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Aus dem Nachlaß des Horaz

Carminum Liber V

*

Es ist dem Übersetzer gelungen,
in einer kleinen unbekannten Stadt Italiens
das Manuskript eines fünften Buches
Oden des Horatius ausfindig
zu machen

 

V,3.

Zur Jagd, Metellus, lädst du mich ein und malst
mir großer Herren Freuden begeistert aus,
        und meinst, es mangle nur des Dichters,
                der sie der staunenden Welt verkünde.

Und traun, erstaunlich fand ich das Weidwerk stets,
zumal, wie ihr es heute gewaltig übt!
        Da weiß der Schütz sich oft nicht Rat, so
                stürzt das vom Lager gescheuchte Wild in

gedrängter Flucht am rauchenden Rohr vorbei ..
Er lädt schon kaum mehr, drückt nur noch blindlings ab, –
        doch immer rutscht noch etwas durch und
                schmälert den Ruhm des verwegnen Nimrod.

Doch wenn der Treiber hinkendes Volk zuletzt
die Opfer sammelt, säuberlich reihweis legt,
        der Photograph erscheint und jeder
                auf seine Beute das linke Bein stellt –

Da schwillt die Brust dem simpelsten Schießer noch;
Vertreter einer Gattung, so fühlt er sich,
        von der es heißt, daß ›nichts erhabner‹,
                und daß sie bilde der Schöpfung Krone.

Denn einer herrsche, einer, der Mensch allein,
und rotte alles aus, was an Adel ihm
        des Antlitzes und der Gesinnung
                nachsteht, – es wäre denn, daß im Zirkus

die Gans Klavier zu spielen, das Känguru
zu kegeln und der Aff zu kutschieren hat, –
        es sei denn, daß im Zirkus, sag ich,
                eines Humorexemplars noch not ist.

Ich selbst, Metellus, den du seit langem kennst,
genüge mir an minderem Heldentum.
        Und wenn zuweilen ich im Zwielicht
                vor der bescheidenen Klause sitze,

wie schau ich gern dann äsendem Wilde zu,
das mich vom Saatfeld drüben vertraut beäugt,
        und träume mir, daß ich ein halber
                ›St. Hieronymus im Gehäus‹ sei ...

Anmerkung: V,3. – Jagdode. – Versmaß: Alkäische Strophe.

H. hat hierbei offenbar ein sog. buntes Treiben vor Augen, überdies eine schlechte Jagd, worauf auch u. a. das disqualifizierende ›Schießer‹ hinweist.

Zeile 19. »Vieles Gewaltige lebt, doch nichts / Ist gewaltiger als der Mensch«.

 

V,5.

Armer, guter Cyrill, der du im Römerheer
Adventist zu sein wagst und deinen Sonntag am
        Samstag einfältig feierst,
                wie's die Heilige Schrift dich lehrt, –

glaubst du wirklich, es herrscht heute noch Friedrichs Geist,
der da spräche: »Mein Sohn, wir sind ein großes Volk;
        einer mehr oder minder –
                was verschlägt's? ich entlasse dich.

Oder willst du, so bleib; denn wer ein Märtyrer
sein kann einer Idee, sollte der Kerl nicht auch
        mir, entscheidenden Falles,
                ein Soldat sein par excellence?«

Armer, guter Cyrill, der du vor Menschen nicht,
sondern Römer gerietst, – tröste dich Fichtes Wort
        von Charakter und Deutsch-Sein!
                Also sei unter Römern – deutsch!

Anmerkung: V,5. – der Adventist. – Versmaß: III. Asklepiadeische Strophe.

Cyrill heißt bei Horaz Naumann, der Fall wird in gleichzeitigen Chroniken erwähnt,
wobei die damals allgemein beliebten Vorwürfe des Schwachsinns
und der Minderwertigkeit mehrfach erhoben werden.

Der in der Übersetzung verwendete Satz Johann Gottlieb Fichtes lautet wörtlich: Charakter haben und deutsch sein, ist ohne Zweifel gleichbedeutend.

 

V,8.

Laß sie Dreadnoughts bauen und Überdreadnoughts
und vom Luftschiffkreuzer das Heil erwarten!
Unerträglich würden auf Erden sonst die
        Tage des Glückes.

Alles lebt in dulci jubilo, nirgends
haust die Pest, der Hunger, die Not, die Sorge.
Singend gehn die Völker zu Bett, und singend
        gehn sie zum Frühstück.

Müssen Patrioten da nicht zu Werken
kriegerischer Gewalt zusammentreten
und dem kannibalischen Wohl der Völker
        Schröpfköpfe setzen?

Laß sie Dreadnoughts bauen und Überdreadnoughts
und vom Luftschiffkreuzer das Heil erwarten!
Unerträglich würden auf Erden sonst die
        Tage des Glückes.

Anmerkung: V,8. – Von der Notwendigkeit des Krieges. – Versmaß: Sapphische Strophe.

 

V,11.

O du heimlicher Berg, heimlicher Drückeberg,
heut ereilt dich dein Tag, heut deines Tages Nacht;
denn der Landrat des Kreises Krimptsch
        zeigt dem Bismarckverein dich an.

»Unsrer Gegend, fürwahr, fehlt der Charakter noch:
wie beschämt liegt sie da, hält vors Gesicht den Schurz
dunkler Tannen und schweigt traurig in sich hinein.
        Ach, dem Rücken des Waldgebirgs,

seiner Linie voll Schwermut und Einsamkeit,
fehlt der Schornstein, jawohl, fehlt noch der Schornstein, draus
vaterländischer Sinn gleichsam zum Himmel raucht,
        sozusagen und ungefähr!«

O du heimlicher Berg, heimlicher Drückeberg,
heut ereilt dich dein Tag, heut deines Tages Nacht:
Denn der Bismarckgebirgsverband
        packt schon einen Turm für dich ein.

Anmerkung: V,11. – Der fast vergessene Berg. – Versmaß: II. Asklepiadeische Strophe.

In der 3. Zeile der 1. und letzten Strophe erlaubt sich H., in einer Art impressionistischer Anwandlung, eine kleine metrische Abweichung.

 

V,17.

        Gestern sah ich den letzten Gott,
der in Tibur gewohnt, wandern mit Hut und Stab.
        Und indem ich noch sinnend stand:
wohin wandert er wohl? kam er auch langsam schon

        auf mein kleines Sabinum zu.
Sei Herberge gewährt, sprach er, die letzte Nacht
        einem scheidenden Menschenfreund.
Lange hielt ich es aus; erst, wie du weißt, in Rom,

        dann, als Rom mir zur Hölle ward,
hier in Tibur; umsonst; denn dieses Tibur auch
        steht im ›Zeichen‹ nun ›des Verkehrs‹.
Und er hob seinen Stab: – Hörst du die Hupe dort?

        Justament an mein Tempelchen
hat dies rasende Volk ›Halteplatz‹ hingemalt;
        und da tobt es nun Tag und Nacht,
und kein Mensch und kein Gott kommt mehr zu Schlaf und Ruh.

         Ganz verloren erschien sein Blick ...
Nach Germanien nun, schloß er, begeb ich mich.
        Dort haust, mein' ich, ein andrer Schlag,
Dichter, Träumer, wie du, sind sie dort allzumal.

        Und so zog er beim Morgengraun
wirklich fort in dies Land, wo, wie er sagte, die
        Menschen Dichter und Denker sind;
und so zog er denn, traun! fort nach – Utopia.

Anmerkung: V,17. – Der letzte Gott. – Versmaß: I. Asklepiadeische Strophe.

 

V,19.

Mein Neffe schrieb mir jüngst:
»Ich bin ganz stolz, ich war
beim letzten Fest der Punkt
vom i, was sagst du nun?

Das eigentliche i,
das war Hans, Hinz und Kunz, –
ich aber war der Punkt;
denn unser Rektor hat

uns so gestellt, du weißt,
die ganze Klasse, so,
an fünfzig Jungens, daß
das Wort herauskam: Heil!

Mir aber, als dem Punkt,
ward das besondre Glück:
es fragte mich ein – Prinz:
wie heißt du, Kleiner? – doch

da hob der Rektor schon
die beiden Arm' und: Heil!
so schrien wir allesamt.
Und dann gab's Bier vom Faß.«

Anmerkung: V,19. – Der Neffe. – Diese Ode hat sich der Übersetzer auch im Versmaß ganz
frei wiederzugeben gestattet. Sie ist von Horaz im sog. ionisch aufsteigenden System geschrieben, so wie III,12: Miserarum est neque amori usw., einem Metrum, das im übrigen die noch ganz unter dem Eindruck des Ereignisses stehende Sprache des Knaben gleichfalls mit Glück nachzubilden imstande war.

Nach einem von dritter Hand hinzugefügten Fußvermerk spielte sich die drollige Episode gelegentlich eines Triumphes ab, der dem Tiberius nach dem Kriege gegen die Dalmaten bewilligt worden war (ein Jahr etwa vor dem Ableben des Dichters). Im Original ist es der erste i-Punkt von »Tiberius«, der dem Knirps von seinem famosen Rektor zur feierlichen Darstellung übertragen wurde.

 

V,24.

Gen Tibur wandre, da sich Mäcenas zeigt,
und bringe, Karl, die Weine von Meilen und
        den sogenannten Wormser Weinmost,
                und was da sonst noch von Unvergornem.

Denn wer erfreut sich heut noch am Alkohol,
dem Volksverwüster (schlag die Statistik auf!).
        Der Alkohol, Karl, wird historisch
                vor unsern Augen – (wie manches andre).

Beim Apotheker oder Droguisten dann
bestelle Maja Yoghurt und Kefir und
        diversen Fruchtsaft und der Wässer
                beste von Fachingen bis St. Ulrich.

Auch Milch aus Mandeln oder aus Kokusnuß,
zu schweigen von der Milch unsrer guten Kuh,
        bemühe sich dem alten Freunde
                Massiker-Träume von einst zu bannen.

Mir selbst, du weißt es, spendet der Brunnenmund,
daraus des Waldes köstliche Nymphe plauscht,
        den Landwein, der auf meiner Tafel
                längst die berühmtesten Marken ausstach.

Anmerkung: V,21. – Der Abstinent. – Versmaß: Alkäische Strophe.

 


Anmerkungen unter den jeweiligen Vers gesetzt. Re für Gutenberg

 


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