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1.

Es war ein Markttag in Berlin, der letzte Tag des ersten Jahrmarktes, welcher im Jahre 1806 gehalten wurde. Auf dem großen, mit Bäumen umpflanzten Platze sowohl, wie in den Straßen, die ihn umgaben, wimmelte ein gewaltiges Menschengedränge. Lange Reihen aufgeschlagener Buden und Schragen enthielten die mannigfachsten Stoffe, Geräthe und Lebensbedürfnisse, an den Straßen- und Häuserseiten aber lagen ungeheure Vorräthe von Töpferwaaren, Glas und Porzellan aufgethürmt. Es war ein Schreien und Toben, Lärmen und Klappern in diesem Gewirr, als sei dies ein Tummelplatz für Zank und Streit; die ganze Lebendigkeit und Zungenfertigkeit des Volkes machte sich Luft im Bieten und Handeln, und mitten durch das Marktgewühl fuhren Frachtwagen und Karren, Karossen und schmalspurige Fahrzeuge der Bauern, grob schreiend und grob angeschrieen, oder von Schelt- und Schimpfreden begleitet.

An der einen Straßenseite stand neben anderen ein Haus, das einem Strumpf- und Garnhändler gehörte, wie dies Fenster und Ladenthüren bewiesen, hinter denen er allerlei Waaren seines Geschäftes aufgehängt hatte. Zur damaligen Zeit gab es jedoch noch keine Schaufenster mit prächtigen Spiegelscheiben und goldigem Ausputz; das Gewölbe des Kaufmanns sah daher ziemlich unscheinbar aus, obwohl es zu den größten seiner Art in der Stadt gehörte.

Ueber dem Eingange hing ein Schild mit dem Namen »Christian Funk«, und der Mann hinter dem Fenster, der das Marktgewühl betrachtete, war der Eigenthümer des Geschäftes. Seine breite stämmige Gestalt, das Gesicht mit groben harten Zügen und ein dicker Zopf, der bis auf den Rücken reichte, machten sich nicht besonders fein und manierlich. Der ehrsame Bürger und Kaufmann jener Zeit hielt auf Sauberkeit im Anzug, dieser hier schien jedoch in seinem gelbgrauen kurzen Rock und der Wollbinde um den Hals mehr ein Arbeiter als ein Herr zu sein. Er hielt seine Arme auf dem Rücken, und die kurzen starken Finger hatten nicht das Ansehen, als ob sie viel im Leben sich mit der Schreibfeder eingelassen, bei alledem war er weiter gekommen, als manche mit den feinsten Fingern und Röcken, und in seinen grauen scharfblickenden Augen lag etwas, das wie ein Gemisch von Ernst und Spaß, Schlauheit, Grobheit und Verschlagenheit aussah.

Was das für ein Elements-Leben ist, sagte er halblaut und verächtlich lachend. Das Volk kratzt alle Dreier zusammen und bringt sie auf den Markt, als ob ihm hier was geschenkt würde. Es gibt doch nichts Dümmeres in der Welt, als die Menschen. Die schlechteste Waare lassen sie sich anschmieren, verstocktes, vergilbtes Zeug, alten Kram, verdorbene Lumpen; dafür bleiben heut die guten Orte leer, wo sie das Beste billiger haben könnten.

Er blickte dabei seitwärts in sein eigenes Gewölbe, in welchem sich kein Käufer befand. Hinter dem Ladentische auf der einen Seite stand ein junges Mädchen, das sehr ernsthaft und sehr ordentlich aussah, mit glattgescheiteltem braunen Haar, einem weißen Kreuztuch über dem Mieder und einer weißen langen Schürze über dem buntbedruckten Kleide; an der andern Seite arbeitete ein junger Mann an einem Pulte hinter dem Gitter vor einem großen Rechenbuch. Das junge Mädchen wickelte und band geschickt und sauber allerlei Zwirn- und Garnpäckchen zusammen, der junge Mann ließ die Feder leicht über die Blätter fliegen.

Der Blick des Herrn Christian Funk blieb auf ihm haften, und es schien, als ob seine grauen Augen theils Wohlgefallen, theils Spott ausdrückten. Das Wohlgefallen konnte auf Rechnung des frischen jugendlichen Gesichts, oder der schlanken und wohlgeformten Gestalt kommen, der Spott dagegen Folge des Umstandes sein, daß dieser junge Mann, als auffallender Gegensatz zu dem alten, gleichsam nachholte, was dieser versäumte. Denn er war modisch und elegant gekleidet, sein Haar kurz abgeschnitten, sein Klappenrock braun, sein Hemd mit einer Krause versehen, seine Weste lang, und darunter hervor sah eine goldene Uhrkette mit großem Schaken und vielen Petschaften.

Die Lustigkeit im Gesicht des Kaufmanns nahm zu, je länger er hinsah. Darauf fing er an:

Alle Wetter! Conrad, es ist doch Jammer und Schade, daß du dich heute so schmuck gemacht hast an diesem gesegneten Markttage, und es kommt keiner, der dich ansehen will.

Der junge Mann hob den Kopf auf und antwortete munter:

Also für dich, Vater, und für Liesbeth, wenn es euch beliebt, mich anzusehen.

Hoho! hoho! rief Christian Funk, sag's ihm selbst, Liesbeth, wie du ihn am liebsten hättest.

Das ernsthafte Mädchen zuckte mit den Schultern.

Wie es einem ehrbaren jungen Mann zukommt, sprach sie dabei, der des Abends nicht umherschweift, nicht in der Nacht nach Haus kommt.

Da hast du es, du Elementer! rief der Alte. Hast Recht, Liesbeth! hast Recht! In drei Abenden ist er nicht zu Haus gewesen. Wo hast du die edle Zeit todtgeschlagen, junger Herr?

Der Sohn unterdrückte seine Verlegenheit, die nicht ganz zu bewältigen war. Freunde, die mich aufgehalten haben, Vater, versicherte er, sonst nichts.

Was denn sonst noch? lachte Funk. Halt ihn kurz, Liesbeth, laß ihn nicht mehr aus dem Hause! Und weißt du was – hier hielt er inne, denn seine Augen und Gedanken nahmen eine andere Richtung. Das verdammte Topfzeug! schrie er. Es kann kein Mensch in's Haus, sie haben den ganzen Weg damit versperrt!

Die Ursache dieses Aergernisses war ein Wagen, welcher so eben vor dem Hause still hielt, was Schwierigkeiten machte. Es war eine Kalesche auf festen Achsen, mit Halbdeck und einer Sitzbank vorn. Sie wurde von vier Pferden gezogen, doch gehörten diese nicht zu der veredelten hochbeinigen Race, sondern zur märkischen Landeszucht der Sandhüpfer, wie sie genannt wurden. Kleine behende Thiere, mit dicken Köpfen und langen zottigen Mähnen und Stirnhaaren, wie sie einst die Wenden mitbrachten, und deren Geschlecht noch immer lebte und blühte, nachdem ihre ursprünglichen Herren längst überwunden und vertilgt wurden.

Von der Sitzbank lenkte ein Kutscher mit strohfarbigem Haar, im langen, blauen rothgefütterten Rock diese vier Renner an Hanfseilen, und neben ihm saß ein Mensch, der wie ein Bedienter, oder wie ein Jäger, oder auch wie ein alter Soldat, alles Dreies vereinend, aussah. Denn er trug Stiefeletten, eine Art Uniform mit grünen Aufschlägen und einen Hirschfänger um den Leib geschnallt, auf dem Kopf eine Art Kasket mit Wachsleinen überzogen, und auf der Oberlippe einen spitzgedrehten Grenadierbart, der grauweiß in die Höhe stand.

Eine Equipage solcher Art war eben nichts Seltenes. Sie gehörte unzweifelhaft einem Landedelmann vom alten Schlage, und als der Jäger mit dem Grenadierbart den Wagentritt herunter warf, wurde ein alter Herr sichtbar, der mit einiger Mühe die schmalen eisernen Sprossen herunterstieg, wobei ihm der Jäger Hülfe leistete, obwohl diesem, wie sich jetzt zeigte, seine rechte Hand und ein Stück vom Arm auf irgend eine Weise einmal verloren gegangen war. –

Das Volk umher hatte große Lust, sich über den Wagen, der Allen im Wege stand, zu ärgern, aber der Anblick des grauköpfigen alten Herrn und des verstümmelten Jägers machte es still. Ein blauer weiter Rock, ohne Putz und Schmuck, hüllte den greisen Edelmann ein, um den Hals aber trug er das eckige Kreuz des Verdienstordens am Bande, und seine hohe Gestalt wie der Kopf mit starken Muskeln und blauen Augen sahen so martialisch und gebieterisch aus, daß ihm bereitwillig Platz gemacht wurde.

Gestützt auf ein dickes spanisches Rohr schritt er auf den Laden des Strumpfwirkers los, Herr Christian Funk aber befand sich schon längst in einer Aufregung, welche mit jedem Augenblicke zunahm.

Wer ist denn das? rief er den alten Herrn betrachtend. – Sollte es möglich sein? Herr, du mein Gott! – Soll mich neun und neunzig Mal! – So wahr ich lebe, es ist der Major von Hochhausen! Liesbeth! hinaus in die Küche, schaff das Beste an, was da ist. Lauf in den Keller! hole Wein herauf von dem in der Ecke! – Die Thür auf, Conrad! Himmel Element! mach die Thür auf! Da ist er schon.

Liesbeth eilte mit sicheren Schritten davon, Conrad sprang aus dem Gitter, die Thür zu öffnen, Christian Funk selbst öffnete inzwischen sein Besuch- und Staatszimmer neben dem Laden und kam dann gerade zur rechten Zeit, als der alte Edelmann in das Gewölbe trat. Seine dicken hängenden Backen zogen sich herauf, da er zu lachen anfing, indem er den Kaufmann anblickte, darauf rief er mit dröhnender Stimme:

Holla, Feldwebel Funk, wie geht's Ihm?

Zu Befehl, mein gnädiger Herr Major! antwortete Christian Funk, und es kam ein Geist über ihn, der ihm die Schultern zurückrückte und den Kopf ins Genick zog.

Hoho! rief der alte Herr. Er hat mich also nicht vergessen?

In Ewigkeit nicht, mein Herr Major, antwortete Funk energisch.

Ich glaub's Ihm, Funk! schrie der Major, es wird Ihm warm um's Herz, mir geht's eben so. Ich bin jetzt an die zehn Jahre nicht hier gewesen, da es aber so sein mußte, dachte ich gleich an Ihn. Habe Ihn gestern auskundschaftet und komme her, zu sehen, wie es Ihm geht.

Es geht mir gut, da es nicht besser geht, antwortete Funk. O! mein gnädiger Herr Major, lange Zeit ist mir solche Freude nicht geschehen. Verschmähen Sie es nicht bei mir einzutreten und ein Glas Wein anzunehmen.

Wenn Er guten Wein hat, lachte der alte Edelmann, so soll's an mir nicht fehlen. Heda Klosmann!

Befehlen! antwortete der Jäger, der hinter ihm stand.

Laß den Wagen irgend wohin um die Ecke auf die Seite fahren, aus diesem Mordspectakel heraus und nach einer halben Stunde wiederkommen.

Was! rief Christian Funk, ist es der Gefreite, der Peter Klosmann von der ersten Compagnie?

Allemal derselbe, Herr Feldwebel! versetzte der Jäger wonniglich grinsend, indem er sich gravitätisch aufrichtete und die linke Hand an sein Kasket legte.

Diese Erkennungsscene dauerte zur allseitigen Freude noch einige Zeit, dann ging Peter Klosmann, um den Wagen seines Herrn fortzuschaffen, und der ehemalige Feldwebel führte seinen Gast in das Staatszimmer und sorgte dienstfertig für alle Bequemlichkeit, welche er zu bieten hatte. Diese war umfänglicher, als der Edelmann vermuthen mochte, denn das stattlich ausgeschmückte Zimmer erregte sein sichtliches Erstaunen. Da standen Schränke von Nußbaum mit vergoldeten Griffen und Schilden so blank gebohnt, daß man sich darin spiegeln konnte, gestickte Gardinen bedeckten die Fenster, auf der Komode unter dem großen Spiegel reihten sich gemalte Tassen und Porzellanfiguren, und an der Wand hinter dem Tische stand ein Sopha, eine gestrickte Decke über den Sitz und in den Ecken gestickte Kissen.

Alle Donner! Feldwebel, rief der Major, als er in das weiche Polster sank, wo hat Er all das Zeug her? Es sieht ja bei Ihm aus wie beim reichen Juden, der mit seinem Schacher alle Tage mehr Geld zusammenschmeißt.

Da lächelte Christian Funk vergnüglich und seine klugen Augen blickten wohlgefällig umher. Er half dem gnädigen Herrn Major in die Sophaecke und eben kam Liesbeth herein mit einem schönen lackirten Brett, auf welchem Flaschen und Gläser standen. Eine Magd trug aufgeschnittenen Braten und andere Speisen, sammt Tischzeug von Damast, weiß wie Schnee, Messer und Gabeln in Elfenbeinschalen und ein Salzfaß von Silber. Liesbeth ordnete Alles mit ihren geschickten sicheren Händen, daß nichts klapperte oder zusammenstieß, und der alte Herr beobachtete sie, wie sie den Kork aus der Flasche zog und die Gläser füllte, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.

Ist das Seine Tochter, Funk? fragte er.

Nein, mein gnädiger Herr, versetzte dieser, sie ist von meiner seligen Frau Verwandtschaft, aber ich habe sie so lieb wie mein eigen Kind und dann – hier verzog sich sein Gesicht zu dem pfiffigen Lachen, doch der Major wartete dies nicht ab. Er hob sein Glas auf und rief galant:

So wollen wir vor allen Dingen die Gesundheit der artigen Jungfer trinken, auf daß sie bald Hochzeit macht und den allerschönsten Mann bekommt, der sie über alle Maßen liebt.

Bedank dich, Liesbeth, bedank dich bei dem gnädigen Herrn Major! schrie Christian Funk. Daran fehlt es nicht, mein gnädiger Herr. Es ist schon gesorgt.

Liesbeth machte einen tiefen Knix und eilte, daß sie hinauskam. Draußen horchte sie, denn sie hörte den Major sagen:

Holla, Feldwebel, ich merk's Ihm an der Nase an: der Bursch da mit den abgestutzten Haaren, das ist doch sein Sohn.

Mein Sohn Conrad, gnädiger Herr, und es ist Ihr Pathe, wenn Sie sich noch daran erinnern.

Donnerwetter, ja! rief der Major, ich habe ja Gevatter bei ihm gestanden, und jetzt soll der Junge das Weibsbild heirathen?

So Gott will, mein gnädiger Herr. Sie sind zusammen aufgewachsen, und es ist ein rechtschaffen, fleißiges Kind, hat dabei auch Geld geerbt, und ist nicht von der leichtsinnigen, eitlen Art.

Danach sieht sie nicht aus, sagte der Major. Aber ist denn sein Junge, mein Pathe, gut eingeschlagen?

Nuh! nuh! sprach Christian Funk die Achseln zuckend, wie die jetzige Jugend es macht, mein gnädiger Herr. Der alte Stern ist nicht mehr darin, mit der alten Zucht ist es vorbei.

Es kam eine Art Stöhnen aus der Brust des alten Edelmanns, und um es sich zu vertreiben, trank er sein Glas aus und schenkte es wieder voll.

Während dessen fuhr Christian Funk fort:

Ich habe den Jungen in die Schule geschickt, und er hat was gelernt. Zuletzt schickte ich ihn in die lateinische Schule, und die Herren Professoren redeten mir zu, ich sollte ihn studiren lassen, weil er das Zeug dazu hätte. Aber ich wollte nicht, denn ich konnte ihn besser brauchen. Zu leben hat er, wenn es mal heißt: Christian Funk, rechts um, abmarschirt! und hier habe ich ihn unter meiner Fuchtel, bis ihn die Liesbeth unter ihr Commando kriegt. Denn es ist was vom alten wilden Soldatenblut in ihm, das muß in Ordnung gehalten werden.

Das Stöhnen des Majors wiederholte sich, dann griff er nach dem Glas, trank und stampfte auf.

Donnerwetter! Feldwebel, schrie er, ein Mann und ein Pferd müssen über die Stränge schlagen, wenn Feuer und Leben in ihnen ist; aber freilich wohl, wenn es zu arg wird, ist's vom Uebel. Macht Sorgen, macht Kopfschmerzen!

Er faßte an seinen Kopf. –

Das gefällt mir aber doch von meinem Pathen, rief er dabei. Sein Wein ist gut, Funk, er geht wie Feuer in den Magen.

Alter Franzwein, mein gnädiger Herr, sagte Funk mit seinem verschmitzten Lachen.

Bei dem Worte Franzwein warf der alte Edelmann Messer und Gabeln auf den Teller.

Weiß Er noch, Feldwebel, fragte er, wo Er mir zuletzt einen Schluck Wein gab aus seiner Feldflasche?

In der Nacht war's, wo wir Bitsch stürmten, antwortete Funk, und sein Gesicht drückte sein Vergnügen über die Erinnerung an diese Kriegsthat aus. Aber die Franzosen pfefferten uns mit Kartätschen den Felsen herunter, und wir lagen alle drei wund unter der Brücke. Sie, der Klosmann und ich, bis wir den gnädigen Herrn weiter schleppten bis in's Lager.

Der Major nickte dazu, er war mit seinen Gedanken dabei, darauf zog er aus seinem weiten Rocke eine kurze Pfeife mit einem Türkenkopfe von Meerschaum sammt Stein, Stahl und Schwamm, schlug Feuer und begann Dampfwolken um sich zu blasen. –

Jetzt erzähle Er mir in der Ordnung, wie es Ihm ergangen ist, fuhr er fort, ich denke, Er muß einen guten Rapport zu melden haben.

Das sind nun bald vierzehn Jahre, daß der gnädige Herr Major uns damals verließ und den Dienst quittirte, begann Funk, und wie ich aus dem Lazareth kam, machte ich es ebenso, hielt um meinen Abschied an.

Wir waren beide halbe Krüppel geworden, und der Klosmann dazu, dem's seine Hand gekostet hat, fiel der Major ein. Und ich will ihm gleich sagen, Funk, den Klosmann nahm ich mit, und weil damals eben mein ältester Bruder, der Freiherr von Hochhausen, gestorben war, ohne Kinder zu hinterlassen, kriegte ich das Familiengut Lebin, und habe da gesessen alle die Jahre über wie ein Dachs in seinem Bau.

Und die gnädige Frau und die beiden Kinder? fragte Funk.

Die leben noch, rief der Major mit rauher Stimme, aber die Frau ist schon vor fünf Jahren in's große Hauptquartier abgegangen. Jetzt fahr Er fort zu erzählen.

Nuh, sagte Funk, ich traf meine Alte, wie ich den Abschied bekam, munter und thätig wie immer, und mein Junge war gewachsen, Alles in guter Ordnung. Sie wissen, gnädiger Herr, daß wir schon längst einen Garn- und Strumpfhandel angefangen hatten, wie viele Soldaten damals ein Nebengeschäft betrieben und die Erlaubniß dazu bekamen. Da ich ein Strumpfweber von Profession war, legten wir uns darauf. Meine Frau ging mit dem Kram in die Häuser und versorgte die gnädigen Offizierdamen.

Ich weiß, ich weiß, fiel der Major ein, wir haben damals auch von Ihm gekauft.

Die Kundschaft vermehrte sich, sagte Funk, und da die Rheincampagne anfing, hatten wir einen kleinen Laden gemiethet. Als ich nun wieder kam, saß meine Frau in der Wolle. Das Geschäft ging gut, und da ich mitarbeiten konnte, wurde es mit jedem Jahre besser. Fünf Jahre darauf zog ich hierher, und das folgende Jahr kaufte ich das Haus, weil's eben zu verkaufen war.

Er zog die Augen in die Höhe und rieb sich die Hände.

Ich kam in die Mode, mein gnädiger Herr Major. Aus der ganzen Stadt liefen sie zu mir her; es gab nichts Gutes, es mußte bei mir gekauft sein.

Wie hat Er das angefangen? fragte der Major.

Hehe! angefangen? lachte Funk mit seinem verschmitzten Gesicht. Na, Ihnen kann ich's wohl sagen, gnädiger Herr. Erstens hielt ich auf gute Waaren, die haben jedoch auch manche Andere, aber hier – er faßte nach dem langen Zopf und zog ihn über die Schulter – der hat mir geholfen! denn den hat keiner, und solche Knopfjacke trägt auch keiner, und 'ne Wollbinde um den Hals ebenfalls keiner, und dabei Grobheit, hehe! Grobheit, die wirkte. Ich war grob wie ein Sack, je gröber ich aber wurde, um so mehr kamen sie, und meine Alte in ihrer Multumjacke verstand es eben so gut. An allen anderen Orten wurden die Kunden fein behandelt, höflich und unterthänig, beim alten Feldwebel Funk mit dem Zopf wurden sie angeschnauzt; so wie sie mucksten, kriegten sie keine Waare; Buch zugemacht, Basta! Wenn aber auch Einer fortblieb, kamen Zehne dafür wieder. Herr du meine Güte! ich hätte nicht höflich werden mögen, meinen Zopf nicht abschneiden mögen, den alten Frießkittel nicht ausziehen mögen, nicht um zehntausend Thaler!

Donnerwetter! schrie der Major. Er hat seine Grobheit also noch besser angebracht?

Na, sagte Funk, die Menschen sind einmal so geschaffen. Wer sie höflich behandelt, dem trauen sie nicht, aber so ein rechter Grobian, der meint's ehrlich und aufrichtig, der läßt sich nichts bieten.

Er lachte herzlich dabei, dann aber schüttelte er wehmüthig den Kopf und fuhr fort:

Das größte Unglück, das mir widerfuhr, war, daß vor drei Jahren meine Alte starb. Die verstand es aus dem Grunde, mit dem Volke umzugehen. Man stärkte sich daran, wenn man sie hörte; seit dieser Zeit kann ich nicht halb mehr so grob sein, und wenn mein Ruf nicht schon so gut begründet wäre, und ich hätt' an der Liesbeth nicht solche Stütze, so käm's Geschäft herunter, denn mein Junge, dieser Junge –

Sakerment! will der Junge nicht grob sein? fragte der Major.

Das ist ja eben mein Aerger mit ihm! rief Funk. Er sagt, er kann's nicht, und sieht auch nicht danach aus.

Hat er keine Courage? schrie der Major.

Die hat er nicht dazu, obschon sie ihm sonst wohl nicht fehlt. Aber er faßt es auf eine andere Weise an, und ich laß es geschehen, denn Vortheil bringt's auch. Er hat ein Gesicht, das gefällt den Weibsen, und dabei hält er sich wie ein junger Herr sauber und galant. So kommen denn Manche auch um dessentwegen; aber Liesbeth und ich, wir bleiben bei der alten Art, und ich wollte ein gut Stück Geld darum geben, wenn der Junge grob würde und sich einen Zopf wachsen ließe.

Es gefällt den Weibern der Zopf nicht mehr, schrie der Major, dieweil sie am liebsten selbst welche machen. Seit die Revolution losgebrochen ist, sind sie alle rebellisch geworden. Man muß ihnen auf die Finger passen, daß sie Ordre pariren.

Französische Dummheiten, sagte Funk; schreien die Gleichheit und Freiheit aus. Es giebt hier auch Manche, die Lust dazu haben.

Wollen ihnen die Lust schon anstreichen! schrie der alte Edelmann. Gehorchen sollen sie, alle diese verdammten Rebellen!

Da ist eben so Eine, fiel Funk ein, die wie lauter Rebellion aussieht.

Er war aufgestanden und sah durch die Gardine, welche das Glasfenster in der Thür bedeckte.

Wie der Junge um sie herum ist, fuhr er dabei fort; grob sollte er sein, grob, so wäre es besser!

Der Major sah ebenfalls in den Laden. Es stand darin eine Dame von hoher Gestalt, schwarz gekleidet, in einem langen Seidenmantel, und von ihrem Hute fiel ein Schleier tief herunter. In dem Augenblick wo der Major hinblickte, wandte sie sich um und ging hinaus, während der junge Funk ihr mit einem Gesicht nachschaute, das den alten Edelmann sehr ergötzte. Seine Mienen sahen so glücklich aus, und seine Augen hingen so entzückt an der schwarzen Dame, daß er gar nichts Anderes zu bemerken schien, selbst nicht die ehrsame, ernsthafte Jungfer Liesbeth, die an der anderen Seite wie eine drohende Heilige stand.

Es ist Blut in dem da, sagte der Freiherr mit Wohlgefallen, das will sein Recht haben.. Paß Er auf, Feldwebel, der wird Ihm Streiche machen.

Zum Herbst soll er heirathen, antwortete Funk, und dann wird Liesbeth schon für ihn sorgen.

Sein Kopfnicken und pfiffiges Grinsen war so bezeichnend, daß des Majors Theilnahme sich vermehrte.

Bah! rief er, Gleiches paßt zum Gleichen, man soll nicht zusammenspannen, was nicht zusammengehört, kein Pferd zum Ochsen an denselben Pflug, sagen unsere Bauern. Es ist mal so in der Welt, Feldwebel, es thut nicht gut, das merke Er sich. – Jetzt will ich Ihm aber sagen, warum ich nach Berlin gekommen bin. Meine Tochter, Renate – erinnert Er sich noch an die?

Ich habe das kleine Fräulein wohl damals gesehen, antwortete Funk, wo es sieben oder acht Jahre alt war.

Jetzt wird sie bald zwanzig, versetzte der Major, ist lang und hübsch geworden, und den Winter über hier gewesen bei unserer Cousine, der Generalin von Schadwitz. Sie ist auch bei Hofe gewesen, und die Königin möchte ein Hoffräulein aus ihr machen.

Große Ehre, sagte Funk hochachtungsvoll.

Mag sein, antwortete der Major, ich hab's jedoch anders mit ihr vor; will sie also mit nach Haus nehmen. Dann aber ist auch mein Sohn Rudolf hier, steht jetzt bei dem Regiment Gensdarmen. Na, Er weiß ja, wie es da hergeht.

Es sind wilde junge Herren, sagte Funk mit dem Zopf wackelnd.

Treiben den Teufel aus! lachte der Freiherr. Ich hab' nichts dagegen, es ist ihre Art so. Er macht mir aber allzuviele Schulden, also muß ich ihm selbst mal auf's Dach steigen.

Ja, ja! rief Christian Funk, Schulden machen sie.

Daher habe ich Geld nöthig, fuhr der Major fort, und möchte mit Ihm darüber sprechen, ob Er –

Hier hielt er inne, denn auf der Straße vor dem Hause entstand ein schrecklicher Lärm. Und als der Major durch's Fenster blickte, schrie er mit Regimentsstimme:

Kreuz-Millionen Element! Was ist das? Plagt den Jungen denn der Satan! –

Darauf brach er in ein unbändiges Gelächter aus.


2.

Was er erblickte, eignete sich jedoch im Grunde wenig zum Lachen, wenigstens nicht für den größten Theil der Theilnehmer und Zuschauer. Mitten aus einem schreienden und tobenden Menschenschwarm ragte ein Reiter hervor, auf einem mächtigen, feurigen Rosse sitzend, das sich mit ihm hoch aufbäumte und mit den Füßen durch die Luft schlug, während die Masse vor ihm sich zu retten und zu bergen suchte, dabei aber noch viel wüthender schrie, fluchte und drohte. Der Reiter aber lachte dazu und blickte spottsüchtig und übermüthig umher.

Er war ein junger Offizier in prächtiger Uniform, sein Tressenhut saß ihm schief und kokett auf den frisirten Locken, und in den weißbehandschuhten Fingern schwenkte er bedrohlich seine Reitpeitsche. Hinter ihm in einiger Entfernung stand der Wagen des Majors, der nicht weiter vorwärts gelangen konnte. Die Vorderpferde suchte der Jäger Klosmann zu halten, indem er zugleich seinen verstümmelten Arm vorstreckte und aus Leibeskräften schrie, was Niemand verstand.

Im Augenblick jedoch, wo der Major hinter dem Fenster seine Stimme erhob, machte das bedrängte Pferd des Offiziers einen Sprung mitten in die Töpfe hinein, und zum Himmel auf stieg ein Gekreisch, als wankte der Erdball in seinen Achsen. Die Topfweiber stürzten sich wie rasend dem zermalmenden Rosse entgegen, mit ihren Armen und Schürzen schlagend und fechtend, aber das Ungethüm ließ sich dadurch nicht aufhalten. Mit einem zweiten und dritten Satz und einem halben Dutzend nachfolgenden anderen, sprang es in den höchsten Haufen hinein, und gelangte endlich bis an Christian Funks Ladenthür, Scherben, Trümmer und Splitter der zermalmten Geschirre nach allen Seiten umherschleudernd.

Und während dieser schändlichen Verwüstung schien der Urheber ein kanibalisches Vergnügen zu empfinden, den möglichst größten Schaden anzurichten, sein jugendlich keckes Gesicht strahlte von Lust, und sein tolles Gelächter über den Zorn der Marktweiber und deren Gekreisch hatte so viel Ansteckendes für den leichtbeweglichen Haufen, daß in wenigen Minuten statt der bisherigen Wuth eine ziemlich allgemeine Umstimmung erfolgte.

Hierzu trug nicht allein bei, daß der junge Offizier ein paar Weiber, die in seine Nähe sprangen, mit der Peitsche zurücktrieb und sein wildes Pferd herumwarf, als sollte es von Neuem in die Töpfe setzen, er schwenkte mit derselben Lustigkeit eine Börse über seinem Kopf und schleuderte alles Geld, das sich darin befand, den Weibern an die Köpfe, zugleich aber war der junge Funk aus dem Laden gesprungen, stand auf den Steinstufen und schrie:

Der Herr Offizier bezahlt Alles, ihr Leute! Ich bürge euch dafür, daß Alles bezahlt und ersetzt wird.

Das wirkte. Es war oft genug schon vorgekommen, daß die Herren von den Gensdarmen in ihrem Uebermuth, wenn sie aus fröhlicher Gesellschaft kamen, zerschlagen und zerbrochen hatten, was ihnen im Wege stand. Erst kürzlich waren mehrere des Abends eine der lebhaftesten Straßen zu beiden Seiten auf den Bürgersteigen jubelnd hinabgeritten und hatten mit ihren Peitschen alle Fensterscheiben zerschlagen, die sie erreichen konnten. Man hatte sie erkannt und die Bürger hatten neue Scheiben bekommen, weiter strafte der Gouverneur freilich nicht.

Aber dieser übermüthige Junker saß hier ebenfalls fest, und bezahlen mußte er und wollte er, somit gaben sich die Meisten zufrieden, die grauhaarigen, ungebehrdigen Weiber zumeist. Es war doch ein Spaß, daß Einer mit seinem Pferde mitten in die zerbrechliche Waare sprang, ohne Geld und Schaden zu achten, das Kühne und Vermessene wirkte zugleich mit dem Ansehen vor diesen tollköpfigen ritterlichen Cavalieren, die von der gesammten Bevölkerung wohl mit Furcht und Scheu vor ihren gewaltthätigen Handlungen gegen Bürger und Volk betrachtet wurden, aber doch auch als die Elite des Heeres galten und was verschwenderisches Geldhinwerfen betraf, Schadenersatz für zerbläute Rücken und zerschlagene Köpfe, nichts zu wünschen übrig ließen.

Deswegen wurde auch hier die Unbill rasch von dem Gedanken vergütet, daß jenen gut bezahlt werden sollte. Der gnädige Herr hatte sich eine Lust mit den Töpferweibern gemacht, zu Schaden war Niemand gekommen als die Töpfe, deren Eigenthümer sich gratuliren konnten. Schreck, Aerger und Peitschenhiebe rechneten sie dem Offizier gewiß gehörig an, so entstand denn, als dieser vom Pferde sprang, ein Jubelgeschrei, das ihn bis in den Laden begleitete.

Schaff Er mir die Hexen vom Halse! rief der junge Herr, indem er Conrad Funk lachend und herablassend zunickte, und halt Er so mein Pferd ein paar Minuten. Wo ist mein Vater? – O, da ist er ja! fuhr er fort, in den offenen Laden hineinspringend, wo der Major ihm so eben entgegenkam.

Was machst du für verdammte Streiche, Ludolf?! rief der alte Edelmann, aber seine Mienen und Blicke drückten keinesweges Aergerniß darüber, sondern unverkennbares Vergnügen aus.

Auf Ehre! Papa, es ging nicht anders, antwortete der Offizier. Ich traf deine Equipage in der Nebenstraße, hörte von Klosmann wo du seist, fand aber keine Möglichkeit hier ans Haus zu kommen. Steg und Weg lag versperrt. Das Gesindel schrie und tobte, so blieb nichts übrig, als Bahn zu machen.

Haha! lachte der Major. Ein capitaler Einfall. Ein Soldat muß sich Bahn machen. Es sah prächtig aus, Funk. Donnerwetter, hast fest gesessen.

Es wird etwas Geld kosten, sagte Christian Funk.

Bezahlt muß es werden. Hast deine Börse noch in der Hand, Ludolf.

Was darin war, Papa, habe ich ihnen in die Mäuler geworfen. Aber der Mosjö hier aus dem Laden hat sich der Sache schon angenommen und wird den Handel abschließen.

Ein wackerer Junge! rief der Major. Es ist mein Pathe, Ludolf. Sein Vater hier war mein Feldwebel 1792. Leg er den Bettel aus, Funk, ich werd's ersetzen. Ich komme morgen wieder zu Ihm, wir haben noch mehr zu sprechen. Jetzt wollen wir fort, der Lärm wird hier sobald kein Ende nehmen. Heda, Klosmann – der Jäger hatte sich bis an die Thür durchgearbeitet – halt den Wagen bereit, ich komme gleich. Steig auf, Ludolf, und mach, daß du fort kommst. Haha! ist ein Hauptspaß für's ganze Regiment. Vorwärts, Lieutenant! Meinen Hut her, Funk.

Der Major hatte etwas zu viel von dem alten Franzwein in den Adern, sein Kopf war dunkelroth und seine Nase glänzte wie ein Rubin; er befand sich jedoch in der glücklichsten Laune. Was sein Sohn angestiftet, schien ihm ein ergötzlicher Schwank, der dem jungen Cavalier zur Ehre gereichte und den er mit Vergnügen bezahlte. Der Lieutenant empfahl sich ohne Umstände, indem er dem ehemaligen Feldwebel eben so herablassend zunickte, wie vorher dessen Sohn, dabei warf er einen Blick über den Ladentisch fort auf Jungfer Liesbeth, die allein ernsthaft geblieben war, auch keine Miene verzog, als der junge Offizier sie musterte; darauf eilte er hinaus, wo Conrad Funk das Pferd noch immer am Zügel hielt und beruhigende Zusicherungen austheilte.

Es ist gut, daß Sie kommen, mein Herr, sagte er zu dem Offizier. Da ist auch schon die Marktwache; reiten Sie fort und lassen Sie sich nicht mit ihr ein.

Es wird für jeden gut sein sich nicht mit mir einzulassen, antwortete der Lieutenant übermüthig umherblickend.

Ihr Pferd hat gesunde Füße behalten, versetzte Conrad, und aufgebracht ist Mancher, der Tritte und Stöße bekommen hat. Reiten Sie dicht hier am Hause entlang, dann dort hinüber gegen die Ecke hin, da ist Platz.

Danke! danke! sagte der Lieutenant, indem er sich aufschwang.

Als er dies that, erhob sich ein wildes Geschrei und es blieb zweifelhaft, ob es feindlich oder freundlich gemeint war. Aber der Offizier zeigte dem Haufen sein furchtloses lachendes Gesicht, grüßte und winkte mit der Peitsche, was Jeder nehmen mochte wie er wollte, ließ sein Pferd dann einen Satz über die Gossen machen, und wie das Thier sich aufbäumte, liefen Alle rechts und links aus dem Wege, daß eine freie Straße entstand.

So ritt er langsam unbehindert davon und Niemand hielt ihn an; nur eine Rotte Buben lief schreiend hinterher, aber auch diese zerstäubte, als das Pferd eine halbe Wendung machte. Eine Anzahl Männer blickte freilich finster genug hinterher, und alte Bürger schüttelten ihre Köpfe und sprachen, daß es immer ärger und schlimmer werde mit dem sündhaften Wesen; der Lieutenant jedoch sah verächtlich auf sie herunter und erst als er die Ecke erreicht hatte, setzte er sein Pferd in Galopp und verschwand.

Nachdem der Urheber des Auflaufs sich so empfohlen hatte und auch der Wagen mit den vier Sandhüpfern nachfolgte, wurde es den Marktmeistern und der Marktwache leicht, mit einigen Flüchen und Grobheiten das Volk zu zerstreuen. An den Lieutenant hatten sie sich nicht gewagt, denn Macht besaßen sie nicht über ihn, und Streit mit Offizieren bekam der Polizei jedesmal schlecht. Zudem war keine Ursach mehr sich einzumischen, da der junge Funk für jeden Schaden aufkam und die Beschädigten, damit zufrieden, sich in voller Thätigkeit befanden, ihre Rechnungen zusammenzustellen.

Nach einer halben Stunde war der Scherbenhaufen unter schrecklichem Lärm abgeschätzt, jedes Stück zum doppelten und dreifachen Werth zusammenaddirt, und endlich erklärte der Unverschämteste unter allen, achtzig Thaler sei das Wenigste, was bezahlt werden müsse. Obwohl nun Christian Funk bestimmt wußte, daß der vierte Theil vollkommen genug sei, zog er doch schweigend seine Kasse auf, legte die achtzig Thaler baar auf den Tisch und grinste dazu mit innerer Genugthuung.

Nehmt und theilt es christlich, sagte er, dieser letzte Markttag ist ein gesegneter geworden, also betet am nächsten Sonntag für die Herren Gensdarmen, daß sie Gott noch recht lange erhalte.

Die Leute lachten und wünschten, es spränge ihnen alle Tage Einer in ihre Töpfe, und ein Weib, das einen Peitschenhieb über die Backe bekommen, schrie jubelnd, daß sie dafür wohl zwei auf jede Bade jedesmal nehmen würde. Christian Funk schüttelte sich lustig und rief:

Prügel schaden Keinem etwas, dienen zur Gesundheit. Es ist schlimm genug, daß nicht mehr so viel geprügelt wird, als früher, davon kommt's verdorbene Blut und all' der neumodische Leichtsinn.

Er sah seinen Sohn mit verschmitzten Blicken an, welche deutlich ausdrückten, was er dachte, allein Conrad Funk blickte nachdenkend zum Fenster hinaus, auf die Scherben, welche auf einen Haufen gekehrt wurden.

Es ist doch eine Schande, sagte er, daß die Menschen sich das gefallen lassen, und noch schändlicher, daß sie zufrieden damit sind, wenn sie ein Stück Geld dafür bekommen und betrügen können.

O, du Narr du! lachte der Alte. Du hättest es Ihnen wohl nicht gegeben?

Ich hätte ihnen am liebsten gar nichts gegeben. Wenigstens nicht mehr, als ihnen gebührte.

Und hast ihm doch beigestanden, dem wilden Junker! rief Funk.

Beigestanden, ja. Als ich ihn sah, fiel es mir ein, daß ich als Knabe oft mit ihm gespielt habe. Er freilich hat's vergessen, ich nicht. Dann war's lustig zu sehen, wie er sein bäumendes Pferd bändigte und geschickt regierte. Endlich fand ich es nobel, daß er seine Börse ausschüttete, und wie ich die tobenden, fluchenden Menschen sah, drängte es mich ihm zu helfen, daß ihm kein Leid geschehe. Aber er hat sie geschlagen, das war Gewalt und Unrecht.

Bah! sagte Christian Funk, das liegt in der Art, die ist einmal so. Sein Vater hat es noch anders gemacht. In der ganzen Compagnie war Keiner, der nicht gefuchtelt wurde, doch dafür war er auch wieder mit dem Gelde bei der Hand und schmierte die blauen Flecke. So muß es sein, und darum soll er morgen auch nicht achtzig Thaler bezahlen, sondern wenigstens hundert, oder noch mehr.

Vater! rief der junge Mann erröthend, du wirst doch nicht –

Ich hab's gar nicht nöthig, ihm eine größere Rechnung zu machen unterbrach ihn der alte Mann. Denkst du, der Freiherr von Hochhausen läßt sich umsonst bedienen? der würde sich schämen, wenn ich kein Geld nehmen wollte.

Conrad schwieg, denn er sah wohl ein, daß sein Vater ihn auslachen würde, wenn er ihn bitten wollte, jeden Geldlohn zurückzuweisen.

Es sind stolze Leute, die vornehmen Leute! fuhr Christian Funk fort. Das Geld ist für uns da, die Ehre für sie, als ob sie immer Geld zu viel hätten. –

Er lachte in seiner Weise und warf den Zopf auf die andere Seite.

Es drückt sie aber meist bei alledem nicht allzusehr, fuhr er fort, und so kommen sie in Schulden und dann denken sie an uns. Hoho! denken auch an den alten Feldwebel, an den sie manches Jahr nicht mehr gedacht haben.

Er sah abermals seinen Sohn mit pfiffigen Blicken an, der noch immer unbeweglich blieb.

Sie schwärmen wieder einmal wie die Bienen hier zusammen, von allen Ecken, fuhr er fort, und die russischen Herren dazu. Das geht nun schon seit ein paar Jahren so in Saus und Braus. Die Säbel gewetzt, bald gegen den Engländer, bald gegen den Schweden und gegen den Franzos, jetzt aber heißt's wieder wie damals, 1792, müssen der Wirthschaft in Paris ein Ende machen! und sie thun, als ob sie schon drinnen wären.

Glaubst du, daß ein Krieg kommt, Vater, fragte Conrad.

Der Alte schwieg einen Augenblick, darauf sagte er:

Du brauchst dem Kalbfell nicht nachzulaufen, bist hier geboren, wo die Bürgersöhne frei sind. Wenn sie sich die Köpfe einschlagen wollen, mögen sie es thun. Strümpfe werden immer gebraucht, und auf alle Fälle hin habe ich gesorgt, habe so viel Garn und Vorräthe angekauft, daß wir's aushalten können, wenn es theuer wird. Zunächst hat's nichts zu sagen. Es geht ja den ganzen Winter über so lustig her, wie noch nie. Geld ist zu verdienen, es kann Keiner klagen, die Feste nehmen kein Ende. Heute haben sie wieder einen großen Maskenball in der Oper, obwohl die Zeit zur Handwursterei vorüber ist.

Während dieses Gesprächs hatte Liesbeth hinter dem Gitter gestanden und sich dort zu thun gemacht. Einmal hatte sie sich auch dem Schreibepulte genähert und dicht an demselben ein weißes gefaltetes Blatt aufgehoben, das an der Erde lag. Mit ihren spitzen Fingern hatte sie es leise geöffnet, hineingeschaut, gelesen was darin stand und es dann wieder fallen lassen, indem sie geräuschlos auf ihren Platz zurückkehrte.

In dem Augenblick nun, wo Christian Funk den Maskenball erwähnte, fuhr sein Sohn mit der rechten Hand in die Brusttasche seines Rockes, als suche er dort etwas, und schien zu erschrecken, da er nicht fand, was er vermißte.

Hast du was verloren? fragte der Alte.

Es ist nichts. Ein Bestellzettel, Alles schon abgemacht, antwortete Conrad, indem er eilig um den Ladentisch ging und das Papier dort erblickte, es aufhob und einsteckte.

Sein Gesicht hatte sich dabei erheitert, und indem er sich anschickte, Liesbeth bei ihrer Arbeit zu helfen, sagte er in froher Laune:

Die Einzige, die bei allen diesen lustigen Vorfällen ernsthaft geblieben, bist du, meine liebe Liesbeth; aber nun will ich dafür sorgen, daß du mich freundlich anschauen sollst.

Ich will's abwarten, antwortete die Jungfer. Zu helfen brauchst du mir nicht, sorge nur für dich selbst.

Recht, Mädchen, lachte der Alte. Sorge du für ihn. Willst du?

Das will ich, sagte sie.

Dann sorge zunächst, daß er nicht verhungert, und ich desgleichen, fuhr Funk fort. Zopf und Magen hängen mir schief. Ein Uhr vorbei, und die Suppe noch nicht auf dem Tisch! Seit Jahr und Tag ist mir das nicht passirt.

Liesbeth ging schweigend hinaus, und eine Viertelstunde darauf dampfte der Suppennapf im Hinterzimmer. Der Kaufmann und Feldwebel hielt sein Mahl, bei dem es heute munterer herging, als es zuweilen der Fall war. Funk schien von dem Besuche seines ehemaligen Majors wirklich erfreut zu sein und erzählte eine Menge lustiger und schrecklicher Historien aus der Zeit, wo er das Sponton getragen hatte.

Daraus ging aber auch hervor, daß der Freiherr von Hochhausen damals ein stolzer und rascher Herr gewesen, dem es auf gewaltthätige Handlungen nicht eben angekommen, aber auch ein Offizier, so recht vom alten Schlage, der sich vor keinem Teufel fürchtete. Und besser war er doch immer, denn manche andere Capitaine, die aus ihren Compagnien Goldgruben für sich machten, das Geld zum größten Theil für sich einsteckten, das für die Kleidung und Erhaltung der Soldaten ihnen gezahlt wurde, diese aber obenein in jeder Weise mißhandelten. Das hatte der Major niemals gethan, im Gegentheil war er alle Zeit großmüthig mit dem Geldbeutel, und Christian Funk kam immer wieder darauf zurück, daß es eine schöne Sache sei, mit solchem Herrn zu thun zu haben, der das Geld nicht besser achte, denn Heu.

Es kann aber dafür einmal dahin kommen, daß er ebenso wenig Heu wie Geld hat, fiel Conrad lachend ein.

Der Alte grinste ihn an und nickte. Es ist bei Manchen schon dahin gekommen, erwiederte er, und ist eine schlimme Sache für leichtsinniges Volt, das in's Gelag hinein den Herren borgt, wie dies oft geschieht. Es hat Mancher wohl dabei gedacht, ein gutes Geschäft zu machen, wenn er mit doppelter Kreide anschrieb, ist aber doch betrogen worden. Denn wenn die Herren auf Lehnsgütern sitzen, sterben, und es kommt an die Verwandten oder Lehnsvettern, bezahlen die keinen Groschen, oder, wenn Concurs ausbricht, ist nichts da, woran sich die Gläubiger halten können. Na, na! rief er, mit der Hand winkend und pfiffig lachend, wo sie ihr Ehrenwort geben, da muß das Geld geschafft werden, ginge auch der letzte Ziegel vom Dache, und mit meinem Major hat's noch einen guten Haken. Ich habe von ihm selbst gehört, daß das große Gut Lebin ein freies Familiengut ist, also hat kein Anderer Ansprüche daran, und der verstorbene Bruder soll ein genauer Herr gewesen sein, was man so einen Geizhals nennt. Ein Geizhals aber ist eine schöne Sache für Einen, der ihn beerbt.

Er lachte lustig auf und schien in seinen Gedanken Allerlei zu überlegen, Conrad aber stimmte ein.

Ein Geizhals hat selten Anderes zu erwarten, sagte er, als daß seine Erben ihn auslachen; und daß mein Jugendkamerad Ludolf sicher klein machen wird, was sein Vater etwa übrig läßt, ist auch nicht zu bezweifeln.

Christian Funk riß seine grauen Augen weit auf und betrachtete seinen Sohn so spöttisch, wie er es oft that.

Wer ein Narr ist, dem geschieht es darnach, sagte er. Nicht einen Pfennig sollte er haben, wenn ich sein Vater wäre. Ich wollte mein sauer Erspartes wohl vor dem Verschwender sichern, wollte ihm schon lehren, meinem Willen zu pariren und ein ordentlicher Mensch zu werden. Hoho! mir und meinem Zopf soll Keiner nachlachen.

Das Gespräch war ohne Zweifel auf einen gefährlichen Punkt gelangt, und der junge Funk hielt es für das Beste zu schweigen, aber sein Vater ließ ihn nicht so leicht entkommen.

Na, sagte er, es macht es ein Jeder nach seiner Art, und ist jedes Menschen Sache zu sehen, wohin er damit kommt. Ich habe mit dem Major auch von dir gesprochen. Er hatte es ganz vergessen, daß er dein Pathe gewesen, es kam ihm aber wieder in den Sinn, und im Herbst, wenn wir deine Hochzeit feiern, will er dabei sein! Soll uns große Ehre bringen, Conrad.

Ja wohl, Vater, antwortete der Sohn, und setzte dann langsam hinzu: Es ist noch lange hin.

Es wird ihm die Zeit zu lang! rief Christian Funk, und er sah nach dem Platze, wo Liesbeth gesessen hatte, doch die war schon hinausgegangen. Er wandte sich daher zu seinem Sohne zurück und fuhr fort: Wir können's abkürzen, wenn du's lieber hast.

Lassen wir es, Vater, bis die Zeit da ist, fiel Conrad etwas hastig ein.

Freust dich aber doch darauf?

Ich thue nach deinem Willen, Vater.

Gleich geh zu ihr und benimm dich artig. Es ist ein edler Schatz an Sitte und Ordnung. Sie hat was gegen dich wegen deines Umherschwärmens; mach's wieder gut.

Ich will's schon machen, sagte Conrad, denn er war froh, daß er gehen konnte.

Der Alte lachte vor sich hin. Die wird ihm den Kopf schon zurechtsetzen, murmelte er, aber so muß es sein.


3.

Endlich war der Tag vorübergegangen, der Laden geschlossen, und die Familie befand sich nach dem Abendessen beisammen in der Hinterstube. Christian Funk saß in dem großen Lehnstuhl behaglich ausgestreckt, die lange Pfeife im Munde, ein Deckelglas voll schaumigem Bier neben sich. Auf dem Tische stand in einem Leuchter von Messingblech ein ziemlich dünnes gezogenes Licht, das trotz alles fleißigen Putzens doch trübe genug, nach unsern jetzigen Erleuchtungsbegriffen, brannte. Es brannte jedoch hell genug, um Jungfer Liesbeth bei ihrer Näharbeit zu leuchten, und sie nähte mit Emsigkeit und so wunderbarer Schnelle, daß kaum die feine blitzende Nadel zu verfolgen war, wenn sie hoch und nieder flog und den glatten Faden nachzog.

Conrad saß an der dritten Seite des Tisches, hörte zu, was sein Vater vom Geschäft sprach, oder was morgen und nächstens geschehen sollte, gab Antwort darauf, oder richtete seine Rede auch wohl an die fleißige Nachbarin, welche einsilbig darauf antwortete oder gar nicht. Es entstanden lange Pausen, in welchen nichts sich hören ließ, als das einförmige Tick und Tack der Uhr an der Wand, und immer länger hefteten sich die Blicke des jungen Mannes auf Zeiger und Zifferblatt. Unruhig bewegte er sich, bald rechts, bald links, endlich aber faßte er in seine Tasche und zog ein dünnes Buch daraus hervor, das er halb verstohlen betrachtete, bis er es zuletzt auf den Tisch legte und darin zu lesen begann.

Einige Zeit über blieb sein Beginnen unbeachtet. Christian Funk hatte mit seinem Bier, seiner Pfeife und seinen Gedanken zu thun, und Jungfer Liesbeth nahm nicht die geringste Notiz davon. Plötzlich jedoch, als Conrad schon mehrere Blätter umgeschlagen, sah sein Vater zu ihm hin, und nach einer abermaligen Pause kam die Frage heraus, was in dem Buch stehe?

Es ist das letzte Werk des berühmten Dichters Schriller, sagte Conrad, das jetzt so oft auf unserm Theater aufgeführt wird.

Wie heißt der Mensch? fragte der Alte, und als sein Sohn den Namen wiederholt hatte, fuhr er fort: Wir hatten einen Corporal bei der Compagnie, der so hieß, auch ein Kerl, der allerlei Narrenspossen in seinem Kopf hatte.

Der wird's aber doch wohl nicht sein, Vater, lachte Conrad, denn dieser wurde geadelt kurz vorher, ehe er im vorigen Jahre starb, und obenein war er ein Professor.

Funk schwieg, dann fing er wieder an:

Wie heißt die Komödie?

Tell, sagte Conrad.

Til heißt sie, rief der Alte. Till Eulenspiegel.

Nein, nein, Vater! lachte Conrad noch lauter. Wilhelm Tell, das Stück ist eben erst gedruckt worden.

Wiederum folgte Schweigen.

Wie kommst du denn dazu? fragte Funk darauf. Hast die Narretei etwa gekauft?

Conrad zögerte mit der Antwort.

Gekauft habe ich das Buch nicht, sagte er dann, ein – ein Freund hat es mir geliehen.

Könntest deine Zeit auch wohl besser verwenden, fuhr der Alte etwas milder fort. He, Liesbeth, hör' doch an, Komödien hat er in der Tasche. Willst dir eine vorspielen lassen?

Mit Komödien habe ich nichts zu thun, versetzte sie.

Aber du wirst doch gern mit mir ab und zu in die Komödie gehen, wenn ich dich bitte? sagte Conrad sanftmüthig.

Warum nicht, wenn ich nichts Besseres zu thun habe, war ihre Antwort. Darauf ließ sie ihre Nadel fallen, sah ihn an und fragte: du gehst wohl öfter hin? Hast auch wohl schon den Wilhelm Tell gesehen?

Diese Frage kam so überraschend und wurde so bestimmt gethan, daß Conrad sich wie ein überführter Verbrecher der Wahrheit nicht erwehren konnte.

Allerdings, sagte er, ich habe den Wilhelm Tell gesehen.

Neulich erst, nicht wahr?

Ja, erst vorgestern Abend.

So wissen wir doch, antwortete Jungfer Liesbeth, wer die Freunde sind, die dich Abends in Beschlag nehmen.

Ih, du Elementer! rief Christian Funk, du läufst in die Komödie, verbringst da Geld und Zeit? Ein leichtsinniger Bube bist du. Einer, dem man die Ladenkasse nicht anvertrauen soll.

Aber Vater, sagte Conrad erröthend, ich werde doch so viel Willen und so viel Geld mir erlauben dürfen, um auch einmal in die Komödie zu gehen.

Was, sagte der Alte, indem er sich aufrichtete und den dicken Zopf in den Nacken warf, du willst noch räsonniren? Hast den Kopf voll Raupen, die müssen herausgebracht werden. Das kommt davon, wenn man daherstolzirt wie ein Truthahn und nicht weiß, wo man die Nase lassen soll. Aber daran ist deine Mutter schuld, die hat dich verzogen.

Wollte Gott, daß sie bei uns wäre! rief Conrad lebhaft, indem er das Buch zuschlug und einsteckte.

Sein Vater hörte nicht darauf.

Der fuhr's in den Kopf, einen neumodischen Sohn zu haben, sprach er weiter, der's Haar sich rund schneiden ließ, eine französische Narrenjacke mit langen Schößen auf den Leib zog und sogar Französisch lernte.

Gott segne meine Mutter dafür in ihrem Grabe! fiel Conrad ein, denn wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich unwissend bleiben mögen, wie ein Bauer.

Hoho! rief der Alte, so wärst nicht der Narr geworden, der du bist, sondern ein vernünftiger Mensch.

Ich bin vernünftig und erwachsen, Vater, sagte der Sohn heftig und gereizt, indem er vom Nebentische ein anderes Licht nahm und es anzündete.

So, bist du? versetzte Funk gelassen. Bist nächstens vier und zwanzig.

In dem Augenblick hob die Uhr aus und schlug neun.

Gute Nacht, Vater! Gute Nacht, Liesbeth! sagte Conrad, und wollte hinaus.

Gute Nacht! antwortete der alte Mann.

Aber halt, noch Eins! Ich will dir was mit auf den Weg geben. Du wirst von heut ab nicht aus dem Hause gehen, ohne es mir zu sagen, wirst deine Abende hier bei uns sitzen, wie es sich schickt, wenn du was lesen willst, so sind da die Bibel, die Postille und der Kalender. Alle die Narrenspossen hören auf, oder – wir hören auf, als gute Freunde zusammen zu bleiben.

Vielleicht wäre es so das Beste, sagte Conrad, indem er nach der Thür ging.

Hast dein Theil zu wählen! rief sein Vater ihm nach.

Mit hochrothem Gesicht stieg der junge Mann die Treppe im Seitengebäude hinauf, und als er in sein kleines, sauberes Zimmer gelangte, ging er mit fliegendem Athem auf und ab und drückte endlich beide Hände heftig vor seine Stirn. Die bedrängte Lage, in welcher er sich befand, war ihm nie so widerlich und unerträglich vorgekommen. Was er lange empfunden, daß zwischen ihm und seinem Vater eine Kluft liege, die sich nicht ausfüllen lasse, reizte ihn heut zu trotzigen Entschlüssen, sich nicht zu demüthigen, sondern Recht zum Widerstande zu behaupten.

Er konnte seines Vaters Denkweise nicht ertragen und fühlte eine Verachtung dagegen, die ihn in seinem Ungehorsam bestärkte. Die eigennützigen Gründe des alten Mannes, welche dessen Handlungen bestimmten, waren seiner edleren Natur ein Gräuel. Es war ihm nicht allein mancherlei bessere Lehre geworden, – denn auch bei der besten kann die Gesinnung eine gemeine bleiben, – sondern er besaß auch Anlagen des Geistes und des Herzens, die ihn über den Gefühlskreis seiner Verwandten erhoben, mit deren Begriffen von Rechten und Pflichten er sich unmöglich verständigen konnte.

Viele Bücher und Schriften verbreiteten damals neue Lehren, neue Gedanken, eine neue Poesie. Eine neue Sprache war zum Vorschein gekommen, und in dem sorgfältig verschlossenen Schranke verwahrte Conrad eine ganze Reihe literarischer Schätze, an denen er sich heimlich erfreute. Er besaß auch einige Freunde von der Schule her, die ihn weiter anregten und seinen Mißmuth darüber wach hielten, daß sein Vater ihm den Lebensweg abgeschnitten, der seinen Neigungen zumeist entsprochen hätte.

War die Aussöhnung auch zum Theil dadurch erfolgt, daß der Alte ihm erlaubte, sich modisch zu kleiden und seine freie Zeit nach Gefallen zu benutzen, so hatte in letzter Zeit das Verhältniß sich wieder erschwert, als Funk seinen bestimmten Willen kund gab, daß Jungfer Liesbeth seine Schwiegertochter werden sollte. Es war dies freilich schon als Conrads Mutter noch lebte eine begünstigte Familiensache gewesen, und niemals hatte Conrad selbst dagegen etwas eingewendet. Liesbeth war ein von allen Menschen belobtes, fleißiges und ehrbares Mädchen, ein wahrer Schatz und ein wahres Musterbild, wie seine Eltern versicherten, und als die Mutter starb, stand sie trotz ihrer Jugend dem Hause und dem Geschäfte mit solcher Umsicht und solcher Treue vor, daß ihr Ruhm noch weit höher stieg.

Conrad erkannte alle diese schönen Eigenschaften um so mehr an, da Liesbeth ihm auch sein Theil davon zuwandte, denn sie sorgte für ihn, wie für Alle. Seine Wäsche war so sauber gewaschen, daß kein Tadler ein Fleckchen finden konnte, ihre Nadel immer in Bewegung, ihr Auge überall, ihr Ordnungssinn immer wach und ihre Hände immer thätig; allein wie wohlthuend dies auch sein mochte, es dauerte nicht lange, so wurde es ihm mehr und mehr lästig. Liesbeth beaufsichtigte ihn und verband sich dazu mit seinem Vater, und statt sich ihm inniger anzuschließen und beizustehen in mancherlei kleinem Streit, sagte sie ihm in ihrer trockenen Weise, was man die Wahrheit sagen nennt.

Wäre dies nicht gewesen, so hätte er die ehrbare Jungfer wohl leiden mögen, denn häßlich war sie nicht, aber vor ihrem ernsthaften Wesen und ihren durchdringend klaren Augen empfand er zunehmende Scheu. In der letzten Zeit war diese aber noch höher gestiegen, Liesbeth sprach fast immer einsilbig und abweisend; er fürchtete sich heimlich und hatte auch Grund dazu. Denn wenn sie wußte, was sie nicht wissen sollte, fehlte es nicht an Ursach böse zu sein; allein zum Glück wußte sie wirklich nichts, denn sonst hätte sie nicht dazu geschwiegen.

Als er aber jetzt daran dachte, wie sie sich in den Streit mit seinem Vater gemischt, und wie sie ihn angeblickt, als er nicht leugnen konnte, daß er heimlich die Komödie besucht, überfiel ihn ein Erschrecken. Hastig griff er in seinen Rock und zog aus der Tasche den gefalteten Zettel hervor, den er beinah verloren und dort geborgen hatte. Dann beugte er sich zu dem Lichte, schlug ihn auf und blickte hinein, sah scheu umher und horchte darauf; als sich nichts rührte, las er nochmals, was er heimlich heut wohl schon ein Dutzend Mal gelesen. Und hiervon veränderte sich sein Gesicht, das allen Unmuth abstreifte und sich mit Glück und Freude füllte.

Es stand in diesem Zettel mit steilen, langen und ziemlich schiefen Buchstaben Folgendes geschrieben:

»Gestern habe ich Sie nicht sehen können, denn meine chère Tante hielt mich fest, also haben Sie vergebens gewartet. Aber heute gehe ich auf den Maskenball in der Opera, und Sie müssen dorthin kommen; Sie sollen mich antreffen, und wenn Sie galant sind, aimable Monsieur Conrad, will ich auch mit Ihnen tanzen. Sie sollen einen blauen Domino haben, den bekommen Sie bis Mitternacht, und noch später am Schloßplatz in dem Maskenladen, und wenn Sie eine rothe Fledermaus sehen mit schwarzen Bändern, die eine Rose in ihrer Hand hält, so sagen Sie: Hat deine Rose auch Dornen, mein allerliebstes Mäuschen? Worauf ich antworten werde: Du mußt es versuchen. Adieu, Herr Conrad, um zehn Uhr fahre ich.«

Er ließ den Zettel sinken und lauschte. Die Treppenstufen knarrten, Liesbeth ging draußen an der Thür vorüber nach ihrer Kammer auf der anderen Seite der Flur, und leise hob er seine Hand auf, lachte spöttisch und sprach dabei:

Wenn sie mich bei einem Ohr fest hielte und mein Vater beim anderen, und wenn sie morgen alle Beide schrieen: hinaus mit dir, wir gehören nicht mehr zusammen! ich käme doch, du allerliebstes Mäuschen, und ließe dich nicht warten, geschehe was da wolle!

Und diesem Entschlusse folgend, löschte er das Licht aus und setzte sich auf sein Bett mit heißen Augen und wachsamen Ohren in die Finsterniß forschend. Die lieblichsten Vorstellungen umschwebten ihn, und seine Ungeduld stieg mit jeder Minute. Er hatte noch niemals einen Maskenball besucht, obwohl er von solchen wunderbaren Festen vielerlei märchenhafte Geschichten gehört hatte. Maskeraden waren damals ein allgemein beliebtes Wintervergnügen in Berlin. Der Hof erschien dabei, es wurden Festzüge aufgeführt und Quadrillen getanzt. Die schöne, huldvolle Königin Louise war auch hierbei die Sonne alles Glanzes und aller Freude. Das Alles sollte und wollte der leichtsinnige junge Mensch nun schauen und genießen, aber er dachte fast nur an die rosenrothe Fledermaus, und nichts schien ihm gewisser, als daß er sie auf der Stelle finden und erkennen werde.

In seiner Ungeduld stand er zehnmal auf und setzte sich wieder nieder, denn er besann sich dann, daß er nothwendig noch warten müsse. Als es jedoch zehn Uhr geschlagen hatte, ließ er sich nicht länger halten. Es zeigte sich nun, daß Herr Conrad zu solchen geheimen nächtlichen Ausflügen auch vorbereitet war und gewiß nicht zum ersten Male sich darin versuchte. Er holte einen gewichtigen Hausschlüssel aus dem Schranke, dazu eine kleine Blendlaterne mit einem Wachslichte, und als er mit Hut und Roquelaux Das Wort existiert so nicht; frz. roquelaure, eingedeutscht ›Roquelor‹, bezeichnet einen schweren Wollmantel, insbesondere in Form eines Radmantels ohne Ärmel. – In der der Schreibung Roquelor und Roquelaure erscheint das Wort an früheren Stellen dieser Ausgabe; es ist daher hier von einem Druckfehler auszugehen. sich versehen, öffnete er unhörbar sein Zimmer, ließ einen schmalen Lichtstreif auf die Treppe fallen, blieb horchend stehen und musterte die Umgebung, ging aber dann, als nirgend sich ein Hinderniß zeigte, wie mit Katzentritten weiter. Er kannte jede Stufe der Treppe und vermied jedes Geräusch.

Endlich drehte sich der Schüssel im Schlosse, und dies war so gut geölt, daß die Feder auf's Sanfteste sich zurückzog. Nun war er draußen, die Thüre wieder verschlossen, die Laterne ausgelöscht und verborgen, und eine Minute darauf nichts mehr von ihm zu erblicken. Man hatte in jener Zeit von dem verrätherischen Licht der Straßenlaternen nichts zu befürchten, denn die matt glimmenden Oelflämmchen störten in weiten Zwischenräumen die dort lagernde Finsterniß nicht.

Conrad Funk hielt sich auch nicht mit unnützen Betrachtungen über sein Unterfangen auf, machte sich davon wie ein Gefangener, der aus seinem Kerker entsprungen, und näherte sich auf dem kürzesten Wege seinem Ziele, dem Laden des jüdischen Maskenverleihers. Nur einige Male stand er still, um verschiedenen Karossen nachzublicken, die an ihm vorüberrasselten. Die schwerfälligen Kasten stimmten zu dem holprigen Pflaster und zu den riesigen Laternen, welche an lang vorspringenden Armen voraufleuchteten. Einer kam mit vier Pferden bespannt, zu beiden Seiten Fackelträger zu Pferde, in glänzenden Röcken und Federhüten. Das mußte ein vornehmer Herr sein.

Beim Feuerschein erblickte Conrad ein paar Damen hinter dem Glasfenster, und da die Eine, wie er glaubte, in ein rothes Gewand gehüllt war, gerieth sein Blut in Bewegung. Es war ihm, als sei es seine Angebetete, er hätte auf der Stelle nachlaufen mögen; da das jedoch nicht anging, trat er um so eiliger bei dem Maskenverleiher ein, um zu begehren, was er brauchte. Und wirklich fand er alsbald einen stattlichen blauen Domino, sammt einem Hut mit Tresse und Federn, und da er nicht handelte, sondern das Geld hinwarf wie ein Cavalier, nannte der Verleiher ihn gnädiger Herr und fragte, ob er den Wagen gesehen hätte mit den Jägern zu Pferde und den Fackeln, die alle gehörten dem Herrn Baron von Quast. Daß er geliefert hätte für viele fremde, hohe Herrschaften Masken und Anzüge, und daß eine rare Pracht beisammen sein würde; Gott's Wunder! um anzuschauen die großen Quadrillen von den Gärtnern und Grenadieren, welches aber wären die nobelsten Herren und Damen vom Hofe.

Mit diesem Bescheide und nachdem er dem Juden hinreichendes Pfand für das Geliehene hinterlassen, verfolgte Conrad seinen Weg nach dem Opernhause; je mehr er sich aber diesem Schauplatze der Lust näherte, um so lebhafter wurde die Scene. Es gab damals nicht allzuviele Miethfuhrwerke in Berlin, was jedoch zu haben, schien an diesem Abende in Thätigkeit zu sein.

Eine doppelte Reihe von Wagen aller Art bewegte sich dem Ziele zu, um ihren bunten Inhalt zu entladen, dazwischen rasselten die Karossen der vornehmen Welt, welche sich nicht an die Reihe und Glied-Ordnung kehrten, endlich kamen auch nicht wenige zu Fuß mit Masken und Hüten, Herren wie Damen, die keine Wagen bekommen hatten, oder bei dem schönen, klaren Wetter sich nicht sonderlich darum bemühten.

Das war nichts Ungewöhnliches und nichts Auffälliges. Die Maskenbälle konnte jede anständig gekleidete Maske besuchen, der Eintritt war frei, da jedoch die Kosten nicht unbedeutend aufliefen, und der ehrsame Bürger nicht gern da sich befand, wo die übermüthigen jungen Cavaliere oft tolle Späße und Neckereien ausführten, so hüteten sich die meisten davor, in solche Versuchung zu gerathen.

Große Feuerbecken brannten auf dem Platze vor dem Hause, und eine Abtheilung der Polizeiwache zu Pferde und Fuß hielt die Ordnung außen und innen aufrecht. Die Volksmasse bildete zwei lange Spaliere, zwischen denen die Masken eintreten mußten, und sie empfing jeden Wagen, aus dem irgend ein seltsam ausgeputztes abentheuerliches Wesen zum Vorschein kam, mit unermeßlichem Jubelgeschrei, oder mit Hohn und Gespött, je nachdem es ihr behagte.

Am unbemerktesten schlüpften die Dominos hinein, und mitten in einem solchen Schwarm wurde auch Conrad durch die Vorthüren in das Gebäude gehoben, wo er in einer Garderobe sich seines Ueberflusses entledigte und dann eilig weiter vordrang, um den großen Festsaal zu erreichen, aus welchem rauschende Tanzmusik ihm entgegenscholl.

Aber welch Anblick erwartete ihn hier! Die wunderlichste, fabelhafteste Welt that sich vor ihm auf. Türken, Griechen, Juden, Spanier, Matrosen, Quacksalber und Marktschreier, Harlekins und Pantalons, Columbinen und Gärtnerinnen, Zwerge und Riesen, picklige, narbige, entsetzliche Köpfe und Fratzen, Menschenfresser und Indianer, fürchterliche Mäuler und Nasen mit zehn Auswüchsen kamen ihm entgegen und grinsten, grunsten und schnatterten ihn an. Ein Chaos von feinen und groben Stimmen, von Gelächter, Gepfeife und Geschnarre füllte den ganzen weiten Saal.

Ein Jeder suchte an den Anderen seinen Witz zu prüfen, in tollen Fragen und tollen Antworten sich zu überbieten und die Verlegenen mit Spott zu überschütten. Hier wurden einzelne Masken verfolgt und festgehalten, umringt und umtanzt, dort befreite sich Einer durch einen Einfall, der die Lacher auf seine Seite brachte, da hatte ein Schelm einen Einsiedler und eine Nonne mit ihren Kleidern zusammengeheftet, zum größten Jubel seiner übermüthigen Genossen. –

Conrads Augen spähten inzwischen suchend umher. Er kam sich vor wie in einem Narrenhause, aber er fand dies lustige Getümmel doch gar nicht übel, hätte er nur erst die rothe Fledermaus entdecken können. Es fehlte keineswegs an solchen, und je weiter er vordrang, um so hitziger wurden seine Nachforschungen. Ganze Ketten verschiedenartiger Fledermäuse liefen ihm Hand in Hand entgegen und ließen ihr pfeifendes Prr! Prr! hören. Er sah ihnen so forschend in die Masken, als wollte er durch und durch sehen, und suchte nach dem Rosenzweig in ihren Händen, ohne einen solchen finden zu können. Sein Benehmen erregte Aufsehen und Gespött, und endlich war er von einer ganzen Schaar eingeschlossen. Zwei, drei rothe Mäuschen sprangen an ihn.

Wen suchst du denn, mein schöner Domino? Suchst du mich? pfiff die Eine im feinsten Discant.

Oder suchst du mich? piepte die Zweite.

Nein, mich, süßer Ritter, ich bin es! fiel die Dritte ein.

Ich! Ich! schrie der ganze Chor, und er wußte nicht, wie er entrinnen sollte, als er plötzlich in dem äußeren Kreise eine aufgehobene Hand erblickte, die ihm zwei Rosen an einem Stiele zeigte.

Mit einem Anlauf befreite er sich, und ohne Besinnen schob die Rosenträgerin ihren Arm in den seinen und führte ihn fort, ohne auf die höhnenden verfolgenden Fledermäuse weiter zu achten.

Soll ich noch fragen, ob mein allerliebstes Mäuschen Rosen ohne Dornen hat? flüsterte er ihr zu.

Ich glaube, daß es überflüssig ist, erwiederte die Fledermaus mit der schwarzen Seidenmaske zu ihm aufnickend, denn der galante Herr Conrad wird die Dornen wohl schon empfunden haben.

In meiner Sehnsucht nur allzusehr, war seine Antwort. Gestern habe ich den ganzen Abend vergeblich gewartet und heut –

Heut habe ich Sie doch entschädigt, mon cher ami, unterbrach sie ihn. Mitten durch die Töpfe und Lampen bin ich bis zu Ihnen gedrungen, ohne schreckliche Gefahren zu achten.

Dafür möchte ich mich Ihnen zu Füßen werfen! sagte Conrad ihre feine Hand pressend.

Nur nicht hier, nur nicht sogleich! versetzte sie in lustigem Tone. Aber haben Sie heut oft an mich gedacht?

Nur an Sie, an Sie allein, meine Theuerste, und meine einzige Sorge, die mich verfolgte, war –

Daß der Herr Papa mit dem dicken Zopf einen Strich durch unsere Rechnung machen könnte, oder Jungfer Liesbeth.

Nein, nein! fiel ihr Conrad ins Wort, daß ich Sie nicht entdecken würde, daß es mir so gehen könnte, wie gestern.

Pfui, Herr Conrad, haben Sie so wenig Vertrauen zu mir? Habe ich nicht selbst Betrübniß genug darüber empfunden, Ihre aimable Gesellschaft entbehren zu müssen?

Hat es Ihnen denn wirklich leid gethan? fragte er entzückt.

Gewiß hat es mir leid gethan, sehr leid gethan, einen so artigen jungen Herrn von feiner Conduite, der meine geringe Person mit so vieler Theilnahme beglückt, vergebens warten zu lassen. Doch ich schwöre Ihnen, es ging nicht anders, und ich hoffe, daß Sie mir glauben, Monsieur Conrad.

Ach! erwiederte er mit einem zärtlichen Seufzer, was gäbe es in der Welt, das ich Ihnen nicht glaubte, meine schöne liebenswerthe Freundin.

Nun wahrhaftig, rief sie lachend, das ist mehr, als ich beanspruchen darf, mein schöner Herr, aber für Ihre Artigkeit sollen Sie, wie ich es versprochen habe, belohnt werden. Führen Sie mich zum Tanze, wenn ich auf diese Ehre Anspruch machen darf.

Conrad ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Sie waren zu einer Stelle gelangt, wo sich ein Kreis von tanzenden Paaren gebildet hatte, und mit einem heißen Gefühl inniger Dankbarkeit erinnerte sich Conrad seiner verewigten Mutter, die ihm noch in der letzten Zeit ihres Lebens Erlaubniß verschafft hatte, Tanzunterricht zu nehmen. Jetzt drehte er sich mit der rosigen Fledermaus in einem raschen Walzer, und mit Entzücken umschloß er ihren schlanken Leib und fühlte wonnig berauscht ihr Athmen unter seinen Fingern.

Es war ohne Zweifel eine ausgezeichnet leichte und sichere Tänzerin, allein nach kurzer Zeit schon erklärte sie, daß es genug sei.

Ich habe den Tanz nie recht leiden mögen, sagte sie, obwohl ich öfter dazu gelange, als mir lieb ist. Gehen wir dort hinab. Man hat dort mehrere artige Blumengrotten eingerichtet. Setzen wir uns und plaudern, so lange es angeht. – Bald genug werde ich Sie verlassen müssen.

Verlassen müssen? fragte er erschrocken.

Leider ja.

Darf ich Sie denn nicht begleiten?

Das würde sich nicht für Sie schicken.

Nicht für mich schicken?

Gewiß nicht. Die Gesellschaft, in welche ich Sie bringen müßte, würde nicht nach Ihrem Geschmack sein.

Wo Sie, meine Angebetete, sich befinden, rief Conrad mit Feuer, indem er sich neben sie in ein Bosket von Blumen und Blüthen setzte, wird die Gesellschaft immer meinem Geschmack entsprechen.

Die rosige Fledermaus schwieg einen Augenblick, dann aber fing sie leichtsinnig zu lachen an.

Ich danke Ihnen voll tiefer Ergebenheit, mein artiger Herr, sagte sie, aber da Sie mir Alles glauben wollen, was ich sage, so glauben Sie mir auch, daß es durchaus nicht angeht. Sie wissen nicht, wer ich bin.

Nein, meine Theuerste, rief Conrad, leider haben Sie mir dies grausam bis jetzt verschwiegen, doch wer Sie auch sein mögen –

Halten Sie ein! unterbrach sie ihn, wenn Sie es wüßten, würden Sie davor erschrecken.

Gewiß nicht, niemals! antwortete er energisch, aber das Herz klopfte ihm dabei. Sie sind so schön, so gut, und wenn Sie einem Stande angehören, der etwa –

Er hielt inne, denn er wagte nicht, es auszusprechen, was er sagen wollte.

Fahren Sie fort, sagte die rothe Fledermaus.

Einem Stande, der – der die mißgünstigen Vorurtheile der Menschen hervorruft –

In der That – O, Sie haben Recht!

Aber ich verachte diese Vorurtheile!

Wirklich?

Ich schwöre es Ihnen! Ich schätze mich glücklich, auch wenn – wenn Sie –

Nun, wenn ich –

Wenn sie auch eine Schauspielerin oder dergleichen sind! rief Conrad muthvoll, indem er ihre schmale kleine Hand küßte.

Sie ließ es geschehen, obwohl sie Anfangs heftig zuckte, dann aber brach sie wieder in ihr leichtsinniges Lachen aus.

So ist es denn wirklich heraus, sagte sie. Ja, ich bin eine Schauspielerin und dergleichen, aber nur eine Anfängerin, obwohl vielleicht mit einigem Talent.

Und Sie haben mir Ihre Theilnahme zugewandt, fiel er ein.

Das habe ich wirklich. Aber, ach! was soll daraus werden, Herr Conrad?

Alles was Sie wollen, meine angebetete Freundin.

Stille, Herr Conrad, stille! Bedenken Sie doch, was würde der grimmige Papa dazu sagen! Wie würde er den Zopf werfen!

Ich frage nicht darnach.

Und Mademoiselle Liesbeth mit den blaßblauen Madonnenaugen? Bedenken Sie deren Verzweiflung!

Es überkam ihn ein Schauer bei dem Namen; es war, als ob Liesbeth mit ihren strengen festen Blicken ihn anschaute.

Eine Komödiantin! es ist köstlich! rief die schelmische Fledermaus, wie würde die hochachtbare Jungfer mich tractiren! Bei allen meinen Privilegien müssen wir dennoch uns vor der Sünde hüten. Wir müssen es wohl bedenken, mein schöner Herr, welch Unglück daraus entstehen kann, und ich bitte Sie, bis wir uns wiedersehen, wohl zu überlegen, daß zwischen meinem Stande und dem Ihren eine Kluft liegt, die ausgefüllt werden muß, wenn wir nicht Beide hinein stürzen wollen.

O meine theuerste Freundin! rief Conrad, indem er von Neuem ihre Hände ergriff, nichts soll mir zu schwer und unmöglich sein. Ich will Alles thun, was Sie mir befehlen.

In dem Augenblick näherte sich eine Maske in einem Gärtneranzuge, sehr kostbar von grüner Seide mit goldenen Blumen gestickt. Als er in das Bosket blickte, blieb er stehen, fixirte die Fledermaus und sagte zu einem ihm nachfolgenden Grenadier Friedrichs des Großen:

Der Hof ist so eben gekommen. Ich weiß nicht mehr, wo ich suchen soll. Geh dort hinüber, Quast, ich will an dieser Seite bleiben.

Wohlan, sagte die Fledermaus aufstehend, da ich befehlen soll, so befehle ich Ihnen hier zu bleiben, bis die Quadrillen beginnen. Dann gehen Sie vor die königliche Loge und schauen dort den Tänzen zu.

Sie werden doch wiederkommen, meine Angebetete! flehte Conrad.

Ich denke bald. Adieu.

Eine Bitte noch. – Er hielt sie fest. Weiß ich doch nicht einmal Ihren Namen.

Wenn ich wiederkomme, sollen Sie Alles erfahren, rief sie, machte sich frei und eilte in den Saal, wo sie schnell verschwand.

In welcher Aufregung blieb der junge Mann zurück! Eine Schauspielerin war also seine Schöne, er hatte es geahnet und sie hatte es ihm bestätigt; doch seine Leidenschaft überfluthete alle Bedenken, welche aus diesem Namen hervorkrochen. Sein Vater fiel ihm ein, und wie der Zopf mit fürchterlicher Gewalt von einer Seite zur andern flog, sein Hohngelächter dazu, und wie Liesbeth sagte: Mit Komödianten habe ich nichts zu schaffen! Es half Alles nichts.

Und wenn ich selbst unter die Komödianten müßte, oder wer weiß wohin, murmelte er, ich wollte nicht weichen! Wäre sie nur erst wieder hier. Könnte ich ihr sagen, was ich denke und empfinde. Ich habe allzuwenig von meinem Herzen und was darin steht gesprochen.

Hier wurde er unterbrochen, denn im Saale verdoppelten sich Lärm und Getümmel, Alles drängte sich dem Raume vor der königlichen Loge zu, und als Conrad aus dem Bosket heraustrat, sah er die große Loge mit den glänzenden Herren und Damen des Hofes gefüllt. Der König stand mit seiner schönen Gemahlin vorn an der Brüstung, umringt von Prinzen und Prinzessinnen sammt hohen Gästen; unten aber wurde mit Hülfe eines rothseidenen Seiles ein freier Raum geschaffen, und in diesem begann nun die erste Quadrille der Grenadiere Friedrichs des Großen und der Marketenderinnen.

Viele charakteristische und belustigende Tanzfiguren, Gruppen und Stellungen wurden von allgemeinem Beifall begleitet. Jedermann wußte, daß diese Tänzer und Tänzerinnen der vornehmsten Gesellschaft angehörten; die Grenadiere von Offizieren der Garderegimenter dargestellt wurden, welche ihre militairische Haltung und Gewandtheit dabei in Anwendung brachten, was in anmuthiger Weise geschah. So steigerte sich der Beifall denn auch immer mehr, als jedoch die Schlußtour begann, wobei die Grenadiere ihre Waffen zogen und an einander klirrten, die Marketenderinnen ihnen große preußische Cocarden anhefteten und preußische Schärpen schwangen, brachte dies eine elektrische Wirkung hervor.

Die Zeit war schon in heftiger Bewegung, der Kampf Preußens gegen den übermüthigen Franzosenkaiser wurde von den kriegerischen Cavalieren sehnlich herbeigewünscht und die Bedächtigkeit des Königs und seiner Staatsmänner auf's Bitterste verspottet und verlästert. Graf Haugwitz hatte wenige Monate vorher mit dem Kaiser Napoleon die unheilsvolle Convention in Wien abgeschlossen und leitete wiederum die auswärtigen Angelegenheiten. Die Unzufriedenheit war allgemein, als daher jetzt die Grenadiere des großen Friedrich ihre Waffen und ihre Feldzeichen schwangen, erscholl ein stürmischer Jubelruf, selbst in den Umgebungen des Königs, der mit unmuthigem Gesicht sich abwandte, obwohl die schöne Königin ihn freudig und bittend anblickte.

Aber dieser aufregenden Quadrille folgte rasch eine andere, welche den Sturm versöhnte. Kaum hatten die Grenadiere sich entfernt, so erschien statt ihrer eine Schaar Gärtner und Gärtnerinnen, die den lieblichsten und friedlichsten Anblick gewährte. Die Herren ganz so gekleidet, wie Einer von ihnen vorher an dem Bosket erschien, die Damen in weißen Atlasröcken und grünen, auf's Reichste mit Goldstickerei verzierten Miedern. Ihre Doppelzöpfe waren mit Perlenschnüren durchwunden und in goldigen Körbchen trug jede eine Fülle der schönsten Blumen.

Von dem Strome der drängenden Masken fortgeschoben und gestoßen, gelangte Conrad bis dicht an das rothe Seil und schaute mit Bewunderung auf die lieblichen Erscheinungen, welche feenhaft an ihm vorüber schwebten. Plötzlich jedoch wurden seine Augen gefesselt von der reizenden Tänzerin, welche ihm gegenüber stand. Es kam ihm vor, als ob ihre Augen unter der schwarzen Halbmaske sich auf ihn richteten, als ob sie ihm zugenickt hätte. Es war eine leichte feine Gestalt, ihre Bewegungen voll Anmuth, sie wiegte ihren Kopf so schelmisch, wie, wie – und von derselben Größe schien sie zu sein, und ihr Haar so dunkelblond, reich und schön – sein Herz gerieth in ein Zittern. –

Aber welche Narrheit überfiel ihn? Wie wäre dies möglich gewesen! Diese Damen gehörten ja sämmtlich zu den ersten Familien, und sie, die Schauspielerin – er mußte lachen da, puff! flog ihm ein Blumensträußchen in's Gesicht. Die Gärtnerinnen warfen ihre Blumen aus den Körbchen nach allen Seiten, die liebliche Schöne hatte ihn geworfen. Der Strauß fiel in seine Hand, welche schnell darnach haschte, es steckte eine Rose darin.

Dieser Zufall vermehrte seine Betroffenheit, allein die Blumen flogen überall hin. In die königliche Loge, auf die Zuschauer, unter ihre Füße. Es entstand ein Jauchzen, ein Drängen und Greifen, und wie Conrad in diesem Taumel die Gärtnerin mit seinen starren Blicken verfolgte, wurde er plötzlich zurückgestoßen und verlor seinen Platz.

Damit verschwand auch die Täuschung. Es war widerlich zu sehen, wie diese Larven sich umherstießen, wie sie sich die Blumen entrissen, welch ein rohes Getümmel entstand, das den vornehmen Leuten zum Spott diente. Conrad entfernte sich immer weiter davon, und das Sträußchen verbergend sagte er:

Sie soll es haben, und wenn sie kömmt, will ich ihr sagen, welche wunderbaren Einbildungen – das Wort stockte auf seinen Lippen, denn indem er in das Bosket blickte, sah er die rosige Fledermaus schon dort auf ihrem Platze sitzen und ihn erwarten.

O meine theuerste, schönste Freundin! rief er, wie glücklich bin ich, Sie hier anzutreffen, und wie herrlich ist es, daß Alles sich zu der Quadrille drängt. Nun können wir ungestört uns aussprechen und ich kann Ihnen sagen, wie mein Herz ganz von Ihnen erfüllt ist. Ja, so erfüllt, fuhr er lachend fort, daß ich auf dem Wege bin, närrisch zu werden, was ich Ihnen sogleich beweisen will.

Er nahm die Larve von seinem erhitzten Gesicht und fuhr dabei fort:

Das ist auch in Wahrheit ein durchaus närrisches Vergnügen, allein bin ich nicht eigentlich schon seit drei Tagen auf einem Maskenballe? Vor drei Tagen traf ich Sie zuerst, als der Wilhelm Tell gegeben wurde, das Stück zu Ende war. Sie hatten Ihre Begleiterin vergebens erwartet, waren allein und ich hob Ihnen das Buch auf, das Ihnen entfiel. So wunderbar wurden wir bekannt; aber nein, Sie kannten mich schon. Als ich mich Ihnen nannte, versicherten Sie, mich längst zu kennen und ich durfte Sie begleiten, obwohl Sie mir weder Ihren Namen noch Ihre Wohnung vertrauen wollten; nicht einmal den Schleier wollten Sie von Ihrem Gesicht entfernen. Ich mußte Sie verlassen, doch am nächsten Abend durfte ich wiederkommen und Sie gaben mir Ihr Buch zum Pfande, den Tell, der seinen Schwur hielt. Ist das nicht ein langer Maskenball, rief er feurig näherrückend, doch nun ist es damit vorbei. Vieles weiß ich, und was ich nicht weiß, haben Sie mir zu sagen versprochen, sobald wir uns wiedersähen. – Nun habe ich Sie, und Nichts soll uns mehr trennen. O! wie fest diese Händchen drücken können, wie liebreizend Sie sind! Nun erhören Sie, Theuerste, auch meine innige Bitte: Nehmen Sie die neidische Larve fort, lassen Sie mich Ihr holdes Gesicht sehen.

Die Fledermaus hatte bewegungslos zugehört, als er jedoch nach der Larve faßte, machte sie eine abwehrende Bewegung.

Sie müssen! Sie müssen! rief er. Sie haben es mir versprochen.

Mit einer Hand hielt sie seinen Arm fest, mit der anderen zog sie die schwarze Maske fort, und es war, als kehrte plötzlich der ganze Saal sich um und stürzte über ihm zusammen. Wenn sie seinen Arm nicht so fest gehalten hätte, würde er die Flucht ergriffen haben, doch in der nächsten Minute schon fehlte ihm auch dazu der Muth. Es war unglaublich, unerhört, und doch war es kein Schatten, kein Hexenspiel – es war Liesbeth!

Mit ihren klaren großen Augen, ihrem ernsthaften Gesicht, in dem sich keine Miene verzog, nicht einmal ein boshaftes oder mitleidiges Lächeln über seine grenzenlose Bestürzung sichtbar wurde, sah sie ihn an, wie der Richter den Verbrecher. Einen Augenblick verwirrten sich seine Gedanken so sehr, daß er alles Erlebte für Trug und Täuschung hielt, daß er glaubte, Liesbeth sei es immerdar gewesen, die ihn seit drei Tagen getäuscht, dann aber faßte er an seinen Kopf und rief erstickt:

Bist du es denn wirklich? Darauf scheu umherblickend: Wo ist mein Vater?!

Du kannst dich beruhigen, antwortete Liesbeth mit ihrer gewöhnlichen Gelassenheit. Dein Vater weiß nichts und wird nichts davon erfahren.

Aber du – du! fuhr Conrad fort, er wußte nicht was er sagen sollte.

Ich bin, wie du siehst, hier, sagte Liesbeth, und wie ich hierher gekommen, soll dir nicht verborgen bleiben. Ich fand und las den Zettel, den deine »Angebetete« dir heut' zusteckte und den du verloren hattest.

Allein bist du hier, ganz allein? fragte er noch immer voller Verwirrung.

Ich fürchte mich nicht, denn ich bin auf guten Wegen. Als ich dich fortschleichen hörte, folgte ich dir nach, und in dem Zettel hatte ich gelesen, was zu thun sei. Ich wollte wissen, was mit dir geschah.

Du sollst Alles wissen, Liesbeth! flüsterte er und faßte nach ihrer Hand.

Sie zog sich von ihm zurück und stand auf.

Ich will nichts wissen, denn ich weiß genug. Komm!

Wohin?

Nach Haus, sagte sie, hier sollst du nicht länger bleiben.

So höre mich doch, bat er, und seine Augen suchten in den Saal hinaus. Es war jedoch nichts von der zu erblicken, die noch immer seine Gedanken füllte. Die Quadrille währte fort.

Liesbeth steckte ihre Maske vor, und als er zuletzt ihr Gesicht sah, glaubte er, daß es sehr verändert sei. Ihre Lippen zuckten, Stirn und Wangen brannten von dunkler Röthe, und ihre kalten, strengen Augen schienen fieberhaft zu glühen.

O, ich bitte dich! fuhr er fort, aber sie unterbrach ihn sogleich.

Du mußt mit mir gehen, sagte sie; morgen thue, was du willst. Folge dem Weibsbild, das ihr Spiel mit dir getrieben und dich in diese Sünde gelockt hat, heute jedoch will ich deines Vaters graue Haare vor Schande bewahren. Denke nach bis morgen und komm.

Diese Mahnung schnitt tief in ihn ein, er wagte nicht länger zu widerstehen. Sie legte ihren Arm in den seinen, und er führte sie hinaus, überwunden und beschämt und in großer Unruhe. –

Als sie in die finstere kalte Nacht traten, gingen sie lange schweigend neben einander, bis Conrad mit einer gewaltsamen Anstrengung wiederum zu sprechen versuchte.

Du mußt sehr aufgebracht gegen mich sein, fing er an, und ich will nicht versuchen mich zu vertheidigen, aber du mußt wenigstens erfahren –

Ich bin nicht aufgebracht und will nichts erfahren, fiel sie ihm in's Wort.

Ich habe dich beleidigt, es mag so sein, sprach er dennoch weiter, aber ich weiß keine andere Entschuldigung, als daß es eine Macht giebt, der ich nicht widerstehen konnte, und daß diese – noch jetzt, noch in diesem Augenblick – Du wirst mir vergeben.

Ich habe dir nichts zu vergeben.

O ja, sehr viel, ich weiß es – aber kann ich dafür, daß ich meines Vaters Sinn nicht habe, ich immer nur an diese – diese Unbekannte denken mußte?

Denke woran du willst, mich verschone, sagte sie hastig.

Willst du mich denn nicht sprechen lassen?

Nein, niemals! antwortete sie mit Nachdruck

Liebe gute Liesbeth, flüsterte er leise.

Ich bin Liesbeth, nenne mich so und nicht anders.

Ja, das war es, rief er mit erwachendem Zorn. Immer warst du wie jetzt, kalt und fremd, niemals mir zugethan. Mit meinem Vater hast du dich vereinigt, nicht mit mir. Nun ist ein anderes Wesen in meinen Lebenskreis getreten, stelle dich zwischen uns, es soll dir doch nichts helfen. Geh und rufe meinen Vater, sage ihm, was du gesehen, ich will nicht leugnen. Ich will frei sein von dieser Qual, sollte ich auch zu den Komödianten laufen müssen.

Thue was du willst, erwiederte Liesbeth, hier ist das Haus, doch ehe wir uns trennen, höre noch ein Wort: Sprich nie mit mir von dem wieder, was geschah, über meine Lippen wird nichts davon kommen. Geh deinen Weg, wie Dein Vater es sagte, ich hindere dich nicht daran.

Leise trat sie in den dunklen Flur, und ehe er nachkommen konnte, war sie die Treppe hinauf verschwunden.


4.

Conrad durch wachte eine schreckliche Nacht, in welcher es ihm mehr als einmal schien, als dürfe er den Morgen hier nicht erwarten, sondern müsse, gleichviel wohin, in die weite Welt hinaus, dem Kalbfell folgen, wie sein Vater ihm die Wahl gestellt, oder zu ihr, zu seiner »Angebeteten«. Aber wo war diese, wo sollte er sie suchen und finden? Immer wieder fiel ihm ein, was Liesbeth in ihrem harten Stolze gesagt:

Heut will ich deines Vaters graue Haare vor Schande bewahren; morgen laufe, wenn du willst, dem frechen Weibsbilde nach, das ihr Spiel mit dir getrieben!

Und immer wieder empörte sich die Stimme in seinem Herzen dagegen, und sein Widerwille gegen die kalte, höhnende Moralistin erwärmte sich daran.

Warum war sie ihm nachgelaufen in solcher unschicklichen Weise, um sich wie das Unglück an seine Fersen zu heften? Verkleidet, verrätherisch, betrügerisch ihn verfolgend, ein Dornbusch, der sich an ihn krallte, um die süße Rose, die der Gott der Liebe ihm gesandt, von ihm abzureißen. Aber er wollte ihr trotzen, wollte der ganzen Welt Trotz bieten. Hatte die geliebte Unbekannte nicht schon den Weg zu ihm gefunden? Sie würde ihn wieder finden, sie würde ihm Nachricht geben, und keine irdische Macht sollte ihn dann halten.

So beruhigte er sich endlich mehr und mehr mit tröstenden Hoffnungen und mit neuem Glück, und als der Morgen kam, war er fest entschlossen jedem Sturme die Stirne zu bieten und sich nicht vor Liesbeth zu fürchten. Sie sollte nicht denken, daß sie ihn in ihrer Hand habe, er wollte nicht demüthig noch ängstlich sein, sich nicht etwa ihr Schweigen mit elender, heuchlerischer Verstellung erkaufen. Das hartherzige, fühllose Geschöpf sollte seine Feindin sein, jeder Gedanke an seine Besserung und Unterwerfung sollte ihr vergehen, und niemals, um keinen Preis wollte er ihr den Glauben lassen, daß er im Stande sei, sie zu heirathen.

Als er herunterkam, schlug ihm aber doch das Herz, und er stand einige Minuten vor der Thür still, ehe er sich entschloß, das Wohnzimmer zu öffnen. Sein Vater saß schon an dem Tische beim Kaffee, die Morgenpfeife rauchend, in der Hand, weit von sich ausgestreckt, ein Zeitungsblatt, in welchem er las. An der anderen Seite stand Liesbeth mit glattem Haar, sauber wie immer, die weiße Schürze umgebunden, die Kaffeekanne in der Hand.

Conrad warf einen raschen Blick auf Beide, als er mit seinem guten Morgen hereintrat, und fühlte sich sogleich beruhigter. Sein Vater sah ungemein lustig aus und schmiß den dicken Zopf behaglich nach links, als er sich zu ihm wandte, Liesbeth dagegen schlug ihre klaren Augen zu ihm auf und sah dann auf die Tasse, welche sie für ihn füllte, ganz so, wie sie es immer that.

Na, du Langschläfer, sagte Christian Funk, kommst heut beinahe zu spät und siehst doch aus, als säße der Schlaf noch in deinen Augenwinkeln.

Ich habe fest geschlafen, Vater, antwortete Conrad.

Ein guter Schlaf zeigt ein gutes Gewissen an, versetzte der Alte mit seinem pfiffigen Gesicht. Hast dir Alles wohl überlegt wegen dessen, was wir gestern vorhatten?

Er lachte und Conrad stimmte ein.

Alles wohl überlegt, Vater.

So ist es recht, mein Junge. Sieh mal da, was in der Zeitung steht. »Se. Majestät haben allergnädigst geruht, dem Major a. D., Freiherrn von Hochhausen, den rothen Adlerorden zweiter Klasse zu verleihen. Der Freiherr ist ein verdienter Offizier, welcher sich in der Rheincampagne durch seine Tapferkeit, besonders bei der Erstürmung von Bitsch ausgezeichnet hat, wo er schwer verwundet wurde.« – Hoho! was so ein verdammter Zeitungsschreiber nicht Alles weiß. Er fing herzlich an zu lachen. Beisammen haben wir unter der Brücke gelegen, stockfinster war's, der Eine eben so tapfer als der Andere, aber von meiner Tapferkeit spricht kein Mensch, und einen Orden habe ich auch nicht bekommen.

Ich denke, der Major wird sich nicht allzuviel daraus machen, sagte Conrad, da er jetzt ein alter Herr geworden.

Puh! rief Funk, wo denkst du hin. Solch Herr freut sich daran noch in seinem legten Augenblick. –

Darauf wiegte er den Kopf verschmitzt hin und her und fuhr fort:

Er wird schon kommen und sich präsentiren; doch jetzt, wenn du fertig bist, hol einmal die Bücher herein und zieh zusammen, was wir an Forderungen ausstehen haben. Wollen einmal Kasse machen, Conrad. Es ist doch ein ander Ding mit einer vollen Kasse im Schrank, als mit einem halben Dutzend Orden umgehangen und leere Taschen dabei.

Der Zopf flog wieder nach beiden Seiten, er blies muthwillig den Dampf gegen die Decke, und als Conrad mit den Büchern kam, setzte er sich zu ihm und merkte genau auf die Zahlen und Ziffern. Daß er zufrieden war, sah man ihm an, das Kassenbuch zeigte schöne Einnahmen. Was bezahlt werden mußte war gedeckt, schlechte Schulden und Verluste waren nicht vorhanden, und endlich ging er an das große braune Schreibspind in der Ecke, schloß die untere Thür auf und sah hinein.

Da lagen im Kreuz über einander viele Geldrollen, hinter ihnen graue versiegelte Beutel, seitwärts mehrere geflochtene Körbchen gefüllt mit Goldstücken und ein Kasten, in welchem eine Menge Tresorscheine zwischen Papierstreifen lagen. Der alte Mann schien mit so scharfen Blicken Musterung zu halten wie ein General über seine Soldaten, und halb laut murmelte er dazu zwischen den Zähnen:

Na, warum nicht, wenn es nicht zuviel ist. So ein drei oder vier tausend sollen da sein, das heißt, wenn Alles darnach in Ordnung ist.

Was soll in Ordnung sein, Vater? fragte Conrad.

Der Alte sah sich um.

Bist du noch da, Mosjeh Naseweis? sagte er ihn angrinsend. Es ist meine Sache, so lange ich die Augen auf habe, und dann ist's am besten, wenn Liesbeth die Schlüssel hat. Zu den Komödianten laufen, schlechte Bücher lesen, oho! Geh hinaus, hast draußen zu schaffen. Mach dich an die Arbeit.

Conrad ging ohne etwas zu erwiedern. Die Antwort seines Vaters hatte alle seine Sünden lebendig gemacht. Er half Liesbeth bei dem Verkauf und beschäftigte sich dann, als er mit ihr allein war, mit allerlei nöthigen Geschäften, ohne von ihr beachtet zu werden. Dann und wann blickte er zu ihr hin ohne ein Zeichen entdecken zu können, daß ihre Gedanken sich etwa mit ihm, oder den Vorgängen in der Nacht beschäftigten. Sorgsam that sie, was ihr oblag, und als er endlich eine geschäftliche Frage an sie richtete, antwortete sie mit derselben gleichgültigen Ruhe, wie dies immer geschah. Dies wiederholte sich noch einige Male, durchaus mit demselben Erfolg, aber ihre eisige Einsilbigkeit bestärkte ihn in seinen Vorsätzen.

Er sah zum Fenster hinaus auf den Platz und lachte heimlich. Der Markt war heut zu Ende, die Buden wurden abgebrochen, die Topfberge waren zum größten Theil schon verschwunden. Mit rachsüchtigen Empfindungen blickte er zur Seite auf den Scherbenhaufen, den ein Karren so eben fortschaffte. Wie der wilde Junker, hatte dies gefühllose Weib, das ihm aufgedrungen werden sollte, sein Glück zerstampft, aber sie sollte es büßen. Es gab Gelegenheit genug, ihr zu vergelten, ihr Aerger zu bereiten, und es verlangte ihn darnach.

Wenn er nur erst eine Nachricht empfangen hätte, von ihr, nach der er sich sehnte. Ach! wenn sie nur selbst käme, und warum sollte sie nicht kommen? Wenn Liesbeth sich dann nochmals einmischte, dann, dann – er gerieth in Wuth und stieß mit dem Federmesser, das er in der Hand hielt, so heftig in das Fensterbrett, daß die Klinge abbrach.

Liesbeth schlug ihre Augen auf, betrachtete den Schaden und blickte wieder fort. Es war ein sonderbarer Blick, mit dem sie ihn ansah; es war, als wüßte sie, was dieser Stoß zu bedeuten hatte, wem er gelten sollte. Zu anderer Zeit würde sie gesprochen und gescholten haben, jetzt schwieg sie, aber um ihre festgepreßten Lippen zuckte es wie gestern in der Nacht. – Schaam gesellte sich dafür zu seiner Unruhe. Er hätte etwas sagen mögen, irgend eine Entschuldigung, aber er wagte es nicht und konnte es nicht.

Dann fing er an zu schreiben, doch die Buchstaben tanzten umher, die Zahlen verwandelten sich in Fledermäuse, in Grenadiere, in die Gärtnerin mit den Perlenflechten. Er ließ die Feder fallen und machte einen schrecklichen Klex, denn plötzlich sah er, wie Liesbeth die Maske abzog und ihr Gesicht zeigte. So sah sie aus, ganz so, wie eben jetzt, dort, ihm gegenüber, und er riß seinen Kopf gewaltsam von ihr fort, denn vor der Thür entstand ein Geräusch. Die schöne Geliebte kam ihn zu erlösen von dieser Angst! –

Aber nein, was war das! Ein Wagen hielt vor dem Hause, eine prächtige Equipage. Ein reich betreßter Diener sprang an den Schlag, eine Dame saß darin, ihr langer schwarzer Schleier fiel über ihr Gesicht. War sie es?!

Mit einem Sprunge fuhr Conrad aus dem Gitter hervor und seine Augen auf den Wagen geheftet dauerte es einige Minuten, ehe er die kleine Thür zu öffnen vermochte, welche den Ladentisch schloß. Seine Mienen drückten das Entzücken aus, das ihn überwältigte. Er träumte in wenigen Augenblicken einen wunderbaren Traum, doch dieser zerplatzte wie eine Seifenblase eben so schnell, denn statt der Dame half der Bediente einem alten Herrn aus dem Wagen, und dieser war kein Anderer, als der Freiherr von Hochhausen. Der alte Herr nickte und sprach in den Wagen hinein, der Schlag flog zu, und die Pferde mit dem silberblitzenden Geschirr bäumten sich auf, die Equipage eilte davon.

Aller märchenhafte Sonnenglanz verschwand aus Conrads Mienen bei diesem Vorgange. Mit scheuen, schnellen Blicken sah er zu Liesbeth hin, lachte sie ihn nicht boshaft aus? Nein, sie rührte sich nicht, doch Conrad hatte keine Zeit für weitere Betrachtungen, denn sein Vater kam wie besessen aus der Stube.

Auf! schrie er, die Thür auf! will Er sich nicht besinnen? Der Major ist da. Alle Donnerwetter! habe ich's nicht gesagt? In Uniform und mit dem Orden!

Er kam seinem Sohn zuvor und eilte die Stufen hinab bis auf die Straße, wo er mit unterthänigster Ehrerbietung den gnädigen Herrn bewillkommnete. Der Major trug die große Armeeuniform, goldene Achselschnüre, Degen und Federhut und den Orden auf der Brust, den er empfangen hatte. Christian Funk war in seiner Weise nicht weniger entzückt, wie sein Sohn. Denn die Menschen standen still und sahen, wie der vornehme Offizier ihm die Hand reichte und huldvoll lachte; selbst des Alten Zopf richtete sich vor Freude steil auf und fiel dann in die Rückentiefe ehrfurchtsvoll nieder.

Sieht Er wohl, Feldwebel, sagte der Major gütig, als er eingetreten, ich komme zu Ihm, um mich mit meinem neuen Ehrenzeichen zu präsentiren.

Ich hab's mit Freuden heut durch die Zeitung vernommen, mein gnädigster Herr, antwortete Funk, und gratulire ehrerbietigst in tiefster Devotion.

Der Major drückte ihm vertraulich die Hand. Es war Alles in Richtigkeit, Funk. Ich bin Sr. Majestät längst empfohlen worden, und obwohl ich mich nicht nach solchen Ehren dränge, ist es mir doch angenehm, nicht vergessen zu sein.

Vergessen?! versetzte Funk, indem er den Kopf schüttelte, daß der Zopf flog, und ein Gesicht dazu machte, als wollte er grob werden.

Es wird Vieles vergessen, wenn man alt wird! rief der Major. Aber ich will's Ihm sagen, Funk; ich bin eigentlich darum her gekommen, um Sr. Majestät aufzuwarten und noch um manches Andere. – Er sah sich nach der Straße um. Hat Er den Wagen draußen gesehen, in dem ich gekommen bin?

Ein prachtvoller Wagen, sagte Funk. Pferde wie die Puppen.

Alles aus England, antwortete der Major.

Hat der gnädige Herr hier gekauft? sagte Funk, indem er seinen Sohn pfiffig ansah.

Ist er toll, Feldwebel! schrie der Major. Was sollte ich mit dem schweren Kasten und den langbeinigen Bestien anfangen? In den ersten acht Tagen ginge Alles in Stücke auf unseren Sandwegen, und dabei kosten solche Dinge mehr als gut ist. Die gehören dem Baron Quast, der hat die schönsten Pferde im ganzen Lande; na! der kann sie bezahlen. – In dem Wagen saß meine Tochter, sie will Abschiedsbesuche machen, fuhr er dann fort. – Baron Quast ist ein Vetter von der Generalin Schackwitz, somit sind wir auch in die Verwandtschaft gekommen. Renate nehm' ich jetzt mit nach Haus, Ludolf und Quast kommen nach, sobald es angeht.

Der Herr Baron wird gewiß nicht lange ausbleiben, mein gnädigster Herr Major, fiel Funk ein, indem er seine Stirn in die Höhe zog und bedeutsam grinste.

Alter Cujon! lachte der Major, mit seinem Stock drohend; merkt Er den Braten? Na, ich habe nichts dagegen, Mädchen müssen unter die Haube gebracht werden, heirathen wollen sie alle, vornehm oder gering.

Das Gespräch wurde bisher mitten in dem Laden geführt, wo der alte Offizier stehen geblieben, jetzt ging er auf Conrad los, der noch immer dienstfertig an der kleinen Thür stand und die Klappe des Tisches in die Höhe hielt. Der Freiherr blickte ihm wohlgefällig ins Gesicht.

Na, Pathe, fragte er, Er hat doch auch Lust dazu?

Conrad war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, daß er die Bedeutung dieser Frage nicht recht begriff.

O, ich ich denke wohl, daß es so sein wird, antwortete er.

Denkt Er! schrie der alte Herr, weiß Er's noch nicht gewiß?! Er sah ihn mit den blauen glänzenden Soldatenaugen spottlustig an. Er wird ja roth wie ein Puter? Er fürchtet sich wohl? Donnerwetter, Funk, schick Er die Milchsuppe erst mal in die Welt hinaus, ehe Er ihn unter die Weibsfuchtel bringt, damit er Haare auf die Zähne kriegt. Komm zu mir heraus, Pathe, sollst ein Mann werden, reiten, jagen und schießen lernen, ehe die Jungfer Liesbeth dir's Joch auf den Rücken legt.

Damit ging der alte Edelmann weiter, wie gestern, in die Putzstube seines ehemaligen Feldwebels und ließ seinen Pathen in unbehaglicher Stimmung zurück. Die Hinweisung auf Liesbeth und ihr Joch war ihm im höchsten Grade fatal und seine Empörung so heftig, daß die Jungfer nur eine Miene verziehen durfte, so wäre sein Zorn laut ausgebrochen; da dies jedoch nicht geschah, begnügte er sich, hohnvoll und deutlich aufzulachen und Liesbeth einen geringschätzigen Blick zuzuschleudern, der an ihrer unerschütterlichen Ruhe machtlos abprallte.

Dann stellte er sich hinter das Gitter, kaute an seiner Feder und beschäftigte sich mit seinen Erinnerungen und seinem Aerger über die Täuschungen, denen er sich hingegeben. Wie hatte er nur denken können, aus dem Wagen würde seine liebliche Fledermaus springen? Wie hätte die Schauspielerin wohl dazu kommen sollen? Es kam ihm selbst jetzt lächerlich vor. Des Majors Tochter saß darin, und welch ein hochmüthiges Frauenzimmer mußte es sein, daß sie auch nicht einmal den Pöbel, zu dem ihr Vater sich herabließ, eines Blickes würdigte. –

Quast! richtig, so hatte der suchende Gärtner den Grenadier genannt, der ihn begleitete, und am Ende hatten sie wohl gar das gnädige Fräulein gesucht, oder war es etwa gar die, die ihm den Strauß zugeworfen hatte? Er lachte wieder über seinen albernen Einfall. Was ging ihn die ganze vornehme Sippschaft an! Mit allen ihren Equipagen und Orden hätte er sie um einen Liebesgruß der armen verachteten Schauspielerin verkauft, die noch immer nicht erscheinen wollte.

Inzwischen wurde Liesbeth von dem alten Funk fortgerufen, um abermals eine Flasche aus der Ecke im Keller heraufzuholen, und Conrad benutzte diese Zeit bestmöglichst, um zur Thür hinaus zu schauen und seine Augen nach allen Richtungen anzustrengen, denn seine sehnsüchtigen Wünsche spiegelten ihm zuversichtlich vor, daß sie jetzt kommen müßte, wo er allein sei.

Aber kein Gott hatte Erbarmen. Liesbeth kehrte zurück und verscheuchte ihn in seinen Winkel, in der Stube aber wurde das Gespräch lauter und endlich konnte Conrad deutlich hören, wie der Freiherr sagte:

Sechshundert brauch ich und auf der Stelle, denn der Ludolf hat Schulden gemacht und auf Ehrenwort, die müssen bezahlt werden.

Was sein Vater antwortete, konnte Conrad nicht verstehen, darauf aber rief der Major:

Den Bettel kann Er gleich abziehen und an einem guten Douceur bei seinen Zinsen soll es nicht fehlen, dafür kennt Er mich. Sobald die Ernte vorbei ist, zahle ich ihm aus. Ist es Ihm so recht?

Wie es Ihnen gefällt, mein gnädigster Herr Major! antwortete Funk.

So hole Er das Geld! rief der Edelmann, ich will's gleich mitnehmen.

Der Alte trat in den Laden und winkte seinem Sohn.

Bring Schreibzeug herein, sagte er, und Papier.

Darauf ging er in das Hinterzimmer und kam gleich wieder mit sechs Geldrollen. Conrad befolgte seines Vaters Gebot; als er eintrat, lagen die Rollen schon vor dem Freiherrn.

Setz dich nieder und schreib einen Schein über sechshundert Stück Friedrichsdor, sagte Funk.

Geb' Er her, ich will's selbst machen. Dummes Zeug! schrie der Major. Er faßte die Feder mit allen fünf Fingern, sagte laut und schrieb dabei mit Buchstaben, die wie Hieroglyphen aussahen:

Sechshundert Stück Friedrichsdor heut von Christian Funk erhalten, gebe mein Wort, soll am 5. September siebenhundert wieder haben. Hans von Hochhausen, Major.

So, sagte er, Punktum! Jetzt nehm' Er sich zwanzig von den Füchsen davon für die Töpfe und das Uebrige pack' Er mir zusammen, ich werd's abholen lassen von dem Klosmann. Denn ich gehe jetzt nicht nach Hause, sondern will zu Quast hin, der gibt ein Frühstück, da sind wir alle. Morgen früh heißt es rechtsum, marsch! Also leb' Er wohl, Funk!

Kommen nicht wieder, mein gnädiger Herr? fragte Funk mit kläglichem Gesicht.

Habe genug, Feldwebel! Komm Er nach Lebin und besuch' Er mich auch 'mal. Hol' Er sich sein Geld.

Meine Beine sind zu steif, versetzte Funk die Achseln zuckend, daß der Zopf einen Satz machte, und andere hab' ich nicht.

So schick' Er den da! sagte der Major, indem er auf Conrad zeigte. Heda, Pathe! Kopf in die Höh'! Was ich vorhin sagte, das merk' dir, mein Sohn. Wird dir die Hölle zu heiß, so komm du zu mir. Bist ein Soldatenkind, das soll nicht aus der Art schlagen!

Mit solchem Scherz nahm er Abschied, ließ das Geld sammt dem Schein auf dem Tisch liegen und stieg die Stufen hinab, begleitet von dem ergebenen Christian Funk, der in der besten Laune zurückkehrte.

Siehst du, du Narr! sagte er seinem Sohne pfiffig zunickend. Zwanzig Friedrichsdor für die Töpfe. Es ist ihm ein Bettel, ein Spaß, eine Lumperei! Sie haben gestern den ganzen Tag darüber gelacht, und am Abend ist es bei Hofe erzählt worden, hat allgemeinen Beifall gefunden.

Meinen Beifall hat es nicht, versetzte Conrad, und was ich hier sehe, eben so wenig. Er bezahlt den Schaden mit deinem Gelde und du leihst ihm eine große Summe dazu. Ob du sie jemals wiedersiehst, möchte ich bezweifeln.

Oh, du Weisheit du! antwortete der Alte spöttisch. Siehst du nicht den Schein hier? Weißt du nicht, was darin steht?

Der Schein ist ein Wisch ohne Werth, versetzte Conrad. Kaum ist er zu lesen, und was darin steht, kann höchstens einen langen Proceß zu Stande bringen.

Ei, lachte Funk, sieh' 'mal an! Der ist nicht wie unser Eines, wie ein ordinärer Bürgersmann. Da liegt das Geld noch, und der Schein dabei. Wir könnten es ihm abnehmen.

Das beweist nur, daß der Vater eben so leichtsinnig ist, wie der Sohn, sagte Conrad.

Sie sind alle von demselben Holz! rief Funk; aber hier steht's: gebe mein Wort darauf, soll am 5. September siebenhundert haben, und sein Wort wird er halten, sollte er das Geld auch von sieben und siebenzig Juden zusammenborgen. Ich hab's mir richtig überlegt, fuhr er fort, denn ich sah wohl ein, was kommen würde. Holen sollst du es auf Tag und Stunde, und kannst dir dabei die Wirthschaft ansehen; es wird lustig genug sein. Kannst deine Hochzeitsreise nach Lebin machen, nimmst die Liesbeth mit, die läßt keinen Pfennig verloren gehen.

Conrad ging eilig hinaus, er mochte nichts mehr hören.


5.

Wie dieser Tag verging, so verging eine ganze Woche, es änderte sich nichts und erfüllte sich nichts von dem, was Conrad sehnlich gehofft hatte. Seine Angebetete zeigte sich weder, noch ließ sie von sich hören, und Jungfer Liesbeth behielt ihr sprödes, kaltes Wesen, ohne mit einer Miene sich milder zu beweisen.

Am Nachmittage jenes Tages war der alte Jäger mit der verstümmelten Hand gekommen und hatte das Päckchen mit den Geldrollen abgeholt. Christian Funk nahm ihn als Kameraden auf und ließ ihn sobald nicht wieder fort. Sie saßen beisammen, aßen und tranken, schwatzten von alten Geschichten und sprachen von neuen; es blieb dem klugen Funk nichts verborgen, er erfuhr Alles, was er wissen wollte.

Der Major war immer noch, der er gewesen, ein wilder rascher Herr, mit allen seinen guten und bösen Eigenschaften. Wenn er die Peitsche in der Hand hatte, konnte Jeder sich in Acht nehmen; zog er den Geldbeutel, so gab's vergnügte Gesichter genug. Lebin war ein großes Gut mit Nebengütern und einem mächtigen Walde, aber es blieb von Allem, was einkam, nichts übrig. In dem alten Schlosse ging's lustig her, so lange die gnädige Frau lebte, gab's Feste in Fülle und immer war offene Tafel.

Seit drei Jahren war die aber todt und es hatte sich Manches geändert, bei alledem ging's jedoch noch schlimmer her, und das Geld fehlte noch mehr als sonst, der junge Herr war in's Regiment gekommen, machte da nicht wenige Schulden. Keinem wollte und sollte er nachstehen, und sie lebten alle wild und toll, es mußte so sein. Der Major bezahlte mit jedem Jahre mehr, fluchte wohl ab und zu ein Donnerwetter, hatte aber doch seine Freude daran.

Es ging nicht anders beim Leibregiment, wer's nicht mitmachen konnte, mußte die Uniform ausziehen. Es konnte Keiner darin dienen, der nicht reich war, doch nach allen Seiten war's die größte Ehre. So wurde denn der Wald alle Jahre mehr niedergeschlagen und verkauft, wurden Schulden gemacht und gedeckt, Capitale aufgenommen und Löcher zugestopft mit neuen und größeren. Was der sparsame Bruder hinterlassen, war längst verbraucht, die Hypotheken waren gewachsen und gewachsen, als aber Christian Funk's Gesicht länger wurde und seine Miene nachdenklich, schlug ihm der alte Jäger auf's Knie und sprach ihm in's Ohr:

Es ist doch immer noch genug da. So lange der Major lebt, hält's aus, aber der junge Herr, der wird wenig genug übrig lassen.

Funk's Gesicht erheiterte sich wieder. Er ließ ein Wort fallen, daß er seinen Sohn zum September schicken würde. Conrad stand dabei und hörte es an. Der Jäger nickte ihm zu und that freundlich.

Komm' Er man zur rechten Zeit, Mosjeh, sagte er, für sein Geld soll gesorgt sein. Komm' Er gleich, wenn die Jagd auf ist, da kann Er was bei uns sehen.

Es wird große Jagd gemacht, da kommen die vornehmen Leute zusammen, fiel Funk erklärend ein.

Wie immer, sagte Klosmann; zum ersten September geht's los, aber diesmal kommt es noch besser. Denn ich will gleich neun und neunzig Mal! – er drehte sich den spitzen Bart um den Finger und lachte.

Was denn? fragte Funk.

Na, unser Fräulein.

Ja so die, grinste Funk. Ich merke schon. Von wegen dem Herrn Baron mit der englischen Equipage.

Quast, sagte Conrad.

Kennt Er ihn denn? fragte Klosmann.

Ich habe den Namen schon gehört, antwortete Conrad. Wenn die Offiziere tolle Streiche machen, ist er voran.

Der paßt zu ihnen, paßt zum allerbesten! rief der Jäger.

Ist denn das Fräulein auch so? erkundigte sich Funk.

Alle von derselben Art, sagte Klosmann.

Donnerwetter! schrie Funk, mit dem Zopf dazu wackelnd.

Reitet wie ein Satan, schießt, jagt, ist immer dabei. Wir haben sie diesen Winter hier gehabt bei der Generalin, aber jetzt soll sie mit uns nach Haus. Das ist gut, die bringt Leben ins alte Schloß.

Sie ist wohl häßlich? fragte Funk.

Alle Donner! die verdreht die Köpfe.

Und der Baron Quast ist reich?

Das kann sie brauchen. Ganze Berge von Sammt und Seide hat die nöthig und Geflitter und Geflimmer. Gestern ging sie auf den Maskenball, blos als Gärtnerin, aber Alles voll Perlen und voll Gold, von oben bis unten.

Es ist also richtig, der heirathet sie, nickte Funk.

Es wird so kommen. Jetzt noch nicht, aber zum Herbst. Es ist eingefädelt; bei den vornehmen Leuten geht's nicht so geschwinde. Aber Ende August kommen sie alle, und als ich heute beim gnädigen Herrn drinnen war, sagte er: Du mußt auch eine neue Uniform haben, Kerl, siehst sonst lumpig aus, wenn wir die Verlobung feiern. – Wird's was, gestrenger Herr? fragte ich. Da lachte er auf: Wollen diesmal so lustig sein, daß die alten Mauern noch lange davon erzählen sollen. Also komm' Er ja zur rechten Zeit, Mosjeh! rief er dann Conrad nach, der sich entfernen wollte. Er ist ein junger Mensch, der was sehen muß in der Welt, und ich will ihn schon unterbringen und für Ihn sorgen.

Mit der Versicherung seiner Protection ging er fort, und Christian Funk schrieb sich Alles hinter's Ohr, was er gehört, und hatte noch oft davon zu erzählen, wenn er Abends in der Hinterstube saß, Liesbeth nähte und Conrad zuhörte, denn er fehlte nicht mehr, wie bisher, sondern jemehr sich ein Tag an den anderen reihte, um so stiller und folgsamer schien er geworden. – Der Alte freute sich darüber und freute sich über mancherlei andere Umwandlungen, welche er an seinem Sohne bemerkte. Er sprach auch heimlich zu Liesbeth, die hörte es jedoch an, ohne ja oder nein zu sagen. Sie hatte noch immer ihre Gründe.

In den ersten Tagen nach dem verhängnißvollen Maskenball hatte sie wohl die heftige Unruhe bemerkt, mit welcher Conrad auffuhr, sobald Jemand in das Gewölbe trat, und was die Ursache davon sei, konnte sie wohl denken. Sie hatte auch bemerkt, daß während der ersten Abende der ungehorsame Sohn seines Vaters strenge Befehle unbeachtet ließ, daß er das Haus verließ, wenn Alle schliefen, aber er kam bald wieder und war am folgenden Tage eben so unruhig und mißmuthig als vorher. Auch das wußte sich Liesbeth zu erklären: er hatte nicht gefunden, was er suchte.

Ob sie sich darüber freute, oder was sie dachte, blieb aller Welt verborgen; allein daß sein Haß gegen sie dadurch vermehrt wurde, war gewiß. Er suchte nach Mitteln und Gelegenheiten, um ihr wehe zu thun, ihr spitze höhnende Worte zu sagen, ihr zu zeigen, was er für sie fühlte, und es wäre ihm Wonne gewesen, wenn er sie zu Zorn und Aerger gebracht hätte; aber die Rollen waren gewechselt. Seine herrischen Mienen und Worte ertrug sie still und geduldig, und was er auch tadeln mochte, was er unordentlich und nachlässig fand, sie widersprach und stritt niemals, ihre einzige Antwort war Schweigen.

Nachdem eine Woche vergangen, änderte sich jedoch plötzlich sein Benehmen. Er fuhr nicht mehr von der Arbeit auf, wenn er die Thüre hörte, und lief nicht mehr ans Fenster, wenn draußen ein Frauenzimmer mit einem Schleier vor dem Gesicht vorbeiging. Er schlich sich auch nicht mehr des Abends heimlich fort, sondern blieb sitzen und konnte dies stundenlang thun, ohne mehr als die einsilbigsten Antworten zu geben.

Sonst war er lebhaft gewesen, hatte seinem Vater widersprochen, wenn dieser ihn lächerlich zu machen suchte, hatte sich vertheidigt und konnte schelmisch. lachen und vergelten. Es lag auch ein gutmüthiges und versöhnliches Herz darin, wie er Liesbeths Getadel immer eine lustige Seite abzugewinnen suchte, und wie er sich bemühte, ihr den Anlaß zu ihren moralischen Zurechtweisungen abzuschneiden.

Von dem Allen war nichts mehr zu entdecken. Conrad schien völlig gleichgültig gegen seines Vaters Spöttereien. Er sah ihn zuweilen an, als hätte er ihn nicht verstanden, oder er antwortete ein paar Worte, die ernsthaft und mürrisch klangen.

Dies gefiel aber seinem Vater eben weit besser, als das ehemalige lustige leichtfertige Wesen. Er fand, daß sein Sohn sich vortheilhaft geändert hatte, und theilte dies auch Liesbeth mit.

Es ist ein anderer Geist in ihn gefahren, sagte er, das hat er uns Beiden zu verdanken. Die Faseleien und Narrenspossen kommen ihm aus dem Kopf, er geht nicht mehr wie ein Kranich, wippt und putzt sich auch nicht mehr so heraus, wie 'ne Bachstelze. –

Dabei zog er sein pfiffig Gesicht und ließ den Zopf wackeln.

Es ist dein Werk, Liesbeth; hast ihn gehörig zusammengenommen. Er hat Respect gekriegt wie ein Recrut vor dem Corporalstod. Ist es nicht so?

Ich glaube, es ist so, sagte Liesbeth.

Bah! mach' dir nichts daraus, wenn er mürrisch thut, fuhr Funk lachend fort, halt ihn unter der Fuchtel, bis er ganz vernünftig geworden. Immer die Leine kurz beim kollrigen Pferde, das ist die erste Regel. Ich will dir schon beistehen. Ich hab's ihm angedroht, ihn auf die Straße zu setzen, sobald er nicht von seinen Mucken läßt, und hätt's gethan, so wahr ich Christian Funk heiße. Ich hatt' es mir wohl überlegt, Liesbeth, wäre fertig mit ihm geworden; da es aber geholfen hat, so ist nichts Weiteres nöthig.

Liesbeth antwortete nicht darauf, doch wenn sie es gewollt, hätte sie die Einbildungen ihres Vetters leicht über den Haufen werfen können. Warum Conrad so umgewandelt war, warum er selbst ihr keine verhöhnenden Blicke und anzüglichen Bemerkungen mehr zuwarf, darüber hatte sie ihre Beobachtungen gemacht. Wenn er hinter dem Gitter stand, schrieb und arbeitete, – und er that dies jetzt oft mit solchem Eifer, als wollte er an nichts Anderes denken, – hielt er zuweilen plötzlich inne, stützte den Kopf in seine Hand und schien in Nachsinnen zu versinken. Bald jedoch schreckte er auf, öffnete die Klappe des Pults und holte einen Brief hervor, den er aufschlug, hineinsah, als stehe was darin von großer Wichtigkeit, und wieder fortlegte. Es konnte ein Geschäftsbrief sein, ein Bestellbrief, einer der Antwort nöthig machte; alle Briefe, welche eingingen, wurden von ihm gebrochen und aufbewahrt; als jedoch mehrere Tage lang sich sein Benehmen wiederholte, kam Liesbeth zu dem Schluß, daß es mit diesem Briefe eine besondere Bewandtniß haben müsse.

So kam es denn, daß sie eine paßliche Gelegenheit benutzte, um einen Blick in das Pult zu thun, und so gut hatte sie beobachtet, daß auf den ersten Griff ein Papier in ihre Hand fiel, das ihre Vermuthungen bestätigte. Es war von derselben Person beschrieben, von welcher jener kleine Zettel herrührte, dessen Inhalt sie sich so wohl gemerkt hatte. Dieselben steilen hochbeinigen Buchstaben mit französischen Worten vermischt und derselbe leichtfertige Ton der Rede.

»Das war ein Malheur, mon cher Monsieur Conrad, daß ich nicht wiederkommen konnte in das vertrauliche Bosket, wo mon cher ami mich erwartete. Gewiß hätte ich es gern gethan, denn ich war entzückt von Ihrer aimablen Gesinnung, die ich niemals vergessen werde. Aber mein Schicksal will es so, daß wir uns trennen müssen, und mein allerliebster Freund soll nicht mehr um mich leiden. Ich habe ein Engagement bei einem andern Theatre angenommen, daher ich Berlin verlassen muß. Sie werden mich vergessen und es ist gut, daß Sie nicht gesehen haben, wie häßlich ich bin und wie viele Fehler ich besitze. Ich werde einen Mann nehmen müssen, es wird nicht anders angehen, man will es so, Einen aus meinem Stande. Er spielt Heldenrollen, comme il faut, und hat eine prächtige Stimme dazu. Macht es auch so, mon cher ami, denn wir müssen uns trösten. Alles Glück auf Erden, sagt ein berühmter Dichter, geht vorüber, wie alles Unglück, und währt im Ganzen doch nur ein paar Minuten. Das bedenkt und vergeßt nicht ganz Eure arme – rothe Fledermaus.«

Als Jungfer Liesbeth dies gelesen hatte, sah sie noch eilig, daß dieser Brief aus Potsdam gekommen war, wenigstens stand der Ortsname darin, und eilig warf sie ihn an seinen Platz und entfernte sich, eine Röthe in ihrem Gesicht, die sie bis in's Herz hinein fühlte. Mit solchem schnöden, leichtsinnigen Abschied hatte das Weibsbild sich entfernt, und sonderbar genug regte sich in Liesbeth Zorn darüber, statt ihr Freude zu bereiten. Sie warf von diesem Tage an zuweilen lange Blicke unbemerkt auf den Undankbaren, der nichts davon sah, auch nicht hörte, daß ihre Antworten nicht mehr so scharf und kurz klangen, und eben so wenig inne wurde, daß sie mit ihrer Sorgfalt ihm überall zu Hülfe kam, und was er wünschen konnte, immer bereit hielt.

Die Wochen reihten sich zu Monaten, und der Sommer kam, ohne daß sich in diesen Familienverhältnissen etwas veränderte. Die Geschäfte gingen ihren Gang, und Conrad widmete sich ihnen mit vieler Treue, zu immer zunehmender Zufriedenheit seines Vaters. Die Zeiten wurden unruhiger und aufgeregter, die berühmten Conferenzen in Charlottenburg fanden statt, das Kriegsgeschrei vermehrte sich, man sprach vom Bündnisse mit Rußland und England, vom nahen Kampfe gegen den großen Friedensstörer, und in den gesellschaftlichen Kreisen trat die heftige Spaltung der Meinungen hervor, welche für die damalige Zeit so bezeichnend war.

Eine tiefe Mißstimmung gegen die bestehenden Zustände hatte längst den Staat Friedrichs des Großen zerfressen. Der äußere Glanz und Schein war stehen geblieben, im Innern aber zeigte sich die Fäulniß bis in's Mark. Der übermüthige Kastengeist, besonders der Alles verachtende Dünkel der Militärkaste, konnte sich mit den neuen Ideen des Jahrhunderts nicht vertragen, diese Ideen jedoch brachen überall hervor und erbitterten ihre Anhänger so weit, daß Viele Vaterland und Volk darüber vergaßen und für Franzosenthum und den großen Franzosenkaiser schwärmten.

Ihnen entgegen standen die Vertheidiger des Alten, deren Uebermuth sich verhärtete, die mit Hohngelächter von den verfluchten Rebellen sprachen, und wie sie mit ihren Reiterstiefeln die ganze Brut nächstens zerstampfen würden. Der Streit drang in alle Häuser und in alle Familien; es gab Wenige, die einig urtheilten, und so geschah es auch bei Christian Funk, dessen Zopf und Feldwebelthum schon Bürgschaft leisteten, daß er ein entschiedener Feind aller Neuerungen sein mußte.

Er wetterte auch sowohl am Tage, wie Abends in der Familienunterhaltung nicht schlecht, sobald er Gelegenheit dazu fand, und gerieth dabei mit seinem Sohn mehrmals heftiger zusammen, als dies seit längerer Zeit der Fall gewesen, denn trotz aller Veränderungen in seinem Benehmen und der Gleichgültigkeit, mit welcher Conrad das Meiste an hörte, das sein Vater gegen ihn selbst richtete, erwachte doch bald die Neigung zum Widerspruch in dem jungen Mann, wenn der Alte Alles recht und gut hieß, was geschah und bestand, und die Raisonneure krumm schließen Gefangene wurden z. T. bis in 19. Jh. so an einem Holzblock oder an der Gefängniswand angekettet, dass sie den Körper gekrümmt halten mussten. und mit Hieben curiren wollte.

Der Zank wurde bald persönlich, und Liesbeth mehr als einmal Zeuge von Scenen, bei denen Funk seine ganze gerühmte Grobheit entfaltete, bis diese ein unerwartetes Ende erreichte, denn als es an einem Abende besonders hitzig herging, wurde sie selbst, die immer ruhig arbeitend zugehört, mit hineingezogen.

Ich sage, schrie Funk, ein Kerl, der die hohe Obrigkeit nicht achtet, achtet auch seinen König nicht, und wer seinen König nicht achtet, achtet auch Gott nicht, und wer Gott nicht achtet, ist ein Hallunke, der gehauen werden muß, bis er kein Leder mehr hat. Und alle diese Cujone, diese Zungenbrecher, diese Naseweise –

Aber Vater, jeder Mensch hat doch seine Vernunft und ist kein Eigenthum wie ein willenloses Thier, fiel Conrad ein.

Laß mich ausreden! schrie Funk, ich verbitte mir alle Grünschnabelei. Es ist Alles einerlei, von A bis Z einerlei, alle diese neumodischen Weltverbesserer sind einerlei. Erst verachten sie die alten Sitten im Hause, dann verachten sie gute Lehren, dann werden sie liederliche Buben, dann verlachen sie Zucht und Ehrbarkeit, darauf geht's an die Obrigkeit, darauf an's Christenthum, und bis an unsern Herrgott, immer weiter hinauf.

Um sich vor Unrecht zu beschützen, hat jeder Mensch sein angebornes Recht, sagte Conrad.

Hoho! schrie Funk, und der Zopf flog rechts und links, so dergleichen steht in dem verdammten Buche, das der Musjeh hier neulich liegen ließ, in der schandbaren Komödie von dem sauberen Patron, dem Schiller. Heda, Liesbeth, du hast es auch gelesen! Was sagst du dazu?

Er hatte auf jeden Fall eine beistimmende Antwort erwartet, aber der Mund blieb ihm offen stehen, als Liesbeth mit ihrer gewöhnlichen Ruhe sagte:

Ich hab's gelesen und es hat mir sehr gut gefallen.

Was, du? Oho! rief Funk ganz erstaunt und verwirrt. Willst du die Rebellion vertheidigen?

Es krümmt sich ein Wurm, wenn er getreten wird, sagte Liesbeth; ein Mensch soll weder Unrecht thun, noch Unrecht leiden.

Alle Donner! rief Funk. Wo soll der Respect herkommen?

Respect, sagte Liesbeth, verschafft man sich nicht durch Gewalt; was aber Recht ist, das fühlt jeder Mensch, wenn das Unrecht ihn nicht verdorben hat.

Sie blickte bei den letzten Worten auf; ob der Blick ihm galt, blieb Conrad ungewiß, denn gleich wieder begann sie zu arbeiten, aber er fühlte sich davon getroffen. Zum ersten Male hatte sie ihn vertheidigt, seinen Vater nicht unterstützt, und dieser war davon so überrascht, daß er nichts mehr sagte, mürrisch in sein Glas sah, aber den Zopf unzählige Male schüttelte.

Der wohlthätige Eindruck dieses Abends verlor sich jedoch bei Conrad nicht, denn es fand eine versöhnliche Stimmung Eingang, welche erst langsamere, dann schnellere Schritte machte. Die Schatten der Zeit fingen an, seine Abentheuer zu bedecken; zuweilen konnte er schon über jene Erlebnisse lachen, zuweilen ärgerte er sich darüber, und je mehr er zum Nachdenken gelangte, um so mehr stellte sich Liesbeths Benehmen günstiger heraus.

An seine Unbekannte konnte er freilich nicht ohne Schmerz denken, konnte nicht glauben, daß sie ein falsches, listiges Frauenbild gewesen, die ihr höhnendes Spiel mit ihm getrieben, aber sie hatte ihn verlassen, aufgegeben, gleich viel, ob sie Recht gethan, ob sie dazu gezwungen wurde. Liesbeth hatte viel für ihn gewagt und war dafür übel von ihm behandelt worden. Wie leicht konnte sie sich rächen; doch über ihre Lippen war, wie sie es gelobt, kein Wort gekommen. Für Alles, was ihn erfreuen mochte, sorgte sie dagegen ohne Unterlaß mit derselben Sorgfalt, und nun erst fiel ihm ein, wie sehr dies der Fall war.

Aber auch als er freundlicher zu werden begann, vergalt sie dies nicht durch ihr Entgegenkommen. Es sprach etwas fortgesetzt aus ihrem Gesicht, das sein Blut durchkältete, sobald es sich wärmer zu regen begann, und wie eine Eischolle auf seinen Kopf fiel. Oft war er Willens, ihre Hände zu ergreifen und zu sagen: wir wollen wieder gut sein, Liesbeth, und wollen uns – aber bei dem letzten Worte kam die Eisluft wieder über ihn, denn lieben, das war es, – von Liebe und Liebesgefühl war kein Hauch in diesem Gesicht. Wenn er lebhafter zu ihr sprach, sah er, wie es härter und strenger wurde, wie die Muskeln sich straffer zogen, ihre Lippen sich zusammenpreßten, ein böses Zucken ihr die Mundwinkel niederzog.

Wenn seine treulose Schauspielerin, wie sie ihm geschrieben, wirklich häßlich war, o! wie viel schöner und lieblicher mußte sie dennoch sein, als diese. Oft wenn er nachsann, hörte er ihr liebliches Lachen, ihre klare, klingende Stimme, ihre lustigen, neckenden Einfälle, die den unbeschreiblichen Zauber auf ihn geübt. Ach! sie mochte viele Fehler besitzen, sie mochte leichtsinnig, thöricht sein, aber ein großmüthiges, edles Herz besaß sie gewiß. Und sie konnte lachen, fröhlich scherzen und lachen, diese aber lachte bei aller ihrer Tugend, aller ihrer Ehrbarkeit niemals.

Trotz dieser mißmuthigen Betrachtungen machte jedoch die Vorstellung: es bleibe zuletzt doch nichts weiter übrig, als nach seines Vaters Willen Liesbeth zu heirathen, jetzt neue Fortschritte. Der Alte sprach davon wie von einer Sache, die keinen Zweifel zulasse, und Liesbeth wandte nie etwas dagegen ein. Sie hörte die Pläne ruhig an, welche der Vater über die Vergrößerung der Wohnung Abends überlegte, und ließ sich seine Scherze gefallen.

Ist sie damit zufrieden, sagte Conrad zu sich selbst, so werde ich es auch sein. Vielleicht geht es auch noch besser mit uns, als ich denke, und – hier fiel ihm der Brief der Schauspielerin ein, die gewiß auch schon geheirathet hatte – was ist denn alles Glück auf Erden?!

Als der August da war, fing Funk an, häufig von seinem ausgeliehenen Capital und dessen Zurückzahlung zu sprechen. Er hatte von dem Major bis jetzt gar nichts gehört, nun begann er zu überlegen, wie Conrad am zweckmäßigsten die Reise machen könnte. Er konnte bis zur nächsten Stadt mit der ordinären Post fahren, die alle drei Tage dahin ihren Weg nahm, und von dort aus dann seine Reise zu Fuß fortsetzen; oder man konnte einen Einspänner miethen, aber das war theuer; endlich aber konnte Conrad überhaupt ein Ränzchen auf den Rücken nehmen und sich seinen Füßen anvertrauen, was der sparsame Alte eine Zeit lang als das Beste verfocht, bis ihm einfiel, daß ein Fußwanderer mit einer so bedeutenden Geldsumme in gefährliche Gesellschaft gerathen könnte.

Mitten in diesen Ueberlegungen erschien jedoch ein Besuch, der Alles änderte und ordnete. Der junge Freiherr hatte seit jenem Tage, wo er seine Promenade über die Töpfe machte, sich niemals wieder gezeigt, obwohl er fortgesetzt in Berlin geblieben. Er hatte es nicht der Mühe werth gehalten, sich hierher zu begeben, jetzt kam er in voller Uniform, mit dem langen Degen rasselnd, und richtete einen Auftrag seines Vaters aus.

Mein Vater hat mir geschrieben, sagte er, daß ich zu Ihm gehen und ihn grüßen soll, Herr Funk.

Funk grinste auf's Freundlichste mit allen Zeichen seines Respects.

Mein Vater, fuhr der Lieutenant belustigt fort, läßt Ihm sagen, Herr Funk, daß Er den ersten September nicht vergessen soll.

Der steht richtig bei mir angeschrieben, mein gnädiger Herr Lieutenant, versetzte Funk pfiffig, die Augen hochziehend.

Wirklich, lachte der Lieutenant, will Er uns selbst die Freude machen?

Ich möchte es wohl, sagte Funk, aber mein Sohn da ist besser auf den Beinen.

Er wies über den Tisch fort, und der Lieutenant drehte sich um und sah Conrad stehen.

Das ist wohl mein alter Spielkamerad! rief er und bot ihm die Hand.

Es entstand ein Hin- und Herfragen, bis der Lieutenant versicherte, daß er schon oft habe kommen wollen, diese werthe Bekanntschaft zu erneuern, aber immer keine Zeit gehabt hätte. Funk war entzückt darüber, wollte ihn durchaus in die Putzstube bringen, sprach von einem Gläschen Wein, schrie Liesbeth an und ließ den Zopf fliegen, aber der Lieutenant lehnte Alles ab.

Bedanke mich auf's Allerschönste bei Ihm und bei der schönen Jungfer! sagte er, verspare es mir jedoch auf ein ander Mal. Wann wollt Ihr nach Lebin hinaus? fragte er Conrad vertraulich. Ich reise morgen, wollt Ihr mich begleiten?

Das geht nicht an, erwiederte dieser, ich muß noch warten.

Müßt Ihr? lachte der Lieutenant. Ich kann's mir denken; die blauen Augen der stattlichen Jungfer halten Euch fest. Nun, so bleibt, mein lieber Kamerad, ich würde Euch auch nicht so weich placiren können, wie die Jungfer, denn ich fahre mit dem Baron von Quast in einem kleinen Jagdwagen. Aber ein Paar von meinen Pferden lasse ich hier und biete Euch eines davon an, wenn Ihr reiten könnt.

Das Reiten war dem jungen Funk nicht so ganz unbekannt, wie der spöttische, lachende Lieutenant vermuthen mochte. Er hatte Gelegenheit gehabt, auf eines Nachbars Pferd, der Holzhandel trieb und häufig Reisen machte, welche damals, wo es weder gute Landstraßen noch Eisenbahnen gab, meist zu Roß gethan wurden, sich zu versuchen, und dies Vergnügen war das einzige, gegen welches sein Vater nichts einwandte.

War daher Conrad auch kein besonderer Reiter, so fürchtete er sich doch nicht, auf ein Pferd zu steigen. Er nahm das Anerbieten des jungen Herrn an, und zur allseitigen Zufriedenheit wurde abgemacht, daß eines der Thiere für ihn bereit stehen sollte, sobald er es zu haben wünschte.


6.

Diese letzten Tage vergingen in einiger Unruhe, denn die Reise war ein wichtiges Ereigniß. Der alte Funk dachte unaufhörlich an sein Geld und an den schönen Gewinn, der dicht bevorstand. Die Pfiffigkeit kam nicht mehr aus seinen Augen, und er hielt seinem Sohn lange Vorlesungen, wie er sich bei den gnädigen Herrschaften zu benehmen habe in unterthänigster Aufmerksamkeit und Respect, um sich deren Gunst zu erhalten, und welche Kniffe er anwenden müsse, um den Major zu versichern, daß er dienstwillig und ergeben für alle folgenden Geschäfte sei.

Wir können da noch ein hübsches Stück Geld verdienen, schloß er dann die Hände reibend, denn sie schmeißen es hin, je mehr sie sehen, daß wir krumme Rücken machen, um das liebe Gut aufzulesen.

Für Conrad war diese Reise in mehr als einer Beziehung erwünscht, nur nicht im Sinne seines Vaters. Er wäre weit lieber gegangen, hätte er kein Geld holen sollen, das ließ sich jedoch nicht ändern; aber er hatte noch nie eine Reise gemacht, die über einen Tag gewährt, und gern verließ er diesen engen eintönigen Kreis seiner Beschäftigungen, neugierig und erwartungsvoll auf das fremde, prächtige Leben der vornehmen Gesellschaft.

Es gab aber noch etwas, das diese Unruhe vermehrte. Der junge, übermüthige Offizier mit seinen kecken Augen und seinem frivolen Lachen hatte ohne alle Scheu von den blauen Augen und weichen Armen der stattlichen Jungfer Liesbeth gesprochen, und daß diese ihn zurückhielten. Und er hatte Liesbeth dabei mit Mienen angeblickt, vor denen diese sich abwandte. In seinem Herzen fühlte Conrad Aerger über dies unverschämte Anstarren und die unverschämten Worte, und als der Freiherr fort war, und der Vater einen Scherz daraus machte, um Liesbeths Schönheit herauszustreichen, gab sie eine herbe Antwort darauf.

Na, na! rief Funk, man sachte! Es ist den Herrn ihre Art so, sie machen es mit den Bürgermädchen nicht anders. Es wird dir aber auch die Krone nicht abstoßen, wenn du ihm gefällst, wirst nicht häßlicher davon werden. Meinst du nicht, Conrad?

Conrad blickte Liesbeth an, ihr Gesicht hatte sich höher geröthet und ihre Augen waren wirklich glänzend blau, ihre Formen voll und kräftig.

Wer weiß, wem Liesbeth lieber gefallen möchte! antwortete er.

Dir nicht! rief sie hastig und wurde noch röther.

Der Alte schlug ein hartes Gelächter auf, aber Liesbeth ging hinaus, und Conrads Gesicht verfinsterte sich.

Du bist ein Narr! sagte sein Vater. So wie du zurückkommst, wollen wir die Sache in Ordnung bringen, im October kann Hochzeit sein. Wirst schon sehen, wie die Sprache dann anders lautet.

Darnach sieht es nicht aus, antwortete Conrad mürrisch.

O du Sakermenter! kennst die Weiber nicht. Sie wird schon lachen und keinem Anderen gefallen wollen. Bleib nur nicht lange fort und bring's Geld richtig nach Haus.

Mit diesem tröstenden Bescheid mußte sich. Conrad zufrieden geben, aber das trotzige: »Dir nicht!« kam ihm immer wieder in den Kopf, sobald er Liesbeth sah, wirkte fort, bis sie sich trennten.

Es war ein Mantelsack vom Nachbar geborgt worden, der auf's Pferd geschnallt werden konnte, und Liesbeth wollte die Wäsche einpacken, aber Conrad litt es nicht. Er würde was er mitnehmen wollte selbst einpacken, sagte er. Darauf erwiederte sie nichts, kümmerte sich nicht mehr darum. Das verdroß ihn ebenfalls.

Endlich kam der Morgen der Abreise. Ein Reitknecht brachte das Pferd vor's Haus, ein schwarzes gewaltiges Thier mit funkelnden Augen. Der Mantelsack wurde festgeschnallt. Conrad hatte sich mit einer Geldkatze umgürtet, die vor der Hand leer war. Sein Vater ließ sich noch einmal den Schein des Majors zeigen, grinste behaglich und hielt seine letzten Ermahnungen. Liesbeth machte sich in der Küche zu schaffen, wo sie allerlei Imbiß zusammenpackte, der in die Satteltasche geschoben wurde; erst als sie gerufen wurde, kam sie herein.

Jetzt geht's los, rief der Alte. Paß gut auf, Conrad. Halt die Geldkatze fest und betrage dich, wie es dir zukommt. Rechts um, marsch! Nimm Abschied, Liesbeth.

Lebe wohl! sagte Conrad und gab ihr die Hand.

Komm gesund wieder! antwortete sie.

Gieb ihm einen Kuß auf den Weg! schrie der Alte.

Sie standen Beide, als warteten sie der Eine auf den Anderen; plötzlich zog Liesbeth ihre Hand zurück und verschwand.

Donner Element! lachte der Alte ihr nach, wart! wirst das Küssen noch lernen, wenn er wieder hier ist. Lauf hinterher, Conrad, halt sie fest.

Aber Conrad drückte den Hut auf den Kopf, und sein Vater begleitete ihn hinaus und wetterte, daß er das Sturmlaufen nicht verstehe, wie es die Mädchen haben wollen.

Wenn's wieder so kommt, fass' dreist zu, sagte er. Jetzt mach, daß du fort kommst, und bring das Geld richtig nach Haus, alles Andere wird sich finden.

So stieg Conrad auf das schwarze Gensdarmenpferd, das gleich mit ihm ein paar tüchtige Sätze machte. Aber er saß fest, und der Reitknecht nickte ihm nach und sagte zur Beruhigung:

Es ist ein alter Satan, doch der Herr wird so leicht nicht aus dem Sattel kommen. Rasch auf den Beinen ist das Beest auch noch, morgen bei guter Zeit werden sie in Lebin sein.

In wenigen Minuten war der Reiter ihnen aus dem Gesicht und bald hatte er auch die Stadt im Rücken. Es war ein heller, warmer Tag, aber die herbstliche Frische machte sich fühlend bei wolkenlos blauem Himmel geltend.

Dem jungen Reiter fiel ein schweres Gewicht von der Brust, als er aus den Häusern heraus, zwischen Felder und Bäume gelangte. Er athmete leicht und froh und ließ die Sorgen hinter sich. Da saß er auf einem raschen Renner und blickte weit über unabsehbare Flächen, die Menschen, die Blumen, die Felder, die Bäume, Alles kam ihm, von des hohen Rosses Rücken gesehen, anders und besser vor. Vor ihm lag die Welt mit freudigen lustigen Tagen.

Er hatte keine Furcht vor den vornehmen Leuten, zu denen er sich gesellen sollte. Der alte Freiherr, das wußte er, wollte ihm wohl, und auch sein ehemaliger Spielkamerad hatte sich freundlich bewiesen. Es mochte ein wilder Junker sein, doch sein Benehmen war zutraulich gewesen, sein Gesicht sah keck und sorglos aus, und daß er ihm ein Pferd angeboten und geliehen, bestärkte Conrads gute Meinung.

Wie waren diese Kinder des Glücks doch zu beneiden, die von den niederen Plagen und Qualen des Lebens nichts wissen, nichts von der Noth der Arbeit und der Sorgen, nichts von der Last des täglichen Broterwerbs. Ja, diese Sonnenvögel fliegen frei durch die Welt, die ihnen gehört mit allen ihren Schätzen. Dies weite Land, alle diese Wälder und Dörfer, diese schimmernden Seen und weidenden Heerden, alle diese Menschen mit ihren Kräften und ihren Diensten, Alles, Alles ist ihnen unterthan. Alle Thüren öffnen sich ihnen, vor ihren Namen beugt sich die demüthige Menge, überall sind sie die Ersten, und ihr Leben geht in Lust und Freuden dahin, bei Königsfesten in glänzenden Sälen, auf hohen Rossen, bei Kriegs- und Liebessiegen, bei Jagd und Gläserklang. –

Ist das nicht schön, zu diesen Begnadigten zu gehören, war es nicht schon prächtig, einen ganzen Tag lang auf eines Rosses Rücken frei zu sein, dann andere Tage ein Theilnehmer ritterlicher Freuden, ein Genosse ihrer Herrlichkeit? Conrad war beglückt und froh von solchen Vorstellungen.

Er hatte neun Meilen zu machen, um nach der Stadt zu gelangen, von der das große Gut des Majors dann noch zwei Stunden entfernt lag; aber da der Weg im Ganzen gut war und sein Pferd sich als kräftig und tüchtig bewährte, erreichte er mit dem Abenddunkel doch sein Ziel. In dem Gasthause fand er ein leidlich gutes Unterkommen, und die Leute nannten ihn gnädiger oder gestrenger Herr, als sie erfuhren, daß er zu der Gesellschaft des Freiherrn gehörte.

Er träumte auch in der Nacht, daß er selbst ein Baron sei; und alle die stolzen Offiziere stießen mit ihm an, alle die schönen Damen in schweren Seidenroben und blonden Locken lachten ihm zu und wollten mit ihm tanzen; des Majors Tochter aber war die allerschönste, und wie er blöde vor ihr stand, hörte er plötzlich seinen Vater schreien: Faß zu, Conrad, so hast du sie!

Davon wachte er auf, und es war Tag. Er konnte sich des Lachens nicht erwehren, indem er aufsprang.

Ei ja, rief er, wer weiß, was geschähe, wenn mein Traum wahr würde. Und warum kann er nicht wahr werden? Welche Rechte haben diese Menschen mehr, als ich? Ich will ihnen zeigen, daß ich bin was sie sind.

Nachdem er in solcher fröhlichen Stimmung sein Frühstück genommen und mit der Großmuth eines Herrn aus edlem Hause seine Zeche bezahlt, bestieg er das starke Pferd, das von diesem ersten harten Reisetag seinen Muth noch nicht verloren hatte, und dessen Freiherrnkrone auf der Schabracke den Leuten eben so viel Respect einflößte, als er selbst. –

Die Sonne stieg strahlend am Himmel auf, und der Weg, welcher ihm genau beschrieben war, führte durch ein anmuthiges Land. Hier hörte der Sandboden der mittleren Mark auf, und statt der eintönigen Kiefernhaiden trat der Laubwald hervor, der da und dort schon in seinen herrlichen Herbstfarben schimmerte. Dörfer lagen auf der weiten Ebene zahlreich zwischen hohen Baumkränzen, und über weite Wasserspiegel wehte der Wind die Binsenwogen, aus denen die Taucher und Rohrschwalben schrieen.

Solch freudiger Sonnenmorgen mit seinem Glanz und seinem Frieden macht bis in's tiefste Herz froh, und mit solchem Gefühl schaute auch Conrad umher auf die fernen blauen Waldleisten, die den Horizont vor ihm einschlossen. Er wußte, daß dies der Wald von Lebin sei, und daß das Gut des Freiherrn am Rande desselben liege, und daß es ein alter stattlicher Rittersitz sei, kein gewöhnliches schlechtes Holz- und Schindelhaus, wie es manche märkische Edelleute damals nur besaßen.

Indem seine Gedanken sich noch damit beschäftigten, hörte er in der Ferne seitwärts einen Schuß fallen, dessen Donner die friedliche Stille unterbrach. Eine Hügelerhebung zog sich nach dem Walde hin und versperrte die Aussicht, aber der Weg machte eine Biegung und das Pferd war durch den Schall so unruhig geworden, daß Conrad ihm die Zügel ließ. In wenigen Minuten war es mit seinem Reiter auf der Höhe, und welch ein Anblick bot sich diesem hier!

Ein ungeheueres Blachfeld dehnte sich vor ihm aus und eine Staubwolke wirbelte darauf, aus der ein wildes Geschrei erschallte. Conrad sah Menschen, Pferde und Hunde, eine große fleckige Meute. Er hörte die Stimmen der Jäger, das Knallen der Peitschen, die gellenden Töne der Jagdpfeifen, den ganzen blutgierigen Lärm einer Hetzjagd.

Und dort kam auch der Hirsch in furchtbaren Sprüngen voran, doch sichtlich nicht weit mehr von seinem Untergange, denn Hunde und Jäger waren an seinen Fersen, das unglückliche Geschöpf strengte alle seine Kräfte an, um den Wald zu erreichen, während seine Verfolger Alles aufboten, um ihm dies unmöglich zu machen. Ihre Hussahs und ihre Peitschenhiebe verdoppelten die Wuth der Hunde, wie die Geschwindigkeit der Pferde, und obwohl die Jagd der Stelle ziemlich nahe kam, wo Conrad sein Pferd mühsam bändigte und der Hirsch über eine Hürde setzend die Hügelsenkung hinabsprang, schien doch keiner von den Jägern einen Blick auf ihn zu werfen, da die Flucht des gehegten Thieres ihre Augen und Begierden allein beschäftigte. Pferde, Hunde und Menschen sprangen wie in einem Knäul gebaut über die Hürde, ein tolles wirres Schreien schmetterte durch die Luft.

Sie haben ihn bei den Ohren, tönte eine mächtige Stimme mitten durch den Lärm, und Conrad sah den alten Freiherrn im Schwarm her Jäger mit jugendlicher Lebendigkeit auf seinem Jagdpferde. Drauf! drauf! schrie er und verschwand in der Staubwolke, die an einer anderen Stelle verwehend plötzlich ein neues Bild zum Vorschein brachte.

Von der gesammten Jagd war hinter der Hürde nur ein einzelner Theilnehmer zurückgeblieben, ohne Zweifel nicht freiwillig, denn sein Pferd hatte sich geweigert, über die Flechtenwand der Hürde zu setzen, und eben hatte er das widerspenstige Thier herumgeworfen, um es zu einem neuen Anlauf zu zwingen, als er den Fremden erblickte, der aus dem Staubwirbel jetzt sichtbar wurde. Als dies geschah, ließ er von seinem Vorhaben ab und näherte sich ihm.

Conrad blickte ihm unverwandt und verwundert entgegen, denn nicht ein wilder Junker saß auf dem keuchenden Apfelschimmel, sondern eine Dame war es, im langen grünen Reitkleide, im grünen aufgeschlagenen Federhut, dessen flatternde Bänder sich um ihr reiches blondes Haar schlangen, während ihre tiefblauen Augen ihn anleuchteten und das erhitzte Gesicht freundlich lachte.

In dem Augenblick, wo Conrad alle diese Bemerkungen machte, fiel ihm sein Traum ein, und er zweifelte nicht, daß dies die Tochter des Freiherrn, das gnädige Fräulein Renata sei, und nie glaubte er ein schöneres Frauenbild gesehen zu haben. In seiner Bestürzung vergaß er beinahe seinen Hut zu ziehen, sondern blickte sie starr an, bis sie den Mund lieblich öffnete, und als sie dies that, erschrak er noch mehr.

Willkommen, Herr Conrad Funk! sagte sie. Sie haben uns schönes Wetter mitgebracht.

Es fuhr ihm durch alle Nerven und Adern bei dem Klange ihrer Stimme.

Sie wissen meinen Namen, sagte er mit Mühe.

Ei, wie sollte ich den nicht wissen, Herr Funk, lachte sie und die tiefblauen Augen blitzten ihm schelmisch in's Gesicht. Wir haben Sie ja erwartet, und dies wackere Pferd ist mir wohl bekannt. Schade, daß Sie nicht einige Stunden früher kamen, denn die Jagd ist aus, der Hirsch liegt. Hören Sie das Siegesgeschrei? Da wir nun aber Beide zu spät kommen, so wollen wir langsam hinabreiten. Mein Vater wird sich freuen, daß Sie hier sind. Er hat schon gestern von Ihnen gesprochen und ich auch. Ich freue mich nicht weniger, Sie wieder zu sehen.

Sie trieb ihr Pferd an, er folgte Ihr ohne Antwort.

Nun, fuhr sie nach ihm umblickend fort, ist es Ihnen nicht auch lieb, Herr Funk, daß wir unsere Bekanntschaft erneuen?

Ich – ich weiß nicht – die Bekanntschaft – stotterte er halb unverständlich.

Erinnern Sie sich meiner gar nicht mehr? fragte sie mit allerliebstem Laden.

Ein Feuerstrom schoß durch sein Blut.

O! meine Erinnerungen – sie werden mich niemals verlassen – aber –

Es ist freilich schon lange her, Herr Funk, fiel sie ein, und Sie haben seitdem nicht wieder an mich gedacht.

Oft! oft! sagte er leise zitternd. Es ist kein Tag vergangen, ich möchte sagen, keine Stunde.

Wirklich! rief sie mit ihren schelmischen Blicken, aber das scheint mir ein Wunder; denn ich war ja noch ein ganz kleines Mädchen, als Sie in unser Haus kamen, um meines Bruders Spielgenosse zu sein. Ich habe zuweilen zugesehen, auch wohl ein wenig mitgespielt, und ich möchte behaupten, Herr Funk, daß ich mir Ihre Gesichtszüge besser gemerkt habe, als Sie dies bei mir vermochten. Habe ich nicht Recht?

Die Glut in seinem Herzen zerrann und an ihre Stelle trat die Kälte der Wahrheit und machte ihn nüchtern. Welche satanische Macht hatte ihm wiederum den Kopf verwirrt, daß er denken konnte, diese schöne stolze Dame – es preßte ihm Lachen aus.

Ich kann nicht Nein sagen, antwortete er, denn allerdings, meine Erinnerungen sind in dieser Beziehung sehr dunkel.

Um so dankbarer muß ich sein, wenn Sie trotz dessen zuweilen an mich dachten. Wenn auch nicht alle Tage, Herr Conrad, oder gar alle Stunden. Ich bin nicht unbescheiden; allein, wenigstens so lange Sie nun hier sind, sollen Sie sich zuweilen an mich erinnern, und wenn Sie nichts dagegen haben, wollen wir Beide die alte Freundschaft nicht vergessen.

Damit reichte sie ihm ihre Hand hin und elektrisch zuckte es durch seinen Arm, als er den Druck ihrer Finger fühlte. Er behielt jedoch keine Zeit, seine Empfindungen zu ordnen, denn sie setzte ihr Pferd in Galopp und rief ihm zu:

Vorwärts, Herr Conrad, damit wir noch zum Hillalloh kommen! Man hat uns schon bemerkt und erwartet uns.

So flog sie dahin und die Jagdgesellschaft empfing sie mit lustigem Hussah und Gelächter. Dem alten Edelmann wurde soeben der Kopf mit dem großen Schaufelgeweih des Hirsches gebracht, um dessen zerfleischten Körper sich die Hunde balgten. Die Jäger mit ihren Peitschen und Hörnern, die Siegesfanfaren und das wilde Gebell und Geheul der schnaubenden schweißnassen Pferde und Menschen, die blutige zu Tode gehetzte Creatur, und die lachenden übermüthigen Herren in ihren leuchtend rothen Röcken, das schöne Fräulein umringend und neckend, Alles gab ein lebendiges romantisches Bild auf dieser offenen Haide.

Als sich Conrad näherte, rief der Freiherr ihm sein Willkommen entgegen. Heute langt Er zu spät an, Pathe, Er hätte sich eher herscheren sollen, schrie er ihm zu, aber es thut nichts. Er kann immer noch zeigen, ob Er zu was Besserem Lust hat, als die Federpose zu regieren.

Unter dem Lachen und Anstarren der Herren mußte Conrad absteigen, und wurde nun auch von dem Lieutenant begrüßt, der ihm die Hand schüttelte und als sein Beschützer verfuhr. Er stellte ihn seinen Freunden als seinen Jugendkameraden vor und der Empfang war kein übler.

Der junge Mensch sah nicht aus wie ein blöder tölpischer Kerl, den man hänseln und verspotten könnte. Er hatte etwas in seinem offenen Gesicht, das für ihn einnahm, und obwohl er sich bescheiden benahm und antwortete, wie es sich für ihn schickte, blickte er doch nicht demüthig oder furchtsam umher. Dazu kam, daß auch in seiner Kleidung und in seinem Anstand, wie in seinen Worten und Bewegungen sich bessere Sitte ausdrückte, als der gewöhnliche Bürger damals besaß, endlich aber zeigte der alte Freiherr bald auch genugsam, daß er diesen Gast gern bei sich sah und ihn gegen jede Unbill beschirmt haben würde.

Nach einer halben Stunde wurden die Hunde gekoppelt, die Herren schwangen sich auf ihre Pferde und im frohen Getümmel ritten sie dann alle an der Waldleiste hinauf und endlich mitten durch Eichen und Buchen von mächtigen Stämmen und Kronen nach dem Schloß zurück.

Conrad blieb an der Seite des Majors, der so gerade und fest zu Pferde saß, als ob er seine weißen Haare zum Spaß trüge; denn erst als er auf seine eigenen Füße sich verlassen sollte, bewiesen diese, daß der Bau auf diesen wankenden Säulen doch mürber sei, als es den Anschein hatte. Der alte Edelmann wußte seinem Pathen viel zu erzählen, sowohl von der Jagd als vom Wald- und Landleben, wie er über seinen Feldwebel und dessen Zopf zu fragen hatte, was mit manchem herzlichen Gelächter geschah.

Während dessen ritten die jungen Herren kreuz und quer durch den Grund, rufend, singend und fluchend, wie es kam. Ein Paar hielten ein Wettrennen auf ihren müden Pferden, andere verspotteten und neckten ihre Genossen über allerlei kleine Unfälle, die sich zugetragen, und jene vertheidigten sich mit Schwüren und gegenseitigen Anschuldigungen. Es waren mehr als zwanzig junge Leute, meistentheils Offiziere oder Gutsherren, oder Söhne der adligen Nachbarn des Freiherrn, denn ein Bürgerlicher konnte damals noch kein Rittergut besitzen.

Conrads Augen verfolgten jedoch weniger diese lärmenden jungen Herren, wie sie sich auf das Fräulein richteten, das Allen voraus von einem stattlichen Jäger begleitet wurde, der sich angelegen sein ließ, ihr den Weg zu verkürzen. Es machte ihm auch keiner diesen Vorrang streitig, obwohl Conrad meinte, daß Manche ihre Augen auf beide richteten, und dann und wann ein Lachen entstand. Der Major hörte wohl etwas davon, sah sich um und merkte es auch.

Na, na! rief er einmal, kommt ihm nicht in's Gehege, ihr Springinsfelde! Dann sagte er leiser zu seinem Pathen: Das ist der Rittmeister Quast, der da neben Renaten. Der war der Erste am Hirsch, wie er überall der Erste ist. Donnerwetter! Pathe, den soll Er reiten sehen, es ist kein zweiter so in der Armee, der kommt noch über Ludolf. Ich möchte es auch Keinem wünschen, vor seiner Büchse zu stehen, oder vor seinem Pistolenlauf. Ein famoser Schütze, Pathe! Gnade Gott den Franzosen, wenn der mal über sie kommt. Aber ich denke – na! na! er wird sich sein Wild schon stellen.

Damit lachte er fröhlich auf, und Conrad wußte, was das zu bedeuten hatte. Das war ein Schwiegersohn, der allen Wünschen des Majors entsprach. Es kam ihm ein bitteres Lachen auf die Lippen, der Haß flog wie ein Blitz durch sein Gehirn gegen den glücklichen, stolzen Baron, aber der Freiherr rief:

Da seh Er hin, Pathe, da liegt Schloß Lebin, und da soll Er es gut haben, so lange es Ihm gefällt. Bleibe Er bei mir, bis ihn sein Vater mit einem Kreuz-Element nach Hause holt, wenn Er aber gehen muß, dann nimmt Er die Siebenhundert mit. Mein Amtmann weiß schon, er soll Alles bereit halten. Jetzt vorwärts, damit wir was Warmes in den Leib kriegen.

So ging's denn rasch auf das sogenannte Schloß los, das zur Seite eines großen Dorfes, von diesem getrennt durch vier Reihen alter Linden, lag, die einen breiten Weg bildeten. Das Dorf mit seinen niederen Strohhütten und zerstoßenen Lehmwänden sah arm und unordentlich aus. Kinder und demüthig Volk liefen aus den Thüren, um die gnädigen Herrschaften zu sehen, und alle Mützen flogen von den flachshaarigen Köpfen, als die Junker vorüber sprengten.

Der Wirthschaftshof mit seinen Ställen, Scheunen, Verwalter- und Arbeiterhäusern befand sich entfernt von dem Herrenhause, das hinter einem grünen Vorplatz sich erhob, an welchen sich Garten und Park anschlossen. Das Schloß war ein ziemlich langes, zweistöckiges Gebäude mit Seitenflügeln, in deren thurmartigen Vorsprüngen Wendeltreppen bis auf das Dach führten. Es war zu des großen Churfürsten Zeit erbaut worden, auf den Trümmern und auf den Grundmauern eines alten Hauses, das von den Schweden zerstört wurde, und seit dieser Zeit hatten die Besitzer schwerlich viel für diesen Bau gethan, denn er sah alt und verfallen aus. Treppen, Thüren und Fenster abgestoßen, geflickt und abgenutzt, die hohen Säle und Zimmer mit Zeichen verblindeter Pracht versehen, mit verrauchten Tapeten, Stuckdecken und vergoldeten Wappen.

Eine Anzahl Gemächer war besser erhalten, denn der verstorbene Bruder des Freiherrn hatte einigen Sinn für bessernde Einrichtung seiner Wohnung gehabt, und so lange die gnädige Frau lebte, hatte diese für Geräthe in den bewohnten Räumen Sorge getragen. Aber dies war eben nur in beschränktem Maße geschehen, um den größten Theil des Hauses bekümmerte sich Niemand.

Als die Schaar der Jäger vor dem Hause hielt, sprang ein Schwarm von Reitknechten und Dienern herbei, ihren Herren die Pferde abzunehmen; um Conrad hätte sich in diesem Getümmel wohl Keiner gekümmert, wenn der alte Grenadier mit der verstümmelten Hand nicht gewesen wäre. Der jedoch schrie ihn freundschaftlich an, nahm ihm die Zügel ab und warf sie einem der Knechte zu, dem er seine Befehle gab.

Ist Er da, Mosjeh Conrad! schrie er dabei, das ist mir lieb, ich habe auf Ihn gewartet. Geb' Er nur her und mach' Er, daß er in den Eßsaal hineinkommt, denn die warten nicht, und sonst kriegt Er nichts. Eine Kammer ist für Ihn besorgt, und seinen Mantelsack nehmen wir gleich mit; also folge Er mir.

Nach diesem Empfang hielt es Conrad für das Beste, dem Rathe seines Freundes eilig nachzukommen, denn die Jäger waren alle schon in dem Hause verschwunden; aber Klosmann führte ihn durch eine Seitenthür eine schmale Treppe hinauf, und dann in ein wüstes Erkerzimmer im Seitenflügel, in welchem nichts zu sehen war als ein Bett und ein zerbrochener Stuhl und ein Fenster mit einigen zerbrochenen Scheiben. Der Alte putzte und bürstete an ihm umher, und als er damit fertig, führte er ihn durch einen langen Gang zur Haupttreppe und zum Speisesaal, aus dem schon verlockende Gerüche, Lärm und Gläserklirren ihm entgegen kamen.

Und spät erst in der Nacht lag Conrad mit glühendem Gesicht und klopfenden Pulsen auf seinem Lager. Das war ein gewaltiges Schmausen und Zechen gewesen. Zum Mittag schon wollte es kein Ende nehmen, aber am Abend ging es erst recht an. Es kam Gesellschaft aus der Umgegend, ein Wagen nach dem anderen; die Gutsherren mit ihren Damen, schöne Frauen und Fräulein in Reifröcken und Flitterkleidern. Es wurde ein Ball gehalten, und alle die wilden, verwegenen Cavaliere zeigten, was sie auch auf diesem Kampfplatze leisten konnten.

Der Freiherr hatte auch Conrad dazu ermuntert, Ludolf hatte mit ihm Ungarwein und Punsch getrunken, ihm zugeschworen, daß er ein fideler Kerl sei, und Fräulein Renate hatte mit ihm getanzt, gelacht und gefragt, welche von allen den schönen Damen ihm am besten gefiele, und mit ihren schelmischen Augen und neckenden Reden hatte sie sein Blut noch viel heißer gemacht, als Wein und Tanzgewirbel.

Jetzt lag er, und der Wind klapperte mit den zerbrochenen Scheiben, rauschte mit den zerrissenen Tapeten, und ein schwarzer Unhold, eine Fledermaus huschte durch den Kamin. Aber er fühlte und hörte nichts, denn er dachte nur daran, daß seine liebliche Fledermaus ebenso leicht, ganz eben so zierlich, anmuthig getanzt habe, wie Fräulein Renate, und – und Herr Gott! wenn das möglich wäre! Aber nein, nein! und doch doch! – da nickte Jungfer Liesbeth über das Kopfkissen fort und sagte mit ihrer harten, festen Stimme:

Pfui! welch liederliches, schändliches Leben! Wie geht es hier her, und wie sieht es hier aus! Wie sauber, rein und nett ist es bei mir, wenn ich auch keine seidenen Kleider trage, kein Fräulein bin, und keine zierlich tanzende Fledermaus.

Er lachte auf, daß es gespenstisch widerhallte, und die Fledermaus kreischte und flog zum Fenster hinaus. Darauf schlief er ein.


7.

Es vergingen drei Tage, alle in derselben Art, wie der erste. Es wurde gejagt und geschmaust, getanzt und getrunken, geritten und gefochten; die übermüthigen Cavaliere überboten sich in Lust und Laune und wetteiferten um den Preis in jeder ritterlichen Geschicklichkeit. In Gesellschaft der Damen übten sie sich, diesen zu gefallen, ihnen ihre Huldigungen zu bezeigen und Bewunderung einzuflößen, und dies geschah gewiß am besten in diesem Kreise nicht etwa durch sanfte, feine Sitte und gewählte Rede, sondern durch muthwilligen Scherz und kecke Worte, durch ihre kräftigen, jugendlichen Gestalten und durch ihre prächtigen Kleider und Uniformen.

Es waren meist stattliche Herren, rasch zu jeder That, wohlbekannt mit den Gebräuchen der damaligen vornehmen Gesellschaft, von stolzen Namen und stolzen Ansprüchen. Der Adel in diesen alten Grenzmarken hatte viele herrliche Gesichter und Gestalten aufzuweisen, von riesigem Bau, lichtem Haar und feurig blauen Augen, an denen man noch die Nachkommen der Sachsenritter erkennen konnte, die in Jahrhunderte langen Kämpfen das tapfere Wendenvolk besiegten und vernichteten.

Aber die meisten dieser Gesichter hatten wenig oder nichts von geistiger Veredelung einer neueren Zeit an sich. Sie waren noch immer die Herren und Gebieter, gleichsam die alleinigen Menschen, die verachtend und gefühllos auf den gemeinen Haufen herunterschauten, und dies drückte sich in ihren übermüthigen Mienen und hoffärtigen Blicken genugsam aus.

Manche sahen wohl freundlich auf den jungen Bürger, den der Zufall und die Marotten des Majors in ihre Gesellschaft gebracht, aber sie thaten es aus gnädiger Herablassung, weil auch die Kinder des Freiherrn sich herabließen, und weil's der Sohn eines Feldwebels war, also ein Soldatenkind vom Handwerk.

Und Niemand konnte sagen, daß dieser Bursche, der sich manierlich benahm, diese Nachsicht nicht verdiente. Denn er zeigte sich nirgend vorlaut oder anmaßend, weit eher schüchtern und in sich gekehrt. Wartete, bis er angeredet wurde, war höflich und gefällig, und wo etwa Fräulein Renate einen kleinen Dienst verlangte, etwas bestellt oder geholt haben wollte, da ließ er sich vortrefflich gebrauchen, und sie wandte sich auch oft an ihn, sprach mit ihm und zeigte sich gütig. Das fiel Keinem auf, denn zum Bedienten paßte er am besten, und um sein bescheidenes Wesen vergaben ihm wohl die Stolzesten seine Gegenwart. Nur Einer schien keinerlei Wohlwollen für ihn zu empfinden, das war der Baron von Quast.

Der große Mann mit dem gebräunten, kühnen Gesichte und leuchtenden Augen war die Zierde dieser Feste. Er der Erste in allen Künsten, der bewunderte Liebling seiner Genossen. Seine Gewandtheit und Kraft war erstaunenswürdig. Wie das wildeste Roß unter ihm demüthig zitterte, so zitterte Jeder, dem er drohte; Jeder fühlte sich geschmeichelt, mit dem er lachte und scherzte. Conrad hatte gesehen, wie er mit dem Pistol auf zwanzig und dreißig Schritte das Herz aus dem Coeuras schoß; er hatte gesehen, wie er mit Gewehr und Büchse nie sein Ziel fehlte; er hatte gesehen, wie er der beste Tänzer war; er hatte aber auch gesehen, wie er mit seiner schweren Peitsche unbarmherzig auf Thiere und Menschen hieb, die nicht gleich nach seinem Willen thaten.

Wenn in irgend einem, so lag in diesem Gesicht die schnödeste Menschenverachtung und der übermüthigste Junkertrotz, alle die wilden Tugenden überschäumender Manneskraft, und die unzähmbaren Laster dünkelhafter Herrlichkeit. Darum war er das Vorbild seiner Genossen, und sein Ruf ein so gepriesener und gefürchteter. Für Conrad hatte er keinen Blick, er sah über ihn fort, aber einige Male doch, wenn Fräulein Renate mit dem unpassenden Gaste freundlich that, ihn zu sich rief und mit ihm voran ging, zogen sich seine Augen zusammen und ein hohnvolles Lachen lief um seine Lippen.

Es ging jedoch, dem Conrad Funk eben so mit seiner Abneigung. Er wußte nicht warum, aber eine rachsüchtige Glut loderte in ihm auf, sobald er sah und hörte, wie der Baron gepriesen und bewundert wurde; noch mehr, wenn er sah, wie er dem Fräulein huldigte, und wie alle Anderen vor ihm zurückwichen. Vor ihm war er nichts, als ein tyrannischer, zu aller Gewalt bereiter Mann, der nichts achtete und nichts scheute, und dem er gerne gesagt hätte, was er dachte.

O! wenn das möglich gewesen, wenn er nicht ein Wurm war, der zu den Zertretenen gehörte, er hätte sich nicht vor dem Coeuras gefürchtet. Aber die Vornehmsten waren entzückt von diesem edlen Herrn, und sie – sie, die ihm so wenig glich, die so mild und so gütig wie ein Gottesengel aussah, auch sie war zufrieden, wohl stolz darauf, daß er sie bevorzugte, sie umlagerte; daß er ihr seine Huldigungen in Allen merklicher Weise darbrachte.

Am dritten Abend, als er schon im Bette lag, kam der alte Jäger zu ihm, die Grenadierpfeife im Munde und eine volle Weinflasche in der Hand, sammt einem zerbrochenen Glas. Er setzte sich auf dem Schemel am Bette nieder und lachte seinen guten Freund mit schwimmenden Augen an, wie es Einer thut, der viel getrunken hat.

Holla, Mosjeh! rief er, wach Er auf und trinke Er mit mir noch einen guten Tropfen. Alle Donner-Element! es geht diesmal lustig zu. Das gefällt Ihm? heh!

Es wird bald zu Ende sein, sagte Conrad.

Bald zu Ende? schrie der Grenadier. Himmel-Sakerment! es soll erst anfangen. Was habe ich Ihm gesagt! Hab' ich Ihm nicht gesagt, wir kriegen noch 'ne Verlobung. Hoho! die Verlobung kriegen wir, und dabei soll's hergehen, daß Jeder den Himmel für'n Dudelsack ansieht.

Er lachte auf und nickte dazu; schenkte das zerbrochene Glas voll und schrie:

Trink Er, Mosjeh! trink Er aus und noch Eins und noch Eins! das Brautpaar soll leben, hurrah hoch!

Es ist ja noch nicht so weit, sagte Conrad.

Es ist noch nicht so weit? Na, aber morgen wird's so weit sein. Die Sache ist richtig. Der Baron hat mit unserem Herrn gesprochen, hat angeklopft, und ist alles in Ordnung. Er will den Abschied nehmen, sobald es nichts mit dem Krieg wird, denn sonst erfordert die Ehre, daß er beim Regiment bleibt. Aber dann wird er das Fräulein heirathen und auf seine Güter gehen, und da wird's ein Leben geben. O, du Kreuz-Element! wie werden die leben! Keiner wird's ihnen gleich thun.

Womit? fragte Conrad, ohne recht zu wissen, was er fragte.

Womit? schrie der Invalide. Mit Allem, was es in der Welt Schönes gibt, was da geschaffen wird von allen Creaturen.

Bis das Geld ein Ende nimmt, antwortete Conrad erbittert.

Der hat's, bei dem nimmt's so leicht kein Ende! Der kann noch zwanzig Male Schlitten fahren, wie er in Berlin Schlitten gefahren ist, mitten im Sommer, als Doctor Luther.

Er brach in Lachen und Husten aus, indem er an die tolle Schlittenfahrt dachte, welche die Gensdarmen-Offiziere und Herren vom Hofe im vorigen Jahre erst gehalten hatten, als Zacharias Werners Weihe der Kraft in Berlin aufgeführt wurde, um diese und die fromme Bewegung in Berlin zu verspotten.

Nimmt denn das Fräulein diesen Herrn Baron so gern? fragte Conrad, und es fiel ihm ein, was sein Vater schon einmal gefragt und gesagt hatte.

Der alte Grenadier aber schrie auf:

Ist Er verrückt, Mosjeh! Da wird nicht lange gefackelt. Da heißt es: Hierher, Renate, da steht der Baron Quast, der wird dein herzliebster Eheherr und Gemahl werden. Jetzt vorwärts, bedank dich bei ihm und fall ihm um den Hals. Vorwärts marsch!

Und wenn sie es nicht thun will? rief Conrad heftig.

Alle Donnerwetter! Wo ist die Hetzpeitsche?!

Und wenn sie unglücklich wird, Klosmann, denn dieser Baron ist ein roher, wüster, gewaltthätiger Mensch.

Ja, ja! sagte der Invalide, indem er ernsthafter wurde. Stoßen und Schlagen ist seine Sache. Es ist einer von denen, die das verstehen.

Und dem, – dem soll sie hingeworfen werden!

Krimskrams! schrie der Invalide plötzlich wieder lachend. Setz Er sich nichts in den Kopf, Mosjeh, die läßt sich nicht in's Bockshorn jagen, die hat Haare auf den Zähnen und den Kopf voll Kniffe und Schliche; wird ihn schon machen, wie sie ihn haben will. Sie war schon als Kind wie ein Kobold, und lacht und springt noch so umher. – Jetzt den Rest ausgetrunken, Mosjeh, und dann wollen wir schlafen. Morgen ist große Gesellschaft, da kann er erleben, was ich Ihm anvertraut habe. Aber keinem Menschen sagt Er ein Wort davon, das rathe ich Ihm.

Endlich ging er mit der leeren Flasche, aber noch lange lag Conrad mit seinen Gedanken wach, und diese quälten ihn mit tausend Stacheln. Alle seine vernünftigen Vorstellungen wollten nicht Stich halten vor den Eingebungen seiner Phantasie. Zuletzt war es ihm, als sei es wahr und gewiß, daß Renate es gewesen, die ihm das Schicksal zugeführt, und die er wiedergefunden, nachdem sie ihn verlassen. Er setzte sich Vieles zusammen, erinnerte sich ihrer Worte, selbst was in dem Abschiedsbrief gestanden, den sie ihm geschrieben, und es paßte, wenn er es nur gehörig auslegte. Und sie sollte diesen Mann lieben, sie sollte ihm folgen wollen? – Sie sollte nicht! Er wollte – er wollte – ach! was wollte, was konnte er?!

Als der Morgen kam, erblaßten seine aufgeregten Vorstellungen, und was ihm gewiß geschienen, wurde wieder Schatten und Schaum, zu dem er keinen Glauben haben. konnte. Er fühlte sich ermattet und bedrückt, als er aufstand, und wünschte, er könnte gleich auf der Stelle abreisen, oder davonlaufen – doch, indem er dies dachte, fiel ihm Liesbeth ein, und er sagte heftig und hastig:

Nicht zu ihr zurück! Um Gottes willen nicht zu ihr, wie soll das werden!

Der Major hatte heut seinen Gästen einen freien Tag gegeben, das heißt, es war keine Jagd und keine gemeinsame Vergnüglichkeit veranstaltet, Jeder mochte thun, was ihm beliebte; zum Mittagsmahl aber, das spät erst beginnen sollte, mußte die Gesellschaft wieder beisammen sein. Es waren zahlreiche Gäste dazu eingeladen, die vornehmen Nachbarn, und wer sonst dazu gehörte.

Als Conrad sich beim Frühstück einfand, rief ihm Ludolf entgegen:

Gut, das Ihr kommt, Ihr müßt mit von der Partie sein, Kamerad. Wir wollen auf den See hinausfahren und fischen, wenn Euch das behagt. Sonst bleibt zu Haus und seht zu, wie Ihr Euch die Zeit vertreibt. Meine Schwester, mein Vater und Baron Quast reiten nach Meerfelde hinüber, Ihr könnt Euch auch dort anschließen.

Conrad erklärte mit Bereitwilligkeit, daß er zu fischen vorziehe, und Ludolf rief lachend:

Recht, mein Junge, kommt mit mir und mit Kracht, denn was es dort zu fischen gibt, geht doch nicht in Euer Netz.

Nach einiger Zeit zogen sie mit Angeln und Netzen durch den Garten, der bis an einen bedeutenden See reichte, welcher die schönste Gelegenheit für beutelustige Fischer bot. Er war tief und breit, fast eine Stunde lang, und schaukelte seine Wellen und Rohrfelder zwischen Buchwald und lachenden Ufern. In Ludolfs Gesellschaft befand sich ein Offizier, der sich Conrad immer freundlich bewiesen, und diese drei jungen Leute bemächtigten sich nun eines der flachen Kähne und fuhren lustig in den goldigen Tag hinaus, über das klare, blaue Wasser.

Es gab vielerlei große Fische im See, und Ludolf meinte die besten Stellen zu kennen, wo die Angeln auszuwerfen seien. Sie fuhren weit in eine Waldbucht, wo das Wasser sich zwischen Hügelwände eindrängte, und machten sich dort an ihre verrätherische Jagd. Aber sei es, daß ihnen Glück oder Geschicklichkeit, oder beides mangelte, die Fische waren klug genug, sich nicht fangen zu lassen, wenigstens blieb der Fang nach mehreren Stunden unerheblich und endlich warf Ludolf zuerst die Angel fort und rief, daß dies eine verdammte Beschäftigung für Menschen sei, die nicht die Geduld eines Schneiders besäßen.

Damit kehrte er das Netz um, in welchem die paar unglücklichen Gefangenen bewahrt wurden, die das Opfer ihres Leichtsinns geworden, und gab ihnen die Freiheit.

Scheert euch nach Haus! schrie er ihnen nach, und schickt uns ausgewachsene Bursche, die das richtige Maß haben.

Bei diesen Worten fielen seine Blicke auf Conrad, der in der Spitze des Kahnes saß und ernsthaft in's Wasser sah.

Was ist denn das mit Euch? fuhr er fort. Warum seid Ihr nicht lustig? Was geht Euch im Kopfe umher?

Es fehlt mir nichts, sagte Conrad, aber nun jeder Mensch hat wohl mancherlei Dinge in seinem Kopf, und es geht ihm wie den Fischen da, fügte er lachend hinzu.

Was meint Ihr mit den Fischen? fragte Ludolf.

Sie suchen nach dem Element, wo ihnen wohl ist.

Und Ihr sucht auch danach. Auf mein Wort! ich glaub's Euch und hab's Euch längst angemerkt, seit Ihr hier seid. Was, zum Henker! laßt Ihr Euch von Eurem Vater hinter den Ladentisch sperren, zu einem verdammten Krämer machen! Heda, Kracht, denke dir, ein Kerl, gewachsen wie eine Ruthe, ein Sohn von einem alten Soldaten, soll Band und Zwirn verkaufen, und zur Belohnung – ja, das ist freilich noch das Beste – zur Belohnung soll er ein nettes, blauäugiges Mädchen bekommen, wenn er sie nur nicht zu heirathen brauchte. Heirathen, und dann die Nachtmütze über die Ohren, und die Kinderklapper in die Hand! schrie er lachend, und der Lieutenant Kracht lachte nicht weniger; damit ist er dann für's ganze Leben versorgt.

Lieber einen Strick um den Hals! rief Kracht, als solche Stricke an den Beinen. Aber warum haut Ihr nicht die ganze Gesellschaft in die Pfanne? Wenn's jetzt Krieg gibt, so laßt mit Zwirn handeln, wer Lust hat.

Und der Alte mag mit dem Zopf wackeln und das hübsche Liesbethchen trösten, sagte Ludolf. Hört, Conrad, ich bin Euer alter Kamerad und habe Euch lieb, als spielten wir noch Pferd zusammen. Der Teufel soll mich holen, wenn Kracht nicht Recht hat! Krieg gibt's gewiß, denn der verdammte Napoleon hat nicht eher Ruhe, bis wir ihm auf den Pelz kommen. Prinz Louis sagte uns neulich beim Abschiede, wir möchten nur immer die Säbel scharf machen lassen, ehe wir auf Urlaub gingen. Alle Regimenter nehmen Freiwillige an. Tretet bei uns ein, Conrad, in meine Schwadron, wir wollen Euch schon helfen.

Leute, die mit der Feder Bescheid wissen, sagte Kracht, sind jetzt gut zu brauchen, werden bald Unteroffizier oder Wachtmeister.

Er kann's weiter bringen! rief Ludolf. Bei den Feldregimentern gibt's schon bürgerliche Offiziere, und im Kriege fragt man nichts nach dem Stammbaum. Wir haben mehr als einen bürgerlichen Major und Obersten in der Armee gehabt, das kann wieder so kommen. Manche sind auch schon geadelt worden und haben in die besten Familien geheirathet.

Conrads Augen thaten sich weit und glänzend auf. Es war, als blickte er in eine mit zauberischen Bildern gefüllte Welt.

Das gefällt Euch! Nicht wahr? lachte Ludolf. Heda! wir nehmen ihn gleich mit, Kracht. Er soll nicht wieder in die Zwirnspelunke. Ich setze mein Wort zum Pfande, daß was aus ihm wird. Ein gemeiner Krämer hätte meinen Schwarzen nicht reiten können, wie er ihn geritten hat.

Das war ein Grund, auch den Herrn von Kracht dafür zu stimmen, daß Conrad auf's Roß gehöre und nicht auf die Elle. Sie sprachen Beide auf ihn ein und schilderten ihm das Soldatenleben und tapfere Kriegsthaten mit den üppigsten Farben. Dabei auch immer wieder, wie er glänzend emporsteigen könne aus seiner Niedrigkeit, und da Conrad lebhafte Antworten gab, gar nicht abgeneigt schien, wenn's losging, Dienst zu nehmen und zu beweisen, daß Soldatenblut in ihm sei, gefiel das dem jungen Freiherrn so gut, daß er in seiner Freude sagte:

Du sollst an mir immer deinen alten Kameraden finden, Conrad, und sollst mich auch wieder Du nennen, wenn wir unter uns sind. Und wo ich dir helfen kann, soll es geschehen; der soll es mit mir zu thun haben, der dir zu Leibe gehen will.

Es wurde spät, ehe sie zurückkehrten, denn sie fuhren lange noch auf dem See umher, landeten da und dort, und erfrischten sich in einem am Ufer liegenden Bauernhofe. Die jungen, munteren Offiziere hatten viel zu lachen und zu erzählen, und ließen im Voraus die Gesellschaft, welche sich heut versammeln sollte, so Herren wie Damen, die Musterung passiren, was nicht ohne mancherlei Gespött geschah. Endlich als sie umkehrten und sich dem Lande näherten, war auch von der die Rede, bei deren Namen Conrads Herz klopfte und sein Athem stockte.

Herr von Kracht schwor, daß Renate doch die Schönste von Allen sei, und er gönne sie keinem, nicht einmal dem Quast; er wollte verdammt sein, wenn er es thäte.

Thue es nicht, Kracht! lachte Ludolf, ich thäte es auch nicht, wenn ich an deiner Stelle wäre.

Er ist ja auch zu alt für solche junge, frische Maiblume, sagte Kracht, und glaubst du denn, daß sie in ihn versessen ist?

Das ist nicht meine Sache, danach zu fragen, antwortete Ludolf.

Ich will gehangen sein, wenn's wahr ist! rief Kracht. Solch rosiges Gesichtchen voll Schelmerei, und er dazu, wie ein Eber voll Borsten.

Sie lachten beide über den Vergleich, dann fuhr Ludolf fort:

Nimm deine Zunge aber doch in Acht, Kracht, du weißt, der versteht keinen Spaß. Mag mein Schwager werden, wer da will, Renate thun, was ihr gefällt, ich glaube nicht, daß mein Vater Ja sagt, wenn sie Nein sagen will. Wart's also ab – wer weiß – wart' mal den heutigen Tag ab, da wird sich's zeigen, wie sie will. – Himmel-Element! Conrad, du siehst ja aus, als lägst du im siebenten Traum! die Schalten ein und wach auf! da kommen die Wagen schon mit den Gästen.

Conrad fuhr in die Höhe, und unter Gelächter und Spötterei erreichte der Kahn das Ufer, von wo die jungen Herren sich eilig aufmachten, denn wirklich langten die Gäste schon im Schlosse an.

Auch Conrad trat bald darauf in seine Kammer und putzte sich dort, so viel ihm dies möglich war. Der Mantelsack enthielt seinen besten Anzug, einen blauen Schooßrock mit goldigen Perlmutterknöpfen und pfirsichblüthenem Atlasfutter, schwarzseidene Kniehosen mit Stahlschnallen, gestickte Seidenweste und halbhohe Stiefeln mit braunen Stulpen. Als er sich in dem zerbrochenen Stück Spiegelglas betrachtete, das der Invalide ihm auf's Fensterbrett gestellt, war er zufrieden, denn Liesbeth hatte für die sauberste Wäsche gesorgt, und sein Halstuch war gestärkt und von feinem Battist.

Da steckte auch schon der Invalide den Kopf herein und folgte dann hinterher, prächtig anzuschauen, denn er trug eine ganz neue Montur, und sein Grenadierbart stand zu beiden Seiten hoch in die Höhe gewichst.

Schwerenoth! schrie er, wir sind auf dem Posten, Mosjeh. Ein Paar Kerle, die sich sehen lassen können. Wir könnten selbst Bräutigam vorstellen. Was?

Wer weiß, was noch aus uns wird! sagte Conrad.

Hahn in Ruh! schrie der Invalide. Aber schmuck seht Ihr aus, Mosjeh, könnt die meisten von denen da unten ausstechen, so vornehm sie sind. Und die gnädigen Fräulein würden es auch nicht übel nehmen, wenn Ihr kämt und verliebte Blicke machtet.

Man muß nur dreist sein! Klosmann, rief Conrad.

Alle Donner! ja, sagte der Invalide. Dreist, das ist die Hauptsache! Fahrt ihnen unter die Nase wie ein Herr, so glauben sie es. Doch jetzt macht, daß Ihr hinunterkommt, und sucht Euch einen hübschen Platz neben der Allerschönsten. Und hört mal, Mosjeh Conrad, paßt auf, heut gibt es was. Ich sage nichts weiter, aber Pauken und Trompeten gehen los, daß das alte Haus wackeln wird.

Als Conrad in den Saal trat, fand er die Gesellschaft schon vereint, und der alte Freiherr empfing ihn mit heiterem Gesicht.

Nun Pathe, rief er, bist du da? Bist ein schmucker Junge, hast dich gut in's Zeug geworfen. Wirst aber doch noch besser aussehen mit der Tresse am Hut und dem Pallasch um die Hüfte. Ich habe von Ludolf gehört, was du dir vorgenommen, wenn der Cujon, der Napoleon, gejagt werden soll. Hast Recht, mein Sohn, dein Vater wird auch nicht Nein sagen. Sein Geld liegt hier, du kannst es ihm bringen wenn du willst. Wirst dich auch wohl nicht viel um die Braut zu Hause grämen?

Nein, sagte Conrad.

Ich dachte es mir, lachte der Freiherr. Siehst du, hier gibt es auch Männer, die ihre Bräute die Augen roth weinen lassen, aber die Ehre geht vor und da kommt Eine – hoho!

Der alte Herr hielt inne, denn eben trat seine Tochter herein und ihr folgte der Baron Quast in seiner glänzenden Uniform. Conrad erblickte aber nur das schöne liebliche Bild, das er mit seinen Augen verschlang. Sie war in weiße, schwere Seide gekleidet und trug einen flimmernden duftigen Shawl um ihre Schultern; in ihren blonden Locken zwei Rosen mit Knospen und Zweigen, die er mit Entzücken betrachtete. Sie nickte ihm aus der Ferne freundlich zu, ihr zu nahen wagte er nicht, denn von wie Vielen wurde sie umringt!

Als aber die Tafel begann, mußte er sie immer wieder ansehen, und zuweilen glaubte er, daß ihre Augen auch ihn suchten. Die Rosen neigten sich gegen ihn hin, es war als wollte sie ihm diese zeigen. Zwei Rosen an einem Stiel hatte ihm die treulose Geliebte ja auch versprochen, an welchen er sie erkennen sollte. Phantastisches Träumen füllte seinen Kopf, doch dieser blieb nicht mild und sanft gestimmt. Neben Fräulein Renate saß der Baron, und Conrad sah, wie er mit ihr lachte, ihr in's Ohr flüsterte, ihre Hand nahm und die feurigen Augen umher fliegen ließ. Er bildete sich ein, daß der stolze Mann ihn verspottete, Verächtliches zu seiner Nachbarin sprach und daß diese ihm dafür andere lustige Geschichten erzählte.

Bald hörte er nicht mehr, was neben ihm gesagt und gefragt wurde und was an der Tafel vorging und wie die Unterhaltung so laut und lebendig geführt wurde, daß der Saal davon erschallte. Der Freiherr schien heut seinen ganzen Weinkeller ausschütten zu wollen, daß nichts übrig bleibe, und Conrad trank ein Glas nach dem anderen von allem, was ihm geboten wurde.

Dann fing er an mit zu sprechen, sich einzumischen in die Reden der Nachbarn und er wurde unterhaltend, reizte zum Lachen und lachte selbst, als müßte er Jeden darin übertreffen; antwortete auf alle Fragen, erzählte von Berlin, vom Theater, von spaßhaften Vorfällen, vom Krieg und von der Politik, zum großen Vergnügen der Zuhörer, welche sich an seinem Zustande ergötzten. Ludolf, der nicht weit von ihm saß, trieb ihn noch mehr dazu an und von der anderen Seite that dies der Herr von Kracht mit dröhnendem Gelächter.

Die jungen Offiziere spotteten in ihrer Art über die Franzosen und schworen, daß diese sammt ihrem neu gebackenen Kaiser davon laufen würden, wie sie bei Roßbach In der Schlacht bei Roßbach am 5. November 1757 besiegte der preußische König Friedrich der Große die französische Armee. Die Schlacht markiert einen der Wendepunkte im Siebenjährigen Krieg: Seither beschränkte sich die Konfrontation mit Frankreich auf die westdeutschen Gebiete, erst 50 Jahre später unter Napoleon sollten französische Truppen wieder so weit nach Deutschland vordringen. gelaufen wären. Conrad aber wollte dies nicht gelten lassen.

Wir wollen's abwarten! schrie er, Worte sind keine Bomben und die Franzosen jetzt ganz andere Soldaten, als sie bei Roßbach gewesen. Italien haben sie erobert, unter den Pyramiden gefochten, die Russen und die Oestreicher geschlagen und bis jetzt jeden Feind besiegt, der sich ihnen in den Weg stellte.

Aber die Preußen haben sie noch nicht gesehen, rief der Herr von Kracht.

Gesehen und sind doch nicht vor Schreck in Ohnmacht gefallen, lachte Conrad. Mein Vater hat auch unter der Brücke bei Bitsch gesessen und erzählt mit Begeisterung davon, wie die französischen Kugeln gepfiffen haben, daß sein halber Zopf verloren ging.

Nieder mit allen Zöpfen! schrie Ludolf. Die Franzosen sollen sie armdick hinten hängen haben, wir putzen sie ihnen fort und die Köpfe dazu.

Es lebe die Freiheit! schrie Conrad dagegen. Nieder mit den Zöpfen und den Perrücken! Vive la liberté! alle Menschen sind gleich. Bei den Franzosen gibt es keinen Unterschied mehr und bei uns muß es eben so kommen, oder wir –

Hier gerieth er in's Stocken, denn er sah wie der Baron Quast ihn jetzt wirklich grimmig anblickte, aber davor hätte er wohl nicht geschwiegen, wenn am andern Ende der Tafel nicht so eben der alte Freiherr seine gewaltige Stimme erhoben hätte, die er mit dem kräftigen Aufstoßen einer Flasche auf den Tisch begleitete.

Ruhig ihr da unten! rief er und hört zu. Hier hat der Herr von Zechau die neuesten Nachrichten aus einem Briefe aus Berlin.

Es entstand eine augenblickliche Stille. Der Herr von Zechau hatte ein Blatt in der Hand und las:

Haugwitz ist aus Paris zurück, er hat nichts ausgerichtet. Gestern wurden ihm die Fenster eingeworfen, man sagt Prinz Louis –

Ein ungeheuerer Lärm unterbrach die Mittheilungen. Hurrahs und Vivats für den Prinzen, Gelächter, Schwüre und Flüche strömten zusammen. Dazwischen klangen die Gläser, daß die Scherben flogen.

Ruhig ihr da! schrie der Freiherr wieder, und Herr von Zechau fuhr fort:

Es sind Unterhandlungen mit England und Schweden angeknüpft, man weiß gewiß, daß der treulose Corse in London hat zusichern lassen, daß er Preußen zur Herausgabe Hannovers zwingen werde. Die Wuth ist groß und allgemein, jetzt sieht Jeder, daß wir betrogen sind und Alles schreit nach Rache. Das Bündniß mit Rußland ist gewiß. Das schlesische Heer unter Hohenlohe-Ingelfingen soll über die Elbe rücken. Die große Armee an die Saale, ein Reservecorps soll bei Halle aufgestellt werden. Der Herzog von Braunschweig ist hier.

Ein abermaliges Kriegsgeschrei erhob sich mit ungestüm. Die jungen Offiziere riefen sich Prahlereien zu. Die Tafel war zum Theil aufgehoben, viele der Gäste drängten sich um den Herrn von Zechau, um noch mehr zu erfahren, andere schrieen durcheinander, daß in vier Wochen kein Franzose mehr in Deutschland sein sollte. Mitten in diesem Wirrwar aber klopfte ein Finger leise auf Conrads Schulter, und als er umblickte, flüsterte ihm eine Stimme zu:

Folgen Sie mir nach, rasch und unbemerkt, ich habe Ihnen etwas zu sagen.

Sie war es, Renate war es. Dort verschwand sie im Nebenzimmer und blickte von der Thür noch einmal zurück. Ein Donnerschlag hätte ihn nicht mehr durchbeben, doch alle Seligkeit des Himmels das Glück nicht vermehren können, das er in diesem Augenblick empfand. Seine Augen forschten umher, der ganze Saal war in Bewegung, Niemand hatte auf ihn Acht. Ohne zu zögern eilte er dem Fräulein nach; sie saß auf dem Divan und erwartete ihn.

Kommen Sie her zu mir, sagte sie, schnell, wir haben keine Zeit zu verlieren. Sie wissen, daß ich Antheil an Ihnen nehme und versprochen habe, Ihre Freundin zu sein und zu bleiben. So bitte ich Sie, mein lieber Freund, begehen Sie keine Unbesonnenheit, sondern seien Sie vorsichtig und bedenken Sie die Folgen.

Warum schelten Sie mich, meine Theuerste, antwortete Conrad, da ich mir keiner Unbesonnenheit bewußt bin.

Wie? fuhr das Fräulein fort, ist es nicht unbesonnen, wenn Sie meinem Bruder versichern, Soldat werden zu wollen, und ist es nicht noch viel unbesonnener, wenn Sie an dieser Tafel, in dieser Gesellschaft, die Freiheit und Gleichheit hoch leben lassen, die Franzosen rühmen und die Tapferkeit unserer ritterlichen Offiziere verspotten?

Ich weiß nicht was ich that! sagte Conrad bittend. Ach! verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen mißfalle. Wenn Sie wüßten – ich bin so unglücklich, so traurig, daß ich auf der Stelle sterben möchte.

Haben Sie denn keinen Muth zum Leben, Monsieur Conrad? rief das Fräulein und sie sah ihn so wunderbar lächelnd an und ihre Stimme klang so lieblich, der Ton schlug in sein Herz wie ein Blitz.

Herr Gott im Himmel! sagte er zitternd vor heftiger Bewegung, es kann nicht anders sein.

Was kann nicht anders sein? fragte sie noch viel lieblicher lächelnd.

Da war's, als schrie sein Vater ihm ins Ohr: Dreist! so wollen sie es haben! Und plötzlich stürzte er auf seine Knie nieder und seine Küsse bedeckten ihre Hände, seine Lippen stammelten verzückte Worte:

Sie sind es, meine Angebetete! mein Zauberbild! meine himmlische rosige Fledermaus, die ich nie vergessen kann!

Was zum Teufel ist das! schrie eine Donnerstimme hinter ihm.

Aber zu gleicher Zeit schallte auch ein unbändiges Gelächter und in dies stimmte Fräulein Renate in übermüthigster Lustigkeit ein.

Vor Scham und Verwirrung außer sich sprang Conrad auf sein Füße. Da stand der Baron Quast und sah ihn mit wahren Tigerblicken an, seine Faust geballt, als wollte er ihn zu Boden schlagen und zerstampfen. Aber der Freiherr Ludolf hielt ihn mit beiden Armen fest und lachte, was er lachen konnte.

So laßt ihn doch seinen Spaß ausspielen! schrie er. Vorwärts, Conrad! weiter im Text. Himmlische rosige Fledermaus! was sagst du dazu? Es ist kostbar! Rosige Fledermaus! Angebetetes Zauberbild! Fledermaus, gib Antwort.

Laut lachend lief das Fräulein auf den wilden Baron zu und warf sich in seine Arme.

Wie ist es möglich, daß Sie böse sein können, sagte sie. Ludolf hat Recht, es ist der köstlichste Spaß, den man sich denken kann. Die rothe Fledermaus bedankt sich, Herr Funk, für diese lustige Scene, und bedauert, sie nicht weiter fortsetzen zu können. Adieu! Adieu! Geben Sie der Fledermaus ihren Arm, Baron. Was das poetisch klingt!

Ihr Gelächter brach von Neuem los.

Der Baron gab nach und führte sie in den Saal, während Ludolf seines Schützlings sich bemächtigte.

In meinem Leben will ich es nicht vergessen, schrie er. Fledermaus! verfluchter Gedanke! Himmlische Fledermaus! soll meine nächste Liebeserklärung anfangen. Herein mit dir in den Saal, Conrad, du mußt noch einigen andern zu Füßen fallen. Noch eine Flasche, hollah! Kracht! hierher, laß ihn nicht echappiren! –

Der Herr von Kracht machte so eben die Thüre auf und sagte eilig:

Schweig stille und komm herein, dein Vater ist so eben aufgestanden und will eine Rede halten.

Conrad wurde von Beiden fortgezogen und indem sie mit ihm in dem Saale erschienen, erblickten sie die Gäste um die Tafel stehend, in der Mitte derselben den Baron und Fräulein Renate, am oberen Ende aber den alten Freiherrn, welcher so eben begann:

Ihr Herren und ihr edlen Damen, nehmt die Gläser in die Hand und stoßt sie mit mir an auf das hochgeborene Brautpaar. Auf den edlen Herrn Baron, Dietrich Quast, und auf meine Tochter Renate, daß es eine fröhliche Hochzeit geben soll. Vivat hoch!

Da widerhallten Decken und Wände von dem Vivat und Gläserklingen und Schreien und es wollte kein Ende nehmen. Sie drängten sich alle um die schöne Braut und den stolzen Bräutigam, und es war ein Jubiliren, alle Gesichter voll Lust und Wonne um das glückselige Fräulein, das so herrlich dareinschaute.

Conrad Funk allein konnte nicht lachen. Er stahl sich an die Thür und wollte hinaus, von dort her aber trat ihm ein Mann entgegen, in Reiterstiefeln, eine orange Feldbinde um den Leib, eben solchen Kragen an seinem Rock.

Als ihn die Nächsten sahen, schrieen sie:

Ein Curier! Ein Curier!

Der Mann hielt ein großes Schreiben in seiner Hand.

An den Herrn Baron von Quast! sagte er.

Der Baron nahm es hin und brach es auf; dann ließ er es auf den Tisch fallen.

Ordre vom General! rief er, In drei Tagen marschiren wir. Morgen müssen wir beim Regiment sein!


8.

Am zweiten Tage darauf kam auch Conrad in seines Vaters Haus zurück. Er hatte mit dem jungen Freiherrn und einigen anderen von dessen Freunden ein schnelles Reiten gehalten bis in die Hauptstadt, hatte das Pferd abgeliefert und trat zur Mittagszeit herein, eben als Christian Funk mit Liesbeth bei Tische saß.

Wie der Alte ihn erblickte, sprang er auf, Liesbeth blieb sitzen.

Holla! schrie er ihm entgegen, du lebst also noch, Conrad. Wo hast du's Geld?

Hier Vater, antwortete Conrad, indem er den Rock aufknöpfte und die Geldkatze zeigte.

Alles richtig? fragte Funk.

Vollkommen richtig, sagte Conrad.

Na! schrie der Alte vergnügt den Zopf werfend, so setz' dich und iß mit. Heda, Liesbeth, hol' einen Teller. Aber es wird ihm nicht schmecken, nachdem er alle Tage mit Grafen und Baronen gespeist hat.

Liesbeth stand schweigend auf und holte ein Besteck. Er konnte doch sagen, wie geht es dir, bist wohl auf? Doch er sagte nichts, denn er hatte seinen Gruß gegeben, als er eintrat; mochte sie ein Wort sprechen. Er füllte sich auf und aß mit Hast

Der Alte rief lachend:

Er scheint sich den Magen nicht verdorben zu haben, Liesbeth, es schmeckt noch, und meiner Seele, er sieht schmalbäckiger aus, als er fortgegangen. Deine Küche ist die beste, Mädchen, er ist froh, daß er wieder hier ist. Nicht so, Conrad?!

Ja, Vater, ich bin froh, daß es ein Ende nahm, antwortete er.

Siehst du, du Sakermenter! schrie Funk, es ist doch besser bei Liesbeth, als bei den vornehmen Fräulein, die solchen Burschen nur auslachen, er mag sich putzen, so viel er will.

Er sah nicht, wie Conrad's Gesicht sich veränderte, denn dieser wandte sich um, aber er kam aus dem Regen unter die Traufe, denn Liesbeth richtete ihre Augen auf ihn, und es kam ihm vor, als seien diese voll Hohn und Falschheit.

Der Alte setzte sich nun hin und zählte das Geld; richtige siebenhundert Goldstücke lagen in den Rollen. Nebenher fragte er seinen Sohn aus über das Gut, über die Wirthschaft, über Leben und Treiben auf dem Schlosse, wie es da aussehe, und ob der Major mit dem Gelde keine Umstände gemacht.

Conrad gab Antwort darauf, beschrieb den Verfall des stattlichen Gebäudes, noch mehr die Verschwendung und die Sorglosigkeit, den Ueberfluß und die Unordnung. Wie der Amtmann Alles in Händen habe, Vorschüsse mache, den Wald verkaufe, die Wolle und das Getreide auf dem Halm, Alles bezahle und Rath schaffe, reich geworden sei und immer reicher werde, wie dies bei den meisten Herren so geschehe, daher ihre Schulden immer höher stiegen.

Und Christian Funk schlug sich auf die Knie, nickte und grinste, ließ den Zopf wackeln und schrie einmal über das andere:

Das ist ihre Art so. Wilde Herren sind's, hauen und stechen, reiten und jagen, achten nichts in der ganzen Welt und sind nicht anders zu machen, mag kommen was da will. Aber was ist denn da?

Er hatte noch ein Geldpäckchen hervorgezogen, das über den Betrag der Geldsumme reichte, und Conrad griff darnach und brachte es in seine Gewalt.

Dies ist ein Geschenk für mich, sagte er, das der Major mir machte, als ich von ihm Abschied nahm.

Wie viel? fragte der Alte erfreut.

Es sind zwanzig Friedrichsdor darin, sagte Conrad.

Siehst du wohl! rief Funk, so sind sie. Ein Hochzeitspräsent, Liesbeth. Hat's der Major nicht gesagt, daß es ein Hochzeitspräsent sein soll?

Zu meiner Ausstattung, hat er gesagt, antwortete Conrad, indem er zu lachen versuchte.

Her damit! gieb's der Liesbeth, die soll's verwahren, befahl Funk. Du bringst es mit Narrenspossen durch.

Allein Conrad leistete keine Folge, sondern steckte das Geld ein und erklärte, daß es zunächst in seiner Tasche bleiben solle.

Nimm's ihm ab, Liesbeth, er muß es herausrücken, es taugt ihm nichts! rief der Alte, doch das ernsthafte Mädchen verhielt sich passiv.

Er ist alt genug, um zu wissen, was ihm taugt, sagte sie gelassen.

Richtig, fiel Conrad listig ein, auch sei versichert, daß ich dies niemals vergessen werde.

War's der scharfe Ton, mit dem er dies sagte, oder der scharfe Blick, welcher seine Worte begleitete, Funk merkte, daß die beiden jungen Leute nicht freundlicher sich behandelten, als da Conrad gegangen. Er wollte den Zank jetzt nicht vermehren, so sagte er:

Behalt's, du Narr, wir wollen schon fragen, wo du es gelassen hast, und sollst uns Rechenschaft geben, das merke dir.

Nun ging das Erzählen weiter. Conrad mußte die Feste und Jagden beschreiben, die Bälle und schwelgerischen Gelage, und endlich wurde er auch zu dem Schlußfeste gedrängt und wie mitten darin die Marschordre vom General gekommen.

Alle Donner! rief Funk, hier war der Lärm auch nicht schlecht. Was die vornehmen Perrücken wieder ausspionirt haben, mag Gott wissen, aber den König haben sie endlich herum gekriegt. Ich habe mit einem Fourier vom Schlosse gesprochen, der hat's mir erzählt. Erst hat er partout nicht gewollt, hat gesagt, er wollte sein Volk nicht in's Unglück stürzen; da ist die Königin ihm zu Füßen gefallen und die Prinzen dazu, und haben alle geschrieen, daß Napoleon ihn schändlich betrogen hätte. Und die Königin hat gesagt: Majestät, Friedrich der Große hätte das niemals geduldet, und Prinz Louis Ferdinand hat auf den Tisch geschlagen und gerufen, die preußische Ehre sei mehr werth, als Alles, und Heer und Adel ließen sich nicht länger solche Schande anthun. Krieg wollten sie gegen den Räuberhauptmann.

Ja, sagte Conrad höhnisch, die Säbel schlagen sie an einander, schreien, daß sie jeden Franzosen in Stücke hauen wollen und wetten, wie bald der französische Kaiser als Gefangener nach Berlin eingebracht sein wird; aber es fragt sich noch, wer gehauen und gefangen wird.

Gehörst du schon wieder zu den verfluchten Räsonneuren? fragte der Alte und zog die Stirn zusammen. Es schleichen hier Schelme genug herum, die heimlich jubeln und dem Napoleon Glück wünschen, auch wohl gar laut sagen, daß es uns gehen müsse wie den Oesterreichern, damit die Junkerherrlichkeit ein Ende nehme. Gehörst du auch dazu?

Ich gehöre nicht dazu, sagte Conrad, und denke es zu beweisen. Aber ein Ende muß es nehmen, so kann's nicht bleiben.

Was? fragte der Alte so heftig, daß der Zopf in die Höhe fuhr.

Daß Niemand mehr verlacht werden kann, getreten und geschlagen werden kann, Einer so viel gilt als der Andere.

O, du Elementer! schrie Funk, mach' nicht, daß ich mich ärgere. Du hast die Franzosen noch nicht gesehen, hast den Schnick-Schnack noch nicht kennen gelernt. Respect muß sein, der Stock muß regieren, sonst geht es nicht. Fredericus Rex, mein großer Held, du besiegst die ganze Welt!

Er fing an, das Soldatenlied zu singen und stand vor seinem Sohne still.

Wo so ein preußischer General die Hand ausstreckt, fallen drei Franzosen übereinander. Eine Jagd wird's werden, ich möchte dabei sein. Gewehr rechts, zur Attaque! Marsch! Marsch! Sturm! Da laufen alle die Kiskedies! Lauf du und der Teufel! Hahaha!

Er schlug ein dröhnendes Gelächter auf.

Der Feldwebel war in ihm lebendig geworden, es ging noch lange Zeit so fort. Er prahlte mit denselben Prahlereien, wie die Herren von den Gensdarmen; das war jedoch damals, beim Ausbruch dieses Krieges, allgemein. Ueberall wurde so gespottet und gelacht, nur die verständigen und einsichtigen Leute ahnten, was kommen würde.

Obwohl nun Conrad sich schweigsam bewies und aussah, als ginge ihm viel im Kopfe umher, sich mit den liegen gebliebenen Arbeiten zu schaffen machte, die ihn erwarteten, und die Handlungsbücher und Rechnungen durchsah, waren seine Gedanken doch weit davon entfernt. Seine Augen blickten über die Blätter fort, unruhig nach allen Seiten hin, auch auf Liesbeth, die ihm den Rücken zukehrte und ging und kam ohne ihn zu beachten. Das war ihm lieb, denn wenn sie freundlicher gewesen wäre, so hätte sich seine Unruhe vermehrt. Jetzt bestärkten sich seine harten Urtheile dadurch, und er rechtfertigte sich damit vor sich selbst.

Wund im Herzen und gedemüthigt war er zurückgekommen. Nur der Umstand, daß man ihn für betrunken und unzurechnungsfähig verlacht, hatte ihn vor Schande und Strafe gerettet; zerschlagen an Seele und Leib stand er nun wieder hier, und doch fühlte er keine Reue. Wenn Liesbeth erführe, wie es ihm ergangen, wenn sein Vater es erführe, – und wenn er dann diese da heirathen sollte – Er sah sie lange darauf an und fort und wieder an. Es war Jemand da, mit dem sie sprach. Sie sah freundlich aus, und es ließ sich nicht leugnen, sie konnte Manchem gefallen. Er starrte in ihr Gesicht, da verwandelte sich dies, und eine jähe Angst preßte ihm das Herz zusammen. Er schlug die Bücher zu und lief hinaus. Nein, und tausend mal nein! sagte er, lieber in den Tod, das kann ich nicht ertragen!

Am Abend nach dem Essen mußte er Stand halten. Sein Vater war in der richtigen Stimmung, um die Oberrechnung vorzunehmen, auf welche er sich vorbereitet hatte. Das gute Geschäft hatte ihn froh gemacht, er spaßte bald mit Conrad bald mit Liesbeth, und als seine lange Pfeife brannte und das Deckelglas vor ihm stand, ging es los.

Nachdem er einige Zeit noch sich bemüht hatte, bald den Einen, bald den Anderen zum Lachen zu bewegen und gesprächig zu machen, fuhr er endlich auf und warf seinen Zopf herum.

Jetzt hört an, ihr Beide da, sagte er, es hat ein jedes Ding seine Zeit, also muß es auch mit euch sein. Ich hab's dem Conrad gelobt, wenn er wieder kommt und hat gezeigt, daß man ihm etwas anvertrauen kann, so soll seine Sache in Ordnung gebracht werden. Und das hat er gezeigt, Liesbeth; er hat die siebenhundert richtig abgeliefert, hat sich bei dem Major wie ein vernünftiger Mensch benommen, wird sich auch fernerhin gehorsam und getreu benehmen. Glaubst es nicht?

Er muß es wissen, sagte Liesbeth.

Alle Donner, ja! fuhr Funk fort. Er muß es wissen, aber ich muß es auch wissen! und wenn ich sage, es ist so, so ist es so! Macht mir keine Umstände mehr, wir haben keine Zeit länger zu spaßen. Morgen früh rücken die Regimenter aus, der Krieg ist so gut wie erklärt. Es hat aber erst neulich in der Zeitung gestanden, daß Jeder genommen werden soll, wenn's gegen den Bonaparte geht, und wer weiß, wie's den großen Herren beliebt. Aber ein verheiratheter Mann wird respectirt. Laß die gnädigen Herren also man immer die Franzosen auffressen, Conrad, schrie er auflachend, bleib du bei Liesbethchen in der warmen Stube, und statt der Kugeln regnet es Küsse. Was meinst du dazu?

Sie muß es wissen, sagte Conrad.

Natürlich, du Narr! sie muß es wissen, denn sie muß dabei sein, und da sitzt sie neben dir. Faß zu, sage ich; dreist faß zu! – Himmelelement! lauf Sturm und probir's, wie sie sich küssen läßt.

Aber statt diesen vortrefflichen väterlichen Befehl zu befolgen, sprang Conrad hastig von dem Stuhle auf, blutroth im Gesicht, mit scheuen Blicken. Dann setzte er sich wieder nieder.

Kreuz Bataillon, schrie der Alte, halb belustigt halb geärgert von diesem Benehmen, spring ihr an den Hals, vorwärts marsch! Meinst nicht, daß er springen soll, Liesbeth?

Er muß es wissen, sagte sie ohne aufzublicken.

Hörst es, du da?! schrie Funk. Spring, sag ich, du Wetterjunge, und besinn dich nicht. Bring ihr den Kopf in die Höh! Halt! nicht von der Stelle sollst du!

Es geht nicht, Vater. Nein, es geht nicht! rief Conrad heftig.

Was geht nicht?

Mit uns geht es nicht länger, siehst du es nicht?

Es soll auch nicht länger so gehen, lachte Funk.

Wir passen nicht zusammen! sagte Conrad finster und sah vor sich hin.

Da war das Wort heraus und einen Augenblick lang folgte ein allgemeines Schweigen. Der Alte griff nach dem Glase, trank und schlug den Deckel zu, daß es knallte.

Ihr paßt nicht zusammen, sprach er dann. Warum paßt ihr nicht zusammen?

Laß es dir von ihr sagen, wenn sie will, erwiederte Conrad.

Von dir will ich es wissen, du sagst es, rief Funk und richtete sich auf.

Nun denn, warum nicht? versetzte er trotzig. Ich weiß es und sehe es alle Tage, Liesbeth liebt mich nicht.

Narrenspossen! schrie der Alte, und dann schlug er ein Lachen auf, und seine Hand fuhr hart nieder auf den Tisch. Lieben, alle Donner in das dumme Zeug! Heirathen sollst du sie. Auf mit dem Kopfe, Mädchen! Sag's ihm in's Gesicht, daß du keine bist von den Neumodischen, wie sie in den Komödien stehen.

Liesbeth hob langsam den Kopf auf. Mit Komödiantenstreichen habe ich nichts zu schaffen, sagte sie, das weiß er.

Recht so! aber heirathen willst du ihn und willst ihm ein treues Weib sein in aller Noth, wie seine Mutter war. Streck die Hand aus, Conrad. Frage sie: willst du mich haben, Liesbeth? willst du fragen, du Sakermenter?!

Nein! sagte Conrad und blieb stehen.

Da legte der Alte die Pfeife an den Stuhl und stand auf.

Du willst nicht? Warum willst du nicht?

Es ist keine Zeit zum Heirathen, und ich heirathe keine, die mich nicht liebt.

So, sagte Funk, und in seinem dicken Gesicht schwollen die Muskeln auf. Der Zopf stand hoch in die Höhe.

Warum ist keine Zeit zum Heirathen?

Weil der Krieg vor der Thür ist.

Was geht dich der Krieg an? Also warum willst du Liesbeth nicht heirathen?

Weil's mein Unglück sein würde! antwortete Conrad, und blickte erbittert zu ihr hinüber, aber er erschrak beinahe über sein jähes Wort. Er sah in kein zorniges, entrüstetes Gesicht, es sah fast wie damals aus, als sie die Maske vorsteckte. Von dunkler Röthe war es bedeckt, die Augen wie in Fieber brennend, die Lippen bebend, und wie von einem großen Schmerze ihre Lippen zitternd zusammengepreßt.

Ihr Unglück auch! setzte er hastig hinzu.

Dein Unglück also, sagte der Alte, beugte sich vor, nickte dazu und legte seine Hände auf den Rücken. Das ist was Anderes. Komm her, Liesbeth, hierher – er nahm sie bei der Hand. – Hier ist sie, fuhr er fort, sieh sie an. Ich sage, du sollst sie nehmen, weil's dein Glück ist, du sagst, ich mag sie nicht, weil's mein Unglück wäre. Jetzt merk auf, was ich dir antworte: Willst du die Narrenspossen auf geben, ein Sohn sein, der seinem Vater gehorcht? Willst du Liesbeth zur Frau nehmen?

Ich habe gesagt, was ich mußte, sprach Conrad hartnäckig und drehte sich fort.

Nicht? Warte noch, schrie ihm sein Vater nach. – Er tippte mit den Fingern auf seine Brust und sagte dabei: Was mein ist, bleibt mein, keinen Groschen sollst du davon haben. Lauf jetzt, wohin du willst, und suche dir Eine, die Komödie spielt, aber ich – ich verfluche sie!

Vater! Vater! fiel Liesbeth ein, und ihre Stimme zitterte, sie hielt ihn am Arm fest.

Ruhig, Kind, ruhig, fuhr er fort. Für dich wird Einer kommen, der erkennt, welch Schatz du bist. Einen Sohn habe ich nicht mehr, habe nur dich, du aber –

Willst du noch ein Wort hören, Vater, unterbrach ihn Conrad.

Nein! schrie der Alte, ich will nichts mehr hören, will dich nicht mehr sehen! Komm mir nicht wieder vor meine Augen, bis du gehorchen willst, sonst sei in Ewigkeit –

Liesbeth deckte rasch ihre Hand über seine Lippen, und ihre Blicke hefteten sich auf den undankbaren Mann, der die Hände vor seine heiße Stirn schlug und ohne ein Wort mehr zu sagen, sich entfernte.

Es verging eine trübe, bange Nacht in diesem Hause, aber für Berlin war es eine lustige und jubelvolle. Die Regimenter zogen aus; beim ersten Morgengrauen schmetterten die Trompeten. Die Trommeln rasselten, die Straßen waren lebendig, obwohl es heftig regnete. –

Christian Funk lag früh schon im Fenster und schaute hinaus, und dachte dann und wann an seinen Sohn.

Der Narr liegt in den weichen Posen, sagte er, braucht nicht in Nässe und Wind umherzutappen, und Liesbeth ist ein appetitlich Kind. Er wird sich heut wohl besser besonnen haben, fuhr er mit seinem pfiffigen Grinsen fort, es war neulich auch so. Haben wir ihn erst, so soll er zu Kreuze kriechen wie ein armer Sünder.

Da ging die Thür auf, und er sah sich um. Liesbeth, ihr Gesicht so todtenbleich, daß er davor erschrak.

Was – was hast du? fragte er, und gleich hinterher: Wo ist Conrad?

Er ist fort! sagte sie. Seine Kammer ist leer, im Bett ist er nicht gewesen, der Zettel hier lag auf dem Tisch.

Funk nahm ihr das Blatt aus der Hand.

»Verfluchen sollt ihr mich nicht,« las er langsam, »aus dem Hause werfen auch nicht, ich gehe freiwillig, gehe mit in den Krieg. Gieb Liesbeth was du hast, ich verlange nichts davon, und Gott segne euch Beide.«

Als es der Alte gelesen hatte, blieb er einen Augenblick still, seine Blicke auf die Buchstaben gerichtet; plötzlich aber hob er heftig den Arm auf, drückte den Zettel zusammen, wollte ihn fortschleudern, und behielt ihn zwischen den festgeklammerten Fingern. Darauf verzog er sein Gesicht zum Lachen, mitten darin aber wurde er ernsthaft. Der Kopf, den er in die Höhe geworfen, sank nieder, der Zopf auch. Als aber Liesbeth zu ihm sprach und seinen Arm umfaßte, richtete er sich auf und sah nach dem Platz hinaus, wo eben wieder eine Kriegsmusik begann.

So laß ihn denn seinen Weg gehen! schrie er auf. Ein Soldatenkind ist er, ehrlich wird er sterben. Wer Vater und Mutter nicht folgen will, der muß dem Kalbfell folgen. – Was gesagt ist, dabei bleibt's!


9.

In der Mitte des Monats October stand der Wald von Lebin mit falben Blättern. Es war frisches, helles Wetter, schöne Jagdzeit, Hasen und Hühner gab es vollauf, die Schnepfen zogen in den Morgennebeln in dichten Haufen, aber es war Niemand da, der sie fangen und schießen mochte. Auf den großen Gütern ging es so still her, wie in den Wäldern. Die schönen, stolzen Junker waren alle fortgezogen, den Kalbfellen und den Trompeten nach, die sie nach Thüringen in die Saalberge brachten, und von dort her kamen die Nachrichten spärlich, und aus den Zeitungen erfuhr man nicht viel.

In der Hauptstadt liefen die Leute in die Kaffeehäuser, um Neuigkeiten zu erfahren, auch hatten sie dort allerlei Blätter, von denen das eine dies, das andere jenes mittheilte; auf dem Lande aber hatten sie meist gar nichts, weder die Bauern in ihren Hütten, noch der Adel in seinen Schlössern. Die Zeitungen drangen gewöhnlich nicht bis dahin, erschienen auch in der ganzen Woche nur zwei Mal oder drei Mal, doch was hätte es viel geholfen, wenn sie auch täglich gekommen wären. Die meisten Menden konnten sie nicht lesen, oft eben nur der Schulmeister, wo es einen solchen gab.

Der Freiherr von Hochhausen befand sich seit langer Zeit in schlechter Laune, die nur zuweilen abwechselte, wenn er Besuch erhielt und darüber vergaß, daß ihn die Gicht wieder zu plagen anfing und die alten Wunden schmerzten, wie gewöhnlich, wenn der Herbst kam. Es war aber diesmal ärger als je, er konnte kaum am Stocke umherschleichen, saß meist fest in Wolle gewickelt, und das große Haus lag wie ausgestorben. Sonst gab's um diese Zeit Lärm und Luft in Fülle, und in diesem Jahre, da Renate sich mit dem reichen, verschwenderischen Baron verlobt hatte, hätte es noch weit lustiger hergehen müssen, wäre der Krieg nicht gekommen.

So aber wurde die Stille noch fühlbarer, und je mehr er von Schmerzen und Langeweile geplagt wurde, um so mehr wetterte und fluchte der alte Edelmann. Zornig und gereizt saß er in seinem Lehnstuhl am Fenster und konnte nicht von der Stelle, zum Glück für seine Leute, die sehr zufrieden damit waren, daß er sie nicht erreichen konnte. Die Peitsche hing an der Wand bei den Gewehren, seine Flüche thaten doch nicht weh.

In diesen einsamen, unmuthigen Tagen blieb Fräulein Renate beinahe die einzige Gesellschaft ihres Vaters, und gegen sie allein war er so sanft, als er sein konnte. Es ging freilich auch dabei nicht ganz ohne mancherlei Donnerwetter ab, aber das war einmal seine Art so und nicht böse gemeint. Da Ludolf gegen den Feind stand und wer weiß, was ihm geschah, warf der Major um so mehr seine Liebe auf die Tochter, die bei ihm geblieben, und was ihm das Herz beschwerte mit zu tragen hatte.

Kaum verlobt, hatte sich der Baron aus ihren Armen gerissen, um in den Krieg zu reiten, und seit dieser Zeit hatte sie nur zwei kurze Briefe bekommen, denn mit langen, wohlgesetzten, empfindsamen Schreiben ließ sich keiner dieser tapferen Offiziere ein, daß das Regiment nach Erfurt vorrücke, Parade gehabt habe vor König und Königin, die voller Huld gewesen, daß er wohlauf sei, viel an seine herzliebste Renate denke, dabei voll Verlangen nach der Schlacht und nach diesen windbeutlichen Franzosen, die glücklicher Weise gar nicht weit mehr lustig heranmarschirten, um ihren Lohn zu bekommen, das war der Inhalt des letzten Briefes gewesen.  

Und Ludolf hatte in derselben Weise berichtet. Es sei ein prächtiges Leben im Regiment. Prinz Louis führe die Vorhut, und Gott gnade allen diesen Schelmen, wenn's an's Einhauen ginge. In einem Ritt dann vorwärts bis an den Rhein, und der nächste Ball darauf in Paris! Dann stand am Schluß darin:

Einen Gruß noch von einem Freiwilligen, der hier eben neben mir sitzt. Ich soll nicht sagen, wie er heißt, ich thue es auch nicht. Er ist seinem Alten richtig echappirt, kam zu mir, als wir ausmarschirten. Wir haben ihn in der Compagnie, in die Schreiberei hat er nicht gewollt, will lieber mit dem Schwerte drein schlagen, und wird seine Sache gut machen, worauf sich jeder Franzose verlassen kann. Hussa, Vater! eben wird Generalmarsch geschlagen. Es heißt, der Napoleon sei über die Saale gegangen und komme uns in den Rücken. Das wäre das Beste, denn dann haben wir ihn, und er kann uns nicht entwischen. Die Preußen sind noch dümmer wie die Oesterreicher, soll er gesagt haben, wie wir ihn klug gemacht haben, sollst du bald erfahren. Lebe wohl! Lebe wohl!

Diese Briefe ließ sich der Major seit drei Tagen jeden Tag sechs Mal vorlesen, und immer wieder freute er sich daran. Der tapfere, altpreußische Sinn erwachte dabei in ihm, und wie Christian Funk sich damit aufgeregt hatte, daß sein Sohn standhaft fechten und einen ehrenhaften Tod finden werde, so freute sich mit noch stolzerer Genugthuung der alte Edelmann über den Heldenmuth seines Erben.

Er sah hinaus auf den grünen Platz vor dem Hause, wo alle Grasspitzen von den glänzenden Fäden der Läuferspinnen überzogen waren, aber es kam ihm vor, als blitzten dort lauter Helme und Brustharnische, und dann sah er in den Lindenweg, der in's Dorf führte, auf dem ein paar Kühe umherliefen, ihm schien es jedoch, als galoppirte dort ein Regiment, und der Hirt mit seinem Spieß sei ein Grenadiercorps, das mit gefälltem Bajonnet auf den Feind losginge.

Ich möchte dabei sein und möcht's mitmachen! schrie er wie der Feldwebel, und unter dem weißen Haar funkelten die blauen Augen. Vorwärts, ihr Bursche! Schmeißt sie aus Deutschland raus, gebt keinen Pardon!

Er hörte mit einem Schmerzenslaute auf und faßte nach seinem Fuß, von dem die Decke abgefallen.

Halte dich ruhig, Papa, sagte Renate lächelnd, indem sie ihn wieder einhüllte. Ich wünschte, wir hätten Nachrichten. Gebe Gott, daß es gute Nachrichten sind.

Was kann's anders sein als gute Nachrichten! rief der Freiherr.

Aber die Franzosen sind stark und ihre Generale jung und kriegsgeübt. Man hat oft gesagt, auch in Berlin, daß unsere Generale meist zu alt sind, und unsere Einrichtungen viele Mängel haben.

Was? schrie der Major, du willst dich unterstehen – du kennst das nicht, unterbrach er sich, du bist ein Weib, der kann man was vorschwatzen. Alte Offiziere und alte Soldaten, das ist die Sache. Wer dem großen Friedrich gedient hat, kann mitsprechen. Aus Deutschland heraus muß das luftige Volt, bis nicht Einer mehr darin ist.

Sie werden nur leider nicht gehen, ehe nicht viele Menschen schrecklich umgekommen sind, erwiederte das Fräulein.

Die Menschen müssen umkommen, Renate. Soldaten sind dazu da.

Aber Ludolf, Papa, und –

Und Quast und mancher Mutter Kind. Laß sie sterben, wie Männer von Ehre sterben müssen.

Ehe das Fräulein darauf etwas antworten konnte, erhob sich eine Staubwolke zwischen den Lindenbäumen und ein Reiter wurde sichtbar, der sich eilig näherte. Es war der Amtmann, ein kurzer, dicker Mann auf einem dicken Gaule; in der Hand schwenkte er ein weißes Tuch. Als er näher herankam, schrie er mit gewaltigem Basse:

Sieg! Sieg! mein gnädigster Herr! Wir haben gesiegt! Ein großer Sieg! Eine fürchterliche Schlacht!

Der Major hatte sich von seinem Stuhle aufgerichtet, die Schmerzen waren ihm plötzlich vergangen.

Herein, Amtmann! rief er. Komm Er herein! Was hat Er gehört?

Der Amtmann stieg vom Pferde. Die Leute aus dem Hause sammelten sich um ihn, der Jäger mit dem verstümmelten Arm wollte ihn aufhalten, aber er wehrte ihn ab und schrie nur wiederholt, bis ihm die Stimme abschnappte:

Sieg! Sieg! Franzosen giebt es nicht mehr, Bonaparte auch nicht!

So trat er erhitzt in das herrschaftliche Zimmer und wischte sich den Schweiß ab.

Der Major kam ihm schon entgegen, so schwer es ihm wurde.

Ist es wahr, Amtmann? rief er. Was weiß Er von dem Siege?

Ich komme aus der Stadt, sagte der Amtmann, wollte ein neues Holzgeschäft für den gnädigen Herrn einleiten, da war eben die Nachricht von Berlin eingetroffen. Der Postmeister schrie es auf der Straße aus.

Was schrie er? Was? fragte der Major.

Eine große Schlacht ist geschlagen, die Unsrigen haben gesiegt. Die ganze französische Armee ist zersprengt.

Wo ist der Bonaparte? fiel der Major ein, und sein Gesicht glänzte jugendlich.

Das weiß man nicht, sagte der Amtmann.

Das weiß man nicht?! schrie der Major. Gefangen ist er oder zusammengehauen!

So? antwortete der Amtmann verwundert, davon wußte der Postmeister noch nichts. Aber unzählige Todte und Verwundete gab es, das ganze Schlachtfeld lag voll.

Wo war es? unterbrach ihn der Major.

Davon hat er auch nichts gesagt. Aber die ganze Armee todt oder gefangen, alle Kanonen erobert, es ist nichts übrig geblieben.

Haha! lachte der alte Mann stolz und freudig, indem er seine Tochter ansah, was habe ich gesagt, Renate? Es muß keiner übrig bleiben von diesen Räubern, die uns in's deutsche Land gefallen sind, und es ist keiner übrig geblieben!

Wenn es nur wahr ist, sagte das Fräulein.

Wahr? Wahr? es muß wahr sein! Es kann nicht anders sein! Es mußte so kommen! Was weiß Er weiter, Amtmann?

Der Amtmann entschuldigte sich, daß er nichts weiter wisse, denn er sei sogleich wieder zu Pferde gestiegen, um dem gnädigen Herrn die frohe Botschaft zu bringen.

Hat man nicht gehört, fragte Fräulein Renate, ob viele unserer Leute geblieben sind oder gefangen wurden?

Gefangen! schrie der Freiherr, wer soll sie denn fangen, da alle Franzosen gefangen wurden? Und blutig – oho! besonders blutig wird's auch nicht gewesen sein, da das Ausreißen sicher bald angefangen hat.

Wer ist ausgerissen, Papa?

Donnerwetter! schrie der Major, wer anders als alle diese verdammten –

Er kam nicht zu Ende, denn Renate hob ihren Arm auf und deutete hinaus auf den Lindenweg. Gehören die auch dazu? rief sie, und die Blicke ihres Vaters folgten ihren Fingern. –

Er sah zwei Männer dort, es waren Soldaten auf hohen Pferden. Staub bedeckte die Reiter, wie ihre Pferde. Der Eine schien ein Offizier, aber sein Helmbusch hing geknickt, die Achselschnüre zerrissen, das Haar flog ihm unordentlich in's Gesicht. Der ihm nachfolgte hatte ein ich schmutziges Tuch um seinen Arm gewickelt und sah nicht besser aus als der andere.

Der Freiherr stand mit weit geöffneten Augen und stierte nach den beiden Erscheinungen. Jetzt kamen sie unter den letzten Bäumen hervor auf den freien Vorplatz an das helle Licht, und nun erkannte er den, der ihm zunächst war es war Ludolf, fein Sohn.

Damit kam Leben in ihn, ein unnatürliches, gewaltiges Leben. Mit festen schnellen Schritten, wie er sie seit Jahren nicht gethan, ging er zum Fenster und riß dies auf, eben da der junge Offizier vor dem Hause anlangte.

Wo kommst du her? schrie er hinaus.

Von Jena, Vater.

Was willst du?

Wir haben eine Schlacht verloren, Vater. Es ist Alles verloren!

Er wollte aus dem Sattel steigen.

Halt! schrie der Major.

Ludolf blieb sitzen.

Bist du verwundet? fragte der alte Mann.

Nein, ich nicht, aber –

Wo ist Quast?

Todt oder gefangen. Ich sah ihn vom Pferde stürzen.

Wo ist dein Regiment?

Ich weiß es nicht. Aufgelöst, Alles in wilder Flucht, Vater. Drei Tage sind wir geritten, ich bin matt wie eine Fliege, mein Pferd auch.

Wo ist dein Regiment? schrie der Freiherr noch einmal, und er hielt sich mit beiden Händen am Fensterkreuz fest. Sein Kopf wurde bis unter die weißen Haare dunkelroth, seine Stimme zitterte, wie der ganze greise Körper.

Der Lieutenant schwieg verwirrt.

Jeder rettete sich wie er konnte, sagte er stockend. Wir waren umringt, hätte Conrad mich nicht herausgehauen, so kam ich nicht davon. Die Flucht war allgemein.

Schande! Schande! stöhnte der Freiherr. Mein Sohn ein Ausreißer!

Mancher General hat es so gemacht, sagte der Lieutenant begütigend. Was konnte ich thun, Vater?

Sterben! rief der Greis mit funkelnden Augen. Sterben! Mit Jugendkraft hob er seinen Arm auf: Fort, zum Regiment! Und wenn's zum Höllenteufel ginge, fort mit dir!

Vater ich verschmachte – bat Ludolf.

Die Hunde los! schrie der Freiherr. Hetzt ihn vom Hof herunter! Zum Regiment! Schande! Schande!

Er griff nach der Wand nach einem der Gewehre, die dort hingen. Renate hielt ihn flehend fest. Draußen warf der Lieutenant sein Pferd herum und rief:

So nehmt euch meines armen Kameraden an, der kann nicht weiter. Aus mir mag werden, was da will, aber die Franzosen sind hinter uns her. Wartet sie hier nicht ab. Es ist alles verloren, ich auch!

Und seinem abgetriebenen Pferde die Sporen in die Seiten stoßend, zwang er dies zu einem wilden Galopp. Das andere Pferd wollte ihm nach, doch der Reiter wankte im Sattel, und da der Invalide herbeisprang, sank er seitwärts nieder diesem in die Arme.

Sein Gesicht war bleich, die Augen geschlossen, der Mann ohne Besinnung; als Klosmann ihn aber nahebei ansah, erkannte er ihn doch.

Kreuz Element! rief er, es ist ja der Mosjeh Conrad. In den Thurm hinauf mit ihm, da steht sein Bette noch; dann wollen wir zusehen, wie die Franzosen seinen Arm zugerichtet haben.

Und während sie den verwundeten Freiwilligen in den Thurm trugen und der Invalid ihm die Kleider abzog und den blutigen Tuch vom Arm wickelte, waren Renate und der Amtmann um den Major beschäftigt, der starr und steif in dem Stuhle lag, die Augen rollend, der weiße Kopf fieberhaft roth mit hochgeschwollenen Adern. Es geschah was sich thun ließ.

Ein reitender Bote jagte nach der Stadt, einige Stunden darauf kam ein Arzt, schlug sogleich eine Ader, verordnete kühlende Mittel, empfahl die strengste Ruhe und besuchte darauf auch den Freiwilligen im Thurm, zu dem ihm das Fräulein schickte. Als er davon zurückkam, erklärte er, die Wunde sei nicht gefährlich, der Knochen wenigstens nicht verletzt. In einigen Tagen könne der Mann wieder auf den Beinen sein, in einigen Wochen hergestellt, wenn seine Jugendkraft ihm helfe. Dann nahm er das Fräulein bei Seite und sagte zu ihr:

Ein junger Baum, wenn er auch einen Hieb bis in's Mark bekommen hat, heilt sich aus und treibt mit frischen Säften, ein alter aber, den der Sturm knickt, hebt den Kopf nicht wieder auf. – Was er weiter hinzufügte, hörte Niemand, aber Alle sahen, daß das Fräulein sehr betrübt zurückblieb, obwohl sie Keinem etwas mittheilte und ein gefaßtes Gesicht zeigte.

Der Freiherr wurde in sein Bett gebracht, er machte keinen Einwand, ließ sich alles gefallen. Fräulein Renate wachte bei ihm und zuweilen kam der Invalide vom Thurm herunter, löste sie ab und hatte dann Mancherlei zu erzählen. Täglich kam auch der Doctor wieder und so ging es drei Tage lang fort, aber der Zustand des Majors änderte sich nicht. Er klagte über nichts, aber er sprach nicht, nahm wenig oder gar keinen Antheil an dem, was um ihn her vorging. Wie in tiefem Sinnen lag er, die Augen auf einen Punkt gerichtet. Zuweilen aber fuhr er auf und sah umher, als suche er Einen, den er nicht finden konnte; dann fiel er wieder in die Kissen zurück.

Fort zum Regiment! murmelte er, das schien ihn zu beruhigen, bis die Aufregung zurückkehrte und er seinen Sohn von Neuem suchte. –

Am vierten Tage brachte der Invalide die Nachricht, daß Mosjeh Conrad aufgestanden sei, denn das Wundfieber habe sich gebessert, und obwohl er noch lange nicht wieder auf sein Pferd werde steigen können, wolle er doch fort, wolle suchen nach Berlin zu kommen.

Ich will ihn sprechen, ehe das geschieht, sagte das Fräulein.

Das ist eben auch seine Meinung, antwortete Klosmann. Er meint, das gnädige Fräulein müßte er vorher noch sehen, aber ich hätt's ihm ausreden mögen.

Warum wolltest du das thun, alter Klosmann? fragte Renate.

Warum? sagte der Invalide den Kopf schüttelnd. Sehen Sie, Fräulein, es ist der Sohn von meinem Feldwebel, und ich habe ihn lieb. Als er damals hier war, sah er aus wie Milch und Blut und ich möchte beinahe sagen, er war schöner und feiner, als alle Junker. An dem Abend aber, damals wo sie alle fort mußten zu den Regimentern, gleich nach der Verlobung, da sah er aus wie der Tod, und da ich ihn fragte, was ihm wäre, fiel er mir um den Hals und schrie: Sie hat mich verrathen, Klosmann, verlacht, verspottet, und ich bin verrückt, verhext, denn ich kann nicht von ihr lassen. Aber sie ist unschuldig – sie ist es nicht – sie kann es nicht sein – sie ist unschuldig!

Unschuldig, murmelte Renate und blickte ihn mit den großen Augen starr an, während ihre Lippen sich zu einem Lächeln öffneten. Was sprach er weiter? fragte sie.

Ich glaubte, er wäre wirklich verrückt, fuhr Klosmann fort, aber jetzt spricht er noch eben so, und während dieser drei Tage hat er oft gelegen in seinem Fieber und vor sich hin gerufen: Ich will sie nicht wieder sehen, niemals will ich sie wieder sehen, aber sie ist unschuldig, und nun ist sie unglücklich und ich kann's doch nicht ändern! – Und dabei, sagte der Invalide, seufzt er kläglich und sieht aus, als wäre er abgezehrt.

Ich will ihn sprechen, sagte Renate. Geh und benachrichtige ihn, daß ich ihn hier erwarte.

Nach einer halben Stunde hörte sie ihn kommen, und als er hereintrat, warf sie einen langen freundlichen Blick auf ihn. Der Invalide hatte ihn ausgeputzt, die Uniform gebürstet und die Stiefeln geschwärzt. Der linke Aermel des Rocks war aufgeschnitten und mit Bändern zusammengebunden. Er trug den Arm in einer Schlinge, aber er trug diese mit Anstand, und obwohl sein Gesicht bleicher und magrer geworden, fand Fräulein Renate, daß seine Stattlichkeit dadurch nicht verloren hatte. Es kam ihr vielmehr vor, als sei seine Gestalt männlicher und fester und seine Haltung ritterlicher, oder es lag an der Uniform und an den Umständen.

Sehe ich Sie endlich, Herr Conrad, sagte sie ihm ihre Hand reichend, die er kaum berührte, ich habe mich lange darnach gesehnt, denn ich kann von Ihnen nun hören, fügte sie hinzu, wie es an jenem schrecklichen Tage hergegangen ist, an welchem so viel verloren ging.

Sie merkte, wie sein Gesicht sich lebhafter färbte, nöthigte ihn zum Sitzen und fuhr dann fort: Verschweigen Sie mir nichts. Während dieser traurigen Tage habe ich Zeit gehabt zu bedenken, daß ich auf jeden Schicksalsschlag gefaßt sein muß. Dort liegt mein Vater in einem Zustande, der mich mit bangen Ahnungen erfüllt; was mit meinem Bruder geworden, weiß ich nicht, und derjenige – der – der –.

Sie hielt inne und faltete ihre Hände.

Reden Sie also und erzählen Sie mir, was Sie von dieser unglücklichen Schlacht wissen, von der noch immer nichts gewiß ist, als das Entsetzen, das sie überall verbreitet.

Conrad erzählte was sich ihm eingeprägt und fügte einige Bemerkungen hinzu, aus denen hervorging, daß, während der größte Theil der jungen Offiziere bis zum letzten Augenblicke in seiner siegesgewissen Verblendung geblieben sei, die einsichtigeren Köpfe wohl gewußt hätten, wie große Verwirrung und Uneinigkeit im Kriegsrathe und wie tief der Geist der Unzufriedenheit und Erbitterung in den Reihen der Soldaten fest saßen.

Dasselbe also, was man schon in Berlin hören konnte, sagte Renate schmerzlich, was der Minister von Stein warnend vorhergesagt hat, und mit ihm die besten und klügsten Männer.

Conrad sah die Sprecherin verwundert an, er hatte eine solche Antwort nicht von ihr erwartet und sie mochte seine Gedanken wohl ahnen, denn sie fügte lebhafter hinzu:

Es haben gewiß Manche mißbilligt, was sie sahen, und vieles nicht für gut und recht gehalten, allein sie vermochten nichts zu ändern, oder waren wohl gezwungen in dem Strome mitzuschwimmen. Die Verhältnisse, in denen wir leben, thun Alles, Herr Conrad. Wir müssen uns ihnen unterwerfen, wenn man uns nicht vernunftlos nennen und danach behandeln soll.

Er erröthete darüber, denn sie blickte ihn mit ihren klaren Augen dabei so eigenthümlich an, daß er in Verwirrung gerieth, weil er sich an jene Stunde erinnerte, wo er selbst die Verhältnisse vergessen hatte und danach behandelt wurde. Der bittre Nachgeschmack dieser Erinnerungen kam aber hinterher und mit ernsten Mienen antwortete er darauf:

Es nützt nichts, etwas für gut und recht zu halten, wenn man nicht darnach thut, und daher ist es auch gekommen, daß übermüthige Gewalt so lange trotzen und prahlen konnte, bis sie jetzt mit einem Schlage zusammenbricht.

Ihre Augen blieben an ihm hängen, aber sie antwortete nichts darauf. Erst nach einer Minute fragte sie:

Was wurde aus Ihrem Regiment? Wie kam es, daß es so grausam mit ihm endete, wo so viele tapfere Männer beisammen standen?

Er erzählte was er gesehen und beschrieb den blutigen Kampf.

An Tapferkeit fehlte es nicht, fuhr er dann fort, aber die Erbitterung gegen die eigenen Offiziere war bei vielen Soldaten noch größer, als gegen den Feind. Man wußte dies auch und vertheilte bei manchen Regimentern die Patronen und Feuersteine erst, als die Schlacht schon begonnen hatte. Viele grausam behandelte Menschen dürsteten danach sich zu rächen, und als die Verwirrung zunahm, die Auflösung begann, ist mancher nicht von feindlichen Kugeln durchbohrt gefallen.

Das Fräulein hörte schweigend zu. Plötzlich hob sie den Kopf auf.

Was ist aus dem Baron Quast geworden? fragte sie.

Er stürzte vom Pferde mitten im Gewühl.

Todt?

War noch Leben in ihm, so wurde es zerstampft.

Sie stand auf, wandte sich nach dem Fenster und blieb dort stehen. Dann kehrte sie zurück, aber nicht in Schmerz und Thränen, wie Conrad es bange erwartete, sondern ruhig wie vorher.

Alle Klagen kämen zu spät, sagte sie, Vergangenes ist unabänderlich, nur von der Zukunft können lebende Menschen hoffen. Wir werden Zeit behalten, auch von dem zu sprechen, was uns geschah, Herr Conrad; jetzt aber frage ich, wollen Sie als treuer Freund mir beistehen in meiner Noth?

Alles, was ich thun kann, soll geschehen, antwortete er.

Sie reichte ihm ihre Hand und sagte lächelnd:

Es fügt sich doch wunderbar. Vor wenigen Wochen noch war das Haus gefüllt mit stolzen herrlichen Männern, die Himmel und Hölle stürmen wollten, und Er der stolzeste und kühnste unter Allen. Nun liegen sie zerstoben und verflogen, Sie allein sind mir geblieben und sind treu.

Als sie dies Wort sagte, zuckten seine Finger, ihre Augen leuchteten zu ihm auf wie Sonnenglanz.

Da ließ sich im Vorsaal eine laute Stimme hören:

Es ist gar keine Zeit zu verlieren! rief diese Stimme. Sie sind schon über die Elbe, wir können sie morgen hier haben.

Ach du mein Gott! schrie eine andere Stimme, was sollen wir denn anfangen!

Vergrabt, was ihr vergraben könnt, und gebt was sie finden, antwortete der Doctor, indem er hereintrat. Oder macht es, wie es die Meisten machen. Lauft davon, und laßt bleiben, wer bleiben muß.

Der Amtmann folgte ihm mit jämmerlichem Gesicht nach, sein dickes rothes Gesicht hatte fahle Hängebaden bekommen.

Der energische Doctor machte keine Umstände, er ging gleich auf das Fräulein los. Sie können nicht länger hier bleiben, sagte er, müssen mit dem gnädigen Papa fort. Französische Husaren und Chasseurs sind schon in Burg gewesen. Von den Gütern fliehen die meisten Herrschaften nach Berlin, oder schicken doch Frau und Kinder dahin. Angst und Schrecken sind groß, man hört entsetzliche Dinge, wie geplündert wird.

Gesengt und gebrennt! jammerte der Amtmann. Ich laufe davon.

Pfui, Herr, pfui! sagte der Doctor. Ihr müßt bleiben, das ist Eure Pflicht und Schuldigkeit, aber der Major muß fort, da es noch geht, der darf den Franzosen nicht in die Hände fallen.

Im Augenblick that sich die Nebenthür auf, die hohe verwitterte Gestalt des alten Edelmanns stand im Nachtrocke auf der Schwelle.

Sturm läuten! schrie er. Meine Förster und Jäger herbei! Bewaffnet die Bauern – das Haus verschanzt!! Meinen Säbel, Klosmann! meinen Säbel! Ludolf! wo ist er?

Beim Regiment! sagte der Doctor, der herbeieilte.

Der Greis sah suchend umher, dann schien er befriedigt und alles vergessen zu haben. Er folgte willig den Befehlen des Arztes und ließ sich in sein Bett zurückführen; dort lag er lethargisch, wie vorher, vor sich hinmurmelnd: Fort, zum Regiment!


10.

Zur Mittagszeit fuhr der Wagen aus dem Dorfe. Es war derselbe, in welchem der Freiherr an jenem Markttage vor Christian Funks Haus gefahren kam, mit denselben vier dickköpfigen Sandhüpfern bespannt, aber statt des Kutschers mit dem strohfarbigen Haar lenkte der Invalide die Rosse und neben ihm saß Conrad auf der Vorderbank. Es hatte Mühe gekostet, den Major zu bewegen, daß er sich in Mäntel und Betten einpacken und in die Wagenecke setzen ließ. Sobald die Franzosen genannt wurden, fuhr er auf und schrie nach Waffen und Sturmglocke, bis ihm sein Sohn wieder einfiel und er alles Andere darüber vergaß. Damit war es auch endlich gelungen, ihn in den Wagen zu bringen. Sie mußten ihm seine Uniform bringen, seinen Orden und seinen Degen, so stieg er endlich ein und lag dann bald in der früheren Schwäche.

Der Arzt hatte getröstet, daß der Zustand des Kranken sich bessern und er in der Hauptstadt alle mögliche Sorgfalt und Hülfe finden werde, aber es war eine traurige Reise. Als der Wagen die Landstraße erreichte, wurde er überall angehalten, denn Jedermann forschte ängstlich nach Nachrichten über das schreckliche Ereigniß, und Jeder wußte schreckliche Geschichten davon zu erzählen. Anfangs hatte es Niemand geglaubt, so fest war man von der Unfehlbarkeit der preußischen Waffen überzeugt, und so groß war ihr Ruf und ihr Name, daß die ersten Verkündiger der Niederlage mit Hohn und selbst mit Mißhandlungen empfangen wurden. Nun hatte sich dies Alles verändert. Die ganze furchtbare Wahrheit ließ sich nicht mehr bezweifeln, versprengte Flüchtlinge waren gesehen worden, Männer, die noch vor wenigen Wochen voll des stolzesten Uebermuthes ausgezogen, fanden sich mit scheuen Blicken wieder ein und vergrößerten durch ihre Erzählungen das Entsetzen.

Die Landstraße war voller Fuhrwerke mit Menschen beladen, die ihre bestes Eigenthum, sammt Frauen und Kindern in die Städte zu retten suchten; in diesen wieder waren die Gasthäuser überfüllt, Pferde auf den Posten nicht zu haben, denn diese hatten Curiere, hohe Beamte, Generäle und wem es sonst gelang, für sich in Beschlag genommen. Manche Beamte suchten ihre Kassen fortzuschaffen, andere ließen Alles im Stich und eilten nach der Hauptstadt, Befehle von dort zu holen; an jedem Orte entstand bei jeder Staubwolke der Ruf: Die Franzosen kommen, sie sind da! Angstgeschrei und allgemeine Verwirrung begleitete den Tumult.

So geschah es denn auch dem Wagen dieser Flüchtlinge, und jedesmal wurde der greise Major davon wie mit neuem Leben beseelt. Seine erlöschenden Augen füllten sich mit Zorn und Verachtung und seine Stimme erhielt die alte Kraft.

Greift zu den Waffen! schrie er, wehrt euch, jagt sie aus dem Lande! zeigt, daß ihr Preußen seid! Verlaßt euren König nicht!

Aber der gaffende Schwarm blieb stumm, wich ängstlich zurück, oder es erhob sich wohl gar ein höhnisches Gelächter. Sie wiesen mit Fingern auf den Freiwilligen in der Gardeuniform, auf seinen wunden Arm in der Binde, und fragten, ob er von Jena komme und auf der Flucht gefallen sei?

Die lange gefürchtete Uniform war plötzlich Gegenstand des Spottes geworden, und je näher der Hauptstadt, um so greller trat diese Umwandelung hervor. Aller heimlich aufgespeicherte Groll machte sich jetzt Luft, und an einem der Orte, wo die Gesellschaft anhielt, um nothwendige Erfrischungen zu suchen, kam es zu einem Straßenauflauf.

Seht doch die Ausreißer! schrieen die Buben, die den Wagen umringten. Wo habt ihr eure Fahne gelassen? Habt ihr sie den Franzosen verkauft?

Franzosen! schrie der Major. Haut sie in Stücke!

Ein brüllendes Gelächter antwortete ihm. Ein Kerl sprang vor und packte ihn an.

Alter Verräther, fort mit dem Ehrenzeichen da! damit riß er ihm den Verdienstorden vom Halse. – Conrad stieß den Kerl zurück und nahm ihm den Orden ab, dafür erhielt er einen Schlag auf seine Wunde. Wohlgekleidete Leute sahen von Ferne zu, ohne sich einzumischen, und übel wäre es ergangen, wenn Renate nicht mit Entschlossenheit dazwischen getreten wäre. Sie stellte sich vor den tobenden Haufen und ihrer Jugend und Schönheit gelang es, ihren Freunden zu helfen.

Nur mit Mühe wurde der alte Mann in den Wagen zurückgeschafft, aber dieser Auftritt schien ihn zum Bewußtsein seiner Lage gebracht zu haben.

Wo sind wir denn und wohin führst du mich? fragte er.

Wir sind nahe bei Berlin, sagte Renate.

Sind die Franzosen schon da?

Nein, Vater.

Aber sie werden kommen.

Ich fürchte es.

Mich sollen sie nicht haben! rief er hastig, aber du – Was wird aus dir?

Auch ich werde nicht in ihre Hände fallen.

Wer wird dich schützen? Wer sitzt dort?

Es ist Herr Conrad Funk, Vater.

Conrad Funk! sagte der Freiherr, das ist gut, dem kannst du trauen. Sein Vater, der Feldwebel, hat mir auch das Leben gerettet. Zu ihm wollen wir hin, der nimmt uns auf. Wo ist mein Orden? Binde ihn wieder fest, Renate. Verräther! sagte der Kerl. Wo ist Ludolf?!

Er sah umher und sank dann zurück.

Nach einiger Zeit streckte Renate ihre Hand nach dem Freiwilligen aus.

Haben Sie Alles gehört, Herr Conrad Funk? fragte sie.

Ja, Fräulein Renate.

Ich habe keinen anderen Freund und Schützer und weiß nicht, wo ich in dieser Nacht mit dem Kranken bleiben soll.

Bei meinem Vater, antwortete er.

Glauben Sie, daß er uns aufnehmen wird?

Gewiß, und lieber als mich.

Nein, sagte sie, er soll uns alle gern aufnehmen; wir wollen ihn zu versöhnen suchen. Was ist das dort für ein Licht?

Es ist das Thor von Berlin.

Nun denn, dem Lichte zu, Herr Conrad! Mag alle Finsterniß ein Ende nehmen.

So fuhren sie in die Stadt, und gleich beim Eintritt konnten sie die Veränderungen bemerken, welche auch hier vorgegangen sein mußten. Sonst wurde jeder Fremde angehalten, jeder Wagen untersucht, jetzt war keine Wache vorhanden und kein Thorschreiber zu sehen. Die Kalesche rumpelte über das Pflaster, es hinderte sie Niemand. Die Straßen zeigten sich leer, kein Soldat war zu erblicken, keine Carosse, kein festlicher Glanz, selbst die meisten Fenster ohne Licht, als hätte sich jeder verkrochen. –

So ging es langsam weiter, bei lautlosen düstern Palästen vorüber, wo sonst Minister und Prinzen gewohnt hatten, aber sie waren alle geflohen, ihre großen Häuser verschlossen. Endlich erreichte der Wagen den Platz, an welchem Christian Funks Haus stand. Eine trübselig glimmende Laterne leuchtete bis vor seine Thür. Das Gewölbe des Strumpfhändlers war längst geschlossen, die Läden lagen vor den Fenstern, Alles schien wie sonst wohlverwahrt.

Conrad stieg ab und trat in die dunkle Hausflur; er hatte es übernommen, den Besuch anzumelden. Wohl kannte er jede Ecke hier und war entschlossen zu thun, was geschehen mußte; dennoch klopfte sein Herz, als er leise den langen Gang hinabschritt und endlich die Thür erreichte, welche nach der Hinterstube führte. Dort stand er still, horchte und holte tief Athem.

Aber er hörte nichts, keinen Laut, und plötzlich überfiel ihn eine Angst. Wenn Jemand krank, todt wäre? Er dachte dabei nicht an seinen Vater, er dachte an Liesbeth. Seine Hand fuhr hart auf die Klinke; die Thür war nicht verschlossen, sie that sich auf, ein Lichtstrahl fuhr ihm entgegen und traf ihn auf der Schwelle. –

In dem Lehnstuhl saß sein Vater, das Deckelglas auf dem Tische, die Pfeife neben ihm; er selbst aber hielt die Augen geschlossen, eingeschlummert, den Kopf niederhängend, die Hände gefaltet.

In dem Augenblick geschah von der andern Seite des Tisches ein Schrei. Die dort aufsprang, war Liesbeth. Sie hatte das Zeugstück, an welchem sie genäht hatte, von sich geworfen, die Schere aus ihrer Hand, und streckte ihm ihre Arme entgegen.

Conrad! rief sie, – es war ein wunderbarer brechender Ton der Stimme – Mein Gott! Conrad!

Der Alte richtete sich auf, sah hin und hob das Licht in die Höhe. Er sah seinen Sohn. Wie ihre Blicke zusammentrafen, stellte er den Leuchter wieder auf den Tisch und schwieg, denn Conrad hielt Liesbeths Hand und sagte zu ihr:

Ich habe dich gewiß sehr erschreckt, arme Liesbeth.

Sie blickte ihn noch immer an und vermochte nicht zu sprechen, er fühlte, wie sie zitterte, und sah, daß ihre Augen voll Thränen hingen.

Es kam ihm heiß aus der Brust heraus, er wandte sich zu seinem Vater. Willst du mich gehen heißen? fragte er.

Wo kommst du her? antwortete Funk.

Aus der Schlacht, Vater. Sie ging verloren.

Ein grimmiges Lachen flog ihm über die Lippen. Er hob den Finger auf und deutete auf den verbundenen Arm.

Er ist zerhauen und lahm, sagte Conrad, aber ich bitte nicht um Gnade für mich, sondern für die, die draußen warten. Der Major liegt krank an deiner Thür, seine Tochter mit ihm, sie wissen nicht wohin.

Mein Major! schrie Funk. Auf! auf! bring sie herein. Liesbeth! Licht in das Vorderzimmer, Betten! Thee! schaff' was du hast.

Er lief an seinem Sohn vorbei auf die Hausflur hinaus, Conrad folgte ihm nach. Als sie auf die Straße kamen, war das Fräulein schon bemüht, ihrem Vater zu helfen, der Invalide stand ihr bei. Aber es wollte ihnen nicht glücken, der alte Freiherr schien in einem festen Schlaf zu liegen. Ohne Worte zu machen, faßte Funk selbst mit an, mühsam brachten sie ihn heraus. Als ihn die kalte Luft umwehte, schien er sich zu ermuntern und von Funk und Conrad geführt vermochte er das Haus, endlich das Zimmer und Sopha zu erreichen, in dessen weicher Ecke er einst schon gesessen.

Ach, mein lieber gnädiger Herr! rief Christian Funk zu Thränen gerührt, müssen wir uns so wiedersehen. Ach! ach! unsere Armee! unsere schöne Armee und diese knirpsigen Franzosen!

Wie er das Wort »Franzosen« aussprach, hob der Major seinen Kopf auf.

Feldwebel! sagte er mit schwerer Zunge und streckte seine Hand aus, ist Er da? Halt er sich tapfer. Ich muß fort – fort zum Regiment!

Seine Hand blieb ausgestreckt liegen, aber der Kopf sank zurück. Sie eilten alle herbei, aber der Major war fort, – zum Regiment.

* * *

Am dritten Tage wurde er begraben, und Niemand folgte dem Sarge nach als Christian Funk und sein Sohn, denn die vornehmen Herren, welche sonst wohl ein glänzendes Geleit gebildet hätten, waren ja nicht mehr vorhanden. Ueberhaupt wuchs die Unruhe mit jedem neuen Morgen, alle Ordnung löste sich auf, es gab keine leitende Behörde mehr, Jeder dachte nur an sich. Das Zeughaus mit seinen ungeheueren Waffenvorräthen blieb dem Feinde, wie es war, überlassen, und dieser Feind sollte schon dicht in der Nähe sein; man sprach allein von ihm und wie man ihn empfangen wollte.

In Berlin noch mehr als überall brach die hohnlachende Freude über den Sturz der Monarchie hervor. Man zählte ihre Gebrechen auf, den Uebermuth der Junker und der Garden, die Verachtung des Bürgers, die Mißhandlung der Soldaten und des Volks, und alle Gewalt und Mißbräuche, mit denen man die Forderungen der Zeit bekämpft und die neuen Ideen des Jahrhunderts bestraft hatte. Darüber vergaßen Viele Volk und Vaterland, erst die Leiden der Fremdherrschaft und die Raubgier der Unterdrücker mußten diese Flamme wieder anblasen.

Als Christian Funk mit seinem Sohne von dem Kirchhofe zurückkehrte, konnten sie Manches sehen und hören, was dem alten Manne bis in's Herz ging. An verschiedenen Stellen standen Menschenhaufen beisammen und verbreiteten Nachrichten über neue Niederlagen der preußischen Heeresabtheilungen, die sich bei Jena gerettet hatten. In Halle war der Herzog von Würtemberg besiegt, Prinz Hohenlohe sollte gefangen und geschlagen sein. Der Kaiser Napoleon war in Leipzig. Sein Marschall Bernadotte aber hatte schon Brandenburg besetzt, in Potsdam waren französische Husaren gewesen, man konnte sie heut wohl noch hier erwarten. Und alle diese Nachrichten wurden mit Jubel gehört, mit frohlockendem Geschrei, mit Verwünschungen auf die Helden von Jena, mit Hohngelächter auf die Flüchtlinge begleitet.

Gebeugt und stumm ging Christian Funk weiter.

Die Schreier haben die Oberhand behalten, sagte er endlich halblaut voll Wuth und Gram, aber unser Herr Gott wird die Schande an ihnen rächen.

Er wird's rächen, Vater, an Allen die Unrecht thun, und hat's schon gerächt an Vielen, die seine Stimme nicht hörten, antwortete Conrad.

Funk sah seinen Sohn von der Seite an, antwortete aber nicht gleich darauf. Er hatte in diesen Tagen noch wenig mit ihm gesprochen, war ihm ausgewichen, wußte nicht recht, was er beginnen sollte. Im innersten Herzen trug er seinen Groll, und doch mischte sich Manches darein, was ihn milder stimmte. Während Conrad fort war, hatte er manche Nacht gelegen und an ihn gedacht, bald mit Zorn, bald mit Bangen; er konnte des Sohnes Bild nicht los werden. Er hatte doch nur den Einen, und es war ein ungerathener, ungehorsamer, aber dennoch sein Sohn, und da er ihn von sich gestoßen hatte, fühlte er das, und fühlte den Stachel.

Nun war Conrad wieder gekommen, und daß er mager aussah und wie ein anderer, machte auch Eindruck. Dazu kam die Wunde im Arm und was das Fräulein erzählt hatte, ihm sowohl wie Liesbeth; denn Renate hatte nicht verschwiegen, wie er mit ihrem Bruder nach Lebin gekommen und der junge Freiherr erzählt, daß Conrad ihn mitten aus den Feinden herausgehauen. Das that dem alten Soldatenherzen wohl. Wenn's anging, sah er den Sohn heimlich wohlgefällig an, und jetzt überkam's' ihn wieder wie eine Freude, da er Conrad so über die Elenden sprechen hörte, die sich über ihres Vaterlandes Fall freuten.

Na, sagte er, es gibt Manchen, der Unrecht gethan hat.

Wenn's geschehen ist, antwortete Conrad, so muß man es bessern, und zu vergeben haben wohl Alle etwas.

Funk schwieg stille. Es war Niemand genannt worden, aber doch deutlich zu merken, was Jeder meinte. Es klang auch wie ein Bekenntniß, das der Sohn von seinem Unrecht ablegte, er wollte die Schuld nur nicht allein tragen.

Als sie im Hause anlangten, gab der Vater ihm die Hand, noch hatte er sie ihm nicht gereicht.

Wird auch ordentlich nach deinem Arm gesehen, fragte er, daß sich nichts verschlimmert?

Es steht gut damit, erwiederte Conrad. Liesbeth sorgt noch immer für mich, hat mir auch den Aermel mit Bändern besetzt, und einen ganzen Haufen Charpie gezupft und heraufgebracht.

Der Alte sah den Rock an, den Conrad jetzt wieder statt der Uniform trug, dann blickte er ihm gerade in's Gesicht, beugte sich vor und nickte heftig, daß der Zopf in die Höhe flog.

Es ist ein Schatz! sagte er. Der Nachbar sagt's auch.

Mag sein, antwortete sein Sohn lächelnd.

Funk drehte sich hastig um und ließ ihn stehen.

Als Conrad in seine Kammer trat, blickte er behaglich umher. Sie war sauber geräumt, weiße Gardinen angesteckt, auf dem Tische lag eine bunt gehäkelte Decke, darauf stand ein Glas mit Blumen. Er hatte Liesbeth an der Decke arbeiten sehen, und die Blumen hatte sie als ein Geschenk erhalten, von dem Nachbar Holzhändler, der vor Kurzem seine Frau verloren hatte. Conrad hatte den bunten Strauß schön und selten gefunden zu dieser Jahreszeit, nun stand er hier, um ihn zu erfreuen.

Er hielt das Glas noch in der Hand, als an die Thür geklopft wurde und Liesbeth hereintrat. Er blickte von den Blumen auf nach ihr hin und sah sie freundlich an; aber bei seinen lachenden Mienen wurde ihr Gesicht so ernsthaft, als es je gewesen.

Entschuldige mich, sagte sie, wenn ich zu dir eintrete. Das Fräulein ist soeben nach Haus gekommen und verlangt dich zu sprechen.

Er hielt sie fest.

Bedarf es denn einer Entschuldigung, liebe Liesbeth? erwiederte er. Ich habe dir so viel zu danken.

Ich wüßte nicht, wofür.

Du hast mir die schöne Decke gehäkelt.

Ich wußte nicht, wohin damit.

Und diese Blumen, die dir verehrt wurden.

Ich frage nichts danach.

Aber nach wem fragst du denn?

Nach Niemand, sagte sie und machte sich frei. Das gnädige Fräulein fragt dringend nach dir und erwartet dich.

So schlüpfte sie hinaus und seine Blicke folgten ihr nach, doch nicht böse wie ehemals, sondern eigenthümlich, freudig und bewegt, dann ging er hinab und fand Renate bei seinem Vater, ihn erwartend.

Kommen Sie her, mein lieber Freund! rief sie ihm entgegen, ich habe Ihnen vieles zu sagen. Von meiner Tante, der Generalin von Schadwitz, welche Berlin schon verlassen hatte, als wir hier anlangten, und der ich nach Küstrin, wohin sie sich begeben, sogleich Nachricht schickte, habe ich Antwort erhalten. Sie ladet mich ein, sogleich zu ihr zu kommen, denn sie will weiter reisen nach Preußen. Auch mein Bruder ist glücklich dort eingetroffen und ist nun dem Könige gefolgt, um in eines der Regimenter einzutreten, die mit dem russischen Heere vereinigt den neuen Feldzug beginnen sollen. Die Königin hat sich gnädig meiner erinnert und wird mich gern in ihrer Nähe sehen. So will ich heut noch zu meiner Tante eilen, ehe es zu spät wird, denn ich fürchte, morgen schon sind die Franzosen hier.

Funk schüttelte heftig den Kopf, murmelte aber dabei:

Sie sollen in Potsdam sein, eben war der Nachbar hier.

Wer will sie halten? sagte Renate, doch es kommt eine neue Zeit. Die alten Vorurtheile fallen, der Mann wird künftig gelten, was er werth ist, es wird sich erfüllen, was Stein gefordert hat.

Sie stand auf und hob ihr schönes Gesicht zu dem schweigenden Freund empor. Sie sollen mich begleiten, Conrad, fuhr sie fort, damit wahr werde, was wir träumten. Ich glaube, daß ein höheres Geschick uns zusammenführte und weiter führen wird. Sagte ich Ihnen nicht, daß Alles licht werden soll um uns und alle Schleier fallen sollen? –

Sie lächelte und reichte ihm ihre Hand. –

Es war kein Zufall, Bestimmung war es, der meinen Jugendgespielen mich unverhofft finden ließ, als ich es am wenigsten erwartete; wenn aber übermüthige Mädchenlaune mich trieb, mich vor ihm zu verstecken und uns in Abentheuer zu verstricken, so soll die rothe Fledermaus nun Alles wieder gut machen, Alles erfüllen, was sie je versprochen und nicht versprochen hat.

Sie hielt inne, ihre Augen strahlten und winkten, sie schien über seine Verwirrung sich zu freuen und in stolzer Gewißheit zu triumphiren.

Ja, mein lieber theurer Conrad, rief sie, die Thore der Zukunft haben sich vor uns geöffnet. Mein Bruder wird Sie freudig erwarten. Ihr Vater wird uns segnen. Sie werden ruhmvoll kämpfen, ich aber, ich schwöre –

Halten Sie ein, Fräulein Renate, unterbrach sie Conrad, indem er ihre Hand festhielt. Zunächst hören Sie mich. Ich bin tief ergriffen von dem Glücke, welches Sie mir zeigen, aber auch ich habe Bekenntnisse zu machen. Was übermüthige Mädchenlaune mir an Kummer und Schmerzen bereitete, hatte ich wohl verdient, denn ich war thöricht und unerfahren genug, um den Spaß der rothen Fledermaus für Ernst zu nehmen; eben sowohl verdient war, was mir später widerfuhr, ich habe dafür gebüßt mit meinem Blute. Ich liebe mein Vaterland, Fräulein Renate, fuhr er mit steigender Bewegung fort, und hasse dessen Feinde, aber ich bin von niederem Stande, wund und lahm, und habe einen alten Vater, der meiner in dieser schweren Zeit bedarf, welche jetzt wohl über uns kommen wird; endlich aber gibt es noch einen Grund, den ich bei Allem, was ich thue, wohl erwägen muß. Hier neben mir steht Eine, die auch Schutz von mir erwartet, denn sehen Sie, Fräulein Renate – sie hat mir zwar bis jetzt mit keinem Worte gesagt, daß sie mich liebt, aber ich weiß es und ich – ich liebe sie von ganzem Herzen!

Indem er dies sagte, zog er Liesbeth an sich, legte seinen Arm um sie und sah sie an mit Blicken voll Liebesfreudigkeit und Glück. Sie war todtenbleich geworden und zitterte, aber da er ihre zuckenden Lippen küßte und dabei rief:

Rede, Liesbeth, ob's Lüge ist oder Wahrheit! faßte sie mit beiden Händen um seinen Hals und sprach dabei so fest es anging:

Immer! immer!

Da fuhr der Alte, als wachte er auf, vom Stuhle empor, wo er bis dahin wie angenagelt steif gesessen. Er grinste so schlau, wie zur guten Zeit, der Zopf flog ihm in die Höhe. Mit beiden Armen hielt er Conrad von sich ab und sah ihm in's Gesicht, darauf holte er aus und schlug mit aller Kraft in seines Sohnes Hand.

Ist's ein Wort, Conrad?

Ein festes Wort, Vater.

Ist es ein Schatz?

Ein großer Schatz, Vater.

Wirst es inne werden! schrie der alte Mann. Und jetzt mögen die Franzosen neunundneunzig Mal kommen. Binnen hier und vier Wochen soll Hochzeit sein.

Fräulein Renate hatte dies Alles angeschaut und angehört, keine Miene verrieth ihre Ueberraschung oder Bestürzung. Sie wandte sich dann zum Fenster, sah auf die Straße hinaus und kehrte von dort jetzt zurück mit demselben ruhigen, sanften Lächeln, wie sie zurückgekehrt war, als er ihr den blutigen Tod des wilden Barons, ihres Verlobten erzählt hatte. –

Es würde thöricht sein, wenn wir noch weiter über meine Vorschläge sprechen wollten, Herr Conrad! sagte sie. Sie haben Ihre Wahl getroffen, ich wünsche Ihnen Glück. Aber Ihre Freundschaft gebe ich so leicht nicht auf, und meine Dankbarkeit wird niemals enden.

Darauf umarmte sie Liesbeth, küßte sie und sagte ihr wohlgesetzte Glückwünsche. In keiner Bewegung war ihr Zwang oder Unruhe anzumerken. Nach manchem freundlichen Worte setzte sie sich wieder an den Tisch und sprach nun von ihrer Abreise mit ruhigster Ueberlegung, bis Alles bestimmt und geordnet war.

Es stand in Berlin wie überall gleich schlimm mit Fuhrwerk und Posten. Alles was zu haben, reichte für die vielen Fliehenden längst nicht mehr aus, und für die höchsten Preise konnten manche Flüchtlinge nicht mehr fortkommen. So war es gut, daß das Fräulein von Hochhausen in Besitz ihrer Kalesche und der vier Sandhüpfer sich sicher wußte; allein es blieb keine Zeit zu verlieren, auch drang sie darauf die Reise sogleich anzutreten, was Jeder billigen mußte.

Nach einer Stunde hielt der Invalide mit dem Fuhrwerke vor der Thür, und in ihrem Schleierhute und Mantel trat Renate aus ihrem Zimmer, als Liesbeth sich ihr näherte und einen bescheidenen Knix machte. Hinter ihr folgte Funk und hielt seinen Sohn an der Hand, der, seinen Reitermantel übergeworfen, reisefertig erschien.

Gnädiges Fräulein, sagte Liesbeth, es ist eine weite Reise, und wer weiß, wie unsicher schon der Weg ist. Sie dürfen es nicht allein wagen, darum bitten wir alle zu erlauben, daß Conrad Sie begleiten darf. Ich bitte in seinem Namen.

Einen Augenblick stand Renate überrascht, ihre großen Augen auf Liesbeth geheftet, dann eilte sie auf diese zu und sie heftig in ihre Arme pressend, rief sie:

Er soll mich nicht begleiten! Ich will allein gehen. Habt Alle Dank! Du aber, ja du bist ein Schatz, – lieber, lieber Conrad, es war recht, was Sie gewählt!

Ein begeistertes Lächeln begleitete ihre Worte, schnell wandte sie sich um und sagte in ihrer früheren Art:

Habt keine Sorge um mich; ich werde glücklich an mein Ziel gelangen, da ist mein alter treuer Peter, der verläßt mich nicht oder – sie war vor die Thür bis an den Wagen gelangt und lachte zu dem alten Diener hinauf – oder fürchtest du dich, Peter, und willst mich auch verlassen?

Mag's hingehen wo es hin will, antwortete der Invalide, ich gehe mit!

Nun denn so fahre zu und – Lebt wohl! Lebt alle wohl! –

Als die drei in's Haus zurückkehrten, Conrad ernst und still, Liesbeth betrübt den Kopf hängend, fuhr der Alte auf ihn los, faßte ihn an der Brust und schüttelte ihn.

Möchtest wohl doch ihr nach? fragte er heftig mit dem Zopfe wackelnd.

Niemals, Vater, niemals!

Heda! Liesbeth! jetzt haben wir ihn, und was sagte ich damals? So wie wir ihn fest haben, soll er unter die Fuchtel und nicht wieder los.

Er soll auch nicht wieder los, sagte Liesbeth.

Halt dein Commando aufrecht! schrie Funk.

Er wird thun was recht ist, sagte sie, und ich werde gehorchen, Vater, denn mit uns wird Liebe und Einigkeit sein.

Ja, meine Liesbeth! rief Conrad freudig bewegt, so soll es sein. Du hast ein Herz voll Liebe für mich, nie will ich es mehr verkennen und nie es verrathen!

Und danach geschah es. Zwar ließ Christian Funk noch manches mal den Zopf nach rechts oder links fliegen auch wohl steil in die Höhe stehen, aber Liesbeth brachte Vater und Sohn immer wieder in das rechte Geleis, und was krumm war machte sie gerade.

Der alte Mann erlebte es noch, daß das Fremdjoch abgeschüttelt wurde, und sein Sohn zog mit der Landwehr aus und kam als Hauptmann zurück, geschmückt mit dem Eisenkreuze. Seit dieser Zeit wuchs des Alten Achtung so hoch, daß er Jedes gut hieß, was Conrad that, ihm auch Alles überließ und bei seinen Enkeln saß, denen er täglich einprägte, daß ihre Mutter der größte Schatz sei, den sie alle besäßen.

Fräulein Renate heirathete in Königsberg einen vornehmen russischen Offizier, dem sie nach Petersburg folgte. Ihr Bruder war in der Schlacht von Eilau rühmlich gefallen. Peter Klosmann aber kehrte, als Frieden geschlossen war, zurück, doch übel würde es ihm ergangen sein, denn das große Gut Lebin hatte der Amtmann schon während des Krieges um einen Preis gekauft, daß manche Gläubiger des Freiherrn leer ausgingen. Der neue Gutsherr kümmerte sich nicht um den Invaliden, aber Funk nahm ihn in sein Haus, und da saßen die beiden Alten viel beisammen an dem Familientisch, mit Pfeifen und Deckelglas, und erzählten den horchenden Kindern von Pirmasenz und Kaiserslautern, vom Sturme auf Bitsch und von ihrem tapferen Major.


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