt, nachdem das junge Mädchen in der Hacienda verschwunden, ging er sehr ruhig und gleichgültig neben dem Haciendero.

Dessen Blick war finster geworden, als er Don Luis gewahrte, der seinen Sombrero auf das volle, glänzende Haar gedrückt und seine Flinte in die Hand genommen hatte und offenbar in einiger Verlegenheit die Begrüßung des Vaters erwartete, dann aber mit seiner angeborenen Zuversicht den beiden entgegenging.

»Ich küsse Ihnen die Hand, Sennor,« sagte er. »Mein Weg führt mich nach San Martin, und ich konnte es mir nicht versagen, bei so guten und alten Bekannten vorzusprechen.«

»Willkommen!« antwortete der Franzose kurz und fügte dann hinzu: »Kennen sich die Herren?« und als beide verneinten, stellte er sie vor: »Don Alfonso de Toledo, zum Besuch auf Mirador – Don Luis Guarato, einer meiner Nachbarn.«

Don Alfonso verbeugte sich sehr artig und mit der ganzen unbefangenen Höflichkeit des Mannes von Welt und Erziehung, in Don Luis Gruß lag etwas Steifes und Förmliches.

»Ich bedauere, daß ich zu meiner Begrüßung sogleich den Abschied hinzufügen muß,« sagte Don Luis dann. »Ich habe mich jetzt überzeugt, daß Sie und die Sennora sich wohl befinden, und kann meinen Weg nach San Martin fortsetzen.«

»Wollen Sie nicht unser Frühstück teilen?« fragte der Franzose höflich, aber ohne Dringlichkeit. »Ich denke, Marion und Litta werden für ein Stück Fleisch und eine Schüssel Frijoles (schwarze Bohnen) gesorgt, haben.«

Offenbar hatte Don Luis Lust zu bleiben. Es war ohnehin schon selten, daß der Nachbar Lamothe eine Einladung an ihn richtete, und dann die Aussicht, in der Nähe Marions zu sein, sie und seinen Nebenbuhler zu studieren – für einen eifersüchtigen Mexikaner ein fast unwiderstehlicher Grund zum Verweilen! Ueberdies fügte Lamothe noch hinzu:

»Wichtige Nachrichten aus Europa, die uns Don Alfonso überbringt!«

»Dann lege ich mich Eurer Sennora zu Füßen und nehme dankbar an!« rief Don Luis mit der ganzen Höflichkeit des Spaniers.

Die drei gingen dann auf die Hacienda zu.

»Fiel hier nicht vorher ein Schuß?« fragte der Franzose.

Don Luis erklärte lachend, worum es sich gehandelt und daß er die Sennora erschreckt habe. Er erwähnte dabei, daß er die Barranca heraufgeklettert sei.

»Ei, gibt es da einen Weg herauf?« fragte Lamothe ruhig. »Das wußte ich noch gar nicht. Ich glaubte, nur die Eidechsen und Katzen kämen da herauf.«

Don Luis biß sich auf die Lippen, wie jemand, der etwas Ueberflüssiges gesagt und dabei ein Geheimnis verraten hat, antwortete dann aber lachend, daß für ihn selten eine Barranca zu steil sei und daß er Wege kenne, die kaum die Indianer wüßten.

»Gehen wir hinein!« sagte Lamothe dann. »Es ist drinnen kühler.«

Er hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als der große Hund Lamothes ein lautes Knurren hören ließ. Unmittelbar darauf rannte ein Mann über den freien Platz vor der Hacienda. Sein Gesicht glühte, sein Anzug war zerrissen, er schien in tödlicher Angst und in wilder Eile. Noch ehe ihn die drei Männer genau ins Auge gefaßt – Don Luis war zusammengefahren und blaß geworden, als er ihn erkannte –, hatte der Fliehende das Gebüsch erreicht, das den oberen Saum der Barranca umgab und verschwand zwischen den dichten Zweigen. Es war dieselbe Stelle, auf der Don Luis erschienen war. Drei Reiter, einander in einiger Entfernung folgend, sprengten hinter ihm her. Ihre Uniform ließ sie sogleich als Offiziere der Republik erkennen. Der vorderste schoß seine Pistole auf das Gebüsch ab, in dem der Flüchtling verschwunden war und sprengte so weit vor, daß Lamothe, der dieser Szene mit großem Befremden zugeschaut, ihm ein lebhaftes: »Halt, halt, Sennor! Oder Ihr seid des Todes!« zurief.

» Maledetto Gachupino!« rief der Offizier, sein Pferd zurückreißend, sprang dann auf den Boden, eilte auf das Gebüsch zu, breitete die Zweige auseinander und fügte heftig hinzu: »Da kann kein Teufel hinab! Er ist entkommen oder er hat den Hals gebrochen!«

» Vira Miramon! Muera Juarez! Es lebe Miramon! Tod Juarez!« ertönte höhnisch und jubilierend eine Stimme aus der Tiefe, gleichsam als Antwort.

» Maledetto gojo! Verdammter Hund! Er ist entwischt!« knirschte der Offizier mit den Zähnen. »Wissen Sie einen Weg hier die Barranca hinab?« rief er Lamothe zu.

»Ich nicht, aber vielleicht dieser Herr hier,« antwortete der Franzose auf Don Luis deutend.

Dieser, wieder ganz ruhig, aber etwas blasser als gewöhnlich, trat vor und sagte:

»Ich wohne in dieser Gegend und kenne allerdings einen Weg, der hier heraufführt. Er ist sehr gefährlich, indessen nicht schlimmer als alle Wege. Der Mann, den Ihr verfolgt, muß in der Nachbarschaft wohnen oder gewohnt haben. Sonst wäre es wunderbar, wenn er diesen Weg – aus Zufall – gefunden haben sollte.«

»Gewiß!« antwortete der Offizier, den Haciendero genau musternd. »Ihr Name?«

»Tut der etwas zur Sache?« fragte Don Luis lächelnd.

»Gewiß, Sennor, und ich bin gerne bereit, Ihnen dagegen den meinigen zu nennen.«

»Viel Ehre!« antwortete der andere. »Also Don Luis Guarato.«

Der Offizier notierte den Namen und sagte dann:

»Mein Name ist Ignacio Zaragoza.«

Don Luis verbeugte sich tief, aber seine Miene war nicht sonderlich freundlich. Dagegen trat Lamothe sogleich mit dem Hut in der Hand auf den Offizier zu, einen noch jungen Mann von stattlichem Aeußeren und kühnem Ausdruck des Gesichts.

»Ich freue mich außerordentlich, die Ehre zu haben, einen so berühmten Offizier der Republik bei mir zu sehen,« sagte er mit großer Achtung. »Wenn es Ihre Pflicht Ihnen erlaubt, mir die Ehre Ihres Besuches zu schenken, so werde ich mich ungemein freuen, Sie unter meinem Dache an meinem Tisch zu sehen.«

Der Offizier, der bereits wieder sein Pferd bestiegen hatte, verbeugte sich und schien zu überlegen, sah auch nach der Uhr und warf einen flüchtigen Blick auf Don Luis.

»Ich danke Ihnen vielmals,« erwiderte er dann, »aber ich fürchte, meine Pflicht erlaubt mir einen solchen Aufenthalt nicht. Dieser Mensch, dem wir nachsetzen, ist ein Verräter, ein Meuchelmörder, der unserem Präsidenten Juarez nach dem Leben getrachtet hat. Ich selbst übernahm es, ihn zu verfolgen, da er Papiere bei sich führt, die für uns von Wichtigkeit sind. Er scheint uns leider entkommen zu sein. Wollen Sie mir und meinen Begleitern ein Glas Aguardiente (Rum) reichen lassen, so werden wir Ihnen sehr dankbar sein. Wir sind seit heute früh ganz nüchtern.«

»Mit Vergnügen!« antwortete Lamothe, einem Diener einen Wink gebend. »Aber ich bedauere dennoch, daß ich nicht wenigstens auf eine Stunde die Ehre Ihres Besuches genießen kann. Hier, mein Freund, Don Alfonse de Toledo, der auf einige Zeit bei dem Sennor Ratorius auf Mirador wohnt – er machte dabei eine vorstellende Handbewegung – bringt, wie er mir sagt, wichtige Nachrichten, die aus Europa eingetroffen sind.«

»Ich kenne sie vielleicht zum Teil,« antwortete Zaragoza. »Man hat es auf uns Mexikaner abgesehen, seit drüben in den Vereinigten Staaten der Krieg rast. Nun, wir werden sehen!« fügte er hinzu, und ein stolzes, fast übermütiges Lächeln spielte um seine Lippen. – »Der Erbe des ersten Napoleon könnte in Mexiko sein Moskau finden. Doch, ich vergesse ganz, Sie sind vermutlich Don Lamothe – selbst Franzose.«

»Ich bin in Frankreich geboren,« antwortete der Haciendero, den scharfen, fragenden Blick des Offiziers ruhig erwidernd. »Aber ich bin kein Franzose, solange mein Vaterland die Herrschaft eines Napoleoner trägt.« Und als ob er die Frage verstehe, die in dem Blick des Offiziers lag, fügte er hinzu: »Exiliert im Jahre 1851, von Cayenne entflohen, jetzt Bürger von Mexiko, das mein Vaterland geworden ist.«

Der Offizier nickte ihm beistimmend zu. Eine junge indianische Dienerin kam mit einem Präsentierbrett, auf dem sich einige Flaschen und Gläser befanden. Marion ging neben ihr. Die Offiziere grüßten artig die Tochter des Hauses, deren Blicke musternd auf den kräftigen Gestalten der Krieger ruhten. Marion reichte ihnen selbst die Gläser.

»Auf das Wohl der Sennora und auf Mexiko!« rief Zaragoza, sein Glas leerend. »Und nun Addios, Sennora und Sennores! Ich muß noch heute nach Tenascal oder einem anderen Orte an der großen Straße, um eine Depesche nach Veracruz zu senden, damit der Entflohene dort vielleicht gefaßt werde. Tausend Dank! Addios!«

Er verneigte sich artig und ritt mit seinen Begleitern fort. Lamothe und die beiden jungen Männer sahen ihm nach; Don Luis Miene hatte einen eigentümlich spöttischen, fast boshaften Ausdruck, der sich auch nicht verlor, als Lamothe den Offizier als einen der fähigsten und tapfersten Generale der liberalen Partei schilderte, und Don Alfonso einige Aufklärung über dessen persönliche Verhältnisse gab. Marion war inzwischen in die Hacienda zurückgekehrt, wohin nun auch Lamothe seine Begleiter ihm zu folgen bat.

»Immerhin bleibt es seltsam,« sagte Lamothe während des Gehens, »daß ich heute zum ersten Male auf eine so eigentümliche Weise doppelte Nachricht erhalten habe, daß die Wand der Barranca auf dieser Seite zu ersteigen ist. Ich habe die Höhe auf dieser Seite für ganz unzugänglich gehalten und nie daran gedacht, irgendwelche Vorkehrung zu treffen. Heute oder morgen wollen wir die Sache ändern! Der Verfolgte muß ohne Zweifel ein Mann aus der Nachbarschaft sein. Haben Sie ihn nicht erkennt, Don Guarato?«

»Nein!« antwortete dieser kurz.

»Freilich, Sie sind ja selbst ein Schwarzer!« sagte Lamothe. »Und eine Krähe wird der anderen die Augen nicht aushacken.«

Der Kreole antwortete nur mit einem etwas spöttischen Lächeln. Unter den Schwarzen verstand man die Reaktionäre, auch klerikale Partei, die im Gegensatz zu den durch Juarez vertretenen Liberalen die Republik Mexiko unter eine konservative und Priesterherrschaft zwingen wollte.

Die drei Männer waren nun in das Innere der Hacienda getreten. Ein breiter Gang führte von der Veranda quer durch das Haus nach dem großen, rings von Gebäuden umschlossenen Hof. Links von dem Gange lagen die Küche und die Zimmer Marions. Rechts erblickte man das Eßzimmer und hinter diesem die Sala, das Empfangszimmer, an das die Wohnzimmer des Besitzers stießen. Eine Hausfrau gab es in der Hacienda nicht; Lamothes Gattin war fast unmittelbar nach ihrer Ankunft in Mexiko am gelben Fieber gestorben.

Im Eßzimmer war der Tisch bereits gedeckt, und eine indianische Magd trug einige Gerichte auf, aus Fleischspeisen, Ragouts und Frijoles bestehend, zu denen während der Mahlzeit noch einige frischgebackene Tortillas (Maiskuchen) hinzukamen.

»Also, Don Alfonso,« sagte Lamothe, nachdem er seinen ersten Appetit gestillt, »Sie glauben, daß wir nächstens eine vereinigte Flotte von Franzosen, Engländern und Spaniern vor Veracruz sehen werden? Viel Ehre für das schwache Mexiko.«

»Die letzten Nachrichten aus Europa lassen keinen Zweifel darüber,« antwortete der junge Mann. »Zwischen den drei Mächten ist ein Vertrag abgeschlossen, die mexikanische Regierung zu zwingen, den Forderungen ihrer europäischen Gläubiger gerecht zu werden. Freilich scheint dies nur der Vorwand. Napoleon will ein Kaisertum in Mexiko errichten, das ist klar. Er hofft auf den Sieg der Südstaaten über die Union. So viel weiß ich, daß schon vor Jahren geheime Unterhandlungen mit europäischen Prinzen angeknüpft worden sind, um zu erfahren, ob sie willens wären, den mexikanischen Thron zu besteigen. Die meisten Chancen scheint der Erzherzog Maximilian, ein Bruder des Kaisers von Oesterreich, zu haben.«

»Aber was wollen denn die Engländer und Spanier?« fragte Lamothe.

»Zuerst von der geängstigten Republik so viel Geld herauspressen, als nur möglich ist,« antwortete Don Alfonso. »Sie hoffen das durch eine feindliche Demonstration zu erreichen. England wenigstens halte ich für viel zu klug, um sich auf eine bewaffnete Expedition gegen Mexiko im Ernst einzulassen. Spanien mag freilich seine alten Absichten auf die Gold- und Silbergrube Mexiko noch nicht ganz aufgegeben haben; was es aber neben dem klugen Napoleon ausrichten will, weiß ich nicht. Er ist der einzige, der einen wirklichen, reellen Zweck hat. Napoleon irrt sich aber über Mexikos Widerstandskraft, und er wird seinen Irrtum bald einsehen. Ohne 40-50000 Mann kann er hier nichts Ernstes unternehmen.«

»Es ist schlau ausgeklügelt, gerade jetzt einen Angriff auf dieses Land zu machen,« sagte Lamothe. »Selbst die siegreichen Liberalen sind erschöpft durch die ewigen Kriege. Juarez, der einzige, der das arme Land beruhigen und eine wirkliche dauernde Regierung begründen könnte, soll vertrieben und vernichtet werden, noch ehe er den Anfang machen kann, alte Schäden zu heilen und Gutes einzuführen. Wenn man intervenieren wollte, so hätte man es vor Jahren tun sollen, als kein Mensch ahnen konnte, wer hier im Lande Sieger bleiben würde. Aber es soll nicht ruhig werden, es soll immer ein Vorwand zur Einmischung für die Fremden da sein! Nun, wir werden sehen. Wenn die Franzosen das Land betreten, so nehme ich selbst meinen Trabuco (Stutzbüchse) von der Wand. Es sind meine Landsleute – Gott verzeihe mir die Sünde! – aber die Söldner eines Napoleon sind nicht mehr meine Brüder. Mexiko ist mein Vaterland!«

»Ich hörte vorhin zum ersten Male, daß Sie aus Frankreich verbannt sind,« sagte Don Alfonso. »Ich glaubte bisher, Sie seien aus freien Stücken hierher gekommen!«

»Nein,« antwortete der Franzose, und sein Gesicht nahm einen düstern Ausdruck an. »Ich war einer von denen, die nach verzweifeltem Kampfe, schwer verwundet, in jenen gräßlichen Tagen des Dezember gefangen genommen wurden. Meine Wunden waren noch nicht geheilt, als man mich nach Cayenne schickte. Von dort gelang es mir zu entfliehen, mich hierher nach Mexiko zu retten. Meine Frau und Marion ließ ich nachkommen und kaufte mir diese damals arg verwilderte Hacienda. Mein armes Weib starb leider bald! Ich wünschte nur, er käme selbst herüber. Aber er wird sich wohl hüten!«

»Und glauben Sie wirklich, Sennor,« fragte Don Luis, der bis jetzt sich nicht in das Gespräch gemischt und nur gegessen und getrunken, dabei aber oft durch die offene Tür nach dem Flur und nach Marion ausgeschaut hatte, »glauben Sie wirklich, daß Mexiko einer großen französischen Armee widerstehen kann?«

»Es ist traurig, daß ein geborener Mexikaner, wie Sie, diese Frage an mich richtet,« sagte Lamothe verächtlich. »Gewiß würde auch die größte französische Armee nichts ausrichten können, wenn die Mexikaner einig wären. Willen durchsetzen, ihre habsüchtigen Zwecke verwirklichen wollen, solange läßt sich freilich rechts Tröstliches voraus, aber gegen Verrat ist auch der tapferste nicht sicher. Und tapfer ist diese Nation – wer will das bestreiten? Daß sie freilich noch keine Disziplin gelernt hat, ist wahr und liegt in den Verhältnissen.«

»Verzeihen Sie,« unterbrach Don Luis, der jetzt unruhig geworden war und sich zu langweilen schien, »warum erfreut uns die Sennora heute nicht mit ihrer Gegenwart?«

»Wahrscheinlich, weil sie bessere Dinge zu tun hat, als Politik und überhaupt Männergespräche zu hören,« erwiderte Lamothe kurz. »Meine Tochter macht nur bei dem Diner die Honneurs.«

»O, ich bitte um Verzeihung, Sennor,« rief der Kreole, »ich muß jetzt gehen. Tausend Dank! Ich küsse Ihnen die Hand! Addios, Don Toledo!«

Er schien es eilig zu haben, denn er wartete nicht einmal darauf, daß er Marion noch Adieu sagen könne, obwohl sein Blick sie überall suchte, und bald verließ er die Hacienda auf dem gewöhnlichen Saumpfade, den vorher auch die Reiter herauf gekommen waren.

Kaum war er gegangen, als Marion in dem Eßzimmer erschien und sich im Zimmer und am Tisch zu schaffen machte. Daß dabei ihre Blicke Don Alfonso streiften, ließ sich kaum vermeiden. Und es waren eigentümliche, sehr schwer zu enträtselnde Blicke – so tief innig und dabei scheinbar doch so unbefangen und natürlich, daß Don Alfonso mehrmals seine Augen senkte, um die Verwirrung nicht vor dem Vater zu verraten, die die Tochter in seinem Herzen erregte. Dann blieb auch Marion wieder eine Viertelstunde draußen und schien, wenn sie zurückkehrte und durch das Zimmer ging, gar nicht daran zu denken, daß ein fremder junger Mann zugegen sei, so daß Alfonso sie dann ungestört betrachten, ihren leichten, schwebenden und doch anmutigen lässigen Gang beobachten konnte. Die Aufforderung, über Mittag in der Hacienda zu bleiben, lehnte er ab, weil Fremde in Mirador seien und er das bestimmte Versprechen gegeben habe, zu Tisch zurück zu sein. Er nahm jedoch die Einladung Monsieur Lamothes, ihn als Nachbar recht oft zu besuchen, mit Dank an, küßte Marion, die diese Achtungsbezeichnung mit der Grandezza einer Königin hinnahm, die Hand, und entfernte sich von dem Franzosen, noch hundert Schritt weit begleitet, mit den höflichsten und feinsten, aber aufrichtigsten Versicherungen seines Dankes.

»Das ist ein artiger und gebildeter junger Mann,« sagte Lamothe, als er in das Eßzimmer zurückkam und seine Tochter dort fand. »Meinst Du nicht auch?«

»Nun, wie alle anderen, etwas blaß, steif und förmlich!« sagte Marion gleichgültig.

»Jedenfalls hat er eine gute Erziehung genossen und ist an Kenntnissen all diesen Mexikanern, namentlich von der Sorte des Don Luis, weit überlegen. Wie kam der Bursche wieder hierher? Ich sollte meinen, er wüßte, daß ich ihn am liebsten zur Tür hinauswürfe.«

Marion antwortete nicht darauf; sie gähnte nur ganz leicht.

»Dieser Don Alfonso soll enorm reich sein,« fuhr Lamothe fort. »Sein Vater gilt für einen der reichsten Männer in Amerika und das will viel sagen. Ich erinnere mich überdies, daß man geheimnisvolle Dinge über seine Familie sprach. Sie sollte ihren ganzen enormen Reichtum einem höchst rätselhaften Menschen verdanken, dem Grafen von Monte Christo. Wer weiß, was daran ist? Die Leute reden viel. Aber an dem Reichtum der Familie ist kein Zweifel. Man erzählt Wunderdinge davon. Jedenfalls ist dieser Don eine interessante Bekanntschaft.«

Marion schien nicht so zu denken, denn sie warf Kirschen aus dem Fenster unter die Hühner auf den Hof. Den Vater schien ihre Gleichgültigkeit fast zu verdrießen.

Mißmutig ging er auf den Hof. Marion sah ihm mir einem Lächeln nach, trat dann vor den Spiegel, warf sich selbst einen Blick zu und trällerte ein leichtes, spanisches Lied, das sie von den Mestizinnen gelernt hatte. –

Es war Nacht; vom Firmament nieder leuchtete die ganze Pracht des südlichen Sternenheeres. Die Hacienda lag in tiefer Ruhe. Nur tief unten in der Barranca plätscherte der Bergstrom.

Es rauschte im Gebüsch, dann wurde eine dunkle Gestalt sichtbar, die vorsichtig eine Zeitlang am Rande der Barranca stehen blieb und sich endlich der Hacienda mit leisen, kaum hörbaren Schritten näherte. Ein Hund schlug an der Hacienda an und schnaufte an der geschlossenen Tür. Er schien aber zu wissen, daß ein Bekannter draußen fei und wurde bald still.

Nach der Veranda hinaus gingen nur kleine Fenster, die während der Nacht mit festen, eisenbeschlagenen Holzläden verschlossen wurden. Einer dieser Läden auf der rechten Seite öffnete sich ganz leise, und während die erste Gestalt sich der linken Seite der Veranda näherte, schlüpfte eine andere Gestalt aus dem geöffneten Fenster hervor und lies; sich unhörbar in die dunkle Veranda hinabgleiten. Es war Lamothe.

Jener erste, in dem das Auge des Franzosen sogleich den Kreolen erkannte, klopfte an einen der Läden auf der linken Seite, zuerst leise, dann, als nicht geöffnet wurde, stärker, zuletzt so stark, daß das Klopfen in der ganzen Hacienda zu hören sein mußte. Dabei knirschte der Kreole mit den Zähnen und murmelte Flüche. Nun öffnete sich plötzlich oben der Laden, ein weißes Gewand erschien am Fenster und Marions Stimme rief:

»Sind Sie wahnsinnig? Soll das ganze Haus wach werden?«

»Ja, ich bin wahnsinnig!« antwortete der Kreole. »Ich hätte den Laden eingeschlagen, ich mußte Dich sprechen. Geh fort da oben Marion, ich will hinein!«

Lamothe stand nur sechs Schritt von dem Fenster entfernt.

»Was fällt Ihnen ein?« antwortete Marion. »Gehen Sie! Ich will schlafen, ich habe heut nicht die mindeste Lust zum Plaudern. Seit wann wagen Sie es zu kommen, wenn ich nicht gerufen habe?«

»Seit heute! Ich bin toll. Ich will hinein. Es ist vielleicht das letzte Mal, daß wir uns sehen – teure, angebetete Marion, bei allen Mächten des Himmels beschwöre ich Dich, laß mich ein, laß mich noch ein einziges Mal das süße Gift Deiner Lippen trinken, damit ich mich berausche und vergesse – denn ich muß fort!«

»Unmöglich!« antwortete Marion. »Ich habe Dich heute nicht erwartet und Litta schläft im Nebenzimmer. Weshalb willst Du denn fort?«

»O, schmachvoll, schmachvoll!« knirschte Don Luis. »So gehen zu müssen! Nein, ich breche die Tür auf, ich zünde die Hacienda an – ich will zu Dir!«

Und er sprang hinauf nach dem Fenster, um es mit seinen Händen zu erreichen, was von dem Fußboden aus leicht möglich war. Aber Marion stieß seine Hände zurück.

»Bei Gott, ich mache Lärm!« rief sie. »Ich dulde keine Unverschämtheit. Ich will tun und lassen, was ich will! Sprich Du Narr, was gibt es denn schon wieder?«

»Tod und Hölle!« murmelte der Kreole. »Und das ist die letzte Nacht. So höre und denke an meine Worte, denn ich schwöre Dir bei Gott und – bei allen Teufeln, die mich jetzt gewiß sicher hören – daß ich mein Wort halte! Als ich heute nach Hause wollte, kam mir eines meiner Indianermädchen entgegen, das schon auf mich gewartet hatte, und meldete mir, es seien Soldaten in meiner Hacienda gewesen und sie hätten da jemand gefunden und mitgenommen. Es war derselbe Mann, der heute morgen hier die Barranca hinab entflohen war – ich kenne den Weg erst von ihm – ein Freund von mir und, wie ich, ein Todfeind der Förderalisten und Liberalen und Juaristen. Dieser Zaragoza – verflucht mag er sein! – hatte mich mit seinen Redensarten getäuscht. Er hatte gesagt, er wolle hinüber nach der großen Straße; das machte mich sicher und ich blieb bei Euch und ging nach San Martin, anstatt nach Hause zu eilen und meinen Freund zu benachrichtigen. Die Hunde waren mir zuvorgekommen, und sie haben in meiner Hacienda genug gefunden, um mich an den Galgen zu bringen. Ich muß von Dir, und gerade jetzt, wo dieser Schurke von Toledo um Dich girrt! Du wirst mich vergessen, Du Schlange, ich weiß es. Aber hüte Dich!« – Er stieß die letzten Worte mit unbeschreiblicher Wut heraus. – »Es ist Dein Tod, wenn ich erfahre, daß Du einem anderen gehörst! Mein Trabucco ist sicher – ich fehle nie! Ihr sterbt beide, Du und er – ich schwöre es Dir bei der heiligen Jungfrau! Also Du willst mich nicht hineinlassen?«

Die letzten Worte waren fast jämmerlich bittend und leiser gesprochen.

»Ebensogut könnte ich einen Puma oder einen rasenden Büffel zu mir lassen,« antwortete Marion kurz und verächtlich. »Also Du mußt fort, weil Du dumm genug gewesen bist, Dich mit Dingen zu befassen, von denen Du nichts verstehst? Das ist Dir ganz recht. Deine Drohungen verlache ich! Wir sind nicht gebunden.

Sollten wir uns jemals wiedersehen und Du betrachtest mich als Dein Eigentum, so wirst Du erleben, was ich tue! Du solltest mir auf den Knien für jede Gunst denken, die ich Dir erwiesen habe. Dafür, ein Kreolenweib zu werden, bin ich zu gut. Nun, viel Glück auf den Weg!«

Sie schlug den Laden zu und schob innen laut hörbar den Riegel vor.

Don Luis hatte emporspringen wollen. Lamothe hörte, wie der Kreole schnaufte, mit den Zähnen knirschte, einzelne wilde Worte der Verwünschung ausstieß. Dann sah er, wie die dunkle Gestalt des Kreolen sich vom Hause und aus der Veranda entfernte; er sah, wie Don Luis niederstürzte und in wahnsinnigem Krämpfe in die Erde biß und sie mit seinen Fingern zerkratzte.

Endlich erhob sich der Kreole, streckte noch einmal die geballte Faust gegen die Hacienda und verschwand mit einem heiseren Lachen im Gebüsch.

Es war das erste Mal, daß Lamothe, aufmerksam gemacht durch die Entdeckung des geheimen Weges und durch andere Anzeichen eines vertrauten Verhältnisses zwischen seiner Tochter und Don Luis, die Nacht hindurch gewacht und den Kreolen erwartet hatte. Was seine Absicht auch gewesen sein mochte – er empfand jetzt eine Art Mitleid mit dem Geächteten, den die Tochter so kalt verstieß. Doch unglücklicher vielleicht, als selbst der Kreole, kehrte der Vater durch das kleine Fenster ins Schlafzimmer zurück.


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