Karl Philipp Moritz
Andreas Hartknopf
Karl Philipp Moritz

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Als Schmiedeknecht wanderte Hartknopf in Erfurt ein, als Kandidat der Theologie wanderte er wieder aus, ohne daß er deswegen aufgehört hätte, ein Schmied zu sein.

In einem halben Jahre hatte er sich so viel gespart, daß er füglich ein halbes Jahr ohne Arbeit leben konnte – und diese Zeit über befriedigte er den brennenden Durst nach Wissenschaft, der ihm schon so manche Träne gekostet hatte.

Freilich hatte er vom Emeritus in Gellenhausen mehr gelernt, als ihn alle Doktoren in Erfurt lehren konnten; aber es war ihm doch auch nun um die Ausbreitung des Geistes, es war ihm um das Extensive zu tun, da er es in dem Intensiven schon ziemlich weit gebracht hatte.

Er hörte Mathematik, Geschichte, Naturlehre, und so weiter; aber er las mehr, als er hörte. – Die Erfurter Universitätsbibliothek mag wohl lange ihren geringen Schatz nicht so gründlich gebraucht gesehen haben, als es von Hartknopf geschah.

Hartknopf machte erstaunliche Fortschritte; denn zu allem, was er begann, brachte er ein Licht mit, das ihm der Emeritus angezündet hatte, und wodurch es ihm da schnell Tag wurde, wo es anderen lange Nacht bleibt, ehe sie sich durch die Finsternisse durchgearbeitet haben.

Er lebte übrigens in Erfurt sehr verborgen – und ich habe ihn dort im Jahre 177* bei einem gewissen Doktor Sauer, der nun tot ist, kennengelernt.

Möge die Asche des Doktors Sauer in Frieden ruhen! Er verdiente wohl von Hartknopf gekannt zu werden, ob ihn gleich die Welt nicht gekannt hat. Welche herrlichen Talente, welch ein Umfang von Kenntnissen sind mit diesem herrlichen Manne begraben worden, der die Bewunderung seiner Zeitgenossen hätte sein können, wenn der edle Sprößling in seiner Jugend nicht zerknickt worden wäre!

Solch ein Kopf mit solch einem Herzen vereinigt, mußte ohne eine Spur hinter sich zu lassen unrühmlich in die Verwesung übergehen. Er wohnte in einer kleinen Gasse, in eines Schusters Haus, und da man seinen Sarg hinaustrug, fragte nicht einmal ein Nachbar: wen begräbt man denn da? Und keine Träne wurde ihm nachgeweint.

Hier lernte ich Hartknopf dem Leibe nach und zum Teil dem Geiste nach kennen – die eigentliche Bekanntschaft unserer Seelen aber fällt in das Jahr 178*, zwei Jahre vor seinem Märtyrertod.

Als ich ihn nun bei dem Doktor Sauer zuerst erblickte, war es mir, als sähe ich einen Unsterblichen hereintreten. Er kam aber in der Dämmerung, da es Feierabend war, und hatte sein Schurztuch vor – denn es war damals gerade sein Arbeitshalbjahr –: da er dem Doktor Sauer die Hand gab, war es, als wollte er mit seinem starken nervigen Arm das zerknickte Rohr wieder aufrichten; jedes seiner Worte goß neuen Mut in die Seele des Darniederliegenden; denn die Führer seiner Jugend, da sie ihn Bescheidenheit lehren wollten, hatten unglücklicherweise das Selbstzutrauen, diese unentbehrliche Stütze des schwachen Sterblichen, seinen Händen entwunden. Hartknopf wollte sie ihm wiedergeben, aber auch die Hände waren schon gelähmt, die sie ergreifen und festhalten sollten.

Unaufhaltsam sank der Hilflose hinab; die Kräfte seines Geistes und seines Körpers verzehrten sich in sich selber. Um nicht vor Hunger umzukommen, mußte er das elende Geschmiere eines marktschreierischen Arztes für ein Spottgeld ins Lateinische übersetzen; und dieser erwarb sich dennoch, bei der Welt, die einmal betrogen sein will, Ruhm und Ehre damit, und wurde mit einem ansehnlichen Gehalt irgendwo als Brunnenarzt befördert, während der ehrliche Sauer die Zöllner und Sünder heilte und für das Geld, welches er mit den Übersetzungen verdient hatte, noch die Arzneien anschaffte, die er statt Bezahlung von den Kranken zunehmen, ihnen noch unentgeltlich dazu gab.

Der Schwung seines Geistes in einigen vortrefflichen Gedichten wurde einem elenden Geschmiere von Wochenschrift zuteil, das ein Buchdrucker herausgab, für welchen Sauer zuweilen als Korrektor Tagelöhnerarbeit verrichtete.

Endlich schien ihm die Glückssonne ein wenig zu lächeln; der Stadthalter von Dahlberg lernte ihn kennen und dachte auf seine Beförderung, als der Tod ihn weit schneller und besser beförderte wie alle Fürsten und ihre Stadthalter hätten tun können.

Ok..rd, wo du auch seist, der du von ungefähr dies liest, erinnere dich mit mir des guten Sauers, mit dem wir manche frohe Stunde verbracht, der dich auch Weisheit lehrte, und laß uns seinem Andenken noch eine freundschaftliche Träne weinen!

Hast du je den Schmiedegesellen bei ihm gesehen, so erinnere dich, wenn du kannst, seiner Gestalt und seiner Rede, und wisse, daß dieser mein Hartknopf war.

Nachdem ich ihn das erste Mal beim Doktor Sauer gesehen hatte, sprach ich ihn nur noch einige Male; denn er verließ bald darauf Erfurt, wo er sich eine geraume Zeit aufgehalten hatte, ohne daß man sich um ihn bekümmerte – da es sonst in Erfurt, weil die Universität sehr klein ist, für einen der sich mit den Wissenschaften beschäftigt, schon ziemlich schwer ist, ganz unbemerkt zu bleiben. Nun war aber Hartknopf ordentlich als Student inskribiert; weil er jedoch nach dem ersten halben Jahr nur noch selten in die öffentlichen Vorlesungen ging, keine Studentengesellschaft besuchte, und überhaupt sich nicht viel öffentlich sehen ließ, so betrachtete man ihn, als ob er gar nicht dagewesen wäre.

Der Doktor Froriep stellte damals mit einigen Studenten Predigtübungen in der Universitätskirche an, welche in der Woche bei verschlossenen Türen gehalten wurden. – Hier hat auch Hartknopf, wie ich weiß, einmal gepredigt, ich glaube aber schwerlich, daß sich der Doktor Froriep seiner erinnern wird; denn wenn er in sich zurückgezogen dastand, so hielt man ihn für einen äußerst unbedeutenden Menschen.

Nachdem ich ihn erst beim Doktor Sauer gesehen hatte, saß ich am Sonntagabend einmal oben am Steigerwald und las in Klopstocks Messiade. Der Steiger ist ein Wald nahe bei Erfurt, auf einer Anhöhe, von welcher man die ganze Stadt übersehen kann, die mit ihrer unbeschreiblichen Menge Gärten rund umher einen sehr schönen Prospekt macht. Hier lag ich also im Grase hingestreckt und erwartete, indem ich in Klopstocks Messiade, die Erzählung von den beiden Jüngern von Emaus las, den Untergang der Sonne.

Indem kam Hartknopf den schrägen Abhang heraufgegangen, seinen blauen Sonntagsrock mit gelben Knöpfen und steifen Schößen von oben bis unten zugeknöpft und seinen Dornenstock in der Hand, grüßte mich und setzte sich neben mich. –

Und ich machte schnell mein Buch zu und wollte es einstecken, denn es war mir, als ob ich mich, ich weiß selbst nicht aus was für Ursachen, vor ihm schämte. Ich fühlte mich auf einmal so klein, so schwach in seiner Gegenwart –da ich mir noch kurz vorher gar nicht so vorgekommen war – sein Blick durchdrang mein Innerstes und schlug mich nieder.

Aber heilig soll mir der Abend sein, so lange ich lebe. Das Gespräch lenkte sich von der Schönheit des Abends bald auf die Schönheit und Aufrichtigkeit der Seele, die einen solchen Abend nur allein empfinden kann, wenn sie von allen Schlacken der Eitelkeit und Selbsttäuschung gesäubert, die schöne Natur wie ein reiner und heller Spiegel in sich darstellt.

Es war ja wohl recht schön, am Steiger die Sonne untergehen zu sehen und dabei in Klopstocks Messiade zu lesen – aber die Scene mußte nicht gleichsam herbeigezwungen werden, bloß um dann nachher, auch nur zu sich selber, sagen zu können; ich habe am Steiger die Sonne untergehen sehen und Klopstocks Messiade dabei gelesen – ich bin doch gewiß kein gemeiner Mensch; so etwas läßt doch schön im Leben, wenn man zurückschaut. –

O unbegreifliche Eitelkeit! Nicht genug, daß du andere durch falschen Schimmer zu täuschen suchst, willst du vor dir selbst mit Zwang eine dir nicht angemessene Rolle spielen! Die Sonne mit dem Buch in der Hand untergehen zu sehen ist dir Arbeit, nicht Genuß; du machst die Scene, sie fügt sich nicht von selbst; deine Seele ist nicht aufrichtig, deine Empfindungen sind erkünstelt, der Abdruck der schönen Natur in dir ist verfälscht! Dies ist ungefähr der Inhalt von dem, was ich an dem Abend von Hartknopf gelernt habe. –

Es ist ein sehr angenehmer Spaziergang bei Erfurt nach den sogenannten drei Brunnen, wo sich der Weg zwischen Gärten und Gebüsch in mancherlei Krümmungen hinschlängelt, indes sich von allen Seiten her kleine Bäche ergießen, an deren schmalen Ufern man hinwandelt. Hinter sich hat man dann die alten hohen Klöster und Türme der Stadt, die mit der erstaunlichen Menge blühender Gärten einen so angenehmen Kontrast macht. Hier trafen wir uns einmal um Mitternacht, da der Vollmond am Himmel stand; und Hartknopf war doch gewiß keiner der empfindsamen Nachtwandler, die über dem Anschauen des Mondes ihr Tagewerk versäumen. Er hatte seit einiger Zeit angefangen, die Kunst des großen Baumeisters in dem gestirnten Himmel zu bewundern.

Er hatte sich wirklich astronomische Kenntnisse erworben und kam jetzt mit einem kleinen Tubus in der Hand eine Anhöhe hinunter, auf welcher er einige Stunden zugebracht hatte. – Er hatte eine besondere Gabe, dergleichen Kenntnisse mitzuteilen. Seine Astronomie war keine leere Namenerkenntnis von Sternbildern; es war ein mächtiges Eingreifen der Gedanken in den großen Weltplan, wovon nur so ein kleiner Teil von unseren Sinnen erfaßt wird.

Ich sitze im Zimmer – ein Strahl der Sonne fällt hinein und macht einen Strich der Staubwolke sichtbar, die sich auf und nieder wälzt. In dem erleuchteten Strich schwimmen unzählige Sonnenstäubchen und drehen sich teils umeinander, teils ein jedes um seine eigene Achse. Der Bewohner eines solchen Sonnenstäubchens schaut über sich und sieht eine unzählige Menge ähnlicher kleiner Körper, die sich alle in einem und ebendemselben Lichtstrahl drehen, und ruft mit Verwunderung und Erstaunen aus; o du unendliches Weltgebäude, wer mißt dich?

Ich öffne das Fenster und sehe den Himmel an, der nächtlich mit Millionen Sternen besät ist, die sich alle wie unser Erdball in einem großen Lichtmeer wälzen; und rufe mit Verwundern aus: o du unendliches Weltgebäude, wer mißt dich –

Und ein höheres Wesen lächelt vielleicht, indem es alle diese Welten mit einer Hand zusammenfaßt, über meinen Ausruf, so wie ich über den Ausruf des Weltbürgers auf einem Sonnenstäubchen.

Man denke nicht, daß Hartknopf lehrte wenn er so sprach – nein, das war gewiß seine Sache nicht. Er warf nur Vermutungen hin, gab Winke, hüllte die herrlichen Wahrheit in demütige Zweifel ein, ließ aus der Dunkelheit der Zweifel allmählich das Licht hervorbrechen, und wußte Empfindung und Gedanken auf eine so wunderbare Art zu verflechten, daß man kaum mehr zu unterscheiden wußte, ob man die Wahrheit aus Liebe zu ihr, oder aus fester Überzeugung annahm.

War ich je in einem Augenblick meines Lebens fest und unerschütterlich von der Fortdauer meines Geistes überzeugt, so war ich es in jener Nacht, wo ich mit Hartknopf spazierenging. Und oft habe ich mich noch nachts an der Erinnerung von jener Überzeugung, die ich doch damals wirklich hatte, festgehalten, wenn meine Zuversicht wieder wanken wollte.

Ich habe oft Youngs Nachtgedanken gelesen, aber keinen Schatten von der Empfindung haben sie in meiner Seele hervorgebracht, welche damals Hartknopfs kurzes Gespräch in mir erweckte.

Young ist in vielen Stellen erhaben, auch zuweilen rührend und seelenschmelzend; aber er war in den Zeiten der Lieblingsdichter meines Herzens, wo meine Seele selbst verstimmt war – er hatte die Nacht aus der Natur herausgeschnitten und sie einzeln ausgestellt; er hat die Finsternis vom Lichte gesondert; er hat uns in einem voll gerüttelten Maße die Schrecken des Todes aufgetischt, daß wir auf einmal den Gaumen unseres Geistes daran laben sollen.

Hartknopf lehrte mich die Nacht lieben, ohne den Tag zu scheuen, und den Tag ohne die Nacht zu scheuen. Finsternis und Licht, Tod und Leben, Ruhe und Bewegung mußten in sanfter Mischung sich ineinander verschwimmen. –

Der Blick zum Himmel gekehrt, mußte sich von neuem Licht gestärkt wieder zur Erde senken, um dort und hier Gegenwart und Zukunft in schöner Harmonie miteinander zu vereinen. –

O wie ich damals an seinen Lippen hing! Es war eine warme Sommernacht; wir saßen auf einem Rosenhügel; zu unseren Füßen rauschte ein Bach, über uns hing ein grünes Gesträuch; in der Ferne sah man das Karthäuserkloster. Der Himmel umschloß uns von oben. –

So war alles zusammen bis auf die innersten Gedanken unserer Seelen ein vollendetes Ganzes.

Ich fühlte mein Dasein zum ersten Mal; fühlte mich in diese große Kette eingezwängt; sicher, fest und unerschüttert.

Ich ward zum ersten Male auf den rechten Lebensfleck geführt –

Ich lernte die große Weisheit:

des Alles im Moment.

Ich ward zu neuem geistigen Leben geboren.

Von dem Augenblick an war es ruhig in meiner Seele. – Die tobenden Stürme des Ehrgeizes legten sich; die Furcht verschwand, die Hoffnung wurde Zuversicht. Die Stille der Seele hatte einen wohltätigen Einfluß auf meinen Körper; mein Pulsschlag war wieder sanft und regelmäßig, leicht und ungehindert strömte das Blut in frohen Kreisen fort. Mein kränklicher Körper wurde durch die Seele geheilt; ich fühlte mich an Leib und Geist neugeboren.

Diese Nacht war es, wo ich Hartknopf dem Geist nach kennen lernte. Das heißt, sein Geist war mir nun gesichert, er mochte abwesend oder gegenwärtig, tot oder lebend sein – ich blickte durch den Geist in seine Augen, so wie ich vorher durch die Augen in seinen Geist geblickt hatte.

Unsere Zusammenkunft in dieser Nacht schien ein Werk des Zufalls – aber sie war es nicht; denn ich möchte doch nicht gern die notwendige Glückseligkeit meines Lebens an etwas schuldig sein, das sich eben so leicht nicht hätte fügen können, als es sich gefügt hat.

Nein, in eben dem ewigen Zusammenhang, worin mein ganzes Dasein begründet ist, worin ich mich so gesichert fühle, war auch jener Augenblick meines Lebens fest gegründet, wo sich Hartknopfs Seele gegen die meinige aufschloß; und ich weiß es gewiß, daß er mir nicht entgehen konnte.

Hartknopf fand mich der Mitteilung seines Geistes wert, welches er gewiß nicht getan haben würde, wenn seine erste Lektion am Steigerwalde bei mir nicht angeschlagen hätte. Aber er sah, daß meine Seele aufrichtig war; daß ich mich der törichten Verstellung und des törichten Zwanges schämte; daß ich die Nacht nicht herausgegangen war, um zwischen der Natur und mir gleichsam eine feierliche Scene zu veranstalten; sondern daß ich diesmal einem lockenden Ruf gefolgt war, und daß mein Herz sich willig öffnete, um den reinen Lichtstrom aus ihr aufzunehmen.

Ich war so gestimmt, daß ich mich an der Figur eines Blattes auf den Wipfeln der Bäume ergötzen konnte und alles aus meinen Gedanken verbannt war, was diese schöne Ordnung der Natur, die sich jetzt unverfälscht in mir ausdrückte, hätte stören können.

Diese wohltätige Stimmung bemerkte Hartknopf sogleich und nutzte sie mit solcher Macht, daß er, ehe ich es noch selbst wußte, eine neue Schöpfung in mir hervorgebracht hatte.

Das Licht hatte sich von der Finsternis gesondert, der Morgen war angebrochen.

Das verwirrte Chaos der Ideen, die von Jugend auf in meine Seele geströmt waren, ordnete sich plötzlich zu einem schönen Ganzen.

Selbst das, was ich glaubte, unnütz und umsonst gelernt und in Büchern gelesen zu haben, fand hier seinen angewiesenen Platz – und da war nichts mehr, das nicht in den schönen Plan gehört hätte.

Die Fluten, die vorher sich mit dem Erdreich vermischt und es schlammig und bodenlos gemacht hatten, sonderten sich jetzt in Meere und Flüsse und stellten das Antlitz des Himmels dar, der sich darin spiegelte, und die Erde ward fest und hart, daß Menschen und Tiere darauf wandeln und Bäume und Pflanzen darauf emporschießen konnten.

Wahrlich ich sage dir, es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Wer nicht den ganzen Nutzen von dem, was er gelernt, getan, gedacht, gelebt hat, in einem Moment zusammenziehen kann, bei dem ist die neue Schöpfung noch nicht vorgegangen, und noch nicht alles so geordnet, wie es soll. –

Der Moment ist und bleibt letzter Punkt, wohin alle Weisheit der Sterblichen streben kann und muß – alles andere ist Chimäre und Einbildung.

O wer leiht mir Hartknopfs Sprache, womit er in meine Seele rief: es werde Licht!

Wer lenkt meine Feder, daß sie nur ein schwaches Bild jener unnachahmlichen Sprache durch gemalte Töne auf das Papier entwerfe.

Göttliche Kunst, die du die Gedanken des schwachen Sterblichen auf kommende Geschlechter hinüberträgt, wenn sein Mund schon lange im Grabe verschlossen ist – o, engst du den Geist ein, der sich dir hingibt; der den zusammengedrängten Lichtstrahl schwächt, damit er sich weiter verbreite.

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

Hartknopf nahm eine Flöte aus der Tasche und begleitete die herrlichen Rezitative seiner Lehren mit angemessenen Akkorden – er übersetzte, indem er phantasierte, die Sprache der Empfindungen: denn dazu diente ihm die Musik.

Oft, wenn er den Vorsatz gesprochen, so blies er den Nachsatz mit seiner Flöte dazu.

Er atmete die Gedanken, so wie er sie in die Töne der Flöte hauchte, aus dem Verstande ins Herz hinein.

Bewaffnetes Auge, bewaffneter Mund, bewaffnete Hand, pflegte er wohl zu sagen; der Tubus, die Flöte und der Hammer.

Auf dem Klavier hat er sich manche verworrene Idee herausgespielt und ins Klare gebracht.

Sein Studium aber ging darauf, die Musik zur eigentlichen Sprache der Empfindungen zu machen, wozu sich die artikulierten Töne nicht sowohl schickten, als die unartikulierten; die das Ganze nicht erst zerstückten, um es dann wieder zusammenzustellen, sondern die es gleich, so wie es ist, ganz und in seiner Fülle lassen.

Er verstand die Kunst, durch die Musik auf die Leidenschaften zu wirken – darum trug er immer seine Flöte bei sich in der Tasche, und durch unablässige Übung hatte er es soweit darin gebracht, daß er oft durch ein paar Griffe, die er wie von ungefähr tat, aufgebrachte Gemüter besänftigen, Bekümmerte aufrichten und den Verzagten neue Hoffnung einflößen konnte.

Es war weiter nichts Künstliches bei der Sache, als daß der gewählte Ton gerade einfallen mußte, wo er sollte. Und dann war es oft eine simple Kadenz oder Tonfall, welche die wunderbare Wirkung hervorbrachte.

Ein jeder wird einige Male wenigstens im Leben die Bemerkung gemacht haben, daß irgendein sonst ganz unbedeutender Ton, den einer etwa in der Ferne hört, bei einer gewissen Stimmung der Seele einen ganz wunderbaren Effekt auf seine Seele tut; es ist, als ob auf einmal tausend Erinnerungen, tausend dunkle Vorstellungen mit diesem Ton erwachten, die das Herz in eine unbeschreibliche Wehmut versetzen. –

Da hatte nun Hartknopf der Natur auf die Spur zu kommen und das in Kunst zu verwandeln gesucht, was sich sonst nur zuweilen, wie durch Zufall, ereignet.

Freilich mußte er den schon etwas kennen, auf welchen seine Töne dergleichen Wirkung hervorbringen sollten; aber er lernte auch wieder durch die Wirkung, welche diese Töne machten, allmählich das Herz dessen immer besser kennen, mit dem er umging.

Das Höchste in der Musik liegt in der Kenntnis ihrer einfachsten Elemente.

Hartknopf wäre ein großer Musiker gewesen, auch wenn er nie hätte Flöte blasen und nie das Klavier spielen lernen.

Er verband aber mit Fleiß ein Blasinstrument mit einem Saiteninstrument, Das Blasinstrument ist ganz Ausdruck der Empfindung, das Saiteninstrument schon zum Teil den Ideen gewidmet – durch die Saiteninstrumente entwickelte sich Hartknopf, was er durch Blasinstrumente im ganzen empfunden hatte.

Die Blasinstrumente sind dem Herzen näher.

Die Violine ahmt durch die geschleiften Töne die Blasinstrumente nach und macht gleichsam den Übergang zwischen ihnen und den mit immer wiederholten Unterbrechungen vibrierenden Saiteninstrumenten.

Daß durch gleiche Taktteile Ernst und Würde, durch ungleiche lebhafte Empfindungen, durch drei oder vier kurze Töne zwischen zwei längeren Fröhlichkeit, durch ein oder zwei kurze Töne vor einem langen Wildheit und Ungestüm, durch das Schwerfällige ausgedrückt wird – wie geht das zu? worin liegt hier die Ähnlichkeit zwischen den Zeichen und der bezeichneten Sache?

Wer das herausbringt, der ist imstande, ein Alphabet der Empfindungssprache zu verfertigen, woraus sich tausend herrliche Werke zusammensetzen lassen. – Ist nicht die Musik der Sterblichen eine Kinderklapper, sobald sie sich nicht an die große Natur hält, sobald sie die nicht nachahmt?

Musik und Astronomie war Hartknopf nah miteinander verknüpft. Er lehrte mich in jener Nacht einen Teil der Astronomie bloß durch unnachahmliche Töne seiner Flöte, die eines Kenners Ohr gewiß würden beleidigt haben, weil sie sogar einfach waren.

Eigentlich geschah dies aber nur, weil er das Klavier nicht zur Hand hatte, durch das lehrte er sonst die meisten Wissenschaften und vorzüglich auch Lebensweisheit und Moral.

Noch ein sehr merkwürdiger Gegenstand seiner Beobachtung, in Ansehung der Musik, waren die verschiedenen Veränderungen des Pulsschlages bei den verschiedenen Veränderungen der Leidenschaften.

Mit der Musik verband er aber auch die Dichtkunst im hohen Grade, und nahm seine Zuflucht oft zu ihr, wenn er kranke Seelen heilte. O dann flossen die Worte im metrischen Silbenfall von seinen Lippen!

Nicht, daß er so ein Wunderdichter gewesen wäre, der gleich aus dem Stegreif auf jeden Vorfall in Versen etwas Vortreffliches hätte sagen können – sondern alles, was er von anderen vortrefflich Gesagtes auswendig wußte, hatte er sich in seiner Seele so gemerkt, daß er es immer zur rechten Zeit in Bereitschaft hatte. –

Und so wie fleißigen Bibellesern manchmal ein auswendig gelernter Spruch gerade zur rechten Zeit einfällt, wo er ihnen mitten in der Verzweiflung Trost und Mut einflößt – so brauchte Hartknopf die Dichtkunst, wozu sie eigentlich da ist, zur Veredelung und Erhebung des Geistes, zur Beruhigung der Leidenschaften. Sie diente ihm oft nach vielen mißlungenen Versuchen zu einer heilsamen Seelenarznei, wo alles andere fehlschlug. –

Darum war auch unter den Alten Horaz sein Lieblingsdichter, weil er mit wohlabgemessenem, reizendem Silbenfall den rechten Takt des Lebens lehrt, und sein Lieblingsgedicht unter den Neueren war Wielands Musarion.

Hartknopf machte zwar selbst auch Verse – allein er tat es nur, um irgendeine Pflicht zu erfüllen, wie Sokrates einst kurz vor seinem Tode sich noch durch den Genius, der ihm immer zur Seite war, gedrungen fühlte, einige Aesopische Fabeln in Verse zu bringen.

Seine größte Stärke aber bestand in der Deklamation; diese hatte er so in der Gewalt, daß er sich des Fremden, was er vorlas, gleichsam bemächtigte und es sich zu eigen machte.

Es war ihm auch im Grunde nichts fremd, was irgendein unverfälschtes Produkt des Geistes war – sondern so, wie die Strahlen der Sonne ein gemeinschaftliches Gut sind, dessen sich alle Sterblichen freuen, so schienen ihm auch die Strahlen des Geistes, sie mögen sich nun ausbreiten wie und wo sie wollen, ein gemeinschaftliches Gut denkender und vernünftiger Wesen zu sein, dessen sie alle ohne Rückhalt froh werden sollten. – Dieser Gedanke machte, daß Hartknopf auch nie einen Funken von Neid empfand, sooft er etwas las, was ihm Bewunderung und Erstaunen einflößte, indem er sich nicht zutraute, daß er es selbst würde haben hervorbringen können.

Er nahm dem ungeachtet an der Ehre des menschlichen Geistes teil, und vergaß, wie ein echter Republikaner, sein eigenes Individuum in der Vorstellung von der großen Geisterrepublik, mit welcher verbunden er nur sich selber schätzte und seiner eigenen Existenz einen Wert beilegte.

Denn unter allen sogenannten philosophischen Systemen war ihm das des Egoisten das abgeschmackteste von der Welt, ob er gleich als Knabe einige Male Anfälle von dieser subtilen Raserei gehabt hatte – da es ihm einfiel, alle die Wesen außer ihm wären eigentlich nur Traumbilder, die in ihm da wären, und er wäre das einzige einsame Wesen in dieser öden Welt; die denn wie eine Schaumblase mit ihm aufgestiegen sei und auch mit ihm wieder in das Nichts versinken würde.

Wie gesagt, er hatte nur als Knabe diese Anfälle, und da er ein Mann geworden war, dachte er wie ein Mann. Er drückte seinem Nachbar freundschaftlich die Hand und blickte seinen Freunden getrost ins Auge, ohne sie nur eine Minute lang für Traumbilder oder Wesen seiner Einbildungskraft zu halten.

Ich begreife kaum, wie man den Gedanken des eigentlichen Egoismus nur einen Augenblick lang, ohne sich der Raserei zu nähern, ertragen kann. – Es ist das Allerfürchterlichste und Schrecklichste, ohne Hilfe, ohne Rettung, sich selbst mit tausend Gefahren und dem Untergang drohenden Ungeheuern zu überlassen. Ich kann mich selbst nicht mehr in den Arm eines Freundes entfliehen – denn der Arm des Freundes ist eine Täuschung meiner Sinne, ein mir verhaßtes Selbst, und doch, wer rettet mich vor den fürchterlichen Gedanken? Doch kann ich in alle Ewigkeit von dem wirklichen Dasein irgendeines Wesens überzeugt werden, so wie ich es von mir bin – keinen Augenblick lang kann ich das Ich eines Wesens außer mir sein; wie kann ich da wissen, ob dieses Wesen auch ein Ich ist, ob es je den Gedanken Ich gehabt hat?

Das waren die Anfälle von Egoismus in Hartknopfs Knabenalter. Seit jenem feierlichen Tage aber, da er sich in die große Republik der Geister aufgenommen fühlte, verschwanden alle diese Zweifel wie Nebel vor der Sonne – es war ein Geist, der durch ihn und den Emeritus und Knapp auf die Menschen wirkte, eine reine Flamme, die den Erdkreis erleuchtete, aber verschieden in tausend Farben und Gestalten der Dinge, die unter ihrem wohltätigen ununterbrochenen Einfluß erst Bildung und Form erhalten. Diesen seinen Geist fand Hartknopf im Emeritus und dem Gastwirt Knapp, nicht aber in Hagebuck und Küster wieder – diese reine Flamme, die ihn selbst durchglühte, grüßte er in Wielands Musarion, in Homers Gesängen, in Horazens Briefen, in Rousseaus Emile, in Mendelsohns Phädon und würde sie in Lessings Nathan dem Weisen begrüßt haben, hätte er ihn je gelesen. – In Youngs Nachtgedanken hatte er sie nicht gefunden; auch würde er sie nicht in dem Buche über Irrtum und Wahrheit gefunden haben, wenn es ihm je zu Gesichte gekommen wäre.

Dies Wiederfinden desselben Geistes, der ihn durchwehte, in anderen, war der erhabene Egoismus, zu welchem er sich emporschwang, der die Seele seiner Freundschaft war und ihm zugleich seine Unsterblichkeit sichern half: denn er fühlte, daß er sich nie selbst verlieren konnte. Er fand sich wieder, wohin er blickte.


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