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1.

Im Norden der Stadt Tondern in Schleswig, bis an die Westsee reichend, liegt eine lange öde Haidestrecke, theils mit dünnem Sand bedeckt, theils von moorigen Tiefen unterbrochen, durch welche die schwarzen Wasser des kleinen Flusses Widau sammt einigen andern Bächen träge dem Meere zuschleichen. Wenig Hütten steigen zerstreut auf diesem magern, öden Boden auf, über den Jahr aus Jahr ein heftige Windwehen streichen, die den Sand vor sich her wirbeln, und keine Saat gedeihen, keinen Baum aufwachsen lassen.

Zuweilen nur erblickt man an einem Grunde, der mit dem verrätherischen Grün schilfiger Gräser und lang aufschießender Rohrungen bedeckt ist, eine menschliche Wohnung von ärmlicher Gestalt. Eine kahle Koppel zieht sich meist darum, aus Torfstücken zusammengesetzt, welche eine zerbröckelnde Umzäunung, zwei oder drei Fuß hoch, bilden, die den Sand aufhält und dem mageren Pferde oder der Kuh und einigen langleibigen kleinen Schweinen mit spitzen Köpfen nicht gestattet, Spaziergänge in den Moorgrund zu machen, um die Torfstücke zu zerwühlen, welche ihr Herr dort zum Trocknen aufgestellt hat.

Der Handel mit Torf, der Verkauf seiner Schweine, oder der Aale, welche er in den Gräben fängt, der Krabben und anderen Seegethiers, das er zur Ebbezeit am Meeresufer aufsammelt, geben ihm und seiner Familie ein dürftiges Stück Brod, wenn er nicht zur Sommerszeit gemiethet wird, um Vieh aus Jütland nach Holstein zu treiben, oder zu den reichen Marschleuten wandert, um diesen in der Erntezeit als Knecht zu helfen.

So weit das Auge reicht, ist nichts zu entdecken, was diese Eintönigkeit unterbräche; nichts als die nackte, da und dort von Haidekraut braunrötlich schimmernde Fläche, welche gegen den Rücken des Landes sich ein wenig zu erheben scheint, gen Westen aber in eine endlose Ferne verläuft, mit welcher sich Himmel und Wolken vermischen. Schwermuth ist der Charakter der öden Gegend, selbst wenn die Sonne hell darüber steht und die milde Luft die Halme und Ranken bewegt. Kein Sänger des Waldes läßt sich hier hören, nur Sumpf- und Strandvögel stoßen dann und wann ihr klagendes, unharmonisches Geschrei aus; keine Straße und kein Weg führt durch diese Kette blaßgelber Sandschollen und feuchter Moorgründe, nur Steige, die von Wenigen betreten, und Geleise, welche die Karren der armen Hüttenleute in den weichen Boden geschnitten und welche sich willkürlich ändern.

Man kann weit hinauf bis nach Jütland umherirren, ohne eine Abwechselung zu finden; immer dieselbe öde Haide, derselbe Sand, dieselben grünenden Sumpflöcher und dann und wann eine jämmerliche Hütte, da und dort ein ärmliches kleines Feld. Wer hierher verschlagen würde, könnte glauben in einer Wüste zu sein und würde nicht ahnen, daß wenige Meilen, oft nur Stunden davon herrliche Marschen liegen, Landstrecken voller Fruchtbarkeit und Segen, voller Reichthum und Menschenleben.

 

An einem Tage im Frühjahre 1849 befanden sich vor einer dieser Hütten drei Männer beisammen und ihre Unterhaltung war lebhafter, als es sonst zwischen Leuten ihrer Art zu sein pflegt. Aber sie hatten Grund für ihre ungewöhnliche Aufregung, denn es ging eben arg genug in dem Lande zu, dem sie angehörten.

Die Dänen kämpften darin während des letzten Jahres gegen die Schleswig-Holsteiner, und wenn die Preußen diesen nicht zur Hülfe gekommen wären und das Dänische Heer bei Schleswig geschlagen und aus dem Lande gejagt hätten, würde der Aufstand ein rasches Ende gefunden haben.  

Darauf aber hatten sich viele andere Nationen in den Streit gemischt. Ein paar tausend Schweden zogen den Dänen zur Hülfe und lagerten sich nicht weit ab von Tondern und in der Stadt selbst. Die Russen drohten den Preußen mit Krieg, die Franzosen machten auch Miene sich der Dänen anzunehmen, und die Engländer waren wenigstens mehr dänisch als unparteiisch gesinnt. Die Preußen zogen sich zurück aus Jütland, schlossen einen Waffenstillstand in Malmö, um den Streit zu verhandeln, und übertrugen der deutschen Reichsversammlung das Weitere.

So war nun der Winter vergangen, ohne daß die Leute im Lande wußten, was die fremden, staatsklugen Herren endlich aus ihnen machen würden, und hier saßen drei auf der öden Haide, welche darüber ihre Betrachtungen anstellten.

Sie saßen mit dem Rücken an der ärmlichen Hüttenwand, und obwohl diese Hütte ein wenig stattlicher und größer war, als manche andere, hatte sie doch nur zwei kleine Fenster. Das wetterschwarze Rohrdach hing beinahe bis zur Erde herunter, und aus der niedrigen Thür und dem Loche darüber zog eine blaue, dünne Rauchsäule in die Luft, wo der Wind sie sogleich verwehte; denn ein Schornstein war bei ihr so wenig wie bei anderen ihres Gleichen zu finden. Die Männer saßen im Windschutz und ließen sich von der Abendsonne bescheinen, die feurig durch schwärzliches Gewölk brach, das sie mit goldigen Säumen einfaßte.

Das Haus lag ein wenig höher als die Koppel, welche Hof und Feldstücke umhegte, und vor ihm breitete sich ein grün bewachsener Fenn, d. h. ein zur Zeit trockener Sumpf aus, der wie gewöhnlich eine Industrieanstalt einfachster Art, eine Torfgräberei, erblicken ließ. Weit umher war dann nichts zu schauen als die laut- und regungslose Fläche, aber wer mit scharfen Augen unter der Sonne hin, bis an das äußerste Ende des Gesichtskreises sah, konnte dort ein unruhiges Etwas erkennen, das fast wie eine ungeheure Schlange sich in welligen Windungen zu bewegen schien. Es war dies die See, welche dort ihre Wellen aufwarf. Einst hatte sie dies ganze Land umher bedeckt, hatte die Mauern der alten Stadt Tondern bespült und war mit wüthenden Sturmfluthen vielmals darüber fortgegangen, Tod und Verheerung über Alles, was lebt, verbreitend.

Die drei Männer, welche die schönen glühenden Abendwolken und die dunkle Meerschlange wenig beachteten, stellten an sich die drei verschiedenen Völkerstämme dar, welche hier auf wenigen Quadratmeilen sich begegnen und somit gleichsam die Ursachen sowohl der jetzigen Kriegsunruhen, als so mancher Kriege und Kämpfe verflossener Zeiten.

Der Eigenthümer des kleinen Hofes war vom jütischen Dänenstamm, dem in dem langen Völkerringen zuletzt Nordschleswig als Heimath geblieben ist. Sein trocknes, hartes Gesicht, die starken Glieder, breiten Schultern, langsamen Bewegungen und sein langfallendes, fahlgelbes Haar gehörten seiner Race eben so bestimmt an, wie sein grauer, grober Kittel und der Schmutz, der daran klebte.

Sein Nachbar an der Linken dagegen in dem langschooßigen Rock von Tuch und dem Filzhut auf dem Kopfe, unter dem ein paar runde, fleischige Backen, ein rundes, glattes Kinn und zwei ziemlich lebhafte, gutmüthig blickende Augen hervorsahen, war von deutscher Abkunft und Stamm, der sich in den Städten festgesetzt und diese mitten unter dem jütischen Landvolk in Nordschleswig länger als ein halbes Jahrtausend trotz vieler Stürme behauptet hat. Er war aus Tondern gekommen, um zu sehen, ob Ole Erichson ihm trocknen Torf abzulassen habe, und seines Zeichens ein Krämer, Lerred og Kniplinger oder Leinwand- und Spitzenhändler, der Frau und Kind im eignen Hause hatte.

Bei Ole Erichson, welcher ihn oft schon mit Feuerung versorgt, fand er den dritten Mann schon sitzen, und dieser gehörte auf den Inseln an der Küste zu Haus, was ihm leicht anzusehen war. In seiner dunklen Jupe mit Hornknöpfen, den Hals von einem farbigen Tuch umwunden und den weißen Hemdkragen darüber gelegt, einen spitzen Hut auf dem blonden Haar, und an den ernsthaften blauen Augen ließ sich der Friese gut erkennen. Er mußte jedoch von echtem Blut sein, denn sein Körper bestand aus wenig Fleisch und vielen Knochen und Sehnen. Sein Gesicht hatte die reine, helle Farbe, die hohe Stirn und die feine, schmale, friesische Nase, dabei sah er so bedächtig, ruhig und besonnen aus, wie es friesischen Männern eigen ist, denen es nicht an Verstand und Klugheit mangelt.

Der Bürger aus der Stadt kannte ihn und schien ihn gern zu sehen. Obwohl jeder der drei seine eigene Sprache hatte, so redete er ihn doch deutsch an und wurde gut verstanden.

Ohei Lorenz Karstens! sagte er ihm die Hand schüttelnd, kommt aus Eurem verdammten Mausloche auch einmal wieder hervor, um in Tondern nachzusehen, ob die Leute noch eine deutsche Zunge im Halse haben. Wir sind richtig noch am Leben, Lorenz, und verflucht will ich sein, wenn ich jemals dänisch lernen möchte. Daß es eine Sprache für die Schweine ist, wie sie in den Marschen sagen, will ich nicht behaupten, Lorenz, fügte er mit einem lustigen Seitenblick auf den Jütländer hinzu, der, ohne sich zu rühren, aus seiner kleinen schwarzen Tabakspfeife weiter rauchte, und eine Schande ist es nicht, wenn man sie einmal am Leibe hat, denn Gottes Wille ist es gewesen, und ihm muß der Mensch für Alles danken. Aber schön ist es eben so wenig und bei alledem, obwohl wir Schweden und Dänen jetzt genug im Lande und in der Stadt haben, möchte ich doch nicht dazu gehören, auch ebenso wenig euer friesisches Polakisch meine gute deutsche Muttersprache nennen.

Sie haben wohl Recht, Herr Becker, sagte Lorenz Karstens, es ist nicht viel Freude dabei, ein Friese zu sein.

Nun, fiel der Krämer ein, meint Ihr denn, daß es übermäßige Freude macht, ein Deutscher zu heißen? Besonders jetzt möchte man vor Vergnügen dann und wann an den Wänden hinauflaufen. Einquartierung, Lasten, Kosten, Steuern aller Art und dabei denkt jeder Lump, für einen deutschen Verräther sei das noch lange nicht genug. Na, Alles hat seine Zeit, aber es wird schon besser werden, Mann. Nur Geduld muß man haben, nur Geduld!

Er nahm seine Rockschöße zusammen, setzte sich neben Ole Erichson, der sich noch immer nicht gerührt hatte, und fing an über seine Torfangelegenheit zu verhandeln. Der trägen Zähigkeit des Jüten mangelte es nicht an Schlauheit. Bis er den doppelten Preis von dem Krämer herausgepreßt hatte, blieb er einfach dabei, trockner Torf sei jetzt nicht zu haben, sein Vorrath reiche kaum für ihn selbst hin; als er jedoch erlangt, was er für Recht hielt, gestand er vergnügt zu, daß noch ein ganz hübscher Vorrath in seinem Stalle aufgeschüttet sei.

Es ist ein spitzbübisches Wesen in diesem ganzen Volke, sagte der Krämer, nachdem er seinen Handel abgeschlossen, und sein Schelten und Schimpfen vorüber war. Diese jütländischen Dickköpfe gelten für dumm und werden von den Inseldänen sowohl wie von den Deutschen über die Achsel angesehen, und bei alledem giebt es schlaue Bursche darunter, die uns die letzten Pfennige aus der Tasche holen, mögen sie noch so fest unter den Näthen sitzen. Gelt, Ole Erichson, Du jütländische Creatur, hast einen dummen Deutschen wieder einmal gut übers Ohr gehauen und lachst ihn aus.

Nicht doch, Herre Bager, nicht doch, versetzte Ole im gebrochenen Deutsch und mit schwerer Zunge, bin kein Jüte, Fanden (der Teufel) hol Jüten! Bin ehrlich en tüdsk Mann.

Hört doch den Burschen, Lorenz Karstens, lachte der Krämer. Ein ehrlicher deutscher Mann will er sein, hat mir aber eben das Doppelte abgenommen und spricht nicht drei deutsche Worte. Seht Ihr, Lorenz, das ist die Sache, fuhr er fort, indem er seine Pfeife stopfte und Feuer schlug. Deutsche wollen sie Alle sein, obwohl die Herren in Kopenhagen uns mit Teufelsgewalt längst unsere gute deutsche Sprache nehmen und zu Dänen machen wollten. Aber hört, was ich Euch sage, Mann, und was geschehen wird, so wahr wir hier sitzen. Es kann kommen, wie es will, und wenn sie uns auch wieder dänisch anstreichen von oben bis unten, die deutsche Sprache bringen sie doch nicht aus uns heraus. Laßt Euch erzählen, wie es vor zwei Jahren der Kopenhagener Commission ging, die bei Tondern umher durch alle Kirchspiele lief und die Leute ausfragte, ob sie nicht dänische Prediger und Schulmeister haben wollten, und was ihnen das Nöthigste sei; gewiß sei es doch das Nöthigste, ordentlich Dänisch zu lernen.

Nei, nei! schrieen sie Alle. Das Dänische kann uns gar nichts helfen, Deutsch müssen wir lernen, tüdsk vor allen Dingen, damit wir in den Städten uns verständlich machen, kaufen und verkaufen können. Und nun seht, Lorenz Karstens, fuhr er fort, indem er den Schwamm auf den Tabak legte und heftig zog, darum mag's kommen, wie es will; Kreuz Element! Kämen diese Danskys auch wieder bis an die Elbe, es würde ihnen doch nichts helfen. Das Kaufen und Verkaufen verlangt die deutsche Sprache, das thut's, damit werden sie doch zuletzt geschlagen. Alles hat seine Zeit. Es wird schon besser werden, Mann, nur Geduld muß man haben, nur Geduld!

Da er keine Antwort erhielt und die Pfeife in Brand war, sah er sich um und sah Lorenz Karstens an, der seine Arme ins Kreuz geschlagen vor sich hinblickte.

Ihr macht ja ein Gesicht, fuhr er fort, als lägen zehn Dänen bei Euch im Quartier und Ihr müßtet sie Alle füttern. Dankt Gott, Lorenz, daß die wilde Westsee keine Brücken hat, auch im Winter keine Eisbrücke duldet; sie kämen sonst zu Euch bis auf Eure Hallig nach Fallö, bis auf Eure Werft, Mann, so ein elendes, salziges Stück Erde es auch ist. Aber Alles hat seine Zeit, und es wird schon besser werden.

Es wird nicht besser werden, antwortete Lorenz vor sich hin.

Was? schrie der Krämer. Ich sage Euch, Lorenz, es kommen doch wieder gute Tage. Wie mein Vater selig noch das Geschäft hatte, war Tondern oben auf. Spitzen, Zwirn und Leinwand gingen durchs ganze Land und durch alle Inseln. Da war in Sylt und Amrom kein Mädchen, die nicht Kragen und Krausen aus Tondern trug; kein junger Bursch konnte heirathen, der nicht bei uns Hochzeitshemden, Seidenbänder und Tücher einkaufte. Wie ich anfing, ging's mit dem Glück schon auf die Neige, und jetzt ist es ganz und gar aus damit; aber es wird schon wieder kommen, Lorenz. Wenn Ihr heirathet, kauft Ihr tondernsche Spitzen. Es kommt wieder, Alles kommt wieder.

Der Halligmann schüttelte leise den Kopf.

Ihr glaubt's nicht? rief der Krämer. Es kann nicht ewig dauern, Lorenz, und mit Geduld kommt ein Mensch über Alles fort, nur die Geduld muß er nicht verlieren. Es geht Euch jetzt auch nicht besonders auf den Inseln, namentlich auf den Halligen ist kein Handel und Verkehr mehr vorhanden, kommen keine Schiffe, die Ihr durch Lystertiefe, Heverstrom und Tönningerbucht bringen könnt, und seid der Mann dazu, Lorenz, der beste Seemann und Lootse. Habe es seiner Zeit oft von dem alten Uve Moor gehört, als Ihr Steuermann in Amsterdam auf dem großen Indienfahrer geworden. Und Uve Moor war Einer noch von der alten Sorte, so ein alter Seehund von Capitain, der sein Leben über auf dem Salzwasser umhergeschwommen, bis er die Gicht bekam und auf Fallö wie ein Dachs in seinem Bau saß, weiß das am besten.

In dem magern, hellen Gesicht des Friesen verwandelte sich nichts, nur seine Augen erhielten einen Glanz, der nicht darin gewesen, und seine kräftige, breite Brust schien sich von einem tiefen Athemzuge zu heben. Also faßt Muth, fuhr der Krämer fort, es wird schon besser werden. Gebt Acht, wie es kommt. Der Krieg wird wieder losgehen, die Dänen wollen's nicht anders thun. Gestern sagte mir Einer, es wäre schon so weit. Sie wollen drauf los, auf die Deutschen, doch die sitzen auch nicht stille. Von Deutschland sind viele Tausend schon da, und die Schweden ziehen ab, wollen nicht weiter damit zu schaffen haben. In Rendsburg ist die Regierung nicht faul, das Volk muß Flinte und Säbel nehmen und in Kiel rüsten sie Schiffe aus, um's auf dem blauen Wasser mit den Danskys zu versuchen.

Dänen fürchten sich nicht, antwortete der Jütländer. Wird ihnen schlecht bekommen.

Siehst Du, Ole Erichson, wie das dänische Blut sich in Dir regt, lachte der Krämer. Das will ein Deutscher sein, Lorenz, aber der Däne sitzt drinnen fest, und er verkaufte uns, wie ein Judas, wenn er dreißig Silberpfennige für uns bekommen könnte.

Nei, nei! schrie Ole. Ich bin ein tüdsk Mann, verrathe keinen Freund. Aber wer kommt da, wer ist da?

Mit diesem Ausrufe blickte er über die Koppel fort und sah zwei Männern entgegen, welche am Rande des Sumpfgrundes auf seine Hütte zuschritten. Sie mußten nördlich her über die Haide gekommen sein, wo die drei sie nicht sehen konnten, jetzt bemerkten diese um so besser, daß es junge Herren waren, die munterer Laune zu sein schienen, denn sie fingen zu singen an, unterbrachen jedoch sogleich wieder ihr Lied, um ein lautes Gelächter zu beginnen.

Ole Erichson staunte sie mit offenen Augen an, ebenso der Krämer, der nach einigen Minuten sagte:

Lustiges Volk ist es, ich möchte schwören, daß sie – eh, Lorenz, was sagst Du dazu? Hast nichts gehört von einem dänischen Orlogschiff, das hierum sich sehen läßt? Sieh die beiden Jungen an. Glanztafft an ihren Mützendeckeln, und unter dem offenen Rock trägt der Lange da eine blaue Jacke mit blanken Knöpfen. Hast nichts gehört, Lorenz?

Nein, antwortete der Friese, indem er einen Blick auf die nahenden Männer that.

Diese sprangen gleich darauf über die Koppel, sich ihre Bemerkungen zurufend, die sie in dänischer Sprache machten.

Nun, da sind wir ja mitten im Paradiese, Heiström, rief der Eine, ein hoher, schlanker Herr, seinem kleineren Gefährten zu. Da steht die himmlische Wohnung mit Thieren aller Art gefüllt, und hier sind die drei Erzengel, welche den Eingang bewachen.

Wir werden ihre Gnade anrufen müssen, erwiderte der Andere. Ihr da, Freund, sagt uns vor allen Dingen, wie weit wir noch bis nach Tondern zu gehen haben.

Eine gute Stunde, Herr, antwortete Ole, an den die Frage gerichtet war; aber guter, trockener Weg.

Die beiden jungen Leute lachten ausgelassen.

Das nennt man guten Weg, Lund, sagte der Kleinere. Das merke Dir.

In diesem verdammten Lande ist Alles schlecht, doch für diese Deutschen immer noch gut genug, antwortete sein großer Freund.

Ei, sagte der Krämer, der Dänisch genug verstand, wer heißt Euch denn hierher kommen?

Wer heißt Euch denn Eure Grütze in unsern Topf schütten? versetzte der große, junge Mann übermüthig und ebenfalls in dänischer Sprache.

Was? Wie? fragte der Krämer überrascht. Es ist doch aber nichts als die Wahrheit, Herr.

Die behalt Er für sich und geb sie von sich, wenn er gefragt wird, war die Antwort. Gehört Dir die Hütte hier, Mann? fuhr der Fremde fort, indem er sich an den Jüten wandte.

Ole bejahte es freundlicher, als er bisher gewesen, denn er freute sich innerlich über die schnöde Abfertigung des deutschen Bürgers, der inzwischen vor sich hinbrummte:

Es wird schon wieder besser werden, denn es hat doch Alles seine Zeit!

Kannst Du uns auf einen guten Weg bringen, Landsmann, sagte der Däne, der uns schnell nach der Stadt hilft, so wollen wir Dir dankbar sein.

Wege sind nicht da, antwortete Ole, langsam die Achseln ziehend. Am besten ist es, die Herren gehen grade aus, immer grade auf die Thurmspitze los, die Sie vor sich sehen; weil's der Thurm von der großen Kirche in Tondern ist.

Ein prächtiger Wegweiser! lachte der Fremde. Aber da Du zu faul bist, mein guter Freund, oder zu ehrlich, um uns für Deine angenehme Begleitung Geld abzunehmen, so thue es wenigstens, indem Du uns einen Trunk reichst. Sei es, was es sei, Milch, Meth, Kaffee, Thee, selbst Deinen abscheulichen Fuselbranntwein, nur nicht Dein Sumpfwasser, denn diesem barbarischen Sumpflande hat Gott nicht einmal trinkbares Wasser bescheert.

Nichts in der ganzen Welt schmeckt so schön, wie unser gesegnetes Wasser, wenn es gehörig gekocht und mit Thee oder Rum gemischt wird, brummte der Krämer. Blankes Wasser säuft allein das Vieh und – die Dänen, setzte er leiser hinzu.

O, Ihr Herren, sagte Ole mit dem vorsichtigen Mißtrauen seines Stammes inzwischen, will zusehen, was da ist, aber es ist nichts da; kein Tropfen Branntwein, kein Kaffee, kein Thee – Schlechte Zeiten, habe nichts im Hause.

Hier wurde er von einer hellen Stimme unterbrochen, und aus der Thür seiner Hütte trat ein Mädchen heraus, das in der einen Hand einen bunten Topf, in der andern ein Glas hielt und laut nach Lorenz rief. Die beiden jungen Herren blickten sie verwundert in, denn solch artiges, junges Weib hatten sie hier nicht erwartet. Zwei dicke, braune Flechten fielen auf ihre Schultern bis auf die Jacke mit Lammfell besetzt, welche vorn auf der Brust von einer Reihe blanker Knöpfe geschlossen war. Ein warmes rothes Wollentuch lag um ihren starken Hals, und der kräftige Körper steckte in weiten, dunkeln, unten mit rothem Band besetzten Röcken, über welche sie eine weiße Faltenschürze gebunden.

Du hast nichts im Hause, alter Betrüger! rief einer der jungen Herren, Du hast ja einen Schatz darin, den kein Prinz bezahlen kann. Komm Doch näher, mein schmuckes Vögelchen! Bei Gott! Heiström, sie hat Augen wie Brennspiegel und Lippen wie junge Rosen. Komm her, liebes Mädchen, komm doch. Wie heißt Du denn?

Anna, antwortete sie freundlich und unbefangen.

Meiner Seele! Es ist Anna Moor, brummte der Krämer zu Lorenz, der aufgestanden war. Wo kommt die denn her?

Wir waren in Tondern, erwiderte Lorenz, wegen Geldsachen aus ihres Vaters Erbschaft.

So macht, daß Ihr wieder ans Wasser hinunter und auf die Hallig kommt, sagte Hans Becker leise; denn diese Burschen sind ein paar Raubvögel, die das weiße Seeschwälbchen gerne verspeisen möchten.

Auf diese Bemerkung hin drehte sich Lorenz Karstens langsam gegen die beiden jungen Herren um und hörte zu, was sie mit Anna Moor weiter verhandelten.

Beide waren mit dem hübschen Mädchen beschäftigt, fragten sie aus und sagten ihr Schmeichelworte. Als sie vernahmen, daß der dampfende Topf in ihrer Hand voll Thee sei, den sie mit Zucker gesüßt und mit Rum gemischt, stimmten sie ein freudiges Hurrah an und dankten Gott, der ihnen solchen labenden Engel gesandt.

Aber das ist nicht für Euch, Ihr Herren, rief sie lachend, ihren Topf zurückziehend.

Für wen denn sonst, Du niedliches Mädchen?

Für Lorenz dort, antwortete sie, ihre lustigen Augen auf den mürrischen Mann richtend.

Die beiden jungen Herren blickten ebenfalls hin. Oho! sagte Heiström. Er ist wohl gar Dein Mann?

Sie schüttelte den Kopf.

Oder Dein Bräutigam?

Ich mag keinen.

Hast Recht, mein süßes Mädchen, fiel der Andere ein, der Lund hieß, indem er den magern Friesen spottend musterte. Du kannst Dir einen Bessern auswählen, als diesen da.

Aber wer ist er denn, daß Du ihn so artig versorgen willst?

Mein Vetter.

Wenn es weiter nichts ist, lachte Lund, so laß ihn nur ein Wenig warten, und gieb uns, die wir Dich bitten, dazu durstig sind und nach Tondern weiter wandern müssen, Deinen Topf voll Nektar.

Indem er dies sagte, nahm er auch schon das Glas und fuhr halb bittend, halb fordernd fort:

Schenk ein, mein Kind; hundert Küsse sollst Du dafür haben, oder wenn Du willst, noch zehnmal mehr.

Danke, Herr! versetzte sie listig. Behalte Jeder, was er hat, doch da Ihr durstig seid und fort müßt, so trinkt. Lorenz kann warten.

Ich hoffe, Du gewöhnst ihn ans Warten, sagte Lund. Begleite uns ein Stückchen nach Tondern, damit wir uns nicht verirren.

Nein, danke, Herr, ich muß nach Haus.

Wo ist denn Dein Haus.

Dort hinaus steht es – sie streckte den Arm vor sich hin.

Man darf Dich doch besuchen, wie ich hoffe?

Ei wohl, von Herzen gerne.

Wenn ich nicht in das Nest hinein müßte, versetzte Lund, ich wäre im Stande, gleich mit Dir zu geben. Aber ich will Deine Einladung nicht vergessen, und ebensowenig Deine schönen Augen. Gieb mir einen Kuß darauf, schöne Anna, daß Du an mich denken willst.

Indem er sie umfassen wollte, sprang sie zurück und zwischen ihm und ihr stand Lorenz Karstens. Ohne eine Veränderung in seinem harten Gesicht nahm er Glas und Topf, schenkte das Glas voll und reichte es dem dänischen Herrn hin.

Trink Deine Neige selbst, Bauer, sagte dieser. Fort mit Dir, ich könnte sonst auf Deine Beine treten.

Junger Herr, erwiderte Lorenz bedächtig, indem er Ole die Geräthe reichte, der sogleich das Glas leerte, in einer Stunde wird es finster, und Tondern ist weit. Macht Euch auf den Weg, so könnt Ihr bei guter Zeit in der Stadt sein.

Der Bauer wird, so wahr ich lebe, eifersüchtig! schrie Heiström ergötzlich lachend.

Pack Dich, wohin Du gehörst! fuhr sein großer Kamerad den Friesen an, und kümmere Dich nicht um meine Sache. Komm her, kleine Anna, komm her, mein Schätzchen. Du mußt mir Dein Versprechen geben.

Nichts wird sie Euch geben, fiel Lorenz ein, indem er stehen blieb.

Ohne langes Bedenken faßte der Däne den störrigen Menschen an dem Kragen und gab ihm einen heftigen Stoß, allein es war, als hätte er einen Bleiklotz angefaßt. So stark er zu sein glaubte, konnte er den mäßig großen Mann doch nicht von der Stelle bringen, im selben Augenblick aber flog sein Arm von der Jacke des Friesen und er selbst taumelte so arg zur Seite, daß er auf seinen Gefährten fiel.

Verfluchter Bauer, schrie Lund mit großer Heftigkeit, was unterstehst Du Dich! Und indem er dies sagte, faßte er in seine Brusttasche, als suchte er dort nach einer Waffe.

Lorenz Karstens stand vor ihm so ruhig, wie immer, und doch sah er aus wie ein Löwe, der seinen Sprung machen will, sobald sein Feind sich rührt. Seine Hände hielt er weit offen, so auch seine Augen, in denen etwas glühte, das seinem Gegner Scheu einflößte. Sie blieben Beide stehen und sahen sich an, dann sagte Lorenz noch einmal:

Da liegt Tondern, junger Herr. Bleibt gesund, Herr Becker, und Du auch, Ole!

Damit nahm er ein starkes Bündel auf, das am Hause lag, schwang es, obwohl es schwer sein mußte, auf seine Schulter, ergriff dann den dicken Stock mit dem Eisenstachel, welcher daneben lag, und reichte dem Mädchen eine Art Hut von Glanztuch, der nach hinten tuchartig auf den Nacken fiel. Anna Moor sah bei diesem Streit unerschrocken und lustig aus, und ihre Blicke voll Schelmerei schienen die Herren zu trösten, oder zu verspotten. Es ging jedoch Alles so rasch her, daß kein Besinnen übrig blieb, denn nach wenigen Augenblicken zog Lorenz Karstens mit seiner Muhme aus der Koppel, nickte noch einmal, als Der Krämer ihm nachschrie: Kommt gut nach Haus, Ihr Beide! und dann sah die Dirne sich noch einmal um und schien unter dem schwarzen Hute zu lachen.

Der große Fremde hielt noch immer die Hand in seinem dicken Oberrock und sein Gesicht drückte seinen Aerger aus.

Es war ein kräftiger junger Herr mit röthlich blondem, kurzem Backenbart, scharfer, starker Nase und rothbraunen Wimpern an seinen Augen. So roth, ärgerlich, wie er war, sah er wild und boshaft aus.

Der Schlingel! schrie er. Ich hätte ihm einen Denkzettel auf den Weg geben sollen. Wie heißt er? Das Mädchen nannte ihn? Du mußt ihn kennen, Mann.

Wer kann alle Leute kennen, die Einem ins Haus kommen, sagte der Krämer, indem er Ole Erichson anstieß.

Du kennst den Mann und das Mädchen, fiel der Däne ein. Hier ist ein Thaler, den sollst Du haben. Lorenz nannte sie ihn, wie heißt er weiter und wo ist er her?

Er zog ein großes Silberstück hervor und hielt es zwischen seinen Fingern. Ole sah es mit gierigen Blicken an und rückte seine Schultern.

Wohnt er dort an der See? fragte Heiström, mit dem Finger auf die Gegend deutend, der Lorenz zuwanderte.

Es ist ein Hausirer, der im Lande umherläuft, brummte Hans Becker.

Nei, nei! sagte Ole. Er wohnt da nicht.

Wo denn? Auf den Inseln?

Nuh, was schadet es ihm, wenn ich es sage? antwortete der Jüte, nachdem er mit seiner Habgier einen kurzen Gang gemacht, indem er sich zu seinem Gönner aus der Stadt wandte. Die Herren werden ihm nichts thun, ist Lorenz Karstens auch der Mann nicht dazu.

Lorenz Karstens also, und wo ist er her?

Von Fallö, Herr. Geht ihm nicht nach.

Gewiß nicht, Du Narr. Sieh doch einmal die Liste nach, Heiström, ob er darauf steht.

Der junge Herr zog einen Bund Papiere aus der Tasche und blätterte darin. Da ist er! sagte er. Lorenz Karstens, dreißig Jahre alt, guter Seemann, war Steuermann auf einem holländischen Indienfahrer, bekannt als einer der besten Lootsen. Ist er das?

Ja, Herr, ja, versetzte Ole erfreut. Auf allen Inseln giebt's keinen Bessern. Kenne ihn von Klein auf. Kann sich Keiner im Amrom oder Sylt mit Lorenz Karstens messen.

Das ist mir lieb zu hören, sagte der Däne, solche Männer sind selten. Hier hast Du Deinen Thaler, Freund, hast ihn ehrlich verdient. Wir wollen diesen vortrefflichen Lorenz nächstens besuchen.

Manchen Dank, manchen Dank! schrie Ole vergnügt. Aber geht nicht hin zu ihm, Herren. Lorenz Karstens ist stärker als Drei.

Wir fürchten uns auch wirklich vor ihm, spottete der junge Herr. Doch mache Dir keinen Kummer deswegen. Und jetzt laß uns keine Zeit verlieren, Heiström. Der verdammte Thurm ist kaum mehr zu sehen. Farvel! Farvel!

Mit raschen Schritten machten sie sich auf den Weg, und Ole Erichson rief ihnen viele Glückwünsche nach, dann holte er den Thaler aus seiner Tasche und grinste ihn freudig an. Das sind gute Herren, reiche Herren, rief er. Gott segne sie und lasse Alles gedeihen, was sie thun.

Du dummes Thier! Du schlechter Kerl! antwortete der Krämer, der bis dahin still auf der Koppel gesessen hatte. Möge der böse Voigt sie irre führen, oder irgend ein Gespenst sie in den tiefsten Sumpf bringen.

O, Herre Bager, Herr Bager! seid doch nicht so böse, sagte Ole.

Du willst ein deutscher Mann sein, Du Unflat! fuhr der Krämer noch heftiger fort, indem er seinen dicken Kopf schüttelte, und hast den armen Lorenz für ein lumpiges Stück Geld verrathen. Viere hätte ich Dir gegeben, sechs, zehn, wenn Du es nicht gethan hättest. Was habe ich Dir gesagt, Du Unhold? Für dreißig Silberlinge thätest Du uns Beide verrathen, jetzt hast Du's um einen schon so weit gebracht. Aber es wird besser werden; Alles hat seine Zeit, nur die Geduld muß man nicht verlieren.

Es schadt ja nichts, Herr, lachte Ole, so pfiffig er es konnte. Was kann's denn schaden? Lorenz Karstens ist weit davon, muß jetzt schon bald bei Gulliks Hof sein. Da liegt sein Boot, und ist er erst auf dem Wasser, können Zwanzig kommen, werden ihn doch nicht einholen.

O, Du dumme Creatur! sagte der Krämer. Du willst ein Deutscher sein; ja, weiß es Gott! Bist gemacht dazu. Ich möchte gleich noch hinter ihm her und ihm den richtigen Wind geben.

Nei, nei! fiel Ole ein. Ihr holt ihn nicht ein, Lorenz hält sich nicht auf. Ebbezeit ist da, so läuft er in die See hinaus, und finster wird's auch, Herre.

Darin ist die Creatur gescheidt genug, sagte der Krämer, indem er sich bedächtig den Rock zuknöpfte. Finster wird's sein, ehe ich Tonderns Laterne sehe. Hat man eine Frau im Hause, die sich ängstigt, und Kinder dazu, die um den Vater schreien, so muß man jedes Ding drei Mal bedenken.

In dem Augenblicke kam ein ferner Schal vom Meere her, den der Nordwest mitbrachte, und auf welchen der Krämer aufmerksam horchte.

Hast gehört, Ole? fragte er. Das war ein Schuß aus einer großen Kanone.

Nei, nei! sagte Ole. Es war nichts.

Das will ein Deutscher sein, lachte der Krämer ärgerlich, und kann nicht hören, ob sie schießen! Da unten geht's nicht richtig zu, also gute Nacht, Ole, ich will machen, daß ich nach Haus komme. Aber es wird schon besser werden, und wenn's sein kann, will ich dem Lorenz doch eine Nachricht schicken. Bring mir Deinen Torf, Du schwatzhafte Elster, und das sage ich Dir, kein Stück kaufe ich Dir mehr ab, wenn dem Lorenz Uebles geschieht.

Mit dieser Betheuerung ging er fort, und Ole rief ihm glückliche Heimkehr nach, nebst einigen anderen Versicherungen seiner Zuneigung. Dann zog er den Thaler heraus, schlug lachend darauf und schwor mit einem derben Fluche, daß er nichts weiter wünsche, als jeden Tag kämen so ein paar Grünschnäbel, denen er sagen könnte, wo Lorenz Karstens wohne.



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