Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Verfalles.

1734

Kapitel 1.
Roms Anfänge.

Man darf sich von der Stadt Rom in ihren Anfängen kein Bild nach unseren heutigen Städten machen, höchstens nach denen auf der Krim, die weiter keinen Zweck haben, als der Kriegsbeute, den Herden, dem Ernteertrag Aufnahme zu gewähren. Darauf beziehen sich auch die Namen der hauptsächlichsten Örtlichkeiten im ältesten Rom.

Die Stadt hatte auch im eigentlichen Sinne des Wortes keine Straßen. Die regellos gebauten Häuser waren klein, denn die Bewohner waren zumeist bei der Feldarbeit oder auf dem öffentlichen Hauptplatze, dem Forum.

Aber Roms einstige Größe verriet sich bald in den öffentlichen Gebäuden. Die Bauwerke, die, wie damals, so auch heute noch den höchsten Begriff von seiner Macht geben, entstanden unter den Königen. Man begann bereits, die »ewige Stadt« zu bauen.

Romulus vermehrte seine Macht bedeutend durch seine Verbindung mit den harten und kriegerischen Stämmen der Sabiner. Er nahm ihren Schild an, der breit war, an Stelle des argivischen, dessen er sich bis dahin bedient hatte. Und man muß beachten, daß das, was am meisten dazu beigetragen hat, die Römer zu Herren der Welt zu machen, der Umstand ist, daß sie bei ihren sich nacheinander gegen sämtliche Völker richtenden Kämpfen immer auf ihre Gebräuche verzichtet haben, sobald sie bessere fanden.

Sextus, des König Tarquinius Sohn, beging mit der Vergewaltigung der Lukretia eine Tat, wie sie fast immer die Tyrannen aus ihren Städten vertrieben hat. Denn das Volk, dem durch eine solche Handlung sein Sklaventum fühlbar wird, greift alsbald zum äußersten.

Ein Volk erträgt es leichter, daß man ihm neue Abgaben auferlegt, weiß es doch nicht, ob es aus dem von ihm geforderten Geld nicht irgend einen Nutzen ziehen wird. Aber wenn man es in seiner Ehre kränkt, fühlt es nur sein Unglück und sieht in ihm alle Übel, die ihm noch zugefügt werden können, bereits angekündigt.

Jedoch ist auch richtig, daß der Tod der Lukretia nur der Anstoß zu der ausbrechenden Revolution war. Denn ein stolzes Volk, das unternehmend und kühn, aber in die Enge seiner Stadtmauern eingeschlossen ist, muß notgedrungen sein Joch abschütteln, oder seinen Charakter ändern und sanfter werden.

So mußte denn eins von zweien geschehen: entweder mußte Rom seine Regierungsform ändern, oder es mußte eine kleine und arme Monarchie bleiben.

Nach der Vertreibung der Könige (510) setzte Rom zwei jährlich wechselnde Konsuln ein. Auch das hob seine Macht zu dieser Höhe. Fürsten haben in ihrem Leben Perioden des Ehrgeizes, worauf andere Leidenschaften, auch wohl Unlust zu Taten folgt. Aber da die Republik jährlich wechselnde Oberhäupter hatte, die sich in ihrem Amt auszuzeichnen suchten, um danach ein anderes zu erlangen, war für den Ehrgeiz kein Augenblick verloren. Sie forderten den Senat auf, dem Volke einen Krieg vorzuschlagen, und zeigten ihm jeden Tag neue Feinde.

Dazu aber war diese Körperschaft schon von sich aus geneigt. Denn andauernd bedrängt von den Klagen und den Forderungen des Volkes, suchte sie es zu zerstreuen und abzulenken und es nach außen zu beschäftigen.

Auch die in der Stadt zurückbleibenden Bürger genossen die Frucht des Sieges. Man zog einen Teil des Landbesitzes des besiegten Volkes ein und machte daraus zwei Teile. Der eine wurde für die Staatskasse verkauft, der andere wurde armen Bürgern verteilt, aber belastet mit einer öffentlichen Abgabe.

Da die Konsuln die Ehre des Triumphes nur durch eine Eroberung oder einen Sieg erlangen konnten, so führten sie den Krieg mit außerordentlichem Ungestüm. Man ging gradenwegs auf den Feind zu und die Stärke gab den Entscheid.

Rom befand sich also in einem ewigen und heftigen Kriege. Nun aber mußte ein immer im Kriege befindliches Volk, bei dem der Krieg sogar Regierungsgrundsatz war, notgedrungen entweder zugrunde gehen, oder Herr über die andern Völker werden, die, bald im Krieg, bald im Frieden, niemals so geschickt zum Angriff, noch so gerüstet zur Verteidigung waren.

Dadurch gewannen die Römer eine tiefe Kenntnis des Kriegswesens.

Kapitel 2.
Über die Kriegskunst bei den Römern.

Die Römer weihten sich dem Kriege und betrachteten ihn als die einzige übenswerte Kunst. Daher wendeten sie alle Geisteskräfte und alle Gedanken darauf, diese zu vervollkommnen. »Ein Gott,« sagt Vegetius, »ohne Zweifel, gab ihnen den Gedanken der Legion ein.«

Sie meinten, daß Angriffs- wie Verteidigungswaffen des Legionärs stärker und schwerer als die irgend eines beliebigen anderen Volkes sein müßten.

Aber da es im Kriege auch Aufgaben gibt, denen ein schweres Korps nicht gewachsen ist, so wollten sie, daß die Legion in ihrem Schoße eine leichte Truppe berge, die daraus hervorbrechen und den Kampf beginnen, nötigenfalls sich dahin wieder zurückziehen könnte. Kavallerie wurde für nötig befunden, Bogenschützen und Schleuderer, um die flüchtenden Feinde zu verfolgen und den Sieg zu vervollständigen. Jeden Abend bezog sie ein Lager und bildete so eine Art Festung.

Um schwerere Waffen zu tragen als andere Männer, mußten sie sie auch an Kraft überbieten. Das erreichten sie durch fortgesetzte Arbeit, die ihre Kräfte vermehrte, und Übungen, die ihnen Geschicklichkeit verliehen; denn Geschicklichkeit ist nichts anderes, als eine richtig bemessene Verausgabung der Kräfte, die man hat.

Ich muß hier erwähnen, was uns die Schriftsteller über die Erziehung der römischen Soldaten berichten. Man gewöhnte sie an den militärischen Schritt, d. h. in 5 Stunden 20 Meilen (= 30 km), manchmal 24 zurückzulegen. Auf diesen Märschen ließ man sie ein Gesamtgewicht von 60 Pfund (= 19½ kg) tragen. Man gewöhnte sie daran, mit voller Bewaffnung zu laufen und zu springen. Bei ihren Übungen benutzten sie Schwerter, Speere und Pfeile von doppeltem Gewicht wie die gewöhnlichen, und diese Übungen waren ununterbrochen.

Nicht nur im Lager hielt man auf kriegerische Ausbildung. In der Stadt gab es einen Platz – das Marsfeld – wo die Männer übten; nachher warfen sie sich in den Tiber, um sich im Schwimmen zu üben und Staub und Schweiß abzuspülen.

Wir haben heute von körperlicher Übung nicht die richtige Auffassung. Wer sich damit zu viel abgibt, erscheint uns verächtlich, weil die Mehrzahl solcher Übungen nur der Unterhaltung dient, statt daß, wie bei den Alten, alles, selbst der Tanz, der Kriegskunst diente.

So abgehärtete Männer waren gewöhnlich gesund. Man liest in den Schriftstellern nicht viel davon, daß die römischen Armeen, die unter so viel verschiedenen Himmelsstrichen fochten, starke Verluste durch Krankheiten gehabt hätten.

Bei uns ist Fahnenflucht häufig, weil die Soldaten die niedrigste Bevölkerungsklasse sind. Bei den Römern waren sie seltener: Soldaten, die aus dem Schoße eines Volkes hervorgingen, das so stolz, so hochgemut, so sicher seiner Überlegenheit über alle anderen war, konnten kaum daran denken, sich so weit zu erniedrigen, daß sie aufhören wollten, Römer zu sein.

Die Kräftigung durch ihre Übungen, sowie die trefflichen Straßen, die sie bauten, befähigten sie zu langen und raschen Märschen. Ihr unerwartetes Erscheinen übte einen lähmenden Einfluß auf die Feinde. Besonders nach einem Mißerfolge tauchten sie so in einem Augenblick auf, wo die Feinde im Siegesrausch unachtsam waren.

In unseren heutigen Kriegen muß sich der einzelne fast ganz auf die Masse verlassen. Jeder Römer dagegen, kräftiger und kriegsgewohnter als sein Feind, rechnete vor allem immer auf sich selbst. Er hatte von Natur Mut, jene Tugend, die das Bewußtsein der eigenen Kraft ist.

Da ihre Truppen immer die vorzüglichste Disziplin hatten, so konnte es selbst im unglücklichsten Kampfe nicht fehlen, daß sie sich nicht an irgend einer Stelle zum Widerstand sammelten, daß nicht irgendwo Unordnung in die feindlichen Reihen einriß.

Wenn ein fremdes Volk von Natur oder dank einer besonderen Einrichtung einen eigentümlichen Vorzug im Kriege besaß, machten sie ihn sich zunutze. Sie versäumten nichts, um numidische Reiter, kretische Bogenschützen, balearische Schleuderer, rhodische Schiffe zu haben.

Kurz: niemals bereitete ein Volk den Krieg mit solcher Umsicht vor und führte ihn mit gleicher Kühnheit.

Kapitel 4.
Die Gallier. Pyrrhus. Vergleich zwischen Rom und Karthago. Krieg mit Hannibal.

Die Römer hatten viele Kriege mit den Galliern zu bestehen. Die Liebe zum Ruhm, die Verachtung des Todes, die Zähigkeit im Kampfe waren bei beiden Völkern dieselben. Aber die Waffen waren verschieden. Der gallische Schild war klein, das Schwert schlecht. So ging es ihnen wie im letzten Jahrhundert den Mexikanern gegenüber den Spaniern. Und erstaunlich ist es überhaupt, wie von allen diesen Völkern zu allen Zeiten und allen Orten, wo die Römer sie treffen, eins nach dem andern seinen Untergang hinnimmt, ohne den Grund zu kennen, zu suchen, abwenden zu wollen.

Pyrrhus begann den Krieg mit den Römern zu einer Zeit, wo sie imstande waren, ihm zu widerstehen und aus seinen Siegen zu lernen. Er lehrte sie, sich zu verschanzen, ein Lager an geeigneter Stelle und in entsprechender Anordnung aufzuschlagen. Er gewöhnte sie an die Elefanten und bereitete sie auf größere Kriege vor.

Die Größe des Pyrrhus beruhte allein auf seinen persönlichen Eigenschaften. Herr eines kleinen Landes, das nach ihm der Vergessenheit anheimfiel, war er ein Abenteurer, der unablässig auf Unternehmungen ausging, weil er nur so bestehen konnte.

Sein Bundesgenosse Tarent war weit von der Tüchtigkeit seiner Vorfahren, der Spartaner, entfernt. Mit den Samniten zusammen hätte er Großes erreichen können, aber die Römer hatten diese schon fast vernichtet.

War Karthago früher als Rom reich geworden, so war es auch früher verdorben. So dankte man in Rom ein öffentliches Amt nur seiner Tüchtigkeit und gewann daraus nur Ehre und größere Arbeit: in Karthago war alles, was die Allgemeinheit dem einzelnen geben kann, käuflich, und was umgekehrt der einzelne an Diensten leistete, wurde von der Allgemeinheit bezahlt.

Die Tyrannei eines Fürsten bringt einen Staat seinem Untergange nicht näher, als eine Republik die Gleichgültigkeit gegen das Gemeinwohl. Der Vorzug eines freien Staates ist, daß seine Einkünfte besser verwaltet werden – wie aber, wenn sie nun schlechter verwaltet werden? Der Vorzug eines freien Staates ist, daß es keine Günstlingswirtschaft gibt – aber wenn es nun anders ist, und man statt nur den Freunden und Verwandten des einen Fürsten allen den Freunden und Verwandten aller, die zur Regierung gehören, zu Vermögen und Stellungen verhelfen soll? Dann ist alles verloren; die Gesetze werden in gefährlicherer Weise umgangen, als sie von einem Fürsten verletzt werden, der, da er immer der größte Bürger des Staates bleibt, auch das größte Interesse an seiner Erhaltung hat.

Alte Sitten und eine gewisse Gewöhnung an knappe Verhältnisse stellten in Rom eine ungefähre Gleichheit des Besitzes her: in Karthago hatten einzelne königliche Reichtümer.

Von den zwei Parteien, die in Karthago vorhanden waren, wollte die eine immer Frieden, die andere immer Krieg, so daß es dort niemals möglich war, den ersteren recht zu genießen, noch den letzteren gut zu führen.

Während der Krieg in Rom alle Interessen alsbald vereinte, trennte er sie in Karthago erst recht.

In einem monarchisch regierten Staate beruhigen sich Zwistigkeiten leicht, weil in den Händen des Fürsten eine einschränkende Gewalt liegt, die beide Parteien zwingt. In einer Republik sind sie andauernder, weil das Übel gewöhnlich die Macht selbst ergreift, die allein es etwa heilen könnte.

In Rom, wo Gesetze herrschten, duldete das Volk gern, daß der Senat die ausführende Gewalt hatte; in Karthago, wo Mißbräuche herrschten, wollte das Volk alles selbst tun.

Karthago war grade dadurch im Nachteil, daß es mit seinem Reichtum gegen die Armut Roms kämpfte: Gold und Silber erschöpfen sich; Mannhaftigkeit, Zähigkeit, Kraft und Armut erschöpfen sich nie.

Die Römer waren ehrgeizig aus Stolz, die Karthager aus Habsucht. Die einen wollten herrschen, die andern erwerben; und die letzteren, die immer Einnahme und Ausgabe abwogen, führten den Krieg immer ohne rechte Liebe.

Verlorene Schlachten, Verminderung der Bevölkerung, Schwächung des Handels, Erschöpfung des Staatsschatzes konnten den Karthagern die härtesten Friedensbedingungen annehmbar erscheinen lassen. Rom aber ließ sich nicht durch die Eindrücke von Wohlergehen oder Leiden bestimmen, sondern kannte nur eine Rücksicht: seinen Ruhm. Und da es der Vorstellung lebte, daß es nicht bestehen könnte, wenn es nicht befehle, so gab es keine Hoffnung und keine Furcht, die es bestimmen konnten, einen Frieden zu schließen, den es nicht selbst diktiert hatte.

Es gibt nichts Mächtigeres als eine Republik, wo man die Gesetze nicht aus Furcht, nicht aus Vernunft, sondern aus leidenschaftlicher Hingabe befolgt: so war es in Rom und in Sparta. Denn dann vereinigt sich mit der Weisheit einer guten Regierung die ganze Macht, die eine Partei haben könnte.

Die Karthager hatten fremde Truppen, die Römer eigene. Da letztere die Besiegten nie anders betrachtet hatten denn als Werkzeuge künftiger Triumphe, machten sie alle unterworfenen Völker zu Soldaten, und je größere Mühe ihnen die Unterwerfung eines Volkes gemacht hatte, für um so geeigneter hielten sie es, in ihre Republik aufgenommen zu werden. So sehen wir aus den erst nach vierundzwanzig Triumphen unterjochten Samniten Hilfstruppen der Römer werden.

Karthago entwickelte stärkere Kräfte im Angriff, Rom in der Verteidigung. Letzteres bewaffnete gegen die Gallier und gegen Hannibal, die es angriffen, eine erstaunliche Zahl von Männern, schickte aber gegen die größten Könige nur zwei Legionen: das machte seine Kräfte unvergänglich.

Karthagos Stellung in seinem Lande war nicht so zuverlässig wie die Roms in Italien. Letzteres hatte dreißig Kolonien, die ihm gleichsam als Schutzwälle dienten. Vor der Schlacht bei Cannä war kein Bundesgenosse abgefallen: die Samniten und die andern Völker Italiens waren eben an seine Herrschaft gewöhnt.

Die afrikanischen Städte waren wenig befestigt und ergaben sich dem ersten Eroberer, der vor ihren Mauern erschien: so versetzten alle, die dort landeten, Agathokles, Regulus, Scipio, Karthago schnell in eine verzweifelte Lage.

Was ihnen während des ganzen Krieges gegen den älteren Scipio begegnete, kann man nur auf eine schlechte Regierung zurückführen: ihre Stadt und ihre Heere selbst litten Hunger, die Römer hatten Überfluß an allem.

Bei den Karthagern verloren die geschlagenen Heere sofort die Manneszucht. Manchmal schlugen sie ihre Feldherren ans Kreuz und straften sie so für ihre eigene Feigheit. Bei den Römern dezimierte der Konsul die Truppen, die etwa geflohen waren, und führte sie von neuem gegen den Feind.

Die Herrschaft der Karthager war sehr drückend. Sie hatten die spanischen Völkerschaften so geplagt, daß die Römer, als sie hinkamen, als Befreier begrüßt wurden; und wenn man die gewaltigen Summen berücksichtigt, die ihnen ein Krieg kostete, in dem sie schließlich unterlagen, so wird man einsehen, daß Ungerechtigkeit eine schlechte Haushälterin ist und nicht einmal ihre Zwecke erreicht.

Handelsmächte können sich in einer gewissen Mittelmäßigkeit lange halten, aber ihre Größe ist von kurzer Dauer. Allmählich und unmerklich steigen sie empor, denn ihr Tun und Treiben macht keinen auffallenden Lärm und verrät ihre Macht nicht. Sobald die Sache aber so weit gediehen ist, daß sie sich nicht mehr verbergen kann, sucht jeder diesem Volke den Vorteil zu rauben, den es sich sozusagen nur erlistet hat.

Die punische Reiterei übertraf die römische aus zwei Gründen: die numidischen und spanischen Pferde waren besser als die italischen, und die römische Reiterei war schlechter bewaffnet.

Sobald Scipio Spanien erobert und sich mit Masinissa verbündet hatte, nahm er den Karthagern diesen Vorteil. Numidische Reiterei gewann die Schlacht bei Zama und setzte dem Krieg ein Ende.

Die Karthager waren seetüchtiger und geschickter im Manövrieren als die Römer+... Eine karthagische Trireme strandete an Italiens Küsten. Die Römer benutzten sie als Modell. In drei Monaten waren ihre Matrosen ausgebildet, ihre Flotte erbaut, ausgerüstet, stach in See, traf die Seemacht der Karthager und schlug sie.

Der zweite punische Krieg ist so berühmt, daß alle Welt ihn kennt. Wenn man die Menge der Hindernisse berücksichtigt, die sich vor Hannibal auftürmten und die dieser außerordentliche Mann alle überwand, so hat man das schönste Schauspiel, das das Altertum uns bietet.

Rom war ein Wunder von zäher Ausdauer. Nach den Tagen vom Tessin, der Trebia und am trasimenischen See, nach dem noch verhängnisvolleren bei Cannä, verlassen von fast allen Völkern Italiens, bat es dennoch nicht um Frieden. Das kam daher, daß der Senat seinen alten Grundsätzen niemals untreu wurde. Er verfuhr gegenüber Hannibal wie einst gegenüber Pyrrhus, dem er jedes Nachgeben abgeschlagen hatte, solange er noch in Italien wäre: und ich finde bei Dionysius von Halikarnaß, daß bei den Verhandlungen mit Coriolan der Senat erklärte, er würde seine alten Gewohnheiten nicht durchbrechen, das römische Volk könnte nicht Frieden schließen, solange ein Feind auf seinem Boden stände. Wenn die Völker sich aber zurückzögen, würde man alle gerechten Forderungen bewilligen.

Rom wurde durch die innere Stärke seiner Verfassung gerettet. Nach der Schlacht bei Cannä wurde den Frauen nicht einmal erlaubt zu weinen. Der Senat weigerte sich, die Gefangenen freizukaufen, und schickte die elenden Reste des Heeres zur Fortsetzung des Krieges nach Sizilien, ohne Aussicht auf Belohnung noch auf irgend eine militärische Ehrung, bis Hannibal aus Italien verdrängt wäre.

Andrerseits war der Konsul Terentius Varro schmählich bis Venusia geflohen. Von ganz niedrer Herkunft, war er nur zum Konsul erhoben worden, um dem Adel eine Kränkung zu bereiten. Aber der Senat mochte diesen unglückseligen Triumph nicht auskosten. Er sah ein, wie nötig es wäre, sich bei dieser Gelegenheit das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. So zog er Varro entgegen und dankte ihm dafür, daß er an der Sache der Republik nicht verzweifelt habe.

Gewöhnlich ist es nicht der materielle Verlust von einigen tausend Menschen, was eine Schlacht für den Staat verhängnisvoll macht, sondern der ideelle Verlust und die Entmutigung sind es, die ihm auch noch die Kräfte nehmen, die ihm das Unglück noch gelassen hat.

Es gibt Dinge, die alle Welt nachredet, weil sie einmal gesagt worden sind. So glaubt man, daß Hannibal einen offenbaren Fehler beging, als er von Cannä nicht nach Rom zog, um es zu belagern. Allerdings war der Schrecken dort außerordentlich groß. Aber bei einem kriegerischen Volke gibt es keine Verblüffung, die sich nicht fast immer in mutiges Aufraffen verwandelt. Bei einer niedrigen Masse ist es anders: sie fühlt nur ihre Schwäche. Ein Beweis dafür, daß Hannibal mit einer Diversion auf Rom keinen Erfolg gehabt hätte, liegt in dem Umstande, daß die Römer noch nach allen Seiten hin Hilfe schicken konnten.

So sagt man auch, daß Hannibal einen großen Fehler beging, als er sein Heer nach Capua legte, wo es verweichlichte. Aber man trifft damit nicht die wahre Ursache. Hätten denn die Soldaten seiner Armee, die durch so viele Siege reich geworden waren, nicht überall ein Capua gefunden? Alexander konnte bei einer ähnlichen Gelegenheit, weil er seine eigenen Leute führte, ein Mittel ergreifen, das Hannibal nicht zu Gebote stand, weil er Söldner hatte: er ließ Feuer an das Gepäck legen und verbrannte all ihre Reichtümer samt den seinen.

Nein, es waren Hannibals Eroberungen selbst, die eine Wendung im Kriege herbeiführten. Er war von den Beamten Karthagos gar nicht nach Italien geschickt worden. Er bekam sehr wenig Unterstützung von zu Hause, sei es auf Grund der Eifersucht der einen Partei, oder wegen zu großer Vertrauensseligkeit der anderen. Solange er seine Armee zusammenhalten konnte, schlug er die Römer. Sobald er sich gezwungen sah, Besatzungen in die eroberten Städte zu legen, seine italischen Bundesgenossen zu schützen, Festungen zu belagern oder vor Belagerung zu bewahren, erwiesen sich seine Streitkräfte als zu gering, und er verlor im einzelnen einen großen Teil seines Heeres. Eroberungen sind leicht zu machen, weil man sie mit seinen gesamten Kräften macht; schwer zu behaupten, weil man sie nur mit einem Teil derselben verteidigen kann.

(Dazu bemerkte Friedrich der Große in seinem Handexemplar, das von Napoleon I. aus Sanssouci entführt wurde:

Beweis dafür Ludwig XIV., der Holland rasch eroberte und gezwungen wurde, die Städte mit derselben Schnelligkeit aufzugeben, mit der er sie genommen hatte.)

Kapitel 5.
Zustände in Griechenland, Mazedonien, Syrien und Ägypten nach der Niederwerfung der Karthager.

Ich stelle mir vor, daß Hannibal überhaupt nicht viel geistreiche Aussprüche zu tun liebte und erst recht wenige zugunsten eines Fabius oder eines Marcellus gegen sich selbst. Es schmerzt mich zu sehen, wie Livius über diese Kolosse des Altertums seine zierlichen Redeblumen streut, und ich wünschte, er hätte es gemacht wie Homer, der seine Heldengestalten nicht schmückt, aber sie so lebendig in Tätigkeit vorführt.

Mindestens aber müßten die Reden, die man Hannibal halten läßt, vernünftig sein. Wenn er bei der Nachricht von der Niederlage seines Bruders Mago eingesteht, daß er darin Karthagos Untergang voraus verkündet sehe, so weiß ich nichts, was geeigneter gewesen wäre, die ihm ergebenen Völker zu entmutigen und seiner Armee das Zutrauen zu nehmen, die auf so große Belohnungen nach Beendigung des Krieges hoffte.

Da die Karthager in Spanien, Sizilien und Sardinien keine Armee aufstellten, die nicht Unglück gehabt hätte, so sah sich Hannibal, dessen Gegenpartei immer an Stärke zunahm, auf den Verteidigungskrieg beschränkt. Das gab den Römern den Gedanken, den Krieg nach Afrika hinüberzuspielen. Scipio landete dort. Seine Erfolge nötigten die Karthager, Hannibal aus Italien herüberzurufen, der Tränen vergoß, als er den Römern diesen Boden überlassen mußte, auf dem er sie so oft geschlagen hatte.

Alles, was ein großer Staatsmann und ein großer Feldherr tun kann, das tat Hannibal, um sein Vaterland zu retten. Als er Scipio nicht zum Frieden bewegen konnte, lieferte er ihm eine Schlacht, in der das Glück es darauf anzulegen schien, seines Geschickes, seiner Erfahrung und seines klaren Blickes zu spotten.

Karthago empfing nun (218) den Frieden nicht aus der Hand eines Feindes, sondern eines Herren: man verpflichtete es, zehntausend Talente in 50 Jahren zu zahlen, Geiseln zu stellen, seine Schiffe und seine Elefanten auszuliefern und ohne Zustimmung des römischen Volkes keinen Krieg zu beginnen. Und um es immer in demütiger Abhängigkeit zu halten, stärkte man die Macht Masinissas, seines ewigen Feindes.

Nach Karthagos Niederwerfung hatte Rom fast nur noch kleine Kriege und große Siege. Vorher hatte es große Kriege und kleine Siege gehabt.

Es gab in jener Zeit gleichsam zwei getrennte Welten. In der einen kämpften Karthager und Römer, die andere wurde von den Kriegen erfüllt, die seit dem Tode Alexanders dauerten. Dort kümmerte man sich nicht um das, was im Westen geschah. Denn obschon Philipp von Mazedonien einen Vertrag mit Hannibal gemacht hatte, gab er ihm keine Folge, und wenn er einerseits den Karthagern nur sehr schwache Hilfe leistete, so zeigte er andrerseits, sehr unnützerweise, den Römern eine feindliche Gesinnung.

Wenn man es erlebt, wie zwei große Völker sich in einen langen und hartnäckigen Krieg verwickeln, so ist es oft eine schlechte Politik zu denken, daß man ruhiger Zuschauer bleiben kann. Denn das von den beiden Völkern, das Sieger ist, unternimmt alsbald neue Kriege, und dann kämpft ein Soldatenvolk gegen Völker, die nur friedliche Bürger sind.

Das zeigte sich zu jener Zeit in völliger Klarheit. Denn kaum hatten die Römer die Karthager unterworfen, als sie andere Völker angriffen und überall in der Welt auftraten, um alles in Besitz zu nehmen.

Im Osten gab es damals nur vier Mächte, die fähig waren, Rom Widerstand zu leisten: Griechenland und die Königreiche von Mazedonien, Syrien und Ägypten.

(Es folgt eine Schilderung dieser Reiche, deren große Zeit längst vorüber war und die den beiden Kampfesmitteln der Römer, ihren Legionen und ihrer geschickten Diplomatie, nicht widerstehen konnten. Das nächste Kapitel kommt auf diese Vorgänge im einzelnen noch einmal zurück.)

Kapitel 6.
Von dem Verfahren, das die Römer befolgten, um alle Völker zu unterwerfen.

In dem langen Zeitraum, wo ein glücklicher Erfolg den andern drängte und wo es so nahe gelegen hätte, sich gehen zu lassen, handelte der Senat immer mit der gleichen Weisheit, und während die Heere alles in Schrecken setzten, hielt er die unterworfenen Völker nieder.

Er war der Gerichtshof, der alle Völker zur Rechenschaft zog. Nach Beendigung eines jeden Krieges entschied er über die Strafen und die Belohnungen, die jeder verdient hatte. Dem besiegten Volk nahm er einen Teil seines Grundbesitzes, um ihn den Bundesgenossen zu geben. Damit erreichte er zweierlei: er knüpfte an Rom Könige, von denen es wenig zu fürchten und viel zu hoffen hatte, und er schwächte andere, von denen es nichts zu hoffen und alles zu fürchten hatte.

Der Bundesgenossen bediente man sich, um gegen einen neuen Feind Krieg zu führen, aber man zerstörte sofort die Zerstörer. Philipp wurde mit Hilfe der Ätoler besiegt, die sofort darauf vernichtet wurden, weil sie sich mit Antiochus verbunden hätten. Antiochus wurde mit Hilfe der Rhodier besiegt. Aber nachdem man ihnen offensichtliche Belohnungen gegeben hatte, demütigte man sie für immer unter dem Vorwande, sie hätten verlangt, daß man mit Perseus Frieden schließen sollte.

Wenn die Römer mehrere Feinde auf dem Halse hatten, gewährten sie dem schwächsten einen Waffenstillstand, und dieser schätzte sich noch glücklich, ihn zu erhalten, indem er es hoch anschlug, seinen Untergang aufgeschoben zu haben.

Wenn man von einem großen Kriege in Anspruch genommen war, konnte der Senat alle möglichen Kränkungen übersehen, und wartete dann stillschweigend, bis der Tag der Rache gekommen war. Wenn ihm ein Volk die Schuldigen zuschickte, weigerte er sich, sie zu strafen, indem er es vorzog, die Schuld auf dem ganzen Volke haften zu lassen und sich eine nutzbringende Rache vorzubehalten.

Da es Feinden der Römer immer sehr schlecht erging, so bildete sich kaum je ein Bündnis gegen sie. Denn, wer am weitesten von der Gefahr entfernt war, wollte ihr nicht freiwillig näher rücken.

So wurde ihnen auch selten der Krieg erklärt, sondern sie führten den Krieg dann, so und mit wem es ihnen paßte. Und unter den zahllosen Völkern, mit denen sie gekämpft haben, sind nur wenige, die nicht wer weiß was erduldet hätten, wenn man sie in Frieden gelassen hätte.

Ihre Gewohnheit war, immer als Herren zu sprechen. Die Gesandten, die sie zu Völkern schickten, bei denen man ihre Macht nicht kannte, wurden sicher mißhandelt: das war ein erwünschter Vorwand, um einen neuen Krieg anzufangen.

Da sie niemals einen aufrichtig gemeinten Frieden schlossen, und da bei ihrer Absicht, einst alles zu nehmen, ihre Verträge eigentlich nur Unterbrechungen des Krieges waren, so stellten sie immer Bedingungen, die für den Staat, der sie annahm, den Beginn des Unterganges bedeuteten. Sie verlangten Abzug der Besatzungen aus den befestigten Plätzen, oder beschränkten die Zahl der Landtruppen; oder die Auslieferung der Pferde oder Elefanten, und wenn es sich um eine Seemacht handelte, zwangen sie diese, ihre Flotte zu verbrennen, manchmal auch, sich weiter landeinwärts anzusiedeln.

Wenn sie die Heere eines Fürsten vernichtet hatten, ruinierten sie seine Finanzen durch übertriebene Abgaben oder einen Tribut unter dem Vorwande, daß er die Kriegskosten tragen müßte – eine neue Art Tyrannei, die ihn zwang, seine Untertanen zu bedrücken und sich um ihre Liebe zu bringen.

Wenn sie einem Fürsten den Frieden bewilligten, nahmen sie einen seiner Brüder oder Söhne als Geisel, was ihnen ermöglichte, sein Reich, sobald es ihnen einfiel, zu beunruhigen. Wenn sie den nächsten Erbberechtigten als Geisel in ihrer Macht hatten, schüchterten sie damit den jeweiligen Besitzer ein. Wenn sie nur einen entfernteren Verwandten hatten, bedienten sie sich seiner, um unter den Völkern Unruhen anzuzetteln.

Wenn ein Fürst oder ein Volk sich dem Gehorsam seines Souveräns entzog, bewilligten sie ihm zunächst den Titel: Bundesgenosse des römischen Volkes. Dadurch machten sie ihn heilig und unverletzlich. So gab es denn keinen König, mochte er noch so mächtig sein, der auch nur für einen Augenblick seiner Untertanen, ja nur seiner Familie sicher sein konnte.

Obgleich der Titel »Bundesgenosse des römischen Volkes« eine Art Untertanenschaft bedeutete, war er doch sehr begehrt. Denn man war sicher, daß alle Übergriffe nur von den Römern herkamen, und auf diese Weise hatte man Grund zu hoffen, daß sie geringer sein würden. Somit gab es also keinen Dienst, den Völker und Könige nicht geleistet, keine Erniedrigung, zu der sie sich nicht verstanden hätten, um jenen Titel zu erlangen.

Wenn die Römer einigen Städten die Freiheit ließen, riefen sie in ihnen dadurch zunächst zwei Parteien ins Leben: die eine verteidigte die heimischen Gesetze und die Freiheit des Landes, die andere vertrat die Ansicht, daß es kein Gesetz außer dem Willen der Römer gebe, und da diese letztere Partei immer die mächtigere war, so sieht man wohl, daß eine derartige Freiheit nur ein leeres Wort war.

Manchmal bemächtigten sie sich eines Landes als angebliche Erben. In Asien, in Bithynien, in Libyen drangen sie auf das Testament des Attalus, des Nikomedes und des Apion ein, und Ägypten wurde durch das des Königs von Cyrene in Fesseln geschlagen.

Um die großen Fürsten immer in Schwäche zu erhalten, erlaubten sie ihnen nicht die Aufnahme römischer Bundesgenossen unter ihre Verbündeten, und da sie keinem Nachbarn eines mächtigen Fürsten ihre eigene Bundesgenossenschaft verweigerten, so ließ diese Bedingung, wenn sie einmal in den Vertrag aufgenommen war, ihm keine Bundesgenossen mehr.

Ferner, wenn sie einen bedeutenderen Fürsten besiegt hatten, nahmen sie die Bedingung in den Friedensvertrag auf, daß er in Streitigkeiten mit römischen Bundesgenossen – d. h. gewöhnlich mit allen Nachbarn – keinen Krieg anfangen dürfe, sondern sich dem Schiedsgerichte der Römer unterwerfen müsse: das nahm ihm für die Zukunft seine militärische Macht.

Und, um diese ganz allein für sich aufzuheben, beraubten sie sogar ihre Bundesgenossen derselben; sobald diese die geringste Auseinandersetzung miteinander hatten, schickten sie eine Gesandtschaft und zwangen sie, Frieden zu schließen. Man braucht sich nur anzusehen, wie sie den Kriegen von Attalus und Prusias ein Ende setzten.

Wenn ein Fürst eine Eroberung gemacht hatte, die oft seine Kräfte ganz erschöpft hatte, so tauchte plötzlich ein römischer Gesandter auf, der sie ihm aus den Händen nahm. Unter tausend Beispielen braucht man nur daran zu erinnern, wie sie Antiochus mit einem Wort aus Ägypten verjagten.

Wenn sie sahen, daß zwei Völker in Krieg geraten waren, auch wenn keine Bundesgenossenschaft vorlag, noch sie bei einem der beiden überhaupt etwas zu suchen hatten, tauchten sie ganz gewiß plötzlich auf der Bildfläche auf und nahmen, wie unsere fahrenden Ritter, für den Schwächeren Partei. Es war ein alter Grundsatz der Römer, sagt Dionysius von Halikarnaß, jedem, der um ihre Hilfe bat, sie zu gewähren.

Diese römischen Grundsätze waren nun aber keine zufällig und vereinzelt auftretenden Erscheinungen, es waren ewig unveränderliche Prinzipien. Das kann man leicht erkennen. Denn die Grundsätze, die sie gegen die größten Mächte anwandten, waren genau dieselben, die sie zu Anfang ihrer Geschichte gegen die kleinen Stämme ihrer Umgebung in Anwendung gebracht hatten.

Vor allem war ihr stehender Grundsatz: teilen! Der Achäische Bund war durch den Zusammenschluß freier Städte gebildet. Der Senat erklärte, daß jede Stadt sich künftighin nach ihren eigenen Gesetzen regieren sollte, ohne von einer gemeinsamen Autorität abzuhangen.

(Folgt noch das Beispiel Böotiens.)

Wenn in einem Staate Streitigkeiten ausbrachen, fällten sie zunächst ein Urteil. Dann waren sie fürs erste sicher, nur die Partei gegen sich zu haben, der sie unrecht gegeben hatten. Wenn es Fürsten eines Blutes waren, die sich um die Krone stritten, erklärten sie manchmal beide zu Königen. War der eine in unmündigem Alter, entschieden sie zu seinen Gunsten und übernahmen als Schutzherren des Weltalls seine Vormundschaft. Denn sie hatten es dahin gebracht, daß die Völker und die Könige ihre Untertanen waren, ohne genau zu wissen, auf Grund wovon, da die Annahme bestand, daß es genüge, von ihnen gehört zu haben, um ihnen Unterwürfigkeit zu schulden.

Manchmal mißbrauchten sie den Doppelsinn der Ausdrücke ihrer Sprache. So zerstörten sie Karthago, indem sie sagten, sie hätten nur versprochen, die Burg zu schonen, nicht die Stadt. Man weiß, wie die Ätoler, die sich »ihrem Wohlwollen anempfohlen« hatten, getäuscht wurden. Die Römer behaupteten, daß die Bedeutung dieser Worte: »sich dem Wohlwollen des Feindes anempfehlen« den Verlust aller möglichen Dinge, der Menschen, des Landbesitzes, der Städte, der Tempel und selbst der Gräber in sich schlösse.

Wenn einer ihrer Feldherrn Frieden schloß, um sein Heer vor dem sicheren Verderben zu retten, so ratifizierte der Senat diesen Frieden nicht, zog vielmehr Vorteil daraus und setzte den Krieg fort.

Manchmal verhandelten sie mit einem Fürsten über den Frieden auf Grund vernünftiger Bedingungen, und wenn er sie angenommen hatte, fügten sie derartige hinzu, daß er den Krieg von neuem beginnen mußte.

Endlich maßten sie sich einen Urteilsspruch über die vollkommen privaten Versehen und Vergehungen eines Königs an.

Da man den Ruhm eines Feldherrn nach der Menge Gold und Silber beurteilte, die er in seinem Triumph aufführte, so ließ dieser einem besiegten Feinde nichts. Rom bereicherte sich jedesmal und jeder Krieg setzte es instand, einen neuen zu beginnen.

Die Völker, die Freunde oder Verbündete waren, ruinierten sich alle durch die gewaltigen Geschenke, die sie machen mußten, um die Gunst der Römer zu erhalten oder zu steigern, und die Hälfte des Geldes, das sie zu diesem Ende nach Rom schickten, würde genügt haben, um die Römer zu besiegen.

Herren der Welt, betrachteten sie sich als Besitzer aller ihrer Schätze, Räuber, die die Gerechtigkeit weniger als Eroberer verletzten, denn als Vertreter neuer und selbsüchtiger Rechtsanschauungen. So, als sie erfahren hatten, daß Ptolemäus von Cypern unermeßliche Reichtümer besitze: da gaben sie auf Antrag eines Tribunen ein neues Gesetz, demzufolge sie das Recht, einen lebenden Menschen zu beerben und einem verbündeten Fürsten seine Güter zu konfiszieren, beanspruchen konnten.

Bald riß die Habgier der einzelnen die letzten Reste an sich, die der Begehrlichkeit des Staates entgangen waren. Die Beamten und Verwalter verkauften den Königen ihre Ungerechtigkeiten. Zwei Rivalen ruinierten sich um die Wette, um eine immerhin zweifelhafte Protektion gegen einen Widersacher zu erkaufen, der noch nicht ganz erschöpft war. Denn man hatte nicht einmal den Anstand von Räubern, die selbst in die Ausübung eines Verbrechens eine gewisse Rechtlichkeit legen. Kurz, da die gesetzlich begründeten so gut wie die bloß angemaßten Ansprüche nur mit Geld aufrecht erhalten werden konnten, so plünderten die Könige ihre Tempel und konfiszierten die Güter ihrer reichsten Untertanen: man beging tausend Verbrechen, um den Römern alles Geld der Welt zu geben.

Aber nichts unterstützte Rom besser, als der achtungsvolle Schrecken, den es um sich zu verbreiten wußte. Zunächst verurteilte es die Könige zum Schweigen, dann lähmte es gleichsam ihren Willen. Es handelte sich nicht mehr um das Maß ihrer Macht, ihre eigene Person wurde gefährdet. Einen Krieg wagen, hieß, sich der Gefangenschaft, dem Tode, der Schmach, im Triumph einhergeführt zu werden, aussetzen. So wagten Könige, die in Stolz und Pracht dahinlebten, nur scheue Seitenblicke auf das römische Volk zu werfen, und, den Mut verlierend, erwarteten sie von ihrer Geduld und ihren Erniedrigungen einigen Aufschub für das Elend, von dem sie bedroht waren.

Man möge nur gefälligst das Benehmen der Römer in folgendem Falle beachten. Nach der Niederlage des Antiochus waren sie Herren von Afrika, Asien und Griechenland, ohne doch in diesen Ländern eine Stadt im einzelnen zu besitzen. Es schien, als wenn sie nur Eroberungen machten, um sie dann wegzuschenken. Aber sie blieben derartig die Herren, daß, wenn sie mit einem Fürsten Krieg führten, sie ihn sozusagen unter dem Gewicht des ganzen Erdkreises erdrückten.

Noch war es nicht Zeit, sich der eroberten Länder zu bemächtigen. Wenn sie die Philipp abgenommenen Städte behalten hätten, würden sie den Griechen die Augen geöffnet haben. Wenn sie nach dem zweiten punischen Kriege oder dem gegen Antiochus in Afrika oder Asien weite Länderstrecken genommen hätten, würden sie so schwach begründete Eroberungen nicht haben schützen können.

Man mußte abwarten, daß alle Völker sich daran gewöhnt hätten, als Freie oder als Verbündete zu gehorchen, ehe man ihnen als Unterworfenen befahl, sowie daß sie sich Schritt für Schritt in der römischen Republik auflösten.

Das war ein langsames Eroberungsverfahren. Man besiegte ein Volk und begnügte sich damit, es zu schwächen. Man legte ihm Bedingungen auf, die es unmerklich untergruben. Erhob es sich, so beugte man es noch tiefer, und es wurde Untertan, ohne daß man einen bestimmten Zeitpunkt für seine Unterwerfung hätte angeben können.

So war Rom weder eine Monarchie im eigentlichen Wortsinne, noch eine Republik, sondern der Kopf eines von allen Völkern der Erde gebildeten Körpers.

Wenn die Spanier nach der Eroberung von Mexiko dieses Verfahren befolgt hätten, wären sie nicht gezwungen worden, alles zu zerstören, um alles zu behalten.

Es ist eine Verblendung der Eroberer, allen Völkern ihre Gesetze und ihre Sitten auferlegen zu wollen. Das nützt zu nichts. Denn bei jeder Art von Regierung kann man Gehorsam erzwingen.

Aber Rom gab keine allgemeinen Gesetze, und so hatten die Völker unter sich keine gefährlichen Vereinigungspunkte. Sie bildeten nur durch den gemeinsamen Gehorsam einen Körper, und ohne Vaterlandsgenossen zu sein, waren sie alle römisch.

Man wird vielleicht einwenden, daß Reiche, die auf dem Vasallenrecht beruhen, niemals dauerhaft noch mächtig gewesen sind. Aber es gibt nichts so Wesenverschiedenes wie das Verfahren der Römer und das der Germanen, und um nur ein Wort darüber zu sagen, so war das eine das Werk der Stärke, das andere das der Schwäche. In dem einen war die Unterwerfung aufs äußerste getrieben, in dem andern die Unabhängigkeit. In den von den germanischen Völkern eroberten Ländern war die Macht in den Händen der Vasallen, das Recht nur in den Händen des Fürsten; bei den Römern war das genaue Gegenteil der Fall.

Kapitel 8.
Von den Parteien, die immer in der Stadt waren.

Während Rom die Welt eroberte, gab es innerhalb seiner Mauern einen verborgenen Krieg, vergleichbar den Gluten jener Vulkane, die zum Ausbruch kommen, sobald irgend eine Materie ihre Gärung steigert.

Nach der Vertreibung der Könige war die Regierung aristokratisch geworden. Die patrizischen Familien allein besetzten alle Ämter und Würden, hatten folglich auch allein alle bürgerlichen und kriegerischen Ehren.

Da die Patrizier die Rückkehr der Könige verhindern wollten, suchten sie die im Volk vorhandene Stimmung gegen die Monarchie zu steigern. Aber unabsichtlich schossen sie über das Ziel hinaus: gleichzeitig mit dem Haß gegen die Könige gaben sie dem Volk eine maßlose Freiheitsliebe. Da die königliche Gewalt völlig in die Hände der Konsuln übergegangen war, so fühlte das Volk, daß es diese Freiheit, für die man es so zu begeistern suchte, gar nicht besaß. Es suchte also das Konsulat herabzudrücken, plebejische Beamte zu haben, die kurulischen Ämter mit den Patriziern zu teilen. Diese wurden gezwungen, ihm alle Forderungen zu bewilligen. Denn in einer Stadt, wo die Armut die Staatstugend war, wo Reichtümer, diese heimlichen Wegbahner zur Macht, verachtet wurden, konnten Geburt und Würden keine großen Vorteile geben. Die Macht mußte also der Mehrheit zufallen und die Aristokratie sich allmählich in eine Volksherrschaft wandeln.

Die, welche einem König gehorchen, sind von Neid und Eifersucht weniger heimgesucht als die, welche in einer erblichen Aristokratie leben. Der Fürst steht seinen Untertanen so fern, daß sie ihn kaum sehen. Er steht so hoch über ihnen, daß sie sich kaum einen sie kränkenden Vergleich erdenken können. Die Adligen aber, die vor aller Augen regieren, sind nicht so hochgestellt, daß sich nicht erbitternde Vergleiche unaufhörlich aufdrängen. Die Republiken, in denen die Geburt gar keinen Anteil an der Regierung gibt, sind in dieser Hinsicht die glücklichsten. Denn das Volk kann viel weniger auf eine Würde neidisch sein, die es gibt, wem es will, und die es nach Gutdünken wieder entzieht.

Unzufrieden mit den Patriziern, wanderte das Volk auf den heiligen Berg aus (494). Man schickte ihm Unterhändler, die es beruhigten, und da die Volksgenossen sich gegenseitig Unterstützung versprachen, falls die Patrizier ihre gegebenen Versprechungen nicht halten sollten, was alle Augenblicke Aufstände veranlaßt und alle Funktionen der Beamten unterbunden haben würde, so meinte man, es sei besser, ein Amt zu schaffen, das Übergriffe gegen einen Plebejer verhindern könnte. Aber entsprechend einer uralten menschlichen Schwäche, bedienten sich die Plebejer der Tribunen, die ihnen als Verteidigung gegeben waren, zum Angriff. Sie eroberten nacheinander alle Prärogativen der Patrizier. Das führte zu unaufhörlichen Beschwerden. Das Volk wurde von den Tribunen gestützt, oder vielmehr aufgereizt, die Patrizier durch den Senat verteidigt, der, fast ganz aus ihren Reihen hervorgegangen, den alten Grundsätzen mehr zuneigte und fürchtete, daß der Volkshaufen einen Tribunen zum Tyrannen erheben möchte.

Das Volk verwandte für sich seine eigenen Kräfte und seine Überlegenheit in den Abstimmungen, seine Verweigerung des Kriegsdienstes, seine Drohungen wieder auszuwandern, die Parteilichkeit seiner Gesetze, schließlich seine gerichtlichen Verfahren gegen die, welche ihm zuviel Widerstand geleistet hatten. Der Senat verteidigte sich durch seine Weisheit, seine Gerechtigkeit und die Vaterlandsliebe, die er einflößte, durch seine Wohltaten und eine weise Finanzverwaltung; durch die Achtung, die das Volk vor dem Ruhm der bedeutendsten Familien hatte, und die Tugend der großen Männer; durch die Religion selbst, die alten Einrichtungen, die Untersagung von Versammlungen unter dem Vorwande ungünstiger Auspizien; durch seine Klienten; durch Gegenüberstellung des einen Tribuns gegen den andern; durch die Einsetzung eines Diktators, die Beschäftigung mit einem neuen Kriege oder durch die Unglücksfälle, die alle Interessen vereinten; schließlich durch ein väterliches Nachgeben, mit dem er dem Volke einen Teil seiner Wünsche gegen Aufgabe eines andern zubilligte, und durch den unumstößlichen Grundsatz, niemals die Erhaltung der Gesamtrepublik den Prärogativen irgend eines Standes oder irgend einer Beamtung zu opfern, welche das auch sein mochten.

Als im weiteren Verlaufe der Zeit die Plebejer die Patrizier so weit niedergekämpft hatten, daß dieser Unterschied der Familien jeden wirklichen Wert verloren hatte und Angehörige beider Stände unterschiedslos zu den verschiedenen Ehrenstellen erhoben wurden, traten neue Kämpfe ein zwischen dem von den Tribunen aufgestachelten niedern Volk und den hauptsächlichsten patrizischen oder plebejischen Familien, die man Nobiles nannte und die den Senat für sich hatten, der sich aus ihnen rekrutierte. Aber da die alte Sittenstrenge nicht mehr herrschte und Privatleute sehr bedeutende Vermögen besaßen, und da es unmöglich ist, daß Reichtum nicht Macht verleiht, so leisteten die Nobiles hartnäckigeren Widerstand, als weiland die Patrizier.

Hier muß ich von einem Amt sprechen, das viel dazu beitrug, die Regierung von Rom zu unterstützen; ich meine das Amt der Zensoren. Sie stellten zunächst die Zählungslisten des Volkes auf. Ferner aber, da die Stärke der Republik in der Zucht bestand, der Sittenstrenge und der Beobachtung gewisser geheiligter Gebräuche, besserten sie die Mißbräuche, die das Gesetz nicht vorhergesehen hatte, oder die die gewöhnlichen Beamten nicht bestrafen konnten. Es gibt schlechte Beispiele, die schlimmer sind als Verbrechen, und mehr Staaten sind untergegangen, weil man die Sitten mißachtete, als weil man die Gesetze verletzte. In Rom wurde alles, was gefährliche Neuerungen einführen konnte, was Herz und Geist der Bürger ändern und deren – wenn ich mich so ausdrücken darf – deren unverändertes Bestehen gefährden konnte, ferner die häuslichen und die öffentlichen Störungen der Ordnung – alles das wurde von den Zensoren wieder ins Rechte gerückt. Sie konnten, wen sie wollten, aus dem Senat ausstoßen, dem Ritter sein Pferd nehmen, das ihm auf Staatskosten gestellt wurde, einen Bürger in eine andere Klasse versetzen, sogar in die Klasse derer, die zwar Steuern zahlten, aber keine Rechte hatten.

Das war eine sehr weise Einrichtung. Des Amtes konnten sie niemand entsetzen, weil das die Ausübung der Staatsgewalt unterbunden hätte, aber sie setzten Stand und Rang herab und nahmen dem Bürger sozusagen seinen Personaladel.

Darin war die Regierung Roms bewundernswert, daß von Anbeginn an, sei es nun dank dem Volkscharakter überhaupt, oder der Macht des Senats, oder dem Einfluß gewisser Beamten, jeder Mißbrauch der Gewalt sofort seine Korrektur fand.

Kapitel 9.
Zwei Ursachen von Roms Untergang.

Solange die Herrschaft Roms sich auf Italien beschränkte, konnte die Republik leicht bestehen. Jeder Soldat konnte auch seine Pflichten als Bürger erfüllen, jeder Konsul hob ein neues Heer aus, unter seinem Nachfolger zogen andere Bürger in den Krieg. Da die Zahl der Truppen nicht übermäßig groß war, so achtete man darauf, zum Kriegsdienst nur solche Leute heranzuziehen, die Besitz genug hatten, um an der Erhaltung des Staates Interesse zu haben. Schließlich behielt der Senat seine Feldherrn gewissermaßen immer unter Augen und benahm ihnen so jeden Gedanken, etwas gegen ihre Pflicht zu tun.

Aber als die Legionen nach Norden die Alpen und nach Süden das Meer überschritten, verloren die Krieger, die man notgedrungen mehrere Feldzüge hintereinander in den zu unterwerfenden Ländern belassen mußte, allmählich den Sinn für ihre friedlichen Bürgerpflichten, und die Feldherrn, die über Heere und Königreiche Verfügungen zu treffen hatten, verlernten zu gehorchen.

Die Soldaten begannen also, nur auf ihren Feldherrn zu schauen, auf ihn nur ihre Hoffnungen zu bauen, und die Stadt rückte für sie in die Ferne. Das waren nun nicht mehr Soldaten der Republik, sondern Soldaten eines Sulla, eines Marius, eines Pompejus, eines Cäsar. Rom konnte nun nicht mehr wissen, ob derjenige, der in einer Provinz an der Spitze eines Heeres stand, sein Feldherr oder sein Feind war.

Solange das Volk von Rom nur durch die Tribunen verdorben wurde, denen es doch nur seine Machtbefugnisse übertragen konnte, vermochte der Senat sich leicht zu verteidigen, weil seine Tätigkeit eine ununterbrochene und folgerichtige war, während die Volksmasse zwischen äußerster Schwäche und äußerstem Ungestüm schwankte. Aber als das Volk die Möglichkeit hatte, seinen Günstlingen eine furchtbare Gewalt nach außen zu geben, war alle besonnene Weisheit des Senates vergeblich und die Republik war verloren.

Was bewirkt, daß die freien Staaten kurzlebiger sind als die andern, ist wohl der Umstand, daß die Unglücksfälle und die Erfolge, die ihnen beschieden sind, fast immer den Verlust ihrer Freiheit nach sich ziehen, während die Unglücksfälle und die Erfolge in einem Staate, wo das Volk in unterworfener Stellung ist, in gleichem Maße seine Knechtschaft befestigen. Eine weise Republik darf nichts wagen, was sie einem guten oder einem schlechten Geschick aussetzt: das einzige Glück, nach dem sie streben darf, ist die dauernde Erhaltung ihres Zustandes.

Wenn die Größe des Reiches der Republik verhängnisvoll wurde, so gilt das in nicht geringerem Maße von der Größe der Stadt.

Den Erdkreis hatte Rom unterworfen mit Hilfe der Völker Italiens, denen es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Vorrechte einräumte. Die Mehrzahl dieser Völker hatte anfänglich keinen besonderen Wert auf das römische Bürgerrecht gelegt, und einige zogen es vor, ihre alten Gebräuche zu behalten. Als aber dies Recht die Bedeutung einer allgemeinen Oberhoheit erlangte, als man nichts in der Welt war, wenn man nicht römischer Bürger war, mit diesem Titel dagegen alles, beschlossen die italischen Völker, ihre Existenz an die Erlangung des römischen Bürgerrechtes zu wagen. Als sie dies Ziel nicht auf dem Wege der Bewerbung und der Bitten erreichen konnten, griffen sie zu den Waffen. Rom, gezwungen gegen die zu kämpfen, die sozusagen die Hände waren, mit denen es den Erdkreis gefesselt hielt, war verloren. Es stand vor der Gefahr, sich auf seine Mauern beschränkt zu sehen. Drum bewilligte es das so ersehnte Bürgerrecht den Bundesgenossen, welche die Treue noch nicht gebrochen hatten, und nach und nach allen.

Von dem Augenblick an war Rom nicht mehr jene Stadt, deren Volk ein Geist beseelt hatte, eine Liebe zur Freiheit, ein Haß gegen die Tyrannei; wo die Eifersucht auf die Macht des Senates und die Vorrechte der Vornehmen immer noch mit Hochachtung gemischt und schließlich nur eine Form der Liebe zur Gleichheit war. Sobald die Völker Italiens seine Bürger geworden waren, brachte jede Stadt ihren besonderen Geist, ihre besonderen Interessen, ihre Abhängigkeit von irgend einem großen Machthaber mit. (Dazu macht Montesquieu die Anmerkung: Man stelle sich nur dieses monströse Haupt der Italischen Völker vor, das durch die Stimmenabgabe jedes einzelnen Mannes die übrige Welt leitete!) Gesprengt war die alte Form und fortan ein Ganzes nicht mehr vorhanden. Und da man nur durch eine Art Fiktion römischer Bürger war, da man nicht mehr dieselben Beamten, dieselben Stadtmauern, dieselben Götter, dieselben Tempel, dieselben Begräbnisstätten hatte, sah man Rom nicht mehr mit denselben Augen an, hatte man nicht mehr die gleiche Vaterlandsliebe, und die römische Weltauffassung bestand nicht fürder.

Die Ehrgeizigen ließen ganze Städte und ganze Völker nach Rom kommen, um die Abstimmungen zu stören oder zu ihren Gunsten zu wenden. Die Wahlversammlungen waren wahre Verschwörungen: »Komitien« bezeichnte einen Haufen von einigen aufrührerischen Köpfen. Die Autorität des Volkes, seine Gesetze, ja ›das Volk‹ selbst war eine Chimäre und die Anarchie wurde so groß, daß man nicht mehr wissen konnte, ob das Volk einen Beschluß gefaßt hatte oder nicht.

Man liest immer in den Schriftstellern, daß Rom durch die Parteiungen zugrunde ging. Doch übersieht man dabei, daß diese Parteiungen dort notwendig waren, daß sie immer vorhanden gewesen waren und immer vorhanden sein mußten. Einzig und allein die Größe der Republik richtete das Unheil an und verwandelte Volksunruhen in Bürgerkriege. Parteiungen mußten wohl in Rom vorhanden sein, und diese so stolzen, kühnen und nach außen so furchtbaren Krieger konnten schlechthin im Innern nicht maßvoll auftreten. In einem freien Staate beanspruchen, daß die Leute kühn im Kriege und ängstlich im Frieden sein sollen, heißt Unmögliches verlangen. Und als allgemeine Regel gilt: allemal, wenn man in einem Staat, der sich den Namen Republik beilegt, jedermann ruhig sieht, kann man versichert sein, daß dort die Freiheit nicht vorhanden ist.

Was man Einheit in einem politischen Körper nennt, ist eine sehr vieldeutige Sache. Die wahre Einheit ist eine Einheit der Stimmung, die bewirkt, daß alle Parteien, mögen sie auch noch so unvereinbar erscheinen, zusammenarbeiten zum Wohle der Gemeinde – so wie in der Musik Dissonanzen sich in einen Endakkord auflösen. Es kann Einheit in einem Staate bestehen, wo man nichts als Zwistigkeit zu sehen glaubt, d. h. eine Harmonie kann bestehen, aus der das Glück, das allein der wahre Frieden ist, hervorgeht. Es ist damit wie mit den Teilen dieses Weltalls, die ewig miteinander durch Wirkung und Gegenwirkung verbunden sind.

Es ist allerdings richtig, daß die Gesetze Roms nicht mehr ausreichten, um die Republik zu regieren. Aber das ist immer so gegangen, daß gute Gesetze, die eine kleine Republik groß gemacht hatten, ihr lästig wurden, wenn sie groß geworden war, weil sie eben derartig waren, daß ihre natürliche Wirkung ein großes Volk zu schaffen, nicht es aber zu regieren vermochte.

Es besteht ein großer Unterschied zwischen guten und angemessenen Gesetzen, solchen, die ein Volk zum Herrn der anderen machen, und solchen, die es im Besitz der erworbenen Macht erhalten.

Rom war geschaffen, um sich zu vergrößern, und dafür eigneten sich seine Gesetze wunderbar. Daher hat es auch, unter welcher Regierungsform es auch stand, unter der Macht der Könige, der Aristokraten oder des Volkes niemals aufgehört, Unternehmungen zu pflegen, die nachdrückliche Durchführung verlangten, und sie sind ihm geglückt. Nicht nur für einen Tag, nein ununterbrochen hat es sich weiser gezeigt, als alle andern Völker der Erde. Mit derselben Überlegenheit hat es ein kleines, ein mittelmäßiges, ein großes Schicksal getragen. Es hat kein Glück erlebt, aus dem es nicht Vorteil zog, und kein Unglück, das es nicht auszunützen verstand.

Es verlor seine Freiheit, weil es sein Werk zu früh abbrach.

Kapitel 10.
Über die Sittenverderbnis der Römer.

Ich glaube, daß die Sekte der Epikuräer, die gegen Ende der Republik in Rom auftrat, viel dazu beigetragen hat, Herz und Geist der Römer zu verderben. Vor den Römern waren schon die Griechen von ihnen um ihren sittlichen Halt gebracht worden; so war denn auch bei ihnen die Verderbnis früher eingetreten. Polybius sagt uns, daß man zu seiner Zeit dem Eide eines Griechen nicht viel trauen konnte: für einen Römer bedeutete er dagegen sozusagen unzerbrechliche Ketten.

In den Briefen Ciceros an Attikus findet sich eine Tatsache erwähnt, die uns zeigt, wie sich die Römer seit den Zeiten des Polybius verändert hatten.

»Menenius«, sagt er, »hat im Senat einen Vertrag verlesen, den er und sein Mitbewerber Domitius mit den Konsuln abgeschlossen hatten, daß beide den Konsuln 40 000 Sesterzien zahlen wollten, wenn sie selbst zu Konsuln gewählt worden wären, wofern sie nicht drei Auguren stellen könnten, die aussagten, sie seien dabei gewesen, als die lex curiata gegeben wäre, die gar nicht gegeben worden war, und zwei gewesene Konsuln, die aussagen sollten, sie seien bei der Verteilung der Provinzen an die Konsularen dabeigewesen, obschon darüber gar keine Senatssitzung stattgefunden hatte.« Wie viele unehrenhafte Männer in einer einzigen Abmachung!

Außer der Religion, die immer die beste Bürgschaft für die Sitten der Menschen ist, die man haben kann, lag bei den Römern noch der besondere Fall vor, daß sich für sie mit der Vaterlandsliebe ein gewisses religiöses Gefühl verband. Die Stadt, einst unter den besten Auspizien gegründet, Romulus, ihr König und ihr Gott, das Kapitol, ewig wie die Stadt, und die Stadt, ewig wie ihr Gründer, hatten früher auf das Gemüt der Römer einen Eindruck gemacht, von dem es wünschenswert gewesen wäre, daß er sich erhalten hätte.

Die Größe des Staates schuf die Größe der Privatvermögen. Aber da das Wohlleben in den Sitten, nicht in den Reichtümern begründet ist, so erzeugten die Reichtümer der Römer, die immerhin ihre Grenzen hatten, einen Luxus und eine Verschwendung, die keine hatten. Die, welche zuerst durch ihren Reichtum verdorben worden waren, wurden es später durch ihre Armut. Mit einem Besitz, der weit über die Bedürfnisse eines Privatmannes hinausging, war es schwer, ein guter Bürger zu bleiben. Mit den ungestillten Ansprüchen eines großen aber zerrütteten Vermögens war man zu allen Übergriffen bereit, und man bekam nach Sallusts Ausdruck eine Generation zu sehen, die keinen Erbbesitz haben, aber auch nicht dulden konnte, daß andere einen hätten.

Jedoch, so groß auch die Verderbnis Roms gewesen sein mag, sie genügt nicht, um das Auftreten aller Übel zu erklären. Denn die Stärke seiner Verfassung war doch so groß, daß es eine heroische Kraft bewahrt hatte sowie seine alte Hingabe an den Krieg inmitten aller Reichtümer und weichlichen Wohllebens – was, wie ich glaube, kein anderes Volk der Welt sich nachrühmen kann.

Die römischen Bürger betrachteten den Handel und die Künste wie Beschäftigungen für Sklaven; sie selbst übten sie nicht aus. Gab es Ausnahmen, so waren es Freigelassene, die ihr ursprüngliches Gewerbe fortsetzten. Aber im allgemeinen kannten sie nur die Kriegskunst, die einzig den Weg zu Amt und Würden bereitete. So blieben denn die kriegerischen Tugenden, nachdem man bereits alle anderen verloren hatte.

Kapitel 11.
Sulla, Pompejus und Cäsar.

Sulla gab Gesetze, die sehr geeignet waren, den Unruhen, die man hatte erleben müssen, ein Ende zu setzen: sie stärkten das Ansehen des Senates, mäßigten die Machtbefugnisse des Volkes, regelten die der Tribunen. Der sonderbare Einfall, der ihn plötzlich die Diktatur niederlegen ließ, schien der Republik das Leben wiederzugeben. Aber in der Erregung seiner Erfolge hatte er Dinge getan, die es Rom unmöglich machten, seine Freiheit zu wahren.

Auf seinem Feldzug in Asien vernichtete er die ganze Mannszucht: er gewöhnte das Heer ans Plündern und gab ihm Bedürfnisse, die es niemals vorher gehabt hatte. Er verdarb die Soldaten, wie sie später ihre Führer verderben sollten.

In Rom rückte er mit bewaffneter Hand ein und lehrte so die römischen Feldherrn, die Heimstätte der Freiheit verletzen.

Er gab die Landgüter der Bürger an seine Soldaten und machte diese für allezeit habgierig. Denn von diesem Augenblick an gab es keinen Krieger, der nicht auf die Gelegenheit wartete, die den Besitz der Bürger in seine Hände geben würde.

Er erfand die Proskriptionen und setzte einen Preis auf den Kopf derer, die nicht zu seiner Partei gehörten. Von da an wurde es unmöglich, sich enger an die Republik anzuschließen. Denn zwischen zwei ehrgeizigen und um den Sieg ringenden Männern konnten die, welche neutral blieben und die Partei der Freiheit nahmen, sich darauf verlassen, daß sie von dem schließlichen Sieger proskribiert werden würden. Drum war es ratsam, sich einem der beiden anzuschließen.

Nach ihm, sagt Cicero, kam ein Mann (Cäsar), der in einer gottlosen Sache und nach einem noch schmählicheren Siege nicht nur Privatbesitz konfiszierte, sondern dasselbe Leiden auch ganzen Provinzen auferlegte.

Da die Republik untergehen mußte, kam es nur noch darauf an, wie und durch wen sie niedergeworfen werden würde.

Zwei Männer, an Ehrgeiz gleich, nur daß der eine nicht so grade auf sein Ziel loszugehen verstand wie der andere, stellten durch ihren Kredit, ihre Taten und ihre Fähigkeiten alle anderen Bürger in den Schatten. Pompejus kam zuerst, Cäsar folgte ihm unmittelbar.

Pompejus ließ, um sich die öffentliche Gunst zu erwerben, die Gesetze Sullas kassieren, die des Volkes Machtbefugnisse einschränkten, und nachdem er so die für sein Vaterland höchst heilsamen Gesetze seinem Ehrgeiz geopfert hatte, erreichte er alles, was er wollte, und die Unüberlegtheit des Volkes ihm gegenüber kannte keine Grenzen mehr.

Weise hatten die Gesetze Roms die öffentliche Gewalt unter eine große Zahl von Beamtungen geteilt, die einander stützten, hemmten und beaufsichtigten. Und da sie alle nur eine beschränkte Befugnis hatten, war jeder Bürger für sie geeignet, und das Volk, das nacheinander im selben Amt mehrere Persönlichkeiten an sich vorüberziehen sah, gewöhnte sich an keine einzelne. Aber in dieser Zeit wechselte das System. Die Mächtigsten ließen sich vom Volke außerordentliche Aufträge geben. Das vernichtete die Autorität des Volkes und der Beamten und legte alle großen Staatsgeschäfte in die Hand eines einzelnen oder einiger wenigen.

Handelt es sich um den Krieg gegen Sertorius, so beauftragt man Pompejus mit seiner Führung; gegen Mithridates – so schreit alle Welt nach Pompejus. Bedarf man einer gesteigerten Kornzufuhr nach Rom, so hält sich das Volk für verloren, wenn man nicht Pompejus damit beauftragt. Sollen die Seeräuber vernichtet werden, so gibt's keinen anderen dafür als Pompejus. Und als Cäsar mit dem Einmarsch in Italien droht, schreit auch der Senat und sieht alles Heil nur in Pompejus.

Rom, das geschaffen war, um zu wachsen, hatte auf dieselben Personen Ehre und Macht häufen müssen, was in unruhigen Zeiten die Bewunderung des Volkes auf einen einzelnen Bürger lenken konnte.

Bewilligt man Ehren, so weiß man genau, was man gibt. Fügt man die Macht hinzu, so weiß niemand, wozu sie gebraucht werden wird.

Übertriebene Bevorzugung, die in einer Republik einem einzelnen Bürger bewilligt wird, hat immer eine unvermeidliche Folge: sie weckt den Neid des Volkes oder sie vermehrt seine Gunst über das Maß.

Zweimal stand Pompejus bei seiner Rückkehr nach Rom vor der Möglichkeit, der Republik ein Ende zu machen, und beidemal fand er die Selbstüberwindung, sein siegreiches Heer vor dem Einzuge zu entlassen und Roms Boden nur als schlichter Bürger zu betreten. Diese beiden Handlungen überhäuften ihn mit Ruhm und bewirkten, daß, wenn er in der Folge etwas unter Durchbrechung der Gesetze getan hatte, der Senat sich immer für ihn erklärte.

Pompejus hatte einen langsameren und vorsichtigeren Ehrgeiz als Cäsar. Dieser wollte mit den Waffen in der Hand, wie Sulla, zur Höhe der Macht schreiten. Pompejus aber mochte diese Art zu unterdrücken nicht. Er strebte nach der Diktatur, aber er wollte sie einer Abstimmung des Volkes verdanken. Zu einer Usurpation der Macht konnte er sich nicht entschließen, er hätte gewünscht, daß man sie ihm freiwillig in die Hände lege.

Da die Volksgunst niemals beständig ist, kamen Zeiten, wo Pompejus seinen Einfluß sinken sah, und was ihn sehr empfindlich berührte, Leute, die er verachtete, steigerten den ihren und benutzten ihn gegen ihn selbst.

Das veranlaßte ihn zu drei verhängnisvollen Schritten. Er bestach das Volk mit Geld und stellte so für die Wahlen den Preis der Stimme jedes Bürgers fest. Er bediente sich ferner des niedrigsten Volkshaufens, um die Beamten in ihren Funktionen zu stören, in der Hoffnung, daß die verständigen Leute, der Anarchie überdrüssig, ihn aus Verzweiflung zum Diktator wählen würden. Schließlich vereinigte er sich auf Grund gemeinsamer Interessen mit Cäsar und Sulla. Cato pflegte zu sagen, daß nicht die Feindschaft dieser drei die Republik gestürzt hätte, sondern ihre Einigkeit. In der Tat befand sich Rom in der unglücklichen Lage, daß ihm die Bürgerkriege weniger Druck verursachten als der Frieden, der, indem er die Absichten und Interessen der Führer vereinigte, sich in eine einzige Tyrannis verwandelte.

Pompejus lieh Cäsar nicht gerade seinen Einfluß, aber er opferte ihm denselben, ohne es zu wissen. Bald brauchte Cäsar die Macht, die er von ihm empfangen hatte, gegen ihn, ja sogar seine eigenen Kunstgriffe: er versetzte die Stadt durch seine Sendlinge in Unruhen und machte sich zum Herrn der Wahlen. Konsuln, Prätoren, Tribunen wurden nach eigener Einschätzung von ihm erkauft.

Der Senat, der Cäsars Pläne klar durchschaute, suchte an Pompejus Rückhalt. Er bat ihn, die Verteidigung der Republik zu übernehmen, wenn man mit dem Namen Republik noch eine Regierung bezeichnen kann, die einen ihrer Bürger um Schutz anfleht.

Ich glaube, was Pompejus vor allem stürzte, war, daß er sich innerlich seines eigenen Mangels an Scharfblick schämte, den er dadurch bewiesen hatte, daß er Cäsar in die Höhe half, wie er es getan. Er gewöhnte sich so spät wie möglich an diese Vorstellung. Er rüstete sich zu spät zum Widerstande, um nicht eingestehen zu müssen, daß er sich selbst in Gefahr begeben habe. Er vertrat vor dem Senat die Ansicht, Cäsar würde gar nicht wagen, Krieg anzufangen, und weil er es so oft gesagt hatte, sagte er es immer wieder.

Es scheint, daß ein Umstand Cäsar befähigt hat, alles zu wagen, nämlich daß man, verleitet durch eine unselige Namensgleichheit, ihm zu Gallia cisalpina auch noch Gallia transalpina übertragen hatte.

Die Politik hatte nicht erlaubt, daß in Roms Nähe eine bewaffnete Macht stände. Doch hatte sie auch nicht die völlige militärische Entblößung Italiens zugelassen. Darum hielt man bedeutende Truppen in Gallia cisalpina, d. h. in dem Lande, das von dem Rubicon, einem kleinen Fluß der Romagna, bis zu den Alpen reichte. Aber um Rom gegen diese Heere zu schützen, faßte man jenen berühmten Senatsbeschluß, den man noch heute auf dem Wege von Ariminum nach Cesenna sieht, durch den man den unterirdischen Göttern weihte und als Tempelschänder und Vatermörder erklärte, wer mit einer Legion, einem Heere oder einer Kohorte über den Rubicon gehen würde.

Mit einem so wichtigen Kommando, das die Stadt in Schach hielt, verband man ein noch bedeutenderes, das des transalpinischen Galliens, das den südlichen Teil von Frankreich umfaßte. Dies gab Cäsar die Möglichkeit, jahrelang mit beliebigen Völkern Krieg zu führen, und ließ seine Soldaten mit ihm ergrauen: sie eroberte er nicht minder als die Barbaren. Wenn Cäsar nicht das Imperium von Gallia transalpina gehabt hätte, hätte er seine Soldaten gar nicht so in seine Gewalt gebracht und seinem Namen nicht den Glanz so vieler Siege verliehen. Hätte er das cisalpinische nicht gehabt, würde Pompejus ihn beim Alpenübergang haben festhalten können, statt gezwungen zu sein, Italien gleich zu Beginn des Krieges aufzugeben. Letzteres aber brachte ihn in den Augen seiner Partei um sein Ansehen, das in Bürgerkriegen gleichbedeutend mit Macht ist.

Denselben Schrecken, den Hannibals Zug auf Rom nach der Schlacht von Cannä verbreitete, brachte Cäsars Übergang über den Rubikon. Pompejus sah im Entsetzen des ersten Augenblicks gar keinen anderen Ausweg als den, der allein in ganz verzweifelten Lagen bleibt. Er wußte nichts Besseres als zu weichen und zu fliehen. Er verließ Rom, ließ aber den Staatsschatz dort. Aufhalten konnte er den Sieger nicht. Er ließ einen Teil seiner Truppen, ganz Italien im Stich und fuhr über das Meer.

Man spricht so viel von Cäsars Glück. Aber dieser außerordentliche Mann hatte so zahlreiche große Eigenschaften ohne einen einzigen Fehler, obschon er manches Laster besaß, daß es, welches Heer er auch kommandieren mochte, seltsam hätte zugehen müssen, wenn er nicht Sieger geblieben wäre, und wenn er nicht geherrscht hätte, in welcher Republik er auch geboren gewesen wäre.

Nachdem Cäsar die Unterfeldherrn des Pompejus in Spanien geschlagen hatte, ging er nach Griechenland, um ihn selbst aufzusuchen. Pompejus, der die Seeküste in seiner Gewalt hatte und überlegene Streitkräfte besaß, war auf dem Punkt, Cäsars Heer durch Hunger und Not untergehen zu sehen. Aber da er in hervorragender Weise die Schwäche besaß, auf anderer Billigung nicht verzichten zu können, konnte er nicht umhin, dem leeren Gerede seiner Leute ein williges Ohr zu leihen, die ihn unaufhörlich verspotteten oder anklagten. Er will, sagte der eine, seinen Oberbefehl ins Endlose ausdehnen und wie Agamemnon der König der Könige sein. – Ich mache euch darauf aufmerksam, sagte der andere, daß wir dies Jahr noch keine Feigen in Tuskulum essen werden. Einige besondere Erfolge, die er hatte, verdrehten dieser Senatorengesellschaft ganz den Kopf. So tat er, um dem Tadel zu entgehen, etwas, was die Nachwelt immer tadeln wird: er gab so viele Vorteile auf, um mit seinen kriegsungewohnten Truppen einem Heere entgegenzutreten, das schon so oft gesiegt hatte.

Als nach Pharsalus die Überreste des Heeres sich nach Afrika zurückgezogen hatten, mochte Scipio, der sie befehligte, Catos Rat, den Krieg hinzuziehen, nicht befolgen. Übermütig geworden durch einige errungene Vorteile, wagte er alles und verlor alles. Und als Brutus und Cassius die Partei wieder herstellten, vernichtete dieselbe unüberlegte Übereilung die Republik ein drittes Mal.

Man muß beachten, daß während dieser so langdauernden Bürgerkriege Roms Macht nach außen ununterbrochen wuchs. Unter Marius, Sulla, Pompejus, Cäsar, Antonius, Augustus vollendete Rom, von Jahr zu Jahr furchtbarer werdend, die Vernichtung der Könige, die noch übrig waren.

Es gibt keinen Staat, der andere derartig mit einem Eroberungszuge bedroht, wie der, den die Schrecken des Bürgerkrieges durchtoben. Jedermann, Adliger, Bürgerlicher, Bauer, Arbeiter wird Soldat, und wenn die Kräfte im Frieden geeint sind, hat dieser Staat große Vorteile über die andern, die nur friedliche Bürger besitzen. Übrigens bilden sich gerade in Bürgerkriegen große Männer, weil, wer besondere Begabung besitzt, sich in der allgemeinen Verwirrung leichter Platz schafft. Jeder nimmt und besetzt seine Stelle selbst, während man in andern Zeiten hingestellt wird – und fast immer ganz verkehrt hingestellt wird.

Endlich war die Republik unterdrückt und man muß nicht den Ehrgeiz einzelner dafür verantwortlich machen. Den Menschen überhaupt muß man dafür verantwortlich machen, der um so mehr nach Macht verlangt, je mehr er hat, und der nur darum alles begehrt, weil er viel hat.

Hätten Cäsar und Pompejus wie Cato gedacht, so hätten andere so gedacht, wie Cäsar und Pompejus es taten, und die Republik, zum Untergang bestimmt, wäre durch eine andere Hand in den Abgrund gerissen worden.

Cäsar erließ eine allgemeine Amnestie. Aber mir scheint, daß Maßhalten, wenn man es zeigt, nachdem man sich alles widerrechtlich angeeignet hat, kein großes Lob verdient.

Was man auch von Cäsars Eifer nach Pharsalus gesagt hat, Cicero wirft ihm mit Recht Langsamkeit vor. Er sagte zu Cassius, sie hätten niemals geglaubt, daß die Senatspartei in Spanien und Afrika wieder so in die Höhe kommen würde, und wenn sie hätten voraussehen können, daß Cäsar sich so in seinen alexandrinischen Krieg vertiefen würde, so würden sie niemals Frieden geschlossen und sich mit Scipio und Cato nach Afrika zurückgezogen haben. So lud ihm eine törichte Liebesleidenschaft vier Kriege auf den Hals, und indem er den letzten beiden nicht zuvorkam, stellte er alles noch einmal in Frage, was schon zu Pharsalus entschieden worden war.

Cäsar regierte zunächst unter dem Titel der alten Beamtungen. Denn die Menschen hängen kaum an etwas anderem so wie an Namen. Und wie die Asiaten die Namen Konsul und Prokonsul, so haßten die europäischen Völker den Namen König, so daß um diese Zeit diese Namen das Glück und das Unglück der Erde ausmachten. Doch dauerte es nicht lange und Cäsar versuchte, sich die Königskrone aufsetzen zu lassen. Als er aber merkte, daß das Volk seine Beifallsbezeugungen einstellte, wies er sie zurück. Er machte noch andere Versuche und ich kann nicht begreifen, wie er glauben konnte, die Römer würden, bloß um ihn als Tyrannen zu dulden, sich eine Liebe zur Tyrannis angewöhnen oder das getan zu haben glauben, was sie getan hatten.

Eines Tages, als ihm der Senat gewisse Ehrenbezeugungen erwies, unterließ er es, sich zu erheben. Seit diesem Augenblick verloren die ruhigsten Männer in dieser Körperschaft vollständig ihre Geduld.

Man kränkt Menschen niemals tiefer, als wenn man ihren Zeremonien und ihren Gebräuchen zuwider handelt. Wenn man sie zu unterdrücken sucht, so ist das manchmal in gewissem Sinne ein Beweis von Achtung ihnen gegenüber. Mißachtet man ihre Gebräuche, so ist das immer ein Beweis von Geringschätzung.

Cäsar, der seit jeher ein Feind des Senates gewesen war, konnte seine steigende Verachtung gegen diese Körperschaft nicht verhehlen: sie war beinahe lächerlich geworden, seitdem sie keine Macht mehr hatte. Dadurch wurde nun aber selbst seine Milde kränkend. Man sah, daß er nicht verzieh, sondern es nur nicht der Mühe wert hielt, zu strafen.

Man weiß nicht recht, wie Cäsar sein Leben hätte verteidigen sollen. Denn die Mehrzahl der Verschwörer gehörten zu seiner Partei oder waren von ihm mit Wohltaten überhäuft worden. Und diese Erscheinung ist ganz natürlich und wohlbegründet. In seinem Siege hatten sie große Vorteile gefunden. Aber je besser ihr Geschick wurde, um so fühlbarer wurde ihnen das allgemeine Unglück. Denn für einen Menschen, der nichts hat, ist es bis zu einem gewissen Grade gleichgültig, unter was für einer Regierung er lebt.

Außerdem gab es eine gewisse völkerrechtliche Anschauung, die in allen Republiken Griechenlands und Italiens Geltung hatte, nach der als ein besonders namhafter Held der Mörder dessen angesehen wurde, der sich die höchste Gewalt widerrechtlich angemaßt hatte. In Rom besonders war seit Vertreibung der Könige das Gesetz klar und die Beispiele anerkannt: die Republik bewaffnete den Arm eines jeden Bürgers, machte ihn für den Augenblick zu ihrem Beamten und übertrug ihm ihre Verteidigung.

Es war somit eine übergewaltige Vaterlandsliebe, die jenseits der Grenze von Tugend und Verbrechen nur auf sich selbst hörte und weder Bürger noch Freund, noch Wohltäter, noch Vater ansah. Die Tugend schien sich zu vergessen, um sich selbst zu übertreffen, und die Handlung, die man zunächst nicht billigen konnte, weil sie zu schrecklich war, die ließ sie bewundern als göttlich.

Kapitel 12.
Roms Zustände nach Cäsars Tode.

Es war derartig unmöglich, daß die Republik wieder ins Leben gerufen würde, daß eintrat, was man noch niemals gesehen hatte: es gab keine Tyrannen mehr und es gab keine Freiheit mehr, denn die Ursachen, die diese zerstört hatten, bestanden noch immer.

Die Verschworenen hatten einen Plan nur für die Verschwörung gemacht, keinen jedoch, um sie aufrecht zu erhalten.

Nach seiner Ermordung herrschte der Diktator noch unumschränkter als während seines Lebens. (Dank dem geschickten Verfahren des Antonius wurden alle seine hinterlassenen Anordnungen ausgeführt oder in seinem Sinne ergänzt. Im System trat keine Veränderung ein.)

Cicero war, um seinen persönlichen Feind Antonius zu vernichten, auf den unglücklichen Gedanken verfallen, auf die Erhebung des Oktavius hinzuarbeiten; und statt zu suchen, das Volk Cäsar vergessen zu machen, hatte er ihn ihm so wieder vor Augen gestellt.

Oktavius benahm sich Cicero gegenüber sehr geschickt. Er schmeichelte ihm, lobte ihn, befragte ihn und brauchte alle die Kunstgriffe, auf die Eitelkeit immer hereinfällt.

Was fast alle Unternehmungen verdirbt, ist die sehr verbreitete Schwäche der Unternehmer, neben dem großen Hauptziele gewisse kleine persönliche Erfolge anzustreben, die ihrer Eigenliebe schmeicheln und sie mit Selbstzufriedenheit erfüllen.

Ich glaube, daß, wenn Cato sich für die Republik erhalten hätte, er den Dingen eine ganz andere Wendung gegeben hätte. Bei all seiner bewundernswerten Begabung für eine zweite Rolle war Cicero unfähig, eine erste zu spielen. Er hatte ein schönes Talent, aber eine oft recht gewöhnliche Seele. Cicero war die Tugend etwas Nebensächliches, Cato der Ruhm. Cicero drängte sich immer vor, Cato dachte nie an sich. Dieser wollte die Republik um ihrer selbst willen retten, jener, um sich dessen eitel berühmen zu können.

Ich könnte die Parallele fortsetzen und sagen, daß da, wo Cato voraussah, Cicero sich fürchtete, daß da, wo Cato hoffte, Cicero sich blindlings verließ, der erstere die Dinge immer kalten Blicks, der letztere immer nur durch den Schleier tausend kleiner Leidenschaften sah.

Antonius wurde in Mutina besiegt. Hier starb der eine gegen ihn geschickte Konsul, Hirtius; der zweite, Pansa, fiel. Oktavianus blieb übrig, und als der Senat, der sich für den Herrn der Lage hielt, Oktavianus erniedrigen wollte, stellte dieser sein Vorgehen gegen Antonius ein, zog nach Rom und ließ sich zum Konsul erklären.

So hatte Cicero, der sich gerühmt hatte, daß seine bürgerliche Toga die Heere des Antonius geschlagen hätte, der Republik einen noch gefährlicheren Feind gegeben, weil der Name des Oktavianus – C. Julius Cäsar Oktavianus hieß er als Adoptivsohn Cäsars – beliebter und seine Ansprüche dem Anschein nach begründeter waren.

Der geschlagene Antonius war nach Gallia transalpina geflüchtet und hatte bei Lepidus Aufnahme gefunden. Diese beiden Männer vereinigten sich mit Oktavianus und schenkten sich gegenseitig das Leben ihrer Freunde und ihrer Feinde. Das war das zweite Triumvirat (43). Lepidus blich in Rom. Die beiden zogen Brutus und Cassius entgegen und trafen sie in jener Ebene, wo man dreimal um die Weltherrschaft gestritten hat (Philippi in Thracien, dem Lande, wo schon Perser und Griechen einander begegnet waren und 48 Pompejus von Cäsar geschlagen worden war).

Brutus und Cassius endeten ihr Leben freiwillig in einer Überstürzung, die gar nicht zu entschuldigen ist, und man kann davon nicht lesen, ohne die Republik zu bemitleiden, die so schnell aufgegeben wurde. Cato hatte sich am Schluß der Tragödie den Tod gegeben, jene beiden begannen die Tragödie gewissermaßen mit dem ihren.

Für die bei den Römern so allgemeine Gewohnheit, sich das Leben zu nehmen, kann man verschiedene Ursachen aufzeigen. Dahin gehört die immer mehr um sich greifende Lehre der Stoiker, die dazu ermutigte, die Einrichtung des Triumphes, bei dem der Besiegte aufgeführt wurde, und der Sklaverei, was mehreren großen Männern den Gedanken eingab, daß man seine Niederlage nicht überleben dürfe; der Vorzug, den der Selbstmord einem Angeklagten gab, indem dann weder eine Verurteilung seinen Namen befleckte noch seine Güter eingezogen wurden; ein gewisses Ehrgefühl, das vernünftiger ist als dasjenige, das uns dazu treibt, einen Freund für eine Bewegung oder ein Wort zu vernichten; endlich eine große Annehmlichkeit für das Heldentum, da jeder dem Stück, in dem er eine Rolle spielte, da ein Ende machte, wo er wollte.

Als allgemeinen Grund könnte man noch die große Leichtigkeit der Ausführung hinzufügen. Unsere Seele ist in jenem Augenblick ganz erfüllt von der Handlung, zu der sie sich rüstet, von dem sie bestimmenden Beweggrund, von der zu vermeidenden Gefahr, und sieht, genau gesprochen, den Tod gar nicht, weil Leidenschaft wohl empfinden, aber niemals sehen läßt.

Unsere Eigenliebe und unser Selbsterhaltungstrieb nimmt so mannigfaltige Gestalten und so viel verschiedene Formen an, handelt aus so verschiedenen Gründen, daß sie uns dazu treibt, unser Selbst aus Liebe zu unserem Selbst aufzuopfern. Und so große Bedeutung messen wir unserem Selbst bei, daß wir einwilligen, nicht mehr zu leben, nur aus einem dunklen Naturtrieb, der bewirkt, daß wir uns mehr lieben als sogar unser Leben.

Es ist sicher, daß die Menschen weniger frei geworden sind, weniger mutig, weniger zu großen Unternehmungen aufgelegt, als sie früher waren, wo man noch durch diese Form der Selbstbestimmung über sein Leben jeden Augenblick sich jeder anderen Macht entziehen konnte.

Kapitel 13.
Augustus.

(31 vor Chr. bis 14 nach Chr.)

Die Verschworenen hatten fast alle ein unglückliches Ende genommen, und es war auch sehr natürlich, daß Angehörige einer Partei, die so oft in Kriegen, in denen man keinen Pardon gab, geschlagen war, eines gewaltsamen Todes starben. Jedoch schloß man aus diesem Umstande auf eine himmlische Rache, welche die Mörder Cäsars bestrafte und ihre Sache ächtete.

Ich glaube, daß Oktavianus der einzige aller römischen Feldherrn ist, der seiner Soldaten Zuneigung gewann, obschon er ihnen unaufhörlich Beweise einer angeborenen Feigheit gab. Zu jener Zeit schätzten die Soldaten die Freigebigkeit ihres Feldherrn höher als seinen Mut. Vielleicht war es sogar ein Glück für ihn, nicht diese Tapferkeit zu besitzen, die gewiß die Herrschaft verleihen kann, und möglicherweise gab ihm gerade der Umstand die Herrschaft, daß man ihn weniger fürchtete. Es ist nicht unmöglich, daß die Eigenschaften, die ihn am wenigsten ehren, ihm am besten dienten. Wenn er gleich am Anfang eine große Seele gezeigt hätte, würden ihm alle mißtraut haben, und wenn er rasch und kühn zugegriffen hätte, würde er Antonius nicht die Zeit zu all den Abirrungen gelassen haben, die ihn zugrunde richteten.

Was in diesen Bürgerkriegen überrascht, ist die Tatsache, daß eine einzige Schlacht fast immer alles entschied und eine Niederlage nicht wieder ausgeglichen werden konnte.

Die römischen Soldaten hatten keinen ausgesprochenen Parteistandpunkt. Sie kämpften nicht für eine bestimmte Sache, sondern für eine bestimmte Person. Sie kannten nur ihren Führer, der sie durch maßlose Verheißungen gewann. War der Führer geschlagen und darum nicht mehr imstande, seine Versprechungen zu erfüllen, so wandten sie sich einem andern zu. Auch die Provinzen nahmen an diesen Kämpfen keinen inneren Anteil, denn es war ihnen sehr gleichgültig, wer die Oberhand behielt, Senat oder Volk. Drum, wenn der eine Führer geschlagen war, fielen sie einem andern zu. Denn jede Stadt mußte darauf denken, sich vor dem Sieger zu rechtfertigen, der seinen Soldaten das Land und die Schuldigsten opfern mußte, weil er ihnen gegenüber maßlose Versprechungen zu erfüllen hatte.

Augustus – diesen Namen gab Schmeichelei dem Oktavianus – stellte die Ordnung wieder her, das besagte: eine dauerverheißende Knechtschaft. Denn in einem freien Staate, in dem die Herrschaft durch Usurpation begründet worden ist, nennt man Ordnung alles, was die unbeschränkte Autorität eines einzelnen zu begründen imstande ist; Unordnung, Zwietracht, schlechte Regierung dagegen alles, was die ehrenvolle Freiheit der Untertanen aufrecht zu erhalten vermag.

Alle Männer, die ehrgeizige Absichten gehabt hatten, hatten darauf hingearbeitet, eine Art Anarchie in der Republik zu erzeugen. Pompejus Crassus und Cäsar verstanden das ausgezeichnet. Sie gewährten allen Staatsverbrechen Straflosigkeit. Alles, was die Sittenverderbnis aufhalten konnte, alles, was eine gute Polizei unterstützte, das schafften sie ab, und wenn gute Gesetzgeber danach streben, ihre Mitbürger besser zu machen, arbeiteten diese daran, sie schlechter zu machen. So führten sie denn die Gewohnheit ein, das Volk zu bestechen, und wenn man der Umtriebe angeklagt war, bestach man auch die Richter. Sie ließen die Wahlen durch allerhand Gewalttaten stören, und wenn man vor Gericht gezogen wurde, terrorisierte man auch die Richter.

Diese ersten Männer der Republik suchten dem Volke seine Macht zu verekeln, und um sich unentbehrlich zu machen, trieben sie die Unzuträglichkeiten einer republikanischen Regierung aufs äußerste. Sobald Augustus aber erst einmal der Herr war, begann er aus Politik die Ordnung wieder herzustellen, um das Glück einer Einzelherrschaft fühlbar zu machen.

Wenn Augustus die Waffen in der Hand hatte, fürchtete er die Revolten seiner Soldaten und nicht die Verschwörungen der Bürger; darum schonte er die ersteren und war so grausam gegen die andern. Wenn er im Frieden war, fürchtete er die Verschwörungen, und da er Cäsars Schicksal immer vor Augen hatte, gedachte er von dessen Verfahren abzuweichen. Das ist der Schlüssel zu dem ganzen Leben des Augustus. Er trug im Senat einen Panzer unter seinem Gewande, er lehnte den Titel Diktator ab, und während Cäsar rücksichtslos aussprach, daß die Republik nichts wäre und seine Worte Gesetzeswert hätten, redete Augustus immer nur von der Würde des Senats und seiner Hochachtung vor der Republik. Er gedachte also eine Regierungsform einzusetzen, die möglichst allgemeinen Beifall fände, ohne doch seine Interessen zu schädigen, und er schuf eine solche, die hinsichtlich der bürgerlichen Verhältnisse aristokratisch, hinsichtlich der militärischen monarchisch war – ein Zwittergebilde, das, da es sich nicht auf seine eigene innere Stärke stützte, keinen Bestand haben konnte, sobald es dem Monarchen nicht mehr gefiel, und das folglich im Kern monarchisch war.

(Des Augustus alle zehn Jahre wiederkehrendes Anerbieten, die Herrschaft niederzulegen, war nicht ehrlich gemeint und konnte es nicht sein.) Das waren so kleine Feinheiten, um sich von neuem geben zu lassen, was er noch nicht sicher genug erworben zu haben meinte. – Sulla, ein stürmischer Charakter, führte die Römer gewaltsam zur Freiheit. Augustus, ein verschlagener Tyrann – dies Wort im antiken Sinne genommen, leitete sie sanft und unmerklich zur Knechtschaft. Während die Republik unter Sulla wieder an Stärke gewann, schrie alles über Tyrannei, und während sich unter Augustus die Tyrannis kräftigte, sprach man von nichts als von der Freiheit.

Während es unter der Republik Grundsatz war, ununterbrochen im Kriege zu leben, so war es unter den Kaisern Grundsatz, Frieden zu halten. Siege galten als Gegenstand der Beunruhigung, in Rücksicht auf die damaligen Heere, die ihre Dienste leicht zu hoch einschätzen konnten.

Wer ein Kommando hatte, scheute vor zu großen Unternehmungen zurück. Man mußte den Glanz seines Ruhmes dämpfen, um nicht aufzufallen und die Eifersucht des Fürsten zu erregen.

Augustus war sehr zurückhaltend in Erteilung des Bürgerrechts. Er erließ Gesetze gegen übermäßige Freilassungen von Sklaven. In seinem Testament empfahl er die Befolgung dieser beiden Grundsätze sowie drittens, daß man das Reich nicht durch neue Kriege noch weiter ausdehne. Diese Dinge standen auch in engem Zusammenhange. Wenn es keine Kriege mehr gab, bedurfte man weder neue Bürger noch neue Freigelassene.

Unter dem Vorwande einiger bei den Wahlen vorgekommener Unruhen legte Augustus eine Garnison unter einem Kommandanten in die Stadt (der Præfectus urbis und die Prätorianer). Die Legionen erhob er zu ständigen Korps, legte sie an die Grenzen und gründete einen besonderen Fonds, um sie zu löhnen. Endlich bestimmte er, daß die Veteranen ihre Belohnungen in Geld und nicht in Landbesitz erhalten sollten.

Aus den seit Sulla üblichen Landverteilungen entstanden nämlich verschiedene üble Folgen. Die Sicherheit des Landbesitzes der Bürger war in Frage gestellt. Wenn man die Soldaten derselben Kohorte nicht in derselben Gegend ansiedelte, wurden sie ihres Besitzes bald überdrüssig, ließen ihre Äcker unbebaut und wurden gefährliche Bürger. Verteilte man sie nach Legionen, so konnten Ehrgeizige im Handumdrehen ein Heer gegen die Republik aufstellen.

Auch für die Marine schuf Augustus feste Grundlagen. Vor ihm hatten die Römer kein stehendes Landheer und keine ständige Flotte. Die von Augustus geschaffene hatte vor allen Dingen den Zweck, die Transporte zu sichern und die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen des Reiches aufrecht zu erhalten. Denn sonst waren die Römer unbestrittene Herren des Mittelländischen Meeres. Nur auf diesem gab es größeren Schiffsverkehr und da hatten sie keinen Feind zu fürchten.

Dio Cassius bemerkt sehr richtig, daß es seit der Kaiserzeit schwerer war, die Geschichte Roms zu schreiben. Alles wurde geheim. Alle Berichte aus den Provinzen wurden in das Kabinett des Kaisers eingeliefert. Was die Torheit oder die Kühnheit der Tyrannen nicht verheimlichen wollte, erfuhr man, sonst nichts außer dem, was die Geschichtschreiber an Vermutungen aufstellten.

Kapitel 14.
Tiberius.

(14-37 n. Chr.)

Wie man einen Fluß langsam und geräuschlos die Dämme, die man ihm entgegenstellt, untergraben sieht, um sie endlich in einem Augenblick umzuwerfen und die Felder, die sie schützten, zu überschwemmen, also arbeitete die souveräne Macht unter Augustus unmerklich und stürzte dann unter Tiberius die republikanische Freiheit mit Heftigkeit ganz.

(Es wird dann von den zunehmenden Majestätsbeleidigungsprozessen und der knechtischen Gesinnung des Senates gesprochen. Dann fährt Montesquieu fort:)

Doch scheint es nicht, daß Tiberius den Senat habe entwürdigen wollen. Er beklagte sich über nichts mehr, als über die Hinneigung dieser Körperschaft zu knechtischer Gesinnung. Sein ganzes Leben ist erfüllt von den Äußerungen seines Ekels darüber. Aber er war, wie die meisten Menschen sind, er wollte unvereinbare Dinge, seine allgemeine Politik stand nicht im Einklang mit seinen persönlichen Leidenschaften. Er hätte schon einen freien Senat gewünscht, der imstande gewesen wäre, seiner Regierung Achtung zu verschaffen. Aber er wollte zugleich einen Senat, der in jedem Augenblick seinen, des Kaisers, Befürchtungen, seiner Eifersucht und seinem Haß zur Verfügung stand. Kurz, der Staatsmann trat unaufhörlich hinter dem Menschen zurück.

(Die Kaiser bekleideten sich auch mit dem Tribunat und machten sich so dessen » sacrosanctitas», dessen Unverletzlichkeit, zunutze. Freilich fußten darauf auch alle Anklagen wegen Majestätsbeleidigung.)

Ich kann indessen nicht glauben, daß einige dieser Anklagen so lächerlich waren, wie sie uns heute scheinen. Ich kann mir nicht denken, daß Tiberius einen Mann anklagen ließ, weil er mit seinem Hause zugleich auch die Statue des Kaisers verkauft hatte; daß Domitian eine Frau zu Tode verurteilen ließ, weil sie sich vor seinem Bilde ausgezogen hatte, und einen Bürger, weil er eine Darstellung der ganzen Erde auf die Mauern seines Zimmers hatte malen lassen – vorausgesetzt, daß diese Wandlungen in der Seele eines Römers genau die Vorstellungen erweckt haben, die sie jetzt in uns wachrufen. Ich glaube, daß ein Teil davon darauf beruhte, daß manches, was uns heute bedeutungslos erscheint, nach dem damals eingetretenen Wechsel der Regierungsform wohl von Folgen sein konnte.

Ich darf nichts übergehen, was dazu dient, den Geist des römischen Volkes zu beleuchten. Es hatte sich derartig daran gewöhnt, zu gehorchen und sein ganzes Glück von der Verschiedenheit seiner Herren abhängen zu sehen, daß es nach dem Tode des Germanikus (von dem man im Gegensatz zu Tiberius eine liberale Regierung erwartete) Zeichen der Trauer, des Kummers und der Verzweiflung gab, wie wir sie nicht mehr gewohnt sind. Man muß nur bei den Geschichtschreibern nachlesen, wie groß, wie langdauernd, wie wenig maßvoll die öffentliche Trostlosigkeit gewesen ist. Und das war nicht gespielt. Ein ganzes Volk verstellt sich nicht, schmeichelt nicht, noch heuchelt.

Das römische Volk, das an der Regierung keinen Anteil mehr hatte und sich fast nur aus Freigelassenen oder Beschäftigungslosen zusammensetzte, die auf Staatskosten lebten, kannte kein anderes Gefühl als das seiner Ohnmacht. So glich es in den Bezeugungen seines Kummers den Kindern und Frauen, die trostlos zu sein pflegen durch das Gefühl ihrer Schwäche. Das Volk war in bedrängter Lage, es setzte seine Furcht und seine Hoffnung auf die Person des Germanikus, und als dieser ihm genommen war, verfiel es in Verzweiflung.

Niemand fürchtet sich so vor Unglücksfällen als grade die, welche in ihrer elenden Lage eine Beruhigung finden könnten und mit Andromache sagen sollten: »Wollte Gott, ich könnte noch etwas fürchten!« Es gibt heute in Neapel fünfzigtausend Menschen, die nur von Kraut leben und als einzigen Besitz nur die Hälfte eines leinenen Kittels ihr eigen nennen. Diese Leute, die elendesten der Erde, verfallen bei dem geringsten Rauchwölkchen des Vesuvs der schrecklichsten Niedergeschlagenheit. Sie haben die Dummheit, zu fürchten, sie könnten unglücklich werden.

Kapitel 15.
Von Caligula bis Antoninus.

(37-138.)

Auf Tiberius folgte Caligula. Man sagte von ihm, daß es niemals einen besseren Sklaven und bösartigeren Herrn gegeben habe als ihn. Das gehört eng zusammen. Denn dieselbe Beanlagung, die bewirkt, daß jemandem die Macht dessen, der zu befehlen hat, einen tiefen Eindruck macht, bewirkt auch, daß der Eindruck nicht geringer ist, wenn man selbst zum Befehlen kommt.

Caligula setzte die von Tiberius beseitigten Komitien wieder ein und schaffte die willkürlichen Majestätsbeleidigungsklagen ab, die jener eingerichtet hatte. Daraus kann man schließen, daß der Beginn der Regierung schlechter Fürsten oft dem Ende der Regierung guter gleicht, weil sie, aus einem Geist des Widerspruchs gegen ihre Vorgänger, imstande sind (trotz ihrer Schlechtigkeit) dasselbe zu tun, was jene aus Tugend taten. Diesem Widerspruchsgeist verdanken wir viele gute Bestimmungen – und viele schlechte auch.

Was gewann man dabei? Caligula hob die Klagen wegen Majestätsbeleidigung auf, aber wer ihm mißfiel, den ließ er kriegsrechtlich beseitigen, und er hatte es nicht etwa auf einzelne Senatoren abgesehen, er hielt das Richtschwert über dem ganzen Senat in der Schwebe, den er samt und sonders zu vernichten drohte.

Diese furchtbare Tyrannei der Kaiser erklärt sich aus der Gesamtstimmung der Römer. Da sie plötzlich unter ein willkürliches Regiment kamen und für sie zwischen Befehlen und Dienen fast kein Zwischenzustand vorhanden war, wurden sie für diesen Übergang nicht durch sanfte Sitten vorbereitet. Die wilde Laune blieb: die Bürger wurden behandelt, wie sie selbst die besiegten Feinde behandelt hatten, und wurden ganz entsprechend regiert. Der Sulla, der in Rom einzog, war kein andrer Mensch als der Sulla, der in Athen einzog: er verfuhr nach denselben Grundsätzen. Was die Staaten anbelangt, die unmerklich unterjocht worden sind, so werden sie, wenn die Gesetze versagen, noch durch die Sitten regiert.

Der ununterbrochene Anblick der Gladiatorenspiele machte die Römer außerordentlich grausam. Man bemerkte, daß Claudius durch den ständigen Anblick dieser Art Schauspiele immer geneigter wurde, Blut zu vergießen. Das Beispiel dieses Kaisers, der von Natur gutmütig war und doch so viel Grausamkeiten beging, zeigt, daß die Erziehung seiner Zeit von der unsrigen verschieden war.

Die Römer, die gewöhnt waren, in der Person ihrer Kinder und Sklaven über das Menschenleben zu verfügen, konnten kaum jene Tugend kennen, die wir Humanität nennen. Woher anders kann die Wildheit, die wir bei den Bewohnern unserer Kolonien finden, kommen, als von der ständigen Gewohnheit, harte körperliche Strafen an einem unglücklichen Teile der Menschheit zu vollziehen? Wenn man in staatsrechtlichen Beziehungen grausam ist, was kann man dann von der Sanftmut und der natürlichen Gerechtigkeit erwarten?

Ermüdend wirkt der Anblick der langen Reihe von Männern, die die Kaiser hinrichten ließen, um ihre Güter einziehen zu können. Wir finden in der modernen Geschichte nichts Ähnliches. Das muß, wie wir eben gesagt haben, auf Rechnung milderer Sitten und einer die bösen Triebe stärker zügelnden Religion gesetzt werden. Und ferner braucht man auch nicht mehr die Familien solcher Senatoren zu berauben, welche die Welt ausgeplündert hatten. Aus der geringeren Größe unserer Vermögen ziehen wir den Vorteil, daß sie sicherer sind: es lohnt nicht der Mühe, sie uns zu entreißen.

Das Volk von Rom, die sogenannte Plebs, haßte nicht etwa die schlechtesten Kaiser. Seit es die Herrschaft verloren hatte und sich nicht mehr mit dem Kriege beschäftigte, war es das niedrigste aller Völker geworden. Handel und Künste betrachtete es wie etwas, das nur für Sklaven gut genug wäre; und die Getreidespenden, die es empfing, nahmen ihm den Ansporn, selber Landwirtschaft zu treiben. Auch hatte man es an Schaustellungen und Zirkusspiele gewöhnt. Seitdem es nun keine Tribunen mehr anzuhören noch Beamte zu wählen hatte, wurden ihm diese nichtigen Dinge unentbehrlich, und seine Untätigkeit steigerte den Geschmack daran. (So kam es, daß die schlechtesten Kaiser, die mit den größten Spenden um die Gunst dieser Plebs buhlten, auch am beliebtesten bei ihr waren.)

Hier muß man nun seinen nachdenklichen Blick auf dem Schauspiel ruhen lassen, das die menschlichen Dinge bieten! Man überschaue die Geschichte Roms: soviele Kriege unternommen, soviel Blut vergossen, soviel Völker vernichtet, soviel große Taten, soviel Triumphe, soviel Diplomatie, Weisheit, Klugheit, Zähigkeit, Mut – dieser Gedanke der Welteroberung so gut gefaßt, so gut durchgeführt – und all dies, wohinaus läuft es endlich? Die Lüste von fünf oder sechs Ungeheuern zu stillen! Was? Dieser Senat hatte eine so lange Reihe von Königen nur gestürzt, um dann selbst zum Sklaven seiner unwürdigsten Bürger herabzusinken und durch seine eigenen Erlasse Selbstmord an sich zu begehen! Man hebt also wirklich nur darum seine Macht auf solche Höhen, daß man sie dann um so tiefer fallen sehen kann? Nur darum steigern die Menschen ihre Gewalt, um sie dann in anderen Händen sich gegen sie selbst wenden zu sehen?

Als Caligula ermordet war, versammelte sich der Senat, um eine Regierungsform zu finden. Während er beriet, drangen einige Soldaten in den Kaiserpalast, um zu plündern. In einer dunklen Ecke fanden sie einen vor Furcht zitternden Menschen, das war Claudius. Sie begrüßten ihn als Kaiser (41).

Claudius vollendete die Vernichtung der alten Stände, indem er seinen Offizieren die Rechtsprechung übertrug. Die Kriege zwischen Marius und Sulla waren nur geführt worden, um zu wissen, wer dies Recht haben sollte, der Senat oder die Ritter. Der Einfall eines Dummkopfes entzog es beiden: seltsamer Ausgang eines Streites, der den ganzen Erdkreis in Flammen gesetzt hatte!

Das Volk wurde nicht weniger erniedrigt als Senat und Ritter. Wir haben gesehen, wie es bis zur Kaiserzeit so kriegerisch war, daß die Heere, die man in der Stadt aushob, alsbald Manneszucht genug besaßen, um gradenwegs gegen den Feind zu ziehen. In den Bürgerkriegen von Vitellius und Vespasian zitterte Rom, eine Beute aller Ehrgeizigen und voll ängstlicher Bürger, vor der ersten besten Bande von Soldaten, die vor seinen Toren erscheinen könnten.

Die Kaiser selbst waren nicht besser daran. Da es nicht nur ein einziges Heer im Reich gab, das das Recht und die Kühnheit haben konnte, einen Kaiser zu wählen, so genügte es, von irgend einem Heere gewählt zu werden, um den andern unbequem zu sein, die ihm natürlich sofort einen Mitkaiser ernannten.

Wie also die Größe der Republik der republikanischen Regierung verhängnisvoll geworden war, so wurde es die Größe des Kaiserreiches dem Leben der Kaiser. Hätten sie nur ein mäßiges Reich zu verteidigen gehabt, so würden sie nur einer Hauptarmee bedurft haben, die, wenn sie erst einmal einen Kaiser gewählt hatte, auch seiner Hände Werk respektiert haben würde.

Es war eine alte Gewohnheit bei den Römern, daß der Triumphator jedem einzelnen Soldaten einige Geldstücke zuteilte. Das ergab im ganzen keine große Summe. In den Bürgerkriegen vermehrte man diese Gaben. Früher nahm man sie von dem Geld der Feinde, in den unglücklichen Zeiten der Kaiser gab man das Geld der Bürger hin, und die Soldaten verlangten eine Verteilung, wo es doch keine Beute gab. Früher fanden diese Verteilungen nur nach einem Kriege statt; Nero führte sie auch in Friedenszeiten ein. Die Soldaten gewöhnten sich daran, und so murrten sie gegen Galba, der den Mut hatte, ihnen zu sagen, daß er sich nicht darauf verstände, sie zu kaufen, wohl aber sie auszuwählen.

Galba, Otho, Vitellius waren nur vorübergehende Erscheinungen. Vespasian wurde gewählt (69), wie sie, von den Soldaten. Er dachte während seiner ganzen Regierung nur darauf, das Reich wieder in Ordnung zu bringen, das nacheinander sechs Tyrannen in die Hände gefallen war, die einer wie der andere grausam, fast alle Wüteriche, oft Dummköpfe und, um das Maß des Unglücks voll zu machen, verschwenderisch bis zum Wahnsinn gewesen waren.

Titus, der ihm folgte (79), war »die Wonne des römisches Volkes«. In Domitian (81) erschien dann ein neues Ungeheuer, grausamer oder wenigstens unversöhnlicher als die vorangehenden, weil er feiger war.

Seine liebsten Freigelassenen und nach manchen Berichten seine eigene Frau beseitigten ihn. Doch vorher sahen sie sich nach einem Nachfolger um und ihre Wahl fiel auf einen verehrungswürdigen Greis, Nerva (96-98).

Nerva adoptierte Trajan (98-117), den vollkommensten Fürsten, von dem die Geschichte weiß. Es war ein Glück, unter seiner Regierung geboren zu sein. Eine glücklichere und ruhmvollere gab es nicht für das römische Volk. Ein großer Staatsmann und ein großer Feldherr mit einem guten Herzen und einem edlen Wollen, einem klaren Verstande, der ihn das Beste erkennen ließ, und einer vornehmen, großen und schönen Seele; begabt mit allen Tugenden, ohne eine derselben zu übertreiben, war er, kurz gesagt, wie geschaffen, um der Menschheit Ehre zu machen und die Gottheit zu vertreten.

Er führte Cäsars letzte Absicht aus und führte einen erfolgreichen Krieg gegen die Parther. Jeder andere würde in einem Unternehmen zugrunde gegangen sein, wo die Gefahren immer nah, die Hilfsquellen weit entfernt waren, wo der Sieg unerläßlich, es keineswegs aber sicher war, ob man nicht nach dem Siege doch untergehen würde.

Die Schwierigkeit beruhte in der Lage der beiden Reiche einerseits, in der Verschiedenheit der Kriegsführung der beiden Völker andrerseits. Zog man durch Armenien in der Richtung auf die Quellen des Euphrat und Tigris, so fand man ein schwieriges und bergiges Gelände, in dem die Proviantzüge nur mühselig fortkamen, so daß die Armee, ehe sie in Medien eintraf, halb vernichtet war. Zog man südlicher über Nisibis, so legte sich eine furchtbare Wüste zwischen die beiden Reiche. Wollte man noch südlicher durch Mesopotamien, so mußte man durch ein zur Hälfte unkultiviertes, zur Hälfte unter Wasser stehendes Land, und da Tigris und Euphrat von Nord nach Süd strömen, konnte man in das Land der Parther nicht eindringen, ohne diese Flüsse zu verlassen, und kaum konnte man sie verlassen, ohne zugrunde zu gehen.

Was die Art der beiderseitigen Kriegsführung betraf, so ruhte die Stärke der Römer auf ihrer Infanterie, die stärkste, die verläßlichste, die disziplinierteste der Welt.

Die Parther dagegen hatten gar keine Infanterie, wohl aber eine bewundernswerte Reiterei. Sie liebten den Fernkampf außerhalb der Tragweite der römischen Waffen. Der Wurfspieß konnte sie selten erreichen. Ihre Waffen waren der Bogen und sehr gefährliche Pfeile. Sie belagerten ein Heer vielmehr, als daß sie es angriffen. Sie verfolgen war zwecklos, denn bei ihnen hieß fliehen: kämpfen. In dem Maße wie die feindlichen Heere vorrückten, zogen sie die Landbevölkerung zurück und ließen in den festen Plätzen nur die Garnisonen. Hatte man diese genommen, so blieb nichts, als sie zu zerstören. Sie verbrannten kunstgerecht das Land rings um die feindliche Armee und nahmen ihr selbst das Gras von den Wiesen. Kurz, sie führten den Krieg ungefähr ebenso, wie man ihn noch heute in jenen Grenzgebieten führt.

Übrigens waren die illyrischen und germanischen Legionen, die man zu diesem Kriege verwendete, dafür gar nicht geeignet. Die Soldaten, die aus ihrer Heimat an reichliche Nahrung gewöhnt waren, kamen fast alle um.

Was somit noch keinem Volk der Erde gelungen war, der Unterjochung durch die Römer zu entgehen, das gelang den Parthern, nicht weil sie unbesiegbar, sondern unerreichbar waren.

Hadrian (117-138) gab die Eroberungen Trajans auf und nahm den Euphrat als Reichsgrenze, und es ist bewundernswert, wie die Römer nach so vielen Kriegen doch nur genau das verloren haben, was sie aufgeben wollten.

Hadrians Verfahren rief viel Unwillen hervor. Man las in den heiligen Büchern der Römer, daß, als Tarquinius das Kapitol bauen wollte, er den passendsten Platz von den Standbildern vieler fremder Gottheiten besetzt fand. Er unterrichtete sich durch Vermittelung der Auguren, ob sie Jupiter den Platz einräumen wollten. Alle stimmten zu, nur Mars nicht, der Gott der Jugend nicht und nicht Terminus, der Gott der Grenzen. Darauf gründeten sich drei religiöse Überzeugungen: das Volk des Mars würde niemand den Platz abtreten, auf dem es einmal Fuß gefaßt hätte; die römische Jugend würde unüberwindlich sein; und der römische Grenzgott würde nie zurückweichen – und dennoch geschah dies unter Hadrian.

Kapitel 16.
Der Zustand des Reiches von Antoninus Pius bis zu Probus.

(138-282.)

In diesen Zeiten gewann die Sekte der Stoiker an Ausdehnung und Ansehen im Römerreich. Es schien, als habe die menschliche Natur eine besondere Anstrengung gemacht, um diese bewundernswürdige Sekte aus sich hervorzubringen: sie war wie jene Pflanzen, die die Erde an Stellen hervorbringt, die der Himmel niemals geschaut hat.

Ihr verdankten die Römer ihre besten Kaiser. Nichts läßt den ersten Antoninus mehr in den Schatten zurücktreten als Marcus Aurelius (161-180), sein Adoptivsohn. Man empfindet eine geheime Befriedigung, wenn man von diesem Kaiser spricht. Man kann sein Leben nicht ohne eine gewisse Rührung lesen. Derartig ist die Wirkung, daß man eine bessere Meinung von sich hat, weil man eine bessere Meinung von den Menschen bekommt.

Die Weisheit Nervas, der Ruhm Trajans, die Tapferkeit Hadrians, die Tugendhaftigkeit der beiden Antonine errangen sich die Achtung der Soldaten. Aber als neue Ungeheuer an ihre Stelle traten, zeigten sich auch die Mißbräuche der Militärregierung in ihrer ganzen Größe; und die Soldaten, die den Kaiserthron verkauft hatten, ermordeten die Kaiser, um ein neues Geldgeschäft machen zu können.

Man sagt, daß es jetzt einen Fürsten gibt (nämlich Friedrich Wilhelm I. von Preußen 1713-1740), der seit fünfzehn Jahren daran arbeitet, in seinen Staaten die Zivilregierung durch eine militärische zu ersetzen. Ich will in dieser Beziehung keine kränkenden Bemerkungen machen. Nur eins sei gesagt, daß der Natur der Dinge nach 200 Wachen das Leben eines Fürsten sichern können, nicht aber 80 000, abgesehen davon, daß es gefährlicher ist, ein bewaffnetes Volk zu unterdrücken als ein anderes, das dies nicht ist.

Commodus (180-192) folgte auf seinen Vater Marc-Aurel. Er war ein Ungeheuer, der allen seinen, seiner Minister und seiner Höflinge Lüsten lebte. Die die Welt von ihm befreiten, setzten einen verehrungswürdigen Greis, Pertinax (193), an seine Stelle, den die Prätorianer alsbald ermordeten.

Sie versteigerten die Krone meistbietend und schlugen sie Didius Julianus für seine großen Versprechungen zu. Darüber herrschte allgemeine Erregung; denn wenn man die Krone auch oft gekauft hatte, verhandelt war sie noch nicht worden. Pescennius Niger, Severus und Albinus wurden zu Kaisern erhoben und Julianus von den Soldaten fallen gelassen, als er die versprochenen gewaltigen Summen nicht bezahlen konnte.

Severus (193-211) überwand die anderen beiden. Er hatte große und vorzügliche Eigenschaften, aber die Sanftmut, diese vornehmste Tugend der Fürsten, fehlte ihm.

Die Macht der Kaiser konnte leichter tyrannisch erscheinen als die der Fürsten unserer Zeit. Da ihre Würde auf einer Kumulierung aller römischen Ämter beruhte, da sie als Diktatoren unter dem Namen Imperatoren, Volkstribunen, Prokonsuln, Zensoren, Pontifices Maximi, und, wenn sie wollten, als Konsuln oft die Strafgerichtsbarkeit ausübten, so lag leicht der Verdacht vor, daß sie die, die sie verurteilten, hätten beseitigen wollen. Denn das Volk schloß auf Mißbrauch der Gewalt gewöhnlich aus ihrer Größe. Statt dessen sind die europäischen Könige Gesetzgeber, nicht Vollstrecker des Gesetzes, Fürsten und nicht Richter, und haben sich so dieses Teiles der Autorität entledigt, der Haß erwecken kann. Besonderen Beamten haben sie die Erteilung der Strafen übertragen und sich selbst das Recht der Begnadigung vorbehalten.

Es gibt kaum Kaiser, die eifersüchtiger über ihre Macht wachten als Tiberius und Severus, und doch ließen sie sich auf eine klägliche Weise beherrschen, der eine von Sejan, der andere von Plautian.

Der von Sulla eingeführte unselige Gebrauch der Proskriptionen bestand unter den Kaisern weiter, und ein Fürst bedurfte einiger Festigkeit, um sich ihm nicht zu fügen. Denn da seinen Ministern und Günstlingen die damit verbundenen reichlichen Gütereinziehungen in die Augen stachen, hielten sie ihm stets vor, wie notwendig es sei, zu strafen, und wie gefährlich, Milde zu zeigen.

Die Proskriptionen des Severus trieben einige Soldaten zu den Parthern. Diesen wurden sie militärische Lehrmeister, zeigten ihnen den Gebrauch römischer Waffen und sogar deren Anfertigung. So kam es, daß diese Völker, die sich bis dahin auf ihre Verteidigung beschränkt hatten, in der Folge fast immer Angreifer waren.

Es ist bemerkenswert, daß in dieser ununterbrochenen Aufeinanderfolge von Bürgerkriegen die, welche die europäischen Legionen hatten, fast immer die besiegten, welche die asiatischen hatten, und man findet von Severus berichtet, daß er die arabische Stadt Atra nicht erobern konnte, weil er nach einer Meuterei der europäischen Legionen sich der syrischen bedienen mußte.

Man empfand diesen Unterschied, seit man anfing, Aushebungen in den Provinzen zu veranstalten. Es war derselbe Unterschied, der zwischen den Völkern bestand, die nach Anlage und Erziehung mehr oder weniger zum Kriege geeignet sind.

Diese Aushebungen in den Provinzen hatten noch eine andere Folge. Die fast immer aus den Reihen der Soldaten hervorgehenden Kaiser waren fast alle Fremde und manchmal Barbaren. Rom war nicht mehr die Herrin des Erdkreises, sondern empfing Gesetze von der ganzen Welt.

Jeder Kaiser brachte etwas aus seiner engeren Heimat mit, sei es in den Sitten, der staatlichen Aufsicht, dem Kultus, und Heliogabal (218-222) ging so weit, in Rom alle Gegenstände göttlicher Verehrung zerstören und alle Götter aus ihren Tempeln vertreiben zu wollen, um die seinen an ihre Stelle zu setzen.

Dieser Umstand – unabhängig von den geheimen Wegen, die Gott wählte und die er allein kennt – trug viel dazu bei, dem Christentum die Wege zu bereiten. Denn es gab nun im römischen Reich nichts Fremdes mehr, und man war darauf vorbereitet, alle Gebräuche aufzunehmen, die ein Kaiser etwa einführen wollte.

Man weiß, daß die Römer die Götter der anderen Länder in ihrer Stadt aufnahmen. Sie taten das als Eroberer und ließen sie in ihren Triumphen einhertragen. Aber als die Fremden selbst kamen, um sie heimisch zu machen, unterdrückte man sie zuerst. Man weiß ferner, daß die Römer die Gewohnheit hatten, den fremden Göttern die entsprechenden Namen der ihrigen beizulegen. Als aber die fremden Priester sie unter ihren eigenen Namen einführen wollten, wurden sie nicht geduldet, und das war eins der großen Hindernisse, auf das die christliche Religion stieß.

Man könnte Caracalla (211-217), des Severus Nachfolger, nicht so sehr einen Tyrannen als den Menschenvernichter nennen. Caligula, Nero und Domitian beschränkten ihre Grausamkeiten auf Rom. Caracalla führte seine Raserei durch die ganze Welt.

Severus hatte die Austreibungen seiner langen Regierung und die Proskription derer, die sich seinen Gegnern angeschlossen hatten, benutzt, um gewaltige Schätze aufzusammeln.

Caracalla, dessen erste Regierungshandlung die eigenhändige Ermordung seines Bruders Geta gewesen war, benutzte diese Reichtümer, um die Nachsicht der Soldaten für sein Verbrechen zu erkaufen, die Geta liebten und sagten, sie hätten beiden Söhnen des Severus und nicht einem allein Treue geschworen.

Solche von Fürsten aufgehäuften Schätze haben fast immer nur verhängnisvolle Folgen. Sie verblenden den Nachfolger und verderben ihn, und wenn sie sein Gemüt nicht verderben, verderben sie seinen Verstand. Er baut zunächst große Unternehmungen auf einer Macht auf, die nur zufällig ist, die nicht dauern kann, die nicht natürlich ist und die eine hohle Größe darstellt.

Caracalla erhöhte den Sold. Macrinus (217) schrieb dem Senat, daß diese Erhöhung bis 70 Millionen Drachmen betrage (etwa 60 Millionen Mark unserer deutschen Währung, der Kaufkraft des Geldes nach aber noch mehr). Es scheint, daß er damit übertrieb. Denn wenn man unsere heutige Löhnung mit dem Gesamtbudget unseres Staates vergleicht und dasselbe Verhältnis für die Römer ansetzt, so wird man sehen, daß die Summe ganz enorm gewesen wäre.

Um seinem Verbrechen das Abstoßende zu nehmen, versetzte Caracalla seinen Bruder unter die Götter. Sonderbar ist, daß ihm dasselbe von Macrinus widerfuhr, der ihn auch ermordete und ihm dann einen Tempel erbaute. Das bewirkte, daß seinem Gedächtnis kein Makel angeheftet wurde und ihn der Senat, der kein Urteil über ihn zu fällen wagte, nicht auf die Liste der Tyrannen setzte, wie Commodus, der es nicht mehr verdient hat als er.

Von zwei großen Kaisern, Hadrian und Severus, straffte der eine die militärische Zucht, der andere lockerte sie. Die entsprechenden Folgen blieben nicht aus. Die auf Hadrian folgenden Regierungen waren glücklich und ruhig, nach Severus sah man alle Greuel herrschen.

Als Caracalla durch die Nachstellungen des Macrinus gefallen war, wählten die Soldaten, untröstlich darüber, einen Fürsten verloren zu haben, der ohne Maß gab, den Heliogabalus (218-222), und als dieser, mit nichts als seinen unsauberen Lüsten beschäftigt, sie sich selbst überließ und darum unerträglich wurde, massakrierten sie ihn. Ebenso wurde Severus Alexander (222-235) getötet, der die Manneszucht hatte wiederherstellen wollen und davon sprach, sie zu bestrafen.

So hatte ein Tyrann, der sich nicht das Leben, sondern die Freiheit zu seinen Verbrechen sicherte, den verhängnisvollen Vorzug, mit dem Bewußtsein zu sterben, daß ein Nachfolger, der es besser machen wollte als er, umkommen müßte.

Nach Severus Alexander wählte man Maximinus Thrax (235-238): der erste Kaiser barbarischer Herkunft. Sein Riesenwuchs und seine Körperkräfte hatten ihn bekannt gemacht.

Er wurde samt seinem Sohne von den Soldaten ermordet. Der erste und der zweite Gordianus (237-238) kamen in Afrika um. Maximus, Balbinus und der dritte Gordianus (238-244) wurden massakriert. Philippus Arabs (244-249), der den jungen Gordianus hatte ermorden lassen, wurde selbst mit seinem Sohne getötet, und Decius (249-251), der an seine Stelle gewählt wurde, kam seinerseits durch den Verrat des Gallus (251-253) um.

Was man in diesem Jahrhundert römisches Reich nannte, war eine Art unregelmäßige Republik, ungefähr so wie die Aristokratie in Algier, wo die Miliz die souveräne Gewalt hat und einen Beamten, der Dey heißt, wählt und absetzt. Und vielleicht ist es ein ziemlich allgemeines Gesetz, daß eine militärische Regierung mehr republikanisch als monarchisch ist.

Und man soll nicht sagen, daß die Soldaten nur durch ihren Ungehorsam und ihre Meutereien an der Regierung teilnahmen. Waren denn die Reden, die die Kaiser ihnen hielten, schließlich nicht von derselben Art, wie ehemals die der Tribunen und Konsuln an das Volk?

Und obschon die Heere keinen besonderen Versammlungsort hatten, sich nicht in bestimmten Formen bewegten und auch gewöhnlich nicht kaltblütig genug waren, da sie wohl ans Handeln, nicht ans Verhandeln gewöhnt waren, verfügten sie nicht dennoch souverän über das Geschick des Staates? Und was war ein Kaiser anderes, als der Minister einer Gewaltregierung, die zum besonderen Nutzen der Soldaten erwählt war?

Als das Heer dem dritten Gordianus seinen Præfectus Prætorio, den Philippus Arabs, zum Mitregenten gab, bat dieser, man möchte ihm das Kommando ungeteilt lassen, erreichte das aber nicht. Er hielt eine große Ansprache des Inhalts, die Gewalt solle gleichmäßig zwischen beiden geteilt werden, und er erreichte auch das nicht. Er flehte, man sollte ihm den Titel Cäsar lassen, auch das schlug man ihm ab. Er bat, man möchte ihn zum Præfectus Prætorio machen, man wies seine Bitten zurück. Endlich sprach er nur noch für sein Leben. Man sieht, das Heer übte in diesen verschiedenen Urteilssprüchen die höchste Amtsgewalt aus.

Die Germanen waren den Römern anfänglich unbekannt, dann höchstens unbequem, endlich wurden sie ihnen furchtbar. Dank einer ganz außerordentlichen Entwicklung der Dinge hatte Rom alle Völker derartig vernichtet, daß, als es selbst besiegt wurde, es den Eindruck machte, als habe die Erde ganz neue Völker hervorgebracht, um es zu zerstören.

Die Fürsten großer Staaten haben gewöhnlich wenig Nachbarländer, deren Besitz Gegenstand ihres Ehrgeizes sein könnte. Die einstmals vorhandenen begehrenswerten sind bereits erobert. Sie grenzen also an Meere, Gebirge und Wüsten, die ihrer Armseligkeit wegen Geringschätzung verdienen. So ließen also die Römer ruhig die Germanen in ihren Wäldern und die nordischen Völker in ihrem Schnee und Eis, und dort erhielten sich oder bildeten sich sogar neue Völker, von denen sie dann ihrerseits unterjocht wurden.

Unter der Regierung des Gallus (251-253) verwüstete eine große Anzahl Völker, die sich später noch einen Namen machten, Europa; und die Perser, die Syrien besetzt hatten, verließen ihre Eroberungen nur noch, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen.

Solche Barbarenschwärme, wie sie ehemals aus dem Norden kamen, zeigen sich heute nicht mehr. Das gewalttätige Auftreten der Römer hatte die südlichen Völker nach dem Norden gedrängt. Solange dieser Druck vorhielt, blieben sie dort; sobald er nachließ, verbreiteten sie sich nach allen Seiten. Dasselbe wiederholte sich einige Jahrhunderte später. Das gewaltsame Auftreten Karls des Großen hatte zum zweitenmal die südlichen Völker nach Norden zurückweichen lassen. Sobald sein Reich verfiel, rückten sie ein zweites Mal nach Süden vor.

(Die Wirren der folgenden Zeit, besonders in der sog. Periode der 30 Tyrannen unter Gallienus (260-268), wo 30 Kronprätendenten vorhanden waren, führten das Römerreich an den Abgrund des Verderbens.) Es würde schon damals zerstört worden sein, wenn es nicht durch ein glückliches Zusammentreffen einer Reihe von Umständen noch einmal gerettet worden wäre.

Odenatus, Fürst von Palmyra, verjagte als Bundesgenosse der Römer die Perser, die fast ganz Asien überschwemmt hatten. Die Stadt Rom hob unter ihren Bürgern ein Heer aus und das wies die Barbaren ab, die zu ihrer Plünderung sich anschickten. Ein zahlloses Skythenheer, das zu Schiff über das Meer gezogen kam, ging zugrunde durch Stürme, Elend, Hunger und seine eigene Größe. Und als Gallienus ermordet war, stellten vier große Männer, die dank einer außerordentlichen Schicksalsgunst sich auf dem Throne ablösten: Claudius II., Aurelianus, Tacitus und Probus (268-282) das Reich wieder her.

Kapitel 17.
Veränderungen in der Regierung.

Um den unaufhörlichen Soldatenrevolten vorzubeugen, ernannten die Kaiser Mitregenten (Cäsares), zu denen sie Vertrauen hatten, und Diokletian (284-305) bestimmte, unter dem Vorwande, daß die Verwaltungsgeschäfte zu groß seien, daß es immer zwei Kaiser und zwei Cäsaren geben sollte. Er rechnete damit, daß wenn das Kommando der vier Hauptheere in den Händen der vier an der Regierung beteiligten Männer läge, diese Heere sich gegenseitig in Schach halten würden; daß ferner wenn die anderen Heere nicht stark genug wären, um ihr Oberhaupt zum Kaiser zu machen, sie allmählich die Gewohnheit, Kaiser zu wählen, verlieren würden, und endlich daß, da die Cäsarenwürde immer nur eine Stellung zweiten Ranges war, die zur Sicherheit des Regimentes unter vier Männer geteilte Macht dennoch ihrer ganzen Ausdehnung nach nur in den Händen von zweien sein würde.

Was aber die Krieger noch mehr im Zaume hielt, war der Umstand, daß die Kaiser in Anbetracht der sehr zurückgegangenen Privatvermögen ihnen keine so bedeutenden Geschenke mehr machen konnten. Der Gewinn stand in keinem Verhältnis mehr zu den Gefahren einer Neuwahl.

Außerdem wurden die Præfecti Prætorio von Konstantin sehr in ihrer Macht gemindert. Sie waren hinsichtlich ihrer Gewalt und ihrer Stellung gleichsam die Großwesire jener Zeit gewesen und hatten nach ihrem Ermessen die Kaiser ermorden lassen, um sich an ihre Stelle zu setzen. Konstantin ließ ihnen nur noch ihre zivilrechtlichen Befugnisse und erhöhte ihre Zahl von zwei auf vier.

Das Leben der Kaiser begann also sich einer größeren Sicherheit zu erfreuen. Sie konnten hoffen, friedlich in ihrem Bett zu sterben, und das scheint ihre Sitten ein wenig gemildert zu haben. Sie vergossen das Blut nicht mehr mit solcher Wildheit. Aber da die gewaltige Macht irgendwo ihren Abfluß haben mußte, so erlebte man eine andere, wenn auch weniger aufdringliche Art von Tyrannei. Nun gab es keine Massenmorde mehr, jedoch ungerechte Gerichtsentscheidungen, die den Tod nur hinauszuschieben schienen, um dem Leben seinen Wert zu nehmen. Der Hof wurde regiert und regierte selbst mit Kunstgriffen, mit ausgesuchteren Mitteln, er arbeitete geräuschloser. Kurz, an Stelle jener Kühnheit im Entwerfen eines bösen Planes und der stürmischen Gewalt in seiner Ausführung sah man nur noch die Laster schwächlicher Seelen und feinausgeklügelte Verbrechen.

Eine neue Art von Sittenverderbnis trat auf. Die ersten Kaiser liebten die wilden Lüste, die späteren das schlaffe Genießen. Sie zeigten sich seltener vor den Augen ihrer Krieger, sie waren untätiger, gaben sich mehr in die Hände ihrer häuslichen Diener, hingen mehr an ihren Palästen und weniger an dem Reiche.

Je abgesonderter der Hof war, um so vergifteter war dort die Atmosphäre. Man sagte nichts, man deutete alles an. Alle Männer von Ruf und Bedeutung waren Angriffen ausgesetzt. Minister und Heerführer waren stets von der Gnade jener Sorte Menschen abhängig, die dem Staate selbst nicht ruhmvoll dienen können, noch leiden, daß das andere tun.

Schließlich wurde ein Ende gemacht mit jener leichten Zugänglichkeit der ersten Kaiser, die ihnen allein eine Kenntnis ihrer Angelegenheiten ermöglichte. Der Fürst erfuhr fortan alles nur durch die Berichte einiger Vertrauten, die, untereinander immer einig, auch wenn das nicht so schien, bei ihm immer nur eine einseitige Auffassung vertraten.

Der Aufenthalt verschiedener Kaiser in Asien und ihre ununterbrochene Rivalität mit den persischen Königen brachten es dahin, daß sie wie jene göttliche Verehrung verlangten. Diokletian, andere sagen Galerius, ordnete das durch ein Edikt an.

Dieser Glanz und Pomp faßten bald Wurzeln und die Augen gewöhnten sich daran. Als dann Julian Einfachheit und Bescheidenheit in seinen Sitten an den Tag legte, nannte man das ein Vergessen der Würde, was vielmehr nur eine Erinnerung an alte Sitten war.

Obgleich es seit Markus Aurelius mehrere Kaiser gab, gab es doch nur ein Reich. Und da ihrer aller Autorität in der Provinz anerkannt war, so war das doch eine einzige, nur von mehreren ausgeübte Gewalt.

Aber als Galerius und Konstantius Chlorus (292 von Diokletian zu Cäsaren ernannt) sich nicht vertragen konnten, teilten sie das Reich wirklich, und durch diese später von Konstantin im Gegensatz zu Diokletian aufgenommene Einrichtung bildete sich eine Gewohnheit heraus, die weniger eine Umbildung als eine Umwälzung bedeutete.

Dann aber hatte Konstantin (323-337) den Wunsch, eine neue Residenz zu gründen, und die Eitelkeit, ihr seinen Namen zu geben, und verlegte daher den Sitz des Reiches nach dem Osten. Obgleich das Weichbild Roms nicht entfernt so groß war, wie es heute ist, waren die Vorstädte sehr ausgedehnt. Ganz Italien, das mit Lusthäusern übersät war, bildete eigentlich nur den Garten von Rom. Die Landwirte waren in Sizilien, Afrika und Ägypten, die Gärtner in Italien. Die Landgüter wurden fast nur von den Sklaven der römischen Bürger bewirtschaftet. Als aber der Sitz des Reiches nach dem Osten verlegt wurde, zog fast ganz Rom dorthin und die Großen führten ihre Sklaven, d. h. fast das ganze Volk Italiens, hinüber, und Italien wurde seiner Bewohner entblößt.

Damit die neue Residenz der alten in nichts nachstände, wollte Konstantin auch dort Kornverteilungen haben und ordnete an, daß das ägyptische Korn nach Konstantinopel, das afrikanische nach Rom geschickt werde, was mir nicht sehr verständig vorkommt, und zwar aus folgender Erwägung heraus:

In der Zeit der Republik mußte das Volk von Rom, das aller anderen Souverän war, auch seinen Anteil an den Tributen haben. So ließ ihm der Senat Korn zunächst zu niedrigem Preise verkaufen, dann gab er es umsonst. Nach Einsetzung der Monarchie blieb diese ihrem Wesen widersprechende Einrichtung. Man beließ diesen Mißbrauch, weil seine Abstellung Unzuträglichkeiten mit sich gebracht hätte. Aber bei seiner Neugründung führte Konstantin ihn auch dort ohne irgendeinen vernünftigen Grund ein.

Als Augustus Ägypten erobert hatte, führte er den Schatz der Ptolemäer nach Rom. Das rief dort ungefähr dieselbe Umwälzung hervor wie später die Entdeckung von Westindien in Europa und zu unserer Zeit gewisse Finanzsysteme (nämlich die Finanzoperationen von Law): der Grundbesitz stieg auf das Doppelte seines Wertes. Und da Rom fortfuhr, Alexandriens Schätze an sich zu ziehen, das seinerseits die Schätze Afrikas und des Orients in sich aufnahm, so wurden Gold und Silber in Europa sehr gemein, was die Völker instand setzte, bedeutende Abgaben zu zahlen.

Als dann das Reich geteilt wurde, gingen diese Reichtümer nach Konstantinopel. Man weiß ja übrigens, daß die Bergwerke Englands noch nicht in Betrieb genommen waren, es in Italien und Gallien sehr wenige gab und die spanischen seit der karthagischen Zeit kaum noch abgebaut wurden oder wenigstens nicht mehr so ertragreich waren. Italien, das kaum noch etwas anderes besaß, als verwildernde Parks, konnte das Geld des Orients nicht an sich ziehen, während der Okzident, um Waren zu kaufen, sein Geld nach dem Osten schickte. Gold und Silber wurden also sehr selten in Europa – und doch wollten die Kaiser dieselben Abgaben erheben: das verdarb alles.

Wenn die Regierung eine seit lange gefestigte Form hat und die Dinge erst in einer bestimmten Lage erstarrt sind, ist es fast immer klug, sie in dieser Lage zu lassen, weil die oft verwickelten und unbekannten Ursachen, die einen solchen Zustand bisher erhalten haben, auch sein Weiterbestehen noch verbürgen. Ändert man aber das ganze System, kann man nur den Unzuträglichkeiten vorbeugen, die theoretisch vorauszusehen sind, und muß andere belassen, die sich allein in der Praxis herausstellen.

Obgleich also das Reich schon nur allzugroß war, so ruinierte es die Teilung erst recht, weil alle Teile dieses großen Körpers sich in der langen Zeit ihres Zusammenseins sozusagen auf ein Zusammenbleiben und Zusammenwirken eingerichtet hatten.

Nachdem Konstantin die Hauptstadt so geschwächt hatte, traf er die Grenzgebiete mit einem andern Schlag. Er zog die an den großen Flüssen stationierten Legionen zurück und verteilte sie in den Provinzen. Das hatte zwei üble Folgen: die Schranke, die so zahlreiche Völker im Bann hielt, verschwand; zweitens aber lebten und verweichlichten die Soldaten in Zirkus und Theater.

Als Konstantin Julian nach Gallien schickte, fand dieser, daß fünfzig Städte längs des Rheines von den Germanen genommen waren, die Provinzen geplündert und nur noch der Schatten von einem römischen Heer übrig war, dessen Anblick allein einst schon die Feinde in die Flucht geschlagen hatte.

Durch seine Weisheit, seine Zähigkeit, seine Sparsamkeit, seine Tapferkeit und eine ununterbrochene Reihe heldenmütiger Taten drängte dieser Kaiser die Germanen wieder zurück, und der Schrecken, den sein Name verbreitete, hielt sie bei seinen Lebzeiten in Schranken.

Valentinianus (364-375) empfand stärker als seine Vorgänger die Notwendigkeit, zu dem alten System der Grenzverteidigung zurückzukehren. Er verwandte sein ganzes Leben darauf, die Rheinufer zu befestigen, dort Aushebungen zu veranstalten, Kastelle zu erbauen, Truppen zu stationieren und ihnen die Subsistenzmittel zu schaffen. Da aber trat ein weltgeschichtliches Ereignis ein, das seinen Bruder Valens bestimmte, die Donaugrenze zu öffnen, und das hatte furchtbare Folgen.

In dem Landgebiet zwischen dem mäotischen Sumpf (d. i. das Asowsche Meer), dem Kaukasus und dem Kaspischen Meere gab es mehrere Völker, der Nationalität nach meist Hunnen oder Alanen. Ihre Länder waren außerordentlich fruchtbar. Sie liebten Krieg und Raubzüge. Sie waren fast immer zu Pferde oder auf ihren Wanderkarren und zogen in dem Landgebiet, in das sie eingeschlossen waren, herum. An der persischen und armenischen Grenze glückten ihnen wohl einige Raubzüge, aber das Kaspische Tor war leicht gegen sie zu halten, und auf anderem Wege in Persien einzudringen vermochten sie kaum. Da sie den mäotischen Sumpf nicht für überschreitbar hielten, so kannten sie die Römer nicht.

(Jetzt aber setzten sie sich in Bewegung und stürzten sich zunächst auf die Goten.)

Die Goten erschienen erschreckt am Donauufer und baten mit erhobenen Händen um eine Zuflucht. Die Schmeichler am Hofe des Kaiser Valens stellten ihm das als eine glückliche Gelegenheit zur Gewinnung eines neuen Volkes vor, das für das Reich einen Zuwachs und eine Grenzverteidigung bedeute.

(Valens nimmt sie auf, reizt sie aber durch schlechte Behandlung und fällt 378 im Kampfe gegen sie bei Adrianopel.)

Kapitel 18.
Neue Regierungsgrundsätze der Römer.

Manchmal bewirkte die Feigheit der Kaiser, oft die Schwäche des Reiches, daß man die mit einem Einbruch drohenden Völker durch Geld zu beschwichtigen suchte. Aber Frieden kann man nicht kaufen, weil der, der ihn verkauft hat, deshalb nur noch mehr imstande ist, ihn sich wieder abkaufen zu lassen.

Es ist immer noch besser, einen Krieg mit der Aussicht auf unglücklichen Ausgang zu wagen, als Geld zu geben, um Frieden zu haben. Denn man achtet einen Fürsten immer, sobald man weiß, daß man ihn erst nach langem Widerstande besiegen wird.

Übrigens verwandelten sich diese Geldgeschenke bald in Abgaben, und wenn sie im Anfang freiwillig gewesen waren, wurden sie bald notwendig. Sie wurden als erworbene Rechte betrachtet, und wenn ein Kaiser sie verweigerte oder verringern wollte, so wurden die betroffenen Völker seine Todfeinde.

Alle diese Völker, die in Europa und Asien an den Reichsgrenzen wohnten, sogen allmählich die Reichtümer der Römer auf, und wie diese sich einst dadurch vergrößert hatten, daß das Gold und Silber aller Fürsten bei ihnen zusammengeschleppt wurde, so nahmen sie wiederum dadurch ab, daß ihr Gold und Silber zu andern geschleppt wurde.

Staatsmännische Fehler werden nicht immer freiwillig begangen. Oft sind sie die unvermeidlichen Folgen der augenblicklichen Lage, und eine Unzuträglichkeit hat die andere erzeugt.

Die Miliz war, wie man schon gesehen hat, eine schwere Belastung für den Staatssäckel geworden. Die Soldaten hatten drei Einnahmequellen: den gewöhnlichen Sold, die Belohnungen nach abgelaufener Dienstzeit und die zufälligen Geschenke, die oft für Leute, die Volk und Fürsten in der Land hatten, einen Rechtsanspruch bedeuteten.

Die Unmöglichkeit, diese Lasten zu bezahlen, vor die man sich gestellt sah, führte dahin, daß man eine billigere Miliz nahm. Man schloß Verträge mit barbarischen Völkern ab, die weder dieselben verwöhnten Ansprüche, noch dieselbe üble Gesinnung, noch dieselben Ansprüche wie die römischen Soldaten kannten.

Dabei ergab sich noch eine weitere Bequemlichkeit. Die Barbaren fielen meist ganz plötzlich über einen Landstrich her, da sie, zum Aufbruch einmal entschlossen, keiner weiteren Vorbereitungen in ihrer Heimat benötigten. Natürlich hatte man dann keine Zeit mehr, in den Provinzen eine Aushebung unter den römischen Bürgern zu veranstalten. Da nahm man dann irgend eine andere Barbarenhorde in Dienst, die ja immer bereit waren, für Geld sich zu schlagen und zu plündern. Für den Augenblick war man so freilich aus der Verlegenheit, doch in der Folge hatte man dann ebensoviel Mühe, diese Hilfsvölker zurückzubringen, als wenn es Feinde gewesen wären.

In den ältesten Zeiten stellten die Römer in ihre Heere zumeist nicht mehr fremde als heimische Soldaten ein, und obgleich ihre Bundesgenossen genau genommen ihre Untertanen waren, wollten sie auch als Untertanen keine Völker, die kriegerischer gewesen wären als sie selbst. Aber in den letzten Zeiten beobachteten sie dies Verhältnis der Hilfstruppen nicht nur nicht mehr, sondern füllten sogar die Cadres der nationalen Truppen mit Barbaren aus.

So bürgerten sich Gewohnheiten ein, die das genaue Gegenteil von denen waren, durch die sie sich zu Herren der Welt gemacht hatten, und wenn ihre frühere Politik gewesen war, sich kriegstüchtig zu erhalten, ihren Nachbarn vor allem die Kriegstüchtigkeit zu nehmen, so taten sie jetzt gerade das Umgekehrte.

Das ist in einem Wort die Geschichte der Römer: sie besiegten durch ihre Staatsgrundsätze alle Völker; als ihnen das gelungen war, konnte ihre Republik sich nicht mehr halten, es mußte ein Wechsel in der Regierungsform eintreten, und die den früheren genau entgegengesetzten Grundsätze, die in dieser neuen Regierung zur Geltung kamen, brachten ihre Größe zu Fall.

Es ist nicht ein blindes Glück, das die Welt regiert. Man braucht nur die Römer anzusehen. Solange sie eine bestimmte Linie verfolgten, erfreuten sie sich einer ununterbrochenen Reihe von Erfolgen, sowie sie eine andere Richtung einschlugen, trat eine ebenso ununterbrochene Reihe von Mißerfolgen ein. Es gibt allgemeine Ursachen, teils sittliche, teils natürliche, die in jedem Reiche wirksam sind, es erheben, es erhalten oder es stürzen. Alle Begebnisse sind diesen Ursachen unterworfen, und wenn der Zufall einer Schlacht, also eine besondere Ursache, einen Staat vernichtet hat, so gab es eine allgemeine Ursache, die bewirkte, daß dieser Staat durch eine einzige Schlacht zugrunde gehen mußte. Mit einem Wort: der allgemeine Gang der Entwicklung bestimmt alle besonderen Begebnisse.

Schließlich verloren die Römer ihre soldatische Zucht ganz, ja sie gaben ihre nationalen Waffen sogar auf. Vegetius erzählt, daß sie sie zu schwer fanden und darum beim Kaiser Gratianus (367-383) durchsetzten, ihren Küraß und dann auch ihren Helm ablegen zu dürfen. Derartig nun ohne Schutz den Hieben ausgesetzt, sannen sie nur noch auf Flucht. Vegetius fügt hinzu, daß sie den Gebrauch, allabendlich ein befestigtes Lager zu beziehen, aufgegeben hätten, und daß dank dieser Nachlässigkeit ihre Heere von den barbarischen Reiterhorden einfach überritten wurden.

(Anfänglich war die römische Kavallerie wenig zahlreich, in der Verfallszeit hatte man fast nur noch Kavallerie.) Mir scheint nun, je weiter ein Volk in der Kriegskunst fortschreitet, um so größeren Wert legt es auf sein Fußvolk. Das kommt daher, daß leichte und schwere Infanterie ohne straffe Manneszucht nichts bedeutet, während die Kavallerie, wenn auch in Unordnung, immer noch vorwärts geht. Ihre Wirksamkeit besteht mehr in ihrem Ansturm und einem gewissen Stoß, die der anderen im Widerstand und einer gewissen Unbeweglichkeit: hier liegt mehr Gegenstoß als Stoß vor. Ferner ist die Wirkung der Reiterei momentan, die der Infanterie andauernder. Aber sie braucht eben straffe Zucht, um diese andauernde Wirkung ausüben zu können.

Zu der Weltherrschaft gelangten die Römer nun aber nicht nur durch ihre Kriegskunst, sondern auch durch ihre Klugheit, staatsmännische Weisheit, ihre Zähigkeit, ihre Ruhmesliebe und ihre Vaterlandsliebe. Als alle diese Tugenden sich unter den Kaisern verflüchtigten, blieb ihnen zunächst noch die Kriegskunst, dank der sie trotz aller Schwäche und Tyrannei ihrer Herrscher ihren Besitz noch erhielten. Als aber die Verderbnis auch in das Heer drang, wurden sie eine Beute aller Völker. Ein durch Waffengewalt begründetes Reich aber braucht Waffen, um sich zu erhalten.

(Es folgt eine Reihe von Beispielen, die den Verfall der alten Manneszucht zeigen. Die Barbaren trugen zu ihrer Lockerung auch dadurch bei, daß sie ganz andere Begriffe von soldatischer Ehre hatten, Flucht ihnen nicht schimpflich und Plündern als Hauptzweck des Kampfes erschien.)

Kapitel 19.
Attilas Größe. – Ursache der Niederlassung der Barbaren auf römischem Boden. – Warum das weströmische Reich zuerst unterging.

Da in den Zeiten, wo die Macht des Reiches verfiel, das Christentum sich ausbreitete, warfen die Christen den Heiden diesen Verfall vor und die Heiden machten die Christen dafür verantwortlich. Die Christen sagten, Diokletian habe das Reich untergraben, als er sich drei Amtsgenossen gab, da jeder Kaiser ebensogroße Ausgaben machen und ebenso starke Heere unterhalten wollte, als wenn er allein gewesen wäre. So hätte die Zahl der Empfänger in keinem Verhältnis zur Zahl der Geber gestanden und die Abgaben seien so drückend geworden, daß man die Äcker brach liegen ließ und sie sich in Wälder verwandelten. Die Heiden dagegen hörten nicht auf, ihre Stimme gegen den neuen bis dahin unerhörten Kult zu erheben, und wie man im alten Rom Tiberüberschwemmungen und die andern Naturereignisse dem Zorn der Götter zuschrieb, so legte man in dem ersterbenden Rom alle Unglücksfülle dem neuen Kult und der Umstürzung der alten Altäre zur Last.

Der Präfekt Symmachus (um 380) macht so in einem Brief an die Kaiser betreffs des Altares der Viktoria gegen das Christentum volkstümliche und darum des Eindruckes sichere Gründe geltend. Er schreibt:

»Was kann uns besser zur Kenntnis der Götter leiten, als die glücklichen Erfahrungen unserer Vergangenheit? Wir müssen treu bleiben der Reihe so vieler Jahrhunderte und unseren Vätern folgen, wie sie den ihren gefolgt sind. Denket, Rom selbst rede zu euch und spreche: Ihr großen Fürsten, Väter des Vaterlands, achtet meine Jahre, während deren ich immer die Zeremonien meiner Vorfahren treu beobachtet habe! Dieser Kult hat den Erdkreis meinen Gesetzen unterworfen. Durch ihn wurde Hannibal von meinen Mauern, die Gallier vom Kapitol zurückgewiesen. Für des Vaterlandes Götter bitten wir um Frieden, wir bitten um ihn für die heimischen Götter. Wir wollen keine müßigen Wortstreitereien, die uns nicht anstehen. Wir wollen Gebete darbringen und keine Kämpfe!«

Drei berühmte Schriftsteller antworteten Symmachus. Orosius schrieb seine »Geschichte«, um zu beweisen, daß es immer ebensogroße Unglücksfälle in der Welt gegeben habe, wie die, über welche die Heiden sich beklagten. Salvianus verfaßte sein Buch, in dem er die Behauptung zu beweisen sucht, daß es die Vergehen der Christen wären, welche die Einfälle der Barbaren nun heraufbeschworen hätten, und der heilige Augustinus zeigte, daß die himmlische Stadt verschieden sei von jener irdischen, wo die alten Römer für einige menschliche Tugenden Belohnungen empfangen hätten, die ebenso eitel wären, wie diese Tugenden.

Wir haben gesagt, daß die Politik der Römer zu den alten Zeiten darin bestanden habe, in den Völkern, die ihnen im Wege standen, Spaltungen hervorzurufen. Späterhin gelang ihnen das nicht mehr. Sie mußten zusehen, wie Attila alle nördlichen Nationen unterwarf. Seine Macht reichte vom Rhein bis zur Donau, er zerstörte alle Befestigungen, die man an diesen Flüssen angelegt hatte, und machte sich Ost- wie Westrom tributpflichtig.

Gewiß geschah es nicht aus Mäßigung, daß Attila das Römerreich noch bestehen ließ. Er folgte der Gewohnheit seines Stammes, Völker zu unterwerfen, nicht sie zu vernichten. Dieser Fürst in seinem Holzpalast, den uns Priskus beschreibt, Herr aller barbarischen Völker und in gewissem Sinne auch aller Kulturvölker, war einer der größten Monarchen, von denen die Geschichte je berichtet hat.

An seinem Hofe sah man Gesandte Ostroms und Westroms, die seinen Spruch entgegennehmen oder seine Milde anrufen wollten. Bald verlangte er, daß man ihm die hunnischen Überläufer ausliefere, oder die entlaufenen römischen Sklaven, bald verlangte er die Auslieferung eines kaiserlichen Ministers. Auf Ostrom hatte er einen Tribut von 2100 Pfund Gold gelegt. Er empfing das Gehalt der römischen kommandierenden Generäle. Wen er belohnen wollte, den schickte er nach Konstantinopel, daß man ihn dort mit Schätzen überhäufe, indem er mit der Angst der Römer fortwährend Schacher trieb.

Er wurde gefürchtet von seinen Untertanen, aber es scheint nicht, daß er gehaßt wurde. Maßlos stolz und doch listig verschlagen, glühend in seinem Zorn und doch fähig zu verzeihen oder, wenn das in seinem Vorteil lag, seine Rache aufzuschieben, begann er nie einen Krieg, wenn der Frieden ihm Gewinn genug bot. Während die von ihm abhängigen Könige ihm treue Dienste widmen mußten, hatte er für sich allein die alte Einfachheit der hunnischen Sitten beibehalten. Die Tapferkeit kann man eigentlich gar nicht besonders hervorheben an dem Haupte eines Volkes, dessen Kinder bei den Erzählungen der Waffentaten ihrer Väter in Wut gerieten, die Väter aber Tränen vergossen, weil sie es den Kindern nicht gleich tun konnten.

Nach seinem Tode zerfiel sein Reich wieder in die einzelnen Völker; aber die Römer waren so schwach, daß jedes noch so kleine Volk ihnen schaden konnte.

Nicht ein bestimmter Einfall eines einzelnen Volkes vernichtete das Reich, es waren vielmehr alle diese Einfälle zusammen. Seit jenem großen unter Gallus (251-253) schien es sich erholt zu haben, weil es keinen Landbesitz eingebüßt hatte. Aber es sank von Stufe zu Stufe, vom Verfall zum Sturz, bis es unter Arcadius und Honorius zusammenbrach.

Vergebens hatte man die Barbaren in ihr Land zurückgejagt – sie würden dorthin von selbst zurückgekehrt sein, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Vergebens vernichtete man sie: die Städte wurden deshalb nicht weniger geplündert, die Dörfer verbrannt, die Familien getötet oder zerstreut.

Wenn eine Provinz ausgeraubt worden war und der nächste anrückende Haufe nichts mehr vorfand, so mußte er nach einer anderen weiterziehen. Anfangs verwüstete man nur Thracien, Mösien und Pannonien. Als diese Länder verheert waren, kam Mazedonien, Thessalien und Griechenland an die Reihe. Darauf mußte man bis Noricum vordringen. Das Reich, d. h. das bewohnte Land, schrumpfte immer mehr zusammen, und schließlich war Italien Grenzland.

Der Grund, warum es unter Gallus noch nicht zu Ansiedlungen von Barbaren kam, war, daß sie noch etwas zu plündern vorfanden.

Skythia war in jener Zeit fast ganz unangebaut, so daß die Völker dort häufig Hungersnot zu leiden hatten. Sie lebten zum Teil durch einen Austausch mit den Römern, die ihnen die Lebensmittel aus den Donaulanden brachten. Die Barbaren gaben dagegen die Erträgnisse ihrer Plünderungszüge, die Gefangenen, die sie gemacht hatten, das Gold und Silber, das sie für den Frieden erhielten. Aber als man ihnen nicht hinreichend große Tribute zahlen konnte, daß sie davon zu leben vermochten, wurden sie gezwungen, sich niederzulassen.

Westrom brach zuerst zusammen. Folgendes sind die Gründe dafür. Als die Barbaren die Donau überschritten hatten, fanden sie zu ihrer Linken den Bosporus, Konstantinopel und alle Kräfte Ostroms, die ihnen Halt geboten. So wandten sie sich nach rechts, nach Illyrien und schoben sich nach Westen. Es vollzog sich ein Rückfluten der Nationen und ein Hinwenden der Völker nach jener Seite. Die Übergänge nach Asien waren besser gehütet, alles drängte sie nach Europa zurück, statt daß sich, wie bei dem ersten Einfall unter Gallus, die Macht der Barbaren geteilt hätte.

Als das Reich nun wirklich geteilt war, wollten die oströmischen Kaiser, die Verträge mit den Barbaren hatten, diese nicht brechen, um Westrom zu Hilfe zu kommen. Diese Teilung der Verwaltung, sagt Priscus, wurde für Westroms Schicksal sehr gefährlich. So verweigerten die Oströmer den Weströmern eine Hilfsflotte wegen ihres Bündnisses mit den Vandalen. Die Westgoten machten mit Arcadius ein Bündnis und fielen dann in das weströmische Reich ein und Honorius wurde gezwungen, nach Ravenna zu flüchten. Schließlich überredete Zeno Theodorich, um sich seiner zu entledigen, Italien anzugreifen, das Alarich schon geplündert hatte.

Zwischen Attila und dem Vandalenkönig Genserich bestand ein enges Bündnis. Der letztere fürchtete die Goten. Sein Sohn war mit der Tochter des Gotenkönigs verheiratet, hatte ihr aber die Nase abschneiden lassen und sie so ihrem Vater zurückgeschickt. So vereinigte er sich denn mit Attila. Ostrom und Westrom wurden durch diese beiden Fürsten gleichsam in Ketten gehalten und wagten nicht, sich gegenseitig Hilfe zu bringen. Besonders kläglich war Westroms Lage. Es hatte keine Seemacht, die gab es nur im Osten, in Ägypten, Cypern, Phönizien, Ionien, Griechenland, den einzigen Ländern, die noch einigen Handel hatten. Die Vandalen und andere Völker beunruhigten überall die Küsten des Westreiches. Es kam, sagt Priscus, eine italische Gesandtschaft nach Konstantinopel, um kundzugeben, daß unmöglich die Dinge sich länger halten könnten ohne eine Aussöhnung mit den Vandalen.

Die Herrscher des Westens ermangelten nicht etwa der politischen Klugheit. Sie meinten, daß man Italien retten müsse, das in einem Sinne der Kopf, in einem andern das Herz des Reiches war. So ließ man die Barbaren bis zu seinen äußersten Grenzen durchziehen und siedelte sie dort an. Der Gedanke war gut, die Ausführung nicht minder. Diese Völker verlangten die Gewährung eines Lebensunterhaltes, man gab ihnen die Ebenen und behielt sich die bergigen Landesteile, die Furten, die Pässe, die Festungen an den Flüssen; man behielt sich die Oberhoheit vor. Es ist wahrscheinlich, daß diese Völker gezwungen worden wären, Römer zu werden, und die Leichtigkeit, mit der diese Zerstörer selbst von den Franken, Griechen und Mauren zerstört wurden, bestätigt hinreichend diese Vermutung. Aber dies ganze System wurde durch eine Revolution umgestoßen, die verhängnisvoller war, als alle vorhergehenden: das aus Fremden zusammengesetzte italische Heer verlangte dasselbe, was man noch fremderen Völkern bewilligt hatte. Es bildete unter Odoaker eine Aristokratie, die sich ein Drittel des italischen Bodens aneignete – und das war der Todesstoß für Westrom.

Unter all diesen Unglücksfällen fragt man mit einer schmerzlichen Neugier nach dem Schicksal der Stadt Rom. Sie war sozusagen ohne Verteidigung. Sie konnte leicht ausgehungert werden. Der große Umfang ihrer Mauern machte ihre Bewachung sehr schwer. Da sie in einer Ebene lag, konnte man sie leicht mit stürmender Hand nehmen. Auf ihre Bevölkerung war kein Verlaß, sie war außerordentlich verringert. Die Kaiser waren so gezwungen, nach Ravenna zu flüchten, das damals so wie heute Venedig durch das Meer geschützt war.

Das Volk Roms, das sich fast immer von seinen Herren im Stich gelassen sah, begann sein eigener Herr zu werden und zu seiner Erhaltung Verträge abzuschließen, was das legitimste Mittel ist, um die souveräne Gewalt zu erwerben.

Das war das Ende Westroms. Rom war gewachsen, weil es nichts gekannt hatte als ununterbrochen sich ablösende Kriege, indem, dank einem unbegreiflichen Glück, jedes Volk es nur angriff, wenn das vorhergehende vernichtet war. Rom wurde zerstört, weil alle Völker es auf einmal angriffen und von allen Seiten in sein Reich eindrangen.

Kapitel 20.
Justinians Eroberungen. Seine Regierung (527-565).

(Allmählich kam die Bewegung der Völkerwanderung zum Stehen. Ihre Ursprungsquellen schienen erschöpft. Die durch das Römerreich hin verteilten Völker, in welche die großen Verbände sich wieder aufgelöst hatten, waren nun selbst Einfällen ausgesetzt.)

Unter solchen Zeitumständen unternahm Justinian die Rückeroberung Afrikas und Italiens.

Als den Germanen das Christentum gebracht wurde, waren die Arianer in gewisser Hinsicht die herrschende Sekte. Valens schickte ihnen arianische Priester, die ihre ersten Apostel waren. Nun aber wurde in der Zeit zwischen ihrer Bekehrung und ihrer Niederlassung auf römischem Boden diese Sekte bei den Römern fast vernichtet. Die Germanen fanden das ganze Land der orthodoxen Religion ergeben und konnten niemals seine Zuneigung gewinnen, und den Kaisern wurde es leicht, sie zu beunruhigen.

Übrigens ließen die Germanen, in deren Art es nicht lag, Städte anzugreifen, noch weniger, sie zu verteidigen, die Mauern der römischen Festungen verfallen. Prokop berichtet uns, daß Belisar die italienischen Festungen so vorfand. Dasselbe wissen wir von Spanien und Afrika.

Die Mehrzahl der nordischen Völker gewöhnten sich an das weichliche Leben der Südländer und verloren ihre Kriegstüchtigkeit. Die Vandalen erschlafften in Wollust. Die Freuden des Tisches, weibische Kleidung, Bäder, Musik, Tanz, Gärten, Theater wurden ihnen unentbehrlich. Sie beunruhigten die Römer nicht mehr, sagt Malchus, seit sie die Heere nicht mehr unterhielten, die unter Genserich immer bereit standen, mit denen er seinen Feinden zuvorkam und die Welt durch die leicht errungenen Erfolge seiner Unternehmungen in Erstaunen setzte.

Die Reiterei der Römer und ihrer hunnischen Hilfstruppen war im Bogenschießen sehr geübt, die gotische und vandalische bediente sich nur des Schwertes und der Lanze und konnte keinen Fernkampf aufnehmen. Diesem Unterschiede schrieb Belisar einen Teil seines Erfolges zu.

Besonders unter Justinian zogen die Römer großen Nutzen aus den Hunnen, deren Fechtweise der parthischen ähnlich war. Seit diese ihre Macht durch Attilas Niederlage und die zwischen seinen zahlreichen Söhnen ausgebrochenen Zwistigkeiten verloren hatten, dienten sie den Römern als Hilfstruppen und waren ihre beste Reiterei.

Ähnlich nutzten sie die besondere Begabung einzelner Völker für einzelne Kampfesweisen aus und kämpften gegen eins derselben mit den Vorzügen aller anderen.

Es ist sonderbar, daß die größten Staatengründungen gerade von den schwächsten Völkern ausgegangen sind. Man würde sich sehr irren, wenn man aus ihren Eroberungen auf ihre Starke schließen würde. In dieser langen Reihe von Einfällen hing es rein von den Umständen ab, ob die barbarischen Völker oder vielmehr die von ihnen ausgehenden Schwärme Zerstörung brachten oder selbst zerstört wurden. Während ein großes Volk geschlagen oder auf seinem Wege aufgehalten wurde, richtete ein Häuflein von Abenteurern, das ein offenes Land fand, entsetzlichen Schaden an. Die Goten, deren mangelhafte Bewaffnung sie vor so vielen Völkern zurückweichen ließ, gründeten in Italien, Gallien und Spanien Reiche. Die Vandalen, die Spanien aus Schwäche verlassen mußten, gingen nach Afrika und gründeten dort ein großes Reich.

Justinian konnte gegen die Vandalen nur fünfzig Schiffe aussenden, und als Belisar landete, hatte er nur 5000 Soldaten. Das war ein recht kühnes Unternehmen, und Leo, der ehemals eine aus allen Schiffen des Orients bestehende Flotte gegen sie geschickt hatte, auf der sich 100 000 Mann befanden, hatte Afrika nicht erobert und war in die bedenklichste Lage geraten.

Solche großen Flotten und ebenso die gewaltigen Landheere haben kaum jemals Erfolge gehabt. Da sie die Kräfte des Staates alle in Anspruch nehmen, kann man ihnen, wenn der Zug länger dauert oder von irgend einem Unfall betroffen wird, keinen Nachschub nachsenden. Geht ein Teil verloren, so ist der Rest wertlos, weil die Kriegsschiffe, die Transportschiffe, die Kavallerie, die Infanterie, die Munition, kurz die verschiedenen Teile nur zum Ganzen vereint eine Bedeutung haben. Die notgedrungene Langsamkeit des Unternehmens bewirkt, daß man immer wohlgerüstete Feinde antrifft – abgesehen davon, daß ein solcher Zug selten in eine bequeme Jahreszeit fällt. Man kommt gewöhnlich in die stürmische Jahreszeit, da so und so viel Dinge immer erst einige Monate nach der vorgesetzten Zeit fertig werden.

Belisar fiel in Afrika ein, und was ihn sehr förderte, war der Umstand, daß er viel Proviant aus Sizilien bezog infolge eines mit der Gotenkönigin Amalasuntha abgeschlossenen Vertrages. Als er dann zum Angriff auf Italien vorging, bemächtigte er sich erst einmal Siziliens, das er als Vorratskammer der Goten erkannte. So hungerte er seine Feinde aus, während er im Überfluß war.

Belisar nahm Karthago, Rom und Ravenna und schickte die Könige der Goten und Vandalen gefangen nach Konstantinopel, wo man nach langer Pause sich die alten Triumphzüge erneuern sah.

In den Eigenschaften dieses großen Mannes kann man die Hauptgründe seines Erfolges leicht aufzeigen. Mit einem Feldherrn, der alle die Grundsätze der alten Römer hatte, bildete sich ein Heer, das den alten römischen Heeren ähnlich war.

Große Tugenden verbergen oder verlieren sich gewöhnlich in der knechtischen Unterwürfigkeit. Aber das tyrannische Regiment Justinians konnte weder die Größe dieser Seele noch die Überlegenheit dieses Genies unterdrücken.

Auch der Eunuch Narses war dieser Regierung beschert, um sie glänzend zu gestalten. Im Palaste aufgewachsen, besaß er um so mehr das Vertrauen des Kaisers. Denn Fürsten sehen ihre Höflinge immer als ihre treuesten Untertanen an.

Aber die schlechte Lebensführung Justinians, seine Verschwendungen, seine Bedrückungen, seine Räubereien, seine Wut, zu bauen, zu ändern, zu reformieren, die Unbeständigkeit in seinen Absichten, eine zugleich harte und doch schwache Regierung, die durch ein langes Alter noch drückender wurde, waren wirkliche Leiden, vermischt mit unnützen Erfolgen und einem eitlen Ruhm.

Diese Eroberungen, die als Grund nicht die Stärke des Reiches, sondern gewisse besondere Glücksumstände hatten, richteten alles zugrunde. Während man die Heere zu ihnen verwendete, drangen neue Völker über die Donau und verwüsteten Illyrien, Mazedonien, Griechenland. Und gleichzeitig schlugen die Perser in vier Einfällen dem Osten unheilbare Wunden.

Je schneller diese Eroberungen vollendet, um so unbeständiger waren sie: kaum waren Italien und Afrika erobert, mußte man sie von neuem erobern.

Justinian hatte sich eine Frau aus dem Zirkus geholt, wo sie sich lange prostituiert hatte. Sie beherrschte ihn mit einer Macht, die kein zweites Beispiel in der Geschichte hat, und indem sie die Leidenschaften und Launen ihres Geschlechtes unaufhörlich in die Staatsgeschäfte einmischte, verdarb sie die Siege und die glücklichsten Erfolge.

(Aus den grün und blau gekleideten Wagenkämpfern im Zirkus und der Parteinahme für ihre Siege entwickelten sich in Konstantinopel die Parteien der Blauen und der Grünen.)

Aber Parteiungen, die für die Erhaltung einer Republik gradezu notwendig sind, konnten der Regierung der Kaiser nur verhängnisvoll werden, weil sie nur einen Wechsel der Person des Herrschers, nicht aber eine Wiederherstellung der Gesetze und eine Abstellung der Mißbräuche hervorrufen konnten.

Justinian bevorzugte die Blauen und verweigerte den Grünen jede Gerechtigkeit. Dadurch steigerte er den Gegensatz zwischen beiden Parteien und stärkte sie somit beide.

Sie gingen so weit, daß sie die Autorität der Beamten lahmlegten. Die Blauen fürchteten im Vertrauen auf die Protektion des Kaisers die Gesetze nicht, und die Grünen hörten auch auf, die Gesetze zu achten, weil sie sie nicht verteidigen konnten.

(Montesquieu schildert des weiteren die verhängnisvollen Wirkungen, die die Kämpfe dieser Parteien hatten, und erklärt sich für geneigt, die oft übertrieben erscheinenden Schilderungen Prokops in seiner »Geheimgeschichte« für wahr zu halten. Die, meist unwesentlichen, aber zahlreichen Veränderungen Justinians an der Gesetzgebung machen ihm den Eindruck, als wenn der Kaiser »seine Gerichtsentscheidungen wie seine Gesetze verkauft habe«.)

Das Verderblichste für die Politik dieser Regierung war aber Justinians Versuch, alle Menschen in religiösen Dingen zu denselben Anschauungen zu zwingen, und dies unter Umständen, die seinen Eifer ganz unangebracht erscheinen lassen.

Während die alten Römer ihr Reich dadurch kräftigten, daß sie jede Art von Gottesdienst darin bestehen ließen, so vernichtete man es später, indem man nacheinander die nicht herrschenden Sekten unterdrückte.

Diese Sekten waren ganze Völker. Die einen hatten nach ihrer Unterwerfung durch die Römer ihre alte Religion behalten, wie die Samaritaner und die Juden. Die andern hatten sich in engerem Gebiete ausgebreitet, wie die Anhänger des Montanus in Phrygien, die Manichäer, die Sabatianer, die Arianer in anderen Provinzen, abgesehen davon, daß es auf dem platten Lande noch eine Menge Heiden gab.

Als Justinian diese Sekten mit Schwert und Gesetzgebung zerstörte und sie so zwang, sich zu empören, kam er in die Notlage, ihre Anhänger ganz vernichten zu müssen, und machte so mehrere Provinzen zu wüsten Landstrecken. Er bildete sich ein, die Zahl der Gläubigen vermehrt zu haben: er hatte nur die Zahl der Einwohner vermindert.

Prokop berichtet uns, daß Palästina durch die Vernichtung der Samaritaner verödete. Was diese Tatsache bemerkenswert macht, ist der Umstand, daß man aus Eifer für die Religion das Reich gerade da schwächte, wo einige Regierungen später die Araber eindrangen, um eben diese Religion zu zerstören.

Besonders trostlos war es, daß eben der Kaiser, der seine Unduldsamkeit so weit trieb, sich mit der Kaiserin nicht über die wesentlichsten Punkte einigen konnte. Er folgte den Chalkedonischen Konzilbeschlüssen und die Kaiserin begünstigte ihre Gegner.

Liest man Prokops Buch über die Bauten Justinians und sieht man, was für Festungen und Kastelle dieser Fürst überall bauen ließ, so bekommt man den gänzlich irrigen Eindruck eines blühenden Staatswesens.

In den alten Zeiten hatten die Römer gar keine Festungen. Sie verließen sich auf ihre Heere, verteilten sie längs der Grenzflüsse und errichteten in gewissen Abständen dort Türme, um die Soldaten darin unterzubringen. Als man aber nur noch schlechte oder auch gar keine Heere hatte und die Grenze das Innenland nicht mehr schützte, mußte man dieses selbst schützen. Da hatte man dann mehr Festungen, aber weniger Stärke, mehr Zufluchtsorte, aber weniger Sicherheit. Da das flache Land nur in der nächsten Umgebung befestigter Plätze bewohnbar war, baute man solche überall. Es war dieselbe Erscheinung wie in Frankreich zur Zeit der Normannen: es war niemals schwächer als damals, da alle Städte von Mauern umgürtet waren.

So sind die langen, Seiten füllenden Listen von Festungsnamen, die Prokop gibt, nur Denkmäler der Schwäche des Reiches.

Kapitel 21.

(Es wird das bedrohliche Anwachsen der Persermacht im Osten und die Unfähigkeit der griechischen Kaiser, es zu hindern, geschildert.)

Kapitel 22.
Schwäche des oströmischen Reiches.

Da Phokas in der Wirrnis der Dinge keine feste Stellung fand, so kam Heraklius (610-641) aus Afrika und ließ ihn töten: er fand die Provinzen von Einfällen überschwemmt und die Legionen aufgelöst.

Kaum hatte er hieran die bessernde Hand gelegt, als die Araber herandrangen, um die Religion und das Reich, die Mohammed gleichzeitig gegründet hatte, auszubreiten.

Niemals erlebte man ein so schnelles Vordringen. Sie eroberten Syrien, Palästina, Ägypten, Afrika und fielen in Persien ein.

Gott ließ es zu, daß seine Religion in so weiten Gebieten aufhörte, die herrschende zu sein, nicht als ob er sie im Stich gelassen hätte, sondern weil sie, mag sie nun in der Erhöhung oder der Erniedrigung sein, immer gleichmäßig imstande ist, ihre in ihrem Wesen begründete Wirkung zu tun, nämlich zu heiligen.

Die Blüte der Religion ist unabhängig von der Blüte der weltlichen Reiche. Ein berühmter Denker, Pascal, sagte, daß er froh sei, krank zu sein, weil die Krankheit der wahre Zustand des Christen ist. Man könnte ebenso sagen, daß die Erniedrigungen der Kirche, ihre Zersprengung, die Zerstörung ihrer Gotteshäuser, die Leiden ihrer Märtyrer ihre Glanzzeiten sind und daß, wenn sie in den Augen der Welt zu triumphieren scheint, das gewöhnlich die Zeit ihres Niederganges ist.

Als der eine Sohn des Heraklius, Konstantin, vergiftet, der andere, Konstantius, in Sizilien ermordet worden war, folgte ihm Konstantin der Bärtige, sein ältester Sohn. Die Großen der östlichen Provinzen versammelten sich und wollten auch dessen beide Brüder krönen, indem sie behaupteten, wie man an die Dreieinigkeit glauben müsse, so sei es auch vernünftig, drei Kaiser zu haben.

Die Geschichte der griechischen Kaiser wimmelt von dergleichen Zügen, und da der Geist der Kleinlichkeit schließlich zum Nationalcharakter wurde, so verschwand alle Großzügigkeit aus den Unternehmungen, und man erlebte politische Unruhen ohne Ursachen und Revolutionen ohne Beweggründe.

Eine allgemeine Bigotterie brach den Lebensmut und stumpfte die Römer ab. Konstantinopel ist, genau gesprochen, das einzige Gebiet im Orient, wo das Christentum einmal geherrscht hat. Nun aber mischte sich die eigentümliche asiatische Feigheit, Faulheit und Schlaffheit in die christliche Frömmigkeit. Ein Beispiel für viele: Philippicus, der Feldherr des Mauritius, fing vor Beginn einer Schlacht an zu weinen in dem Gedanken an die große Zahl von Menschen, die getötet werden würden.

Das sind ganz andere Tränen, als die Tränen des Schmerzes, die jene Araber weinten, als ihr Feldherr einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte, der sie verhinderte, das Blut der Christen zu vergießen.

Es gibt eben keinen vollkommneren Unterschied als den zwischen einem fanatisierten und einem bigotten Heere. Das sah man zu unserer Zeit in einer berühmten Revolution, wo Cromwells Heer dem der Araber und die Truppen Irlands und Schottlands denen der griechischen Kaiser vergleichbar waren.

Ein grobsinnlicher Aberglaube, der die Seele geradeso erniedrigt, wie der Glaube sie erhebt, verlegte alle Tugend und alles Vertrauen der Menschen in eine unwissende, stumpfsinnige Bilderverehrung, und man sah Feldherrn eine Belagerung aufheben und eine Stadt verloren geben, nur um eine Reliquie zu bekommen.

Das Christentum entartete unter den griechischen Kaisern bis zu einem Grade, wie etwa in unseren Tagen bei den Moskowitern (den Russen), ehe der Zar Peter diese Nation wieder zum Bewußtsein erweckte und in einem Staate, den er regierte, mehr Veränderungen einführte als mancher Eroberer in einem usurpierten Staate.

Man kann sich schon denken, daß die byzantinischen Griechen in eine Art Götzendienst verfielen. Weder die Italier noch die Deutschen jener Zeit wird man für Verächter des äußerlichen Kultes ansprechen können. Wenn indessen die byzantinischen Schriftsteller von der Verachtung der ersteren für Reliquien und Heiligenbilder reden, glaubt man unsere Kontroversprediger zu hören, die sich gegen Calvin erhitzen. Als die Deutschen nach dem Heiligen Lande zogen, sagt Nicetas, empfingen die Armenier sie wie Freunde, weil sie auch keine Bilder anbeteten. Wenn nun aber nach byzantinischer Auffassung Italier und Deutsche noch nicht genug Heiligenkult trieben, wie übertrieben mußte da der ihre erst sein.

(So brach denn unter Leo dem Isaurier und seinem Nachfolger der Bilderstreit aus. Die bilderfeindlichen Kaiser griffen gleich wieder zu den härtesten Maßregeln und gingen mit Feuer und Schwert vor.)

Was den Bilderstreit so heftig machte und bewirkte, daß in der Folgezeit die besonnenen Geister keinen gemäßigten Kult vorschlagen konnten, war der Umstand, daß er mit sehr empfindlichen Dingen zusammenhing. Es handelte sich um eine Frage der Macht. Die Mönche hatten sie an sich gerissen, sie konnten sie weder steigern noch erhalten, als indem sie den äußerlichen Kultus steigerten, von dem sie selbst ein Teil waren. Aus diesem Grunde war jeder Kampf gegen die Bilder auch ein Kampf gegen die Mönche, und wenn sie in dieser Frage gesiegt hatten, kannte ihre Macht keine Grenzen.

Der Krieg, den die bilderzerstörenden Kaiser den Mönchen erklärten, bewirkte, daß man sich wieder ein wenig auf die Grundsätze der Regierung besann, daß man die Staatseinkünfte zum Besten der Allgemeinheit verwendete, und daß man schließlich dem Staatskörper seine Fesseln abnahm.

Kapitel 23.
Grund des langen Bestehens des Ostreiches. Seine Zerstörung.

Nach dem, was ich vom byzantinischen Reiche berichtet habe, liegt die Frage nahe, wie es so lange hat bestehen können. Ich glaube die Gründe dafür angeben zu können.

Als die Araber es angegriffen und einige seiner Provinzen erobert hatten, brach ein Streit unter ihren Führern über das Kalifat aus, und das Feuer ihres ersten Eifers erzeugte fortan nur noch innere Zwistigkeiten.

Als dieselben Araber dann Persien erobert und sich auf seinem Boden geteilt und geschwächt hatten, waren die Byzantiner nicht mehr gezwungen, die Hauptmacht ihres Reiches an der Euphratgrenze zu halten.

Ein Architekt namens Kallinikos, der aus Syrien nach Konstantinopel gekommen war, erfand die Zusammensetzung eines Feuers, das man durch eine Röhre blies und das im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Feuer durch die Einwirkung des Wassers nur noch mehr angeregt wurde. Die Griechen wandten es an und waren so mehrere Jahrhunderte lang imstande, alle feindlichen Flotten zu verbrennen, besonders die der Araber, die aus Afrika oder Syrien ihre Angriffe bis Konstantinopel ausdehnten.

Dies Feuer wurde zum Staatsgeheimnis erklärt und Konstantinus Porphyrogennetos, in seinem dem Romanus, seinem Sohne, gewidmeten Buche über die Reichsverwaltung, wies diesen an, daß, wenn die Barbaren griechisches Feuer von ihm verlangen sollten, er ihnen zu antworten habe, daß ihm eine Abgabe desselben nicht erlaubt sei. Denn ein Engel, der es dem Kaiser brachte, habe verboten, es den anderen Völkern mitzuteilen, und die, welche das dennoch gewagt hätten, wären bei ihrem Erscheinen in der Kirche vom himmlischen Feuer verzehrt worden.

Konstantinopel trieb den größten, ja fast den einzigen Welthandel in einer Zeit, wo die germanischen Völker einerseits und die arabischen andererseits Handel und Gewerbe überall sonst zerstört hatten. Von Persien hatte man die Seidenindustrie eingeführt, die außerdem seit dem Einfall der Araber in Persien dort sehr vernachlässigt wurde. Außerdem waren die Byzantiner Herren des Meeres. Das gab dem Staate große Reichtümer und damit große Hilfsquellen, und sobald ein gewisser friedlicher Zustand eintrat, sah man alsbald die allgemeine Wohlhabenheit schnell wachsen.

Endlich: nachdem sich die an den Donauufern wohnenden Barbaren einmal fest niedergelassen hatten, waren sie weniger gefährlich und dienten sogar als Schutzwehr gegen andere Barbaren.

Während also das Reich unter einer schlechten Regierung an innerer Festigkeit verlor, hielten es besondere Gründe immer noch aufrecht.

Zur Zeit des Konstantinus Porphyrogennetos brach in Persien die Macht der Araber zusammen. Mahomet, der Sohn Sambraëls, der dort herrschte, rief dreitausend Türken aus dem Norden als Hilfstruppen herbei. Infolge einer Mißhelligkeit schickte er ein Heer gegen sie. Aber das schlugen sie. Empört verurteilte Mahomet seine Soldaten dazu, in Weiberkleidern an ihm vorbeizuziehen. Sie aber gingen zu den Türken über, die nach Beseitigung der Garnison an der Araxes-Brücke unzähligen Scharen ihres Volkes den Weg öffneten.

Nach Persiens Eroberung verbreiteten sie sich nach Westen auf byzantinischem Gebiet. Als Romanus Diogenes sie aufhalten wollte, machten sie ihn zum Gefangenen und besetzten fast alle byzantinischen Besitzungen in Asien bis zum Bosporus.

Einige Zeit darauf, unter Alexis Comnenus, griffen die Lateiner den Westen an. Seit lange hatte ein unseliges Schisma einen unversöhnlichen Haß zwischen den beiden Nationen erzeugt, die den zwei verschiedenen Riten anhingen, und er wäre schon eher zum Ausbruch gekommen, wenn die Italier nicht mehr an die Zurückweisung der deutschen Kaiser gedacht hätten, die sie fürchteten, als an die der byzantinischen, die sie nur haßten.

So war die Lage der Dinge, als sich plötzlich in Europa die religiöse Überzeugung verbreitete, man könne, um seine Sünden zu tilgen, nichts Besseres tun, als die Orte, wo Christus geboren war und gelitten hatte, von der sie entweihenden Herrschaft der Ungläubigen mit den Waffen in der Hand befreien. Europa war voll von kriegslustigen Leuten, die mancherlei Sünden zu tilgen hatten, und deren Sühnung ihnen nun gleichzeitig mit einer Befriedigung ihrer Hauptleidenschaft verheißen wurde. Alle Welt ergriff daher das Kreuz und die Waffen.

Als die Kreuzfahrer im Orient angelangt waren, nahmen sie Nicäa und gaben es den Byzantinern wieder. Alexis und Johannes Comnenus benützten den Schrecken der Türken und jagten sie bis zum Euphrat zurück.

So groß aber auch der Gewinn war, den die Byzantiner aus den Kreuzzügen ziehen konnten, so zitterten doch auch wieder alle Kaiser vor der Gefahr, die es für sie brachte, wenn so stolze Helden und so große Heere eins nach dem andern durch ihre Staaten zogen.

Sie suchten also den europäischen Völkern die Lust an diesen Zügen zu verleiden, und überall, wohin die Kreuzfahrer kamen, fanden sie Verrat, Treulosigkeit und alles, dessen man sich von einem eingeschüchterten Feinde gewärtigen kann.

Man muß gestehen, daß die Franzosen, die diese Züge begonnen hatten, nichts getan hatten, um sich beliebt zu machen. Unter den Schmähreden des Andronicus Comnenus gegen uns fühlt man doch das als Wahrheit durch, daß wir uns bei einer fremden Nation zu sehr gehen ließen und daß wir damals dieselben Fehler hatten, die man uns heute vorwirft.

Die Deutschen, die dann kamen und die die besten Kerle von der Welt waren, mußten unsere Unbesonnenheiten hart büßen: sie stießen überall auf eine empörte Stimmung, die wir erzeugt hatten.

Schließlich erreichte der Haß seinen Höhepunkt, und schlechte Behandlung, die venetianische Kaufleute erlitten hatten, Ehrgeiz, Habsucht und ein falscher Eifer bestimmten die Franzosen und die Venetianer, gegen die Byzantiner selbst das Kreuz zu nehmen.

Sie fanden diese ebensowenig kriegsgewohnt wie in neueren Zeiten die Tataren die Chinesen. Die Franzosen machten sich über ihre weibische Kleidung lustig; sie spazierten in Konstantinopel herum mit deren bunten Gewändern angetan; in der Hand trugen sie ein Tintenfaß und Papier, um dieses Volk zu verspotten, das auf das Waffenhandwerk verzichtet hatte; und nach dem Kriege weigerten sie sich, irgend einen Byzantiner in ihr Heer aufzunehmen.

Sie nahmen den ganzen Westen in Besitz und wählten zum Kaiser den Grafen von Flandern, dessen Stammland zu fern war, um die Eifersucht der Italier zu wecken. Die Byzantiner hielten sich im Osten von den Türken durch die Berge, von den Lateinern durch die See getrennt.

Hatten die Lateiner bei ihren Eroberungen keine Schwierigkeiten gefunden, so fanden sie bei ihrer Niederlassung unendlich viel, und das benützten die Byzantiner, um wieder nach Europa zurückzukommen und Konstantinopel und fast die ganze westliche Hälfte ihres Reiches wiederzunehmen.

Aber dies zweite byzantinische Kaiserreich war nur ein Schatten des ersten und hatte weder dessen Hilfsquellen noch dessen Macht. In Asien besaß es kaum alle Provinzen diesseits des Mäander und des Sangarius. Die Mehrzahl der europäischen war in kleine Fürstentümer geteilt.

Außerdem ging während der sechzig Jahre, die Konstantinopel in den Händen der Lateiner blieb, der Handel auf die italischen Städte über und Konstantinopel wurde seiner Reichtümer beraubt. Nicht einmal seine Flotte konnte es infolgedessen behalten. Um sich vor den Seeräubern zu retten, mußten die Einwohner von den Küsten zurückweichen, und als sie das getan, kamen die Türken, und sie mußten sich vor diesen in die befestigten Plätze flüchten.

Die Türken überschwemmten alles, was noch in Asien vom byzantinischen Reiche übrig war. Wer ihnen entging, floh zum Bosporus, und wer Schiffe fand, ging nach Europa. Das erhöhte freilich auf eine kurze Zeit die Einwohnerzahl dieses Teiles des Reiches. Aber sie nahm bald wieder ab. Es brachen so blutige Bürgerkriege aus, daß beide Parteien verschiedene türkische Sultane herbeiriefen und die ebenso außergewöhnliche wie barbarische Bedingung eingingen, daß alle im Lande der feindlichen Partei gemachten Gefangenen in die Sklaverei abgeführt werden sollten, und in der Absicht, ihre Feinde zu vernichten, wetteiferte eine Partei mit der andern, das Reich zu zerstören.

Als Bajazet alle anderen kleineren Sultane unterworfen hatte, würden die Türken damals gemacht haben, was sie später unter Mohammed II. taten (der 1453 Konstantinopel eroberte), wenn ihrem eigenen Reiche nicht die Zerstörung durch die Tataren gedroht hätte.

Von den folgenden traurigen Zeiten zu reden, habe ich nicht den Mut. Ich will nur sagen, daß sich unter den letzten Kaisern das Reich auf die Vorstädte von Konstantinopel beschränkt sah und dann ein Ende nahm, ähnlich wie der Rhein, der, wenn er in das Meer mündet, nur noch ein Wassergraben ist.


 << zurück weiter >>