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Als Otho Waimon in jener Ballnacht Liliendal verließ, hatte er einige nothwendige Kleider in seinen Reisesack gepackt, mit welchen er unbemerkt aus dem Schlosse entkam. Im Flecken, der im Thale lag, fand er vor dem Gästegivergaard, dessen Eigenthümer, wie gewöhnlich, zugleich Posthalter war, Schlitten und Pferd, welche Serbinoff gebracht hatten, eben bereit zurückzukehren. Es kostete ihn nicht viel Überredung, den Bauern dazu zu bewegen, ihn bis zur nächsten Post auf die Küstenstraße hinabzubringen, wo er sich weitere Beförderung zu verschaffen dachte. Die Nacht war kalt, doch Otho hüllte sich in seinen Pelz, zog die Mütze von schwarzem Lammfell über die Ohren und versank in Betrachtungen, die ihm bald heiß genug machten. – Was er an diesem Abend erfahren, erschien ihm wie ein Traumgebild, und wenn er nicht sicher gewußt hätte, daß er die scharffunkelnden Sterne über sich sähe und dies ein Schlitten sei, den ein schnaubendes Pferd pfeilschnell über die verschneiten Thäler und Berge führte, würde er geglaubt haben, die argen tückischen Capeetas säßen ihm in Ohren und Augen. Doch es war so, er konnte nicht daran zweifeln. Fortgerissen von einem kühnen Entschlusse, den ein Mädchen ihm eingegeben, die wunderbarer Weise sich plötzlich in sein Schicksal mischte, um ihn aus den Schlingen eines anderen Weibes zu reißen und ihn dafür in ein gefährliches Abenteuer zu verwickeln, hatte er Schwester und Freunde heimlich verlassen, vielleicht auf Nimmerwiedersehen.
Er dachte darüber nach, welche Verwirrung und welche Sorge sein Verschwinden am nächsten Morgen hervorrufen würde; aber alle seine Vorstellungen wurden überwältigt von Zorn und Schaam über die verschiedenen Täuschungen, denen er sich überlassen und die nun 418 zerrissen vor ihm lagen. Ob Serbinoff ihn betrogen hatte, ob er um diese verrätherische Schurkerei wußte, wagte er nicht zu entscheiden. Seine verehrende Liebe für den Mann, den er so lange als ein herrliches Gottesgebild angestaunt und fest darauf vertraut hatte, sträubte sich mit Heftigkeit, Falsches und Schlechtes von ihm zu glauben. Sein finnisches Mißtrauen zerstäubte an dem edlen Eifer, mit dem sein Herz den Freund vertheidigte; er hätte noch an ihm festgehalten, wären ihm auch bessere Beweise dafür geworden, daß er betrogen sei. Serbinoff theilte, wie er meinte, sein eigenes Schicksal. Er hatte gehofft und geglaubt wie er selbst. Seine Freiheitsliebe, seine kühnen Gedanken, seine Erwartungen auf die Zukunft der Menschheit, sein stolzer Glaube an Recht und Gerechtigkeit konnten keine Heucheleien sein. Was diejenigen wollten, die das Heft in Händen hielten, die Lenker und Leiter seines Vaterlandes, daran hatte er sicher keinen Theil, und fast that es ihm leid, daß er dem treuen Alexei nicht Alles gestanden, was er erfahren, daß er ihn nicht zum Mitwisser seines Geheimnisses und zum Rathgeber gemacht hatte. Jetzt war es zu spät, doch er zweifelte nicht, daß Serbinoff denselben Abscheu, denselben Zorn empfunden haben würde, ja, daß er ihm beigestimmt, nach solchen Entdeckungen den Weg zu gehen, auf welchem er sich jetzt befand. Aber o! welch ein Weg war das! Was wollte er thun? Zum Schwedenkönige nach Stockholm fahren, ihm sagen: Dein tapferster, kühnster General, deine und Schwedens erste Stütze, er hat dich verrathen, wie Judas seinen Herrn verrieth, doch um besseren Preis! Otho Waimon war verständig genug, um trotz seines heißen Blutes einzusehen, wie gefährlich sein Unterfangen sei und wie zweifelhaft der Erfolg. Welche Beweise brachte er denn mit? Wer war er, der den hochverehrtesten Mann im ganzen Lande eines der ärgsten aller Verbrechen, des Verraths am Vaterlande, anklagen durfte? Wenn es ihm gelang, selbst bis in das Königsschloß, ja bis an des Königs Ohr zu dringen, welchen Glauben sollte er dort finden und welcher Lohn erwartete ihn? Doch, was auch geschehen mochte, er war entschlossen dazu, entschlossen trotz seiner innersten Abneigung gegen Finnlands Beherrscher und trotz der Gewißheit, daß es damit für immer mit seinen eigenen Hoffnungen und Entwürfen vorbei sei. 419 Die Überzeugung, daß er diese Hoffnungen vergebens genährt hatte, wirkte jetzt dazu mit, ihn noch hartnäckiger zu machen, auf jeden Fall hin sein Abenteuer zu wagen. Sein Zorn und sein Abscheu vor der Russenherrschaft waren so groß, wie sie bei einem Finnen sein konnten, der von Jugend auf gehört, was sein Volk von den Einfällen und Eroberungen so grimmiger Nachbarn gelitten. Sein feuriges Blut empörte sich bei dem Gedanken, russischer Unterthan, ein Russe zu werden. Nie war ihm dies so schmachvoll, so herunterwürdigend vorgekommen, und daß die hochmüthigen, leichtsinnigen adligen Herren die Hand zu dem verrätherischen Spiele boten, daß es unter den Schweden von Namen und Rang auch diesmal so elende Verschwörer gab, das vermehrte seinen Haß und sein Verlangen, ihre Plane zu vernichten. Eine Ahnung sagte ihm, daß ein Netz von Verräthereien über Finnland ausgeworfen sei, daß seit langer Zeit schon russisches Gold und große Versprechungen die Eroberung vorbereitet hatten, und wie weit mußte man damit gekommen sein, wenn man sich an solche Männer machen konnte, wie der Admiral. Halset fiel ihm ein, der Kammerherr, Propst Ridderstern und der ganze priesterliche und adlige Anhang. Der Gedanke an Serbinoff warf einen neuen Blitz auf das Mißtrauen im tiefen Grunde seiner Seele und seine Hände ballten sich entsetzt davor zusammen. Er dachte an Ebba. Hatte Sie ihn nicht gewarnt? Er dachte an Erich, der in seiner schweigsamen Milde zugesehen hatte, wie er sich immer fester an den Russen hing und dafür ihn vernachlässigte. Auch Erich hatte Serbinoff wie einen Freund behandelt, auch er war ihm zugethan. War er auch bestochen? Wartete er auch auf Gold und Annenorden, von denen Oberst Jägerhorn sprach? Gehörte er zu den Betrügern, oder zu den Betrogenen? Nein, nein! murmelte Otho heftig, er nicht und Ebba – in ihr wohnt der alte stolze Schwedengeist, die alte große Zeit ihres Volkes. Den König hassen sie sämmtlich, ihn möchten sie vom Throne stürzen, um sich darauf zu setzen. Mag er sein, wie er will, immer noch ist er besser als diese verdorbene sittenlose Adelskaste, die schlimmer ist als alle andere Tyrannei. Ich will hin zu ihm, ich will nicht rasten, bis ich vor ihm stehe, und ich fürchte mich nicht. Ich will ihm Alles sagen, was ich denke. Wie ein freier Mann will ich zu ihm 420 sprechen, und wenn seine Höflinge es nicht wagen, ihm die Wahrheit zu sagen, soll er sie von einem finnischen Bauern hören.
Was ist das vor uns auf der Straße? fragte er den Schlittenlenker, als er eine schwarze bewegliche Masse erkannte.
Reisende, wie ich denke, Herr, sagte der Bauer.
Und dort liegt das Posthaus?
Ja, Herr, ja! – Es brennt Licht darin.
Ein schwacher Mondschein leuchtete in das Thal hinab und ließ in einiger Entfernung einen Schlitten erkennen, seitwärts aber leuchtete ein Feuer, das auf dem Herde eines Hauses brennen mußte.
Fahr so schnell du kannst, sagte Otho, damit wir den Gaard zuerst erreichen.
Der Schlitten flog pfeilschnell den Hügel hinab, und bald war der andere Schlitten erreicht, welcher sich mehr Zeit nahm. Auf dem Untergestell bemerkte Otho einen großen breiten Kasten, unter dem Vordach saßen Leute, die ihre Köpfe vorstreckten, als Otho an ihnen vorbeizukommen suchte.
Ihr da! schrie eine Stimme lustig hinterher, fahrt etwas langsamer. Ihr habt Zeit genug dazu.
Wenn man dicht am Posthause ist, erwiederte Otho, hat man am wenigsten Zeit, obenein wenn Andere denselben Weg nehmen.
Sie sind ein aufrichtiger Herr, lachte der Fremde, und ich will Ihnen gerne Platz machen, denn auf jeden Fall werden wir uns wiedersehen.
Wo?
Nicht etwa im Himmel, lachte der Mann. Nein, Herr, damit, denke ich, hat es noch Zeit für uns Beide. Ich werde Ihnen mit vielem Vergnügen eine glückliche Reise wünschen, wenn ich beim Posthause vorbeifahre.
Wie? fragte Otho. Gibt's keine Pferde dort?
Nicht ein Pferdeschwanz ist seit drei Tagen mehr hier. Die Jäger von Nyland sind vorgestern hier durchgekommen. Gestern schon habe ich vergebens Vorspann gefordert.
Otho stieß einen landesüblichen Fluch aus. Was ist da anzufangen? rief er dann. Ich muß fort.
421 Muß ist ein bitter Kraut; aber was nicht geht, geht nicht, war die Antwort. Der Gästegiver hat ein gutes Zimmer für Reisende, und die Nacht ist kalt genug, um ein warmes Kissen lieber zu haben als einen heißen Trunk. Vielleicht schafft Olaf Skild Ihnen morgen früh doch ein Pferd. Er ist ein guter Junge, der sich Mühe gibt.
Mag er verdammt sein, wenn er mich nicht gleich weiter schafft!
Sachte, Herr, sachte! rief der Fremde zurück, wer wird seinen Athem umsonst fortgeben! Es ist überall jetzt so auf der Straße. Dafür gibt's Krieg, Herr. Wohin wollen Sie denn?
Nach Ecknäs oder auch nach Finnby, sagte Otho, ich habe an beiden Orten Geschäfte.
Ja so! antwortete der Mann mit diesem Lieblingsausdruck aller Schweden, dann trifft es sich gut, wenn Sie durchaus fort müssen und mit mir fahren wollen. Mein Weg geht eben nach Ecknäs hinab.
Otho bedachte sich nicht lange. Wenn Sie mich mitnehmen wollen, bin ich Ihnen zum größten Dank verpflichtet.
Der Mann bog sich weiter vor und schrie nach dem Kasten hinauf: Holla! Korporal Spuf! Korporal Spuf!
Hier! brüllte eine mächtige Baßstimme aus der Tiefe des Kastens. Was soll's, Feldwebel Roth?
Hast du Platz noch neben dir, Korporal Spuf? fragte der Feldwebel.
Nicht so viel, daß ein Kosak seine Nase hineinschieben könnte, antwortete die rauhe Stimme zurück.
Schon gut, Korporal Spuf, sagte der Feldwebel, willst dich nicht stören lassen. Haben Sie viel Gepäck, Herr?
Nichts als einen kleinen Mantelsack.
Dann ist es noch besser! fuhr der Feldwebel fort, den legen wir für's Erste unter unsere Füße. Ich bin vom Regiment Björneborg, habe die Regimentskiste voll Schuhe gehabt und fahre jetzt nach Ecknäs, um mehr zu holen. Das heißt, so viele, wie da sind, fügte er hinzu, und Odin soll mich holen! wenn das halbe Regiment ordentliches Schuhwerk an den Beinen hat, im Fall es losgeht mit den Satansrussen! Aber steigen Sie ein, Herr. Ein Soldat muß 422 sich nicht lange besinnen. Frisch gewagt und unverzagt, so wird der Russe zum Teufel gejagt!
Nach wenigen Minuten war die Umladung geschehen. Otho belohnte den Bauern reichlich, der vergnügt sofort umdrehte, ohne bis an's Posthaus zu fahren, weil er vorsichtig erwog, daß er dort vielleicht gewaltsam von einem reisenden Offizier oder Beamten festgehalten und mit Schlitten und Pferd weiter benutzt werden möchte, was den bestehenden Rechten nach und in dieser Zeit zumal, wohl geschehen konnte. Otho klemmte sich dagegen auf eine enge Bank, die für zwei Personen ausreichte und von dem Feldwebel und dem Schlittenlenker bereits eingenommen wurde. Da der Feldwebel jedoch ein langer dünner Mann war, der Andere dagegen ein Bursche, kaum über die Kinderjahre hinaus, auch Jeder sich so viel als möglich zusammenzog, so ging die Einschachtelung glücklich von Statten, und der Feldwebel rief lachend, daß nicht allein, wie es schon in der Bibel stehe, der geduldigen Schaafe viele in einen Stall gingen, sondern daß sie sich auch ganz wohl darin befänden; denn bei solcher lieblichen Morgenluft sei nichts besser, als eng zusammenzurücken, und kein General könnte behaglich wärmer sitzen als er. Dabei streckte er seine langen dünnen Beine aus, so weit er es vermochte, warf Stroh und Decken darüber hin und wickelte sich und Otho damit ein. Hierauf legte er sich auf den harten Sitz zurück, zog seine Pelzkappe über die Nase und trällerte ein Lied vor sich hin, das von Korporal Spuf unterbrochen wurde, der sich plötzlich oben im Kasten hören ließ.
Heda, Feldwebel! Millionen Schock Tonnen Teufel! Halt an! Hier ist der Gaard. Hier ist das Nest.
Warum anhalten? antwortete der Feldwebel, und er sang ruhig weiter:
Es ist eine jammervolle Hütte,
Dort einzukehren ist nicht meine Sitte,
Nichts ist zu haben, nichts von Gottes Gaben,
Nichts als Wasser, verdammter Trank, dich will ich nicht haben!
Das ist ein Lied von Bellmann, sagte er, Sie müssen aber doch sehen, Herr, daß ich Recht habe. Heda, Ule Skild! komm heraus aus deiner Höhle!
423 Komm heraus, Ule! Höllenbrand! Wallfisch! schrie der Korporal, und bringe mit, was du hast. Ich habe Durst für sieben und siebenzig Schock Tonnen eingesalzener Seehunde.
Der Postbauer kam mit einem Feuerbrande und dies war wirklich Alles, was er bringen konnte. Nicht einen Tropfen Trank als Wasser hatte er im Hause, Alles war aufgezehrt durch die vorüberziehenden Soldaten, und heut hatte das Canajabataillon die letzten Reste vertilgt. Seine Pferde waren fort, er wußte nicht, wann und wie er sie wiedersehen würde.
Jeden Satz seiner Erzählung, jede Klage und jede Entschuldigung beantwortete der tapfere Korporal Spuf mit einem anderen neuen unermeßlichen Fluch. Er entwickelte ein wunderbares erfindungsreiches Talent dafür, indem er den Kopf aus dem Kasten steckte, und Otho konnte nicht ohne Lachen dem Streite zuhören, der sich zwischen ihm und dem Feldwebel entspann, während der Postbauer seinen flammenden Holzscheit in die Luft hielt und die beiden Soldaten beleuchtete.
Der Korporal war ein stämmiger Mann mit runden Augen, dicken Backen und einem ungeheuren Munde, den ein paar dickaufgeworfene breite Lippen bildeten. Er sah aus wie Einer, der sich nicht lange nöthigen läßt anzufassen und dareinzuschlagen, wo es etwas der Art zu thun gibt. Seine gewaltigen Schultern und der Bullenbeißerkopf zwischen diesen gaben ihm etwas Unförmiges, aber er war rasch in seinen Bewegungen und schien zornigen reizbaren Gemüths zu sein. Der Feldwebel bildete dazu das gerade Gegentheil. Jetzt erst, wo Ule Skild's Fackel ihr Licht über ihn ausgoß, sah Otho, wie mager und lang Alles an ihm war. Brust, Hüften, Hals und Kopf bildeten fast dieselben Linien, das schmale Gesicht war weit vorgeschoben, der Mund außerordentlich klein, die Nase lang und spitz, geradeaus in die Welt reichend, und die Stirn niedrig und flach, doch mit gewaltig breiten Augenbrauen versetzen, unter denen zwei kleine Augen wie Fuchsaugen lagen. Die Schelmerei darin war unverkennbar, ein Gemisch von Verschlagenheit und Verstellungskunst, die sich dem ganzen Gesicht mittheilte und bald die ernsthaftesten Blicke und Falten, bald das sonderbarste Grinsen und Lachen bewirkte.
424 Stille, Korporal Spuf, stille! rief er vorwurfsvoll in die Flüche seines würdigen Kameraden. Wie kann ein christlicher Korporal so heidnisch russisch fluchen? Zumal am Sonntag, denn wir haben Sonntag, Korporal Spuf.
Der Korporal stieß statt aller Antwort einen neuen noch ärgeren Fluch auf alle Sonntage und alle christlichen Korporale aus, wobei der Feldwebel seine Stirn runzelte und seinen Augen den Ausdruck tiefen Abscheus gab. – Pfui, Spuf! pfui! elender gottloser Korporal vom Regiment Björneborg, sprach er kopfschüttelnd, was wird aus dir werden, wenn du von deinen Sünden nicht abläßt? Haben wir nicht geschworen, das erste unter allen Regimentern im finnischen Heere zu sein und zu bleiben; wird der Herr uns aber auch nur einen Russen in die Hände geben, wenn du seinen Sabbath entheiligst, sündiger, verdammter Spuf?
Der Teufel soll mich siebenhundert und sieben und siebenzig Male holen und dich dazu, Feldwebel, wenn ich nicht zwei Russen mit Eins auf mein Bajonnet spieße! schrie Spuf.
Wenn es Maikäfer wären, wenn es Bratwürste wären, oder Butterkuchen, grausamer und blutdürstiger Korporal Spuf, so wollte ich es glauben, sagte der Feldwebel gelassen. Was schnappst du mit deinen Lippen, Spuf? Hast du einen Russen zwischen deinen Zähnen?
Ich wollte, schrie Spuf, daß ich dich und alle Russen und ganz Rußland zwischen meinen Zähnen hätte.
Pfui, Spuf! sagte der Feldwebel strafend, wer wird sich so muthwillig den Magen verderben.
Ach! mein Magen. Schock Tonnen, mein Magen! brüllte der Korporal. Ich habe keinen Magen mehr, es ist nichts da, als ein Abgrund zu Eis gefroren. Wollte ich dich verschlucken, Feldwebel, du führst wie auf einer Rutschbahn in die Tiefe, und kämst mit zerbrochenen Gliedern unten an.
Der Feldwebel verbarg seine Lustigkeit so gut er konnte. Ich danke dir, Korporal, für deine guten Absichten, sagte er würdevoll, aber ich mag die Parthie nicht mit machen. Was in aller Welt hat denn deinen Schlund und Magen zu einem Gletscher gemacht?
425 Thau ihn auf, Ule, Schlingel, Ungeheuer! schrie Spuf, indem er ingrimmig die Faust gegen den Bauer ballte. Du mußt Branntwein schaffen, oder ich wärme mich an deinem Blut, und brate deine Leber.
Ja so! rief der Feldwebel äußerst erstaunt. Thue ihm nichts, Spuf, warte bis wir ein Paar Russen zum Frühstück braten. Branntwein kann also deinen Abgrund erweichen? Warum sagst du mir denn das nicht gleich, mein lieber Freund? Hier, Korporal, hier, tapferer Spuf, vom Regiment Björneborg, mit dem langen Bajonnet.
Zum unaussprechlichen Vergnügen des Korporals zog er eine dicke Korbflasche unter der Bank hervor, und Spuf that seine mächtigen Kinnbacken auf, und schloß sie nicht eher wieder, bis die Flasche um ein gutes Theil leichter geworden war. So! schrie er dann, angenehm grinsend und sich schüttelnd, jetzt geht es wieder menschlich in mir zu. Feldwebel, du bist der gescheidteste Feldwebel in der ganzen Armee. Jetzt mag's kommen, wie es will, ich weiche nicht von deiner Seite. Den Russen wollen wir es zeigen, was Feldwebel Roth und Korporal Spuf bedeuten. Und jetzt packe dich Ule, Verräther, elender Wicht! der weder Schnaps noch Pferde hat, wenn Korporal Spuf kommt. Packe dich, Bauer, schäme dich, und komm mir nicht wieder vor's Gesicht.
Damit zog der Korporal seine Decke über den Kopf, und verschwand in dem Kasten. Der Bauer wünschte ihm lachend, daß er die Augen offen behalten möge, und Spuf antwortete mit einem Hurrah, das der Feldwebel mit Peitschenhieben auf die Pferde begleitete, die im Galopp davon jagten.
Sie mögen es wohl nicht gewohnt sein, Herr, mit Soldaten und Bauern durch Nacht und Schnee zu fahren, lachte er, aber was sagt ein altes Sprichwort: Wer unter den Wölfen ist muß mit heulen.
Das Sprichwort ist mir wohl bekannt, erwiederte Otho, und Nacht und Schnee sind mir eben so wenig fremd.
So sehen Sie allerdings aus. Ich habe es bei Ule's Fackel gesehen. Sind vielleicht selbst ein Soldat?
Otho verneinte es. Es könnte sein, daß ich bald einer würde, fügte er hinzu.
426 Ja so! sagte der Feldwebel, wenn die Russen kommen. Sie glauben es also?
Ich glaube es ganz gewiß.
Ich auch, antwortete der Feldwebel, obwohl es manche Offiziere gibt, die es durchaus nicht denken können, und Leute genug im Lande, die den Kopf schütteln und die Hände ringen.
Und was thun die Soldaten? Schütteln sie auch die Köpfe?
Es kommt wohl auch vor, meinte der Feldwebel, denn manche alte Herrn blieben lieber zu Haus hinter dem Ofen. Der Feldmarschall Klingspor sitzt noch immer in Stockholm und es heißt, er soll gar nicht kommen. Wo will er denn auch jetzt noch über das Meer.
Glauben Sie nicht, daß man noch hinüber kann?
Wenn man nicht eine Eisscholle ist, wie Korporal Spuf von sich behauptet, geht's nicht an.
Es gibt doch kühne Schiffer genug an den Küsten.
Es möchte dem Kühnsten denn doch um etwas zu kühn sein, Herr. Spuf fürchtet sich nicht vor einer ganzen Heerde Kosaken, so eine Eisscholle aber, die das beste Boot durchschneidet, glatt, wie mit einem Messer geschnitten, ist schlimmer als alle Russensäbel.
Otho schwieg ein Weilchen, dann sagte er: Treiben die Leute in Ecknäs nicht Handel mit Stockholm?
Handel genug, Herr, und wo es Geld zu verdienen gibt, scheuen sie keine Gefahr. Noch in letzter Woche ist ein Lugger herüber gekommen, und hat uns eben die Schuhe gebracht, deren Reste ich abholen soll. Sie schicken uns nichts aus Stockholm, weder Mannschaft noch Geld, weder Pulver noch Montur, so hat es denn Peder Stahl unternommen, uns wenigstens die Schuhe herüberzuholen sammt einem paar Kisten mit englischen Gewehren, damit ist er glücklich angelangt.
Neue Gewehre für das Regiment?
Korporal Spuf nähme keines davon in die Hand, wären auch die Russen ihm dicht an den Hacken, lachte der Feldwebel. Er verachtet die englischen Flinten mit den schlechten kurzen Bajonnetten, die sich wie Blei biegen, über alle Maßen, denn's Regiment Björneborg hat zwei Fuß lange Bajonnette auf den alten schwedischen Musketen, wie wollte er sonst zwei Russen auf einmal spießen?
427 Das dürfte überhaupt dem tapferen Korporal wohl schwerlich gelingen.
Das wird er thun, verlassen Sie sich darauf, sagte Feldwebel Roth mit solcher Überzeugung, als zweifle er nicht im Geringsten daran. Überhaupt, Herr, so gering unsere Zahl ist, fechten werden wir, denn es ist Mancher dabei, der wie Spuf denkt, und es machen wird wie er. Ich freilich, fuhr er sich behaglich ausstreckend fort, ich habe zu lange Beine von meinem Schöpfer bekommen, um nicht an's Ausreißen zu denken, wenn es mir zu hart und bunt hergeht.
Und wenn es an's Fechten geht, besorge ich, hat Korporal Spuf zu tief in die Flasche gesehen, und schläft, wie er es jetzt thut.
Da irren Sie, erwiederte Roth, er schläft niemals, wenn er einen warmen Magen hat. Holla, Korporal Spuf! schläfst du? fragte er an den Kasten klopfend.
Erbärmlicher Feldwebel! schrie der Korporal, indem er einen kräftigen Fluch folgen ließ, gib deine Flasche her, dann stecke dich und deine langen Beine in den Regimentskasten, wenn wir in Ecknäs ankommen, will ich dich herausholen.
Sehen Sie wohl, lachte der Feldwebel, er ist auf seinem Posten, und nie habe ich einen Mann gesehen wie diesen, so unermüdlich, so wachsam und so nüchtern, wenn es nämlich so sein muß.
Nach einiger Zeit nahm Otho das Gespräch wieder auf, indem er nochmals über die Möglichkeit zu sprechen begann, von Ecknäs aus nach Schweden hinüber zu kommen, und Erkundigungen über den Schiffer einzog, der letzthin erst noch die Fahrt gewagt hatte.
Damals, sagte der Feldwebel, ging es noch, weil die Eismasse überall im Treiben war, jetzt aber halten sicher schon Eisbänke die Küsten besetzt, und dann ist nichts mehr zu machen. Wollen Sie denn hinüber, Herr? fuhr er fort. Aus Ihren Reden möchte ich es vermuthen.
Ich will, ja.
Müssen Sie, Herr?
Ich muß. Es steht viel auf dem Spiel.
Verlieren Sie lieber Ihr Geld als Ihr Leben, junger Herr, sagte der Feldwebel.
428 Es handelt sich nicht um Geld, erwiederte Otho, sondern um Glück und Unglück vieler Menschen.
Der Feldwebel schwieg ein Weilchen, dann rief er plötzlich: Ja so! Wie heißen Sie denn, lieber Nachbar?
Ich könnte Ihnen irgend einen Namen nennen, versetzte Otho, Sie würden damit zufrieden sein, allein ich ziehe es vor, Ihnen aufrichtig zu sagen, daß ich Gründe habe, zu verschweigen wer ich bin.
Ja so! antwortete der Feldwebel noch einmal. Sie haben auf jeden Fall recht, Herr Otho Waimon.
Wie? fragte Otho erstaunt. Sie kennen mich also?
Ich habe Sie im vorigen Jahre in Raumo gesehen, antwortete der lange Soldat herzlich lachend, und wer Sie einmal gesehen hat, vergißt Sie so leicht nicht wieder. Auf der Stelle erkannte ich Sie, sobald ich Ihr Gesicht sehen konnte, daher war ich auch gleich bereit, Ihnen zu dienen, so viel ich es vermochte. Und das will ich auch jetzt thun, Herr Waimon, fuhr er fort, denn wenn Sie es wünschen, habe ich Ihren Namen vergessen, und wenn Sie durchaus über's Wasser müssen, so will ich versuchen, Ihnen beizustehen, oder Korporal Spuf soll Ihnen beistehen, denn Per Stahl ist ein Vetter von ihm, und ein Mann, so ziemlich von derselben Sorte.
Und Sie, Feldwebel Roth, sind auch ein Nyländer?
Nein, Herr. Ich bin ein Nordlandsmann, aus Trullö.
Dann hat das altfinnische Spüchwort auch diesmal Recht, daß die schlausten und raschesten Finnen in Osterbotten wohnen.
Dank Ihnen, Herr! lachte der Feldwebel, Sie machen es gnädig mit mir. Das alte Sprüchwort sagt: Aus Osterbotten kommen alle Lügner, Schelme und Räuber, aber ich denke Ihnen zu beweisen, daß auch ehrliche Leute dort geboren werden.
In bester Einigkeit wurde die Reise fortgesetzt, und wenn Otho Waimon nicht so vielerlei sorgenvolle Gedanken mit sich getragen hätte, würden ihm die Stunden froh und leicht genug vergangen sein. Der Feldwebel besaß unerschöpflich gute Laune, und wußte den Korporal Spuf so unablässig mit der Erfindung neuer Flüche und sonderbarer Einfälle zu beschäftigen, daß sein mageres Gesicht fast nicht aus dem lustigsten Grinsen kam. Korporal Spuf war jedoch keinesweges ein 429 Dummkopf. Er vergalt den trockenen Witz seines Freundes oft mit den treffendsten Spöttereien, und gab nebenher die Beschreibungen der Heldenthaten zum Besten, welche er begehen wollte, wobei ihm der Feldwebel einhalf und widersprach, daß das Streiten und Lachen kein Ende nahm.
So verging der Tag, welcher sonnenhell kam und verschwand, während der Schlitten durch die Thäler und Hügel eilte. Je näher die Reisenden dem kleinen Seeplatze kamen, um so leichter waren Pferde zu bekommen, bis sie endlich am späten Abend durch die Reihen kleiner rother Holz- und Balkenhäuser fuhren, die das bescheidene Ecknäs bildeten, in welchem ungefähr tausend Menschen damals beisammen wohnten.
Otho hatte während dieser Reise nicht allein das Wohlwollen des langbeinigen Feldwebels erworben, der ihm alle mögliche Liebe bewies, sondern auch Korporal Spuf war sein Freund geworden und behauptete mehr als einmal, mit den fürchterlichsten Flüchen, daß es im ganzen Regiment Björneborg keinen schöneren Grenadier gäbe, als dieser junge Herr sein würde. Jammer und Schade sei es, daß ein solcher Mann ein Handelsmann wäre, und – Korporal Spuf rief siebenundsiebenzig Schock Tonnen Teufel zur Hilfe – nichts Besseres in der Welt könne geschehen, als wenn er allen Kram von sich würfe, und in's glorreiche Regiment Björneborg einträte. Feldwebel Roth stimmte ihm lebhaft bei, und Otho versprach, sobald er aus Schweden zurückkomme, und sobald es richtig sei mit dem russischen Kriege, Björneborg's Fahne und lange Bajonnette aufzusuchen. Hierauf bearbeitete der Feldwebel seinen Kameraden, auf dies Versprechen hin, dafür sorgen zu helfen, daß der Handelsmann, wie Otho sich genannt hatte, nach Schweden hinüberkomme, damit er um so schneller zurückkehre und unter seine Fuchtel als Rekrut eintreten möge.
Spuf riß seine runden Augen weit auf, und seine mächtigen Kinnbacken öffneten sich von einem zum anderen Ohre, wobei er äußerst schlau und spöttisch aussah, Feldwebel, du bist der allergescheidteste Feldwebel in der ganzen Armee! schrie er. Wenn der Bursche einmal fort ist, werden wir ihn schwerlich wiedersehen, aber Odin soll mich 430 selig sprechen, wenn ich ihm bei alledem nicht helfen will, so viel ich irgend kann.
Und dies Versprechen hielt der tapfere Spuf, denn kaum war der Schlitten vor dem Gaard in der Stadt angelangt, als er Otho an den Hafen hinabführte, und an eine der besten Holzhütten pochte, welche dort die letzte Häuserreihe bildeten.
Eine rauhe Stimme beantwortete das Pochen, dann wurde die Thür geöffnet, und der flackernde Holzspan beleuchtete einen Seemann, dem allerdings wenig fehlte, um so auszusehen, wie sein Vetter der tapfere Korporal. Langes gelbes Haar fiel bis auf seine breiten Schultern, und seine braune, harte Haut, seine tiefgefurchten Züge deuteten auf ein Leben, das unter Ertragung großer Beschwerden hingegangen war.
Nachdem die beiden Verwandten in der engen, entsetzlich heißen Stube eine Menge Flüche gewechselt hatten, die ihr Handschütteln und andern Liebkosungen begleiteten, und nachdem der Schiffer eine volle Flasche herbeigeholt und ein Glas ohne Fuß, das Korporal Spuf dreimal auf einen Zug leerte, kam es zu dem Vortrage des Anliegens; doch schon nach dem ersten Verständniß schüttelte Peder Stahl seinen dicken Kopf.
Es geht nicht! brummte er, Otho finster anblickend. Wer, zum Donner! seid Ihr denn, daß Ihr in's Verderben rennen wollt?
Es ist ein Herr, Per Stahl, der deine groben Tatzen voll Speciesthaler schütten will, sagte der Feldwebel.
Ich schenke sie ihm! rief der Schiffer, die Hände in seine Taschen steckend. Der Teufel soll mich holen, wenn ich sie verdiene!
Willst du kein Geld verdienen, du Sohn von einem Hasen, fiel der Feldwebel ein. Millionen Schock! wenn der Herr in Trullö wäre, Zehn für Einen thäte ich ihm schaffen. Wenn er aber hinübergeht nach Finnby oder Tenala, findet er auch Leute genug, die seine Speciesthaler gerne annehmen.
Mag er es thun, geht zu Hiisi! schrie der rauhe Mann, und sein dunkles Gesicht zog sich zorniger zusammen.
Per, bist ein Narr geworden? fragte Korporal Spuf.
431 Drei Nächte lang hat eine Katze vor meiner Thür geschrien, murmelte der Schiffer. Ein schwarzes Teufelsthier, ich hab's gesehen; wußte wohl, es würde etwas kommen, nun ist es da. Ich will Euer Geld nicht, mag's thun, wer Lust hat.
Ich zwinge Euch so wenig, wie einen Anderen, sagte Otho. Hinüber muß ich und hoffe, hier oder anderswo ein paar Männer zu finden, die mir beistehen.
Geht nach Finnby Herr, lachte der Feldwebel, da gibt's Leute, die sich nicht fürchten, wenn auch alle Katzen in der Welt ihnen ihr Teufelslied vorheulen.
Sieben und siebenzig Schock Tonnen! schrie Korporal Spuf, ich will dein Vetter nicht mehr sein, Per.
Wieviel setzen Sie daran, Herr, wenn ich Ihnen Boot und Bootsmann schaffe? fragte der Feldwebel.
Was gefordert wird, will ich zahlen, sagte Otho.
Hundert Bankthaler! rief Spuf.
Mehr, wenn es nicht genug ist.
Noch fünfzig dazu, sagte der dürre Feldwebel.
Der Korporal riß die blauen runden Augen auf. Einen fürchterlichen Schlag that er auf den Tisch, sagte kein Wort dazu, aber mit unermeßlicher grimmiger Verachtung stierte er Per Stahl an, in dessen Gesicht augenscheinlich die Gier nach so bedeutendem Geldgewinn mit seinen Besorgnissen rang.
Wollt Ihr zweihundert Bankthaler geben? fragte er endlich trotzig auffahrend, indem er seine Hand ausstreckte.
Otho sagte unbedenklich ja, schlug ein, und der Handel war abgemacht. Korporal Spuf umarmte seinen Vetter mit einigen unermeßlichen Flüchen, und der Feldwebel flüsterte seinem Schützling in's Ohr, daß er keinen anderen Fährmann gefunden haben würde, wenn es Per nicht gethan hätte.
Aus seiner Unentschlossenheit war dieser, nachdem er eingewilligt hatte, zur entschlossenen Willfährigkeit gelangt, sogleich an's Werk zu gehen, und kaltblütig schilderte er die Gefahren, welche zu bestehen waren.
432 Seit zwei Tagen, sagte er, haben wir Westwind gehabt, der die meisten Eisbänke und Schollen in den bottnischen Wiek getrieben hat. Wäre es das nicht, möchte ich's nicht um tausend Thaler thun. Gehört Ihr zu denen, Herr, die, wie das finnische Volk sagt, Jumala am Gürtel hält, so werden wir hinüberkommen, als wär's Mittsommerzeit; ist's nicht so, werden uns Euer hübsches Gesicht und Eure jungen schlanken Glieder so wenig helfen, wie mein zähes Leder. Es wird uns Keiner wiedersehen, Herr, daran denkt und überlegt's, ehe Ihr das Geld auf den Tisch legt.
Guter Freund, antwortete Otho lächelnd, ich habe nichts mehr zu überlegen. Hier ist dein Geld, gewagt muß es werden. Ob Jumala uns beisteht, wissen wir nicht; doch wir selbst wollen uns tapfer beistehen und thun, was Männer thun müssen.
Und jeder Mann muß an sein Glück glauben! rief der Feldwebel. Wer, zum Henker! möchte, Soldat sein, wenn er nicht dächte, schießt, so viel ihr Lust habt, ich komme doch davon! Was meinst du, Korporal Spuf? Werden wir uns jemals von den Russen fangen oder todtschießen lassen?
Der Korporal war gegen seine Gewohnheit ernsthaft. Er warf einen ungeheuren Ballen Kautabak aus seiner rechten in die linke Backe, sah vor sich hin und schüttelte den Kopf.
Wir spießen sie Alle, grinste der Feldwebel, indem er ihm die lange Korbflasche zuschob, oder – wir laufen davon, Spuf! Was? He?
So lange wir laufen können, murmelte Spuf, indem er die Flasche an den Mund setzte. Aber es ist nichts daran gelegen, Vetter Per, ob das Glück will, oder nicht will. Die Hauptsache bleibt, daß ein Mann sich nicht fürchten thut, weder vor den Russen, noch vor den Eisschollen, und wie ein braver Kerl immer seinen Feind anfaßt, wo er ihn fassen kann, bis es eben nicht länger gehen will. Und dann ist doch Alles gut, Vetter Per, dann können wir dreist oben anklopfen beim heiligen Peder, deinem Namensvetter. Sieben und siebenzig Schock Tonnen! er soll dem Korporal Spuf das Himmelsthor so weit aufmachen, als käme ein Feldmarschall, oder ich laufe Sturm.
433 Platz da vor dem tapferen Korporal Spuf vom Regiment Björneborg und seinem langen Bajonnet! schrie der Feldwebel. Hast Recht, Korporal Spuf: Wir wollen tapfer dafür sorgen, daß wir allezeit an die Himmelspforte donnern können und Petrus geschwind herbeiläuft und aufmachen muß.
Otho hatte während dieser lustigen Unterhaltung seine Brieftasche geöffnet und mit seinem Bleistifte ein Blättchen beschrieben, das er zusammenfaltete und es dem Feldwebel hinreichte, als dieser endlich mit seinem Kameraden an die Rückkehr in den Gaard dachte, weil die Flasche leer war. Otho sollte bei dem Schiffer bleiben, der in einigen Stunden schon mit ihm aufbrechen wollte, um eine der kleinen vor der Küste liegenden Inseln zu erreichen, wo, wie Per sagte, freies Wasser sei und ein Boot sie erwarten würde.
Es könnte doch sein, daß ich nicht wiederkäme, sagte Otho zu dem Feldwebel, und in diesem Falle bitte ich Sie, diesen Zettel an den Freiherrn Erich Randal in Halljalaschloß am Pajäne gelangen zu lassen.
Ja so! nickte der dürre Soldat, den Brief einsteckend. Es ist eine Sache auf alle Fälle. Kann's geschehen, soll's geschehen; aber es ist mir so, als sehen Sie nicht danach aus, Herr, um ein nasses Grab zu finden, und, aufrichtig gestanden, es sollte mir herzlich leid thun.
Mir auch! brummte Spuf. Es wäre ein Verlust für's Regiment Björneborg.
Wenn ich lebendig bleibe, erwiederte Otho, indem er den beiden Soldaten die rauhen Hände drückte, sollt Ihr gewiß von mir hören; kommt aber keine Nachricht von uns, dann schickt den Zettel nach Halljala.
Unter vielen gegenseitigen Freundschaftsbeweisen fand endlich der Abschied statt, der nur den Schiffer unempfindlich ließ, welcher sich damit beschäftigte, die Goldstücke zusammenzupacken, die ihm Otho aufgezählt hatte; denn es war ausbedungen, volle Zahlung sogleich zu leisten und keine Ansprüche zu erheben, wenn etwa umgekehrt werden müßte. Was ein Mensch thun könne, versprach Per zu thun, und Spuf hatte mit einem fürchterlichen Fluch und Schlag 434 geschworen, daß, was Per sage, so gut sei, als sage es Gott selbst. Der kräftige stierköpfige Mann sah auch nicht so aus wie Einer, der auf Lüge sinnt. Seine Abneigung gegen das Unternehmen schien überwunden zu sein. Er packte seine besten Habseligkeiten und sein Geld in ein Bündel, um es, wie er vor sich hin brummte, Einer anzuvertrauen, der es ein Trost sein würde, wenn er wiederkäme. Dann entfernte er sich damit, indem er seinen Gast ersuchte, inzwischen auf seinem Lager zu schlafen, bis er zurückkehrend ihn wecken würde.
Und dies geschah, ehe Otho es dachte. Er hatte nach manchem Sinnen seine Augen geschlossen und glaubte auf dem harten Sack voll Seetang kaum entschlummert zu sein, als Per's rauhe Stimme ihn aufrüttelte.
Jetzt vorwärts, Herr, sagte der Schiffer, nehmt, was Euch gehört, und laßt uns laufen, ich bringe gute Nachrichten. Vor Hangö Udd ist kein Eis fest, überall freies Wasser, und der Wind steht steif in Süd-Ost, jagt fort, was wir nicht brauchen können.
Er hüllte sich in seine dicke Kalmuckjacke, zog drei Mützen über seine Ohren, band die ölgetränkte Kappe darüber fest und steckte seine Laterne an. Otho war schnell bereit, und lange noch funkelten die Sterne am Himmel, während die beiden Männer über Eis und Schnee den Inseln zuschritten, welche durch eine feste Brücke jetzt mit dem Lande verbunden waren.
Als der Morgen kam, stiegen sie über eine felsige Zunge, und jetzt zitterten die ersten Sonnenstrahlen auf einer weitwogenden welligen Fläche, die den röthlichen Glanz des Himmels auffing. Es war das Meer, das ihnen entgegenrollte und schäumend an Klippen und Gestein aufsprang. Unter der Höhe lag eine Hütte, und einige Männer schoben so eben mit vereinten Kräften eine Fischerschlup von dem hohen Ufer einer kleinen Bucht, setzten die Segel und besorgten die Ausrüstung.
Das ist unser Fahrzeug? fragte Otho.
Ja, Herr, antwortete der Schiffer. In einer halben Stunde werden wir auf blauem Wasser schwimmen.
Und ehe diese Zeit ablief, saß Otho auf der tiefen Bank der Schlup vor dem Steuer, das Per regierte, und zu beiden Seiten neben 435 ihm hin liefen die langen Leinen, an denen das Vordersegel befestigt war. In der Hütte war ein Topf voll heißem Mehlbrei bereit gewesen; ein Korb voll harten Brodkuchen, ein Steinkrug voll Branntwein, ein anderer voll Wasser standen auf dem Tisch als Reisevorräthe. Es zeigte sich, daß Per den Sohn des Fischers vorausgeschickt hatte, um alle nöthigen Anstalten zu treffen; allein zur Theilnahme an der Fahrt war keiner der Männer zu bewegen. Sie sprachen eine Zeitlang beisammen, sahen Himmel, Luft und Meer an und schüttelten die Köpfe, bis Per von dieser Berathung zurückkehrte und mit unerschütterlicher Ruhe erklärte, daß er es allein versuchen wolle, wenn der Herr zu seinem Beistande bereit sei.
Wenn er die Absicht hatte, den jungen Reisenden dadurch zum Aufgeben seiner Entschlüsse zu bewegen und sein Geld verloren zu geben, war er im Irrthum. Otho sagte sogleich seine Hilfe zu und versicherte, nicht unbekannt mit der Führung eines Bootes zu sein. Die Männer schwiegen, blickten auf seine jugendliche Rüstigkeit, sahen Per an, grinsten und kopfschüttelten, hatten aber nichts dagegen, als der Herr ihnen eine ihrer dicken Jacken und eine Kappe abkaufte, dann Ruder und Leinen ordnen half und endlich mit Per vereint die Schlup abstieß, welche, sowie sie aus dem Einschnitt war, ihre Segel aus den Gaitauen wickelte und westwärts gegen die Landspitze von Hangö Udd fortschoß. Der frische Wind war so günstig, daß Per, je weiter das kleine Schiff hinauskam, um so wohlgefälliger nach Mast und Himmel blickte und mit geheimen Vergnügen die Thätigkeit seines Bootsmannes betrachtete, der mit Tauen und Segeln umzugehen wußte, als sei er dafür geboren. Per hatte dem Fischer zwanzig und zuletzt dreißig Thaler geboten, wenn er ihn begleiten wollte, jetzt hatte er die Hilfe umsonst und obenein, wie es schien, bessere, als Jener sie ihm geben konnte. Der junge Mensch hier war so ausgewettert wie irgend ein Seemann, dabei frisch auf seinen Beinen und gelenkig wie ein Affe. Als eine Unordnung im Vorderschiff entstand, wo eine der Segelschoten sich um eine Stange wickelte, sprang er wie ein Tanzmeister über die Duchten und hatte in einem Augenblicke die Ordnung hergestellt. Per rechnete daher, daß ein solcher Mann, wenn es sein müßte, so tapfer arbeiten und aushalten 436 würde wie er selbst, und wenn's glückte, wenn er ihn hinüberschaffte, war's zugleich ein großmüthiger Herr, der das Geld nicht achtete. Zwanzig gute schwedische Meilen Wasser lagen zwischen Hangö und der Süderarmsleuchte, blieb aber der Wind so fein, so ließen sie sich bis morgen schaffen, und im schlimmsten Falle lagen ja die Alandsinseln wie ein ungeheures Netz zur Rechten, wo Zuflucht zu finden war, wenn's an's Umkehren ging. An der äußeren Leiste dieses tausendfältigen Inselgewirres dachte Per seine kleine Schlup zu halten, am Abend irgendwo ein Obdach zu suchen und dann bis zur nächsten Nacht in den Stockholmer Scheeren zu sein, wo er mehr als ein gutes Plätzchen kannte. Sein lederhartes gelbgraues Gesicht bekam einen Schimmer von Zärtlichkeit, als er sah, wie schnell das flinke Schiff den Leuchtthurm von Hangö hinter sich ließ, und vergnügt lachte er auf, als die Schlup in die Wölbungen hoher Wellen stürzte, die der Südost von den russisch-deutschen Küsten vor sich her jagte. Über die Buge der Schlup sprangen dann und wann hohe Wasserstrahlen, die in zahllose Tropfen zersplitterten, das kleine Schiff anpackten, daß es zitterte, und es auf die Seite warfen, daß es tief niedertauchte; aber das Meer war frei von Eis, so weit das Auge reichte. Nur zuweilen hob sich auf dem Kamm einer mächtigen Woge eine spitz aufstarrende, zerbrochene, im Sonnenglanz funkelnde Masse, die eben so schnell wieder verschwand und welche Per mit langen festen Blicken betrachtete. Die Luft war hell, der feuchte Athem des Windes deutete auf mildes Wetter, weißliche krausgezogene Streifen liefen über den Himmel fort, ohne jedoch irgendwo sich dichter zusammenzuziehen. Dabei wurde die frische Morgenkälte, je weiter der Tag heraufkam, um so milder; die Sonne, welche oft in diesen Breiten kalte Strahlen zu haben scheint, verbreitete einen warmen Hauch, und das Spritzwasser, das an den Planken des Boots niederfloß, fror nicht daran fest. Alles das waren Zeichen, die Per Stahl's Wohlgefallen vermehrten. Er schnitt sich ein neues Stück Kautabak, faßte nach dem Branntweinkrug und unterhielt seinen Gefährten mit Erzählungen über seine Seereisen, welche zuweilen gefahrvoll genug verlaufen waren.
437 Heut, sagte er dann, wollen wir es besser machen, Herr. Südostwind ist meist immer ein starker und falscher Wind, müssen ihm aber dennoch vertrauen, so viel wir immer können. Es ziehen die Alandsinseln in einem weiten Bogen von Hangö bis nach Eckenö hinauf, darin hin muß die Schlup laufen, um uns in ein feines Nachtquartier zu bringen. Sind dann gerade vor den äußersten Außeninseln an dem Alandshaf und haben morgen nach Söderarm hinüber einen leichten Weg zu machen.
Otho war ganz damit einverstanden, und während die Sonne so hoch stieg, wie sie kommen konnte, und dann immer weiter und rascher ihren schmalen Bogen gegen den Südwesten beschrieb, vergingen die hellen Tagesstunden den Reisenden schnell genug. Der Schiffer gehörte, wie die meisten Männer seines Standes, nicht zu den Gesprächigen. Sein Leben war in Einsamkeit oder in Geschäften und Arbeiten vergangen, wo Schweigen nothwendig wird. Alle diese Küstenfahrer waren bei Zeit und Gelegenheit auch Schmuggler, und Per erzählte mit Wohlbehagen von seinen Fahrten nach Lübeck und Stralsund, von deutschen Waaren und deutschem Branntwein, von Küstenwächtern und Schlupfwinkeln, und wie er alle diese Inseln, Klippen und Buchten in Nacht und Nebel so genau zu finden wisse, wie seine Hütte in Ecknäs. – Dazwischen aber verging oft lange Zeit, wo die beiden Reisegefährten kaum ein Wort wechselten, und die Stille nur von dem Rauschen des Windes im Takel- und Segelwerk der Schlup und dem zischenden Ton unterbrochen wurde, mit dem die langrollenden Wogen zusammensanken, wenn ihre schaumigen Kämme sich gegeneinander wie weiße Drachen aufbäumten und sich verschlangen. Otho's Blicke hingen an diesem eintönigen und ermüdenden Spiele fest, das sich immer von Neuem wiederholte. Nur zuweilen, wenn eine Welle, mächtiger als viele, das kleine Boot wie eine Nußschale hoch aufhob, um es heftiger in das tief unter ihr ausgehöhlte Thal zu schleudern, suchten seine Augen weit umher und kehrten unbefriedigt zurück. Kein anderes Boot, kein menschliches Wesen, kein Wesen der Schöpfungstage überhaupt, war zu entdecken. Eine weite öde Wasserwüste mischte sich überall mit dem Horizont, nur zur Rechten lagerten in der Ferne die zahlreichen Inseln und 438 Klippen der Alandsgruppe, vom Schnee eingehüllt, der sie zu weißen Punkten und Eishallen machte, die starr und todt aus der brandenden See ragten.
Als die Sonne fast den Horizont erreicht hatte, bemerkte Otho, daß die Schlup sich von dieser eisigen Inselkette weiter als bisher entfernte und ihren nordwestlichen Lauf mehr nach Süden änderte. Per zog die Schoten seiner Segel straffer an und legte die Schlup näher an den Wind.
Warum thust du das? fragte der junge Mann.
Thät' ich's nicht, antwortete der Schiffer, liefen wir zu weit nördlich. Vor uns liegen die Hafinseln. Seht Ihr die drei spitzen Berge?
Otho sah nichts; aber er bildete sich endlich ein, es wäre so und er täusche sich, da Nebel auf dem Wasser lag, der sich dichter und dichter ausdehnte und hohe weißglänzende Felseninseln bildete, die von dem Abendlicht bestrahlt wurden. Nach wenigen Minuten verblaßten alle Farben, und zu verkennen war es nicht mehr, daß der Nebel mit wunderbarer Schnelle zunahm, während der Wind schwächer zu werden schien.
Wir werden die Hafinseln nicht erreichen, sagte Otho.
Müssen sie erreichen, antwortete Per mürrisch. Holt noch einmal fester an, Herr.
Das Focksegel wurde so fest als möglich angeholt, doch nach wenigen Minuten flatterte es von Neuem.
Es faßt den Wind nicht mehr, sagte Otho.
Er ist westlicher gegangen, antwortete Per, aber er wird wieder in den alten Strich fallen, wenn die Sonne herunter ist.
Die See ging in hohen Wellen und warf die Schlup zur Seite, bis sie wieder dem Steuer gehorchte. Ein letztes bleiches Licht heftete sich an eine ferne Insel, die deutlich gesehen werden konnte.
Willst du nicht lieber darauf zuhalten? fragte Otho nach einer Weile.
Wir müßten an die drei Meilen zurück, erwiederte der Schiffer. Sitzt still, Herr, und sorgt nicht. Ehe wir dahin kämen, haben wir die Hafinseln.
Aber der Nebel, begann Otho nochmals. Bist du deiner Sache gewiß?
Per murmelte ein ärgerliches: Ja, Herr! und fügte dann einen Fluch hinzu, der dem tapferen Korporal Ehre gemacht haben würde; 439 denn statt nach dem Süden umzukehren, sprang der Wind sichtlich weiter und weiter um, und blies von Schwedens Küsten herüber. Eine düstere Wand schien sich dabei entweder vom Himmel auf die Erde zu senken oder umgekehrt von der See zum Himmel aufzusteigen; ohne Zweifel waren dies keine niedere Nebelbänke, die von den Windstößen auseinander gejagt werden konnten, sondern trübe schwere Wolkenmassen, die mit wunderbarer Schnelle alles Licht auslöschten.
Was ist das? sagte Otho nach einiger Zeit. Die Segel flattern wieder. Wir stoßen auf.
Treibeis, antwortete Per. Zündet die Laterne an, Herr.
Es fällt Schnee, fuhr Otho fort, und wenn ich in den Bergen am Pajäne wäre, wollt' ich sagen, es kommt ein Sturm.
Ein paar Eiskörner, wer wird's achten, murmelte der Schiffer.
Aber der Wind ist offenbar ein ganzer Westwind mit einem Strich nach Norden geworden, fiel Otho dringender ein.
So machen wir einen Schlag oder zwei, sagte Per hartnäckig. Wir müssen dicht an der Hafinsel sein. Seht dort hin, Herr, seht vor Euch. Könnt Ihr ein Licht erkennen?
Die Dunkelheit war vollständig, eben aber als die Schlup in die Höhe gehoben wurde, ließ sich in der Tiefe des Horizonts ein heller Schein erkennen. Es war als ob eine Fackel brannte, oder ein Baum, aus dessen Ästen feurige Streifen in den Himmel flackerten, dann stürzte die Schlup von dem Wasserberge hinab, und nichts war mehr zu sehen. In der nächsten Minute jedoch stand sie wiederum auf dem Gipfel einer anderen Woge, und während dieser kurzen Zeit war die Fackel zu einer Feuersbrunst geworden, die wild auseinander lief, als verzehre und verschlinge sie eine ungeheure Stadt. In der dunkelrothen Gluth liefen lichte zuckende Schlangen umher, und Blitze stiegen daran auf wie Raketen, die in den düster mächtigen Himmel geschleudert wurden. – Und Woge auf Woge hob und senkte das kleine Schiff, und bei jedem neuen Steigen wechselte der fürchterliche Brand. Bald schien er sich ganz in lodernde Flammen auflösen zu wollen, bald wurden die Blitze nach allen Seiten hin geworfen, und Feuermassen drehten sich wunderbar, wie Räder zusammen, die aus zahllosen feurigen Fäden bestanden; bald wieder flogen farbige, seltsam 440 krause Gestalten aus dem Brande auf, huschten geisterhaft über den Himmel fort, und verschwanden. Dann sank plötzlich alle diese lichte Lohe in dunkelrothe Gluth zusammen, um gleich darauf von Neuem mit vermehrter Kraft den ganzen nordwestlichen Horizont zu überstrahlen.
Die beiden Männer wußten längst, was dieser Brand zu bedeuten hatte, daß es kein irdisches Feuer sei, sondern eines jener wunderbaren unerklärlichen Phänomene, die man Nordlicht heißt, und zwar eines der schönsten und größten, die es geben konnte. Die Wellen spiegelten die geheimnißvolle Gluth zurück, ihre schäumenden Kämme trugen deren rothen Abglanz. Durch die dunklen Thäler des Meeres fuhr der Schimmer glüher Blitze, und auf dem Gesicht des Schiffers malten sie sein stieres Schrecken und Bedenken, die Bestürzung, von der er überfallen war, und die kaltblütige Verachtung von Gefahren, die der beherzte Mann wohl oft schon bestanden hatte.
Nordlichte, wie dies eines war, bringen häufig heftige Stürme mit sich, und Otho zweifelte nicht daran, daß ein schreckliches Wetter nahe sei. Der Wind kam in raschen hohlen Stößen, welche stärker und stärker wurden, und führte starke Eiskörner mit sich, die wie Schrotkugeln in die Gesichter schlugen und erstarrend bis auf die Haut drangen. Dabei fror das Wasser, das über die Buge spritzte, augenblicklich, und überdeckte Wände und Boden des kleinen Bootes mit Eis. Die Taue waren steif, und gingen nicht mehr durch die Kloben. Ein einziger heftiger Stoß genügte, um das Boot zum Kentern zu bringen. Wahnsinn wäre es gewesen, es noch länger an dem Wind halten zu wollen, dem es nicht mehr gewachsen war.
Per wußte ohne Zweifel, daß sein Begleiter recht hatte, als dieser ihm im befehlenden Tone zurief, auf der Stelle die Schlup zu wenden und vor Wind laufen zu lassen. Zeige jetzt, schrie er ihn an, ob du wirklich der Mann bist, in Nacht und Nebel deinen Weg zu finden. Ob du dies Wasser wie deine Hand kennst. Wenn der Wind uns treibt, müssen wir an eines dieser Eilande gelangen. Herum mit dem Steuer, und die Segel los oder wir sind verloren.
Der Schiffer gehorchte, und Otho sprang trotz der Dunkelheit und der Glätte des Eises, das alles Holzwerk überzogen hatte, gelenkig in's Vorderschiff, um das Segel des Fockmastes zusammenzuziehen. Trotz 441 des wilden Wetters und der tobenden See, umringt von Gefahren, die in jedem Augenblick mit Vernichtung drohten, war er unerschrocken, denn er gehörte zu den Männern, die, je größer die Noth, um so energischer ihr Widerstand leisten, und um so entschlossener sich zu helfen suchen. Seinen Pelzrock hatte er längst abgeworfen, die Kälte fühlte er nicht, sein Blut strömte heiß durch alle Adern, und während er mit Heftigkeit und größter Kraft das Segel zurückriß, fielen ihm allerlei Gedanken ein, was zur Rettung geschehen könne. Noch brannte die Laterne zu Pers Füßen, in seinem Reisesacke lagen obenauf ein paar Pistolen, und vielleicht ließen sich diese gebrauchen, um durch ihr Abfeuern einen Menschen zur rechten Zeit aufmerksam zu machen, im Fall das Boot in der Nähe einer der zahllosen kleinen Inseln getrieben wurde, welche hinter ihnen lagen, und unmöglich weit sein konnten. Der Weststurm mußte die Schlup rasch darauf los treiben, wenn es nur gelang sie über Wasser zu halten, und wenn es glückte, nicht vorher zu erstarren. Per konnte an einem guten Strand irgend einen Platz finden, eine Bucht, um zu landen, und ein Zufluchtsort, eine Hütte würde dann auch sich entdecken lassen. Daneben aber fiel ihm ein, mehr als einmal von dem schrecklichen Schicksal solcher verschlagenen, umherirrenden Boote gehört zu haben, deren Mannschaft in Sturm und Kälte Tage lang umhergeworfen, unermeßliche Leiden erduldet, bis die Männer erfroren gefunden wurden, verhungert, verschmachtet, oder Einer noch am Leben, der sterbend von ihren Qualen erzählte. Die Angst zuckte durch seinen Kopf. Er konnte das Segel nicht bewältigen, es war steif wie ein Brett. Er blickte nach Per hin. Bei dem Glimmen der Laterne sah er ihn die Branntweinflasche an dem Mund, und in der Luft heulte der Sturm, schlug in die flackernden Segel wie mit Donnerkrachen, und schüttelte die Masten, daß sie wankten. Die See war wild durchwühlt und im Aufruhr. Der Gang der Wellen hatte sich durch die Sturmstöße geändert. Statt nördlich zu rollen, wurden sie jetzt gegen die finnischen Küsten, ostwärts, gejagt. Die zwiefachen Kräfte bewirkten einen Kampf der Wasser gegen die Wasser, welche sich anfielen, wie hungrige Raubthiere, mit ihren weißen Zähnen die ungeheuren Leiber zerfleischend. Unter dem Donner der See, unter dem Krachen, mit welchem Eisschollen und zermalmte 442 Eisblöcke an einander geschleudert wurden, unter dem Heulen, das von Dämonen herzukommen schien, die aus der Tiefe aufgestiegen, über den Häuptern der verlassenen Männer schwebten, ihnen den Tod anzukündigen, mitten unter Nacht und Schrecken taumelte die Schlup von Woge zu Woge, von Tiefe zu Tiefe, und immer wieder erhob sie sich ohne zermalmt zu werden.
Alle Anstrengungen Otho's, das Segel niederzureißen, blieben fruchtlos; plötzlich aber faßte ein ungeheurer Stoß das steifgefrorene Linnen, brach den Vormast mitten durch, warf ihn vorn über und schlug vom Hintermast die Raa herunter, indem er das Segel daran zu gleicher Zeit in Fetzen zerriß. – Im Augenblick, wo dies geschah, glaubte Otho, daß Alles vorüber sei. Bei dem Brechen und Fallen der Maste wurde er niedergerissen, als er sich aber lebendig fühlte, als er sah, daß die Schlup sich nochmals aufrichte, kehrte sein Muth zurück. Es lag ein Beil unter der Steuerbucht; er rief dem Schiffer zu, es herauszuholen, um die Taue zu durchhauen, an denen Mast und Segeltrümmer noch festhingen. Per aber blieb sitzen ohne sich zu rühren; Otho hörte ihn schreien und lachen.
Als er auf ihn zueilte, hielt ihm Peder die Branntweinflasche entgegen. Trink' und sei lustig! schrie er. Heut haben wir Julafton, Weihnachtsabend. Seht doch wie die Christbäume brennen! Seht da, wie die Lichter in Ecknäs angesteckt werden!
Bist du toll geworden, Mann! rief Otho entsetzt und schüttelte ihn.
Kleine Karina! Schätzchen! schrie Per, ich bringe dir eine Kette mit, eine Kette von Gold. Julafton, meine süße Dirne, Julafton! Steck deinen Baum an. Siehst du ihn, da da!
Ohne sich aufzuhalten eilte Otho zurück, denn Leben und Sterben hing daran, daß die Schlup von den Trümmern frei werde. Mit einem Dutzend kräftiger Schläge war Alles gethan; erleichtert und frei flog das kleine Schiff wieder über die Berge und Abgründe, aber vergebens schaute Otho in die Nacht aus, nichts konnte er entdecken.
Als Per nach den Christbäumen schrie, glaubte er selbst einen hellen Lichtschein zu erkennen, allein es war Täuschung, er war verschwunden. Zuweilen zünden die Bauern in dieser Nacht Feuer an. Doch wer wollte bei solchem Unwetter daran denken. Vielleicht war 443 es auch ein Haus, das auf einem hohen Punkte lag und seine hellen Fenster gezeigt hatte, dann mußte Land in der Nähe sein. Mit der Angst eines Schiffbrüchigen klammerte er sich an den zerbrochenen Mast fest. Das Nordlicht war vorüber, nur ein mattes Leuchten noch im Norden. Nichts umher als Nacht, Eis, Schrecken, die wüthige See, und hinter ihm das grauenvolle Lachen des berauschten halb tollen Schiffers.
Weihnachtsabend! murmelte er vor sich hin und seine Augen richteten sich zum Himmel auf. Der Sturm riß ihm die Kappe ab, führte sie weit in die Finsterniß hinaus, sein Haar flatterte wild über sein Gesicht. Er dachte an die Heimat, an seine Mutter, an Louisa, an sein Haus am Pajäne. Wie oft hatte ihm der Weihnachtsbaum dort gebrannt, wie duftig warm und schön war es dann. In den Armen der geliebten Mutter lag er, und sein Haar, das furchtbare Hände jetzt zerrissen, wurde von den weichen gütigen Mutterhänden gestreichelt. War es nicht am letzten Weihnachtsabend, den sie erlebte, wo sie Louisa's Arm um seinen Nacken legte und ihre beiden Kinder an ihre Brust zog. Nie sollst du deine Schwester verlassen, hatte sie gesagt; ihr Schützer sollst du sein, und jeder Weihnachtsabend soll euren Bund erneuen. Unter dem Christbaum sollt ihr meiner und meines Segens gedenken.
Das fiel ihm Alles ein, und feurige Funken rollten vor seinen Augen. Es war als spaltete sich die fürchterliche Nacht, und er sah Louisa traurig vor dem Christbaum stehen und die Hände nach ihm ausstrecken. Mutter, meine Mutter! murmelte er, ich denke dein! Erich wird Louisa schützen und sie – sie – er sprach den Namen nicht aus, ein anderer drängte sich auf seine Zunge – Serbinoff! Laß mich nicht so enden! schrie er in den Himmel hinauf. Ich will nicht sterben, ich muß noch leben!
Die Schlup stürzte, als er dies sagte, von einer Welle nieder und erhielt einen Schlag, der ihren ganzen Körper durchschütterte. Sie war auf eine Eisscholle gestoßen; Otho glitt von der Bank, fiel wieder und raffte sich auf. Das Knattern und Krachen rund umher erhöhte seine Bestürzung.
Wir sind auf Eis gerathen, Per! schrie er dem Schiffer zu, und von Neuem auf die Bank springend hielt er die Laterne so hoch, als 444 er konnte. Deutlich konnte er sehen, wie die Wogen große Eismassen mit sich wälzten, die mit schrecklicher Gewalt an einander rasselten. Das zerrissene Tau des Hauptsegels hing am Maste nieder und einer Eingebung folgend, band Otho die Laterne daran fest und zog sie in die Höhe. Einige Minuten lang beleuchtete sie von dort das grauenvolle Schauspiel. Überall schien das Eis in dichten großen Schollen und zusammengefrorenen Stücken das unglückliche Boot zu umringen, aber ehe noch eine andere Bemerkung zu machen war, warf der Sturm es heftig zur Seite. Die Laterne flog in Stücke, das Licht erlosch, Per Stahl schlug ein wildes wahnsinniges Gelächter auf.
Hoho! schrie er, ich hätte es Euch vorher sagen können. Da ist Licht genug, da, da?
Wo? fragte Otho.
Christbaumlicht, ich kenn's! schrie Per.
Land dort! fiel Otho ein.
Land? Eh, seht Ihr nicht? Rund um uns her, Land. Husch, seht Ihr den Schatten? Die schwarze Katze schreit, ihre Augen leuchten wie Feuer. Halt da! Da kommt sie!
Otho hatte aus dem Reisesack die Pistolen herausgerissen, lange Sattelpistolen der damaligen Zeit. Die beiden rothen Blitze zuckten durch die Finsterniß. – Sie schreit! die Katze! die Katze! brüllte Per aufspringend. Da sind wir, dicht bei ihr. Komm her! Komm her!
In dem Augenblicke wurde das Boot am Stern von einer langen spitzen Eismasse erreicht. Das Steuer zersplitterte, die Planken brachen. Ein Krachen folgte gleich darauf an den Bugen: Wir werden zerquetscht! schrie Otho verzweiflungsvoll.
Hier! hier! Julafton! Julafton! antwortete der Schiffer, der jubelnd seine Kappe schwang.
Ein gurgelnder Ton, ein dumpfer Schrei folgte, dann war Alles still. Der Sturm raste weiter. Die treibenden Eismassen donnerten und brachen; ein glüher Nordlichtblitz fuhr bis in den Zenit des Himmels, beleuchtete den Kampf der Wogen und Schollen, die Masten und Bretter, welche zwischen ihnen trieben, und verschwand.