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Die Januarsonne des neuen Jahres 1808 beleuchtete das Haus des alten Majors und funkelte über die blendenden und unermeßlichen Schneemassen, welche das kleine Thal von Lomnäs bedeckten. Die Tannen und Birken lagen halb darin begraben, von den Hütten am Seestrande sahen nicht viel mehr als die Dächer hervor, und an den Bergen umher hatten die Winterstürme Wände des nordischen Wüstensandes zusammengeweht. Der Invalide stand hinter dem Fenster, hauchte das Eis daran fort und schaute durch die Öffnung auf den weiten Pajäne hinaus, der ein wunderbar schönes Winterbild lieferte. Wer hätte es so malen und bilden wollen, wie der große Künstler, dem alle Kunst seine Geheimnisse abzulauschen und nachzuahmen sucht! Schatten und Licht, Farben und Fernsichten waren von solcher Herrlichkeit, daß selbst der greise Soldat eine andächtige Bewunderung davor fühlte. Die Wälder und Felsen glänzten im Sonnenlicht, und über die weite Silberschale des Sees deckte sich ein röthlicher Hauch, der Widerschein des Himmels, der abendwärts in Gluth aufloderte. Man konnte glauben, die leuchtende Kugel zerflösse darin, so weit nach allen Seiten schickte sie ein Meer von Licht aus, und wie in Regenbogenfarben, durchsichtig grün und roth, ränderte sich das Firmament darum, ehe es seine tiefe Bläue annahm. So standen denn viele Berge und die Bäume darauf als schwebten sie in dem sonnigen Duft, und unter ihnen lagen Spalten und Schluchten voll grauer Schatten. Die Thäler öffneten sich vor dem farbenvollen Schimmer, hohe Felsenspitzen aber leuchteten in wahrhaft himmlischer Klarheit, während die Tiefe unter ihnen sich in Nacht und Eis begrub.
Der alte Soldat stand lange und betrachtete das zauberische Blendwerk und dann schüttelte er den Kopf und sagte vor sich hin: 392 Wenn man es ansieht, ist es von sonderbarer Macht und Gewalt; es überkommt den Menschen dabei, daß er seine Hände falten und den preisen muß, der solche Dinge erschaffen konnte. Aber es ist doch schöner noch, wenn die Sonne nicht allein strahlt, sondern wenn sie auch wärmt; denn all der Glanz da und die Gluth und Pracht bedeuten doch nichts weiter als bitterliche Kälte. Die wird kommen, ich meine, wie sie selten uns heimsucht. Und wer sagt uns denn, fuhr er nachdenkend fort, ob es jemals wieder Frühling wird? Ob nicht einmal ein ewiger Winter bleibt, wo es für immer aus ist mit allem Leben und Lieben? Es wird ja so schon, wie die Gelehrten meinen, immer kälter in dem alten müden Erdkörper, und die Zeit wird kommen, wo kein Baum mehr grün wird in Finnland, keine Blume mehr blüht, kein Feld mehr Frucht trägt. Eis und Schnee werden die einzigen Früchte sein, daran kein menschlich Herz mehr warm werden mag.
Er legte seine Hand auf die Herzensstelle und lachte sinnend vor sich hin. Alter Kamerad! murmelte er, bist auch müde, und doch noch immer hoffnungsvoll. Mußt fort und fort an den Frühling denken und wirst warm dabei. Was willst du denn noch vom Leben? Ei, warum denn nicht! schrie er, mit dem Krückstock aufstampfend, habe ich denn nicht mein Stück Hoffnung, um daran zu zehren, und legt sich nicht jeder Mensch damit in sein Grab, hoffend, daß der ewige Gottesfrühling ihn wieder aufwecken werde? – O! du mein kleines liebes Thal, ich möchte dich noch nicht missen. Wie der alte Baum dort über dem Wassersturz hängt, sich mit zähen Wurzeln an dem Gestein festklammert, nicht in die Tiefe hinab will, sondern darauf wartet, daß Eis und Schnee schmelzen und der Bach ihm wieder Leben bringt, so warte ich auch aufs frische Grün und sitze hier und sinne und träume von junger Zeit. Warum soll sie denn nicht endlich kommen? Warum soll ich mein Glück nicht noch mit meinen alten Händen fassen? Mein Magnus, meine Louisa! Wenn die Kinder einmal hier wohnen werden beim alten Vater Munk. Großvater Munk! Du dort oben, der die goldenen Wolken schafft, nichts von allen deinen Schätzen verlange ich von dir, nichts von aller deiner Herrlichkeit, das allein gib mir noch, das allein, und dann mache mit mir, wie es dir gefällt.
393 Er nahm seine Mütze ab und über sein weißes langes Haar fiel der rothe Glanz des Himmels in sein Gesicht. Das kleine arme Zimmer war davon erfüllt, und der alte Soldat legte seine Hände in's Kreuz auf seinen Stock und blickte in das helle Licht. O, ja, sagte er, du hast es vielmals gut mit mir gemeint, hast mir beigestanden in mancher Noth; so will ich deinen Sonnenschein als ein gutes Zeichen nehmen. Steh meinem Magnus bei, wie du mir beigestanden, und mein Kind, mein Töchterchen Louisa – Ich wollte, ich hätte eine Nachricht von ihr; ich wollte, o, du Gott! der du Alles kannst, du brächtest sie dem alten Vater Munk auf einem deiner Sonnenstrahlen und legtest sie in seine Arme.
Als er dies sagte, hörte er eine Schlittenglocke in der Nähe. Es war ihm zu Muthe, als müßte Louisa kommen, als habe er ihre Stimme gehört, und der mächtige Herr, den er angerufen, wolle ihm gleich beweisen, wie gnädig er seine Bitte angehört. Aber es war nicht so. Ein Schlitten kam den Pajäne herauf, darin saß ein Mann in seinen Pelz dicht eingehüllt. Nach einigen Augenblicken verschwand der mißmuthige Ernst der Täuschung aus dem Gesichte des Majors; er schrie hell auf, humpelte nach der Thür, schrie nochmal nach seinem Gesinde und, weil's ihm zu langsam ging, schob er selbst Riegel und Querbaum fort, denn die Schlittenglocke läutete ganz nahe.
Erich Randal! rief er, noch ehe er damit fertig war, ich bin schon hier, habe dich schon erkannt. Freude in mein Haus, Erich! ich habe auf dich gewartet manchen schönen Tag, bin aber immer vergebens von meinem Ausguck in den Ofenwinkel gewandert.
Er umarmte den Freiherrn, der ihm grüßende und dankende Worte sagte, zog ihn in die Stube, wo der mächtige Steinofen eine angenehme Wärme verbreitete, schrie nach Erfrischungen und Getränken, schob Stühle an den Tisch, drückte den Freiherrn in den breitesten und weichsten und sah so freudig aufgeregt aus, als wisse er nicht, was er zum besten anfangen solle, um seinem Herzen Luft zu machen.
Erzähle, erzähle! schrie er endlich. Wie ging's? Wie war's? Wann seid Ihr zurückgekommen? Wo ist mein Pathchen, mein Töchterchen, meine kleine Louisa? Wo sind sie Alle?
394 Wir sind gestern zurückgekommen, antwortete Erich.
Stern und Brand! fiel der Major ein. Ihr seid hier vorüber gefahren und habt den alten Invaliden nicht herausgeklopft?
Wir haben den Küstenweg genommen, sagte Erich, und sind über Tavastehuus nach Halljala zurückgekehrt.
Was? was? fragte Munk verwundert. Das ist ein langer Weg.
Wir waren in Helsingfors, fuhr Erich fort.
Habt meinen Magnus besucht? rief der Major. Wie geht es dem Jungen? Wie sitzt ihm der Ehrenrock des Königs? Wie sieht er aus?
Es geht ihm leidlich wohl, sagte Erich. Er war in Liliendal, kehrte mit seinem Obersten aber bald in den Dienst zurück.
Ein Soldat muß den Waffendienst allen anderen Diensten vorziehen, lachte der alte Mann. Bravo, Magnus, bravo! Selbst das Nixchen konnte ihn nicht festhalten? Warum hast du mir das Kind nicht mitgebracht, Erich Randal?
Louisa ist überhaupt nicht mit uns zurückgekehrt, antwortete der Freiherr zögernd.
Munk sah ihn verwundert an.
Sie ist in Liliendal zurückgeblieben, fügte Erich hinzu, oder besser gesagt, bei unserer Cousine, bei Frau von Gurschin, die sich jetzt wahrscheinlich in Wiborg befindet.
Schock Tonnen Teufel! fuhr der Major grimmig auf. Was thut sie in Wiborg? Wo ist Otho?
Ich weiß es nicht, erwiederte Erich.
Du weißt es nicht?
Nein, Otho verließ uns ganz unerwartet. Am Morgen nach einem Feste und Balle war er verschwunden. Sein Brief, den er für mich zurückgelassen, enthielt wenige Zeilen, wonach er eine nothwendige Reise angetreten; wann er davon zurückkehren werde, lasse sich nicht bestimmen. Louisa solle uns nach Halljala folgen, er selbst hoffe uns dort anzutreffen.
Der Major schwieg eine Zeitlang. Er sah finster vor sich hin und beugte sich auf seine Hände. Und warum hast du das Kind nicht mitgebracht? fragte er endlich, ohne aufzublicken.
395 Weil es nicht mit uns gehen wollte, erwiederte Erich, und weil einige besondere Umstände eintraten, die es mir unmöglich machten, darauf zu dringen.
Der Major richtete sich heftig auf, seine Augen funkelten den Freiherrn an. Ich hätt's nimmermehr gethan, brummte er ingrimmig. Habe immer gehört, daß diese Gurschin ein leichtfertig Weibsbild sein soll; hätte dir darum mehr Einsicht zugetraut, Erich Randal, mehr Festigkeit.
Otho's plötzliches Verschwinden, antwortete Erich, fand an demselben Morgen statt, wo Admiral Cronstedt mit seinem Gefolge und vielen anderen Gästen Liliendal verließ. Anfangs glaubten wir, es sei ein Scherz, Otho habe einen der Herren, die er kennen gelernt, begleitet und werde bald zurückkehren. Dies meinte auch Graf Serbinoff.
Der Russe war also auch noch da! rief Munk.
Es waren mehrere russische Offiziere unter den Gästen. Als aber die Weihnachtstage vorübergingen und noch immer nichts von Otho gehört wurde, reisten wir Alle nach Helsingfors, in der Hoffnung, ihn vielleicht dort zu finden. Ich muß gestehen, daß während dieser Zeit mir jedoch ein Verdacht aufstieg, den ich jetzt nicht mehr hege, welcher aber damals –
Daß der Russe und die Gurschin wußten, wo Otho geblieben sei? fiel der Invalide ein.
Das dachte ich, sagte Erich. Serbinoff blieb in Liliendal, als General Suchtelen mit seinen Offizieren abreiste, und wie er dem Freiherrn Wright und dem Obersten als Gesellschafter willkommen war, war er auch Constanzens Vertrauter.
Das schlechte Weib! rief der Major, muß immer wenigstens eine Liebschaft haben, wenn es nicht ein Dutzend sein können. Aber wo soll Otho hingegangen sein mit ihrer Erlaubniß?
Nach Wiborg zum General Buxthövden.
Und was soll er dort?
In russische Dienste treten.
Ein Russe werden! schrie der alte Soldat auf. Otho? ein Russe werden! Es ist eine Lüge, sage ich.
396 So viel ist wenigstens wahr, antwortete Erich, als der Major sich beruhigt hatte, daß Otho seit längerer Zeit sich mit Gedanken trug, die, wie ich glaube, Graf Serbinoff eifrig förderte. Ich weiß nicht, wie weit er damit gekommen ist und welche Absichten damit zusammenhingen; es scheint jedoch, daß noch während unseres Besuchs in Liliendal von verschiedenen Seiten daran gearbeitet wurde, ihn zu bewegen, nach Rußland zu gehen.
Die Pest über die Schurken! schrie Munk, und im bangen Tone fügte er hinzu: Ist er denn gegangen, Erich? Hat er denn wirklich seine ehrliche finnische Haut dem moskowitischen Satan verkauft?
Ich suchte von Helsingfors aus Erkundigungen einzuziehen, fuhr Erich fort; allein ich konnte nichts erfahren. Mancherlei Festlichkeiten wurden dort veranstaltet. Constanze Gurschin glaubte, wie es mir vorkam, daß Otho in Wiborg sei, und ich zweifle nicht daran, daß sie auch Louisa bei diesem Glauben erhielt. Gewißheit war nicht zu erlangen, doch nach einiger Zeit versicherte mir Halset, es sei nicht wahr, es wisse Niemand, wohin Otho gekommen.
Der Spitzbube war also auch bei der Hand, brummte der Invalide. Du hättest nicht nach Helsingfors gehen sollen.
Ich hatte noch einen anderen Grund als den, nach Otho zu forschen, sagte Erich. Ich wollte Louisa aus der Nähe des Grafen Serbinoff bringen; allein ich hatte mich getäuscht. Serbinoff ist ebenfalls in Helsingfors gewesen.
Das hat er gewagt? schrie der Major. Warum? Oh! hinter dem Weibe her, oder – sag's heraus, Erich, ich lese das Unglück in deinen Augen.
Ich darf dir nichts verschweigen, mein väterlicher Freund, antwortete der Freiherr betrübt ihn anblickend. Höre mit Fassung an, was ich dir mitzutheilen habe. Nachdem eine Woche vergangen war, hielt ich es für das Beste, nach Halljala zurückzukehren, und ich machte Louisa mit meinem Beschlusse bekannt, gebot ihr, mich und Ebba zu begleiten, und setzte den Tag unserer Abreise fest. Während dessen war es zu einer Erklärung zwischen dem Kammerherrn und Halset gekommen, in Folge derselben Arwed ihn und Mary nach Abo begleiten wollte. Seine Schwester ließ er in meinem Schutz, und ich hatte 397 mir das Recht dazu erworben, denn Ebba hatte mir versprochen mir anzugehören.
Der Invalide nickte ihm zu und drückte seine Hand. Hab's gedacht, daß es so kommen müsse, sagte er. Alles Glück des Lebens über deinen Bund! Aber was geschah, Erich, warum blieb Louisa trotz deiner Gebote zurück?
Sie entfloh mit ihm oder mit ihr, ich weiß nicht, wie es am Richtigsten ist, sagte Erich leise.
Entfloh mit ihm – mit dem Russen! schrie der Major, und die Hände in sein graues Haar drückend, stieß ein langes klägliches Oh! aus.
Man brachte mir am Morgen ein Billet unserer Cousine Gurschin, worin sie in der leichtfertigen Weise, die ihr eigen ist, mir mittheilte, daß ihre Angelegenheiten sie nach Wiborg führten, und daß Louisa sich entschlossen habe, sie dahin zu begleiten, weil sie nicht ohne ihr liebliches Geplauder leben könne. Louisa selbst hatte hinzugefügt, sie hoffe ihren Bruder dort zu finden. Ich glaube wohl, daß man ihr dies gewiß gemacht hatte.
Und Niemand machte sich auf sie zurückzuholen? Sie aus den Händen dieses Weibes, dieses Russen zu befreien? O, warum war ich nicht da! Warum bin ich nicht jung! Wo war Magnus? Was hat Magnus gethan?
Magnus hat Louisa wenig mehr gesehen, sagte Erich. Er hielt sich fern von ihr, und hatte Recht es zu thun, denn er mußte deutlich genug bemerken, daß er ein unwillkommener Gast war.
Armer Knabe! murmelte der alte Mann. Er hat ein stolzes Herz, das wird ihn trösten, aber, oh! wie ist es möglich, welche Künste haben den Sinn des Mädchens verdorben, der so schuldlos war wie Himmelslicht. Gibt es Zauberei, Erich Randal? Gibt es Hexen und Kobolde, denen auch der Beste nicht widerstehen kann?
Wecke die Leidenschaften, antwortete Erich traurig vor sich hinblickend, und du weckst die feindlichen Mächte, welche Gewalt über uns haben. Ein alter Philosoph hat gesagt, daß in den Herzen der Frauen, wenn sie lieben, die erhabensten Tugenden aufblühen, doch neben diesen auch jede Schlechtigkeit und jede Sünde. – Wir wollen nicht zu hart 398 urtheilen, mein Vater, denn wer möchte den Stab über die brechen, für die so viele Stimmen in uns reden. Vielleicht ist es auch so; vielleicht hat sie Otho gefunden, oder wer weiß, was zwischen ihm und Serbinoff verabredet wurde. Ein inniges Zusammenleben hat lange schon zwischen ihnen bestanden, Louisa hatte Theil daran. Man konnte nicht zweifelhaft sein, daß Serbinoff mit wachsender Freundschaft ihnen zugethan war, und wissen wir denn, wie weit diese reichte? welche Verständigungen statt fanden?
Tröste mich nicht damit, Erich Randal, tröste auch dich nicht damit, antwortete der greise Mann. Zwischen gut und schlecht kann niemals ein Bündniß in Ehren geschlossen werden. Verlockt hat er sie, der freche Russe, und ihr habt es geschehen lassen, ihr habt geschwiegen. Mit einemmale wird ein Mensch nicht schlecht; es geht langsam, Schritt für Schritt, ehe er heucheln und lügen lernt. O! damals, als sie ohne Zaudern Magnus zum Lügner machte, damals schon war es zu spät. – Schande! Schande! Ich will den Namen nicht mehr hören, will ihn nicht mehr aussprechen. Gott wollte, ich verlernte das Denken daran. Sage rasch, Erich, was du noch zu sagen hast, die Zeit zum Ändern und Bessern ist vorbei.
Ein schwerer Kummer beugte den Nacken des Majors. Er saß mit den Händen auf seinen Stock gestützt und den Kopf darauf gelegt, und hörte zu, was sein junger Freund berichtete. Nur zuweilen fuhr er auf, sah grimmig umher, und besänftigte sich wieder, indem er leise vor sich hin murmelte: Wie war es denn möglich? O, es ist aus mit meinem Hoffen und Wünschen! Du! Herr Gott dort oben, was bringst du mir Unheil statt Segen.
Erich erzählte, daß er nach dem Empfange des Billets sofort sich überzeugt habe, daß er ohne Mittel sei Louisa zurückzubringen, denn diese war weit fort, als er ihre Abreise erfuhr. Baron Bungen sowohl wie Halset schienen darum gewußt zu haben, sie vertheidigten und entschuldigten das Geschehene mit allen möglichen Gründen, daß Serbinoff aber dabei gewesen sei, und die beiden Frauen begleitete, ging eben so wohl aus den Erkundigungen hervor, welche Erich eingezogen, wie aus dem Auftritte, den Magnus Munk am Abend der Flucht erlebte. Von Unruhe und Eifersucht ohne Zweifel angetrieben 399 stand Magnus an jenem Abend vor dem Hause, in welchem Frau von Gurschin mit Louisa wohnte, als zwei Männer sich näherten, welche dort hinein wollten. Plötzlich wurden sie von einer Laterne beleuchtet, welche Magnus unter seinem Mantel hervorzog, und er erkannte in dem einen den Fähnrich Ridderstern, in dem anderen Serbinoff.
Am Tage zuvor hatte Admiral Cronstedt den Befehl erlassen, daß kein Fremder sich ohne Anmeldung und Erlaubniß der obersten Militärbehörde in Helsingfors aufhalten solle. Es waren Nachrichten von der Grenze eingetroffen, daß unter den russischen Truppen viel Bewegung sei, und eine Menge Kosaken und Dragoner mit Artillerie und Jägern dicht an dem Kymene ständen. General Klerker hatte mit anderen Offizieren die Stellungen der Russen beobachtet, und dann in Eile Boten an alle Regimenter geschickt sich zu vereinigen, und was zurück war an sich zu ziehen. Zum erstenmale tauchte eine ernsthafte Besorgniß auf, die Russen möchten wirklich einen Einfall in Finnland beabsichtigen. Vom Lande her flüchteten viele Leute in die Stadt, um hier ihr Habe und Gut besser zu sichern; andere wohlhabende Familien machten sich auf den Weg nach Abo, weil sie besorgten, Sweaborg könnte belagert werden, und wenn die Russen sich dann des wenig befestigten Helsingfors bemächtigten, welches unter den Kanonen der Festung liegt, könnten die Schweden selbst wohl die Stadt in Feuer aufgehen lassen. Vielerlei Gerüchte über russische Spionen und Verräthereien waren verbreitet, als daher Magnus Munk seine Laterne aufhob und den russischen Kapitän vor sich sah, rief er ihm zu: Wie kommen Sie in diese Stadt? Halt, Herr! Sie müssen mich begleiten.
Er hatte aber noch nicht das letzte Wort gesprochen, als seine Laterne in Stücke geschlagen und ausgelöscht wurde. Er selbst erhielt einen Stoß, daß er rückwärts über in den Schnee stürzte, und als er aufsprang, erwischte er eben noch den einen der Beiden beim Rockzipfel unter der Thür des Hauses. Es war jedoch nicht Serbinoff, sondern Ridderstern, der jetzt gepackt und geschüttelt wurde, während dieses Ringens aber erschien eine andere, dritte Person auf dem Kampfplatze, der Oberst Jägerhorn, welcher ebenfalls Frau von Gurschin besuchen wollte. Der Oberst befreite sogleich seinen Verwandten, den Fähnrich Ridderstern, welcher obwohl viel größer als Magnus dennoch von 400 diesem besiegt worden war und einige derbe Faustschläge davon getragen hatte. Auf sein Befragen erzählte Magnus, daß er so eben den Grafen Serbinoff gesehen und erkannt habe, allein Ridderstern bestritt es und behauptete, daß er den Baron Bungen hierher begleitete, der von diesem verrückten Burschen angefallen worden sei.
Oberst Jägerhorn lachte. Du bist in Wahrheit ein toller Christ, sagte er, dem der Graf Serbinoff beständig im Gehirn umherspuckt. Geh nach Haus und schlafe aus, morgen wollen wir weiter sprechen.
Ich schwöre es Ihnen zu, mein Oberst, antwortete Magnus, es war der Graf, den ich festhielt. Was hat ein russischer Offizier in dieser Festung zu thun?
Das weiß ich allerdings eben so wenig wie du, antwortete Jägerhorn, allein ich befehle dir jetzt nicht nach Haus, sondern auf die Hauptwache zu gehen, und dort bis morgen früh zu bleiben. Dann wollen wir deine Aussage näher untersuchen.
Der Major hatte seine Stirn düster gefaltet. Kehrt! marsch! brummte er. Der Junge mußte gehorchen. Was geschah weiter?
Am nächsten Morgen war Constanze Gurschin abgereist und Serbinoff mit ihr. Oberst Jägerhorn ließ Magnus kommen, nachdem dieser noch einen Tag auf der Wache zugebracht, und ertheilte ihm einen derben Verweis wegen seines unziemlichen Betragens gegen den Fähnrich Ridderstern. Baron Bungen hatte ihn versichert, daß er bei dem Fähnrich gewesen sei, als Magnus plötzlich auf Beide anlief.
Von Serbinoff war keine Spur zu entdecken, der Oberst drohte daher dem Kadetten mit strenger Strafe, wenn er je wieder sich solchen Tollheiten überlasse.
Armer Magnus! seufzte der Invalide. Aber der Oberst hatte Recht, wie? Kammerherr Bungen ähnelt dem Russen zwar so wenig, wie ein Ziegenbock einem Fuchs, dennoch aber – Jägerhorn muß Recht haben.
Er urtheilte nach den Zeugnissen, die ihm abgelegt wurden, dennoch halte ich dafür, daß Magnus sich nicht täuschte. Wie dem aber auch sein mag, lieber alter Freund, es bleibt uns nichts mehr übrig, als die Thatsachen zu nehmen wie sie sind.
401 Es bleibt uns nichts mehr übrig als ein tüchtiger Fluch auf alle Schelme, und der richtige Glaube an den alten Gott, der ehrlichen Leuten beisteht! rief Munk. Mag er sich erbarmen über die, die uns vergessen hat. O, du armer, alter Thor! der es noch immer nicht glauben kann, der immer noch denkt, es sei doch Alles erfunden und erträumt. – Er rieb sich seine furchige Stirn, und fuhr dann kräftiger fort: Was soll nun werden? Was willst du thun, Erich Randal? Wer sieht nach dem Gute am Pajäne? Wer forscht, was aus Otho geworden ist?
Bevor das Frühjahr kommt, ist für Otho's Eigenthum wenig zu sorgen, erwiederte Erich. Was geschehen konnte, ist heut schon von mir gethan. Ich habe seinen Hausleuten gesagt, daß er noch einige Zeit ausbleiben werde, eben so Louisa. Was aber ihn selbst betrifft, so glaube ich fast eine Spur gefunden zu haben, wenn ich auch nicht sagen kann wohin diese führt. In Sijundo, jenseit Helsingfors, beschrieb uns der Posthalter einen Reisenden, der eben zu der Zeit, wo Otho verschwand, bei ihm eintraf, und den Weg nach Ecknäs in Begleitung einiger Soldaten einschlug. Alle seine Angaben trafen so genau zu, daß wir voller Hoffnung diese Spur verfolgten, allein wir konnten nichts weiter erfahren. Soldaten waren seit jener Zeit häufig durchgezogen, mancherlei Reisende beschrieb man uns, Keiner war darunter, der er sein konnte.
Was hätte er auch dort zu suchen? fragte der Invalide vor sich hin.
Halset mit seiner Tochter und Arwed begleiteten uns, fuhr Erich fort. Sie haben es übernommen, überall nachzuforschen, und wollen uns Nachricht geben, sobald sie etwas erfahren.
Jeder Mensch kehrt zum Staube zurück, aus dem er genommen, sagte der greise Mann, und der stärkste Mensch ist doch nur ein Gebild aus vergänglichem Stoff. Ich habe Manchen gekannt, der seinen Kopf so stolz trug wie ein urewiges Wesen, plötzlich war alle Herrlichkeit am Ende.
Das wollen wir nicht von Otho denken, erwiederte Erich. Ich halte die Hoffnung fest, daß wir ihn wiedersehen, dann werden wir erfahren, was ihn fortgetrieben. Nein, daß er heimlich uns verließ, 402 muß einen besondern Grund haben, und kein anderer bleibt übrig, als einer, der mit den Ereignissen, die sich vorbereiten, in Verbindung steht.
Meinst es also doch, daß er in's russische Lager gegangen ist? fragte Munk.
Otho ist ein Finne und sein Kopf ist heiß. Sein Vater war bereit Gut und Blut für Finnlands Freiheit herzugeben, er ist es nicht minder. Wie er denkt, denken Manche, und wenn er seine Stimme erhebt, wird sie weithin gehört werden.
Wäre das möglich? fragte der alte Soldat, indem er sich aufrichtete.
Nicht zum ersten Male haben die Russen alle Mittel angewandt, den Finnen glauben zu machen, daß sie unter ihrem Schutze einen eigenen Staat bilden könnten. Du weißt selbst, mein lieber Freund, was bei Angela geschah, du weißt auch, wie Otho's und mein eigener Vater daran Theil nahmen; wie Otho's Mutter, meine Tante, dafür wirkte, wie viele edle Familien damals in dem geheimen Bunde verwickelt wurden.
Ob ich es weiß! rief der Major mit düsterer Stirn. Es war ein fluchwerthes Beginnen und dennoch – wer trägt die Schuld daran? Der das Unrecht durch anderes Unrecht auslöschte, der Eide und Schwüre für nichts achtete, der statt des Volkes Rechte zu schirmen, sein Recht über Alles setzte. Aus solcher Saat kann keine gute Frucht wachsen, fuhr er fort, Sünde erzeugt Sünde, Gewalt endet in Gewalt. – Aber was willst du daran beweisen, Erich Randal? Wer hat dir gesagt, daß Otho ein Verräther an seinem Vaterlande sein will?
Was ich andeutete, beschränkt sich nur auf Vermuthungen, antwortete Erich, mehr weiß ich nicht zu sagen. Ich vermuthe, daß Serbinoff ihn drängte und ich zweifle nicht, daß er alle möglichen Mittel dazu anwandte.
Meinst du denn, fragte der Invalide, daß die Moskowiter wirklich Ernst machen?
Von Vielen wird es geleugnet, von Wenigen auch jetzt noch geglaubt, erwiederte der Freiherr, ohne Zweifel aber haben sie eine große Macht beisammen, und wenn es ihre Absicht ist, den König durch Gewalt zum Nachgeben zu zwingen, so wird das kleine Heer, das General Klerker zusammenzieht, nicht im Stande sein, sie aufzuhalten.
403 Oho! schrie Munk stolz umherblickend, oftmals schon waren wir gering an Zahl und haben gesiegt. Der Landsturm heraus, jeder Mann an seinen Platz. Für's Vaterland muß jeder sein Leben lassen. Ruf deine Bauern zusammen, Erich Randal, wir wollen ihnen das Kriegshandwerk beibringen. Mancher alte Offizier wohnt im Lande, dem es gehn wird wie mir, wie dem alten Schlachtrosse, wenn es die Trompete hört.
Wir haben keine Erlaubniß dazu, sagte Erich, selbst wenn wir es wollten.
Schock Tonnen! schrie der greise Soldat, muß man denn bei allem was man thut um Erlaubniß fragen?
Man hat uns daran gewöhnt und erst neulich haben die Voigte strenge Befehle der Regierung erhalten, darauf zu achten, daß keine Aufregung entstehe, das Volk in Zucht und Gehorsam gehalten werde.
Die Pest über den Unsinn! fiel der Major ein.
Es ist dem Könige ein Vortrag gehalten worden, fuhr Erich fort, ob es nicht Zeit sei, zehntausend Mann nach Finnland zu schicken und mit den Waffen, die in Tavastehuus und Abo liegen, Freicompagnien zu bilden. Es hat dem Könige jedoch nicht beliebt, dies zu gestatten, nur einen Kriegsplan hat er ausgearbeitet, nach welchem, wenn die Russen angreifen, das Heer zurückgehen soll, bis in den hohen Norden, bis nach Osterbotten und nach Torneo.
Der Invalide hörte ingrimmig zu. Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch vor Ungeduld und Unruhe und fing halblaut einen Gesang an, ein Volkslied aus alter Zeit und wohlbekannt:
Der junge Held, Karl der Zwölfte,
In Rauch und Staub er stand,
Er zog sein Schwert vom Gürtel,
Seinen Hut er feste band.
Es beißt der schwed'sche Degen,
Kommt her und prüft ihn genau.
Gebt Platz, ihr Moskowiter,
Frischen Muth, ihr Bursche blau!
So singt das Volk noch heut von seinem Helden Karl, rief er dann. Der kannte nicht das Rückwärtsgehen, wenn der Moskowiter vor ihm 404 war. Der Teufel hole den Kriegsplan! Wir wollen es nicht leiden, Erich Randal, daß Finnland den Russen in die Hände fällt. Will der König es nicht vertheidigen, wollen wir es thun, so gut wir können.
Sollte es dahin kommen, versetzte Erich, so würde unser Widerstand ein sehr unfruchtbarer und verderblicher sein.
Willst du dich unterwerfen? fragte Munk.
So weit ich dies muß, ja.
Ein Russe werden? schrie der Invalide auf. Willst du etwa, wenn dein Freund Otho mit einer Bande russischer Schelme zurückkommt, gemeinschaftliche Sache mit ihm machen? Finnische Republik ausrufen, bis euch der Mund gestopft wird, ob mit Blei oder mit Silber?
Major Munk, sagte Erich, seine klare Augen auf den erzürnten Greis heftend, überlege noch einmal deine Worte.
Der Alte streckte die Hände nach ihm aus. Trag's nicht nach! rief er versöhnlich, ich habe es nicht so gemeint. Es ist möglich, daß du Recht hast, es ist sogar wahrscheinlich, aber wer kann es mit solcher Ruhe bedenken? Du bist ein kalter Mann, Erich, ein immer wohlüberlegter Mann, trotz deiner jungen Jahre. Ich, der ich Schnee auf meinem Kopf trage, habe mehr Feuer in meinem Herzen. Was willst du beginnen, wenn die Moskowiter einbrechen?
So viel als möglich diejenigen schützen, welche Ansprüche zu machen haben, daß ich sorge und helfe, wie ich es vermag, sagte Erich. Trifft uns Unheil, so müssen wir suchen es abzuwenden oder zu erleichtern. In den Schrecknissen und Leiden eines Krieges, der unser armes Volk überfällt, müssen wir retten was zu retten ist.
Dann wäre es am Besten den Russen zu dienen, und als Lohn zu bitten, daß keinem Menschen in Halljala ein Leid geschieht? fiel der Invalide mit neuer Bitterkeit ein.
Das sind wiederum Worte, die du nochmals bedenken mußt, Vater Munk, sagte der Freiherr sanftmüthig lächelnd.
O, zum Teufel! stampfte der Major, ich kann deinen Weg nicht gehen, Erich. Kein Moskowiter soll mich um Gnade bitten hören. Keiner soll je sagen, ich habe mich vor ihm gedemüthigt.
405 Ist denn die Demuth eine Sünde, wenn sie uns vor Gewalt schützt, sagte Erich, oder ist Unterwerfung Feigheit, wenn wir dadurch uns und vielen Leidenden zu helfen vermögen? Fällt der Feind in's Land, so mußt du mir versprechen, Major, daß du zu uns nach Halljala ziehen willst. Überhaupt solltest du schon jetzt dein einsames Haus aufgeben und uns Gesellschaft leisten. Von allen, die mit mir gingen, ist Keiner zurückgekehrt, als Ebba. Lebe mit uns, lieber Vater Munk. Laß uns am Herde in meiner Halle gemeinsam hoffen, Trost und Frieden finden.
Der greise Soldat war jedoch nicht zu bewegen, Erich's Vorschlag anzunehmen. Er drückte ihm seinen Dank aus, versprach oft herüber zu kommen und nachzuschauen, aber wohnen wollte er nicht da, wo ein so kluger, kaltherziger Mann ihn alle Tage von Neuem ärgern würde.
Dann wird Ebba mit ihrer patriotischen Gluth dich aufrichten und versöhnen, sagte Erich.
Der Major blieb bei seinem Willen. Gott segne sie! sagte er, aber es ist doch auch eine von den Neumodischen, Feuer und Flamme für Schweden, aber blind vor Haß gegen den König und es könnte sein – er schüttelte heftig den Kopf und schlug auf den Tisch. Es hilft doch Alles nichts! schrie er auf, König ist er einmal, unser aller gnädiger Herr, und steht an der Spitze. Wer die Spitze haßt und verachtet, kann's nicht ganz redlich mit dem Ganzen meinen, und Gott besser's! Erich Randal, aber was er befiehlt muß in Ehren gehalten werden; gefällt's uns auch noch so schlecht, in solcher Noth darf ihn Keiner sitzen lassen. Stoß an, Freiherr! stoß an! daß Gott ihn erleuchten möge, daß er tapfere Herzen finde und selbst ein Herz in sich habe, wie Karl der Zwölfte, wie es von dem in dem Liede heißt:
Einen gegen Zehn er stellte.
Der zorn'ge Wasasohn,
Es floh, den er nicht fällte,
Gab Jedem seinen Lohn.
Drei Kön'ge wollten ihn zwingen.
Mit Waffen und mit Witz,
Er warf sie alle nieder
Sein Schwert war Gottes Blitz.
406 Und so muß es wiederkommen! rief er innehaltend. Karl des Zwölften Geist wird in ihn fahren und wer dann nicht bei ihm steht und hilft, so lange ein Arm aushält, der verdient, daß er ein Russe werde und die Knute über ihn komme! – Laß mich hier in meinem alten Hause, mein Sohn, laß mich hier mit meinem Kummer und meiner Einsamkeit. Wir müssen ertragen, was über uns verhängt wird, und Gott hilf! daß es nicht allzu schwer werden mag. Verzweifeln wollen wir nicht, denn die alte Liebe und Treue soll uns bleiben, und nun setze dich her, Freiherr Randal, und nimm dein Glas und stoß darauf an, daß es Frühling werden möge und die lieben Vögel wiederkehren, die uns verlassen haben.
Als es dunkel zu werden begann schied Erich von dem alten Freunde und bald lag Halljala vor ihm. Die hohen hellen Fenster der Halle leuchteten ihm entgegen, freudig lächelnd betrachtete er sie, und das hohe alterthümliche Haus, um dessen Zinnen noch ein matter Abendschimmer schwebte. Er empfängt mich, um mir zu sagen, daß es noch nicht Nacht geworden ist in meiner Väter Erbe, murmelte er. Wenn es möglich ist, soll es niemals Nacht darin werden. Wir wollen den Morgen heraufbeschwören und uns des Tages freuen.
Ein heller Hahnenschrei antwortete darauf, und dicht bei ihm an dem Gemäuer ließ sich die Stimme des Schulmeisters hören. Hast es gehört, Freiherr Erich, was der Hans dazu sagt? lachte Lars. Er schreit dir seinen Morgengruß zu; es ist aber eigentlich ein Abendsegen, man kann's nehmen wie man's will. Es wird immer wieder Morgen, Erich Randal, mag die Nacht noch so finster sein; wer aber Augen danach hat, der sieht wie Katzen und Hähne am besten in der Finsterniß.
Wo kommst du her, Lars? fragte Erich.
Komme alleweil von Louisa herüber, antwortete der Schulmeister. Die Sonne flimmerte in alle Fenster, schien aber dennoch Nacht zu sein.
Der Freiherr schwieg, Lars ging neben dem Schlitten her. Was sagst du dazu? fragte Erich endlich.
Was sagt der Hans dazu? erwiederte Lars, indem er seinen Schaafpelz lüftete, unter welchem sein wunderlicher Begleiter im Sacke saß. Es war immer deine Freundin, Hans, hast das lustige Nixchen immer 407 lieb gehabt. Wird's wiederkehren, wo jetzt der Wind durch stille Kammern fährt? Wirst du jemals wieder sitzen und hören, wenn die Kandele unter ihren Fingern klingt, als käm's aus Wainemonen's goldnem Garten?
Der Hahn stieß einen leisen klagenden Ton aus.
Nicht? nicht? fuhr Lars fort. Glaub's dir, Hans, glaub' es. Menschenglück ist wie eine Schale von Glas, kommt ein Sprung hinein, gibt's nimmermehr den alten Klang. Wenn der Falk eine Taube holt, bleibt keine Feder im Nest zurück. Es wird eine kalte Nacht werden, Freiherr Erich; sorge, daß dein Feuer nicht ausgeht.
Hast du nichts von Otho gehört? fragte Erich.
Nichts, Hans, nichts, sagte der Schulmeister. Wir waren beide weit durch Savolax hinauf bis Idensalmi, haben nichts von ihm vernommen, nichts im ganzen Tavastelande. Fragten uns dort viele Leute nach Neuigkeiten, und was Otho Waimon dazu meinte? Ob's wahr sei, daß die Russen kämen. Putzten auch an ihren Gewehren herum, sprachen davon, Otho habe ihnen in's Ohr gesagt, es könnte bald kommen, daß sie die Büchsen brauchen würden. An der Grenze von Nyschlott und von Willmanstrand herauf, brachten reisende Krämer Nachrichten von den Moskowitern. Mit Reitern und Kanonen stehen sie da umher, sind ihrer viele Tausende.
Was wollen sie dort oben im Lande? fiel Erich nachdenklich ein. So sind es zwei Heere, die sie aufgestellt haben?
Das eine am Kymene und das andere am Saimasee.
Seit wann sind sie in Nyschlott?
Seit einer Woche oder so etwas, sagte Lars.
Das sieht wahrlich aus, als wollte es Ernst werden.
Glaubst du denn, Freiherr Erich, lachte der Schulmeister, daß die Russen spaßen; es thut keiner etwas umsonst. Harte zähe Männer sind es, wie die Luchse schlau und fürchterlich. Hast du noch nie den Luchs gesehen, Freiherr Erich, wie er sich streckt und windet, sich putzt und leckt und das manierlichste Thier scheint, das Gott zu Stande gebracht hat, bis es plötzlich seinen Sprung thut und seine Krallen aus den Scheiden fahren. Wo hast du den russischen Grafen gelassen, Erich Randal, den Alle lobten und liebten, nur der Hans nicht.
408 Es ist Niemand mit mir nach Halljala zurückgekehrt, als meine Cousine Ebba, sagte Erich.
Gott behüt das schöne Fräulein, Gott behüt's! schrie Lars. Halt das Glück fest, Freiherr Erich, es ist eine herrliche Sache, um's echt schwedische Blut. Es ist eine feine Dame, ihre Mutter war auch so und ich habe es mit meinen Ohren gehört, wie dein Vater sagte, keine Andere wünschte er dir. Habe es auch gehört, wie er Sam Halset ausschalt und schwor, so lange sein Sohn Abscheu habe vor Unehre, solle er nimmer einer Brut anhängen, die ehrlicher Leute Fluch sei.
Es ist Licht in der Halle, antwortete Erich, der auf des Schulmeisters Rede nicht zu achten schien. Ebba wird mich längst erwarten, Major Munk hielt mich lange fest. Auch er wußte nichts von Otho und ich muß dir gestehen, alter Lars, daß ich in schweren Sorgen um ihn bin.
Ist es denn wahr, fragte der Schulmeister, was der Propst aussprengt, daß Otho mit einem russischen Weibe nach Rußland gelaufen ist?
Ich glaube es so wenig, wie du es glauben wirst, erwiederte Erich.
Und der Hans glaubt's noch weniger als wir beide, lachte Lars. Aber der Probst erzählt weiter, daß der russische Graf Otho's Schwester mitgenommen habe und daß sie mit ihm heimlich davon gelaufen sei.
Das wirst du eben so wenig glauben, sagte Erich, wie ich es thue.
Gott verhüt's! daß wir es beide jemals glauben müssen, Freiherr Erich, erwiederte Lars; aber wo hat man je gehört, daß in Finnland ein Russe willkommen war?
Auf diesen Vorwurf schwieg Erich Randal ein Weilchen, bis er im bekümmerten Tone sagte: Ich kann das Ärgste immer noch nicht denken, denn Serbinoff ist ein Mann von edlen Eigenschaften. Doch wo ist Otho geblieben? Welches Schicksal hat ihn getroffen?
Laß ihn laufen, Freiherr, gräme dich nicht um ihn! rief Lars. Ein Finne fällt wie eine Katze, immer auf seine Beine, und der Hans hat ihm den Hochzeitstanz aufgeführt, als er's keinem Andern thun wollte. Halt du nur dein Glück fest, Freiherr Erich, und sorge dafür, daß 409 die Hochzeitslichter brennen, heut lieber als morgen. Meinst du nicht, Hans? Meinst du nicht, daß es wohlgethan wäre?
Der Hahn in seinem Sack knurrte ärgerlich und Lars Normark lachte auf. Gott behüt's! schrie er, glaubst du Narr, es sei noch nicht die rechte Zeit? Mancher wartet und wartet und die rechte Zeit kommt nimmermehr. Ein Fisch, wenn er gefangen ist, muß auch gegessen werden, sagen die Finnen, und ein Mann, der ein rechter Mann ist, kommt mit einem guten Schlag weiter als mit tausend guten Worten.
Was soll ich denn thun, alter Lars? fragte Erich lächelnd, denn ich sehe wohl, daß du mir Rath geben willst.
Was du thun sollst, Freiherr Erich? antwortete der Schulmeister. Was dein Vater hätte thun sollen, als er ein Mädchen in seinem Hause hatte und meinte, die rechte Zeit sei noch nicht da, eine Frau daraus zu machen. Geh morgen hin zu dem Propst, mach's mit ihm ab und dann geh hin zu ihr und sprich: Was kommen wird, weiß ich nicht. Es kann sein, der wilde Jäger bringt uns die Russen über den Hals, es kann auch sein, Noth und Tod fahren an von allen Seiten. Bei alledem bin ich da, und Keiner soll's mir wehren, dich zu lieben und zu küssen, so lange es immer geschehen kann. Also gib mir deine Hand, kein Anderer soll sie haben. Komm mit mir, der Priester wartet auf uns und, so wahr schwedisches Blut in uns Beiden ist, Freiherr Erich, ich sage dir, sie wird deine Hand nehmen und wird dir folgen.
Sie wird mir folgen, murmelte Erich halblaut.
Eben fuhr der Schlitten durch das düstre Thor des Hompusthurmes und aus ihm hervor rauschte ein Nachtvogel, der über Erich's Haupt hinstreifend, einen langen gellenden Schrei ausstieß. Der Hahn reckte zu gleicher Zeit den Hals aus dem Sack und krähte muthig auf, daß es unter der Wölbung widerhallte.
Wen eine Eule empfängt, dem ist Jumala gnädig, sagte Lars und gibt ihm Weisheit, und wem der Hahn schreit, dem steht Ilmareinen bei und gibt ihm listige Gedanken.
Dies rief er hinter Erich her, dessen Pferd schnaubend in den Hof rannte und dem er langsam folgte. Lichter leuchteten aus der Thür des Hauses und als der Hahn nochmals sein Geschrei anstimmte, 410 hätten die Diener über den alten Pfeifer beinahe ihren Herrn vergessen. Jeder freute sich, daß Lars Normark da war. Alle wollten Neuigkeiten hören, Alle hatten viel zu fragen und viel zu erzählen.
Als Erich Randal der Halle zuging, war sein Kopf voll Gedanken, mit denen sich ein banges verwirrendes Gefühl mischte. Seine festen Schritte wurden langsamer, je näher er der Thür kam und zögernd stand er davor still und legte die Hand auf sein Herz, das heftiger klopfte, als er seit langer Zeit es gefühlt hatte. Was der Schulmeister gesprochen und der Rath, den er ihm zuletzt ertheilte, betraf etwas, was er selbst sich schon oft gesagt hatte. Wenn er Ebba bestürmte, würde sie dann nicht darin willigen, ihm zum Altare zu folgen, und gab es nicht Gründe genug, die ein rasches Handeln rechtfertigten? Lars Normark hatte eine Unruhe in die philosophische Ruhe des jungen Mannes gebracht, die er vergebens ganz zu bewältigen strebte. Sichere dein Glück, Freiherr Randal! klang es in seinen Ohren und dabei überkam es ihm plötzlich, daß er an Otho denken mußte und an Halset's Tochter, indem er durch den finstern Gang ging und leise die Thür öffnete.
Ebba saß vor dem großen Kamin, das Gesicht auf das Feuer gerichtet, das niedergebrannt aus dem Haufen verkohlter großer Holzstücke und glimmender Asche in dunkelrothen Flammen aufflackerte. Die Lichter, welche auf dem Tische in der Mitte der Halle standen, bildeten kleine trübe Punkte, von grauen Schattenkreisen umgeben, durch welche dann und wann ein blitzartiges Leuchten des Kaminfeuers zuckte, das in alle die finsteren Ecken und Winkel des Gewölbes drang, und die düstern Bilder an den Wänden sammt den gewaltigen Elchgeweihen erkennen ließ. Einige Minuten lang betrachtete Erich seine junge Verwandte, die nichts von seiner Nähe bemerkte. Sie hatte ihre Hände vor sich in den Schooß gefaltet und ihre großen offenen Augen schauten regungslos in die sprühenden Funken, welche von dem Herde aufflogen und verloschen. Als der Feuerschein heller über ihr Gesicht zitterte, bemerkte Erich, daß sich ihre Lippen bewegten, als spräche sie leise mit sich selbst. Es war ihm, als könnte er ein schmerzliches Lächeln erkennen und jetzt senkte sich ihr Kopf nieder, das lockige lange Haar fiel wie ein Schleier darüber hin und unter 411 ihm hervor stieg ein Seufzer auf, der wie von Geistern weiter gemurmelt, in allen Bogen und Fugen sich zu vervielfältigen schien.
Erich's Augen ruhten voll mildem Ernst auf ihr. Zögernd und schweigend stand er auf der Schwelle bis Ebba sich nach ihm umwandte. Ihre Mienen erheiterten sich, als sie ihn erblickte, und indem sie ihm entgegenging, streckte sie ihre Hände nach ihm aus.
Endlich bist du zurück, lieber Erich, rief sie ihm zu. Sei willkommen!
Erich Randal küßte ihre Stirn. Unser alter Freund hat mich so lange aufgehalten, sagte er. Ich konnte ihn nicht verlassen, da ich ihn von meinen Mittheilungen betrübt und zornig sah.
Du siehst, wie es mir scheint, selbst betrübt und bleich aus, fiel sie ein.
Es ist kalt, erwiederte er. Mich friert.
Das darf nicht sein, wenn du bei mir bist, sagte sie lächelnd, dann muß ich dich erwärmen, und indem sie ihn zum Herde führte, warf sie rasch neue Holzstücke auf die Gluth, rückte seinen Sessel dicht heran, bereitete eine Pelzdecke davor aus, und nöthigte ihn in die weichen Kissen, mit denen sie den breiten Stuhl polsterte. Schnell bereitete sie ihm ein heißes Getränk, reichte ihm was zu seiner Erfrischung vorhanden, ordnete und fragte endlich, ob sie es auch Alles recht und gut mache.
Wie eine sorgsame Hausfrau, erwiederte er dankbar.
Ich muß mich einüben, versetzte sie, damit ich den Pflichten gewachsen bin, die einst von mir gefordert werden. Mit Frau Ulla bin ich heut durch alle Vorrathskammern gewandert, und habe Heerschau gehalten über sämmtliche Töpfe und Fässer und Kisten und Kasten. Wir sind in der That so gut versorgt, das wir eine Belagerung aushalten könnten.
Sie setzte sich neben ihn, legte seine kalten Hände in ihre warmen Finger, und lehnte sich vertraulich an seine Schulter. Wie danke ich dir, theure Ebba, sagte er liebevoll zu ihr hinblickend, daß dein Vertrauen so groß zu mir ist.
Zu wem sollte ich größeres Vertrauen haben, antwortete sie, und wohin sollte ich gehen, wenn du mir kein Plätzchen an deinem Herde 412 geben wolltest? Ich wüßte in Wahrheit kaum, was zu beginnen wäre, wenn ich nicht etwa auf mein Eigenthum, mitten im Eise des Pajäne, mich zurückzöge.
Wird es dir in dem alten Schlosse nicht zu einsam, sagte Erich, und bei dem einzigen Mann darin? Ich möchte dich so gerne recht froh und glücklich wissen, liebe theure Ebba, recht viel für dein Glück thun können.
Ich bin glücklich, Erich, so viel ich es sein kann, erwiederte sie, und erkenne dankbar deine große Güte und Liebe.
Ich wollte, sagte er, sie freundlich anschauend, dein Bruder wäre bei uns, und könnte meine Bitten unterstützen.
Von Arwed habe ich heut, als du fort warst, einen Brief durch den Propst Ridderstern erhalten, fiel Ebba ein. Der würdige Herr leistete mir mit seiner Ehehälfte Gesellschaft und Beide fragten mich, ob ich es nicht vorziehen würde, in ihrem Hause mich einzurichten, wo es nicht allein wohnlicher sei, wie in diesen düstern Thurmgewölben, sondern wo auch weiblicher Beistand mir immer zu Diensten stehe.
Und was hast du darauf geantwortet?
Ich habe ihnen erklärt, daß es mir bei dir sehr gut gefiele, und daß ich dich niemals, um noch so gute Gesellschaft verlassen würde.
Wirklich, das hast du gethan? Niemals willst du mich verlassen! wiederholte Erich, und seine Augen leuchteten auf.
Ebba nickte ihm zu. Niemals, sagte sie, dazu bin ich fest entschlossen.
Meine edle, liebe Ebba! und wenn ich – er hielt einen Augenblick inne, denn aus der Küche herüber schrillte Lars Normark's Pfeife, und es war ihm, als hörte er den alten Vagabond schreien: Sichere dein Glück, Freiherr Randal, jetzt ist es Zeit! – wenn ich Alles bedenke, warum willst du mein Glück noch länger verzögern, warum mir nicht gestatten, als dein Gatte der Erste unter Allen zu sein, der, was auch kommen möge, das Recht hat, dich zu schützen und mein Haus zu deinem Hause zu machen.
Lies diesen Brief, sagte sie, und du wirst finden, wie Arwed über unsere Zukunft denkt.
413 Sie reichte ihm ein aufgeschlagenes Papier hin, Erich nahm es und las:
»Gestern sind wir in Abo eingetroffen, und da in einer halben Stunde ein Eilbote nach Tavastehuus geht, der dem Commandanten Befehl bringt, das Schloß schleunig in Vertheidigungszustand zu setzen, so schreibe ich rasch an dich, meine liebe Ebba. Halset wird meinen Brief in einen andern einschließen, den er an den Propst richtet, und welcher sogleich nach Halljala befördert werden soll. So wirst du denn schnell zu den Nachrichten kommen, die ich dir mitzutheilen habe. Zunächst von mir selbst, liebe Schwester, du wirst meinen Egoismus natürlich finden. Ich hoffe der Erfüllung meiner Wünsche entgegen zu gehen, wenn ich auch nicht sagen kann, daß nichts mehr zu wünschen übrig bleibt. Die liebenswürdige Mary hat sich wesentlich geändert; es ist eine andere Stimmung über sie gekommen. Man kann nicht behaupten, daß sie viel gesprächiger geworden sei, allein sie ist angeregter, freundlicher und interessirt sich ganz besonders für die politischen Ereignisse. Heut beim Frühstück hat sie ein langes Gespräch mit mir und ihrem Vater darüber geführt, ob es noch möglich sei, in einem Boote über den bottnischen Meerbusen und nach Stockholm zu kommen, oder nicht? Auf den Inseln gibt es vielleicht noch Wagehälse, die mitten durch Eisfelder, Schollen und halbgefrorene Wellen den Weg versuchen, aber vom Herüberbringen von Soldaten oder Kriegsmitteln ist keine Rede, ehe nicht der ganze Golf festes Eis trägt. Dann wäre es freilich nicht schwer, eine Armee nach Finnland zu schaffen, allein abgesehen davon, daß keine vorhanden, Alles in Unordnung und Auflösung ist, würde es, wie ich meine, auch nichts helfen. Halset hat Nachrichten aus Stockholm. Es geht vortrefflich. Herr von Alopäus kann sich nicht mehr im Schlosse zeigen, und beinahe ebenso geht es dem dänischen Gesandten, dem guten Grafen Moltke. Um so größer ist ihr Ansehen in der Gesellschaft. Eine ganze Reihe neuer lustiger Anekdoten und Charakterzüge bringe ich dir mit, denn ich komme wahrscheinlich bald und komme nicht allein. Unser theurer Freund Halset, dessen Zuneigung zu mir täglich wächst, hat in Tamerfors bedeutenden Besitz und große Niederlagen von Flachs und Getreide. Von dort aus gehen wir nach Halljala, und ich denke, es soll eine 414 Brautreise sein, die freilich etwas kalt ausfallen könnte. Ich bringe dir meine Mary, denn bis dahin werde ich dies sagen können; was ich weiter mit Halset besprochen, sollst du gleich hören, zunächst nur einige Worte über den wilden Burschen, unseren liebenswürdigen Cousin vom Stamme der Kinder Jumala's. Nicht eine Spur haben wir von ihm aufgefunden, und auf jeden Fall beruhen die Beschreibungen des Posthalters auf Irrthum. Meine Meinung ist daher immer noch dieselbe, daß Serbinoff, trotz seines Leugnens, mehr von ihm wußte, als er zugeben wollte, und daß eine gewisse schöne Dame, welche sich ganz besonders für ihn interessirte und, als er plötzlich verschwunden war, nicht die geringste Bestürzung zeigte, vielmehr sich darüber belustigte, die Hand im Spiele hatte. Sie hat ihn, wie ich denke, nach irgend einem Arkadien in Sicherheit gebracht und wird ihn jetzt bewachen, wie Armide den geliebten Rinald. Eine lustige Geschichte, auf Ehre! wir werden künftig noch darüber zu lachen haben. – Hieraus erklärt es sich, daß der kleine Nix so furchtlos über Otho's Schicksal war und so freudig ihrer Protectorin und – Serbinoff folgte. Denn dieser war in Helsingfors bei der Gurschin, was ich jetzt nicht mehr verbergen will, da ich ihn selbst gesehen habe. Wir können somit gänzlich über das Schicksal dieser glückseligen Geschwister getröstet sein. Zu ihrer Zeit werden sie schon wieder zum Vorschein kommen und mancherlei süße Geheimnisse ausplaudern können, wenn sie wollen. Es ist gewiß, daß Otho seinen Freund Serbinoff an jenem Ballabend gesprochen hat, eben so gewiß, daß er mit der reizenden Gurschin ein geheimes Gespräch hatte, worauf er sich entfernte und nicht mehr erblickt wurde. Halset macht darüber Bemerkungen wie ein Satyr; aber selbst Mary hat es gesehen und zweifelt ersichtlich nicht daran, daß die schöne Fee Constanze ihn in ihrem Harem auf einer Insel der Seligen verwahrt. Los ist man ihn damit für längere Zeit, und allen republikanischen Phantastereien ist durch zwei weiße Arme ein Ende gemacht. – Was nun dich betrifft, meine Ebba, so hat deine Romantik dich in den Kreuzbogenbau des edlen Hompus zurückgetrieben, wo es äußerst lebhaft und lustig hergehen muß. Du bist deinem Willen gefolgt, ich ließ es geschehen; bei näherer Betrachtung aber ist es doch nothwendig, mit der 415 Lebens-Prosa Abrechnung zu halten. Der Mann deiner Wahl ist ein solches Musterbild jedweder Tugend, daß ich ihm zehn Schwestern anvertrauen wollte, wenn ich sie hätte; allein der Welt gegenüber müssen wir dafür sorgen, daß die einzige, welche ich besitze, bald als Frau in der Halle von Halljala sitzt. Ohne uns weiter auf Ausführungen einzulassen, wollen wir also beschließen: die Verlobung wird sofort veröffentlicht, wenn ich mit Mary und Halset bei euch bin, was in einigen Wochen der Fall sein wird, und gleich hinterher soll die Doppelheirath stattfinden. Bis dahin aber findet es Halset so passend, wie ich es finde, daß du deine Wohnung bei Propst Ridderstern nimmst, im Fall du es noch nicht gethan haben solltest. Halset hat darüber an den würdigen Geistlichen geschrieben, du wirst seiner Einladung jedenfalls Folge leisten, weil es schicklich und recht ist, und jetzt lebe wohl, der Courier ist da.«
Erich ließ das Blatt sinken und blickte seine Verwandte an. Was sagst du dazu? fragte sie.
Ich kann nicht sagen, daß Arwed Unrecht hätte, erwiederte er.
Willst du mich aus deinem Hause treiben? fragte Ebba.
Gewiß nicht, war seine Antwort. Aber dein Bruder wünscht es.
Er hält es für schicklich, fiel sie im stolzen Tone ein. Mit einem Male nachträglich ist ihm dieser Gedanke gekommen. O! was ist schicklich, was nennen die Menschen so? Er, der seinem theuren Freund Halset nachläuft, ihn alle Tage höher schätzt, findet nicht das geringste Bedenken, alle Mittel anzuwenden, um Mary's Hand zu erobern, nach ihrem Herzen aber – sie hielt inne und heftete ihre Augen auf Erich: oder glaubst du, daß Mary auch ein Herz für ihn haben kann?
Wie es mir scheint, erwiederte der Freiherr, ohne eine Unruhe zu zeigen, hat dein Bruder Halset's Gunst gewonnen, und in Finnland kommt es häufig vor, daß die Ehen nicht nach Herzensneigungen, sondern nach dem Willen der Eltern geschlossen werden.
Die Verhältnisse bedenkend, Vortheile, Rang, Stand, Geld und wie die herrlichen Dinge weiter heißen, rief Ebba. Wo wäre das nicht in der Welt! Leidenschaften bringen Unheil, Thorheiten der Herzen haben zahllose Thränen fließen sehen.
416 Wenn es wahr ist, was Arwed über Otho sagt, antwortete er, so hätten wir ein trauriges Beispiel davon. Doch ich glaube es nicht.
Warum nicht? rief sie. War er nicht Thor, nicht leidenschaftlich genug dazu? Je heller ein Feuer brennt, um so schneller wird es Asche, und was glaubt man nicht Alles von eines Menschen Herrlichkeit, der morgen schon zeigt, daß er doch nur aus schlechtem Thone gemacht wurde. Asche, Erich, nichts als Staub und Asche; alle diese glänzenden Funken sind im nächsten Augenblicke schwarz und todt. Warum also ängstlich fragen, was nach dieser guten Leute Meinung sich schickt oder nicht schickt? Ich will bei dir bleiben, will nicht zu dem steifen, falschen Propst.
Und wenn Arwed kommt?
Sie reichte ihm die Hand hin. Du sagst es ja, daß er Recht hat, lächelte sie.
Meine theure Ebba! Meine Geliebte!
Ebba legte den Kopf auf seine Schulter. Du bist gut! antwortete sie aus tiefer Brust, du bist voll Ruhe und Frieden mit dir selbst. Ich werde glücklich sein an diesem einsamen Herde.
Er blickte in ihre Augen, ein Feuer loderte tief darin. Leise zog er sie an sich, und die sanfte Milde und Ruhe seines Gesichts schien eine magische Gewalt zu üben. Sagte ich dir nicht schon einmal, begann er mit seiner klaren tiefen Stimme, daß das Glück, auf das wir hoffen, in uns sein muß.
Und ein Leben ist kurz, fiel sie tiefathmend ein. Ein Menschenleben ist wie der Funke dort – ein Augenblick.
Dennoch ist es lang genug, um schön oder qualvoll zu sein.
Schön und frei – frei von Qualen soll es uns vergehen, Erich.
Frei von Qualen, theure Ebba, frei von Unfreiheit. Wahrheit und Liebe heißen die Erlöser, nach denen diese Welt schmachtet, mag ihr Reich zu uns kommen!
Wahrheit und Liebe! wiederholte Ebba ungestüm laut, und indem sie ihren Verlobten umfaßte, fügte sie stolz und begeistert hinzu: Wahrheit und Liebe sollen uns vereinigen. Amen! Amen! guter, liebevoller Freund. 417