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I,1.

Hoher Protektor und Freund, Edler von Gönnersheim,
was doch alles der Mensch auf seiner Erde treibt! …
Dieser fegt auf dem Rad über die Rennbahn, und
platzt der Gummischlauch nicht, geht er zuerst durchs Ziel.

Welcher Tag für den Mann, wenn ihm das Comité
die Medaille verleiht, Meisterschaft zuerkennt!
Jenen wieder erfreut's, wenn ihn der Wähler Schar
an das berühmte Büfett unseres Reichstags schickt.

Andre, wenn der Kaffee prompt aus Brasilien kommt,
Sack an Sack imposant in ihren Speichern steht.
Der Agrarier, der jammernd sein Land bestellt,
tauscht dir dennoch den Pflug mit der Couponscher' nicht,

noch verlockst du ihn leicht, daß einem Dampfer er
sich zur Überfahrt nach Mexiko anvertrau.
Sieh den Kaufmann! Er schimpft auf Kolonialpolitik,
wird Lokalpatriot, gründet Bazars und Klubs,

aber bald wieder doch rüstet mit Schnaps und Blei
neue Schiffe er nach Togo und Kamerun.
N. N. schmollt, wie du weißt, perlenden Sekten nicht,
noch auch wenn ein Gelag früh im Kaffeehaus schließt;

Sommers stärkt er sich dann durch eine Sprudelkur
oder reist nach Tirol oder nach Helgoland.
Andre wieder sind mit Leib und Seel Militärs,
schmähn das faule Zivil, dem jeder Schuß ein Greul.

Und wer jagt von Beruf oder aus Waidlust nur:
Dessen Hitze vergißt Weibchen und Kinder oft,
wenn sich etwan ein Hirsch in seinen Forst verläuft,
oder Wild- oder Holzdiebe zu fangen sind.

Mich – der ja, wie du weißt, all diesem Treiben fern, –
reiht mein Sammetbarett göttlicherm Kreise an,
trennt vom Trubel der Welt meiner vier Wände Heim,
zarter Träume ein Schloß, klingend von Scherz und Kuß.

Bleibt die Muse nur treu, rundlich der Pegasus,
deine Schatulle mein Hort, Glück meiner Wege Stern,
sprich gelassen es aus: O, welch ein Lyriker!
Und vom Himmel herab nick ich, ein Gott, dir zu.

I,1.

Maecenas, atavis edite regibus,
o et praesidium et dulce decus meum:
Sunt quos currículo pulverem Olympicum
collegisse juvat; metaque fervidis

evitata rotis palmaque nobilis
Terrarum dominos evehit ad Deos.
Hunc, si mobilium turba Quiritium
certat tergeminis tollere honoribus;

illum, si proprio condidit horreo
quidquid de Libycis verritur areis.
Gaudentem patrios findere sarculo
agros, Attalicis condicionibus

Numquam demoveas, ut trabe Cypria
Myrtoum pavidus nauta secet mare.
Luctantem Icariis fluctibus Africum
mercator metuens, otium et oppidi

laudat rura sui: mox reficit rates
quassas, indocilis pauperiem pati.
Est qui nec veteris pocula Massici,
nec partem solido demere de die

spernit; nunc viridi membra sub arbuto
stratus, nunc ad aquae lene caput sacrae
Multos castra juvat, et lituo tubae
permixtus sonitus, bellaque matribus

detestata. Manet sub Jove frigido
venator, tenerae conjugis inmemor;
seu visa est catulis cerva fidelibus,
seu rupit teretes Marsus aper plagas.

Me doctarum hederae praemia frontium
dîs miscent superis: me gelidum nemus
Nympharumque leves cum Satyris chori
secernunt populo; si neque tibias

Euterpe cohibet, nec Polyhymnia
Lesboum refugit tendere barbiton.
Quod si me Lyricis vatibus inseris,
sublimi feriam sidera vertice.

I,9.

Du siehst, wie weiß, im glänzenden Schneegewand,
der Kreuzberg steht, und wie der Viktoriapark
        tief eingeschneit, wie Spree und Panke
                Mäntel von Eis auf den Leib gezogen.

Drum heize, Freundchen, spare die Kohlen nicht,
und laß uns im behaglichen Stübchen dann
aus schönem alten Rum – was meinst du? –
        einen urkräftigen Steifen brauen!

Laß Pan die Welt verwalten, dem Wintersturm,
der mit dem Lenzwind heulende Schlachten schlägt,
        gebieten! Beide werden schweigen,
                daß sich kein Zweig mehr am Baume rüttelt.

Was kann dich kümmern, was dir das Morgen bringt,
des Lebens freue jeglichen Tag dich neu,
        und walze froh mit süßen Mädchen
                draußen in Halensee oder Treptow,

solang zu Tanz und Kuß du noch jung genug!
Zum Zirkus wandre, sieh dir ein Lustspiel an!
        Vielleicht auch knüpf ein zart Verhältnis
                an in dem Dämmer der Gaslaterne!

Und sitzst du dann bei Dressel beim Dejeuner
und deine Kleine hält die Serviette vor –
        wie köstlich, wenn der scherzhaft Spröden
                endlich den Kuß du, den süßen, raubtest!

I,9.

Vides ut alta stet nive candidum
Soracte, nec iam sustineant onus
        silvae laborantes, geluque
                flumina constiterint acuto:

Dissolve frigus ligna super foco
large reponens, atque benignius
        deprome quadrimum Sabina,
                o Thaliarche, merum diota.

Permitte divis cetera: qui simul
stravere ventos aequore fervido
        deproeliantes, nec cupressi
                nec veteres agitantur orni.

Quid sit futurum cras fuge quaerere, et
quem fors dierum cumque dabit lucro
        adpone, nec dulces amores
                sperne puer neque tu choreas,

donec virenti canities abest
morosa. Nunc et campus et areae
        lenesque sub noctem susurri
                composita repetantur hora;

nunc et latentis proditor intimo
gratus puellae risus ab angulo,
        pignusque dereptum lacertis
                aut digito male pertinaci.

   

I,11.

Laß das Fragen doch sein! sorg dich doch nicht über den Tag hinaus!
Martha! geh nicht mehr hin, bitte, zu der dummen Zigeunerin!
Nimm dein Los, wie es fällt! Lieber Gott, ob dies Jahr das letzte ist,
das beisammen uns sieht, oder ob wir alt wie Methusalem

werden: sieh's doch nur ein: das, lieber Schatz, steht nicht in unsrer Macht.
Amüsier dich, und laß Wein und Konfekt schmecken dir wie bisher!
Seufzen macht mich nervös. Nun aber Schluß! All das ist Zeitverlust!
Küssen Sie mich, m'amie! Heute ist heut! Après nous le déluge!

I,11.

Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi
finem die dederint, Leuconoe, nec Babylonios
temptaris numeros. Ut melius, quidquid erit, pati,
seu plures hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam,

quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare
Tyrrhenum: sapias, vina liques, et spatio brevi
spem longam reseces. Dum loquimur, fugerit invida
aetas: carpe diem, quam minimum credula postero.

   

I,20.

Während du im Frack vor der Rampe standest
und von Beifallsstürmen das Haus erbebte,
zog ich hier auf Flaschen ein schlichtes Fäßchen
        Marca Italia.

Teufel auch! es pfiff es der Spatz vom Dach ja!
Und ich harrte nur noch auf Extrablätter
mit den Lebensdaten und mit dem Bild des
        glücklichen Mannes.

Trinkst wohl jetzt nicht mehr meinen sauren Tropfen,
alter Schwede, pfeifst nun auf alles andre,
als auf Vin sec, Monopol-Heidsick, Cliquot,
        Pommery-Greno!

I,20.

Vile potabis modicis Sabinum
cantharis, Graeca quod ego ipse testa
conditum levi, datus in theatro
        cum tibi plausus,

clare Maecenas eques, ut paterni
fluminis ripae simul et iocosa
redderet laudes tibi Vaticani
        montis imago.

Caecubum et praelo domitam Caleno
tu bibes uvam: mea nec Falernae
temperant vites neque Formiani
        pocula colles.

   

I,22.

Wer ein braver, ehrlicher Gottesmensch ist,
braucht nicht Degenstöcke, noch Ochsenziemer,
noch amerikanische Schlagringwaffen,
        noch auch Revolver, –

ob er die unwirtliche Hasenheide
oder den Tiergarten des Nachts durchwandert
oder nach dem Norden Berlins geht, wo die
        Panke sich schlängelt.

Stiefle ich im Grunewald jüngst nach Schildhorn,
pfeife lustig »Anne-Marie, erhör mich!«,
als ein Hirsch zwölf Schritte vor mir sich regt und –
        fort wie der Satan!

's war ein Kapitalkerl, ein Achtzehnender,
wie so groß ich keinen zuvor gesehen!
Keine Waffe hatt ich – und doch! er forcht sich! –:
        Fort wie der Satan!

Laß am Nordpol mich zu den Robben gehen
und im ewigen Eise den Eisbär treffen –
Glaubst du, daß mir einer ein Leides täte?
        Ebensowenig!

Wär ich in der Wüste, im Löwenviertel
Afrikas, ich würde mich doch nicht fürchten!
Pfeifen würd ich »Anne-Marie, erhör mich!«,
        pfeifen, ja pfeifen.

1,22.

Integer vitae scelerisque purus
non eget Mauris iaculis neque arcu,
nec venenatis gravida sagittis,
        Fusce, pharetra,

sive per Syrtes iter aestuosas,
sive facturus per inhospitalem
Caucasum vel quae loca fabulosus
        lambit Hydaspes.

Namque me Silva lupus in Sabina,
dum meam canto Lalagen et ultra
terminum curis vagor expeditis,
        fugit inermem,

quale portentum neque militaris
Daunias latis alit aesculetis,
nec Iubae tellus generat, leonum
        arida nutrix.

Pone me pigris ubi nulla campis
arbor aestiva recreatur aura,
quod latus mundi nebulae malusque
        Iuppiter urget;

pone sub curru nimium propinqui
solis, in terra domibus negata:
Dulce ridentem Lalagen amabo,
        dulce loquentem.

   

I,23.

Warum fliehst du vor mir wie eine scheue Gems,
Annchen, bin ich denn so fürchterlich anzuschaun?
        Laß die Mutter doch predigen –
                deine Mutter war auch mal jung.

Aber kaum, daß ich mich irgendwo sehen lass',
läufst du fort wie der Wind, daß es vergeblich wird,
        dir zu folgen – und dann zu Haus:
                möglichst schnell die Gardine zu.

Ist das freundlich von dir? Bin ich ein Kannibal,
der dich draußen im Wald braten und fressen will?
        Fressen – höchstens aus Liebe,
                Kind, so alt schon und noch so spröd!

I,23.

Vitas hinuleo me similis, Chloe,
quaerenti pavidam montibus aviis
        matrem non sine vano
                aurarum et siluae metu.

Nam seu mobilibus veris inhorruit
adventus foliis, seu virides rubum
        dimovere lacertae
                et corde et genibus tremit.

Atqui non ego te tigris ut aspera
Gaetulusve leo frangere persequor:
        Tandem desine matrem
                tempestiva sequi viro.

   

I,27.

Beim Weine gegenständlich zu werden, ist
kassubisch! Wahrt doch, Freunde, den guten Ton!
        Bedenkt doch, daß wir nicht in Rixdorf
                sondern im Westen der Hauptstadt sitzen!

Ich bitt euch, laßt die Messer und Gabeln ruhn:
Die Glaserrechnung wäre nicht abzusehn!
        Ad loca, Kinder, seid vernünftig,
                daß die Gemütlichkeit nicht gestört wird!

Ich soll Bescheid euch tuen in Malvasier?
Wohlan! doch vorher stell die Bedingung ich,
        daß unser Freund und Bruder Gottlieb
                uns seine neuesten Sünden beichte.

Er will nicht? Nun so rühr ich mein Glas nicht an!
Du schämst dich wohl? O Gottlieb, wenn du dich schämst ..
        Wir kennen dich doch all' und wissen,
                daß keine einzige deiner wert ist!

Vertrau's uns. Bester, was es auch immer sei!
Wir sind wie Gräber! ...... O, das ist bös, sehr bös!
        Du armer Kerl, so reinzufallen!
                Hättest doch bessere haben können!

Prost, Gottlieb! spül's hinunter mit Malvasier –
vielleicht erscheint ein Deus ex machina – –
        sonst freilich blieb' dir höchstens übrig,
                daß du die Sache in Verse brächtest.

I,27.

Natis in usum laetitiae scyphis
pugnare Thracum est: tollite barbarum
        morem, verecundumque Bacchum
                sanguineis prohibete rixis.

Vino et lucernis Medus acinaces
inmane quantum discrepat: inpium
        lenite clamorem, sodales,
                et cubito remanete presso.

Vultis severi me quoque sumere
partem Falerni? Dicat Opuntiae
        frater Megillae, quo beatus
                volnere, qua pereat sagitta.

Cessat voluntas? Non alia bibam
mercede. Quae te cumque domat Venus,
        non erubescendis adurit
                ignibus, ingenuoque semper

Amore peccas. Quidquid habes, age,
depone tutis auribus. A miser,
        quanta laboras in Charybdi,
                digne puer meliore flamma!

Quae saga, quis te solvere Thessalis
Magus venenis, quis poterit deus?
        Vix inligatum te triformi
                Pegasus expediet Chimaera.

   

I,32.

Spielen soll ich! ... Wenn ich auf deinen Tasten
je geübt, was bleibenden Wert verdiente –
nun, so will ich heute ein Volkslied spielen,
        teuerer Flügel,

der dem C. G. Schröter zuerst du töntest,
der dich in Nordhausen um Siebzehnhundert
mit dem Mechanismus der Hämmer schmückte,
        ferner dem Silber-

mann in Freiberg, der dich mit Kunst verbessert,
dann dem J. A. Stein in der Stadt der Fugger,
dem Pariser Erhard, dem Streicher-Wien, dem
        Broadwoad in London.

O Klavier, du Zierde und Schmuck des Hauses,
Freude, Trost und Speise du aller Ohren,
laß mich auf geduldigen Tasten spielen
        »Santa Lucia«!

I,32.

Poscimur. Siquid vacui sub umbra
lusimus tecum, quod et hunc in annum
vivat et plures, age, dic Latinum,
        barbite, carmen,

lesbio primum modulate civi:
Qui ferox bello tamen inter arma,
sive iactatam religarat udo
        litore navim,

liberum et Musas Veneremque et illi
semper haerentem puerum canebat,
et Lycum nigris oculis nigroque
        crine decorum.

O decus Phoebi et dapibus supremi
grata testudo Jovis, o laborum
dulce lenimen, medicumque, salve
        rite vocanti.

   

I,33.

Albert, kränke dich nicht allzusehr um ein Weib!
Sei nicht sentimental! Hat Friederike sich
in den Stutzer verliebt, weil er der hübschere war –:
        Tröst dich! andern geht's ebenso.

Schau, der niedliche Balg, Betty von Rosenberg,
ist in Eduard Schmidt bis übers Ohr verknallt –:
Dieser poussiert Else, die spröde Maid,
        doch soweit ich die Else kenn,

darf man kecklich vertraun, daß sich ein Schmetterling
eher mit einem Mops bräutlich verbinden wird,
als ihn diese erhört. Ja, wie die Liebe spielt,
        ist ein langes Kapitel, Freund!

Stand ich selber doch einst vor der Verlobung schon,
– Exquisite Partie! –, als eine Nähterin
mir mein Herz überfiel und es in Fesseln schlug –
        's war fatal, aber schön war's doch!

I,33.

Albi, ne doleas plus nimio memor
inmitis Glycerae neu miserabiles
decantes elegos cur tibi iunior
        laesa praeniteat fide.

Insignem tenui fronte Lycorida
cyri torret amor, Cyrus in asperam
declinat Pholoen: Sed prius Apulis
        iungentur capreae lupis,

quam turpi Pholoe peccet adultero.
Sic visum Veneri, cui placet inpares
formas atque animos sub iuga ahenea
        saevo mittere cum ioco.

Ipsum me melior cum peteret Venus,
grata detinuit compede Myrtale
libertina, fretis acrior Hadriae
        curvantis Calabros sinus.

   

II, 3.

»Kalt Blut und warmes Untergewand!« das ist
ein alter Satz, ob minus oder plus du machst.
        Wozu die Überschwänglichkeiten?
                Holt doch auch, Freundchen, der Teufel dich einst,

ob du mit Schopenhauer die Welt verwünschst,
ob jeden Sonntag du bei Kempinsky dir
        ein Austernmahl mit Sekt geleistet
                und eine schwere Export-Havanna!

Du bist gesund, bist Kapitalist, bist jung,
du hast die schönste Villa am Strand der Spree,
        in deinen Park verliebt sich jeder –
                hörst du die Quellen nicht lieblich flüstern?

Und zieht's dich nicht zur marmornen Ruhbank dort,
darauf der Ahorn schützende Schatten wirft?
        Ein kühles Weinchen dort zu trinken,
                denk ich mir, müßte ein Hochgenuß sein.

Doch freilich, spar dir jegliche Illusion
betreffs der Dauer! – Scheiden mußt einst auch du,
        und zungenschnalzend wird dein Erbe
                deine vorzüglichen Marken schlürfen.

Das Sterben hast gemein du mit Hinz und Kunz –:
Es ist das Gras das einzige Kraut, darein
        so reich wie arm gemeinsam beißen
                und sich den Magen daran vertun muß.

Auf alle harrt vergnüglichen Blicks Freund Hein
und dreht sein knarrendes Glücksrad um und um,
        und jede Ziffer ist ein Treffer,
                ist eines Sterblichen arme Seele.

II, 3.

Aequam memento rebus in arduis
servare mentem, non secus in bonis
        ab insolenti temperatam
                laetitia, moriture Delli,

seu maestus omni tempore vixeris,
seu te in remoto gramine per dies
        festos reclinatum bearis
                interiore nota Falerni.

Quo pinus ingens albaque populus
umbram hospitalem consociare amant
ramis? Quid obliquo laborat
lympha fugax trepidare rivo?

Huc vina et unguenta et nimium breves
flores amoenae ferre jube rosae,
        dum res et aetas et sororum
                fila trium patiuntur atra.

Cedes coemptis saltibus et domo,
villaque, flavus quam Tiberis lavit,
cedes, et exstructis in altum
divitiis potietur heres.

Divesne, prisco natus ab Inacho
nil interest an pauper et infima
        de gente sub divo moreris;
                victima nil miserantis Orci.

Omnes eodem cogimur, omnium
versatur urna serius ocius
        sors exitura et nos in aeternum
                exilium inpositura cumbae.

   

II.19.

Gambrinus selber sah ich am Nockherberg
Kneiplieder lehren – glaub es, ungläubig Volk! –
        Vor saubrer Münchner Kellermadeln
                und der Studenten gespitzten Ohren.

Rum plum! Noch bebt der Leib mir vom Biergenuß,
und aus mir redet stürmisch der Gerstensaft –
        rum plum, o schone mein, Gambrinus,
                Gott mit dem schrecklichen Tier im Wappen.

Die Radiweiber laßt mich besingen laut,
das Hofbräuhaus, die Brezel mit Salz beschneit,
        das Bockbier, das aus Steinzylindern
                ölig wie Honig den Schlund hinabläuft!

Besingen auch die wartende Ehefrau,
die eingeworfnen Fenster des Mannes, der
        dem Morgenschoppen Feind gewesen,
                und die bierfeindlichen Philosophen!

Du zähmst, Gambrinus, selbst ein Barbarenherz –:
In eines Theologen Gestalt charmierst
        mit hübscher Kellnerin Gelock du,
                Ziehst ihr die Schleife des Schürzenbands auf;

In eines Mediziners Gestalt einmal
hast du den Haufen drängender Gläubiger
        mit Maßkrugsalven aus dem Tempel
                deines olympischen Reichs getrieben.

Obschon man dich für stärker im Rundgesang
und Renommieren als in dem Faustkampf hält,
        so zeigst du doch, gereizt, so wild dich,
                wie du gemütlich dich gibst im Frieden.

Der Nachtpolyp mit goldenem Tutehorn –
ein Auge drückt er schmunzelnd, der Brave, zu,
        sieht Arm in Arm er deine Söhne
                johlend durch die nächtlichen Gassen traben.

II,19.

Bacchum in remotis carmina rupibus
vidi docentem, credite posteri,
nymphasque discentes et auris
capripedum Satyrorum acutas.

Euhoe, recenti mens trepidat metu,
plenoque Bacchi pectore turbidum
        laetatur. Euhoe, parce Liber,
                parce, gravi metuende thyrso.

Fas pervicacis est mihi Thyiadas,
vinique fontem lactis et uberes
        cantare rivos atque truncis
                lapsa cavis iterare mella;

fas et beatae coniugis additum
stellis honorem, tectaque Penthei
        disiecta non leni ruina
                Thracis et exitium Lycurgi.

Tu flectis amnes, tu mare barbarum
tu separatis uvidus in iugis
        nodo coherces viperino
                bistonidum sine fraude crines.

Tu, cum parentis regna per arduum
cohors Gigantum scanderet inpia,
        Rhoetum retorsisti leonis
                unguibus horribilique mala;

quamquam choreis aptior et iocis
ludoque dictus non sat idoneus
        pugnae ferebaris; sed idem
                pacis eras mediusque belli.

Te vidit insons Cerberus aureo
cornu decorum, leniter atterens
        caudam, et recedentis trilingui
                ore pedes tetigitque crura.

   

III,9.

»Als ich Hahn noch im Korbe war,
        und kein andrer Mund sich auf das braune Mal
deines schneeigen Nackens bog –
        Bombenkreuzelement! Mädel, die Zeit war schön!«

»»Als du sonst keine Flamme hattst
        und kein andrer Zopf dir in die Augen stach –
ach, wie stolz war die Gretel da,
        und wie platzten vor Neid alle meine Freundinnen!««

»Ich poussiere die Frieda jetzt.
        Waldmann spielt die und Strauß; o, und sie singt sehr nett!
Wär's daß eins von uns sterben müßt',
        sagt' ich: Frieda, du bleibst! Ich sterbe gern für dich!«

»»Ach, ich bin so verliebt in den
        Max, – sein Vater, der ist polnischer Adliger!
Wär's daß eins von uns sterben müßt',
        sagt' ich: Maxchen, ich leid zehnmal den Tod für dich!««

»Hm! – Was sagtest du wohl, wenn nun
        Amor wieder den Zwist lächelnd begütigte!
Wenn die Frieda passée wär und
        mein verstoßener Schatz offen fänd Herz und Tür!«

»»Maxchen freilich ist tadellos –
        du hingegen ein leichtsinniger Sausewind!
Doch trotz alle- und alledem –
        du mein Leben und Tod, mach mit mir, was du willst!««

III,9.

›Donec gratus eram tibi
        nec quisquam potior bracchia candidae
cervici iuvenis dabat;
        Persarum vigui rege beatior.‹

›Donec non alia magis
        arsisti neque erat Lydia post Chloen;
multi Lydia nominis
        Romana vigui clarior Ilia.‹

›Me nunc Thressa Chloe regit,
        dulces docta modos et citharae sciens,
pro qua non metuam mori,
        si parcent animae fata superstiti.‹

›Me torret face mutua
        Thurini Calais filius Ornyti,
pro quo bis patiar mori,
        si parcent puero fata superstiti.‹

›Quid si prisca redit Venus
        diductosque iugo cogit aheneo?
Si flave excutitur Chloe,
        reiectaeque patet ianua Lydiae?‹

›Quamquam sidere pulchrior
        ille est, tu levior cortice et inprobo
iracundior Hadria:
        Tecum vivere amem, tecum obeam libens!‹

   

III,12.

Welch ein Elend, arme Kleine, wenn der Tante böse Zunge
dir unschuldiger Poussaden, ja sogar des Kaffeekränzchens
        süße Freudenwelt verkümmert!

Ach, ich sah dich wohl, Helenchen, jüngst am Fenster träumend sitzen,
umgefallen lag der Nähkorb und der Wollknäul ohne Regung –
        plagt dich der bewußte Leutnant?

Hast ihn wohl einmal vom Dampfer in dem Flusse schwimmen sehen ...
Durch den Stadtpark galoppieren ... Im Lawn Tennis triumphieren ...
        Seine Kompagnie formieren ...

Oder gar auf Onkels Landgut ...: wenn die Kavaliere kamen
und vor allen Er das meiste Edelwild – und mit ihm (nicht wahr?)
        stets auch dich zur Strecke brachte?

III,12.

Miserarum est neque amori dare ludum neque dulci
mala vino lavere aut exanimari metuentes
patruae verbera linguae.

Tibi qualum Cythereae puer ales, tibi telas
operosaeque Minervae studium aufert, Neobule,
Liparaei nitor Hebri,

simul unctos Tiberinis umeros lavit in undis,
eques ipso melior Bellerophonte, neque pugno
neque segni pede, victus

catus idem per apertum fugientes agitato
grege cervos iaculari et celer arto latitantem
fruticeto excipere aprum.

   

III,21.

Heut soll der Zweiundsechziger endlich dran,
der jenes Jahr, da Bismarck Minister ward,
        gleich mir sich zum Geburtsjahr wählte!
                Mag er in Melancholie mich stürzen,

mag Scherz und Spott, mag hitzige Händelsucht,
mag Liebeswut, mag friedlichen Schlummer er
        uns bringen! .. Bitte schön, Frau Lehmann!
                Hier sind die Schlüssel: die Flasche Rheinwein!

Ich denke, Karl, du wirst doch kein Unmensch sein,
obzwar Dozent der Philosophie du bist: –
        Verwarf's doch selbst der strenge Kant nicht,
                manchmal ein Gläschen vergnügt zu trinken.

Ein Weinchen! o, ich sag dir, ein Weinchen, Freund!
Bei dem ein Klotz Ekstatiker werden muß,
        bei dem die kniffigsten Schlaumeier
                in ihre Karten sich gucken lassen.

Ein Saft, der jede Sorge zur Hölle jagt,
der jeden Tropfen Blutes dir glühend macht,
        daß stolz du wirst vor Königsthronen
                und vor des Staatsanwalts Auge furchtlos.

Vor fünf Uhr morgens gehn wir heut nicht zu Bett.
So lang das Öl im Becken der Lampe reicht,
        laß froh die Stunden uns verplaudern!
                Prosit, amico! auf: »Was wir lieben«!

III,21.

O nata mecum consule Manlio,
seu tu querellas sive geris iocos
        seu rixam et insanos amores,
                seu facilem, pia testa, somnum,

quocumque lectum nomine Massicum
servas, moveri digna bono die,
        descende, Corvino iubente
                promere languidiora vina

non ille, quamquam Socraticis madet
sermonibus, te negleget horridus;
        narratur et prisci Cantonis
                saepe mero caluisse virtus.

Tu lene tormentum ingenio admoves
plerumque duro; tu sapientium
        curas et arcanum iocoso
                consilium retegis Lyaeo;

tu spem reducis mentibus anxiis
viresque et addis cornua pauperi,
        post te neque iratos trementi
                regum apices neque militum arma.

Te Liber et si laeta aderit Venus
segnesque nodum solvere Gratiae,
        vivaeque producent lucernae,
                dum rediens fugat astra Phoebus.

   

III,22.

Die Sie Wind und Wetter nicht scheuten, Emma,
als wir neulich Ihrer Person bedurften
und in Todesängsten ich dreimal Ihnen
                telephonierte –

wolln Sie für den Winter ein Klafter Brennholz?
Darf ich Ihnen Schinken und Wein zuschicken?
Ausgestanden hab ich! .. ach, Frau! wie bin ich
Ihnen so dankbar!

III,22.

Montium custos nemorumque, Virgo,
quae laborantes utero puellas
ter vocata audis adimisque leto,
        diva triformis,

inminens villae tua pinus esto,
quam per exactos ego laetus annos
verris obliquum meditantis ictum
        sanguine donem.

   

III,25.

        Wohin reißt mich der süße Wein?
Welche Gassen sind das, die ich noch nie gesehn?
Welches Glückskind von Nachtrat hört,
        was die schweigende Stadt laut mich zu schwärmen reizt?

        Wißt ihr, was ich im Pult noch hab?
Was euch allen noch winkt? Glückliche Menschen, ihr!
        Solche Dinge, wie ich da sag,
hat noch keiner gesagt, seit Gott die Welt erschuf!

        Mädel, du vor der Schenke dort –
he, was guckst du mich an? Guck dich doch selber an!
        Ich bin völlig bei klarem Sinn!
Ich kann gehn, wie ich will – wo ich – wohin ich will!

        Gott ist Zeuge, ich hab noch nie
einen schlüpfrigen Vers – noch einen schlechten Vers
        überhaupt einen Vers – gemacht,
der nicht, ihm zu gefalln, mir aus der Feder floß!

        Ach ... es ist doch von eignem Reiz,
zwischen schwankenden Reihn schiefer Gebäude so
        sichern Fußes des Wegs zu ziehn,
des Zylinderhuts Rohr tief in die Stirn gedrückt ..

III,25.

        Quo me, Bacche, rapis tui,
plenum? Quae nemor aut quos agor in specus,
        velox mente nova? Quibus
antris egregii Caesaris audiar

        aeternum meditans decus
stellis inserere et consilio Jovis?
        Dicam, insigne, recens, adhuc
indictum ore alio. Non secus in iugis

        edonis stupet Euhias,
Hebrum prospiciens et nive candidam
        Thracen ac pede barbaro
lustratam Rhodopen, ut mihi devio

        ripas et vacuum nemus
mirari libet. O Naiadum potens
        Baccharumque valentium
proceras manibus vertere fraxinos

        nil parvum aut humili modo,
nil mortale loquar. Ducle periculumst,
        o Lenaee, sequi deum
cingentem viridi tempora pampino.

   

III,26.

Vor kurzem noch ein Ritter im Liebesspiel,
der seine Klinge nicht ohne Glück geführt –
        und heut? ... Genug! laßt uns nun endlich
                Leyer und Schwert an den Nagel hängen.

Und an denselben Nagel den Dieterich,
der mir nichts half, die kleine Laterne, die
        verlosch, und die Strickleiter, die das
                freche Geschöpf mir vom Fenster abschnitt.

Du sonst so eifrig rächende Nemesis –
die Dirn empfehl ich deiner besondern Huld!
        Der wünscht' ich einen Mann einst, der sie
                ein um den anderen Tag verprügelt.

III,26.

Vixi duellis nuper idoneus,
et militavi non sine gloria;
        nunc arma, defunctumque bello
                barbiton hic paries habebit,

laevum marinae qui Veneris latus
custodit. Hic, hic ponite lucida
        funalia et vectes et arcus
                oppositis foribus minaces.

O quae beatam diva tenes Cyprum et
Memphin carentem Sithonia nive,
        regina, sublimi flagello
                tange Chloen semel arrogantem.

   

III, 30

Wenn die Bürger mir ein Monument stifteten,
ob aus Gips oder Holz, Erz oder Marmelstein,
– Sommers sonnt es sich froh, kinderwagenumringt,
Winters baut man ein Dach drüber aus Papp' und Stroh –

kann man eins gegen zehn wetten: Der Zahn der Zeit
nagt so lange daran, bis es in Trümmer fällt.
Darum lob ich mir das, was ich mit eigner Hand
in der Weltpoesie ewige Tafeln schrieb.

Nimmer werd ich vergehn; blühen, solange mich
ein Magister durchs Tor eines Gymnasiums trägt
und die Klasse mit mir würdigen Schritts betritt
und voll tiefen Verstands mich seiner Prima preist!

Überall, wo der Mensch klassische Bildung pflegt,
wird man fordern von ihm, daß er horazfest sei.
Habe mich darum auch redlich genug geplagt!
Reicht mir neidlos den Kranz, der meiner Kunst gebührt!

III,30.

Exegi monumentum aere perennius,
regalique situ pyramidum altius,
quod non imber edax, non Aquilo inpotens
possit diruere aut innumerabilis

annorum series et fuga temporum.
Non omnis moriar multaque pars mei
vitabit Libitinam: usque ego postera
crescam laude recens, dum Capitolium

scandet cum tacita virgine pontifex.
Dicar, qua violens obstrepit Aufidus
et qua pauper aquae Daunus agrestium
regnavit populorum, ex humili potens

princeps Aeolium carmen ad Italos
deduxisse modos. Sume superbiam
quaesitam meritis et mihi Delphica
lauro cinge volens, Melpomene, comam.


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